So wohnt Europa

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;8&* -`/%&3 ;8&* 8&-5&/ %&654$)-"/% 6/% '3"/,3&*$) „Wenn ein deutscher FuĂ&#x;ballspieler zu Geld kommt, lässt er sich ein Haus bauen. Der franzĂśsische Kollege kauft sich ein Bureau plat.“ Dank jahrzehntelangen Kontakts mit franzĂśsischen Sammlern kĂśnnen Achim Neuse und Volker Wurster von der Galerie Neuse, Bremen, die Unterschiede im Einrichtungsstil von Franzosen und Deutschen recht genau charakterisieren. „Ein prinzipieller Unterschied liegt im SymmetriegefĂźhl der Franzosen“, so Volker Wurster. „Kommoden werden paarweise gekauft und symmetrisch aufgestellt, genauso wie Spiegel als Pendants gefragt sind. Das wĂźrde einem deutschen Kunden nicht einfallen. Der will das Einzelobjekt und wĂźsste kaum, was er mit dem zweiten StĂźck anfangen sollte. Diese Symmetrie schafft Ruhe und gibt den Räumen gleichsam ein GerĂźst.“ Was ist der Grund? „Der Franzose mag keine nackten weiĂ&#x;en Wände. Wände werden immer dekoriert. Besonders beliebt sind eingebaute Boiserien; die kĂśnnen auch 100 Jahre älter sein als das Haus. Selbst in GrĂźnderzeitWohnungen sind Wände, TĂźren und Fenster durch Leisten und Gesimse gegliedert. In der franzĂśsischen Einrichtung bemĂźht man sich auch, Wände, Zimmerdecken und Teppiche farblich aufeinander abzustimmen. Das hat fĂźr deutsche Antiquitätenliebhaber keine besondere Bedeutung. Generell schätzen franzĂśsische Sammler kostbare Materialien wie Leder, Samt, Tapeten, Stein, Glas oder Harze, alles, was aus dem Ăœblichen herausragt.“ Doch woher nehmen die Franzosen ihre Anregungen? „In Paris hat man sich immer an den offiziellen Räumen orientiert. Das Ambiente, in dem der franzĂśsische Staatspräsident im Fernsehen auftritt, ist ein Paradebeispiel. Das sind historische Räume mit Tapisserien, hĂśfischen MĂśbeln und Accessoires. Er selbst sitzt an einem Bureau plat. Die MĂśbel stammen aus den historischen SchlĂśssern.“ Nach den Ursachen gefragt, kommt Wurster ins Schwärmen: „Die Franzosen sind Weltmeister im Meublieren. Im Barock und Rokoko haben sie eine Vielzahl und Vielfalt unterschiedlichster MĂśbeltypen entwickelt.“ Und dann zählt er eine Litanei SitzmĂśbel vom Tabouret bis zu Fauteuil, Bergère und Marquise auf. Nicht zu vergessen die beinahe unnĂźtzen und nichts desto weniger zauberhaften MĂśbel wie das Bonheur du Jour, „an dem die Dame des Hauses gelegentlich einen Liebesbrief oder eine Anweisung an das Personal verfasst hat.“ Und er fährt fort: „Meines Wissens nach gab es nur in Paris fĂźr den Herrn den Wide poche, eine elegante Ablage fĂźr den Inhalt der Hosentaschen, die man abends zu leeren pflegte.“ Die Liebe zum historischen Mobiliar hat sich gehalten. „Und wenn man sich keine originalen StĂźcke leisten konnte, kaufte man eben StilmĂśbel.“ NatĂźrlich hat die Galerie Neuse auch deutsche Kunden. Ihre Gewohnheiten weichen von jenen der Franzosen ab. „Fran-

