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O&O Baukunst

BAUEN IM BESTAND + NEUBAU HOCHSCHULE FÜR SCHAUSPIELKUNST ERNST BUSCH, BERLIN

Bild 1. Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin: Schnittstelle Bühnenturm und Bestandsgebäude

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O&O Baukunst

Die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch bildet in vier Abteilungen aus: Schauspiel, Regie, Zeitgenössische Puppenspielkunst und Tanz. Die Abteilungen waren in den letzten Jahren auf mehrere Standorte in Berlin verteilt. Ziel der Hochschule war es, die Abteilungen an einem zentralen Standort zu vereinen. Der realisierte Entwurf von O&O ist aus einem international besetzten Wettbewerb 2011 als Sieger hervorgegangen. O&O Baukunst hat dann in enger Zusammenarbeit mit der Hochschule einen Ort geschaffen, an dem die Abteilungen vereint sind und an dem sichtbar wird, wie Theater funktioniert.

Das Grundstück der Hochschule für Schauspielkunst Berlin ist ein Restgrundstück im Innern eines typischen Berliner Blocks in Berlin-Mitte, nur durch eine schmale Gasse aus dem Straßenraum der Zinnowitzer Straße betretbar. 1954 wurde hier das Haus der Werkstätten der Staatstheater fertig gestellt. Mehr oder weniger übriggeblieben und bedrängt von den umliegenden, zum größten Teil nach maximaler Ausnutzung strebenden Projekten, zeigt sich die Hochschule nun selbstbewusst in der „zweiten“ Reihe.

Das ehemalige Haus der Werkstätten der Staatstheater, kurz: Opernwerkstätten, wurde, soweit es möglich ist, für die neue Nutzung verwendet. Werkstätten, Probe- und Seminarräume passen in die bestehenden Raumzuschnitte der ehemaligen Werkstätten. Die Büros ziehen in den vorher ebenso genutzten Westflügel. Dort, wo die Struktur des Hauses oder die Anforderungen an den Theater- und Probebetrieb an ihre Grenze stoßen, werden neue Bauteile an das Haus herangeschoben und angefügt.

Das Vorhandene wird genutzt und benutzt. Jeder Bestandsänderung wird hinterfragt. Was kann genutzt werden, was kann wiederverwendet werden, was muss geändert werden? Bauen im Bestand stellt den Bauherrn normalerweise vor ein besonderes Kostenrisiko. Das Vorhandene

Bild 4. Probevorbereitung auf der unteren Bühne (Foto: Horst Stasny)

Bild 2. Westseite mit Blick auf das Theatercafé

nicht zu überformen und die akzeptierende Haltung des Entwurfes gegenüber dem Bestand zeigt sich als sichtbares und erlebbares Konzept, dass auch dem sehr eingeschränktem Budget für dieses Bauvorhaben Rechnung getragen hat. Der Gebäudekomplex setzt sich damit aus drei Teilen zusammen: dem Altbau der ehemaligen Opernwerkstätten aus den Fünfzigerjahren, der an seiner Stirnseite aufgeschnitten wurde, dem holzverkleideten Bühnenturm, der sich seitlich in diese Schnittstelle einklinkt und der gläsernen Schachtel des Theatercafés, die gegenüber an die Alt

bauflanke herangeschoben ist. Beide neuen Elemente rahmen den neuen Eingang, der sich im Inneren des Altbaus als großzügiges Foyer aufweitet und als Arbeitsstraße vorbei an gläsernen Requisitendepots und Werkstätten führt.

Der neue holzverkleidete Bühnenturm, in dem die öffentlichen Aufführungen der Hochschule in zwei gestapelten flexiblen Bühnen stattfinden, gibt der Hochschule ein aus dem Straßenraum sichtbares Zeichen in der Stadt. Der herkömmlich rückwärtige Betrieb von Technik und Auftritt wird hier an der Außenfassade durch den Schleier des Holzvorhangs sichtbar. Am Abend leuchten die transparenten mit Polycarbonatplatten verkleideten Bühnenumgänge. Das in diesem städtischen Kontext fremde Material Holz wird zu einem Zeichen für das neue Theater in der Stadt. Der einfach gezimmerte Holzvorhang erinnert dabei an die Rückseite von Kulissen, aber auch an die ersten Holzbauten aus der Anfangszeit des Theaters. Holz ist ein typisches Theatermaterial, leicht zu verarbeiten und wandelbar.

