Aus dem Rahmen gefallen. Psychosoziale Gesundheit (Diakonie Themen 01/2013)

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Diakonische Information Nr. 168-3/13

Themen

Psychosoziale Gesundheit

Aus dem Rahmen gefallen

!! !

Interview: Joachim Hagleitner

Im Wordrap: Alexander Pschill

Miteinander leben Graz, Lagergasse

„Reiß dich zusammen!“ Hilft das?


editorial

Die Irren unter uns Aus dem Rahmen gefallen: Psychische Erkrankungen können jede und jeden treffen.

I

rre erfolgreich! Begnadete Manager, Spitzen- versteckt und tabuisiert, ist schambesetzt und soll politiker oder Firmenchefs haben oft eine womöglich nicht sichtbar werden. psychische Störung.“ – Mit dieser Schlagzeile Vor allem dann, wenn die Erkrankungen nicht in hat das renommierte Wochenmagazin „Die das Muster unserer auf Leistung genormten GesellZeit“ Mitte August aufgemacht. schaft passen. Was beim Schulkind noch als AufWas Arbeitnehmer immer schon ahnten, ist nun merksamkeitsdefizit-Syndrom mit Ritalin behanauch wissenschaftlich erforscht und erwiesen. delt wird, heißt beim rastlosen Investmentbanker Manche Chefs haben eine dann „Performance“. Macke, die sie auch noch erDoch wer aus dem engen folgreich macht, oft sogar, Rah­men der Leistungsgesellwenn andere darunter leischaft fällt, weil seine Psyche „Was beim Schulkind den mögen. erkrankt ist, ist schnell selber noch mit Ritalin behandelt Aus der Bibel kennen wir schuld. Sollte „sich am Riemen wird, heißt beim rastlosen das Phänomen, dass bedeureißen“, „besser auf sich schautende Gestalten oft aus der en“, „sich behandeln lassen“. Investmentbanker dann Norm fallen. Da gab es MänDoch wie meist führt der Performance“ ner, denen Gestalten mit Weg über die Schuld in die Irre. vier Flügeln erschienen oder Wie andere Erkrankungen auch die Schriftrollen aßen oder können psychische Erkrankun­ die sich nackt vor eine Stadt gen jede und jeden treffen. Sie legten, um sie zu belagern. Als Hesekiel sich mit sind, wenn auch nicht immer heilbar, so doch beeinem scharfen Schwert die Haare vom Kopf rasier- handelbar. Wie andere Erkrankungen auch, werden te und sie in alle Winde verstreute, um zu verkün- psychische Erkrankungen durch das gesellschaftden, so werde es auch den Bewohnern der Stadt liche Umfeld beeinflusst. Eine Tabuisierung hilft Jerusalem gehen, hielten ihn wohl einige für ver- weder den Kranken noch denen, die sich auf der rückt ob dieser radikalen Anzeichen einer psychi- Seite der Gesunden wähnen. schen Erkrankung. Wenn es stimmt, dass jede Zeit ihre psychischen Man möchte meinen, wenn selbst Spitzenmana- Erkrankungen gebiert – und vieles spricht dafür –, ger und Propheten solche Anzeichen aufweisen, dann sollten wir genauer hinhören, was uns die dann sei das Phänomen bekannt und weitgehend prophetischen Stimmen, die sich über die Erkranals zum Leben der Menschen gehörig anerkannt. kungen der Seele Gehör verschaffen, über unser Doch weit gefehlt! Was nicht ganz normal ist, wird Zusammenleben sagen möchten.

Pfarrer Mag. Michael Chalupka, Direktor Diakonie Österreich n 2

Themen


Inhalt

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Was mich irre macht

Wer in sozialen Berufen arbeitet, begegnet im Alltag immer wieder „irren“ Situationen.

06

Irren ist menschlich

Die psychischen Leidenszustände verändern sich. Über

die Zeitdiagnose Burnout, den Sinn des Depressiv-Seins und die Kultur des „Mit-Seins“ in der Psychiatrie.

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„Mit der eigenen Existenz konfrontiert“

Joachim Hagleitner im Interview über die Lücken in der Hilfe für psychisch Kranke.

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Projekte

Wohngruppe „Kaya“, mobile Wohnbegleitung,

Therapiezentren Ankyra und Jefira.

THEMA: Psychosoziale Gesundheit

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Ich könnte schwören ...

Wordrap mit dem Schauspieler Alexander Pschill. … wie ein ausgetrockneter Schwamm

Texte von KlientInnen aus der Suchttherapie. Stigma – die zweite Krankheit

Gefährlich, faul, selbst schuld – Pauschalansichten über psychisch Kranke sind weit verbreitet.

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Fachkommentar: Neues Wohnen im Alter

Menschen brauchen Rückzug und Gemeinschaft. Die Welt in Zahlen Buchempfehlungen, Beispiele aus Europa Lagergasse: ein Haus mit Leib und Seele

Familien, Studierende, SeniorInnen und Menschen mit

psychischen Erkrankungen unter einem Dach.

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Kurz gemeldet

„Sprungbrett Glöcklturm“, Awards für „Brot für die Welt“, BASIS Margetin.

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„Deren Not zum Himmel schreit“

Joachim Meyerhoff: Als Kind in der Psychiatrie.

An diesem Heft mitgearbeitet haben Martina Gasser, Brot für die Welt Karin Groß-Wasserscheid, Diakoniezentrum Gols Günther Karner, Diakonie de La Tour Hannelore Kleiss, Diakonie Zentrum Spattstraße Andrea Obermühlner, Diakoniewerk Gallneukirchen

Claudia Roethy, Stadtdiakonie Wien Eva Rohregger, Diakonie Miteinander leben Verena Schlichtmeyer, Diakonie Flüchtlingsdienst Belinda Schneider, Johanniter-Unfall-Hilfe

Themen

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PortrÄts

Was mich irre macht Verena Rameseder Was ich irre finde, ist die Tatsache, dass Medien und Gesellschaft versuchen, uns ein bestimmtes Frauenund Männerbild zu „verkaufen“. Ein Vorgaukeln dessen, wie man(n) bzw. frau sein sollte. Diäten, wahnwitzige Ernährungstipps, abgemagerte Models, bearbeitete Bilder, Kleidergröße Null – mit all dem und noch viel mehr werden wir tagtäglich bewusst und unbewusst beeinflusst. Ein Tipp: Achtsam, kritisch und aufmerksam bleiben und sich bei Bedarf Rat und Unterstützung einholen!

Verena Rameseder, 30 Jahre, Sozialarbeiterin. Seit April 2011 Gruppenleiterin der Wohngruppe Kaya für Mädchen und Frauen mit Essstörungen im Diakonie Zentrum Spattstraße in Linz.

Gerti W.

Jeder von uns ist etwas Besonderes. Durch all die kleinen Unterschiede ist jeder einzigartig und der Mensch, der er ist. Warum wird uns eine Richtlinie vorgegeben? Ist man nur durch das vorgeschriebene Aussehen gut, modern, schön und gesund? Ich finde es verrückt, wenn man so sein muss, wie es andere sagen. Gerti W., 18 Jahre, Klientin. Seit Februar 2012 betreut in der Wohngruppe Kaya im Diakonie Zentrum Spattstraße.

Gabriele Mantl Was mich als Leiterin des Psychotherapiezentrums Ankyra immer wieder irre macht, ist, dass so viele Flüchtlinge einen so dringlichen Bedarf an Unterstützung haben und unsere Ressourcen immer zu knapp sind. So müssen schwer traumatisierte Menschen monatelang auf einen Therapieplatz warten. Was kaum erträglich ist, sind die verrückten Lebensbedingungen von Asylwerbenden: keine Arbeit, keine sinnvolle Tätigkeit, Warten, keine Sicherheit. Ich finde es irre, dass mehr Geld für Flüchtlingsabwehr ausgegeben wird als für Flüchtlingsbetreuung und dass die Gesetze dauernd verschärft werden. Gabriele Mantl ist seit 2013 Leiterin von Ankaya, Zentrum für interkulturelle Psychotherapie des DiakonieFlüchtlingsdienstes. 4

Themen

Rustam T. Erst einmal ist es der Krieg in meinem Land Tschetschenien – ich habe gesehen, was kein Mensch sehen sollte. Schon viel zu jung. Was meinen Schlaf raubt und mich nervös macht, ist, dass ich nicht zu Hause leben kann und dass mein Land zerstört wird. Das hört nicht auf. Meine Eltern sind immer noch dort, sie haben kein gutes Leben, ich möchte sie sehen und für sie sorgen. Hier in Österreich – ich bin sehr dankbar – gehöre ich nicht ganz dazu, als

Flüchtling bist du immer anders, die Österreicher behandeln dich nicht gleich. Rustam T. aus Tschetschenien war zwei Jahre lang in psychotherapeutischer Behandlung bei Ankyra.


PortrÄts

Wer in sozialen Berufen arbeitet, begegnet immer wieder „irren“ Situationen. Wer sozial bewegt ist, wird angesichts mancher Situationen selbst bisweilen fast „ver-rückt“. Wir haben KlientInnen und MitarbeiterInnen in Diakonie-Einrichtungen gefragt.