zosen sind eher Raumausstatter. FĂźr unseren Geschmack sind die Räume franzĂśsischer Sammler viel zu voll. Die Deutschen sind in ihren Einrichtungsvorstellungen viel sachlicher und heute sehr Design-orientiert. Da stellt man gern eine franzĂśsische Kommode vor eine weiĂ&#x;e Wand.“ Beschränkt sich das Interesse der Franzosen auf Produkte der eigenen Luxusindustrie? „Ganz und gar nicht. Bei allem natĂźrlichen Nationalstolz sind sie durchaus neugierig auf andere Dinge. Das ist fĂźr uns deutsche Händler ein wichtiger Vorteil, denn das deutsche Kunsthandwerk mit seinen bedeutenden Silber- oder Elfenbeinarbeiten ist von hĂśchster Qualität und bietet durch die Jahrhunderte eine enorme Vielfalt.“ Wie präsentieren deutsche und franzĂśsische Sammler ihre bedeutenden StĂźcke? „Ganz unterschiedlich“, und Wurster hat gleich ein Beispiel parat: „Als ich vor Jahren einem Pariser Sammler ein seltenes Objekt ins Haus brachte, stellte er die Neuerwerbung sofort auf seinen Schreibtisch zwischen BĂźcher und Papiere. Als ich nach einem Jahr wieder dorthin kam, stand das fragile Kunstwerk immer noch am selben Platz. Der Franzose lebt mit seinen Objekten, auch wenn es keine Gebrauchsgegenstände sind.“ Und der Deutsche? Er stellt die Neuerwerbung sofort in eine Vitrine. Und es kann passieren, dass die mit herrlichen SammlungsstĂźcken gefĂźllten Vitrinen ab vom Schuss in einem Untergeschoss mehr oder minder unzugänglich abgeschirmt sind.“ Was fĂźr ein Verhältnis haben die Franzosen zum modernen Ambiente? Da erzählt Wurster, der sich in seiner FrĂźhzeit sehr fĂźr die zeitgenĂśssische Kunst interessiert hat, „1959 entdeckte ich das erste Geschäft in Paris mit Design, das war Knoll international mit einem Laden, der nur ein einziges Schaufenster hatte. So gering war damals das allgemeine Interesse an zeitgenĂśssischem Design.“ Was bei den Franzosen einen ganz wesentlichen Ausschlag gibt, so Wurster, „ist der groĂ&#x;e Respekt, die Achtung, ja die Liebe fĂźr die Kunst im Allgemeinen, fĂźr kulturelle historische Zeugnisse und Antiquitäten. Das sieht man etwa an den enorm hohen Besucherzahlen auf der Biennale des Antiquaires. Da ist nur ein verschwindend kleiner Bruchteil an Käufern darunter, es sind Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die sich einfach an den schĂśnen Erzeugnissen ihrer historischen Vergangenheit erfreuen. In Deutschland wissen auch viele gebildete und betuchte Menschen mit Antiquitäten nichts anzufangen.“ Auf die Frage, wie das zu erklären sei, meint Wurster: „Paris war und ist immer noch die Welthauptstadt des Luxus. Und die Franzosen verfĂźgen Ăźber eine ungebrochene historische Tradition. Im Gegensatz zu den Deutschen waren sie nach den beiden Weltkriegen immer auf der Siegerseite. Sie haben ein gesundes Nationalbewusstsein, das uns abhanden gekommen ist. Deshalb trifft das eingangs zitierte Bonmot mit den FuĂ&#x;ballspielern wirklich zu.“ Schon die Firmenbezeichnung „Uwe Dobler Interiors – A fine art of living “ signalisiert den Neuansatz des Kunsthändlers

Foto: Š Massimo Listri/Corbis

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mit dem veränderten Käuferverhalten im Kunstmarkt und mehr noch Antiquitätenbereich. Was charakterisiert die deutschen Antiquitäteninteressenten seiner Meinung nach? „Sie sind weniger experimentierfreudig, was das Antiquitätenangebot betrifft. Die Mehrzahl bewegt sich in einer Sackgasse, was den Umgang mit dem Thema Antiquitäten angeht. FĂźr viele steht die Bewertung an erster Stelle. Sie zaudern eher, bevor sie ihr sauer verdientes Geld fĂźr alte StĂźcke ausgeben, die ihnen nicht vertraut sind.“ Ist das typisch deutsch? „Nein, das gilt mehr oder minder fĂźr den gesamten deutschsprachigen Raum. Ich spreche ungern von Ländern, sondern lieber von Kulturräumen. Es fehlt den meisten Interessenten an Mut, spielerisch oder sogar gewagt mit Antiquitäten umzugehen. Andere Mentalitäten sind viel stärker emotional gesteuert, sie lassen sich von Objekten und Kaufsituationen spontan begeistern. Der Deutsche hingegen prĂźft die Werthaltigkeit des StĂźckes, sucht auch seine Stilunsicherheit Ăźber den Wert abzusichern. Er geht kein Wagnis ein. Selten entscheidet er sich spontan fĂźr den Kauf eines ihm nicht bekannten StĂźcks.“ Gibt es nationale Unterschiede? „Belgier, Amerikaner oder Engländer sind da ganz anders. Wenn sie unsicher sind, bitten sie den Händler schon mal, mit nach Hause zu kommen, um die Wirkung des Objekts in der eigenen Umgebung zu testen. Sie lassen sich gern beraten. Die Franzosen oder Italiener machen das zwar auch kaum, aber ihr Umgang mit Antiquitäten ist gewachsen. Bei den Deutschen ist alles nachhaltiger, im Negativen wie im Positiven.“ Was daran positiv ist: „Wenn ein deutscher Käufer zufrieden ist, wird er häufig zum treuen Kunden. Das ist fĂźr den Kunsthändler eine nicht hoch genug einzuschätzende Eigenschaft. Die deutschen Käufer verfĂźgen meist Ăźber ein GespĂźr fĂźr die aufrichtige Arbeit des Händlers. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass viele Deutsche in ihrem privaten Bereich der modernen Architektur gegenĂźber ausgesprochen aufgeschlossen sind. Nur das Interieur haben sie noch nicht entsprechend einbezogen.“ Und was wird heute gekauft? „Alles, was einem visuellen Anspruch genĂźgt, was einen expressiven Ausdruck hat, was die Menschen berĂźhrt und Ăźber das gewohnt Vertraute hinausgeht. Die brave dreischĂźbige Biedermeierkommode hat es heute schwer. FrĂźher konnte man sie umgehend verkaufen, sofern Qualität und Preis stimmten. Heute muss sie zusätzlich einen besonderen Pfiff haben, einen Fries oder sonst etwas UngewĂśhnliches, das erschwert den Kunsthandel ganz enorm und verkompliziert den Markt.“ GLORIA EHRET

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Foto: Lorenzo Nencioni, Mailand

