Deutsche Besetzung Polens 1939-45

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Deutsche Besetzung Polens 1939–1945

Die deutsche Besetzung Polens (1939-1945) im Zweiten Weltkrieg begann mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939

September 1939 - Überfall auf Polen der deutschen Wehrmacht

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talin und Ribbentrop besiegeln den deutschsowjetischen Nichtangriffspakt, Moskau, 23. August 1939 Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 marschierten am 17. September auch sowjetische Truppen ein (siehe Sowjetische Besetzung Ostpolens). Im Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag teilten beide Mächte am 28. September das Territorium Polens unter sich auf. Das westliche Polen kam daraufhin unter deutsche Besatzungsherrschaft oder wurde ins Deutsche Reich eingegliedert. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion ab 22. Juni 1941 wurde auch Ostpolen deutsch besetzt. Vom 12. Januar bis Anfang Februar 1945 befreite die Rote Armee in der Weichsel-Oder-Operation nahezu das gesamte noch von der Wehrmacht besetzte polnische Gebiet. Im Zweiten Weltkrieg war somit kein anderes Land dem Terror eines nationalsozialistischen Besatzungsregimes länger ausgesetzt als Polen. In dem Land, in dem ursprünglich mehr als drei Millionen Juden lebten, führten die deutschen Besatzer einen „Volkstumskampf“, dem 5.675.000 Zivilisten zum Opfer fielen. Das Land selbst, Teil des geplanten Lebensraums im Osten, wurde wirtschaftlich ausgebeutet oder mit Volksdeutschen besiedelt, während die ortsansässige Bevölkerung oft deportiert wurde. Die Erinnerung an diese Zeit ist Teil der gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte. Im Deutschen Reich herrschte in der Zeit der Weimarer Republik nach 1918 fast durchweg eine Polen gegenüber feindliche Stimmung vor. Hauptsächlich wurde dies mit den territorialen Verlusten begründet, die Deutschland im Versailler Vertrag gegenüber der nach dem Ersten Weltkrieg errichteten Zweiten Polnischen Republik auferlegt wurden, sowie in den folgenden Auseinandersetzungen während des Großpolnischen Aufstands und der Aufstände in Oberschlesien. In den 1920er Jahren verschärfte daneben noch ein Wirtschaftskrieg das Verhältnis zum östlichen Nachbarn. Polen spielte in der Zwischenkriegszeit eine wichtige Rolle im Bündnissystem der Siegermacht Frankreich, die ein Wiedererstarken Deutschlands zu verhindern suchte. Die polnische Regierung betrieb eine sehr rigide Politik gegenüber den nationalen Minderheiten, die viele Volksdeutsche zur Auswanderung ins Deutsche Reich veranlasste. Auf der zweiten Ebene knüpfte die NS-Propaganda an sehr alte Ressentiments gegenüber dem polnischen Volk an. Es wurde häufig als zurückgeblieben und zu kulturellen Leistungen unfähig charakterisiert. Die Landbevölkerung sei gutmütig, aber dumm und die Umgebung von primitiver Einfachheit geprägt. Auch die nationalsozialistische Propaganda gegen Juden wurde gegen Polen instrumentalisiert, denn ein erheblicher Teil der polnischen Bevölkerung (ca. 10 %) war jüdischen Glaubens. So wurde behauptet, in den „jüdischen“ Städten herrsche Gestank und Schmutz, während

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das Kapital vollständig in jüdischer Hand sei. Die Juden selbst würden sich durch „Grausamkeit, Brutalität, Hinterlist und Lüge“ auszeichnen. Oft wurden sie auch unumwunden als „Deutschenhasser“ bezeichnet. Aber auch die katholische Kirche in Polen war Zielscheibe der nationalsozialistischen Propaganda. Auf einem vom Oberkommando des Heeres (OKH) herausgegebenen Merkblatt hieß es zum Beispiel: „Träger der nationalen Hetze ist im Allgemeinen die katholische Geistlichkeit.“ Somit bestand das Feindbild des polnischen Staates in der nationalsozialistischen Propaganda aus vier Aspekten, nämlich staatlichen, nationalen, rassischen und biologischen: 1. Der polnische Staat sei als Resultat des Versailler Vertrages untragbar; 2. Die Polen seien verantwortungslos und würden das Deutsche Reich bedrohen; 3. Die polnische Bevölkerung sei „rassisch minderwertig“ und „verjudet“; 4. Die polnische Überbevölkerung bedrohe das Deutsche Reich mit ihrer Minderwertigkeit. In den Wochen vor dem Beginn des Krieges berichtete die nationalsozialistische Presse ständig von Grenzzwischenfällen und Übergriffen auf die deutsche Minderheit in Polen. Viele dieser Berichte waren stark übertrieben und propagandistisch zugespitzt. Doch in der Wahrnehmung vieler Deutscher musste es so erscheinen, als wolle Polen tatsächlich einen Krieg provozieren. Sie sahen sich deshalb, als es im September 1939 zum Angriff auf Polen kam, vielfach im Recht. Dabei wurde den Soldaten erklärt, dass sie keine Rücksicht auf die Bevölkerung zu nehmen bräuchten. Schon in der Ansprache Hitlers vor den Oberbefehlshabern am 22. August 1939 hatte es bereits am 22. August 1939 geheißen: „Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg … brutales Vorgehen, größte Härte“.

DIE EINRICHTUNG DER DEUTSCHEN VERWALTUNG IN POLEN Am 15. Mai 1940 teilte Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) mit, dass Polen völkerrechtlich nicht mehr existiere. „Ein Polnischer Staat, mit dem das Deutsche Reich sich im Krieg befindet, ist nicht mehr vorhanden. Die Gebiete der ehemaligen Polnischen Republik sind nach der Vernichtung des polnischen Heeres unter die Souveränität anderer Staaten gestellt worden …“. Damit nahm er zu einer Anfrage des OKW Stellung, inwieweit für die besetzten polnischen Gebiete der völkerrechtliche Begriff des „Kriegsgebietes“ angewendet werden solle. Bereits in den ersten Tagen des Krieges dehnte der Bürgermeister und spätere Gauleiter von Danzig, Albert Forster, seine Befugnisse auf den rückwärtigen Bereich der 4. Armee aus, also auf den Polnischen Korridor, und verdrängte damit Fritz Herrmann als CdZ. Ähnlich verfuhr auch der ostpreußische Gauleiter Erich Koch, der seinem Hoheitsgebiet polnische Territorien zuschlug, die