Helga Preiss Was mich irre macht, ist die Unmöglichkeit zu erahnen geschweige denn zu wissen, wie die Lebenssituationen meiner KlientInnen sich in Bezug auf die Dauer der Bearbeitung von Anträgen durch die zuständigen Stellen, die Beurteilungen von Entscheidungsträgern, Gesetzes­ änderungen oder Gesetzesauslegungen entwickeln. Oftmals sind in der Beratung keine eindeutigen und klaren Aussagen möglich, sondern nur ein ermutigendes „Versuchen wir es so und so – nach meiner Erfahrung ergeben sich da gute Chancen“.

Helga Preiss, Sozialarbeiterin im Evangelischen Sozialzentrum Wien der Sozialberatungsstelle der Stadtdiakonie Wien.

Michael Thüringer Leute, die nur an sich denken und womöglich durch Unehrlichkeit Vorteile erzielen. Als Zivildiener bei den Johannitern erlebe ich täglich, wie viele Menschen tatsächlich auf Hilfe angewiesen sind. Ich finde, diese Menschen haben mehr Rücksicht und Respekt verdient. Michael Thüringer (22 Jahre) hat den Zweig Druck- und Medientechnik an der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt absolviert und ist derzeit Zivildiener bei den Johannitern.

Annemarie Ganser „Mich macht die Falschheit bei manchen Menschen irre und wenn ich Dinge nicht mehr finde. Ich lege meine Brille oder das Ladegerät von meinem Handy an einen bestimmten Platz, zum Beispiel auf ein Möbelstück. Obwohl ich es dort gesehen habe, finde ich es dann nicht mehr an diesem Platz. Es macht mich irre, wenn man das dann auf meine schizoaffektive Störung schiebt, weil ich nichts dafür kann, wenn ich die Dinge nicht mehr finde.“

Annemarie Ganser, 60 Jahre alt, wohnt seit 2009 in der sozialpsychia­ trischen Wohngemeinschaft Mosaik des Diakoniezentrums Gols. Sie leidet an einer schizo­affektiven Störung.

Rosemarie Weigl „Ich finde Ehrlichkeit, die Berge, die Natur und die Blumen, die schön blühen, irre. Mich machen das viele Verbrechen, Diebstahl und die vielen Autos, die so viel fahren, irre, weil es genug öffentliche Verkehrsmittel gibt. Die Abgase von den Autos machen alles von der Natur kaputt, weil der Sauerstoff dann weg ist.“ Rosemarie Weigl, 59 Jahre alt, wohnt in der sozial­psy­ chiatrischen Wohngemeinschaft Mosaik des Diakoniezentrums Gols. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an paranoider Schizophrenie und hat manchmal disso­ zia­tive Krampfanfälle. Themen

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Thema

Irren ist menschlich Die psychischen Leidenszustände verändern sich mit der Zeit. Über die Zeitdiagnose Burnout, den Sinn des Depressiv-Seins und die Kultur des „Mit-Seins“ in der Psychiatrie. Von Martin Schenk

S

ie schreit und kreischt, krümmt sich, das Kinn kippt nach vorne, der Körper schüttelt sich – die schöne Keira Knightley im Kino einmal ganz schiach. Der Film „A Dangerous Method“ widmet sich der Königin der Neurosen vor hundert Jahren, der Hysterie. Die gefährliche Methode ist die Psychoanalyse. Die Spaziergänge im Unbewussten legen eine Welt frei, die Körper innen und außen verschmelzen lässt. Die Welt geht unter die Haut und schneidet in die Körper. Die Sexualmoral der Zeit samt der Ohnmachtsposition von Frauen mischte sich unter das Seelenfleisch. Frauen hatten anmutig, tugend­ 6

Themen

haft, asexuell, rein und kontrolliert zu sein. In ihnen sollte sich das Gute, Edle und Schöne ­spiegeln. Die Hysterikerin trat demgegenüber als der teuflische Gegentypus auf. Sie zeigte sich unberechenbar, ekstatisch und der Realität entrückt. Hundert Jahre später dominiert das erschöpfte Selbst. „Burnout“ ist zur großen Diagnose geworden. Oft versteckt sich dahinter eine Depression. Da geht es um den schlechten Stress, der nagt und quält, der lange dauert und niederhält. Der psychi­ sche Apparat drückt die Stopp-Taste: Alles wird langsamer, alles wird müder, Zusammenbruch – nichts geht mehr. Tätigkeiten, die hohe Anforderun-


Thema

Psychosoziale Gesundheit n Irren ist menschlich n Interview: Joachim Hagleitner n Projekte aus der Diakonie n Poesie aus dem Krankenhaus der Diakonie de La Tour n Stigma: die zweite Krankheit n Fachkommentar: Elke Merl n Die Welt in Zahlen

Ingrid Salem, psychologische Leiterin der PsychosomatikStation der Diakonie de La Tour

s s

gen stellen und gleichzeitig mit wenig Raum zur der Gesellschaft gefressen. Besonders in schlecheigenständigen Kontrolle ausgestattet sind, erhö- ten Jobs mit mieser Bezahlung und geringem Einhen diesen schlechten Stress. fluss kommt er zur Wirkung. Die Spaziergänge im Der Mangel an Kontrollmöglichkeit kann in zwei Unbewussten treffen auf andere Landschaften, die Formen auftreten: zum einen nicht über die Gestal- Wege aber bleiben die gleichen. Die soziale Schere tung der Arbeitsaufgaben entscheiden zu können, geht unter die Haut und schneidet in den Körper. zum anderen die eigenen Fähigkeiten und FertigWie ein Burnout entsteht keiten nicht nützen zu können. Dauern diese Ohnmachtserfahrungen an, lernen „Der unter Burnout bekannte Zustand physischer oder seelischer Erschöpfung ist ein schleichender wir Hilflosigkeit: Lass mich erleben, dass ich nichts bewirken kann. Wer feststellt, dass er trotz aller An- Prozess, der aus engagierten, idealistischen Menschen mit der Zeit erschöpfte, ausgebrannte und strengungen nichts erreichen kann, wird früher zynische Personen macht“, erklärt die psychologi­ oder später resignieren. sche Leiterin der Psycho­somatik-Station der DiakoDie drei Zutaten nie de La Tour, Dr. Ingrid Salem. „Ausgangspunkt Der Giftcocktail besteht aus drei Zutaten: hohe des Burnouts ist die Produktion von StresshorAnforderung, geringe Kontrollmöglichkeit und we- monen im Gehirn.“ nig Anerkennung. Wenn ich mich anstrenge, viel in Seit 2004 besteht im Diakonie-Krankenhaus eine Sache hineinbuttere und nichts he­raus­bekom­ Waiern ein Department für Psychosomatik. Im en­ me – keine Anerkennung, kein freundliches Wort, ge­ren Sinn versteht man unter psychosomatischen dafür miesen Lohn und keine Aufstiegschancen –, Krankheiten entweder eine Kombination von seedann wird es massiv gesundheitsschädlich. Das ist lischen Problemen mit körperlichen Beeinträchtiwie Vollgas fahren bei angezogener Handbremse. gungen ohne organi­schen Befund (psychosomaDer Giftcocktail aus Anstrengung, Ohnmacht tische Funktionsstörungen) oder die Kombination und mangelnder Anerkennung hat sich in die Mitte einer nachweisbaren körperlichen Krankheit mit

Themen

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Thema

„Betroffene machen sich selbstverbietend kleiner, als sie sind“

begleitenden seelischen Störungen (psychosoma- leben. Die Kehrseite der Depression ist die Manie. tische Körperkrankheiten). Wichtig ist es, Angehöri- „Manisch hat die PatientIn ihre Angst und depressiv ge und Betroffene eigenengagiert einzubeziehen. ihre Wünsche erlebnisfähig zu machen.“ Waiern ist seit 2010 als „selbsthilfefreundliches In der mani­schen Phase muss die verräumte Krankenhaus“ anerkannt. Angst wieder erfahrbar werden, in der Depression Ein oft übersehenes Problem ist die Depression die verdrängten Wünsche. PatientInnen sollen aus im Alter. Nahezu ein Drittel der an geriatrischen dem Manisch-Sein „eigenes Streben nach SelbstbeAbteilungen aufgenommenen PatientInnen leidet freiung ohne Schuldgefühl mitnehmen, aus dem an Ängsten oder depressiven Störungen. Nur die Depressiv-Sein das Streben nach Selbstbegrenzung Hälfte dieser PatientInnen erfährt eine diesbezüg- ohne Selbstabwertung“ (Dörner/Plog). liche Abklärung. Damit bleibt vielen der Zugang zu Die Frage nach dem Menschenbild einer entsprechenden Therapie verwehrt. In der Psychiatrie läuft als heimlicher Film immer Demgegenüber konnte am Krankenhaus Waiern gezeigt werden, dass 51 % der erkrankten Patien- die Frage nach dem Menschenbild mit. Damit verbunden ist die Frage nach der Behandlung. tInnen Hilfe durch Therapie bekommen können Die Sozialpsychiatrie, Reformbewegungen wie (siehe Grafik Therapiehäufigkeit auf dieser Seite). Soteria und gemeindepsychologische Ansätze Therapie erfasst auch Beziehungen plädieren für eine humane, neuroleptikaarme, vorDie Behandlungsmöglichkeiten sind vielfältig. Eine wiegend psycho-, sozio- und milieutherapeutische ganzheitliche Therapie erfasst auch die Beziehungs- Behandlung. Das Soteria-Konzept steht für ein und Konfliktdynamiken einer Erkrankung. Der Ich-stärkendes Milieu, in dem Psychosen weniger tiefere Sinn des Depressiv-Seins liegt für die Betrof- als Krankheit denn als Ausdruck einer existenziel­ fenen darin, sich die eigenen Möglichkeiten zu ver- len Krise und als Beziehungsstörung verstanden bieten, weil sie sich an den Maßstäben der anderen orientieren. „Betroffene machen sich selbstverbietend in Schwie­rigkeiten kleiner, als sie sind“, so beschreiben der Psychiater Klaus Dörner und die Psychologin Ursula Plog depressive Menschen. Sie kombinieren Leistungsehrgeiz und Unabhängigkeitskampf mit dem Leugnen realer Abhängigkeiten. Sie nehmen alles genau und sind nicht in der Lage, Trauer, Schmerz, Trennung und Aggression zu

