Leporello - Das Geld

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Das Geld Was es ist, das uns beherrscht.


In der heutigen Ausstellung zeige ich Ihnen ein einziges Buch aus unserer Bibliothek. «Das Geld». Von Eske Bockelmann. Mit Untertitel: «was es ist, das uns beherrscht». Was ist Geld – diese Frage beschäftigt mich schon seit meiner Studentenzeit. Ich habe mir lange überlegt, mit welchem Symbol man Geld darstellen könnte. Münzen sind heute Geld, aber Geld ist nicht Münze. Oder: Banknoten sind Geld, aber Geld muss nicht Banknote sein. Ich habe die Zahl 1 gewählt als Symbol. Eine imaginierte Zahl. Nicht eine Zahl von etwas, sondern eine reine Zahl. Sie besteht aus nichts. Sie ist nur für den Tausch da, also ein reines Tauschmittel. Ein Tauschmittel ohne Substanz – allein dies unterscheidet unser Geld von den Tauschmitteln des Mittelalters, der Antike, die immer Warengeld waren. Von sich aus hätte unser modernes Tauschmittel keine Macht, weil es ja nichts ist, rein imaginiert. Erst der Nationalstaat setzt dieses Tauschmittels gnadenlos durch mit seinem Geldmonopol.

Seit es Geld gibt, hat sich das Nominal – also die Zahl – immer mehr vom Material gelöst. Deshalb müssen wir zwischen Norm und Nominal unterscheiden. Sie sehen einen Taler von Zürich links, ein 20 Rappen Stück rechts. Was ist der Unterschied? Warengeld (der Silbertaler) basierte auf einer Norm. Gewichtsnormen gab es seit Mesopotamien. Die Griechen führten eine Silbernorm ein. Unser Geld dagegen ist immer ein Nominal (20 Rappen Stück).

Der Gegensatz zwischen Gewichtsnorm und Nominal führte in der frühen Neuzeit zu Schwierigkeiten. Bereits 1516 publizierte


Bauernaufstände von 1525

der Tübinger Gelehrte Johannes Adler eine kritische Analyse, denn durch die Silberknappheit stieg der Warenwert über den Nominalwert bei einigen Münzen. Weil die Bauern ihre Steuern in teuren Silbertalern bezahlen mussten, führte dies zu Bauernaufständen von 1525.

Ganze Scharen von Leuten machten sich damals auf herrenlosem Land breit – als Bauern. Darin lag sozialer Konfliktstoff. Die Territorialfürsten wollten diese Leute lieber in neugegründeten Städten ansiedeln. Die Bauern waren dann zwar frei, aber man konnte Steuern einziehen – in Münzen.

Heute tauschen wir Waren und Dienstleistungen mit Leichtig­keit. Das war nicht immer so. Ein kurzer Blick zurück in die Geschichte: Im 13. und 14. Jahrhundert fielen viele Leute aus der bestehenden Gesellschaftsordnung, dem Feudal­ wesen, heraus ähnlich wie heute die Mittellosen auf der Strasse sitzen; sie sind nicht mehr Teil der kapitalistischen Wirtschaftsweise.

Der Stadt Bern versprach man z. B. in einem Brief von 1218 Reichsunmittelbarkeit, den Bürgern Freiheit. Das hiess, sie konnten ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit frei nachgehen. In vielen Städten sieht man noch heute Tafeln wie «Neustadt», der Stadtteil, der für die fremden Zuzüger gebaut wurde. Dort waren sie dann nicht mehr nur Bauern, sondern auch Handwerker, übten andere Berufe aus. So wurde die Arbeitsteilung eingeführt, und mit der Zeit war es effizienter, Waren und gewisse Dienstleistungen einzukaufen als sie selber herzustellen. So nahm Kauf und Verkauf zu, und dies erforderte Münzen und


wo diese knapp waren Kredite. Kehren wir zurück zu unserem Geld. Wie wird Geld geschöpft? Sicher nicht mit dem Suppen­ löffel. Unser Geld wird geschöpft als Kredit. Die Zentralbank stellt den Geschäftsbanken Geld als Kredit zur Verfügung. Für sie ist es ein Nullsummenspiel, sie besitzt ein Guthaben sowie einen ausstehenden Kredit. Wird der Kredit zurückbezahlt, löst sich das Geld wieder auf. Es ist nun die Auf­­gabe der Geschäftsbanken, Leute und Unternehmen zu finden, die Mehrwert generieren anstatt den Kredit zurück zu zahlen.

