Sbk artikel 7 8 2015

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Langzeitpflege 16

K r a n k e n p f l e g e I S o i n s i n f i r m i e r s I C u r e i n f e r m i e r i s t i c h e 8 /2015

Humor und Heiterkeit in der Pflege von Menschen mit Demenz

Einige Humorfenster gehen zu – andere gehen auf Humor und Heiterkeit sind wichtige Ressourcen im Leben. Auch Menschen mit Demenz profitieren davon. Im Verlauf der Erkrankung verändern sich ihre Humorressourcen, erklärt Dhani Heiniger, alias Clown Wieni. Text: Dhani Heiniger / Fotos: zVg

Humor ist für mich im Leben vor allem da hilfreich, wo etwas noch nicht so gut läuft, wie es sollte. Humor ist dann wie eine behelfsmässige spontane ErsteHilfe-Massnahme, bevor ein Problem soweit möglich behoben werden kann – also Humor im Sinne «wenn man trotzdem lacht». Bei kurzzeitigen und vorübergehenden Belastungen wie zum Beispiel Stress, Ärger, Frust kann Humor gut helfen. Doch vielleicht geht es im Lebensalltag auch anderen wie mir. Nämlich ausgerechnet in den belastendsten und schwierigsten Lebenslagen, wenn ich Humor am nötigsten hätte, finde ich ihn meistens kurzzeitig nicht mehr. So kann es dann doch eine Weile dauern, bis ich über etwas «trotzdem lachen» kann. Auch beim Humor gilt: Je schneller die erste Hilfe stattfinden kann, desto besser ist die Heilungsprognose. Eine Humor-Methode, die ich für mich selbst im Stillen anwende, und die in meinem Lebensalltag gut funktioniert, ist die Kombination von zwei verschiedenen Humor-Techniken, der Verkehrtheit und der Übertreibung. So kann ich bewusst meinen Stress, Ärger, Frust, oder auch meine eigenen Schwächen verkehrt absichtlich so lange verstärken und weiter übertreiben, bis ich über die Situation und über mich selbst lachen kann. So losgelassen fällt es mir dann meistens leichter, das Negative wieder ins Positive zu drehen. Im Team wende ich bevorzugt folgende Humortechnik an: Ein einfühlsamer Perspektivenwechsel vom Negativen ins Positive mit möglichst wertschätzendem

Clownauftritte in Heimen steigern die Lebensqualität von Menschen mit Demenz.


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Studie

Humor bei Menschen mit Demenz Kommentar dazu. Ziel ist hier, die angespannte Situation, wenn zum Beispiel einem Teammitglied ein Fauxpas passiert ist, zu entschärfen, und den anderen möglichst gleich auch noch liebevoll aufbauen können. Zum Beispiel, wenn jemand im Team vergessen hat, etwas zu machen: «Ah, du wolltest doch nur testen, ob wir so effizienter arbeiten können und diese Pflegeintervention beim Bewohner auch wirklich nötig ist.» Oder es jemandem fällt ein Glas herunter und es gibt Scherben: «Oh, das Glas meint es aber gut mit dir. Scherben bringen Glück. Wow, so viel Glück wirst du im Leben haben.» Idealerweise kann ich in dieser Situation gleich noch meine Hilfe anbieten, um die Glasscherben wegzuräumen. Wenn in belastenden und angespannten Situationen im Team Raum für wertschätzenden, positiven Humor da ist, ist dies meist auch ein Anzeichen für ein gutes Arbeitsklima und für gute Beziehungen. So mache ich immer wieder die Erfahrung: Wer zusammen herzlich lachen kann, kann auch zusammen erfolgreich arbeiten. Wer es wie ich zwischendurch auch mal ohne Humor mag, kann dies zum Beispiel auch nur mit achtsamer Bewusstheit tun: Wie pflege (=> fokussiere, atme, fühle, denke, bewege) ich in dieser Situation? Wie ist jetzt mein inneres «Lebensmusical»? Ein stressiger Rap? Ein wütender Punk? Ein trauriger Fado? Wie könnte es schöner und glücklicher in mir tönen, atmen, fühlen, bewegen? Ein beschwingter Swing? Ein fröhlicher Walzer? Ein gelassener Reggae? Ich mache mir dann jeweils bewusst, dass ich mein Leben zu einem grossen Teil selbst mitgestalten kann. Dass, wenn ich mir ein- bis dreimal täglich im Lebensalltag bewusst bin, ich gleichzeitig mein eigener gestaltender Co-Komponist, anweisender Co-Dirigent, ausführender CoTänzer, wahrnehmender Co-Zuhörer sein kann. Nur Co-, weil andere wollen und können zu einem gewissen Anteil ja auch immer noch bei meinem inneren «LebensMusical» mitkomponieren oder für mein äusseres LebensTheater das Drehbuch für den Lebensalltag mitschreiben.

