Lost Voices #3

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Es schreibt keiner wie ein Gott, der nicht gelitten hat wie ein Hund. Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916), รถsterr. Schriftstellerin

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Liebe Els und Vaus, mit großer Verspätung ist es nun doch passiert und die dritte Ausgabe der El Vau hat sich mal wieder an die Oberfläche des Zinepools gemogelt. Noch immer kämpfe ich mit meinem kleinen Blatt jedes Mal ums Überleben und jede Ausgabe könnte die letzte sein, aber nach wie vor bekomme ich reichlich an Texten und Kunstbeträgen zugeschickt und so lange ihr euch an diesem kleinenProjekt hier beteiligt, werde ich mir dieses Dauerdrehen von Centstücken auch weiterhin geben. So arm auch mein kleiner Literaturlümmel hier scheint, so reich sind doch –wie ihr gleich sehen werdet- die Texte und Bilder, die sich in den letzten Monaten so bei mir gesammelt haben. Auf den nächsten Seiten eine Auswahl dessen was in den Köpfen der verlorenen Künstler da draußen so vorgeht. Nicht erschrecken und entspannt den Wörtern folgen. Am Ende ergibt alles einen Sinn. Oder auch nicht. Wie dem auch sei. Kunst gibt es von der WahlNew Yorkerin Alisa Minyukova und ein Buch wird vorgestellt, das schon ein bißchen in die Jahre gekommen ist, dennoch nichts an Aktualität eingebüßt hat. Außerdem sind wir ja hier, um nicht zu vergessen. Wir geben unseren Beitrag gegen den kollektiven Filmriss nach einer Nacht mit zuviel billigem Gesellschaftswein. Nun viel Spaß und viel Frohsinn mit Texten von Thomas Lässing, Florian Günther, Sascha Sand, Andreas Lehmann, Annika Senger, Marcus Mohr und Clemens Schittko. Sagt es weiter, dass es jeder weitersagen soll!

In diesem Sinne…. Cheers! - Marc Mrosk (Herausgeber)

LOST VOICES AUSGABE DREI

HALTESTELLE

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Thomas Lässing

MITTAGSPAUSE

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mit Florian Günther

THE ART OF

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ALISA MINYUKOVA

FEIERABEND

10 - 12

Sascha Sand, Andreas Lehmann

WORTE

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Annika Senger, Marcus Mohr

BELOW THE SURFACE 14 - 16 Interview with Jennifer Toth

LV’s

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LETZTE WORTE

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Clemens Schittko Cover by Alisa Minyukova Fotos (Seite 5, 13 und 14) von MM

Verantwortlich für alles hier: Marc Mrosk ElVau@gmx.de (NEUE ADRESSE!) Alle Rechte der hier aufgeführten Werke liegen bei den jeweiligen Autoren, Fotografen/ Künstlern