An der Südseite wurde das Theatercafé an den Bestandsbau herangeschoben. Der Pavillon ist ein einfacher Stahlbau. Der gläserne Pavillon öffnet sich nach Süden zu den hier angeordneten Terrassen. Ein gefalteter stählerner Vorhang aus gelochten Paneelen dient als Sonnenschutz und kann bei Bedarf geöffnet werden. Das Muster der Lo

Bild 3. Umgang im Bühnenturm (Foto: Manfred Ortner/O&O Baukunst) Bild 5. Oberer Bühnenraum

Bild 6. Bibliothek (Fotos 1, 2, 5 und 6: Schnepp Renou/O&O Baukunst)

chung der Paneele ist aus dem Bild eines Vorhanges entwickelt worden.

Das weitere Erdgeschoss ist zum großen Teil den Werkstätten und Fundusbereichen vorbehalten. Rechts und links einer zentralen Erschließungsachse erschließen

sich diese Bereiche. In der Mitte dieser Erschließungsachse an der Schnittstelle zum Westflügel wurde eine neue skulpturale Freitreppe aus Ortbeton eingefügt. Sie verbindet kommunikativ und offen alle Geschosse des Hauses. Im Brandfall wird sie durch seitlich zufahrende Brandschutztore zu einer notwendigen Fluchttreppe.

Auch in den Obergeschossen wiederholt sich die zentrale Erschließungsachse. Hier sind die Probe-, Seminarund Bewegungsräume der Hochschule untergebracht. Eine Bibliothek nutzt die ehemals vorhandenen mehrgeschossigen Öffnungen des Altbaus zu einem großzügigen Lesesaal um. Orientierung in den Geschossen bietet immer wieder der hölzerne Vorhang der Bühnen, die sich aus dem Außenraum nach innen fortsetzen.

Die technischen Einbauten dienen der Nutzung und reagieren auf die Gegebenheiten des Bestandsgebäudes. Low Tech als sichtbare Installation, einfach verfügbar und über die Nutzungsdauer anpassbar, wird bevorzugt. Wo möglich wurde der einfachen Fensterlüftung der Vorzug vor einer mechanischen Lüftung gegeben. Aufgrund der Nutzung als Versammlungsstätte und der vielfältigen Verwendung des Materials Holz werden Teilbereiche der Hochschule gesprinklert.

Im gesamten Gebäudekomplex zeigt sich der Charakter der Hochschule. Das Zusammentreffen von Rohem und Verfeinertem sowie Altem und Neuem zeigt sich in den Innenräumen an einer trennenden Linie, die sich auf einer Höhe von 2,30 m durch das gesamte Gebäude zieht. Alle Oberflächen unterhalb dieser Höhe sind verfeinert, die Bauteile darüber verbleiben in ihrem vorgefundenen oder rohen Zustand. Die Flurwände sind bis zu dieser Höhe von 2,30 m mit Tafellack bekleidet und bieten sich den Studenten als endlose Wandzeitung an. Die Hochschule ist ein lebendiger Ort des Improvisierens und Entwickelns immer anderer Lebensrealitäten.

Bautafel Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

■ Bauherr: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und

Wohnen Berlin ■ Nutzer: Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch ■ Architekt: O&O Baukunst ■ Bruttogrundfläche: 16.200 m 2 ■ Wettbewerb: 2010 ■ Projektbeginn: 2011 ■ Baubeginn: 2014 ■ Fertigstellung: 2018

Bild 7. Blick vom Treppenhaus in die Flure (Foto: O&O Baukunst/Horst Stasny)

Weitere Informationen:

Ortner & Ortner Baukunst Gesellschaft von Architekten mbH Leibnizstraße 60, 10629 Berlin Tel. (030) 28 48 86-0, Fax (030) 28 48 86-60 public@ortner-ortner.com, www.ortner-ortner.com

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