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Treffen der Deutschen und Sowjetischen Soldaten, September 1939

nunmehr als „Südostpreußen“ (Regierungsbezirk Zichenau) bezeichnet wurden. Schon Anfang September wurde eine Regelung erarbeitet, um dauerhafte Militärbezirke in den besetzten Gebieten einzurichten, welche dann durch einen Führererlass am 25. September 1939 in Kraft trat. Es wurden vier Militärbezirke geschaffen, die jeweils von einem General befehligt wurden, dem wiederum je ein CdZ unterstellt war. Nicht zu diesen Militärbezirken kamen Südostpreußen sowie der gesonderte Militärbezirk Oberschlesien. Am 3. Oktober verlegte die Wehrmacht die meisten Kampfverbände aus Polen in den Westen und der Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst von Rundstedt, übernahm den Befehl über das gesamte besetzte Gebiet. Als ziviler Oberverwaltungschef fungierte unter dessen Befehlsgewalt Reichsminister Hans Frank. Anfang Oktober entschied Hitler dann über die Zukunft des polnischen Territoriums. Das Reichsinnenministerium erarbeitete zwei Gesetzesentwürfe. Das erste Gesetz, der „Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete“, sah die Einrichtung eines Generalgouvernements unter Reichsminister Hans Frank vor. Ein zweites „Gesetz über die Heimkehr der entrissenen Ostgebiete in das Deutsche Reich“ entschied über die anzugliedernden polnischen Gebiete, über deren genaue Abgrenzung das Reichsinnenministerium und das Auswärtige Amt noch beraten sollten. Am 8. Oktober 1939 unterzeichnete Hitler diese Entwürfe, deren Inkrafttreten vom 1. November auf den 26. Oktober vorgezogen wurde, mit denen die Militärverwaltung überstürzt wieder auf-

gehoben wurde. Die Militärführung war nicht rücksichtslos und nicht skrupellos genug. Der „harte Volkstumskampf“ gestatte „keine gesetzlichen Bindungen“, „die Wehrmacht soll es begrüßen, wenn sie sich von den Verwaltungsfragen in Polen absetzen kann“, formulierte Hitler zu den Okkupationszielen im Generalgouvernement. Mit diesen Gesetzen wurden die neuen Reichsgaue, die aus den nun annektierten polnischen Gebieten gebildet wurden, ab dem 26. Oktober 1939 offiziell einer deutschen Zivilverwaltung unterstellt. Aus den annektierten polnischen Gebieten entstanden die Reichsgaue Wartheland (Gauleiter Arthur Greiser), Danzig-Westpreußen (Gauleiter Albert Forster) sowie das „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ (Generalgouverneur Hans Frank). Ostoberschlesien wurde an die Provinz Schlesien angegliedert und Gebiete nördlich von Warschau der Provinz Ostpreußen zugeschlagen (sog. Regierungsbezirk Zichenau, Landkreis Sudauen). Das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete stellte ein relativ unabhängiges Gebilde dar. Es besaß einen eigenen Etat sowie ein eigenes Zollund Währungssystem. Als Sitz des „Amtes des Generalgouverneurs“ (später „Regierung des Generalgouvernements“) wählte Hans Frank Krakau. Das Gebiet unterteilte er in die vier Distrikte Radom, Warschau, Lublin und Krakau zu denen am 1. August 1941 noch der Distrikt Galizien kam. Hans Frank war zwar als GeneralgouKostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16

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Staatsakt auf dem Wawel in Krakau 1939, v. l. n. r. Kurt Daluege, Hans Frank, General von Gienanth

verneur eingesetzt, doch auch viele andere Reichsbehörden waren an der Verwaltung des Generalgouvernements beteiligt. Der Etat wurde vom Reichsfinanzministerium festgelegt, die Reichsbahn verfügte über das Schienennetz, Hermann Göring hatte als „Beauftragter für den Vierjahresplan“ Verordnungsrechte und Himmler griff als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ immer wieder in die Befugnisse Franks ein. Mit Friedrich-Wilhelm Krüger hatte er im Mai 1942 seinen HSSPF Ost zum Staatssekretär für das Sicherheitswesen ernennen lassen, der neben Franks Regierung eine zweite parallele und mächtige Nebenregierung aufbaute. Die Wehrmacht hatte dagegen wenig Einfluss. Der neue Oberbefehlshaber Ost Johannes Blaskowitz protestierte mehrfach gegen die Misshandlung und Ermordung von jüdischen und nicht-jüdischen Polen, bis er im Mai 1940 durch Generalleutnant Curt Ludwig von Gienanth abgelöst wurde. Im Juli 1940 wurde die offizielle Bezeichnung in „Generalgouvernement“ verkürzt und der Oberbefehlshaber Ost in „Militärbefehlshaber im Generalgouvernement“ umbenannt, was den dauerhaften Charakter dieser Einrichtungen kennzeichnete. Über die Zukunft des Generalgouvernements herrschte keine Einigkeit. Martin Bormann schlug vor, das besetzte Land in Reichsgaue aufzuteilen, während Hans Frank es als „Nebenland des Reiches“ bestehen oder als „Vandalengau“ an das Deutsche Reich anschließen wollte. Hitler traf bezüglich des Gebiets keine endgültige Entscheidung. Das

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Generalgouvernement wurde am 1. September 1942 zum Heimatkriegsgebiet erklärt, bevor am 11. September 1944 aufgrund der militärischen Lage das „Heeresgebiet Generalgouvernement“ eingerichtet werden musste. Ab dem Sommer 1944 begann der Zusammenbruch des Generalgouvernements als Folge des sowjetischen Vormarsches und immer stärkerer Aktivitäten von Partisanen. Im Januar 1945 fiel schließlich auch der Verwaltungssitz Krakau an die Truppen der Roten Armee, womit das Generalgouvernement aufhörte zu existieren. Besonders für die als „Lebensraum“ vorgesehenen annektierten Gebiete hatte Hitler einen „volkstumspolitischen Kampf“ angekündigt. Dies bedeutete im Detail, dass dieser Raum „entpolonisiert“, „entjudet“ und der Boden vollständig „germanisiert“ werden sollte. Hitlers „Erlaß zur Festigung des deutschen Volkstums“ vom 7. Oktober 1939 gab Himmler eine Generalvollmacht. Auf drei Wegen wurde die Bevölkerung beseitigt: 1. durch den Massenmord an der polnischen Intelligenz 2. durch die Massenaussiedlung rassisch unerwünschter Bevölkerungsgruppen in das Generalgouvernement 3. durch die Massendeportation polnischer Arbeiter nach Deutschland Die nationalsozialistischen Entscheidungsträger planten, sämtliche Polen und Juden in das Generalgouvernement zu deportieren und stattdessen Volksdeutsche aus


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den verschiedensten Teilen Europas dort anzusiedeln.[22] Einer ersten großen Terrorwelle gegen ethnische Polen fielen zum Jahresende 1939 allein in diesem Raum nach Schätzungen etwa 42.000 Personen zum Opfer. Diese gehörten zum größten Teil der polnischen Intelligenz an, da man seitens der NS-Verwaltung davon ausging, dass Menschen mit höherer Bildung eine Gefahr für die deutsche Besatzungsherrschaft darstellten. Im selben Zeitraum wurden im Generalgouvernement, das vorläufig nicht zur „Germanisierung“ vorgesehen war, „nur“ 5000 Personen verhaftet oder exekutiert. Eine zweite Terrorwelle im Frühjahr 1940 richtete sich erneut gegen eine mögliche polnische Führungsschicht. Ihr fielen allein im Wartheland

5000 Polen zum Opfer. Im Ergebnis waren alle Angehörigen der polnischen Intelligenz in den vom Deutschen Reich annektierten Gebieten bis zum Frühjahr 1941 entweder getötet, in Konzentrationslagern inhaftiert oder zur Zwangsarbeit verschleppt worden. Im Rahmen des Generalplan Ost wurde durch den Nahplan das Vorgehen zur Ansiedlung von Volksdeutschen festgelegt.[24] Zuständig für die Vertreibung der ursprünglichen Einwohner war die Umwandererzentralstelle (vormals „Amt für Aussiedlung von Polen und Juden“), für die Verwertung des zurückgelassenen Vermögens die Haupttreuhandstelle Ost und für die Kostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16

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Polnische „Geiseln“ (Zivilisten und Priester), Bromberg, 9. September 1939

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Das deutsche Warnzeichen im besetzten Polen 1939 – „Zutritt für Polen verboten!“