WWW.MYSPACE.COM/LOSTVOICESMAGAZINE WWW.ELVAU.DE.TL 3


HALTESTELLE ICH WILL WERDEN von Thomas Lässing ich will werden: was sie mir sagen, dass ich es muss. weil: wenn ich nicht werde, was sie mir sagen, ziehen sie mir eine gruene fusselwollmuetze auf, einen blauen anorak ueber, und stecken meine steckenbeine in rosa stulpen. wie saehe das denn aus? nee, so moechte ich nicht rumlaufen muessen. was ich nicht wusste: ob ich werde, was ich will, oder das, was sie mir sagen, dass ich es zu werden haben wolle, spielt keine rolle. sie kleiden mich ein: so oder so. so beginnt verstehen. bei der muetzenfarbe darf ich mitreden: hell- oder dunkelgruen? ich entscheide mich fuer smaragd, im korb neben den sonderangeboten. sie sind entsetzt. das geht nicht! dreifacher preis! du nimmst gefaelligst... hellgruen ist gut, wirklich: dass ich das nicht gleich gesehen habe. gut, dass ich auf sie gehoert habe. aber das smaragd. beim anorak habe ich die wahl zwischen mit oder ohne kapuze. ich haette gerne eine schwarze lederjacke ohne kragen. gegen den regen hatte ich noch nie einwaende. nicht nur das: ich mag regen. wie er mir in das gesicht prasselt. wie ich den mund aufmache und ihn trinke. also mit kapuze, klar, man weiĂ&#x; ja nie, nachher hagelt es auf meinem weg, da haben sie schon recht. und so schlecht ist das blau ja auch nicht. ich werde mir lieber die beine abhacken, als diese – nein, ist in ordnung, ich mag keinen streit, aber koennen wir nicht wenigstens die roten nehmen? an den waden ist es mir nie kalt. naja, ich werde sie heimlich ausziehen koennen, ist das haus erstmal verlassen. einmal um die ecke genuegt fuer das. so angenehm sind sie, die stulpen in rosa, haette ich mir doch gleich denken koennen. an der hand will ich nicht heim genommen werden, und sie greifen meine haende. peter hat sie geklaut!, werde ich ihnen sagen, sobald ich die klamotten im wald vergraben haben werde. und dabei werde ich ganz wahr gucken koennen. bei peter werden sie nicht nachfragen, das trauen sie sich nicht. alte sippenmauern. man muss nur ideen haben. schwitzend sitze ich im wagen und wuensche mir eisregen. der kommt aber nicht auf kommando, weil nichts auf kommando kommt. nicht mal der regen. sie fahren mich sicher nach hause. ich schwitze. nein, ich platze nicht. aber beinahe. ausgekleidet in meinem zimmer, reibe ich mir das wasser vom leib. das tut gut. zum trocknen haenge ich die neuen kleider ans fenster. oma kommt zu besuch, und ich darf mich erneut anziehen. nur mal kurz. zeig mal oma. die freut sich doch immer so. ja, klar. oma schaut mir in die augen und sagt nichts. ich schaue oma in die augen und sage nichts. ich darf wieder auf mein zimmer. die neuen kleider haenge ich zum lueften ans fenster. ich reibe mir das wasser vom leib. morgen gehe ich zu peter.

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MITTAGSPAUSE KEIN PROBLEM Er war pleite, und in der Jobvermittlungsfirma sagten sie ihm, du kannst bei Bahlsen anfangen; drei Schichten, 5,60 Euro die Stunde. Netto? fragte er. Brutto. Aber daß du mir ja pünktlich bist! Er nickte und bekam den Job. Na? fragte ihn seine Alte. Hast du was gefunden? Klar, erwiderte er ihr. Ich hab dir doch gesagt: Einen wie mich suchen sie immer.

mit Florian Günther UNTER PHILOSOPHEN Wir saßen vor dem Blumengeschäft am S-Bahnhof. Die Flasche ging von Hand zu Hand, und ab und an erklang das leise Klimpern einer Münze. Scheint n guter Tag zu werden, sagten meine Freunde von der Straße. Was machst du n heut noch so? Mal sehn, sagte ich. Vielleicht such ich mir n Job, oder ne Frau, oder sonst was. Ihr Gelächter verfolgte mich noch hundert Meter weiter.

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CHILDREN

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THE ART OF

ALISA MINYUKOVA


A study of visual dependency.... dependency

FASCINATION ANXIETY A psychological condition in which an individual has excessive anxiety due to surroundings,, resulting in acute prolonged visual stimulation by the individual's surroundings aspiration.. The images in this book are a result of subjecting myself to spells of aspiration prolonged visual and emotional stimulation. stimulation. These works may suggest a decorative or illustrative application, application, but don't be fooled; fooled; they are in fact an ostentatious parody on us, us, waiting to be recognized. recognized. Working much of the time in pen and ink, ink, I have found using these tableaus to be the most straightforward way to express my vision of humanity. humanity. My characters are nomadic. nomadic. They do not belong to a particular place or culture. culture. Their personas are a composition of mythological and allegorical qualities that symbolize our nature as human beings. beings. My desire is that you recognize their dual nature as both simple and complex, complex, as we all are. are.