Therapiehäufigkeit – Depression/Angststörung

Häufigkeit psychischer Erkrankungen in Europa Betroffener Anteil der Bevölkerung innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten Opiatabhängigkeit Zwangsstörungen Essstörungen Cannabisabhängigkeit Persönlichkeitsstörungen Verhaltensstörungen Alkoholabhängigkeit Somatoforme Störung* ADHS (bei unter 18-Jährigen) Demenz Depression Schlafstörungen Angststörungen Burnout

0,4 0,7 0,9 1 1,3

* Körperliche Beschwerden ohne organische Ursache

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Themen

100% 80% 60%

3,5 40,7

3,4

20%

4,9 5 5,4

51,1

Krankenhaus Waiern

14

über 20

unbekannt

n keine

Depression/Angst

31,2

0%

6,9 7

48,4

4,7

40%

3

n Depression/Angst

10,7 9,7 andere Zentren

n nicht therapierte

Depression/Angst

n therapierte

Depression/Angst


Thema

Psychologische Nachbetreuung im öffentlichen Krankenhaus Waiern der Diakonie de La Tour

werden: Irren ist menschlich. Eine einfühlende Psychosebegleitung, eine wohnliche, alltagsnahe und verbindliche Umgebungsgestaltung sowie die Förderung einer therapeutischen Gemeinschaft kennzeichnen die Einrichtungen. Im Mittelpunkt steht eine „Kultur des Mit-Seins“, bei der die Einrichtung von den PatientInnen und MitarbeiterInnen gemeinsam bewohnt wird: n Einrichtung einer gemütlichen Wohnküche als zentraler Begegnungsraum bei gleichzeiti­ger Abschaffung des Dienstzimmers n konsequente Umsetzung eines Bezugspersonensystems n verbindliche Einbeziehung von Angehörigen n Besetzung eines Empfangstresens ähnlich einer

Hotelrezeption zur Gewährleistung einer offenen Stationstür n Angebot der Begleitung von Patienten in akuten psychotischen Krisen ohne Medikation bzw. mit Niedrigmedikation auf Wunsch n Förderung eines wohnortnahen sozialen Netz­ werks gegenseitiger Hilfeleistung In Berlin haben sich Dienste etabliert, die Begleitung in schweren seelischen Krisen und in akuten Phasen psychotischen Erlebens entweder zu Hause oder in einer Krisenpension anbieten. Das Team besteht aus Betroffenen, Angehörigen und Profis. Sie bieten Hilfe und Lebensbewältigung an – in Situatio­nen, in denen Menschen an sich und an der Welt leiden. n

Psychische Erkrankungen Angststörungen: Panikattacken, Phobien, Zwänge Belastungsstörungen: extremer Stress, Trauma Affektive Störungen DEPRESSION: Zustand der völligen Niedergeschlagenheit und Trostlosigkeit MANIE: unerschöpfliche Hochstimmung und Rastlosigkeit Sozialpsychiatrie: Die sozialen Bezüge und die familiären und gesellschaftlichen Bedingungen der Patienten werden gleichberechtigt neben den medizinischen Aufmerksamkeitsschwerpunkten bewertet. Biopsychosoziales Modell: Biologische, psychologische und soziale Faktoren sind für sich genommen und in ihren komplexen Wechselwirkungen für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheiten verantwortlich. Chronische Krankheiten lassen sich nicht auf einen körperlichen oder seelischen Kern oder eine bloße Addition körperlicher und psychischer Faktoren reduzieren.

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Interview

„Mit der eigenen Existenz konfrontiert“ Joachim Hagleitner analysiert die Lücken in der Hilfe für psychisch Kranke und plädiert dafür, Vernetzungstätigkeiten stärker zu honorieren. Mit dem Gesundheitswissenschafter und Psychologen sprach Martin Schenk. Steigt die Zahl psychischer Erkrankungen?

DiakonieThemen:

Joachim Hagleitner: Wir sehen, dass die Inanspruchnahme von Angeboten steigt. Rund 900.000 Personen nehmen laut Hauptverband der Sozialversicherungs­ träger jährlich Leistungen in Anspruch, die mit psychischen Problemen zu tun haben. Schätzungen zufolge hat ein Viertel der Bevölkerung zumindest einmal im Leben eine psychische Erkrankung. Über psychische Probleme zu sprechen ist nach wie vor ein Tabu. Lange Zeit hat die

„Bei Kindern und Jugendlichen ist nicht ganz geklärt, ob die psychischen Erkran­ kungen zunehmen oder ob heute mehr Störungen erkannt werden“

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Themen

psychische Gesundheit in der politischen Diskussion eine geringe Rolle gespielt. Das liegt wohl daran, dass psychisch kranke Menschen keine starke Lobby haben. Erfreulicherweise hat sich das in den letzten Jahren geändert.

? Was sind die häufigsten Erkrankungen und Leidenszustände?

Am häufigsten treten Depressio­ nen und Angststörungen auf. Viele Erkrankungen haben mit Arbeit zu tun, mit den Lebens­ um­ständen, mit Überforderung, Verlust des Arbeitsplatzes, Doppelbelastung bei Alleinerziehen-

den, finanziellem Druck. Burnout ist ein Prozess zunehmender Erschöpfung, der in vielen Fällen in einer Depression mündet, die behandlungsbedürftig ist. Augenmerk muss man auf Kinder und Jugendliche legen, die oft von Aufmerksamkeitsdefiziten oder Entwicklungsstörungen betroffen sind. Vieles davon wird jetzt früher entdeckt, weil heute mehr auf die Entwicklung der Kinder geachtet wird. Es ist nicht ganz geklärt, ob es sich um eine Zunahme der psychischen Erkrankungen handelt oder ob mehr Störungen erkannt werden.


INTERVIEW

Joachim Hagleitner ist studierter Pychologe und Absolvent der Fachhochschule für Unternehmensführung und Management in Wien. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seit 2005 ist er bei Gesundheit Österreich in den Berei­chen Alten-, Langzeit- und psycho­soziale Versorgung und Gesund­ heits­­planung tätig. Gesundheit Österreich: www.goeg.at

? Heißt das, psychisch krank zu

sein ist nicht mehr so stigmatisiert wie früher? Es gibt mehr Wissen über psychische Erkrankungen in der Bevölkerung. Hilfe wird häufiger in Anspruch genommen. Einerseits sind viele neue Angebote geschaffen worden. Andererseits ist es aber noch immer ein Tabu, darüber zu sprechen. Zum Beispiel muss man sich sehr gut überlegen, ob man am Arbeitsplatz KollegInnen mitteilt, dass man da Probleme hat.

? Besonders wenn es starke Konkurrenz am Arbeitsplatz gibt.

Ja, oder weil man Angst hat, anders behandelt zu werden. Ich glaube, dass psychische Erkrankungen bei den meisten Menschen Ängste auslösen und eine Abwehrhaltung entsteht. Man wird mit der eigenen Existenz konfrontiert.

? Mit der eigenen Verletzlichkeit.

? Stationäre Anstalten am Stadt-

rand im Grünen waren vor hundert Jahren ein großer Fortschritt gegenüber den Narrentürmen von früher – aber am Rand der Stadt, abgeschottet von der Gesellschaft. Dann kam die Psychiatriereform, mit dem Ziel, Betroffene in die Gesellschaft zu integrieren. Wo stehen wir jetzt? Die sozialpsychiatrischen Ansätze haben sich durchgesetzt: Ab Mitte der 1970er-Jahre hat es einen massiven Bettenabbau gegeben, von der Anstaltsver­ sorgung weg hin zu kleineren, wohnortnahen Einheiten. Es gibt heute eine breite Palette an Angeboten. Es besteht aber das Problem, dass die Einrichtungen zu wenig verschränkt sind und finanzielle Steuerungsmechanismen fehlen, die diese Zusammenarbeit erleichtern oder fördern. Betten sind zwar massiv

reduziert worden, aber es sind nicht im selben Ausmaß neue Angebote geschaffen worden.