Neuansiedlung der Volksdeutschen unter dem Propagandabegriff „Heim ins Reich“ die Volksdeutsche Mittelstelle. Allein im Reichsgau Wartheland betraf dies in dem Zeitraum vom 1. April 1941 bis zum 31. Dezember 1943 etwa 200.000 Menschen. Von etwa 670.000 polnischen Zwangsarbeitern, die zwischen 1939 und 1943 nach Deutschland verschleppt wurden, stammten allein 450.000 aus dem Wartheland, 124.000 aus Westpreußen und 71.000 aus Ostoberschlesien. Im selben Zeitraum wurden weitere 1.500.000 Polen aus diesen Gebieten vertrieben, um Siedlungsraum für etwa 500.000 Volksdeutsche aus dem Baltikum, den ehemaligen polnischen Ostprovinzen und dem Balkan zu schaffen. Beispielhaft war die Entwicklung in Posen. In der Stadt lebten 1939 6000 Deutsche und 274.000 Polen. Drei Jahre später hingegen lebten dort 95.000 Deutsche und nur noch 174.000 Polen. Im ganzen Wartheland stieg die Zahl der Deutschen von 325.000 im Jahre 1939 auf 786.000 im Jahre 1942. Im gleichen Zeitraum fiel die Zahl der polnischen Bevölkerung um 861.000 Menschen auf 300.000. Ein Instrument, den deutschen Bevölkerungsanteil zu steigern, war die zweifelhafte Einstufung der Bewohner nach den Kriterien der Deutschen Volksliste.

POLITIK IM GENERALGOUVERNEMENT Das „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ war zunächst als Konzentrationsraum für

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alle Volksgruppen vorgesehen, die nicht in die „Lebensraum“-Ideologie der Nationalsozialisten passten. Ursprünglich sollten 8 Millionen Juden, Zigeuner und Polen in das Generalgouvernement abgeschoben werden, doch die Zahl musste bald auf eine Million reduziert werden, die in drei „Nahplänen“ deportiert werden sollten. Zum einen hatte Oberverwaltungschef Hans Frank sich ab Ende 1939 einer zu großen Zahl Deportierter widersetzt, da dies zum wirtschaftlichen Chaos im Generalgouvernement geführt hätte, zum anderen sprach sich auch die Wehrmachtführung gegen diese Pläne aus, weil der logistische Aufwand die Kriegsanstrengungen zu gefährden schien. Deshalb wurde nur der erste „Nahplan“ ausgeführt. Letztendlich wurden bis zum Frühjahr 1941 ca. 460.000 Menschen in das Generalgouvernement deportiert. Diese kamen völlig mittellos an und wurden meist zur Arbeit in den Rüstungsbetrieben gezwungen. Da jedoch Alte, Kranke und Kinder nicht arbeitsfähig waren, führte das zu katastrophalen Lebensbedingungen für diese Menschen. Darüber hinaus blieb das Gebiet des Generalgouvernements während des Krieges von zahlreichen Verbänden der Wehrmacht und der SS besetzt, für deren Unterhalt gesorgt werden musste. Von 1940 bis 1942 wurden allein 188 Dörfer entvölkert, um Platz für die Einrichtung von Truppenübungsplätzen zu schaffen. Von solchen Maßnahmen waren etwa 171.000 Bauern betroffen.


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Bundesarchiv. Ghetto Warschau, Kind in Lumpen

Auch in den Städten kam es zu Enteignungen, da zahlreiche Wohnungen und Gebäude kurzerhand für die deutschen Verwaltungsbeamten beschlagnahmt wurden. Auf diese Weise entstanden in vielen Städten ganze deutsche Wohnviertel.

Öffentliche Hinrichtung, Generalgouvernement 1942

Sämtliche im Gebiet des Generalgouvernements auffindbaren Goldbestände und Devisen wurden an die Reichsbank überstellt und dem Generalgouvernement formell gutgeschrieben. Diese Gelder wurden sogleich vom Reichsfinanzministerium beansprucht, welches auch das Generalgouvernement finanziell in Verantwortung zog, indem es einen „Beitrag des Generalgouvernements für seinen militärischen Schutz“ einforderte. Im Jahre 1941 belief sich diese Summe auf 150 Millionen Złoty, welche jedoch rückwirkend auf 500 Millionen Złoty erhöht wurde. Im folgenden Jahr waren es bereits 1,3 Milliarden und 1943 schließlich 3 Milliarden Złoty. Zusätzlich verlangte die Wehrmacht die Erstattung der Besatzungskosten von 400.000 Soldaten, obwohl tatsächlich nur 80.000 Mann im Land standen. Diese Kosten machten monatlich weitere 100 Millionen Złoty aus. Da die Besatzungstruppen mit diesen Einnahmen viele Waren förmlich aufkauften, kam es unter der polnischen Bevölkerung zu akutem Mangel an Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen. Um die Geldforderungen einzutreiben, beschlagnahmte die Verwaltung des Generalgouvernements den Besitz von Juden und Polen, die man als Staatsfeinde Kostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16

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Befriedung der Region Zamość – polnische Bauern ermordet von Deutschen

verdächtigte. Zudem kam es zu einer drastischen Erhöhung der Einkommens- und Grundsteuer und es wurde zeitgleich noch eine neue „Bürgersteuer“ eingeführt. Davon waren jedoch niemals deutsche Personen betroffen, die bis zu einem Jahreseinkommen von 8400 Złoty keine Steuern bezahlen mussten und damit günstiger als im Deutschen Reich selbst lebten. Insgesamt wird die Gesamtsumme, welche von 1939 bis 1945 aus dem Generalgouvernement gepresst wurde, auf 5,50 Milliarden Reichsmark geschätzt. Unmittelbar nach dem Einmarsch wurde die polnische Presse, die Nachrichtenagenturen und auch der polnische Rundfunk beseitigt. Nur deutsche Zeitungen erschienen in polnischer Sprache. Das Ziel der nationalsozialistischen Kulturpolitik bestand darin, das Entstehen einer neuen polnischen Intelligenz sowie jeglicher Kritik zu verhindern. Heinrich Himmler fasste seine Ansichten über die Bildung der polnischen Bürger wie folgt zusammen: „Für nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, […] Lesen halte ich nicht für erforderlich.“ Folglich wurden sämtliche Hochschulen und Oberschulen sowie alle Universitäten geschlossen. Polen und Juden wurde es grundsätzlich verboten zu studieren. Die Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter wurden verfolgt

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und in Konzentrationslager deportiert (z. B. Sonderaktion Krakau und Lemberger Professorenmord). Nur im Generalgouvernement existierten noch Berufsschulen, um Facharbeiter für die Rüstungswirtschaft auszubilden. In einem weiteren Schritt wurden alle kulturellen Einrichtungen, wie Vereine, Museen, Opern, Theater und Bibliotheken geschlossen. Im Generalgouvernement waren Opern und Theater von dieser Regelung zwar ausgenommen, doch es wurde ihnen verboten „gehobene“ Unterhaltung zu bieten. Ebenso wurde die lokale Presse stillgelegt. An ihre Stelle traten Propagandablätter der Besatzungsmacht, welche die Aufgabe hatten, die polnische Bevölkerung zu indoktrinieren und Anordnungen der deutschen Behörden zu veröffentlichen (Krakauer Zeitung, Warschauer Zeitung). Kulturgüter wurden entgegen der Haager Landkriegsordnung systematisch von sachverständigen Sondereinheiten (z. B. Sonderkommando Paulsen des Reichssicherheitshauptamtes, Wolfram Sievers der Generaltreuhänder für die „Sicherung deutschen Kulturguts“, SS-Führer Kajetan Mühlmann u. a.) geplündert und ins Reich verbracht. Man geht von etwa 500.000 geraubten Kunstgegenständen aus, die zur persönlichen Bereicherung oder zum Aufbau und Ausbau deutscher Museumsbestände wie dem Führermuseum Linz verwendet wurden. Auch ein Großteil der Bibliotheken und Archive wurde systematisch geplündert und zerstört. Auch im Generalgouvernement wurde die polnische Intelligenz das Opfer gezielter Terrormaßnahmen. Nach