- ALISA

DINNER

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BENG

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ROOSTER


FEIERABEND BORGES UND BUKOWSKI (Sascha Sand) borges und bukowski sitzen auf plastikstühlen in der sonne zwei fliegen fliegen vorbei nein drei borges lächelt matt mit geschlossenen augen das gesicht zur sonne gewandt seine hände sehr ruhig auf das gekrümmte ende seines stocks gelegt er öffnet den mund mit einem leisen schmatzen seufzt und lächelt weiter borges trägt einen dunkelblauen anzug mit feinen streifen eine dunkelblaue krawatte schnürt leicht seinen schlaffen hals in seidigen socken wippt sein zeh kaum jambisch zum CXXIX. sonett borges ist allein ...

erst als bukowski seine bierflasche aufmacht sagt borges: „bei cornelius agrippa von nettesheim gibt es diese rätselhafte stelle die mich immer an einen vers des alten yeats erinnert hat“ dann murmelt er den vers des alten yeats und lächelt weiter die zwei fliegen kommen zurück die dritte nicht bukowski steht auf und geht zwanzig minuten später setzt er sich wieder öffnet langsam die nächste flasche und sagt: „ein satter bierschiß ist glorreich mann“ darauf hebt er die flasche und nimmt einen sehr langen zug während irgendwo eine fliege im fliegenleim zappelt und stirbt.

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ABENDPROGRAMM von Andreas Lehmann „Nein“, sagte sie und wandte sich von ihm ab. Sie neigte den Kopf und stützte ihn in ihre Hände: „Nein.“ Er starrte ihren Rücken an. Die Spannung in seinem Körper ließ nur langsam nach. Er hatte wie in Zeitlupe die Flasche gehoben, und nun öffnete er seine Lippen, aber dann fiel ihm kein Wort ein, das er sagen könnte, und er vergaß, was er mit der Flasche vorgehabt hatte. Er ging zum Tisch und stellte sie dort ab. Eine Zeit lang verharrten sie so; sie vor der großen Terrassentür, das Gesicht in ihre Handflächen gestützt, und er am Tisch. An der Wand, an der der große Spiegel hing. Der Tisch war noch gedeckt. Ihre Teller und Tassen, das Besteck, die Butter und der Brotkorb, alles war noch vom Abendessen da, bei dem es begonnen hatte. In Wahrheit hatte es natürlich viel früher begonnen, vor einigen Monaten schon, er wusste nicht mehr, wann und warum genau. An diesem Abend hatte es damit angefangen, dass beide am nächsten Tag das Auto brauchten. Sein Blick fiel noch einmal auf die Flasche. Es war absurd. Sie begann wieder leise zu sprechen: „Nein“, sagte sie noch einmal. „Nein, nein!“ Und dann drehte sie sich um, ließ ihre Arme sinken, ballte ihre Hände zu Fäusten stieß plötzlich einen Schrei aus, dass sich etwas in ihm zusammenzog. „Nein!“, brüllte sie. „Du Egoist! Du sturer Drecksack! Ich halt’ es nicht mehr aus!“ „Hör auf!“, brüllte er zurück. „Hör verdammt noch mal auf zu schreien, du machst mich wahnsinnig.“ Und während er sie anschrie, griff er nach einem Messer auf dem Tisch. Er ballte eine Faust um den Griff des Messers, so fest, dass es ihm selbst wehtat, und brüllte noch einmal: „Du machst mich wahnsinnig!“ In einem einzigen Schwung hob er seine Hand, schleuderte sie nach unten und warf das Messer in eine Ecke des Zimmers: „Hör endlich auf!“ Sie hob ihre Hände schützend vor das Gesicht und stieß erneut einen Schrei aus – kein Wort, nur ein Geräusch, er wusste nicht, ob es aus Wut oder Angst oder Hass bestand oder aus allem zusammen. Er drehte sich um und rief noch einmal „Hör auf!“, und dann schloss er seine Augen und presste die Handflächen auf seine Ohren. Aber es half nichts, er hörte, wie sie irgendetwas nahm und zu Boden warf. Er hörte, wie etwas aus Glas – etwas, das ihnen beiden gehörte, eine Vase vielleicht – auf dem Fußboden zu Scherben zersprang. Dann war alles still. Als er seine Augen öffnete, fiel sein Blick in den Spiegel. Er sah sich selbst, wie er die Hände an seine Ohren presste und dann langsam herunternahm. Er sah sich mit rotem Kopf und Schweißtropfen auf der Stirn und mit offenem Mund. Und als er einen halben Schritt zur Seite trat und seinen Kopf ein wenig drehte, sah er auch sie. Sie stand schwer atmend in der Mitte des Raums und blickte vor sich auf den Boden. Er sah sie und sich selbst wie zwei fremde Personen in dem Spiegel, und das Zimmer lag vor ihm, als sei es nicht seines und auch nicht ihres. Er hörte noch immer, wie er sie anschrie, hörte seine Flüche und ihre Beschimpfungen, und er sah das Zimmer wie etwas, in das er hineingeraten war, unabsichtlich und ohne sich wehren zu können. Es waren Fremde, die er dort sah, Marionetten, Pappfiguren, und die ganze Szene war auf einmal nur ein weiterer Streit, einer unter vielen. Nicht schlimmer und bedeutungsvoller als all die anderen. Die 11 gleiche triviale Katastrophe.