? Was wären Steuerungsanreize? Die Vernetzungstätigkeit zu honorieren, anzuerkennen, dass Vernetzung und Zusammenarbeit essenziell sind bei psychischen Erkrankungen. Kooperation braucht Zeit und sie ist notwendig. Leider wird jeder Bereich isoliert gesehen, von den Geldgebern, zum Teil auch von den Leistungsanbietern selber. Politik, Geldgeber und Leistungsanbieter müssen akzeptieren, dass Zusammenarbeit notwendig ist. Dementsprechend muss es gewidmete Ressourcen geben.

? Wichtig aus Ihrer Sicht sind also

die Vernetzung und eine bessere wohnortnahe Versorgung? Vernetzung beginnt schon in der Planung. In diesem Bereich schlummert ein großes Verbesserungspotenzial. Im Akutkrankenhaus passiert wichtige Basisversorgung. Nach einem stationären Aufenthalt kommt der Familie und dem sozialen Umfeld eine wichtige Funktion zu. Besonders schwer haben es Menschen, die auf ein solches Umfeld nicht zurückgreifen können.

„Vernetzung beginnt in der Planung. Hier schlummert Verbesserungspotenzial“

s s

Mit der Angst, die Kontrolle zu verlieren oder verrückt zu werden. Es ist doch so, dass wir versuchen, dem aus dem Weg zu gehen. Wenn ein Familienmitglied psychisch krank wird, ist das eine völlig neue Situation, die nicht nur für den Betroffenen

selbst Fragen aufwirft, sondern auch für die Familie und das Lebensumfeld. Das ist vergleichbar mit einer schweren somatischen Erkrankung. Psychische Erkrankungen führen dazu, dass man sich mit seiner eigenen Existenz auseinandersetzen muss, als Betroffener im Besonderen – aber auch jeder im sozialen Umfeld.

Themen 11


projekte

Wohngruppe „Kaya“ für Mädchen mit Essstörungen

K

aya“ heißt „große Schwester“ und ist der Name der sozialtherapeutischen Wohngruppe in Linz, in der Mädchen und junge Frau­en mit Essstörungen woh­ nen und professionell betreut werden. Die Wohngruppe wird vom Diakonie Zentrum Spattstraße in Linz betrieben und vom Land Oberösterreich finanziert. Die Mädchen und jungen Frau­ en wohnen hier unter professio-

neller Begleitung. Dabei gehen sie weiter an ihren Arbeitsplatz, in die Schule oder führen ihre Ausbildung weiter. Diese Mädchen bedürfen klarer und sicherer Strukturen, die es ihnen ermöglichen, ihre Balance zwischen Autonomie und Beziehung zu finden und das einmal Er­arbeitete aufrechtzuerhalten und zu vertiefen. www.spattstrasse.at n

Mobile Wohnbegleitung

D

ie Heilsarmee bietet in Wien mobile Wohnbegleitung für Personen an, die aus einer Übergangswohneinrichtung in eine eigene Wohnung ziehen und beim eigen­ständigen Wohnen noch sozialarbeiterische Unterstützung benötigen. Menschen, die wegen ihrer psychischen Erkrankung ihre Wohnung verloren haben, schaffen es im betreuten Übergangswohnheim meist, ihre Schulden zu begleichen, und können wieder in eine eigene Wohnung ziehen. Damit sie nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen, gibt ihnen die mobile Wohnbegleitung Unterstützung. Die Sozialarbeiterin der mobilen Wohnbegleitung besucht die KlientInnen regelmäßig. Neben dem persönlichen Kontakt erinnert sie sie an Termine und Fristen, hilft, Formulare auszufüllen, lässt sich Mietund Energieeinzahlungen zeigen. Die KlientInnen erhalten damit den Rückhalt und die Kontrolle, die sie benötigen, um ihre eigene Wohnung zu erhalten. www.heilsarmee.at n

Ankyra und Jefira: Psychotherapie für Flüchtlinge

F

lüchtlinge, die Gewalt, Krieg, Folter und Vergewaltigung überlebt haben, leiden unter den psychischen und körperlichen Auswirkun­ gen der Traumatisierung. Aufgrund von Sprachbarrieren haben sie einen erschwerten Zugang zu Unterstützung in psychischen Krisensituatio­ nen im Rahmen der Gesundheitsversorgung. Mit Ankyra und Jefira bietet der Diakonie Flüchtlingsdienst zwei Zentren für kultursensible, dolmetschunterstützte und traumaspezifische Psychotherapie und psychiatrische Beratung in Innsbruck und Sankt Pölten an. Die PsychotherapeutInnen bei Ankyra und 12

Themen

Jefira arbeiten im Team mit DolmetscherInnen sowie methodenpluralistisch mit diversen Therapieschulen und traumatherapeutischen Verfahren. http://fluechtlingsdienst.diakonie.at n


interview

s s

? In Österreich gibt es eine starke Trennung zwischen dem medizinischen „Cure“-Sektor und dem sozialen „Care“-Sektor. Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit. Viele Bereiche gehören miteinander verbunden und mit Gesundheitsför­ derung durchdrungen, etwa die Schule. Schlagwort Case-Management: Das muss nicht eine eigene Person sein, die nur diese Aufgabe hat. Wichtig sind der Gesamtblick und die integrierte Hilfe gerade bei Kindern und Jugendlichen oder bei Menschen, die sich nicht mehr gut um sich selbst kümmern können. Diese soll dort jemand begleiten und Hilfe organisieren. Es gibt Defizite in der Bedarfsgenauigkeit der Angebote. Wir haben viele hervorragende Angebote, viele hoch­qualifizierte Menschen. Es fehlt aber manchmal die Unterstützung bei der Suche nach dem passenden Hilfsangebot. Das erfordert ein neues, sektor­über­ greifendes Denken. Das Schlagwort Health in All Policies muss stärker gelebt werden. Wir müssen ein umfassenderes Verständnis der Versorgung entwickeln. Wo orten Sie noch Verbesserungsbedarf?

?

Viele Angebote konzentrieren sich auf den städtischen Bereich. Das Angebot ist zwischen Stadt und Land ungleich verteilt. Der starke Aufbau und Ausbau in der stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung muss fortgesetzt werden, die fachärztlichen Kapazitäten müssen ausgebaut werden. Ambulant gibt es für Kinder und Jugendliche einen Mangel bei Psychotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie.

? Da ist die Schnittstelle zur Jugendwohlfahrt wichtig.

Das Zukunftspotenzial liegt in der Zusammenarbeit. Wenn stationäre Versorgung nicht mehr

nötig ist, braucht es eine Wohngemeinschaft, die über Personal verfügt, um Jugendliche mit psychischen Erkrankun­gen gut betreuen zu können. Stationäre und ambulante Angebote sind kommunizierende Gefäße.

? Können sich Menschen mit psychischen Erkrankungen Hilfe organisieren? Wenn ich als Erwachsener in der Lage bin, in eine Ambulanz zu gehen oder irgendwo anzurufen, dann bekomme ich ein passen­ des Angebot. Wenn ich dann noch über Geld verfüge, um mir, falls nötig, selber eine Psychotherapie zu leisten, dann ist es ganz einfach. Sobald meine Fähigkeiten durch die Schwere der Erkrankung eingeschränkt sind, was bei sehr schweren Depressionen oder Schizophrenie häufig der Fall ist, wenn ich mich nicht mehr gut um mich kümmern kann, mir niemand zur Seite steht, dann hab ich gröbere Probleme. Wenn ich von einer chronischen Erkrankung betroffen bin und nicht mehr imstande bin, mich um mich zu kümmern: Da gibt es Verbesserungsbedarf. Bei den Kindern und Jugendlichen sehe ich es ähnlich: Wenn eine Entwicklungsverzögerung auftritt, kann man etwas unter-

nehmen. Wenn es Eltern gibt, die in der Lage sind, sich darum zu kümmern, funktioniert das ganz gut. Sobald aber diese Unterstützung ausfällt, werden sie mit etwas konfrontiert, das für sie völlig neu ist. Viele Menschen sind überfordert mit den Hilfsangeboten, sie kennen den Unterschied zwischen Psychologen und Psychiatern nicht. Wo komplexer Hilfebedarf besteht, sollten wir besondere Aufmerksamkeit hinlenken. Da gibt es Defizite. Da gibt es Menschen, die wir übersehen, wie zum Beispiel auch Kinder mit schweren Störungen aus dem Autismus­ spektrum.

„Wir müssen ein umfassenderes Verständnis der Versorgung entwickeln“

? Es gibt noch einiges zu tun. In den vergangenen Jahren ist das Angebot ausgebaut und verbessert worden, es gibt aber Lücken, und es zeichnen sich neue Herausforderungen ab. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass es aufgrund der höheren Lebenserwartung mehr altersbedingte Erkrankungen wie Demenz geben wird. Hier werden neue Angebote notwendig sein. Psychiatrieplanung soll­ te ein kontinuierlicher Prozess sein. Der künftigen Entwicklung sehe ich gespannt und mit eini­ gem Optimismus entgegen. n Themen 13


Wordrap

Alexander Pschill in der „Traumnovelle“ (l.) und in „Endlich Schluss“

Ich könnte schwören ... Wordrap mit Alexander Pschill.

Verrückt?

„Ich könnte schwören, das Bett

stand gestern mit dem Fußende

in südlicher Richtung. Man hat es doch nicht etwa in meiner Abwesenheit ...“

Nervenstärke? Nicht mitmachen!

