Protokoll "Was ist Geld?" vom 24. 10. 2019

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Was ist Geld? Liebe Leserin, lieber Leser Im Rahmen von «Zürich liest» fand am 24. Oktober 2019 eine Veranstaltung im MoneyMuseum Zürich statt, die sich mit einem Buch befasste, das aktueller nicht sein könnte. Heidi Lehner las aus Eske Bockelmanns Geld-Buch, einem Vorabdruck des 2020 erscheinenden Werkes «Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht».

Jürg Conzett stellt in seinen einleitenden Worten den Autor vor. Seit 10 Jahren arbeitet Eske Bockelmann, Literat und Professor in Latein und Griechisch, an seinem neusten Werk, das bei Matthes & Seitz erscheinen wird. Bereits im «Takt des Geldes» aus dem Jahr 2004 zeigt Eske Bockelmann die Genese des modernen Denkens in Verbindung mit Geld auf. Nun legt der Autor eine vertiefte Analyse, was vor dem Geld war und was Geld ist, nach. Heidi Lehner eröffnet die Lesung mit einem Zitat von Jean-François Billeter, das sich auf den chinesischen Text Zhuangzi bezieht. «Es ist, wenigstens in Teilen, das Werk eines Philosophen, das heisst eines Menschen, der selbständig denkt und seine Erfahrung von sich, den Menschen und der Welt zum Gegenstand seines Denkens macht.» Genau so hat Heidi Lehner den Autor, den sie seit 7 Jahren in seinem Schreibprozess begleitet, erlebt. Heidi Lehner wird einzelne Passagen aus dem Vorabdruck, der die ersten zwei von drei Kapiteln enthält, vorlesen und zwischen den Textstellen einen Bezug herstellen. Welt ohne Geld Ein grosser Teil des Werks – zwei Drittel – befasst sich mit der Welt ohne Geld. Das hat seinen Grund. Denn ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie eine Seite 1/3


Welt ohne Geld einmal ausgesehen haben mag, lässt sich das Aufkommen von Geld mit seinen grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen nicht nachvollziehen. Wichtig ist, dass die Leserinnen und Leser einen anderen Blickwinkel einnehmen, denn wenn «wir aus unserer heutigen Sicht auf die Zeit vor dem Geld blicken und dabei Verhältnisse voraussetzen, wie wir sie kennen, bleibt uns der Ursprung des Geldes verborgen». Das Mittelalter kennt zum Beispiel kein Wort für Geld. Es gab keine klare, einheitliche Vorstellung davon, was wir heute unter diesem Begriff verstehen. Unsere Vorstellung von Tauschvorgängen auf einem gesellschaftsumfassenden Markt, in dem Güter als gleiche Werte getauscht werden, greift hier nicht. Überbleibsel Mitbringsel Es gibt unzählige Zeugnisse davon, dass es in archaischen Gesellschaften niemals Tauschhandel von jedem mit jedem und von Wert gegen Wert geben hat. Es war ein Austausch anderer Art, den die Menschen pflegten. Unser heutiges Mitbringsel vermittelt uns eine Ahnung davon, was es mit sogenannten Gaben in traditionellen Gesellschaften auf sich hatte. Diese Gaben waren Regeln unterworfen und dienten dem Austausch der Menschen. Sie wurden immer wieder weitergereicht und gingen nicht in privaten Besitz über. Für diese Verpflichtungen gibt es ein altes germanisches Wort: Gelt. Es hat sich bis heute im deutschen Verb vergelten erhalten. Genauso wie archaische Zahlungen löst eine Zahlung, die heute in Geld geleistet wird (Steuer, Strafe, Busse), eine Verpflichtung ein. Der Unterschied zu Zahlungen im Mittelalter liegt in der (un-)persönlichen Verpflichtung. Die Menschen früher konnten sich nicht von ihrer Schuld ablösen. Aus diesem Grund gab es Schuldknechtschaft, die erst durch die Geldwirtschaft abgelöst wurde. Münze ist nicht gleich Geld Und wie steht es um die Münzen, die es seit dem Altertum gibt? Achtung, würde Eske Bockelmann sagen, Münze ist nicht gleich Geld. Die Griechen nannten die Münze Nomisma – das Gesetzte, das Festgelegte. Münzen sind genormte Zahlungsmittel, die auch im Mittelalter noch lediglich als Mass für eine Zahlung gelten. Parallel zu ihnen gab es viele andere Zahlungsmittel. Und immer noch galt im Tauschhandel in erster Linie die Schätzung, ob eine Zahlung angemessen ist oder nicht. Was ist nun der grundlegende Unterschied zwischen einem Mittelalter ohne Geld und der Neuzeit mit Geld? Mediävist Marc Bloch hat es so formuliert: Die Gesellschaft jener Zeit war mit Kauf und Verkauf durchaus vertraut, doch sie lebte nicht wie die unsere von Kauf und Verkauf.

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Grundlegender Wandel Dieser Umbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit geschah nicht überall auf der Welt, sondern nur in Westeuropa. Doch was hat zum historischen Wandel geführt? Die Städte Europas begannen sich aus der feudalistischen Ordnung zu lösen. Eine zunehmende Zahl an Menschen war nicht mehr an Grund und Boden gebunden, musste aber durch neue Ordnungsstrukturen gebunden werden. Die Märkte gewannen an Bedeutung. Das Verhältnis von Kauf und Verkauf tritt in einen systematischen Zusammenhang und löst die persönliche Abhängigkeit und Verbindung zwischen höher und niedrig Gestellten zusehends ab. Erst jetzt, im Verlaufe dieser Entwicklung, wird Geld zum Preis für alle Dinge. Nach und nach werden alle Dinge mit Geld bewertet und Geld ist der Wert aller Dinge. Geld wird zur Hauptsache. Diskussion In der nachfolgenden Diskussion wird auf neue Gesellschaftsformen hingewiesen, die sich weg vom Primat des Geldes entwickeln (möchten). Geld wird auch als Raster im Hintergrund beschrieben. Die Frage nach der Hoheit des Staates und dessen Legitimität kommt auf. Was braucht die Gesellschaft als Kleister? In einer Geldgesellschaft verschwinde nicht alles andere, Beziehungen würden wichtig bleiben. Die spannenden Fragen, die an diesem anregenden Abend aufgetaucht sind, werden beim Apéro rege weiterdiskutiert. Zum Abschluss weist Heidi Lehner, die den Abend souverän gestaltet hat, nochmals darauf hin, dass das 3. Kapitel des Geldbuches noch fehle. Mit Spannung dürfen wir Eske Bockelmanns «Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht» erwarten.

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