Dann drehte er sich um. Vor ihr auf dem Fußboden lagen überall Glasscherben, hundert kleine Splitter. Er wandte sich wieder ab und sah auf die Tür. Sie war geschlossen, aber durch den Spalt darunter drang Licht aus dem Flur. Er ging einen Schritt näher an die Tür heran und legte seine Hand auf die Klinke. Er umfasste sie wie vorher das Messer, aber er ließ sie nicht los. Er drehte seinen Kopf noch einmal zur Seite und sagte leise: „Hör auf damit.“ Dann sah er wieder der Tür entgegen. Er stand an der Tür, den Blick starr nach vorne gewandt und seine Hand auf der Klinke. „Nein“, sagte sie: „Nein. Nein. Nein.“ Und das war alles.

zum Weiterlesen...

www.aponaut.org www.abraxas-magazin.de www.stoerfaktor51.de www.inside-artzine.de www.aalfaa.de www.bruecke-saarbruecken.de www.dergestrecktemittelfinger.de www.virb.com/backend/rueckenkaelte www.st.groessenwahn.de www.am-erker.de www.myspace.com/rokkosadventures www.bis-magazin.de www.der-kosmische-penis.de www.badrascal.de.tl www.enpunkt.blogspot.com www.beschreibbar.twoday.net www.palemoonlight.de.ms www.baillusionen.de www.kaktusmagazin.ch www.macdoedel.de.tl www.myspace.com/katzeheft www.hankchinaski.surfino.info www.renfield.de www.myspace.com/diekungfuhund www.mumate.com www.myspace.com/vorsichtschreie www.truce.ch www.moderndrunkardmagazine.com

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WORTE DIE LIEBESBLUME (Annika Senger) Zum Sterben hegten wir die Liebesblume, die nur noch im Beet deiner Träume blüht Am Ende des Sommers degradierte ich sie zu Unkraut und pflanzte sie um auf den Komposthaufen Dort singt deine Krähe mir Hochzeitsständchen von toten Knospen duftender Qual

EINER DER WORT HIELT (Marcus Mohr) An meinem dreißigsten Geburtstag bringe ich mich um, waren seine Worte. Er benutzte sie ständig und überall. Natürlich kaufte es ihm niemand ab. Er wurde belächelt, ausgelacht, unter den nächsten Teppich gekehrt. Und so vergingen die Jahre wie Wilde Rosen im Spätherbst – er laberte weiter und weiter, bis der Tag seines dreißigsten Geburtstags kam. Sie wollten ihn überraschen, hatten eine Party organisiert, doch er war nirgends aufzutreiben. Erst am späten Abend fand man ihm. Ein Jogger stieß auf ihn und sah, wie er stranguliert an einem Baum hing und voller Genugtuung ein letztes Mal seine Zunge rausstreckte.

