piz Magazin No. 44

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Warum Töchter die Eltern pflegen Im gewohnten Umfeld alt werden und zu Hause sterben dürfen, wer will das nicht? Umsetzbar ist der Wunsch nur, wenn genügend gute Seelen da sind, die bei Haushalt und Pflege zur Hand gehen. Fast immer sind das Frauen, Töchter und Schwiegertöchter. Warum eigentlich?

Text: Daniela Schwegler Fotos: Spitex Verband Schweiz, Alan Meier

M

eine Mutter ist eine Rosinenpickerin», sagt Ur-

unpersönlich. Die Mutter geniesst zu Hause eine auf

sina *, die ihre Mutter pflegt und anonym blei-

sie zugeschnittene individuelle Rundum-Betreuung

ben möchte. Die Tochter, um die sechzig, ist

durch ihre Tochter. Und als sie im vergangenen Win-

ins Bergdorf zurückgekehrt, um sich um ihre über

ter wegen sehr starker Rückenschmerzen eine Zeit

90-jährige pflegebedürftige Mutter zu kümmern. Der

lang ganz bettlägerig war, organisierte die Tochter ei-

Vater wohnt unterm selben Dach des stattlichen Enga-

nige Tage zur eigenen Entlastung den Mahlzeiten-

diner Hauses. Für ihn allein wäre das alles zu viel ge-

dienst der Spitex. Doch die Mutter mochte das Essen

worden. Und da bei Ursina privat nicht alles so lief,

nicht: «Das Fleisch war nicht gar genug.» Die Tochter

wie sie sich das gewünscht hatte, stand einer Rückkehr

steht nun wieder selber am Herd: «Meine Mutter ist

ins Elternhaus nichts mehr im Weg. Sie schickt sich in

halt verwöhnt.»

ihr neues Leben als Privatpflegerin ihrer Mutter.

* Name geändert

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Rund um die Uhr ist sie für die alte Frau da und küm-

Grosse Erwartungen

mert sich auch um Haushalt und Garten. Ein Vollzeit-

Das Modell der pflegenden Tochter entspricht auch

job. Der Vater geht zur Hand, wo er kann. Manchmal

dem Altersleitbild der Bündner Regierung. Nach den

kommt auch die Schwägerin vorbei. Ursina steht auf,

im Februar 2012 verabschiedeten Richtlinien sollen

wenn die Schmerzen der rheumageplagten Seniorin

ältere Menschen so lange wie möglich zu Hause blei-

zu gross werden. Und sie schildert jenen Sonntag-

ben können und erst ins Heim müssen, wenn es gar

abend, als die Mutter notfallmässig ins Spital über-

nicht mehr anders geht. Damit das möglich ist, müs-

führt werden musste. «Das Schwierigste ist, jeden Tag

sen die ambulanten Dienste der häuslichen Pflege und

präsent zu sein», räumt die Tochter ein. Aber weil es

Betreuung gestärkt und ausgebaut werden. Was aber

ihre Mutter ist, «macht man das». Mehr ist ihr über die

die Spitex oder eine privat angestellte Pflegeperson

aufopfernde Pflege nicht zu entlocken: «Ich an ihrer

nicht leistet, müssen die Angehörigen übernehmen.

Stelle wäre auch froh.» Die Mutter ins Pflegeheim zu

In der überwiegenden Mehrheit sind es die Töchter

geben, kommt für Ursina nicht in Frage. Zu teuer, zu

und Schwiegertöchter.

piz 44 : Winter | Inviern 2012/2013


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