Horizont Ars Electronica Review 2013

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Design

Produkte · Industrie · Grafik

Von der Manipulation der Erinnerung Gastreporterin Daniela Krautsack berichtet über persönliche Highlights der diesjährigen Ars Electronica, des alljährlichen Medienkunstfestivals in Linz

Die Tanzperformance des taiwanesischen Erfinders und Künstlers Huang Yi mit dem deutschen Roboter Kuka gilt der Partnerschaft von Mensch und Roboter. © Huang Yi

Im Deep Space lud die interaktive Spielinstallation „re:collection“ der FH OÖ Hagenberg das Publikum ein, als Spielfiguren zu agieren. © Daniela Krautsack

„El Campo de Cebada“ (das Gerstenfeld) ist Gewinner der Nica Digital Communities. Es ist ein physischer und virtueller Raum im Zentrum Madrids, der von den Anrainern kuratiert und gestaltet wird. Ein erfolgreiches Beispiel für Selbstverwaltung im Stadtraum.

Die „urban USB data“-Schnittstelle lädt Besucher von „El Campo de Cebada“ zum Up- und Download von Open-Source-Designdaten zum Bau von Stadtmobiliar im öffentlichen Raum ein. © El Campo de Cebada (2)

Anfang September fand in Linz das Highlight meines Festival-Jahres statt: die Ars Electronica, die jedes Jahr mit bewusstseinserweiternden Veranstaltungen wie Burning Man in den USA und Cool-Tech-Messen wie der IFA in Berlin konkurriert, gegen diese mit eigenem Flair besteht und Input von und für Interessierte, Künstler und Kreative bietet. Dem Kuratorenteam rund um Gerfried Stocker, der seit vielen Jahren – und verdient mit viel Applaus – für die künstlerische Leitung der Ars Electronica verantwortlich zeichnet, gelingt es jedoch immer wieder, mich von Neuem mit seiner gesellschaftsrelevanten, künstlerischen, spannenden Auswahl zu begeistern. Es ist das Eintauchen in Themen, die nicht nur dem Zeitgeist folgen; das dichte Programm an Symposien, Round-Table-Diskussionen, Installationen und Performances bewegt sich wiederholt auf derart hohem intellektuellem Niveau, dass man gar nicht anders kann, als sich jedes Jahr aufs Neue diesem Feuerwerk an Eindrücken und neuen Erkenntnissen hingeben zu wollen. Der Fokus des diesjährigen Festivals beleuchtete einen besonders zeitkritischen Aspekt: die Erinnerung und ihre Speicherung – was ist Erinnerung, wie entsteht sie und wie speichern wir sie, damit sie nicht verloren geht? Eine Reihe namhafter Hirnforscher, Computerwissenschaftler, Philosophen und Künstler präsentierte dazu ihre Zugänge und Zukunftsaussichten. Themen wie künstliche Intelligenz, Zukunft der Datenspeicherung, Erinnerungspolitik und die emotionale Bewahrung von Erinnerungen wurden dabei interdisziplinär debattiert, visualisiert und mit reger Anteilnahme des Publikums bearbeitet. Die Essenz, die ich aus dem dreitägigen Besuch des Festivals ziehe, findet sich in drei Worten des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass wieder: „Erinnern heißt auswählen.“ Auswählen hieß es auch bei der Erstellung dieses Berichts, und es fällt schwer, sich zu reduzieren in einer Kurzbeschreibung faszinierender Arbeiten. Als Fan der „Make Stuff Yourself“-Policy empfehle ich zunächst den Besuch des AEC-FabLabs, das mich zu Design und Bau einer solarzellengespeisten LED-Kerze animierte. Roboter und Mensch im Gleichklang Roboter-Mastermind Hiroshi Ishiguro lief mir nach der Gala über den Weg, verbeugte sich klassisch nach japanischer Manier zum Gruß, sodass ich mich automatisch zu einem Hofknicks hinreißen ließ und lud mich zu seiner Geminoid-HI-4-Performance ein. „Faszinierend“ ist das einzige Wort, das den Anblick beschreiben kann. Hiroshi und sein Surrogat, hoppala, ich meine Android oder, einfach gesagt, die Kopie seiner selbst, deren Mimik, Augen- und Kopfbewegung von zwölf Motoren dirigiert werden und die so durch den Raum schwebt, sind erstaunlich. Es folgt ein Interview mit Koen Vanmechelen, dem belgischen Cosmopolitan Chicken – oder von mir als ungekreuzte Südburgenländerin auch als Multikulti-Hendlzüchter bezeichnet – und Gewinner der Nica in der Kategorie Hybrid Art. Ich bin ob der

Die LED-Installation der japanischen Künstler Daito Manabe und Satoru Higa, „Your-Cosmos“, besteht aus LEDModulen, die wie Legosteine zu einer gemeinschaftlich geschaffenen Welt zusammengesetzt werden konnten. © Daniela Krautsack (3)

komplexen Familienbaumstruktur seiner Hühner fast durchgehend verwirrt, nicke jedoch im Takt der Erzählung und bewundere die Begeisterung, die Koen seit 20 Jahren in die Kreuzung von Hühnern und Hähnen, und das durch alle Kulturkreise des Globus hinweg, hegt. Die Tanzperformance von Huang Yi und Roboter Kuka zählt zu den berührendsten Vorstellungen des diesjährigen Festivals. Die synchronen und anmutigen Bewegungen des Roboters und eine seltsam intime Harmonie zwischen den beiden Protagonisten ließen kurzzeitig vergessen, dass der Roboter an der Seite Huang Yis ein ferngesteuertes Objekt und kein lebendiges Wesen ist. Gigapixel und Multisensorik Unvergesslich sind die eindrucksvollen Darbietungen im AEC Deep Space, darunter Lois Lammerhubers Gigapixelbilder von New York City, die auf einer riesigen Screen-Installation im Terminal 3 des Wiener Flughafens zu bewundern sind, oder die interaktiven Mindgames „re:collection“ und „Clockworld“ von Studenten der FH Oberösterreich in Hagenberg, die Besucher als Spielfiguren positionierten. Ein multisensorisches Deep-SpaceHighlight war jedoch das Klavierduett von Dennis Russell Davies und Maki

Namekawa von Igor Strawinskis „Le sacre du printemps“, das mit einer Echtzeit-Visualisierung aus historischem Bildmaterial und digitalen Grafiken untermalt wurde. Erwähnenswert ist auch die Präsentation der Medienplattform ikono.tv, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kunst der breiten Öffentlichkeit näherzubringen. „Kunst 24/7“ benennt ikono.tv-Gründerin Elizabeth Markevitch das Senderprofil und fügt hinzu: „Fernsehen ist wieder in.“ Es herrschte Stille und man sah Fragezeichen im Raum. Nichtsdestotrotz: Wer den Massen Kultur zuführen will, hat jeglichen Joker verdient. Ich muss schmunzeln, als Futurelab-Capo Horst Hörtner mich Sonntagabend vor meiner Abreise nach Wien auf einer Bank im AEC Center liegen sieht. „Erschöpft“, flüstere ich ihm zu, und Horst grinst glücklich. „Mission accomplished“, lese ich in seinem Blick. Ich steige in die Westbahn ein und freu’ mich schon aufs nächste Mal. Daniela Krautsack Daniela Krautsack, Cows in Jackets (www.cowsinjackets.com) ist Mediastrategin und seit 2012 als Urban Experience Designerin tätig. Ihr nächster Coup heißt CitiesNext (www.citiesnext. org) und lädt Communitys zum gemeinschaftlichen Problemlösen in verschiedene Städte ein.

HORIZONT No 39


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