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Deutsche Einheiten verladen polnische Kunstwerke der Nationalen Kunstgalerie Zachęta in Warschau, Juli 1944

Warschau, 10. Mai 1944

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Karte der Arbeits- und Vernichtungslager im von Deutschland besetzten Europa um 1942

einer ersten Terrorwelle zum Jahreswechsel 1939/40 kam es im Mai 1940 zu einer großangelegten „Außerordentlichen Befriedungsaktion“ (AB-Aktion), bei der 4000 Menschen ermordet wurden. Danach kam es jedoch nicht mehr zu Massenerschießungen, die sich ausschließlich gegen die polnische Intelligenz richteten, da man seitens des Deutschen Reiches erkannt hatte, dass man für die Verwaltung des Generalgouvernement auf Fachkräfte wie Ärzte und Ingenieure angewiesen war. Diese Fachkräfte formten einen polnischen „Hauptausschuss“ mit regionalen Unterausschüssen. Deren Aufgabe war es, karitativ für die Bevölkerung zu sorgen; zu diesem Zweck erhielten sie öffentliche Gelder. Eine größere Beteiligung von Polen an der Verwaltung wurde von Hitler jedoch abgelehnt. Himmler selbst ordnete die Verhaftung von 20.000 weiteren Personen an, die in einem Konzentrationslager eingewiesen werden sollten. Zu diesem Zweck entstand das Lager Auschwitz, in dem am 14. Juni 1940 der erste Gefangenentransport eintraf.

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Konzentrations- und Vernichtungslager der NS-Diktatur entstanden in unterschiedlichen zeitlichen Stadien von deren Herrschaft. Bereits ab 1933 begann das NS-Regime mit der Einrichtung von Konzentrationslagern. Die Vernichtungslager mit fabrikmäßig organisierter Ermordung von Menschen in Gaskammern wurden ab Frühjahr 1942 betrieben. Zuvor waren im Vernichtungslager Kulmhof in einer ersten Phase ab Dezember 1941 Juden in dort stationierten Gaswagen ermordet worden. Im Gegensatz zu anderen Konzentrationslagern, wo Inhaftierte neben einzelnen Morden vor allem durch systematisch herbeigeführte Krankheit und Unterernährung sowie übermäßige Arbeit starben, die „Vernichtung durch Arbeit“, dienten die Vernichtungslager allein der sofortigen Ermordung der dorthin Deportierten, die mit speziellen Eisenbahnzügen in die Lager gebracht wurden. Nachdem ein Transport das Lager erreicht hatte, wurden die Angekommenen meistens ungeachtet von Alter, Geschlecht und Arbeitsfähigkeit in den Gaskammern ermor-


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Eine Gruppe von Juden, die nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 von der SS gefangen genommen wurden

det. Nur aus manchen Transporten wurde eine geringe Anzahl arbeitsfähiger Menschen zurückgehalten, die für bestimmte Funktionen im Lager wie etwa in der Küche, als Totengräber, Leichenverbrenner sowie im Sortier- und Reparaturbetrieb vom NS-Regime benötigt wurden. Zum Zeitpunkt des deutschen Angriffs gab es in Polen ungefähr 3.474.000 Juden, was fast 10 % der Gesamtbevölkerung entsprach. Die erste Terrorwelle vom September/Oktober 1939 galt nicht in erster Linie der jüdischen Bevölkerung, sondern der polnischen Intelligenz. Trotzdem wurden nach Schätzungen allein bis zum Jahresende 1939 bis zu 7000 Juden Opfer der Einsatzgruppen. Die NS-Führung spielte im September und Oktober 1939 mit der Idee, einen „fremdsprachigen Gau“ als „Judenreservat“ zwischen der Weichsel und dem Bug an der neuen Grenze zur Sowjetunion einzurichten. Die Deportation dorthin sollte ein Jahr dauern, wobei zuvor die jüdische Bevölkerung in Sammellagern konzentriert werden sollte, um sie besser kontrollieren zu können. Doch bald erwies sich die Umsiedlung von Volksdeutschen als dringlicher und das Projekt wurde fallen gelassen. Erschwerend kam hinzu, dass Hitler das Generalgouvernement als sicheren Aufmarschraum für künftige Kriege vor-

sah und die Wehrmachtführung aus demselben Grund nicht wünschte, „dass in der Nähe der deutsch-sowjetischen Grenze eine Zusammenballung von Juden stattfindet.“. Einziger Ansatz blieb die Nisko-Aktion, bei der am 20. und 28. Oktober 1939 insgesamt 4700 Menschen nach Nisko am Fluss San deportiert und über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie getrieben wurden. Trotzdem hatte der Reservat-Plan viele Anhänger. So schrieb man in einem Dokument des „Judenreferats“ des SD noch am 19. Dezember 1939: „Außenpolitisch wäre ein Reservat außerdem ein gutes Druckmittel gegen die Westmächte. Vielleicht könnte hierdurch bei Abschluss des Krieges die Frage der Weltlösung aufgeworfen werden.“ An der Einrichtung von Konzentrationspunkten wurde trotz der Aufgabe des Projekts festgehalten, weshalb von den deutschen Besatzern verharmlosend Jüdische Wohnbezirke/Ghettos genannte Sammellager in den größeren Städten errichtet wurden, in welche nunmehr die gesamte jüdische Bevölkerung deportiert wurde. Von dieser Maßnahme versprach sich die NS-Verwaltung eine größere Kontrolle über die Juden. Am Ende des Jahres 1941 wurde schließlich beschlossen, die jüdische Bevölkerung noch vor Ort zu vernichten (siehe Aktion Reinhardt). Zu diesem Zweck entstand Kostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16

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Kinder aus dem Ghetto Łódź warten auf ihre Deportation ins Vernichtungslager Kulmhof

Pawiak-Gefangene, von den Deutschen an der Leszno Str. in Warschau gehängt. 11. Februar 1944.

in Kulmhof das erste Vernichtungslager, in dem vor allem Juden aus dem Warthegau ermordet wurden. Später folgten Belzec (März 1942), Sobibor (Mai 1942), AuschwitzBirkenau (Juni 1942), Treblinka (Juli 1942) und Majdanek (September 1942). Somit standen sechs der sieben

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Vernichtungslager auf dem Gebiet des ehemaligen polnischen Staates, dem damit eine Schlüsselrolle im logistischen System des Holocaust in ganz Europa zukam. In diesen Lagern wurde bis zum Ende des Jahres 1943 zunächst die Mehrheit der polnischen Juden ermordet. Dann wurden in diesen Lagern aber auch sowjetische Kriegsgefangene, Roma und Sinti sowie Juden aus ganz Europa und viele andere Menschen ermordet. Im Lagerkomplex Auschwitz wurden etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet. Der Name „Auschwitz“ wurde in der Nachkriegszeit weltweit zum Symbol des nationalsozialistischen Völkermords (Holocaust/Shoa). Von den mehr als 5,6 Millionen Opfern des Holocaust wurden etwa eine Million Juden als rassistisch verfolgte Menschen in Auschwitz-Birkenau ermordet.[1] Des Weiteren gab es ca. 160.000 nichtjüdische Opfer. Etwa 900.000 der deportierten Personen wurden direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet. Weitere 200.000 Menschen kamen durch Krankheiten, Unterernährung, Misshandlungen und medizinische Versuche zu Tode oder wurden später als zur weiteren Zwangsarbeit untauglich selektiert und ermordet. Herkunftsländer der meisten Ermordeten waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei und Ungarn.