Und doch herrscht die Meinung bei den Leuten, das Geld werde bloss gedruckt oder per Computer in die Welt gesetzt. In den 1950er Jahren lancierte die Schweizerische Nationalbank eine neue Banknotenserie und beauftragte den Schweizer Grafiker Pierre Gauchat mit dem Thema: was ist Geld? Dieser gab eine doppelte Antwort: das gemeine Volk erlebe Geld als Lohn, bezahlt

vom Vorgesetzten, das man aufs Konto legt (symbolisiert durch die Säcke) für den Unterhalt der Familie. So entstand unsere 50er Note: die Äpfel wachsen auf den Bäumen, werden gepflückt und in Säcke abgefüllt. Aber viel treffender sei die 500er Note: der Jungbrunnen. Alle Gedanken, Pläne, Projekte und auch Geld müssen sich dauernd erneuern, auferste-


hen mit neuer Kraft. Geld, einmal geschöpft, muss sich andauernd in der Eigenschaft als Geld bewähren, muss weitere Transaktionen ausführen. Was passiert, wenn diese andauernde Erneuerung, dieses Mehrwerden nicht mehr klappt? Das hat uns Madoff vor gut 10 Jahren vorgeführt mit seinem 65 Milliarden Schwindel. Er arbeitete nicht produktiv mit dem Geld, sondern legte es in den Tresor, machte gar nichts damit. Aber so kann der Kapitalismus nicht funktionieren. Die Corona-Krise 2020 zeigte uns, was passiert, wenn die Kette der Transaktionen unterbrochen wird: das Geld verflüchtigt sich. Madoff und der CoronaUnterbruch verletzten ein Gesetz, das zum Kapitalismus gehört wie der Donner zum Gewitter. Dieses Gesetz stellte Goethe in seinem Faust dar: das «Verbot des Verweilens». Goethe schrieb kein Sachbuch, er war Poet. Er beschreibt es als eine Konversati-

on zwischen Kaiser und Mephisto, die in kurzen Sätzen den Wachstumsdruck in der modernen Gesellschaft erklärt. § Wo fehlt’s nicht irgendwo auf dieser Welt? § Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld … § Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft: § Begabten Manns Naturund Geisteskraft … § Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr; § Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer, § Es liegt schon da, doch um es zu erlangen, das ist die Kunst. Mephistos Vorschlag, den Anspruch auf das Gold im Boden auf einen «Zettel» (ausgegebene Banknoten) zu verbriefen, war genial und gefährlich: das Versprechen war, das Gold könne in Zukunft ans


Tageslicht gebracht werden. Vor 200 Jahren geschrieben und doch bis heute kaum verstanden. Es erstaunt mich, dass Goethe schon damals das «Verbot des Verweilens» als so zwingend empfand, dass er eine feste Wette zwischen Faust und Mephisto einführte. Inhalt der Wette war: kein Verweilen, sonst zerfällt der Zauber. So verspricht Faust: § Werd’ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zu Grunde gehn! Ein anderer Autor, der Ähnliches beschrieb, war Bertold Brecht: der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Uraufführung 1930, wieder aufgeführt als Oper im Opernhaus Zürich 2017. Eine Stadt in Nord-Amerika im Jahre 1930. Alles war in dieser Stadt erlaubt, es gab keine feste Moral, keine dominierende Kultur, nur eines war nicht erlaubt: kein Geld zu haben. Der Protagonist des Stücks war gutgläubig, half seinen Mitmenschen, und stand am Ende schliesslich ohne Geld da. Resultat? Er wurde gehängt. Eine vortreffliche Analyse

der amerikanischen Gesellschaft 90 Jahre später. Aber woher erhält das Geld seinen Wert? Wir verwenden den Wertbegriff in unserer Sprache oft: wertvoll, wir sprechen vom Wert der Freundschaft etc. Das sind qualitative Einschätzungen. Beim Geld geht es aber um eine quantitative Grösse. Beim Geld entsteht Wert allein durch den Zugriff auf Waren, auf Reales. Deshalb ist Geld reiner Wert. Karl Marx hatte versucht, Wert von Waren mit dem Arbeitswert zu erklären. Eine Ware sei so viel wert wie die Arbeitskraft, die zur Produktion verwendet worden ist. Seine Theorie beeinflusste mehrere Generationen, war eine Grundlage in Sozialismus, Kommunismus und Staatskapitalismus. Durch seinen Ruf «Arbeiter aller Welt, vereinigt euch» glaubte er, die negativen Seiten des Geldes zu beseitigen. Aber die Proletarier blieben Proletarier, die Werttheorie war falsch,