Biennale

FĂźgen Sie zwei Buchstaben zu Paris hinzu und es ergibt „paradis“, sagte der Schriftsteller Jules Renard. Das finden auch alle, die das franzĂśsische L’art de vivre schätzen. Es zeigt sich auch in einem Wohn-Stil, der nicht erst durch Sofia Coppolas poppigen KostĂźm-Film „Marie Antoinette“ (2006) vom alten Adel geprägt ist. „Die franzĂśsische Upper-Class hat eine groĂ&#x;e Liebe zum Kunsthandwerk. Es macht einen wesentlichen Teil ihres Lebensstils aus. Seit Ludwig XIV. bevorzugen die Franzosen diese sehr diskrete und raffinierte Art zu leben. Das 18. Jahrhundert war ein goldenes Zeitalter – stilbildend fĂźr ganz Europa und Amerika“, erklärt der Pariser Kunsthändler Nicolas Kugel. „Heute entdecken allerdings mehr junge Leute als vor 20 Jahren diese Wohn-

kultur wieder. Wir haben einige extrem junge Kunden, also unter 30, die meisten sind zwischen 30 und 40. Sie kaufen EinzelstĂźcke und kombinieren sie in ihrem Apartment mit MĂśbeln von Classicon“, ergänzt Kugel. Seine junge, charmante Pariser Kollegin Annemarie Monin pflichtet ihm bei. „Zur Zeit erleben wir eine Renaissance der MĂśbel des 18. Jahrhunderts. Oft ist es langweilig, ein Apartment nur mit MĂśbeln des 21. Jahrhunderts auszustatten. Meine Objekte, zum Beispiel ein Tisch aus dem 17. Jahrhundert oder ein Bureau des 18. Jahrhunderts, kommen mit einem Gemälde von Picasso oder einer Collage von Jeff Koons noch besser zur Geltung, das ist eine wunderbare Mischung“, so Annemarie Monin, die in diesem Jahr zum vierten Mal bei der Pariser Biennale des Antiquaires mit dabei ist und ihren Stand auf eine junge Zielgruppe ausrichtet. Marion Pinault, die Tochter von François Pinault, lebt ebenfalls mit MĂśbeln des 18. Jahrhunderts. Sie ist eine groĂ&#x;e Sammlerin mit einem sicheren Geschmack und kennt sich sehr gut aus. Auch Skulpturen-Spezialist Patrice Bellanger verrät, dass es unter seinen Kunden einige sehr junge und sehr begeisterte Sammler gibt. Dass man in Frankreich unterschiedliche Stile vereint, ist nicht neu: Der 1992 gestorbene Pariser Star-Dekorateur Henri Samuel kombinierte schon in den 1960er Jahren Louis XVI-MĂśbel mit abstrakten Gemälden und auĂ&#x;ereuropäischer Kunst. Die Visitenkarte fĂźr seinen gelungenen StilMix war sein Zuhause. Gäste Ăźberraschte er mit einem PopArt-Gemälde des New Yorker KĂźnstlers Richard Lindner Ăźber einem Empire-Tisch. Samuel war ein Kenner verschiedener Epochen. Chefkonservator Gerald van der Kemp engagierte ihn 1957 sogar, das Empire-Zimmer in Versailles einzurichten. AnschlieĂ&#x;end inszenierte Samuel fĂźr das New Yorker Metropolitan Museum zwei Kunstgewerbe-Sammlungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Seine Kunden waren die Rothschilds, die Vanderbilts, Prinz Sadruddin Aga Khan und der ModeschĂśpfer Valentino. FĂźr den Comte und die Comtesse Hubert d‘Ornano schuf er mit opulenten Teppichen und kostbaren Stoffdrapierungen an Wänden und Fenstern ein Fin-de-Siècle-Ambiente in ihrem groĂ&#x;zĂźgigen Pariser Apartment, das sich auf 700 Quadratmetern Ăźber zwei Geschosse erstreckt. Sein Markenzeichen waren Berge von Kissen, gesteppte Polster bis hin zum Alligator-Stuhl von Lalanne. Die persĂśnliche Beziehung zu einem Kunstwerk vergleicht Annemarie Monin mit einer neuen Liebe: „Denn schlieĂ&#x;lich ist jedes Objekt ein Abenteuer, genauso wie eine private Begegnung. So verliebt man sich immer neu. Der Kunsthandel ist im Grunde ein Metier groĂ&#x;er Emotionen. Wer Kunst kauft, ist empfindsam“. Und den Franzosen gehen alte MĂśbel so unter die Haut, dass sie auch nachts noch davon träumen. So erinnert sich der Pariser Händler François Leage an seinen ersten MĂśbelkauf: „Ich war 22 Jahre alt und hatte Angst, dass die FĂźĂ&#x;e meines Louis-XV-Sesselpaares gebrochen waren. Als ich morgens aufwachte, wurde mir klar: Ich hatte bloĂ&#x; geträumt. Es war alles in Ordnung“. UTE STRIMMER

"-5 53*''5 /&6 *5"-*&/ Die italienische Inneneinrichtung hat zwei Gesichter. Zum einen stehen die alten MÜbel bei den Italienern hoch im Kurs. Hier zeigt sich, dass Italien noch mehr als Deutschland partikularistisch geprägt ist. Frßher versuchten sich die Fßrs-