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Pawiak-Gefangene, von den Deutschen an der Leszno Str. in Warschau gehängt. 11. Februar 1944.

VERLUSTE UND KRIEGSSCHÄDEN POLENS 1939–1945 Nachkriegsschätzungen des Kriegsentschädigungsbüros im Präsidium des Ministerrates von 1947 (Bericht über das Kriegsentschädigungsbüro über Verluste und Kriegsschäden Polens 1939–1945) zeigten enorme polnische Verluste bei Menschen, nationalem Eigentum und kulturellem Erbe: Todesfälle während der deutschen Besatzung (1939– 1945) - 6.028 Millionen [73] polnische Staatsbürger (644.000 infolge von Feindseligkeiten, darunter 123.000 Soldaten und 521.000 Zivilisten, 5.384.000 als Opfer des Terrors der deutschen Besatzer) . Über 5 Millionen Menschen waren direkt vom nationalsozialistischen Terror betroffen, und 863.000 Polnische Staatsbürger überlebten deutsche Lager. Polen verlor im Vergleich zu anderen vom Dritten Reich besetzten Ländern pro 1000 Bürger - 220 Personen (USA - 2,9, Belgien - 7, Großbritannien - 8, Frankreich - 15, Niederlande - 22 und UdSSR - 116 Bürger). Opfer des Germanisierungsprogramms für Kinder (Kinderraub) - 200.000 Polnische Kinder, die größte Zahl unter allen Ländern, in denen dieses Programm durchgeführt wurde. Nach dem Krieg wurden nur 10-15% der Kinder zurückgekommen (ca. 30.000).

Opfer von dauerhafter Behinderung - 590 Tausend Menschen, Opfer von Krankheiten 1,14 Millionen (hauptsächlich Tuberkulose). Zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert - 2,46 Millionen Menschen. Vertriebene - 2,478 Millionen. Verlust von nationalem Eigentum - 38% des Zustandes vor 1939 (der Besatzer verursachte den größten Schaden in Industriezentren und Metropolen). Raub polnischer Kulturgüter - insgesamt 43%. 25 Museen, 35 Theater, 665 Kinos, 323 Volkshäuser wurden zerstört. Verluste durch irreparable Zerstörung von Museums-, Archiv- und Bibliotheksbeständen - unmöglich genau abzuschätzen, betrugen die Verluste der Bibliotheksbestände allein etwa 66%. 22 Millionen Bücher wurden irreversibel zerstört, über 500.000 wurden weggenommen Einzelexemplare von Kunstwerken und historischen Gebäuden. Verluste in der polnischen Bildung - 17 Hochschulen, 271 Gymnasien, 4.880 Grundschulen und 768 andere Schulen wurden zerstört. Darüber hinaus die Zerstörung Kostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16

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KZ Auschwitz-Birkenau. Foto vom Torhaus, 1945. Aufnahme Stanisław Mucha. Bundesarchiv

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Untergrundpresse. Nr.70/01.07.1943, Bekanntmachung: im Rahmen einer allgemeinen Vergeltung für die deutsche Brutalität in Polen und insbesondere für die Ermordung von 189 Polen in Posen und das am 7. Mai durchgeführte Massaker an 94 Pawiak-Gefangenen, wurden am 10.05.1943 um 21 Uhr zwei Bomben am Schlesischen Bahnhof in Berlin und am 12. Mai 1943 am Breslauer Bahnhof – eine Bombe gezündet und am 12. Mai 1943 um 21.30 Uhr am Breslauer Bahnhof – eine Bombe. Bei beiden Angriffen wurden 15 Deutsche getötet und 20 verletzt. 28.06.1943

von Forschungsinstituten, wissenschaftlichen Gesellschaften und verschiedenen Arten von Stiftungen. Verluste der Gesundheitsversorgung (Krankenhausbesitz, Infrastruktur, Gebäude) - 55% des Staates vor 1939. 352 Krankenhäuser, 29 Anti-Tuberkulose-Sanatorien, 24 Kür-Behandlungszentren, 47 Sozialversicherungsunternehmen, 778 Gesundheitszentren und Ambulanzen, 1450 Arzt- und Zahnarztpraxen wurden zerstört. Verluste in der Industrie (sowohl vorsätzliche Zerstörung als auch Plünderung von Maschinen und Geräten) - 64,5% chemische Industrie, 64,3% Polygraphie, 59,7% Elektrotechnik, 55,4% Kleidung, 53,1% Lebensmittel, 48% Metall. Zerstörung von Eisenbahn-, Straßen-, Luft- und Seeverkehr, Telekommunikations-infrastruktur in über 50% (13 Radiosender, 7 Funktelegraphenstationen wurden zerstört, 867.000 Funkempfänger wurden beschlagnahmt). 2.465 Lokomotiven, 6.250 Eisenbahnwaggons, 83.636 Güterwagen, 25 Seeschiffe und 39 Hafenschiffe wurden geplündert oder zerstört. 5.948 km Eisenbahnschienen,

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47.767 Laufmeter Eisenbahnbrücken und Viadukte, 14.900 km Straßen mit festem Untergrund und 15.500 Laufmeter Straßenbrücken wurden zerstört.

WIEDERSTAND DER POLEN Trotz des vorherrschenden Terrors ergaben sich die Polen nicht dem deutschen Besatzer. Der Untergrundstaat bildete sich in Polen rasch im Zuge der deutschen Unterdrückung und schloss an die lange Tradition des polnischen Widerstandes gegen fremde Besatzer im Rahmen der Polnischen Teilungen an. Er stellte eine in diesem Ausmaß bislang nicht anzutreffende Erscheinung in der Geschichte des europäischen Untergrundes dar.

POLNISCHER UNTERGRUNDSTAAT (POLSKIE PAŃSTWO PODZIEMNE) Der Untergrundstaat bildete sich in Polen rasch im Zuge der deutschen Unterdrückung und schloss an die lange Tradition des polnischen Widerstandes gegen fremde Besatzer im Rahmen der Polnischen Teilungen an. Er stellte eine in diesem Ausmaß bislang nicht anzutreffende Erscheinung in der Geschichte des europäischen Untergrundes dar.


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Wilno – „Jumba“ Zug der 3. Vilnius Brigade

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Soldaten während des Warschauer Aufstands.

Der militärische Teil bestand vor allem aus verschiedenen Zweigen der Polnischen Heimatarmee und sollte die polnische Gesellschaft auf einen zukünftigen Kampf um die Befreiung des Landes vorbereiten. Abgesehen von Widerstand, Sabotage, Ausbildung und Propaganda war es Aufgabe des militärischen Arms des polnischen Untergrundstaates, die Kommunikation mit der Exilregierung in London aufrechtzuerhalten sowie den zivilen Arm des Staates zu schützen. Die Hauptrolle des Letzteren lag in der Aufrechterhaltung der Kontinuität des polnischen Staates als Ganzem, inklusive seiner Institutionen, darunter Polizei, Gerichte und Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen, von den Grundschulen, über die Oberschulen bis zu den Hochschulen. Es fand u. a. eine konspirative Ausbildung an Untergrunduniversitäten in Warschau, Krakau, Wilna und Lemberg statt. Es wurde auch ein geheimes Presse- und Sozialfürsorgewesen organisiert. Die Geldmittel hierfür stammten aus der Bevölkerung selbst oder aus Mitteln, die aus London eingeschleust worden waren. Dieser zivile Arm des Widerstandes ging nahtlos in den Aufbau bewaffneter Verbände über. Es sollten Kader und Institutionen für die Übernahme der Macht nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg ausgebildet werden.