Schönster Erfolg?

Eine im Handarbeitsunterricht gehäkelte Maus aus Wolle (ca. 1979)

Luxus?

Traumrolle?

Typisch Österreich?

Diakonie?

Süchtig nach?

Lieblingswort?

Pizzaservice

Beleidigt sein

Meiner Freundin, See im Moor, Fledermäusen, Asterix, Wurst,

Leguan

Seelenheil?

Räubergeschichten, Poker, Shake-

zu erkennen, dass es richtig war

Kino, Rosemary’s Baby, Massagen, speare & Co, New Hollywood, Old Hollywood, Sofas, Sufis etc.

wurde 1970 in Wien geboren. Nach seiner Schauspielausbildung in den USA war er in zahlreichen Fernsehfilmen zu sehen. Bekannt wurde er als Ermittler Marc Hoffmann in „Kommissar Rex“. 2001 wurde er mit dem Romy Shootingstar ausgezeichnet. Seit 2005 ist er im Ensemble des Theaters in der Josefstadt und der Kammerspiele. 2013 gab er sein Regiedebüt mit seinem Lieblingsstück „Das weite Land“ in Wien. Alexander Pschill unterstützt seit mehreren Jahren den Diakonie Flüchtlingsdienst.

Themen

Muss ich googeln :-)

Glück, Stolz, Joseph Haydn, Haydn-

Alexander Pschill

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Falafel-Tortilla

Nicht mitgemacht zu haben und

Vision?

Break, Auszeit, Teestündchen … auf globaler Ebene!

Entbehrlich? Vaterland

Erstrebenswert? Keine Patrioten

Lebensmotto?

Mottos immer für sich behalten!


Diakonie wörtlich

… wie ein ausgetrockneter Schwamm

Menschen, die im Krankenhaus der Diakonie de La Tour ihre Sucht bekämpft haben, geben uns Einblick in ihre Gefühle, Ängste und Zweifel während der Therapie.

Groß ist die Freude, die deutlich wird, wenn sie es geschafft haben, über den eigenen Schatten zu springen und die Sucht zu bewältigen.

Hier traf ich auf so manche Meister Mit den Farben und mit Kleister Ärzte waren auch darunter Daher geht hier niemand unter. Hier malte ich viele Stunden Das tat gut um zu gesunden Jetzt verlass ich dieses Haus Fit und nüchtern geh ich raus Hier hat man mir sehr viel gegeben Jetzt werde ich besser leben. Acht Wochen hier im De La Tour Das war für mich Erleben pur! M.G., Sommer 2012

Diese acht Wochen waren und sind ein Plus Ich gehe voller neuer Energie und einem kräftigen Fundament nach Hause. W. M., Sommer 2012

Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft Denn in ihr gedenke ich zu leben! B.T., Sommer 2012

Zum Abschied reich ich euch die Hände Mein Spielen hat ab jetzt ein Ende Gehe voller Zuversicht Meinen neuen Weg zu Ende! H. S., Sommer 2012 De La Tour-Tango Wir trinken aufgespritztes Mango Wieder mal lachen, über lustige Sachen […] Abstinenz ist unser Ziel Und jeder der das will, hat ein herrliches Gefühl! P.C., Sommer 2012

D

as Krankenhaus der Diakonie de La Tour in Treffen (Kärnten) ist ein Behandlungszentrum für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sowie für Spiel-, Kaufund Internetsucht.

Schlafen können, schlafen. Bin kraftlos und ausgelaugt. Darf müde und erschöpft sein. Ruhe und Stille sauge ich auf wie ein ausgetrickneter Schwamm. Wer bin ich? S.R., Sommer 2012 Die Zeit heilt alle Wunden In Stille bin ich euch verbunden Mut und Zuversicht zeigen mir das Licht Der Weg nach vorne ist mein Ziel Glücklich – alt – gesund, so Gott es will! R.M., Sommer 2012

Themen 15


mythen und märchen

Mythos „Reiß dich zusammen“

!! !

Gefährlich, faul, selbst schuld ... diese Pauschalansichten stigmatisieren psychisch Kranke.

K

rankheiten des Körpers sind ein beliebter Gesprächsstoff. Bei Geburtstagen, in der Mittagspause oder am Stammtisch taugen Rückenschmerzen, Rheuma und verstauchte Knöchel als Thema, bei dem jeder gerne ein Wörtchen mitredet. Psychische Leiden dagegen werden meist penibel verschwiegen. Dabei sind psychische Krankheiten keine Seltenheit: Im Schnitt wird jeder Vierte irgendwann im Leben einmal seelisch krank. Trotzdem verheimlichen die meisten Betroffenen ihr Leiden. Sie suchen erst spät Hilfe, weil sie fürchten, dass andere ihre Probleme nicht nachvollziehen können, und weil sie fürchten, pauschal als „Verrückte“ abgestempelt zu werden – nicht ohne Grund. Tatsächlich ist psychische Krankheit bis heute mit einem Stigma belastet. Über Menschen mit Depressionen heißt es häufig, sie seien gar nicht richtig krank, sondern vor allem disziplinlos. Über Suchtkranke herrscht der Glaube vor, sie hätten sich ihre Lage vor allem selbst zuzuschreiben. Untersuchungen zeigen, dass die Vorurteile gegenüber schizophren Erkrankten besonders ausgeprägt sind: Sie gelten gemeinhin als „unberechenbar“ und „gewalttätig“.

Vorurteile und Abstand Gefährlich, faul, selbst schuld – obwohl diese Pauschalansichten nicht stimmen, halten sie sich hartnäckig und sind weit verbreitet. Man kann einem Menschen mit einer Depression nicht sagen, er soll sich zusammenreißen, dann wird es schon wieder. Das wird nichts verbessern. Im Gegenteil. Es erhöht seine Trostlosigkeit und verstärkt seinen Grundkonflikt, es – gegen seine Wünsche – allen recht machen zu wollen. Die zusätzliche Belastung durch das Stigma ist eine „zweite Krankheit“. Betroffene müssen nicht nur mit den Symptomen der Krankheit zurechtkommen, sondern zusätzlich verkraften, dass über 16

Themen

sie getuschelt wird, Vorurteile herrschen und man von ihnen Abstand nimmt. Auch wenn Stigmatisierung oft gar nicht aus bösem Willen geschieht, sondern aus Unwissen und einer naiven Vorstellung davon, was „normal“ ist – die Folgen sind mitunter schwerwiegend: Häufig ziehen sich Freunde, Bekannte und Nachbarn zurück – manchmal auch der psychisch Kranke selbst. Der Soziologe Alfred Grausgruber von der Univer­ si­tät Linz spricht von einem Teufelskreis: „Die psychi­sche Erkrankung zusammen mit den Vorurteilen beschädigt die sozialen Beziehungen. Gerade diese wirken aber stabilisierend und unterstützend auf die psychische Gesundheit. Brechen sie zum Teil weg, steigt das Risiko für einen Rückfall.“ Die „zweite Krankheit“ verschlimmert und verlängert nicht nur das Leiden der Betroffenen. Viele begeben sich wegen der Ressentiments nur zögernd in Behandlung und stellen dort die körperlichen Symptome in den Vordergrund, weil diese als „richtige“ Krankheiten gelten. So entstehen auch unnötige Kosten für das Gesundheitswesen.

Es fehlt die Aufklärung Heftig kritisiert Georg Psota, Leiter der psychosozialen Dienste in Wien, Schlagzeilen von Boulevardmedien wie „Irrer Machthaber“, wenn es um Diktatoren oder Despoten von „Schurkenstaaten“ geht: „Alle großen Potentaten waren nicht im engeren Sinn psychisch krank.“ Hingegen habe es viele sehr berühmte Menschen mit psychischen Erkrankun­ gen gegeben: „US-Präsident Abraham Lincoln – ohne ihn gäbe es keine Menschenrechte – war schwer depressiv, Winston Churchill hat in seinen depressiven Phasen geglaubt, er sei der schlechteste Premier, den Großbritannien je hatte.“ „Jeder Mensch erkrankt einmal in seinem Leben an Grippe oder grippalem Infekt“, so Psota. „In diesem Ausmaß ist auch jeder Mensch einmal in seinem Leben psychisch krank. Ich habe den Eindruck, dass wir, was die psychischen Erkrankungen betrifft, noch nicht ganz in der Zeit der Aufklärung angelangt sind.“ n


fachkommentar

schau auf di!

Sich nicht aufgeben. Schicksalsschläge, Schock, Trauer brauchen Raum und Zeit um emotional verdaut zu werden. Professionelle Hilfe kann dabei ein „Rettungsring“ sein.

10 WIRKUNGSVOLLE SCHRITTE FÜR PSYCHISCHE GESUNDHEIT

Etwas Kreatives tun. Im kreativen Gestalten können Sehnsüchte, Wünsche, Gedanken und Ängste ihren Ausdruck finden und sichtbar gemacht werden.

Um Hilfe fragen. Neues lernen. Sich beteiligen. Sich als Teil einer Gemeinschaft zu erleben, die trägt und solidarisch zusammenhält, gehört zu den wichtigsten Lebenserfahrungen.