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tentĂźmer Nord- und Mittelitaliens gegenseitig, als Mäzene zu Ăźberbieten. Jede Region brachte ihre eigenen Malstile hervor – und so war es auch im Kunsthandwerk. Noch heute stellt sich der vermĂśgende Turiner eine piemontesische Kommode in den Salon, während der Florentiner Rechtsanwalt gewiss einen toskanischen Cassone zuhause stehen hat. Dann gibt es noch das andere Gesicht der vornehmen italienischen Wohnung. Es ist so cool wie ein Campari Soda, denn Italien ist fĂźhrend auf dem Gebiet des modernen MĂśbel-Designs, und so wohnen viele progressive Italiener auch in ihren alten Palästen – sofern sie nicht voller ErbstĂźcke sind – mit zeitgenĂśssischem Design. „Die italienische Tradition, MĂśbel zu entwerfen, beginnt im 15. Jahrhundert“, erklärt Piero Lissoni, einer der wichtigsten Designer unserer Zeit. Bis in die 1950er Jahre produzierten die meisten Firmen Italiens historistische MĂśbel. Weil sie so international nicht mithalten

konnten, entwarfen die italienischen Gestalter schlieĂ&#x;lich moderne Produkte. Die legendäre Ausstellung „The New Domestic Landscape“ von 1972 im New Yorker MoMA fĂźhrte zum Durchbruch des italienischen Designs. „Die Italiener lieben es, bella figura zu machen und haben einen angeborenen Sinn fĂźr SchĂśnheit. Gestaltung ist ihnen sogar oft wichtiger als die Funktion“, so Lissoni. Aber nie ging in Italien das moderne Design auf Kosten des historischen Erbes. Es gibt einen Konsens, das Alte zu bewundern, und das neue hinzuzufĂźgen. Das bewies die Ausstellung „Unexpected Guests. Homes of Yesteryear. Design of Today“ am Rande des diesjährigen Salone. Kurator Beppe Finessi lieĂ&#x; in die Villa Necchi Campigli, in dem Museo Poldi Pezzoli, in dem Museo Bagatti Valsecchi und in der Casa Boschi di Stefano Objekte von Philippe Starck, Jean Nouvel, Dorato Koziara und Fernando & Humberto Campana einziehen. „Schon immer gibt es in Italien einen groĂ&#x;en modernen Geist, der sich wunderbar mit der Geschichte vereinbaren lässt. Unsere Kunst ist es, die Tradition mit der Moderne zu verbinden“, sagt Lissoni. UTE STRIMMER

Š Fritz von der Schulenburg/TIA Digital Ltd

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Spanien und Portugal sind sehr verschiedene Märkte fĂźr Antiquitäten. Während die Portugiesen die MĂśbel ihrer Vorfahren schätzen und ihre Wohnungen auch so dekorieren, ist der Spanier zwar stolz auf seine Maler der Vergangenheit, aber das Mobiliar hat nicht denselben Stellenwert, erklärt Don JosĂŠ Antonio CĂĄmara, ein bekannter Antiquitätenhändler aus Madrids Galerien-Viertel Salamanca. Spanische Antiquitäten seien bei den Einheimischen zwar als Spekulations-Objekte gefragt, sagt er, doch als Einrichtungs-Gegenstände seien sie wenig beliebt. Sein Kollege Don Javier JimĂŠnez stimmt ihm zu. Der spanische Antiquitätenmarkt stagniere seit einigen Jahren, sagen beide. FrĂźher, vor 15 Jahren, waren englische MĂśbel auf der Iberischen Halbinsel gefragt, jetzt ist es eher das FranzĂśsische. Das ähnele den spanischen Stilen und lasse sich leicht mit einheimischen Objekten kombinieren. Drei der wichtigsten spanischen Stile sind mit den zeitgleichen franzĂśsischen vergleichbar: „Carlos III.“ entspricht „Louis XV.“, „Carlos IV.“ kommt „Louis XVI.“ nahe, und „Fernandino“ gleicht „Empire“. Fernandino-MĂśbel sind am beliebtesten und werden von reichen Privatleuten und von Dekorateuren nachgefragt. Echte Liebhaber und Patrioten interessieren sich fĂźr Spaniens Goldenes Zeitalter, das 16. und 17. Jahrhundert, als Spanien Weltmacht war. Der Stil fĂźr diesen Zeitraum macht keinen Gebrauch vom Namen eines KĂśnigs, sondern heiĂ&#x;t schlicht „alta ĂŠpoca“, Ăźbersetzt „hohe Epoche“. Sie geht bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, als der Barock anfing. Aus dieser Zeit stammt das BargueĂąo. „Wegen seines besonderen Charakters von Luxus, Pracht und Repräsentanz ist es zweifellos das wichtigste MĂśbel, nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa“, sagt die MĂśbelhistorikerin MarĂ­a Paz AguilĂł, die Koryphäe auf dem Gebiet. Sie behauptet: „Der spanische Schreibtisch mit frontal aufklappbarem Deckel – und alle europäischen Experten sind dieser Meinung – diente ganz Europa als Vorbild, wobei er in späteren Jahrhunderten weiterentwickelt wurde.“ Der Ursprung des BargueĂąo ist umstritten. AguilĂł erklärt, dass es ein Produkt der Umgestaltung einer „escribanĂ­a“ (eines Sekretärs) und einer kleinen Truhe in ein einziges MĂśbel sei. Das neue MĂśbel war eine Symbiose aus hispanisch-muslimischen und fernĂśstlichen Elementen, die Ăźber Venedig nach Spanien gelangten. Das BargueĂąo befand sich im Besitz eines männlichen Adeligen, im BĂźro eines Notars oder wurde im Zimmer einer Frau als Frisierkommode genutzt. Oft war es aus Nussbaum gezimmert, aber reiche Kunden lieĂ&#x;en sich BargueĂąos auch aus exotischen EdelhĂślzern der Kolonien fertigen, wie Ebenholz, Palisander, Rosenholz und Mahagoni. Einige sind polychrom bemalt und sogar vergoldet. UrsprĂźnglich war das BargueĂąo niedrig, Griffe erlaubten es, das MĂśbel zu transportieren, denn es war fĂźr Reisen gedacht. Später bekam es ein Podest. Der Deckel ist kaum dekoriert, hĂśchstens versehen mit dem Wappen der Familie, einer repräsentativen Tugend oder einer Heldentat des Besitzers. Aber wer den Deckel herunter klappt, dem erĂśffnet sich ein raffiniertes Innenleben: eine architektonische Anordnung kleiner Säulen und Schubladen, prunkvoll geschmĂźckt mit Elfenbein, Muscheln und Ebenholz. Man kann in den mit Samt bedeckten Schubfächern alles anhäufen, sammeln, vergessen und irgendwann wieder entdecken. Die Besitzer selber lieĂ&#x;en sich von den Ebenisten Ăźberraschen, denn diese versteckten ab und zu