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Der Gedanke hinter dem polnischen Untergrundstaat bestand darin, dass die Besetzung Polens durch das Deutsche Reich und durch die Sowjetunion völkerrechtswidrig war. Daher wurden auch alle Institutionen der Besatzungsmächte als illegal angesehen und durch parallele polnische Institutionen, die polnischem Recht folgten, „gedoppelt“.

ORGANISATIONSSTRUKTUR 1. Militärischer Bereich • Hauptquartier der AK (Heimatarmee) • Gebietshauptquartiere der AK (Heimatarmee) • Kreishauptquartiere der AK (Heimatarmee) • Leitung der Sabotage (Kierownictwo Dywersji, KeDyw) • Leitung des Kampfes 2. Ziviler Bereich • Regierungsvertretung im Lande (Delegatura Rządu na Kraj) • Leitung des Zivilen Kampfes (Kierownictwo Walki Cywilnej) • Gebietsvertretungen

GESCHICHTE Die polnischen Militärs hatten bereits am 27. September 1939, also kurz vor der Kapitulation, und noch


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Postboten der Pfadfinder-Feldpost Zawisza während des Warschauer Aufstands

vor der Entstehung der Exilregierung, die Untergrundorganisation Służba Zwycięstwu Polsce (Dienst für den Sieg Polens, SZP) gegründet.[3] Des Weiteren bildeten sich bereits Wochen nach der Niederlage der regulären Armee spontan weitere Widerstandsgruppen. Sie speisten sich vorwiegend aus dem Reservoir ehemaliger Offiziere und Beamter, sowie aus den Jugendorganisationen der Parteien. Insbesondere Pfadfinderorganisationen (Szare Szeregi) stellten später einen großen, und oftmals besonders motivierten Teil der Rekruten für den Widerstand. Der polnische Widerstand ordnete sich der Exilregierung unter, da er seinem Selbstverständnis nach von Beginn an eine Fortsetzung der Zweiten Republik war. Die Exilregierung bemühte sich, all diese Widerstandsgruppen zusammenzuschließen, sodass bis zum Jahreswechsel 1943/44 der ZWZ (poln.: Związek Walki Zbrojnej; dt.: Verband für den Bewaffneten Kampf) entstand, der den größten Teil des polnischen Widerstandes in sich vereinte. Der vereinigte Widerstand wurde im Weiteren als Armia Krajowa (dt.: Heimatarmee, Abkürzung: AK) bezeichnet. Sie umfasste 1944 insgesamt rund 300.000–350.000 Mitglieder. Diesem Bündnis blieben nur die Kräfte der extremen Rechten und der

extremen Linken fern: Auf der einen Seite die rechtsnational-antikommunistische NSZ-Miliz mit rund 35.000 Mitgliedern, auf der anderen Seite die kommunistische Armia Ludowa (dt.: Volksarmee; Abkürzung: AL), die sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion als Gegenpol zur AK aufzubauen versuchte. Sie erreichte rund 100.000 Mitglieder. London und die AK-Führung in Polen waren sich einig, dass die Hauptaufgaben des Widerstandes darin bestehen sollten, Spionagearbeit für die Alliierten zu leisten, die deutsche Rüstung und das Transportwesen durch Sabotageakte zu schädigen, und besonders brutale Aktionen des Besatzers zu vergelten. Man wollte zunächst keine offenen kriegerischen Aktionen durchführen. Zum einen wegen der zu Beginn noch geringen militärischen Stärke des ZWZ, zum anderen um seitens der deutschen Besatzer keine Repressionen gegenüber der Zivilbevölkerung zu provozieren. Der Befehlshaber des ZWZ im Untergrund, Oberst Stefan Rowecki schrieb im November 1939: Der Widerstand kann erst dann offen auftreten, wenn Deutschland zusammenbricht, oder zumindest ein Bein einknickt. Dann sollten wir fähig sein, im zweiten Bein Adern und Sehnen durchzuschneiden, damit der deutsche Koloss umfällt. Kostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16

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Zerstรถrtes Warschau. Januar 1945

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Soldaten auf der Barrikade während des Warschauer Aufstands.

Der Widerstand radikalisierte sich erst, als man erkannte, dass sein „gemäßigtes“ Auftreten keinen Einfluss auf die radikale Unterdrückung und Vernichtung der Polen und Juden durch die deutschen Besatzer hatte. 1943 wurde die Kedyw als Organisation für Sabotage und Diversionsakte gegründet. Unter ihrer Ägide wurden Brandanschläge, Diversionsakte, Gefangenenbefreiungen und sogar Anschläge auf SS-Führer geplant und durchgeführt. Der Widerstand stand über Kuriere in Verbindung mit der polnischen Exilregierung und wurde von ihr finanziell und – zu einem geringen Ausmaß – auch mit Waffen unterstützt.[8] Ebenso betrieb der Widerstand groß angelegte Spionageoperationen im Dienste der Alliierten. Man entschlüsselte unter anderem die Produktionsstandorte der Raketenwaffe V1. Im Juli 1944 wurde eine zerlegte V2-Rakete, die von polnischen Widerstandskämpfern erbeutet worden war, von der RAF nach England ausgeflogen.

AKTION „BURZA“ Im Jahre 1944 ging die Heimatarmee zur Aktion „Burza“ („Gewitter“) über. Das Ziel der Operation war es, die sich auf der Flucht befindenden deutschen Einheiten durch Militäraktionen und Sabotage zu schwächen beziehungsweise zu vertreiben und den einrückenden sowjetischen Truppen die Möglichkeit zu nehmen, eine pro-sowjetische Regierung in Polen zu etablieren.

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Letztendlich konnten nur die Aufstände in Wilna und Lemberg erfolgreich durchgeführt werden. Die Einheiten wurden dann aber von den Sowjets entwaffnet und deportiert.

WARSCHAUER AUFSTAND Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, der die größte einzelne bewaffnete Erhebung im besetzten Europa während des Zweiten Weltkrieges darstellte. Personell war die Heimatarmee (AK) mit rund 45.000 Kämpfern in und um Warschau gut ausgestattet. Unter dem Kommando der kommunistischen Armia Ludowa (AL) standen in Warschau rund 1.300 Soldaten, die sich dem Aufstand anschlossen. Es fehlte allerdings an Waffen, Ausrüstung und Munition. Nur jeder vierte Kämpfer der AK verfügte zu Aufstandsbeginn über eine Schusswaffe. Nach den Berechnungen des Chefs der Warschauer Kreises der AK Antoni Chruściel würden die Ressourcen nur für drei bis vier Tage offensives Gefecht oder zwei Wochen defensive Operationen genügen. In Ermangelung eigener Vorräte behalfen sich AK-Kämpfer während des Aufstandes oft mit erbeuteten deutschen Uniformen und Stahlhelmen. Die polnische Führung hoffte allerdings auf Luftunterstützung seitens der Westalliierten und den Einsatz der an der Westfront kämpfenden polnischen Fallschirmtruppen. Den Aufständischen gelangen einige Erfolge. So konnten sie im Laufe der ersten Kampftage das 68 Meter hohe Gebäude der Versicherungsgesellschaft Prudential als


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Warschauer Aufstand – Hilfe aus der Luft