Neues zu lernen heißt, meine Neugier zu pflegen, meinem Leben wieder neue Impulse zu geben und dadurch mein Selbstwertgefühl zu heben.

Sich Hilfe von außen zu holen ist kein Ausdruck von Schwäche, im Gegenteil: Es zeugt von Mut und Kraft seinen Problemen entgegenzutreten.

Darüber reden. Es ist ein tiefes menschliches Bedürfnis, sowohl Freuden, als auch Sorgen mitteilen zu wollen. Durch das Erzählen wird Sorge geteilt, Freude verdoppelt.

Aktiv bleiben. In Kontakt bleiben. Ein Netzwerk an guten FreundInnen sorgt dafür, dass wir in Krisen und Konflikten nicht alleine sind. Es muss aber gepflegt werden!

Körperliche Aktivität ist ein wichtiger Ausgleich zu Überreizung, Arbeitsstress und zu hohem Lebenstempo.

Sich selbst annehmen. Sich entspannen. Bewusste Pausen und Bewegung oder einfach bewusstes Ein- und Ausatmen sorgen für Entspannungsphasen im Alltag.

Wenn ich mich selbst annehme, kann ich meine Stärken bewusst wahrnehmen und benennen. Ich weiß, was mir gut tut. Und: Nobody is perfect!

Neues Wohnen im Alter Wenn Menschen im Alter eine psychische Erkrankung haben, brauchen sie eine Wohnform, die beides bietet: Rückzug und Gemeinschaft.

I

n den Anfangsjahren der Diakonie Miteinander leben GmbH waren wir erstaunt, wie viele der Bewohnerinnen und Bewohner in unserem ersten Haus, den Seniorenwohngemeinschaften in der Lagergasse, eine diagnostizierte psychische Erkrankung hatten – und wie gut diese Wohnform für die Zielgruppe passte. Die Wohngemeinschaften bieten Rückzugsmöglichkeiten im Wohnbereich (Zimmer mit Bad und WC), die Gemeinschaftsräume die Möglichkeit für Begegnungen und Gespräche. Die Familien verhindern eine Ghetto­ isierung. Als dann fast nur noch Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen bei uns wohn­ten, ergab sich die Chance, drei der vier Wohngemeinschaften auf vollzeitbetreutes Wohnen um­ zustellen. Für diese Wohnform konnten wir eine bessere Finanzierung bekommen. So konnten wir mit genügend Fachpersonal eine adäquate Tagesstruktur

und eine durch­gän­gige Betreuung in der Nacht anbieten. Nach wie vor liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit auf der Geron­topsychiatrie. Es ist eine Herausforderung, mit Menschen zu arbeiten, die seit Jahrzehnten an einer psychischen Erkrankung leiden und ein Martyrium an stationären Behandlungen hinter sich haben. Ein ganzes Leben lang „aus dem Rahmen zu fallen“ und vor allem die jahrelange Einnahme von Medikamenten mit schweren Nebenwirkungen bewirken, dass die Betroffenen auch physisch krank geworden sind.

Neuer Dachverband Weil dieser Personenkreis keine Lobby in der Öffentlichkeit hat, engagieren wir uns im neu gegründeten Dachverband GPVSt, dem Gemeindepsychiatrischen Verbund Steiermark, in dem sich viele sozialpsychiatrische Dienstleister vernetzen, um eine bessere Versorgung und Betreuung psychisch Kranker in der Steier-

Von Elke Merl

mark zu entwickeln und umzusetzen. Gemeinsam lassen sich diese Anliegen leichter vor Politik und Öffentlichkeit präsentieren. Der Dachverband ist eine Plattform für Betroffene und deren Angehörige, aber auch für niedergelassene AllgemeinmedizinerInnen, Psycho­thera­peu­tIn­­­ nen und klinische Psy­cho­lo­gIn­­ nen. Wichtig ist uns die Sui­zid­ prävention, denn jedes Jahr sterben in Österreich mehr Menschen durch SelbstElke Merl ist Mitbegründerin mord als bei Autounfällen. und Geschäftsführerin des Am Welttag gegen Sui- gemeinnützigen Vereins zid (10. September) fand „Miteinander leben“, der sich am Grazer Hauptplatz seit dem Jahr 2000 mit der wieder eine Aktion vieler Entwicklung und Umsetzung Organisationen statt. alternativer Wohnfor­men für Das allein reicht natür- Senioren beschäftigt. lich nicht für eine Prävention! Zehn wirkungsvolle Schritte für psychische Gesundheit (siehe Abbildung) sollen helfen, innezuhalten, neue Perspektiven für das eigene Leben zu finden und Hilfe zu suchen und zu finden, wenn man allein nicht mehr weiterkommt. n Themen 17


Daten

Die Welt in Zahlen 32,1 %

11,4 %

1991

1990

34,3 %

2000

1999 der österreichischen Bevölkerung beurteilen ihren Gesundheitszustand als „sehr gut“

37,5 %

2007

Kranken­ standsfälle auf 1000 Personen aufgrund psychia­ trischer Krankheiten

bedingte Krankheitstage in Deutschland pro 1000 Versicherte im Jahr

2004 2007 2010

der befragten Personen mit Medikamentenkonsum nahmen ärztlich verordnete Medikamente gegen Schlafstörungen

?

1999

4,6 24,2 63,2

2004 2007 2010

2007

der befragten Personen mit Medikamentenkonsum nahmen ärztlich verordnete Medikamente gegen Depressionen

Themen

261 336 632

in ausgewählten überregionalen deutschen Printmedien im Jahr

Anzahl der Psychiatrie-Betten

10,3 %

Quellen: www.brandeins.de, www.statistik.gv.at, www.who.int

18

2011

Burnout

Burnout-Syndrom

1999

27,4 % Zahl der Nennungen des Begriffs

Durch das

2,4 %

17,2 %

pro 10.000 EinwohnerInnen (2005)

9,7 % 2007

0,1 Burundi 1,0 China 3,5 Turkmenistan 4,5 Südafrika 6,5 Österreich 7,5 Deutschland 8,3 Bulgarien 9,6 Ungarn 12,0 Norwegen 19,3 Kanada 22,1 Belgien 28,4 Japan


Bücher • europa

Buchempfehlungen

Best Of Europe

Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen Allen Frances, Dumont 2013 Vor einer Inflation der Diagnosen in der Psychiatrie warnt der renommierte Psychiater Allen Frances. Alltägliche Sorgen und Seelenzustände werden als behandlungsbedürftige geistige Krankheiten kategorisiert. Verständlich und kenntnisreich schildert Allen Frances, was diese Änderungen bedeuten, wie es zu der überhandnehmenden Pathologisierung allgemeinmenschlicher Verhaltensweisen kommen konnte, welche Interessen dahinterstecken und welche Gegenmaßnahmen es gibt. Fallen lassen Brigitte Schwaiger, Czernin 2006 Brigitte Schwaiger veröffentlichte die Texte in diesem Buch über sich als Patientin der Psychiatrie auf der „Baumgartner Höhe“. Es geht nicht nur um ihre eigene Befindlichkeit, ihre Depressionen und Süchte, sondern auch um den Zustand der österreichischen Psychia­ trie. Was sie in ihren Aufsätzen berichtet, besticht durch Authentizität, einen selbst auferlegten Verzicht von Stilisierung und Literarisierung und durch Schonungslosigkeit sich selbst gegenüber. Psychosoziale Arbeit in der Psychiatrie – systemisch oder subjektorientiert? Sigrid Haselmann Vandenhoeck & Ruprecht 2008 In diesem Handbuch wird mit Bezug auf die psychosoziale Arbeit neben der subjektorientierten Sozialpsychiatrie die systemische Perspektive mit ihren anders gearteten Denk- und Vorgehensweisen vorgestellt. Welche Konzepte und Methoden sind einschlägig? Von welcher Art ist die jeweils angebotene professionelle Hilfe? Nach welchen Kriterien wird die Beziehung mit den KlientInnen gestaltet? Wie werden Gespräche geführt? Barmherzigkeit drängt auf Gerechtigkeit. Anwaltschaft, Parteilichkeit und Lobbyarbeit als He­rausforderung für soziale Arbeit und Verbände. Alexander Dietz, Stefan Gillich, Evangelische Verlagsanstalt 2013 Anwaltschaft, Parteilichkeit und Lobbyarbeit wer­den von Sozialverbänden wie ein Mantra hochgehalten – oft ohne zu benennen, was damit gemeint ist. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege müssen sich fragen (lassen), ob und wie sie für die Rechte von Menschen eintreten, die Hilfe benötigen. Wie können sich Sozialverbände engagieren, wenn sie zugleich im Wettbewerb um öffentliche Gelder stehen?

In einem schottischen Tageszentrum arbeiten die KlientInnen ehrenamtlich mit.