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Interview with Jennifer Toth (Author of „The Mole People“) I was browsing through the book store I worked at when I noticed a book cover showing the dark and deserted image of the metro tracks with a shine of light breaking through the roof like a waterfall. A piece of hope in such a lonely and cold place. It said “The Mole People – Life in the Tunnels beneath New York City”. Who was living there I was asking myself and took the book home. A book that was written over 15 years ago but was still catching my attention like something that had just happened right outside my door a couple of hours ago. A subject not out of time and a true story about braveness, surviving and false hope. Author Jennifer Toth did what many would call crazy and went down to the tunnels to write about the lost individuals who have chosen a life so far from society that we all know but still close enough to feel like outsiders.

LV: I know it’s been a while now since you finished the book “Mole People.” When was the last time you’ve been to New York? JT: I was last in New York about five years ago on my most recent book tour for “What Happened to Johnnie Jordan? The Story of a Child turning Violent.” I couldn’t believe how much New York had changed, but the tunnels were still there, as were some of the old people. Most, however had died. It was difficult for me.

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LV: I’d like to go back to the tunnels one more time. The electricity, the violence, and of course the trains being a part of the underground system was/is a constant threat for the people down there. There were high risks of getting injured or even being killed in the underground. How did you deal with fear while doing the research? JT: I was so fascinated by what I was seeing and learning. That’s what kept me going down. But I realized how much fear wore on me when I got back to the topside world. As soon as I hit sunlight, I was utterly exhausted, my whole body drained. As far as dealing with the fear, to be honest with you, I was very young and simply didn’t realize how fragile life is. I was among people who were remarkable survivors and thought that death was evasive. I believed that if I looked people in the eye, they wouldn’t hurt me. If I trusted them, they wouldn’t let me get hurt. Now, as a mother, I find that a little naïve. But the truth is, inside, I still believe that. Reaching a human heart is not so difficult if you’re honest and your intentions are pure. More than once someone grabbed me from stepping on the third rail or into a cubby when they heard a train. I realize now how fortune I was, and sometimes, in a moment, am struck by the feeling that someone probably saved my life.

LV: What has changed for the people, living below the streets of NYC since the book was published back in the 90s? JT: After The Mole People came out, there were a lot of cosmetic changes. Tunnels inhabited in my book that were recognized by the authorities were overhauled. The tunnels went through a $10 million renovation under Grand Central Station alone. But of course the tunnel dwellers found new homes in the darkness. I wish I could say that their world was transformed, but it wasn’t. The answer is simple – not a lot has changed.

LV: You live in Berlin now. How do you compare the social situations of the people in two major cities like Berlin and New York? JT: I’m afraid I can’t really answer this question. I have not studied the disenfranchised in Berlin as I have in New York. I am struck by the tenacity of those I see here, establishing themselves on various corners or underpasses. I see that there is outreach, but I have also noticed a great deal of mental illness. I was hoping that with Berlin’s more extensive social welfare system I would see less. I hope this is not offensive, but I do see these problems in so many of the cities I visit, from Tokyo to London. In New York I got to know the people I wrote about quite well. I understood their social networks. Tunnel people often grouped together as families, even in communities. There were also those who kept to themselves. Here I see more individuals except in the Tiergarten which reminds me of the groups of teenagers I encountered in the tunnels. They were mostly running away from foster care or orphanages or bad family situations. They led me to my second book “Orphans of the Living.”

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LV: You still keep in touch somehow with people you used to live or still live in the tunnels? JT: Almost all of the people I wrote about have since died. AIDS and TB took too many of them. Drug addiction also killed many. But some died of things as basic as the common cold. I was surprised more didn’t take their own lives. Some were hit by trains. Several were victims of violence. Some just fell asleep in the cold and just never woke up.

LV: The “Mole People” of New York City or for example the “Cage People” of Hong Kong, who are not homeless but live in small cages because of the high rents in the city are all communities who created a home far away from regular society but still close enough to be still part of it. Do you think these two societies are coming closer with the time or detach from each other more and more? JT: This is such a difficult question. Perhaps it’s my age, but I see a more general acceptance of this separation. There are attempts to “rescue” those who want to be brought back, but otherwise…well. There may be compassion, but there doesn’t seem to be much assimilation. There’s still too much fear for that. Thank You, Jennifer!