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Kapitulation am 5. Oktober 1944

weithin sichtbare Landmarke erobern. Des Weiteren brachten sie das zentrale Postgebäude der Stadt sowie das Elektrizitätswerk unter ihre Kontrolle. Einige wichtige Gebäude, wie die Telefonzentrale wurden von ihnen belagert. Ebenso griffen die Widerstandskämpfer die noch bestehenden Durchgangslager planmäßig an und befreiten so zahlreiche KZ-Insassen. Im Großen und Ganzen konnten sie rund die Hälfte Warschaus links der Weichsel unter ihre Kontrolle bringen. Viele strategisch wichtige Ziele blieben aber in der Hand der deutschen Besatzungstruppen. So gelang es den AK-Kämpfern nicht, die Weichselbrücken von deutschen Truppen freizukämpfen. Damit blieb die Ost-West-Verbindung durch die Stadt für deutsche Truppenbewegungen offen, auch wenn sie von den Soldaten der Heimatarmee ständig bedroht wurde. Ebenso konnten die Deutschen die Angriffe auf die beiden Flughäfen der Stadt, die Universitätsgebäude und das Polizeihauptquartier abschlagen. Beide Seiten hatten damit ihre Ziele verfehlt. Die Deutschen konnten den Aufstand nicht niederschlagen und die AK hatte die Schlüsselpositionen der Stadt nicht in ihrer Gewalt. Warschau glich nach den ersten Kampftagen einem „Puzzle“ aus deutsch oder polnisch kontrollierten Sektoren, Gruppen beider Seiten waren oftmals isoliert und eingekesselt. Die polnischen Widerstandskämpfer hatten allein am ersten Tag rund 2.500 Soldaten verloren, die Deutschen hatten 500 Tote zu beklagen. Am 3. August versuchten Panzereinheiten der Division Hermann Göring, die Straßenverbindung Richtung Osten wieder für den Nachschub an die Ostfront durchgängig zu machen. Sie scheiterten aber am Feuer der Aufständi-

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schen. Ein zweiter Versuch durch ein Grenadier-Regiment der Wehrmacht schlug ebenso fehl. Bei diesen Einsätzen wurden planmäßig polnische Zivilisten von deutschen Truppen als so genannte menschliche Schutzschilde missbraucht. Himmler hatte im Sinne Hitlers bereits Tage zuvor den Befehl gegeben, sämtliche nichtdeutschen Einwohner Warschaus ohne Ansehen von Alter, Geschlecht oder Beteiligung am Aufstand zu töten und die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Durch diese Anordnung wollte er den Widerstand des polnischen Volkes gegen die NS-Herrschaft ein für alle Mal brechen. Infolgedessen endete der Angriff der „Kampfgruppe Reinefarth“ gegen den westlichen Stadtteil Wola mit einem Massaker an der Zivilbevölkerung. Schätzungen zufolge töteten die deutschen Einheiten zwischen 20.000 und 50.000 polnische Zivilisten. Die Einheiten vermieden es sogar, den Kampf gegen die Heimatarmee aufzunehmen. Der Kommandeur der in Wola liegenden AK-Einheiten bezeichnete seine Verluste an Soldaten mit 20 Toten und 40 Verwundeten. Reinefarth beschwerte sich unterdessen bei seinen Vorgesetzten, dass die ihm zugeteilte Munition nicht ausreiche, um alle gefangenen Zivilisten zu erschießen. Nach dem Fall der Altstadt verteidigte der Widerstand noch drei große Gebiete innerhalb der Stadt. Das Stadtzentrum war von deutschen Truppen in zwei Teile gespalten, doch umfasste es den stärksten Bezirk der AK. Hier befanden sich 23.000 Soldaten und die Verwaltung der Aufständischen war hier am weitesten fortgeschritten. Es gab Zeitungen, einen Postdienst, einen Radiosender sowie eine eigene Waffenproduktion, in der vor allem Handgranaten gefertigt wurden.


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In der Mitte General Tadeusz Komorowski „Bór“ - in Warschau nach der Kapitulation des Aufstands

Am 13. August 1944 begannen die Deutschen mit 39.000 Soldaten die Offensive gegen die Aufständischen in der Altstadt. Von dem Bach-Zelewski hatte dieses Ziel gewählt, um die Eisenbahnbrücken und somit die Nachschubverbindung zur 9. Armee, die an der Ostfront kämpfte, wiederherzustellen. Ihnen gegenüber standen 6.000 Kämpfer des Widerstands, die sich in dem wenige Quadratkilometer großen Stadtviertel mit rund 100.000 Zivilisten befanden. Die deutschen Truppen gingen dabei im Schutz von Panzern und unterstützt durch Artillerie und Luftwaffe entlang der Straßen vor. Diese Vorgehensweise scheiterte an der Guerillataktik der Aufständischen. Insbesondere der Einsatz polnischer Scharfschützen wurde von deutschen Stellen als besonders wirksam beschrieben. Es dauerte mehrere Tage, bis die Deutschen grundlegende Taktiken der Aufständischen übernahmen und anstatt der Bewegung unter freiem Himmel Mauerdurchbrüche und Kellergänge sowie hauptsächlich die Kanalisation zur Fortbewegung nutzten. In diesem Häuserkampf konnten sie aber ihre zahlenmäßige Überlegenheit an Menschen und schweren Waffen kaum mehr zum Tragen bringen. Der Kampf um die Altstadt wurde somit zu einer Schlacht um jeden Raum und jedes Gebäude. Bis zum 21. August hatten die deutschen Truppen die AK auf ein Gebiet von einem Quadratkilometer zurückgedrängt. Sie hatten bis zu diesem Datum rund 2.000 Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren. Die deutschen Verluste beliefen sich bis zum 26. August auf rund

4.000 Mann. Am 31. August entschloss sich das AK-Kommando der Altstadt, die restlichen Kämpfer und Zivilisten zu evakuieren. Sie zogen sich unbemerkt von den Deutschen über die Kanalisation in das von der AK kontrollierte Stadtzentrum zurück. Die Bemühungen der Verwaltung der Aufständischen, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, scheiterten. Ab dem 20. August waren keine Anästhetika mehr verfügbar und Operationen wurden bei vollem Bewusstsein durchgeführt. Am 22. August wurden die letzten Brotrationen an AK-Kämpfer ausgegeben. Rund 25.000 bis 30.000 Zivilisten fanden in der Altstadt den Tod. Deutsche Stellen sprachen von rund 35.000 internierten Zivilisten nach der Eroberung des Viertels. Diese Menschen erwartete die Deportation zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich. Nach der vollständigen Eroberung der Altstadt am 1. September 1944 begannen deutsche Truppen verwundete Zivilisten und AKSoldaten zu erschießen. Nur in einem Fall verhinderten befreite deutsche Kriegsgefangene, die von ihren polnischen Gegnern im selben Lazarett wie Widerstandskämpfer und Zivilpersonen versorgt worden waren, den Massenmord. Des Weiteren sind Erschießungen gefangener AK-Soldaten durch deutsche Einheiten auch während der Kämpfe belegt. Nach dem Fall der Altstadt verteidigte der Widerstand noch drei große Gebiete innerhalb der Stadt. Das Stadtzentrum war von deutschen Truppen in zwei Teile gespalKostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16