I

m kleinen Städtchen Kilmarnock im Westen Schottlands bietet CrossReach, eine diakonische Organisation, Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Seit der Eröffnung des Morven-Tageszentrums im Jahr 1992 wurden die Angebote sukzessive ausgeweitet. Heute können die knapp 150 BesucherInnen im Zentrum an verschiedenen Einzel- oder Gruppenaktivitäten teilnehmen und sich selbst auch ehrenamtlich betätigen. Dank der eigenen ehrenamtlichen Tätigkeit nehmen die KlientIn­ nen ganz neue Herausforderungen an. Das stärkt das Selbst­­bewusstsein und zeigt, dass man gebraucht wird. Aber auch ältere Menschen haben Zugang zum MorvenTageszentrum. Durch spezielle Unterstützung soll es Menschen über 65 Jahre mit psychischen Erkrankungen ermöglicht werden, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen. Weitere Angebote finden sich in den „fliegenden Diens­ ten“, wo Menschen mit psychischen Erkrankungen in ihren Gemeinden besucht und betreut werden, damit sie eine bessere Teilhabe in ihrem Lebensumfeld erreichen. Das Besondere an diesem Tageszentrum ist, dass BesucherInnen in die Erstellung des Angebots eingebunden werden – Mitbestimmung wird großgeschrieben, denn nur durch sinnvolle Aktivitäten ist eine Verbesserung der Lebens­qualität möglich. Dabei ist das Morven-Tageszentrum auch mit vielen anderen Institutionen wie der Gemeinde oder Freiwilligenorganisationen vernetzt, und auch die Familienangehörigen können sich bei eigens organisierten Info-Veranstaltungen Rat holen und Austausch suchen. Die Stärkung des Selbstvertrauens und des Selbstwertgefühls sowie das Erlernen neuer Fähigkeiten stehen im Fokus des Tageszentrums. Dass dabei viele neue Freundschaften geschlossen werden, freut die BewohnerInnen ebenso wie die BetreuerInnen. www.crossreach.org.uk/morven-day-services n Themen 19


Diakonie hautnah

Ein Haus mit Leib und Seele Im Haus Lagergasse in Graz leben Familien, Studierende, SeniorInnen und Menschen mit psychischen Erkrankungen unter einem Dach. Von Eva Rohregger

M

orgens um acht Haus. Um vier Uhr früh steht die im Gemeinschafts- rüstige Dame auf, um das Frühraum des Hauses stück vorzubereiten: Sie kocht Lagergasse der Kaffee, schneidet Brot und deckt Dia­­konie Miteinander leben in die Tische. Sie schätzt es, geGraz. Nach und nach finden sich braucht zu werden. Trotzdem die Bewohnerinnen und Bewoh- haben die BetreuerInnen immer ner zum Frühstück ein. Unter ih- ein Auge darauf, dass sich Cäcilia nen ist Joe, der heute Geburtstag nicht übernimmt. hat. Er lebt hier in einer der vier vollzeitbetreuten Wohngemein- Normalität als Ziel schaften, weil er aufgrund seiner „Bei der Planung des Hauses war Schizophrenieerkrankung Unter- es mir wichtig, alternative und

Vernissagen im Haus. Nach dem Frühstück ziehen sich viele BewohnerInnen wieder in ihre WG-Zimmer zurück, und die Angebote im Rahmen der Tagesstruktur beginnen.

individuelle Wohnformen in ein möglichst normales Wohnumfeld zu integrieren“, beschreibt Geschäftsführerin Elke Merl das Besondere an diesem Haus (siehe auch Kommentar auf S. 17). Daher gibt es neben den Wohngemeinschaften auch drei Senio­ren­wohnungen, in denen Betreuung nach Bedarf angeboten wird, sowie auch konventionelle Wohnungen. Hier leben junge Familien und Studierende, die sich bewusst für dieses Haus entschieden haben, um zum Beispiel ihren Kindern einen selbstverständlichen Umgang mit psychisch kranken und älteren Menschen zu ermöglichen. Berührungspunkte gibt es im gemeinsamen Dachgarten, beim Postholen oder bei einer der

burtstag schenkt ihm Zivildiener André ein Rundumservice. An den anderen Tagen erledigen die BewohnerInnen aber möglichst viel selbst, weil das Betreuungsziel langfristig ein selbst­stän­ dig(er)es Leben ist. In der Küche wird inzwischen schon das Mittagessen vorbereitet. Seit zwei Monaten schwingt hier die Ernährungspädagogin Elisabeth mit jeweils zwei BewohnerInnen den Kochlöffel. Bei der Zubereitung gesunder und frischer Mahlzeiten können die BewohnerInnen wichtige Alltagsfertigkeiten trainieren. Und zu besonderen Anlässen darf auch der Genuss nicht zu kurz kommen: wie zum Beispiel heute mit der Malakofftorte für Joes Geburtstagsfeier. n

Haushaltstraining Heute steht Haushaltstraining auf dem Programm. Das bedeutet Bettwäsche wechseln, staubsaugen und Bad putzen. Joe kann sich heute freuen: Zum Ge-

„Junge Familien und Studierende haben sich ganz bewusst für dieses Haus entschieden“

Das Betreuungsziel: langfristig ein selbstständige(re)s Leben führen

stützung im Alltag braucht und nicht allein leben kann. Die meis­ ten seiner MitbewohnerInnen leben wegen einer psychischen Erkrankung im Haus. Vier WGPlätze sind für SeniorInnen „reserviert“. Auch sie schätzen es, dass rund um die Uhr eine Betreuungsperson vor Ort ist.

Frühstück von Cäcilia Cäcilia ist eine der „dienstältes­ ten“ Seniorinnen im Haus. Die 82-Jährige war eine der Ersten, die 2003 in das neu gebaute Haus in der Lagergasse eingezogen sind. Das in Österreich wenig verbreitete Konzept von Senio­renwohngemeinschaften hat sie überzeugt. Jetzt lebt Cäcilia seit zehn Jahren hier und ist so etwas wie die gute Seele im 20

Themen


Kurz gemeldet

Sprungbrett Glöcklturm M

enschen mit Behinderung bleibt der Weg ins reguläre Arbeitsleben oftmals verwehrt. Arbeitsplätze in geschützten Werkstätten sind die gängige Art der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Das „Sprungbrett Glöcklturm“ in Lienz, ein neues Projekt der Diakonie de La Tour in Koopera­ tion mit dem Diakoniewerk Gallneukirchen, möchte Menschen mit Behinderung am offenen Arbeitsmarkt vermitteln. In Zusammenarbeit mit Lienzer Unternehmen sollen Menschen mit Behin-

derung in regulären Arbeitsverhältnissen arbeiten. Die neuen MitarbeiterInnen werden darauf von ihren Begleitpersonen beim „Sprungbrett Glöcklturm“ gut vorbereitet: Hier werden die geforderten Tätigkeiten geübt, und die ArbeitnehmerInnen erhalten die passen­ den Fortbildun­gen. www.diakonie-delatour.at n

Award for Social Integration Z

BASIS Margetin M

acondo, wie die Stadt der Vertriebenen aus einem Roman von Gabriel García Márquez, nennen die 3000 BewohnerInnen den Stadtteil, der 1956 am Wiener Stadtrand entstanden ist. Die BewohnerInnen stammen aus über 25 Nationen, die meisten sind Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten der vergangenen Jahrzehnte. Vielfältig sind auch die Proble­me: Sprachdefizite, Arbeits- und drohen­de Obdachlosigkeit, Müll, ethnische Konflikte, schlechte Infrastruktur und Verkehrsanbindung. Mit BASIS Margetin

entstand eine Ansprechstelle, bei der die BewohnerInnen Ideen und Bedürfnisse artikulieren und diese, unterstützt und moderiert, entwickeln und umsetzen. All das geschieht in Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren: von Wohnbauträgern und Behörden über Pfarrgemeinden und religiöse Vereinigungen, Jugendeinrichtungen, Schulen und Kindergärten bis hin zu G­emein­schafts­gar­ tenprojek­ten und Vereinen, Communitys und der lokalen Bevölkerung in und um Macondo. fluechtlingsdienst.diakonie.at n

wei Partnerorganisationen von „Brot für die Welt“ wurden am 27. Juni in Wien mit dem „Award for Social Integration“ der ERSTE Foundation ausgezeichnet. Das Projekt „e-Accessable Education“ stattet Schulen in Mazedonien mit assistierenden Technologien und Personal aus. Auf diese Weise wird Kindern und Jugendlichen mit Behinderung eine Schullaufbahn ermöglicht. Das Projekt ist das einzige seiner Art in Mazedonien. Das kosovarische Projekt „Balkan Sunflowers“ betreut Kinder aus Roma-, Ashkali- sowie ägyptischen Familien in fünf Lernzentren. Die Kinder bekommen Lernhilfe und täglich eine warme Mahlzeit. Dies soll es ihnen einfacher machen, die Schule gemeinsam mit ihren albanischen und serbischen KollegInnen zu besuchen. Die Kinder gewinnen an Selbstvertrauen und erfahren, dass sie ein Recht auf Bildung und Gleichbehandlung haben. www.brot-fuer-die-welt.at n

Themen 21


Auf den Punkt gebracht

„Deren Not zum Himmel schreit“ Aufgewachsen in einer deutschen Psychiatrie: Der Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff erinnert sich an seine Kindheit inmitten von psychisch Kranken und Menschen mit Behinderungen.