kleine religiĂśse Motive: ein Bildnis der Muttergottes, eine Miniaturkapelle, die Figur eines Heiligen. Diese stillschweigenden Schätze machen aus dem BargueĂąo das „MĂśbel der Geheimnisse“ – und bald das LieblingsmĂśbel der Spanier. In jedem Zuhause, das etwas auf sich hält, findet man ein altes BargueĂąo. Doch wird das auch so bleiben? Don Javier ist optimistisch: „Das BargueĂąo passt immer gut, auch mit modernen MĂśbeln und Kunstwerken“. Frau AguilĂł und Don JosĂŠ Antonio sind eher pessimistisch. Sowohl der Nachschub wie die Nachfrage schwächeln. Der Antiquitätenhändler erzählt, wie er vor zwei Jahren ein prachtvolles BargueĂąo im Mudejar-Stil mit Elfenbein-Einlagen bei einer Auktion erstand. Er hat es immer noch nicht verkauft. Vielleicht wird er das Juwel eines Tages einer Institution verkaufen, mit einem privaten Käufer rechnet er nicht mehr. Der Erfolg des BargueĂąo ist sein eigener Tod. ENRIQUE G DE LA G

.0%&3/& 7&3%3`/(5 (&03(*"/*4$) &/(-"/% „Das englische oder auch nur Londoner Interieur gibt es nicht mehr“, berichtet Christie's Spezialist Orlando Rock. Die Briten leben nicht mehr in „Period-Rooms“, wie es noch vor ein paar Jahren gang und gäbe war, als sei eine moderne Wohnung ein kleines Museum. „Heute haben die Leute das Selbstvertrauen, Neues und Altes und sogar Stile zu mischen“. Wenn es einen englischen Wohnstil Ăźberhaupt noch gibt, wird er heute mehr von den alten Häusern mit ihren Besonderheiten und typischen Grundrissen geprägt als von einem bestimmten Einrichtungsstil. Denn während viele Engländer in den letzten 15 Jahren ihre alten MahagonimĂśbel durch schicke DesignermĂśbel ersetzten, viktorianischen „Clutter“ verbannten, diese ĂœberfĂźlle an Nippes, Stoffen und MĂśbelchen, die einmal der Devise „my home is my castle“ ästhetische Geltung verschafften – ist die Bausubstanz von der Revolution des neuen Minimalismus unberĂźhrt geblieben. Die Mehrzahl der Engländer, und vor allem Londoner, wohnen nach wie vor in alten Häusern, die immer noch als die geräumigsten, bequemsten und schicksten gelten. Weniger betuchte Mittelschichtler leben in oft Ăźberraschend geräumigen viktorianischen Reihenhäusern mit Vor- und Hintergärtchen in den Suburbs. Die wirklich Reichen und die aristokratische Oberklasse wohnt in Stadthäusern oder stattlichen Wohnungen der georgianischen Epochen des 18. und frĂźhen 19. Jahrhunderts, die das Stadtbild der Edelviertel Mayfair oder Belgravia in London bestimmen. Wohnästhetik von der „Immobilie“ geprägt: Den alten offenen Kaminen mit ihren Einfassungen, unweigerlich Zentrum jeder britischen Wohnstube, den hohen Räumen mit ihren dezenten Stuckfassungen und Bilderleisten, den engen Fluren, fast unweigerlich WeiĂ&#x; gestrichenen TĂźren mit eingelassenen Panelen, „Sash Windows“ zum Hoch und Runterschieben, bei denen das sanfte Klappern der Bleigewichte den Kennern trotz der Einfachverglasung handwerkliche Solidität und behagliche Wohnlichkeit verspricht. Und was steht in den Wohnungen? Orlando Rock ist fĂźr „House Sales“ zuständig und weiĂ&#x; wie wenige, was sich hinter Londoner Fassaden verbirgt. Weniger, dafĂźr grandiosere MĂśbel, reichere Farben, exotischere StĂźcke. „Sogar eine gewisse Theatralik kommt zurĂźck, wie man sie in den 1990er Jahren hatte, bevor sie von der Minimalismus-Mode ver-