The Mole People Paperback, 280 pages Publisher: Chicago Review Press Language: English ISBN-10: 155652241X ISBN-13: 978-1556522413 Tunnel-Menschen Broschiert, 263 Seiten Verlag: dtv Sprache: Deutsch ISBN-10: 3423305649 ISBN-13: 978-3423305648

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LV’S

Thomas Laessing - geboren 1961, lebt in Kusel, Rheinland-Pfalz. Zahlreiche Veröffentlichungen von Gedichten, Geschichten sowie experimentellessayistischen Texten in Zeitschriften und Anthologien. April 2008 die Einzelveröffentlichung quodlibet. www.thomaslaessing.de"

Florian Günther - 1963 im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain geboren. Nach Druckerlehre Jobs u.a. als Totengräber, Anstreicher, Chauffeur, Paketsortierer, Bauarbeiter, Lager- und Fließbandarbeiter, Buchverkäufer, Punksänger, Grafiker, Pizzafahrer, Fotograf . Gedichte in Kunst- u. Literaturzeitschriften, sowie in zahlreichen Büchern

Sascha Sand - 1977 geboren in Saarbrücken, seit 1998 Studium (Romanistik, Germanistik, Musikwissenschaft, Philosophie u.a.) in Mainz, Köln und Paris, wohnhaft in Bonn, schreibe Lyrik, Prosa, Essays & Dramen, keine eigenständigen Veröffentlichungen oder erhaltenen Preise

Andreas Lehmann - 31 Jahre alt, wurde in Marburg geboren und lebt in Mainz. Bislang Publikation von Gedichten und Erzählungen in Anthologien und Zeitschriften, u.a. in 'sprachgebunden', 'laufschrift' und 'Der Literat'. 3. Platz beim Literaturförderpreis der Stadt Mainz 2007

Annika Senger - schreibt Gedichte, Prosa und Songs. Ihre Tragikomödie "Ganymed" wurde im Plausus Theaterverlag veröffentlicht und 2006 uraufgeführt. Die Autorin ist journalistisch tätig und lebt in Berlin

Marcus Mohr - Jahrgang 81 / wohnhaft in Kölle / vorzeitiger Abbruch von Schule und Schlosserlehre / fanatischer Fan des 1.FC Köln / lebt von Pool-Billard und Konzerten / div. Veröffentlichungen in Zines und Anthologien / Mitherausgeber des Straßenfeger

Clemens Schittko - geboren 1978 in Berlin/DDR. Gebäudereiniger und Verlagskaufmann. Arbeitete als Fensterputzer. Abgebrochenes Studium der Literatur-, Musikwissenschaft und Philosophie. Zuletzt Hilfsbuchhalter, Transportarbeiter und Lektor in einem kulturwissenschaftlichen Verlag. Seit 2002 Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien und im Internet. Lebt in Berlin(-Friedrichshain)