D

Abdruck aus Joachim Meyerhoff „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ Verlag Kiepenheuer & Witsch, 352 S., gebunden

22

Themen

as Landeskranken- zial-Idiotenanstalt“, dann „Prohaus für Kinder- vinzial-Heil- und Pflegeanstalt und Jugendpsychia­ für Geistesschwache“. trie, in dem ich aufDann spezialisierte sie sich auf gewachsen bin, heißt „Hester- junge Menschen und nannte sich berg“. Es ist das größte seiner Art „Heil- und Erziehungsanstalt für in Schleswig-Holstein. Mein Va- blöd- und schwachsinnige Kinter war Kinder- und Jugendpsy- der“ und schließlich, nach 150 chiater, und als er dort Direktor Jahren, „Klinik für Kinder- und Juwurde, gab es über 1500 Pati- gendpsychiatrie Hesterberg“. enten. Gegründet wurde die Es wohnten auch viele ältere Anstalt 1817 von einem Herrn und sogar sehr alte Patienten in Dr. Suadicani, der sich mit der der Klinik, die niemals in die ErBitte um den Bau einer Irrenan- wachsenen-Psychiatrie verlegt stalt „zur Rettung dieser un- wurden, da ihnen das Verlassen glücklichsten Menschen, deren ihrer meist schon seit dem KleinNot zum Himmel schreit“, an kindalter vertrauten Umgebung den König gewandt hatte. nicht zuzumuten war. Bis auf eiAlle paar Jahre wurde sie um- ne kurz vor der Einweihung stebenannt. Zuerst hieß sie „Provin- hende moderne Klinik stammzial-Irrenanstalt“, dann „Provin- ten die Gebäude aus der Zeit der

Jahrhundertwende. Riesige düs­ tere Backsteinkästen, in denen bis zu 20 Patienten in einem Zimmer schliefen. Lange Leitern standen an den vierstöckigen Hochbetten. Die oberen Betten konnte man verriegeln, es waren eher kleine Käfige als Betten, damit die Patien­ ten nicht herausfielen. Das Gelände der Psychiatrie war groß und eine Welt für sich. Es gab eine Gärtnerei, eine Großküche, eine Tischlerei, eine Schnei­derei, eine sogenannte Dampfwaschanstalt, sogar ein eigenes Kohleheizwerk mit rotgemauertem Schornstein und eine Schlosserei, in der fast ausschließlich Gitter geschweißt wurden: Fenstergitter, Gitterbet­


Auf den Punkt gebracht

ten, meterhohe Umzäunungsgit­ ter für die Stationsgärten. An einigen dieser Orte arbeiteten Patienten in einer Mischung aus Arbeitstherapie und Ausbeutung. Unser Haus war der Mittelpunkt dieser Anlage. Die Direktorenvilla war vom Gründer der Psychiatrie bewusst im Zentrum platziert worden. Der prunk­volle Bau war eine Machtdemonstration wie auch ein Bekenntnis, als Direktor nicht außerhalb dieser Welt zu stehen.

www.diakonie.at

So bin ich aufgewachsen. (…) An den beiden Toren und auch vor den Haupteingängen der Gebäude spielten sich oft dramatische Szenen ab. Entweder weigerten sich die frisch Eingelieferten, das Gelände bzw. die Gebäude zu betreten, klammerten sich an ihre Angehörigen und traten nach den Pflegern, oder aber Patienten wehrten sich mit Händen und Füßen, das Gelände bzw. die Gebäude zu verlassen, klammerten sich an die Pfleger und

traten nach den Angehörigen. Sowohl der Weg in die Psychiatrie hinein wie auch der aus ihr heraus war für viele der blanke Horror. (…) Einmal geschah es, dass ich einen Patienten sah, einen Jungen, der meinen ausrangierten Pullover trug. Das war ein ungutes Gefühl. Dass da etwas, was ich nicht mehr brauchen konnte, zerschlissen und ausgeleiert, für jemand anderen genau das Richtige sein sollte. n

Diakonie Angebote für Menschen mit psychischen Problemen

Kärnten

(Geronto)Psychologischer Fachdienst – für SeniorInnen und Angehörige Diakoniewerk Salzburg Guggenbichlerstraße 20, 5026 Salzburg Telefon: 0662/63 85-0 www.diakonie-zentrum.at

Sonderkrankenhaus für Kinderund Jugendpsychiatrie Diakonie Zentrum Spattstraße Prechtlerstraße 30–32, 4030 Linz Telefon: 0732/34 92 71 www.spattstrasse.at

Spielsuchtambulanz de La Tour Villach Nikolaigasse 39, 9500 Villach Telefon: 04242/243 68

Steiermark

Niederösterreich

Burgenland

Tirol

Spielsuchtambulanz de La Tour Spittal/Drau Egarterplatz 1, 9800 Spittal an der Drau Alkoholambulanz, Spielsuchtambulanz: Telefon: 04762/366 72

Therapieangebote bei Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit sowie Spiel-Online-Kaufsucht Krankenhaus de La Tour Treffen De-La-Tour-Straße 28, 9521 Treffen Telefon: 04248/25 57-0 Department Psychosomatik Krankenhaus Waiern, Akut-Geriatrie Martin-Luther-Straße 14, 9560 Feldkirch Telefon: 04276/22 01-300 Alle: www.diakonie-delatour.at/gesundheit

Salzburg

Kompetenzzentrum Neurologie und Depression sowie Neurologie und Psychosomatik Klinik Diakonissen Salzburg Guggenbichlerstraße 20, 5026 Salzburg Telefon: 0662/63 85-0 www.salzburg.diakonissen.at

Betreutes Wohnen für Jungfamilien, SeniorInnen und Menschen mit psychischen Erkrankungen Diakonie Miteinander leben Hangweg 29 8052 Graz Telefon: 0316/82 52 66 www.miteinander-leben.at

Sozialpsychiatrische Wohngemeinschaft Mosaik Diakoniezentrum Gols Mühlgasse 51 7122 Gols Telefon: 02173/232 08 www.diz-gols.at

Oberösterreich

Wohngemeinschaft Kaya für Mädchen und junge Frauen mit Essstörungen Diakonie Zentrum Spattstraße Schubertstraße 17/3, 4020 Linz Telefon: 0676/512 38 73 www.spattstrasse.at

Jefira – Interkulturelles Psychotherapie­ zentrum. Kultursensible, dolmetschunterstützte und traumaspezifische Psy­cho­ therapie und psychologische Beratung Diakonie Flüchtlingsdienst Herzogenburger Straße 9, 3100 St. Pölten Telefon: 02742/731 76 fluechtlingsdienst.diakonie.at

Ankyra – Zentrum für interkulturelle Psychotherapie. Kultursensible, dolmetschunterstützte und trauma­ spezifische Psychotherapie und psychologische Beratung Diakonie Flüchtlingsdienst Müllerstraße 7, 6020 Innsbruck Telefon: 0512/56 41 29 fluechtlingsdienst.diakonie.at

Wien

Haus Erna – Sozial Betreutes Wohnhaus für Männer; Heilsarmee Moritz-Dreger-Gasse 19, 1210 Wien Telefon: 01/890 32 82-2023 www.heilsarmee.at

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Impressum

Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion: Diakonie Österreich Redaktion: Dr.in Roberta Rastl-Kircher (Leitung), Mag.a Katharina Meichenitsch, Mag. Martin Schenk, Mag.a Magdalena Schwarz. Alle: 1090 Wien, Albert Schweitzer Haus, Schwarzspanierstraße 13. Tel.: (0)1 409 80 01, Fax: (01) 409 80 01-20, E-Mail: diakonie@diakonie.at, Internet: www.diakonie.at. Verlagsort: Wien. Geschäftsführer Diakonie Österreich: Pfr. Mag. Michael Chalupka, Mag. Martin Schenk. Grafik-Design: Info-Media Verlag für Informationsmedien GmbH, Volksgartenstraße 5, 1010 Wien. Druckerei: AV + Astoria Druckzentrum GmbH, Faradaygasse 6, 1030 Wien. Fotos: Dermaurer (S. 1, 3, 6, 7, 8, 9, 15, 21), Daniela Klemencic (S. 1, 10–11, 13), Sabine Hauswirth (S. 1, 14), Diakonie Miteinander leben (S. 1, 3, 17, 20), Barbara Krobath (S. 2), Andrea Maier (S. 3), Diakonie Zentrum Spattstraße (S. 3, 4, 12), Diakonie Flüchtlingsdienst/Ankyra (S. 3, 4, 12, 22), Ing. Herwig Roethy (S. 5), Diakonie Zentrum Gols (S. 5), Heilsarmee (S. 3, 12), Diakonie (S. 9), Sepp Gallauer (S. 14), pro mente Steiermark (S. 17), Fotolia.com (S. 18), Cross Reach (S. 19), Joanna Kinberger/Brot für die Welt (S. 21), Regina Hügli (S. 21), Verlag Kiepenheuer & Witsch (S. 22), privat (S. 3, 4, 5, 7). Die Diakonische Information bringt Sachinformationen und Nachrichten zur Diakonie der Evangelischen Kirchen. Die gendersensible Schreibweise ist uns ein wichtiges Anliegen. Der Bezug ist kostenlos. DVR: 041 8056 (201). Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse des Österreichischen Umweltzeichens“. Umweltzeichen (UWZ 734)

Spendenkonto Diakonie: IBAN AT492011128711966399 • BIC GIBAATWWXXX

27.08.13 11:49


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