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Foto: Steffen Jänicke/Agentur Focus

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drängt wurde.“ Auch Harry Apter von der Traditionshandlung Apter Fredericks nennt den neuen Eklektizismus als die neue Designphilosophie. „Wenige StĂźcke setzen in einem sparsam mĂśblierten Umfeld Akzente.“ Er selbst lebt im Untergeschoss, wo die Kinder sind, modern, in der Beletage aber noch im traditionellen englischen Stil. Wozu vor allem die klassischen MĂśbeltypen gehĂśren, die man nur in England findet: Pembroke-Tische mit runterklappbaren Tischplatten, DreifuĂ&#x;-Tischchen fĂźr die Lampe, der „Whatnot“, das offene hauchdĂźnne, stabile und immens vielseitige Regal. Bis Mitte der 1990er Jahre war „antikes Wohnen“ in England noch selbstverständlich. Man wohnte in ererbten MĂśbeln. Wer das Pech hatte, nicht zu erben, kaufte alt im Handel und schwieg darĂźber. Denn wer seine MĂśbel selbst kaufen musste, war sofort als ParvenĂź geoutet. „Dies fĂźhrte dazu, das braune MĂśbel viel zu teuer wurden. Es war eine kĂźnstliche, durch Snobismus angeheizte Nachfrage“, stellt MĂśbelhändler Alan Rubin von den Pelhams Galleries fest. Dann kamen New Labour, Cool Britannia, neuer Reichtum, der Kult der Globalisierung und warfen das Geschmacksmonopol der Georgianischen Epoche um, das bis dahin alles beherrschte. Heute gilt: „Anything goes“. Der eine lebt hinter schweren Velour-Vorhängen mit Quasten und Zotteln und scheut sich nicht, seinen George II-Armlehnstuhl mit einer franzĂśsischen Rokokokommode zu kombinieren. Der andere rundet sein klassisches englisches „Period Interieur“ mit einer High-Tech-Aluminium-Jalousie ab. Nur eins ist sicher: „Chintz", die bunt bedruckten Glitzerstoffe, die in den 1980er und 1990er Jahren noch Inbegriff einer englischen Designerwohnung waren, sind absolut out. Ein gutes Beispiel einer solchen Mischung war die Versteigerung des Wohnungsnachlasses Walter Lees im Juli bei Christie's. Hier hatten Louis-XVIKerzenständer, Diego Giacometti-MĂśbel, italienische Marmorvasen, ein viktorianischer Rosenholz-BĂźcherschrank und Regence-Fauteuils friedlich miteinander zusammengelebt. Auch darĂźber sind sich Rubin, Rock und Apter einig: Das groĂ&#x;e MĂśbel kommt zurĂźck. Während alltägliche Mahagoni („braune“) MĂśbel kaum noch zu verkaufen sind, steigen die Preise fĂźr die SonderstĂźcke – LackmĂśbel, alles mit schĂśnen Beschlägen, gefasste italienische MĂśbel. „Ein gutes Esszimmer ist unter 100 000 Pfund nicht mehr zu haben“, sagt Apter. Womit er eigentlich nur den groĂ&#x;en Mahagonitisch meint, an dem die englische Elite noch festhalte – während, laut Rock, die internationalen Trendsetter aufs Esszimmer eher ganz verzichten und in der geräumigen KĂźche essen. Aber der Mahagonitisch wird laut Apter ohne mit der Wimper zu zucken mit modernen StĂźhlen kombiniert – sie sind bequemer. Gibt es unverzichtbare StĂźcke, die der Engländer haben muss? Eine „Hall Lantern“ fĂźrs EntrĂŠe gehĂśrt vielleicht dazu, antike Spiegel mit elaborierten Goldrahmen sind unfehlbare Akzente, und Kunst – „Modern British“. Wer wissen will, warum englische Kunst des 20. Jahrhunderts so teuer in den Auktionen ist, muss nur in englische Wohnungen gehen: Vom hĂśchsten Adel herunter bekennen sich die Briten mit Beispielen ihrer klassischen Moderne zur feinen Lebensart. Sogar einer der grĂśĂ&#x;ten Contemporary-Sammler Englands, Frank Cohen, lebt in seiner Privatvilla bei Birmingham mit Modern British. Mit der Contemporary-Art, die er sammelt, kĂśnne man ja nicht leben, bekennt er. MATTHIAS THIBAUT