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SCHAM, DIE DU IM SPIEGEL ERBLICKST, vom Spiegel gespiegelt wird, wiedergespiegelt wird von dir... Scham, die du im Spiegel erblickst, ist in diesem widerspenstigen Hin und Her nicht mehr deine Scham, sondern die Scham des Spiegels, die den Spiegel nicht mehr Spiegel sein lässt und dich nicht mehr dich, so dass du jetzt der Spiegel bist und der Spiegel ich ist, den du als Scham erblickst. Ich bin kein Kind, nein, ich bin viel jünger als ein Kind und schreie Gewalt: Was ist Pornographie, was ist Sexismus? Liebe, diese Rechtfertigung, zu verletzen, aber nie die Rechtfertigung, verletzt zu werden oder verletzt zu sein. Das Lächeln und die Verzweiflung und die Genugtuung des Weltalls bestehen jenseits aller Verbalisierung von Liebe. Das weiße Rauschen der Sprache, des Wassers, in unseren Köpfen als Hintergrund-Rauschen des Blutes kaum wahrnehmbar, vollzieht die noch einzig mögliche Verschmelzung des Weltalls mit der Liebe. Wenn beide aus uns heraustreten, erkennen wir sie nur noch als getrennt voneinander dahinvegetierend. Obwohl sich Wahrheiten durch andere Wahrheiten verändern, verändern wir uns dabei so gut wie nie. Kosmische Löcher entstehen, vergehen wieder beim Aufspüren ganzer Galaxien, die längst nicht mehr existieren und doch durch unser Ausdünsten von Inhalten in ihrer Nicht-Existenz uns vorführen, wie wenig gesellig wir doch sind – überwuchert mit einem Geflecht von Dingen, in einem Dark-Room, einem Archiv hin- und hergepumpter Nicht-Bedeutungen. Alles ein Zittern, niemand schüttelt den Kopf oder nickt dir zu. Das Sich-selber-Denken ist ein In-die-Irre-Führen, in dem Leben und Tod – für uns ununterscheidbar – eins sind. Noch drehe ich allein meinen Kopf zu einer der beiden Seiten; noch fehlt die Ruckartigkeit, dass es im Halse kracht. Wie kann das immer Kleinere sich dem immer Größeren noch erklären, ohne zu akzeptieren, dass der Urknall eher die Ursache als die Folge von etwas ist? Wer denkt schon, während er spricht, wenn es darauf ankommt, zu fühlen, dass und wie man spricht? So als könne man, während man spricht, sich dabei selbst verstehen... So als gäbe es überhaupt irgendetwas zu verstehen... Vor einer mit Sternen übersäten Szenerie des Universums finden diese Gesten statt. Der überwältigende Anteil dessen besteht jedoch aus ganz anderer Substanz als die Substanz, mit der wir bald aufzutrumpfen gedenken. Mit dem Ende der Geschichte fällt immer wieder das Vergangene über das Gegenwärtige her, so wie Pilze über Tiere und Pflanzen herfallen, weil Pilze weder Tier noch Pflanze sind, so dass das Künftige nur noch der Anfang aller Geschichte und die Geschichte allen Anfangs sein kann bzw. eine Ahnung all dessen. Um Wildnisse, bewohnt von satanischen Engeln, reibt und schabt die Macht – ein Wühlen in Eingeweiden, in den Weichteilen der Psyche, den Panzer eines Geschlechtspartners sich einverleibend, um wieder nur zu erbrechen... In das Innenleben für denjenigen die Blicke, der zu wenige Gedichte gelesen hat, weil er an zu vielen Romanen schrieb, an der Baustelle Leben, das jetzt schon um keinen Krimi mehr weiß, außer diesem Berlin, diesem Bau für keine Stelle. Einmal eingeschlafen sind wir dem Tod näher als dem Leben und schauen über Träumen ein wahrhaftes, ein wirkliches Leben, das wir hätten leben sollen und das wir – um unserer Träume willen – so nicht mehr leben werden, obwohl wir es wollen. Unsere Haltung, die wir nicht ändern, ändert der Schlaf, bis sich seine Haltung nicht mehr ändert. Eine Art Liebe, alles zeigen zu müssen, ist das Schweigen der Schwermut, das erst die Sprache erfindet und Gott, den es nur tot gibt, milliardenfach zerstückelt; im Gefängnis unserer Körper ist er verhungert, verdurstet und erstickt. Und dennoch ist er (an und in uns) der Widerstand, der uns am Essen und Trinken, am Atmen oder Schlafen hindert. Auf einem Rätsel gründen alle Erschöpfungen: Man redet, als könnte man gar nicht reden, als wollte man noch nicht einmal wissen, was man denn überhaupt redet, geschweige denn, dass man wollte, dass man gehört wird, wenn man denn redet in den Techniken des Sterbenlassens von Attentaten