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ten, doch umfasste es den stärksten Bezirk der AK. Hier befanden sich 23.000 Soldaten und die Verwaltung der Aufständischen war hier am weitesten fortgeschritten. Es gab Zeitungen, einen Postdienst, einen Radiosender sowie eine eigene Waffenproduktion, in der vor allem Handgranaten gefertigt wurden. Im Süden des Zentrums lag Mokotów. Seit den ersten Aufstandstagen, an denen es zu Kämpfen und Erschießungen durch deutsche Truppen gekommen war, war es hier relativ ruhig geblieben. Ein Versuch, die Verbindung zum Zentrum freizukämpfen, scheiterte allerdings Ende August, so dass Mokotów isoliert blieb. Im Norden des Zentrums hielten die Aufständischen mit dem Bezirk Żoliborz eine kleinere Insel des Widerstands. Am 23. September eroberten die deutschen Truppen Żoliborz. Nachdem die letzten dortigen AK-Einheiten kapituliert hatten, kam es zu einem Massaker an der Zivil-

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bevölkerung. Vier Tage später kapitulierten die AK-Truppen in Mokotów. Bis zum Oktober hatten die Deutschen den Widerstand im Stadtzentrum nicht brechen können. Doch angesichts der aussichtslosen Lage des Militärs wie der Zivilbevölkerung entschied sich Bór-Komorowski zur Kapitulation. Am 1. Oktober wurde ein Waffenstillstand vereinbart, der am folgenden Tag in Kraft trat. Wenige Tage später erfolgte die Evakuierung der Soldaten und Zivilisten aus Warschau. Einer der letzten Funksprüche der Armia Krajowa aus dem umkämpften Warschau Anfang Oktober 1944, der in London aufgefangen wurde, lautete: „Das ist die heilige Wahrheit. Wir sind schlimmer behandelt worden als Hitlers Satelliten, schlimmer als Italien, Rumänien, Finnland. Mag Gott der Gerechte sein Urteil über die furchtbare Ungerechtigkeit fällen, die dem polnischen Volk widerfahren ist, und möge Er alle Schul-


Deutsche Besetzung Polens 1939–1945

Am 21. Juni 1945 wurden die Führer des polnischen Untergrundstaates in Moskau verurteilt

digen strafen. Unsere Helden sind die Soldaten, deren einzige Waffe gegen Panzer, Flugzeuge und Geschütze ihre Revolver und Petroleumflaschen waren. Unsere Helden sind die Frauen, die die Verwundeten pflegten und unter Kugeln Meldedienste leisteten, die in zerbombten Kellern für Kinder und Erwachsene kochten, die den Sterbenden Linderung brachten und trösteten. Unsere Helden sind die Kinder, die in den rauchenden Ruinen unschuldsvoll spielten. Das sind die Menschen Warschaus. Ein Volk, in dem solche Tapferkeit lebt, ist unsterblich. Denn jene, die starben, haben gesiegt, und jene, die leben, werden weiterkämpfen, werden siegen und wiederum Zeugnis dafür ablegen, dass Polen lebt, solange Polen leben.“

mangels Unterstützung von Außen und angesichts der aussichtslosen Situation kapitulierten.

Die Aufständischen der Heimatarmee kämpften 63 Tage gegen die deutschen Besatzungstruppen, bevor sie

Aufgrund der fortschreitenden sowjetischen Offensive wurde die Heimatarmee am 19. Januar 1945 aufgelöst. Im

AUFLÖSUNG UND REPRESSALIEN IN DER NACHKRIEGSZEIT Am 31. Dezember 1944 erkannte die UdSSR das Lubliner Komitee einseitig als einzige rechtmäßige Regierung Polens an. Zuvor war der polnische Premier Mikołajczyk erfolgreich von den Westalliierten und der Sowjetunion zur Anerkennung der Westverschiebung Polens gedrängt worden. Die sowjetische Seite hatte dessen Zustimmung sowieso nicht abgewartet. Das NKWD hatte im Oktober 1944 mit der Repatriierung von polnischen Einwohnern östlich der Curzon-Linie begonnen.

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Juli 1945 erfolgte auch die Auflösung der zivilen Strukturen des Polnischen Untergrundstaates.

Heimatarmee wurde der Kollaboration mit Deutschland bezichtigt.

Als einer der ersten westlichen Beobachter sah George Orwell den Weg Polens in einen von der Sowjetunion abhängigen Satellitenstaat.

Im Polen der Nachkriegszeit wurden diese Tendenzen auch schnell mit Hilfe der sowjetischen Sicherheitsdienste vorangetrieben. Im Juni 1945 wurde in Moskau ein Schauprozess gegen den letzten AK-Befehlshaber nach Bór-Komorowski, Leopold Okulicki und mehrere nach Moskau entführte Führer polnischer Parteien veranstaltet. Es wurden Freiheitsstrafen von vier Monaten bis zu zehn Jahren verhängt. Mehrere Verurteilte starben unter ungeklärten Umständen in den sowjetischen Straflagern. Nach diesem Beispiel richtete sich auch die Behandlung der einfachen Soldaten in Polen selbst. Einige von ihnen wurden in die Sowjetunion deportiert oder in ihrem Heimatland ins Gefängnis geworfen. In Polen selbst folgten Schauprozesse gegen AK-Soldaten bis in die 50er-Jahre. Sie galten als Verstoßene Soldaten. Des Weiteren waren die ehemaligen Widerstandskämpfer und deren Familienangehörige meistens vom Studium und einer beruflichen Karriere in der sozialistischen Planwirtschaft ausgeschlossen. Recherche und Textredakion: Alexander Zajac

„Nein, das ‚Regime von Lublin‘ ist kein Sieg für den Sozialismus. Es ist die Herabsetzung Polens zu einem Vasallenstaat. … Wehe denen, die ihre unabhängigen Vorstellungen und Grundsätze aufrechterhalten wollen.“ Die Soldaten der Heimatarmee oblagen Repressalien seitens der Kommunisten und des Geheimdienstes des sowjetischen NKWD. Das Bestreben, die nicht von Moskau abhängigen Kräfte zu unterdrücken, richtete sich auch stark gegen die ehemaligen Widerstandskämpfer. Das Lubliner Komitee hatte schon während des Warschauer Aufstandes in seinen Schriften die AK als Verräter und als von Volksdeutschen unterwandert bezeichnet. Die Führung der

IMPRESSUM Kostenlose Zugabe zu Magazin POLONIA Nr. 15/16 MAGAZYN POLONIA Kwartalnik, rok założenia – 2013 www.magazyn-polonia.de WYDAWCA // HERAUSGEBER: Konwent Organizacji Polskich w Niemczech EWIV Tel. +49 30 505 780 96; E-mail: kwartalnik.polonia@gmail.com www.konwent.de Redaktor odpowiedzialny // Verantwortlicher Redakteur Alexander Zając Redaktor wydania // Redakteur der Ausgabe Agata Lewandowski Redaguje zespół // Redaktionsteam Arkadiusz B. Kulaszewski, Agata Lewandowski, Wiesław Lewicki, Bogdan Żurek Korekta //Korrektur Joanna Trümner Projekt graficzny i skład // Grafikprojekt und Satz freeline Studio Beata Walczak www.freelinestudio.pl Druk // Druck Drukarnia „DESIGNER” – Marcin Czajkowski ul. Lubieszyńska 33, 72-006 Mierzyn, www.printhub.pl Kwartalnik powstaje we współpracy ze Związkiem Dzienikarzy Polskich w Niemczech T.z.; In Zusammenarbeit mit dem Verband der Polnischen Journalisten in Deutschland e.V. www.zdpn.wordpress.com Na okładce // Titelseite: Wybuch II. Wojny Światowej (ipn.gov.pl) ISSN 2197-9324 © Konwent Organizacji Polskich w Niemczech EWIV, 2019

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