#*55& /*$)5 40 136/,70-- %*& 4$)8&*; Die deutsche Schweiz ist kulturell mit dem sĂźddeutschen Raum verbunden, die franzĂśsische orientiert sich stark an Frankreich, die italienische Schweiz ist von der ländlichen norditalienischen Kultur beeinflusst und die rätoromanische Schweiz steht fĂźr die alpenländische Lebensform. Diese Kulturkreise prägen auch die Vorlieben in der jeweiligen Wohnkultur. So existiert zum Beispiel auch „das Schweizer MĂśbel“ nicht. Basel orientierte sich am elsässischen und sĂźdwestdeutschen Raum, so dass sich zahlreiche Basler Schränke mit der typischen Säulenstruktur in identischer Weise im StraĂ&#x;burger Raum finden. Bern ist insofern interessant, als die bedeutendsten Ebenisten der Stadt – die Dynastie der Funk sowie C. Hopfengärtner – ursprĂźnglich aus dem deutschen Reich stammte und somit „deutsche“ Ideen und Formensprachen in eigenständiger Weise „in situ “ weiterentwickelten. Bei Funk kommt hinzu, dass sein Aufenthalt in Paris einen groĂ&#x;en Einfluss hatte auf die von ihm gefertigten Bronzebeschläge (hier sei auf die „klassische“ Funk-Kommode mit den feinen Bronzebeschlägen „à la M. Criaerd“ hingewiesen). Die ZĂźrcher Ebenisten sind beeinflusst von sĂźddeutschen Tischlern – als exemplarisches Beispiel soll der sogenannte Wellenschrank erwähnt werden, der sich in nahezu identischer AusfĂźhrung bei den Frankfurter Prunkschränken findet. Zentrum der franzĂśsischen Schweiz ist die Calvin-Stadt Genf, seit dem 17. Jahrhundert Zufluchtsort vieler franzĂśsischer Hugenotten. Diese meist wohlhabenden FlĂźchtlinge beeinflussten das kulturelle Leben der Stadt an der RhĂ´ne und brachten franzĂśsisches „Savoir-vivre“ mit. So fanden bedeutende Pariser MĂśbel eine neue Käuferschicht in Genf, das seinerseits einen regen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit der franzĂśsischen Metropole initiierte; hier sei auf die Uhrenindustrie hingewiesen. Die Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts erwähnen nur sehr wenige Genfer Tischler. Diese hatten jedoch allesamt ihre Ausbildung in Frankreich genossen und so die franzĂśsischen Stile etabliert und weiterentwickelt. Die italienische Schweiz mit ihrer vornehmlich bäuerlichen Gesellschaft orientierte sich ganz an Norditalien. Die spärliche Quellenlage nennt keine Ebenisten – bei den historisch belegten MĂśbeln finden sich einfache, alpenländische Beispiele in den Herrenhäusern sowie norditalienische MĂśbel in den KlĂśstern. Die rätoromanische und alpenländische Schweiz entwickelte eine sehr originelle und eigenständige MĂśbelkultur; verschiedene, teils auĂ&#x;erordentlich fein bemalte MĂśbel (man denke hier an Konrad Starck oder Bartolomäus Thäler). Die Sammler und Käufer aus der deutschen Schweiz zeigen groĂ&#x;es Interesse an „lokalen“ Ebenisten (Funk, Hopfengärtner) und eher schlichten, eleganten MĂśbeln des 18. und 19. Jahrhunderts. Zwinglianisch-protestantische ZurĂźckhaltung sorgt dafĂźr, dass sie markant prunkvolle MĂśbel oder Bronzen eher ablehnen. Dieses Fehlen einer sinnlich-offensiven Darstellung des eigenen Reichtums – wie sie aus Italien, Frankreich oder den USA bekannt ist – wird hier kompensiert mit Käufen bedeutender Schweizer KĂźnstler (Hodler, Anker). Die wenigen Käufer „ßbertriebener“ PrunkmĂśbel in der deutschen Schweiz sind allesamt international tätige Unternehmer oder Sammler, die ihre Jugend auĂ&#x;erhalb der Schweiz erlebten. Die franzĂśsische Schweiz ist diesbezĂźglich offener; es darf jedoch nicht vergessen werden, dass


Biennale

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Genf als Sitz der UN seit Jahrzehnten eine groĂ&#x;e Dichte an Ausländern beherbergt und diese automatisch ein internationaleres Flair einbringen. Die Vorliebe fĂźr franzĂśsisches Mobiliar der Epochen RĂŠgence, Louis XV und Louis XVI fällt hier stark auf. Es ist demnach nicht verwunderlich, dass die März-Auktion 2007 mit der Sammlung von Schloss Vincy am Genfersee gespickt war mit hochstehendem Mobiliar aus diesen Epochen. Interessanterweise war der Besitzer dieser wunderschĂśnen Sammlung ein aus Deutschland stammender, hochgebildeter Sammler, der sich in der Schweiz niederlieĂ&#x;. Analoges lässt sich fĂźr die italienische und alpenländische Schweiz festhalten; die Hinwendung zu Norditalien oder das Pflegen der heimatlichen Wohnkultur. Aus meiner 25-jährigen Erfahrung als MĂśbelexperte von Koller Auktionen glaube ich folgende Entwicklungen zu erkennen: Der heutige Schweizer Sammler kauft selektiv und „stiloffen“ – anders als, um ein Beispiel aus den 1990er Jahren zu nehmen, ein Bankier, der mit seiner Gattin die neu erworbene Villa ganz im „Style Louis XV“ eingerichtet haben wollte und so auf einer Auktion 50 bis 70 MĂśbel erwarb. Während es frĂźher bei einer Lotmenge von 400 MĂśbeln rund 120 Käufer brauchte, um eine erfolgreiche Auktion durchzufĂźhren, mĂźssen es heute markant mehr sein – dank Internet ist das auch der Fall –, da vor allem EinzelstĂźcke erworben werden und diese in einem „Misch“-Ambiente integriert werden; neben der Louis-XV-Kommode eine Liege von Le Corbusier, an der Wand ein Mirò, afrikanische Kunst und der groĂ&#x;e Plasma-Fernseher. Es handelt sich hierbei um eine neue Sammlergeneration (gut verdienende 30- bis 50-Jährige), die sich in meinen Augen im Spannungsfeld verschiedener Epochen und Stile wohl fĂźhlt und sich von der Rigidität der 1950er und 1960er Jahre loslĂśst. Diese Entwicklung sehe ich aber nicht als typisches „Schweizer Phänomen“, sondern erkenne sie in analoger Weise auch in Frankreich, Deutschland, England und den USA. LUCA RASCHĂˆR