Der Schlüssel zum Erfolg ist bei allen funktionierenden Methoden gleich: 1. man kann es lernen 2. man kann sich dann im Lebensalltag bei Bedarf daran erinnern und 3. man kann es einfach tun. Heiterkeit in der Pflege ist für mich wie eine gemeinsame Reise – mit jemandem mitfühlend aus einem dunklen Tunnel heraus ans Licht kommen. Die längste und tiefste Reise kann von Trauertränen und Weinen, Trauer und Schmerz und Antriebsschwäche, zu Lachen und Lächeln, Freude und Lust, bis hin zu Glückstränen führen. Oft geht es den Heimbewohnern nicht gut, doch es kann auch uns selber einmal nicht so gut gehen. Dann schätze ich es jeweils sehr, vom grossen Schatz der Lebenserfahrung der Heimbewohner profitieren zu können und von ihnen auch liebevolle, tröstende, erheiternde Worte und gute Tipps zu bekommen. Schön, wenn wir dann zusammen wieder «trotzdem darüber lachen» können. Die ganz selten vorkommenden und doch sehr wertvollen Glückstränen empfinde ich als die reinste, schönste und tiefste Art von Humor und Heiterkeit. Humor und Heiterkeit ist machbar. Doch was funktioniert eigentlich wann bei wem? Damit man sicher weiss, was überhaupt funktioniert, braucht es periodisch aktualisiert eine individuelle, dokumentierte Ressourcen-Aufnahme bei allen Heimbewohnern. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass im Krankheitsverlauf bei Demenz einige Ressourcen-Fenster für Humor und Heiterkeit zugehen und andere dafür neu aufgehen. Je weiter die Demenzerkrankung fortschreitet, desto ähnlicher werden sich die individuellen Ressourcen-Profile der Bewohner. Auch das Lachen ändert sich im Verlaufe der Krankheit: von lacht, lächelt, Augen leuchten auf, bis Augen bleiben zu und kein Lächeln mehr. In der von mir in Zusammenarbeit mit Pflegefachleuten entwickelten, sehr detaillierten Ressourcen-Checkliste können nicht nur die Ressourcen aufgenommen werden, es kann damit annähernd sogar der aktuelle Demenzgrad bestimmt werden. Oder umgekehrt: Wenn der aktuelle

Die Reaktionen auf die Auftritte von Clown Wieni wurden in einem Forschungsprojekt der Universität Zürich wissenschaftlich untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass drei Viertel der BewohnerInnen echte Freude zeigten. Psychologin Jennifer Hofmann sagt: «Unsere Studie ergab weiter, dass die negativen Affekte an Clowntagen weniger stark zunahmen als an den Kontrolltagen ohne Clownbesuche». Sie findet die Wirkung von Clown-Interventionen toll, wenn man bedenke, wie kurzlebig Gefühle und Erinnerungen bei Menschen mit Demenz seien. Hofmanns Fazit: «Clownauftritte in Heimen steigern die Lebensqualität von Menschen mit Demenz.» Die Studie ist noch nicht veröffentlicht. Ein Artikel dazu erschien in der Fachzeitschrift Curaviva, 7/8 2013: http://bit.ly/1Jixvn8

Demenzgrad bekannt ist, können auch die wahrscheinlich möglichen Ressourcen für Heiterkeit und Humor daraus abgeleitet werden. Dies macht Sinn für die Pflegeplanung. Heiterkeit bei den Heimbewohnern kann sogar geplant und qualitätsgesichert werden. Machbar ist dies, indem jede Pflegeleistung so geplant und ausgeführt wird, dass sie gleichzeitig als Bonus Heiterkeit bei den Bewohnern und wechselwirkend auch beim Pflegepersonal auslösen kann. Je nachdem, was bei Heimbewohnern funktioniert, kann ein/e Pfleger/in während der effizient durchgeführten Pflege zum Beispiel einen Witz erzählen, einen lustigen Spruch machen, ein heiteres Gespräch führen oder singen. Heiterkeits-Interventionen sind bei jeder pflegerischen Tätigkeit möglich (z.B. AEDL nach Krohwinkel, oder nach RAI oder BESA).

Autor Dhani Heiniger, ClownPantomime und Heiterkeitspfleger. www.clownwieni.ch


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Praxis. Erlebnisse und Beispiele aus meinem fast täglichen Alltag

Dhani Heiniger: Nicht allen liegen alle Humor- und Heiterkeitstechniken.

Als stark vereinfachte Übersicht, was mehrheitlich funktionieren kann: bei ohne + mit leichter Demenz Witze, lustige Sprüche. Das Humorprofil ist individuell ganz verschieden, z.B. schwarz, scharfzüngig, leicht frech. Das Heiterkeitsprofil ist tendenziell: Geistiges, Sinnvolles, Nützliches, Schönes. Bewohner können lachen. bei mittelschwerer Demenz Singen, heitere Gespräche mit Schlüsselwörtern. Das Humorprofil ändert sich (ausser Frontallappendemenz) vermehrt hin zu auf heiter/wertschätzend. Das Heiterkeitsprofil ist tendenziell vermehrt: Lustiges, Soziales, Musikalisches, Motorisches. Bewohner können lachen. bei schwerer Demenz Singen, liebevolle Gefühle und Gespräche mit innerer Zentriertheit und Ruhe. Das Humorprofil ist normalerweise heiter/wertschätzend. Das Heiterkeitsprofil ist: Liebevolles, Soziales, Musikalisches, Motorisches (in Kombination). Bewohner können noch lächeln. bei sehr schwerer Demenz (Endstadium) Singen, paraverbales, liebevolles Arme schaukeln. Kein Humorprofil mehr erkennbar. Das Heiterkeitsprofil ist: Liebevolles, Basales, Sinnliches, Musikalisches, Motorisches (Kombination). Kein Lächeln mehr.

