Essay von Nimet Seker
Ist der Islam ein Integrationshindernis? I
n den öffentlichen Debatten überwiegt ein defizitorientiertes Verständnis von Integration: Sie wird assoziiert mit Krisen, Parallelgesellschaften und Gewalt. Die Argumente für ein »Scheitern« der Integration sind vielfältig: eine unzureichende Beherrschung der deutschen Sprache, Abschottungstendenzen und ethnische Segregation. Seit einigen Jahren wird diese Debatte zunehmend vermischt mit einer Debatte um »den Islam«. Prominente Stimmen prangern die »mangelnde Integrationsbereitschaft« oder die »Integrationsunwilligkeit«, teilweise sogar eine »Unmöglichkeit« der Integration von gläubigen Muslimen an. In diesem Diskurs, der Islam und Integration verknüpft, gelten ein »vordemokratisches Menschen- und Weltbild des Islams« und »religiös fundierte Traditionen und Lebensweisen der Muslime« [1] als zentrale Ursachen für ihre Integrationsprobleme. Auffallend ist, dass soziale Probleme unter den Migranten vornehmlich auf ihre ethnische Herkunft und Religion zurückgeführt werden. Da die Probleme hauptsächlich unter Türken und Arabern auftreten, könne ja nur der Islam das Problem sein, so eine gängige Argumentation. Die Scharia und das vermeintliche Gewaltpotenzial, die als wesensbestimmend für den Islam beschrieben werden, gelten als die größten Hindernisse für die Integration in die hiesige Gesellschaft. Das Kopftuch muslimischer Frauen gerät zur Projektionsfläche Integration negierender Diskurse, so dass Kopftuch tragende Frauen als »nicht« beziehungsweise »nicht hinreichend integriert« angesehen werden. Der migrationspolitische Schlüsselbegriff »Integration« ist inhaltlich und analytisch derart vage, dass er in der öffentlichen Diskussion beliebig verwendet werden kann. Für sich genommen transportiert der Begriff zunächst keine Inhalte, außer dass »zu integrierende Elemente« sich in ein als homogen gedachtes »Ganzes« einfügen sollen. [2] In den Debatten wird Integration verstanden als das erwünschte Endziel eines Prozesses, dessen Nicht-Existenz oder eben »Scheitern« in den Fokus gestellt wird. So herrscht die Meinung vor, Integration müsse Muslimen »abverlangt« werden. Beispiele »erfolgreicher« Integration werden in Abgrenzung zu »gescheiterten« Integrationsbeispielen und weniger aus sich heraus definiert.
Während die Integrationsdebatte in kulturell verstandenen Dichotomien geführt wird, haben wissenschaftliche Studien herausgefunden: Islamische Religiosität ist kein Hindernis für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland.
Diesem Mehrheitsdiskurs um »Islam« und »Integration« liegt ein statisches Verständnis von »Kultur« zugrunde: Der Islam wird als eine Kultur verstanden, welche das Leben der Menschen wie ein unveränderliches Korsett präge. Sie habe unabhängig von Zeit und Ort Gültigkeit und richte sich nach der »Scharia«, dem »Gesetz Gottes«, die sich diametral zu den Normen und Werten der »westlichen Kultur« verhalte. Demnach sind Muslime als kulturelle Marionetten des »Systems Islam« in ihrer individuellen Entscheidungsfindung eingeschränkt. Aufgrund dieser Unveränderlichkeit - häufig wird auf das Fehlen einer »Aufklärung« im Islam hingewiesen - entstünden die Integrationsprobleme von Muslimen in Deutschland. Das zugrunde liegende Islambild wird von Vorstellungen und Erscheinungen eines radikalen Islamismus bestimmt. [3] So bestimmen kulturell verstandene Dichotomien die Debatten: Westen versus Islam, aufgeklärt versus rückständig, demokratisch versus vordemokratisch, modern versus vormodern, säkular versus islamistisch, Menschenrechte versus Gewalt, um nur einige zu nennen.
Zwar gibt es in diesem Diskurs Schwierigkeiten, zu definieren, was »deutsch« beziehungsweise »westlich« ist, und damit zusammenhängend die Frage, was einen integrierten Muslim von einem nichtintegrierten Muslim unterscheidet. Dafür fällt aber die kulturelle Abgrenzung zu Muslimen leichter: Die sichtbare Differenz von Muslimen, am auffälligsten in Kopftüchern und Moscheeminaretten, sind willkommene Folien dafür. Der Diskurs stellt also eine Hierarchisierung von Kulturen her, die wiederum als statische, in sich widerspruchslose, geschlossene Systeme und als »säkular« (Westen) bezie-
Foto: Seren Basogul
Kulturelle Marionetten des »Systems Islam«?
Nimet Seker, Magistra Artium, geboren 1979 in Troisdorf, forscht und lehrt an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. im Fach Islamische Studien. Ihre Forschungsarbeit wird im Rahmen des Graduiertenkollegs Islamische Theologie von der Stiftung Mercator gefördert. Sie ist Mitarbeiterin des Islamportals Qantara.de und Verfasserin zahlreicher journalistischer und wissenschaftlicher Artikel zur Geschichte und Kultur des Islams, Integration und islamisch-theologischem Denken. nimetseker.wordpress.com FAZIT DEZEMBER 2015 /// 51