#*&%&3.&*&3 6/% +6/(&4 %&4*(/ e45&33&*$) Ă–sterreichs Wohnstil – was ist das? Salzkammergut – Idylle und Alpenromantik, PuppenhausallĂźre und Zuckergussarchitektur? Oder doch Heimat groĂ&#x;artigen, kunsthistorischen und zeitgenĂśssischen Kreativpotentials, das sich in Design, Architektur und Kunst einen Namen zu schaffen wusste? Ă–sterreich ist das eine wie das andere. Es spiegelt sich in der Wohnkultur des Landes unbekĂźmmert wieder. „Mix it up“ ist das Gebot der Stunde, dessen Fäden zu ziehen die Ă–sterreicher mit spielerischer Leichtigkeit beherrschen. Haben unsere UrgroĂ&#x;väter und spätere Generationen die Stilreinheit eines Biedermeiers, Historismus oder Jugendstils noch zum obersten Gebot erhoben, so wird heute mit vĂślliger Absicht der Stilbruch gewagt. Modernes Design und Architektur sind erklärte Lieblingskinder, MĂśbel aus den 1920er und 1930er Jahren absoluter Kult, „must have“ jene aus den Fifties, Sixties und Seventies. ZeitgenĂśssische Kunst, das sind stolz präsentierte Objekte. Das eine Souvenir hat ebenso seinen fixen Platz wie das liebevoll bewahrte ErbstĂźck. Den Status der Megastars haben sich nach wie vor Biedermeier- und JugendstilstĂźcke gesichert. Diese Stilrichtungen sind fĂźr Ă–sterreich bis heute eminent bedeutend, beide sorgten international fĂźr Aufsehen. Biedermeier und Jugendstil – das waren Zugpferde auf dem Weg zur Moderne, beide Stile fĂźhrten zu einer eigenständigen Wiener Formensprache. In den Wohnwelten dieses Landes spielen sie nach wie vor eine wichtige Rolle. Das Augenmerk des Biedermeiers galt weniger – wie bei vorhergehenden Stilen Ăźblich – dem Zweck der Repräsentation als vielmehr dem wohnlichen, privaten, inoffiziellen und praktikablen. Das typische BiedermeiermĂśbel ist in erster Linie funktionell und „es hat Humor“, sagt der MĂśbelhistoriker Christian Witt-DĂśrring. „Nach wie vor wird Antikes mit Modernem kombiniert. Die Nachfrage nach frĂźhem Biedermeier, nach zierlichen und fragilen StĂźcken ist groĂ&#x;“, bestätigt Alexander Doczy, MĂśbelexperte im Wiener Dorotheum. Begonnen habe nun eine „selektive Phase“, in der „Auffälliges bis Manieriertes“ gefragt sei sowie Eye-Catcher aus der frĂźhen Biedermeierzeit. „Etwas Unpraktisches kann nicht schĂśn sein“, lautete der Leitsatz Otto Wagners um die Jahrhundertwende. Propagiert wurde der Begriff des „Nutz-Stils“, dessen Reformgedanke der Moderne den Weg ebnete. Der Wiener „Sezessionsstil“ zeichnet sich durch Geometrie, GroĂ&#x;flächigkeit, abstrakte Ornamentik und schwarz-weiĂ&#x;e Ă„sthetik aus. Ziel dieser Epoche war das „Gesamtkunstwerk“. „Jugendstil und vor allem DesignmĂśbel der 1950er bis 1980er Jahre erleben einen Aufschwung, Wert wird auf beste Qualitäten und Namen gelegt. Auch die Provenienz spielt eine groĂ&#x;e Rolle“, sagt Alexander Doczy vom Auktionshaus Dorotheum. Seit einigen Jahren unglaublich rege ist die junge Designszene dieses Landes. „Walking chair“, EOOS oder Polka seien hier stellvertretend fĂźr viele erwähnt. VerfĂźhrt ein so hohes MaĂ&#x; an Auswahl und Qualität, um mit Karl Kraus zu sprechen, „zu verantwortungsloser Heiterkeit“? Heiterkeit und Humor sind in diesem Land Bedingung fĂźr unaufgeregtes, ideenreiches Wohnen auf hohem Niveau. Stil-Puristen mĂśgen es „verantwortungslos“ empfinden. Ă–sterreicher antworten darauf mit Augenzwinkern und Selbstbewusstsein. Die Arbeit der Stylisten Ăźbernimmt in unseren Wohnwelten die PersĂśnlichkeit der Bewohner, den Part der Dekorateure deren Leben. Erinnerungen sind ihre Inspirationsquellen, der Charakter ein unbestechlicher Kritiker. Stildiktate? Designgurus? Das sind in jedem Fall ungebetene Gäste. Perfektionismus wird in Ă–sterreich lieber selbst interpretiert! IRMI SORAVIA

Foto: Christie‘s Christie’s Images Ltd./Isabel Bannerman/Rowan Isaacs

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