Im Laufe der Demenz-Erkrankung ändern sich die Ressourcen für Heiterkeit und Humor. Einige Humor-Fenster gehen zu und andere gehen neu auf. Ein Heimbewohner mit leichter Demenz hatte längere Zeit Freude an Witzen und gar keine Freude an mir als Clown und auch nicht an meiner Puppe: «Geh weg! Dummer Löli du!» sagte er fast jedes Mal zu mir. Etwa ein Jahr später, als er bereits mittelschwere Demenz hatte, hatte er keine Freude mehr an Witzen, dafür freute er sich plötzlich fortan jedes Mal an mir und meiner Puppe, lachte und machte Spässe. Das Humor-Profil ist entscheidend dafür, welche Humorart funktioniert. Die Heimbewohnerin Frau H. hatte einen schwarzen Humor. So sagte sie, als sie grosse Kopfschmerzen hatte: «Ich habe sehr starke Kopfschmerzen, am besten ihr tut mich notmetzgen.» Beim nächsten Mal, als Frau H. wieder über sehr starke Kopfschmerzen klagte, sagte die Pflegerin spontan: «Soll ich gleich amputieren»? Und Frau H. lachte. Hätte Frau H. ein anderes Humor-Profil gehabt, hätte diese Intervention so natürlich nicht funktioniert, und die Pflege wäre so nicht wertschätzend gewesen. Auch die Demenzart ist mitentscheidend, welche Interventionen funktionieren können. Heimbewohnerin Frau G. mit Frontallappen-Demenz sass im Rollstuhl und bewegte ihre Beine kaum mehr. Doch immer wenn sie die Gelegenheit hatte, mir einen Tritt in den Hintern zu geben und ich dabei lustig nach vorne fortspickte, bewegte sie ihre Beine begeistert kräftig hoch und sie lachte laut kreischend dabei. So bot ich ihr als Clown wöchentlich mehrmals meinen Hintern zu regulierenden und therapeutischen Zwecken an. Und da rundherum keine Bewohner mit Alzheimer-Demenz anwesend waren, regte sich niemand darüber auf. (Diese finden es normalerweise überhaupt nicht lustig, wenn sie bei solchen, für sie scham- und respektlosen Spielen zusehen müssen.) Bei sehr schwerer Demenz (Reisberg Skala 7) ist Lachen nicht mehr möglich.

Eine Heimbewohnerin reagierte nur noch auf einfühlsam sanft langsam sitzend tanzen. Etwa eine Minute danach sagte sie leise zu mir: Danke! Vor einigen Wochen konnte sie noch lächeln, vor Monaten noch viel lachen und sie war ein sehr humorvoller Mensch. Die wieder zurückgewonnene HumorRessource. Ein Heimbewohner mit mittelschwerer Demenz kehrte nach zwei Wochen Spitalaufenthalt ins Altersheim zurück. Danach reagierte er auf sehr viele vorherige Humor-Ressourcen nicht mehr, so auch nicht mehr auf sein Lieblingslied «Il canto del cucù». Woche für Woche spielte ich dieses Lied für ihn und versuchte, einen wichtigen Teil seiner sehr freudigen Erinnerungen hervorzurufen. Erfolglos. Dann, etwa ein halbes Jahr später, kamen Angehörige auf Besuch und er sang, sich erinnernd, das Lied plötzlich wieder mit grosser Freude mit. Eine Woche später erblickte mich der Heimbewohner schon von weitem und begrüsste mich freudig anstrahlend mit: Kuckuck! Und wieder sang er das Lied freudig mit. Dies noch einige Monate lang. Das Ressourcenprofil von den Pflegenden selber ist mitentscheidend. Dank den bekannten Ressourcen kann also individuell von den Pflege- und Aktivierungsfachpersonen alles das gemacht werden, was bei Heimbewohnern gut ankommt. Doch es gilt auch das Ressourcenprofil von den Pflegenden zu respektieren. Nicht allen liegen alle Humor- und Heiterkeits-Techniken. Heiterkeit und Humor sollen freiwillig sein und immer aus dem Herzen kommen. Vielleicht kann eine Pflegefachfrau keine Witze behalten und erzählen, doch sie versteht es sehr gut, heitere Gespräche zu führen und singt sogar mit den Bewohnern. Auch wenn es uns nur in einem Teilbereich gelingt, ist dies doch ein Fortschritt. In diesem Sinne wünsche ich gutes Gelingen!

Link Humorkongress Vom 26. bis 27. September findet in Basel der Humorkongress zum Thema «Humor – Kraftquelle des Lebens» statt. www.humorkongress.ch


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