Wert liess sich damit nicht erklären. Eine Ware hat von sich aus keinen quantitativen Wert, dieser wird den Waren durchs Geld angeheftet. Der Preis einer Ware und ihr Wert sind dasselbe. Ich habe einen befreundeten Zeichner gebeten, diesen Sachverhalt darzustellen. Sie sehen links den Warenstrom, rechts den Geldstrom. Damit Geld Geld bleibt, muss es in seiner Funktion als Tauschmittel immer wieder bestätigt werden. Konnte man Warengeld für ein Jahr beiseite legen und bei Bedarf wieder hervor­ holen, ist das beim modernen Geld nicht mehr möglich. Geld bleibt nur Geld, solange es eine nicht abreissenden Kette von Transaktionen gibt. Das meinte Goethe mit dem «Verbot des Verweilens». Das hat auch Folgen für Eigentum, Konkurrenz und Staat. Der nie versiegende Strom an Waren fliesst nur bei entsprechenden Eigentumsrechten. Nur wenn ich eine Ware zu Eigentum habe, kann ich sie verkaufen. Ich kann Gemeingut nicht verkaufen, das wäre Korruption. Die moderne

Geldwirtschaft schliesst deshalb jeden und jede von allen Waren aus, damit diese nur mit Geld zu kaufen sind. Da alle zuerst zu Geld kommen müssen, um sich die Waren für den Lebensunterhalt zu kaufen, entsteht ein enges Netz von gegenseitigen Beziehungen. Denn alle müssen den andern etwas verkaufen, wobei diese andern dasselbe tun müssen. Das führt zu Konkurrenz unter der Bevölkerung, da jeder ein Konkurrent vom andern ist. Das führt zu Unbehagen, das Kafka in seinem Roman «Der Prozess» beschrieben hat. Füge ich mich nicht in


diesen anonymen Kreislauf ein, werde ich angeklagt und fühle ich mich schuldig. Kein Wunder, dass «der Prozess» von Kafka zu einem der bekanntesten Werke geworden ist. Geld braucht aber nicht nur diesen nie versiegenden Fluss an Transaktionen. Eine Transaktion muss auch mehr Geld abwerfen als die Summe der Produktionsund Verkaufskosten. In einem Restaurant esse ich z. B. einen Teller Spaghetti und bezahle meine Fr. 30.–. In meinem Erleben ist die Ware gegessen, das Geld ist weg. Aber das Geld bleibt nicht nur bestehen auf dem Konto des Restaurantbetreibers; der Restaurateur muss aus seiner Dienstleistung mehr Geld herausholen als er aufgewendet hat. Nur so kann er die nötigen Investitionen, die Steuern, die Abgaben für Auflagen der Regierung tätigen. Es ist eine Jagd nach Mehrwert, die weltweit immer schwieriger wird. Das sieht man an den rasch steigenden Beträgen an Renten­papieren mit negativer Verzinsung. Für die grossen Kapitalien gibt es einfach zu wenig Renditemöglichkeiten.

Dieser Zwang nach mehr und nach Erneuerung zeigt die 500er Banknote von Gauchat sehr deutlich: nicht nur der Transaktionsfluss ist entscheidend, sondern auch die ständige Erneuerung. Das gilt für Projekte, für Ideen und für Geld. Gelingt dies nicht, stirbt die Idee, das Projekt, das Geld. Ich zeige Ihnen hier die 100 Trillion Dollar Banknote von Zimbabwe,

ein Riesenbetrag und doch ohne Wert. Das Land hat zwar die Geldmenge erhöht, aber ohne Mehrwert zu schaffen. Das führte zum Kollaps der Währung. Geld ist die Spekulation auf das Geld im Boden und damit auf die Zukunft, Geld ist die ursprünglichste Blase, die platzen kann.


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