und Befehlen. Fremde Stimmen, die der Weltraum absondert, verwandeln sich in eigene Gedanken, die den Weltraum besetzen, so dass dieser allmählich aufhört zu existieren, je mehr wir ihn denken und (wir) nicht mehr dieses ICH sein müssen, das wir außerhalb unserer selbst zu töten suchen. Alles, nur die Liebe zählt nicht; und nichts, außer der Liebe selbst, kann man eigentlich lieben, da Liebe nicht tötet, sondern immer wieder nur getötet werden kann, weil sie es zulässt, dass man sie tötet. Frauen sind immer viele, wenn sich erst in den Modulen der Männer das Gott-Gen eingefunden hat, welches Kopf und Unterleib eins sein lässt, so dass Männer zusammengenommen noch nicht einmal wie einer sind, der bloß vorgibt, ein Mann zu sein, indem er ein drittes Geschlecht konzipiert, eine höhere Abart, die in der Konzeption von Sex und Gegensex ganz ohne Sex so noch nicht existiert. Wer hinter der Kamera nicht mehr stehen kann, wird vor die Kamera gestellt und sieht fortan nicht mehr, wie es hinter der Kamera zugeht, da die Kamera ihm jetzt jegliche Sicht nimmt. Gedichte nenne ich einen verstörenden Aufstand der Gegenwart gegen die Gegenwart, weil Gedichte die gesamte Gegenwart in sich tragen, um bloß selbst niemals der Gegenwart anzugehören, deren Aufstände ausschließlich alles Gedicht zerstören würden. In Licht löst sich die gesamte Materie auf und kann erst wieder durch Licht Materie werden, indem wir im Schlaf unsere Träume aufbrauchen, die uns an einem angstfreien Leben in der Nacht hindern. Ich bin eine derart trostlose Existenz, dass ich gut daran tue, mich in dieses Gedicht zu versenken; doch je mehr ich in der Versenkung des Gedichts meine Trostlosigkeit vergesse, desto trostloser macht ...mich ...das Gedicht...und desto trostloser mache...das Gedicht...ich... (zu einem heimlichen Herrscher der Welt), so dass ich mich in das Gedicht bald nicht mehr versenken kann. Auf Frachtpapieren notiert die An- und Abkunftszeiten von Photonen, mit denen wir uns Gott (in einer Mechanik des Schlingens) einverleiben und ein wüstes Jetzt des Landes verweisen, um selber hier bleiben zu können. Irgendwo, nicht hier, wird (vom Akt zu den Akten) ein Etwas verwaltet, wird vergewaltig, als sei es nicht nichts, das uns wie alles erscheint (aus der Tiefe des Raumes / auf die Höhe der Zeit). Ein psychotischer Zustand, der aus Schlafentzug resultiert, bereitet auf große Kämpfe vor, auf die bereits Strukturen im Großhirn oder auch im Weltraum hinweisen, indem sie unsere Wirklichkeit(en) mit Träumen anreichern, wie sich fremde Mächte unserer bedienen. Die Gefühle gehen mit einem Gassi und hängen sich an der Emotionalität der Straße auf, weil wieder einmal mehr der äußere Körper soweit kam, wo im Kopf der innere Körper noch nicht war. Obwohl im Internet 40% aller Homepages aus sexuellen Inhalten bestehen, bleibt dennoch jenes Gedicht eine Suchmaschine, dessen Autor nicht zu seinem lyrischen Ich findet. Die in Sünde gefallene Welt kann lediglich auf den Verzicht nicht mehr verzichten. Für Momente der Entrückung lässt uns eine Epiphanie denken, dass die Aussage „eine Tautologie ist eine Tautologie“ darüber hinaus keine anderen Tautologien zulässt. Mir schwinden (in der Fünften Dimension) die Sinne, wenn ich wie jemand (aus der dritten (oder vierten) Generation) mein Bewusstsein aufschlage, der weiß, dass er – hochgerüstet mit Bildern, Tönen, Gerüchen, Tastund Temperatursignalen, mit denen uns der Körper (so als gäbe es uns wirklich) stets auszutricksen versucht – nie irrt. Es sind Häute (gegen alle Grenzen) mit Gefühlen so durchtränkt, dass sie sich um uns schlingen und unserm bewegungslosen Innern ein bewegendes Außen hinzufügen, in welchem es niemals das Gleiche ist, wenn zwei das Gleiche tun, da man nur im Innern wissen kann, was man außen tut. Schriftsteller, die sich jenseits der Literatur anderen gegenüber noch mitteilen müssen und 18 demzufolge weiterschreiben, sind Schauspieler. Alle Wahrheit entspringt fließender Wiederholung, mit der ich meine Worte durch einen Schlauch in das Grab schicke, in dem du jetzt kühl liegst. CLEMENS SCHITTKO


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