Kindergärtnerin für Kindeskinder Seit Mitte der Siebzigerjahre engagiert sie sich als Kindergärtnerin in Sent, als Mutter und als Künstlerin mit Herzblut: Tina Puorger-Zanetti. Generationen von Kindern begleitet sie seit bald vierzig Jahren auf dem Entwicklungsweg Richtung Schule.
Text: Esther Scheidegger Fotos: Susanna Fanzun
T
alina, Scoulina Sent, so meldet ein helles Mäd-
schrieben, eine inspirierende Wörterspielerei: Kopf-
chenstimmchen. Ich frage förmlich nach der
nuss / Nusstorte / Tortenguss / Gusseisen / Eisenkraut /
Kindergärtnerin. Und höre, wie Talina fröhlich
Krautstiel. Vor der Balkontüre sitzt dekorativ die Katze
und unbefangen nach Tina ruft. Tina! Tina! Nicht
Dolly. Auf dem Tisch stehen frisches Brot und eine Fla-
etwa duonna Puorger oder tanta Tina, wie es früher
sche Wasser.
wohl geheissen hätte. Aber damals hatte der Kinder-
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garten noch kein eigenes Telefon. Bis 1997 war die
Jedem Kind sein «Ämtli»
Scoulina im Schulhaus einquartiert gewesen, dann
«Die Telefonansage haben wir in der Klasse richtig ge-
erst bekam sie ihr jetziges, grosszügigeres Quartier,
übt», erzählt Tina. Ihre derzeit 18 Senter Buben und
das ehemalige Gemeindehaus in Schigliana – wie im
Mädchen teilen sich nämlich im Wochenrhythmus in
Paradies. Daraus wird man unweigerlich vertrieben,
verschiedene Ämtchen, eines ist der Telefondienst.
wenn man erst einmal in die richtige Schule muss. Die
Oder dem behinderten Gspänli beim Schuhebinden
Kinder haben ihre Tina sehr gern.
und in den Rollstuhl helfen. Die Marenda-Täschli ver-
Angefangen als Kindergärtnerin hat Tina 1975/76,
teilen – den Zvieri essen die Kinder gemeinsam.
nach dem Seminar in Chur. In Sent mit seinen heute
Wer was zu tun hat, ist auf einem farbigen Plan ver-
knapp 900 Einwohnern ist sie aufgewachsen, hat ge-
merkt, der an der Wand hängt. Jedes Kind hat am ers-
heiratet und hier arbeitet sie seit 25 Dienstjahren, die
ten Schultag ein Symbol für sich auswählen können,
Familienpause mit reduzierten Pensen nicht mitge-
weil Fünfjährige ja noch kaum lesen und schreiben
rechnet. Die drei Töchter sind erwachsen, alle künst-
können. Das Emblem von Talina ist ein Mäuschen,
lerisch «erblich belastet», wie die Mutter sagt, und
üna mürina. Nein, keine Computermaus. Auch Han-
nach Zürich ausgeflogen. Aber an den Wochenenden
dys haben im Chindsgi noch nicht Einzug gehalten.
kommen sie immer noch gern nach Hause, in die
Vor bald vierzig Jahren übernahm Tina für ihre erste
wohnliche Familienküche, in der wir nun sitzen, am
Klasse 32 Schülerinnen und Schüler, «happig» sei das
schulfreien Samstagmorgen. An der Wand, handge-
schon gewesen, erinnert sie sich. Aber sie habe bald
piz 44 : Winter | Inviern 2012/2013