Flugblatt 1648 zum Westphälischen Frieden

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Flugblatt zum Westphälischen Frieden 1648 Aus dem Buch: Eske Bockelmann, Das Geld, was es ist, das uns beherrscht. Matthes & Seitz Berlin, 2020, S. 149   ff.

»Neuer auß Münster vom 25. des Weinmonats im Jahr 1648 abgefertigter Freud- und Friedenbringender Postreuter« – unter diesem Titel beeilt sich ein Flugblatt die freudige Botschaft zu verkünden: Endlich wieder Friede! Ein Holzschnitt zeigt den Reiter, wie er, das Posthorn an den Lippen, kraftvoll über Gräber und zerbrochene Waffen hinwegsetzt. Im Hintergrund sind drei Städte zu sehen, beschriftet als Wien, Paris und Stockholm. Oben im Himmel bläst von links ein Engel in die Trompete der FAMA, der Kunde, die von Mund zu Mund eilt. Und von rechts bringt auf geflügelten Schuhen Götterbote Merkur den Brief mit der alles entscheidenden Aufschrift: PAX. Unterhalb des Holzschnitts vermeldet der Postreiter in alexandrinischen Versen ausführlicher, was es da zu bejubeln gibt: Ich komm von Münster her gleich Sporenstreichs geritten / und habe nun das meist deß Weges überschritten / Ich bringe gute Post und neue Friedenszeit / der Frieden ist gemacht / gewendet alles Leid. Man bläst ihn freudig auß mit hellen Feldtrommeten / mit Kesselpaucken Hall / mit klaren Feld-Clareten. Mercur fleugt in der Lufft / und auch der Friede / Jo / Gantz Münster / Oßnabrugg vnd alle Welt ist froh – weil er zu Ende ist, der größte Krieg dieser noch so jungen Neuzeit. Denn wie jung sie auch sein mag: Das, was sie zu dieser Neuzeit macht, ihr radikal und epochal Neues, es vollzieht sich in Verwerfungen, die sogleich auch einen radikal neuen und epochalen Krieg erzwingen, einen grauenhaft langwierigen Krieg. In deutschen Landen wird er der Dreißigjährige heißen. Jetzt nämlich, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, ergibt sich zum ersten Mal, was vorher undenkbar war und keinen irgend möglichen Grund gehabt hätte: dass die europäischen Mächte fast gesamt gegeneinander zu Felde ziehen. Es ist ein Konflikt solch flächenhafter Ausbreitung, dass er »geradezu als der erste Weltkrieg Europas« bezeichnet werden muss. Allein die Friedensver-

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handlungen ziehen sich über fünf Jahre hin und werden der vielen Kriegsparteien wegen parallel in zwei Städten geführt, in Osnabrück und Münster. Erst im »Weinmonat« Oktober des Jahres 1648 ist es so weit und Vertreter aller beteiligten Mächte unterzeichnen in Münster den Friedensvertrag. Von dort kommt unser Postreiter spornstreichs daher, um es hinauszutrompeten: Der Höchste sey gelobt / der Friede ist getroffen / fortan hat männiglich ein besser Jahr zu hoffen / der Priester und das Buch / der Rahtherr und das Schwerdt / der Bauer und der Pflug / der Ochse und das Pferd. Alle – das ist die Bedeutung von »männiglich« – können fortan auf bessere Zeiten hoffen. Und der Postreiter beschwört noch einmal gut mittelalterlich die ständische Ordnung, indem er Lehrstand, Wehrstand und Nährstand nennt, in Gestalt des Priesters, des Ratsherrn und des Bauern. Aber was sie betrifft, belässt er es bei dieser kurzen Aufzählung, denn es sind jetzt nicht mehr so sehr Buch, Schwert und Pflug, auf die sich alle Hoffnung richtet. Kurz streift der Postreiter noch die Fürsten, die nicht länger in Kanzleien zu schwitzen, und die städtischen Ratsherren, die nicht länger in Sorgen zu sitzen haben. Im Mittelpunkt des Jubels über ein nicht länger bedrohtes Leben stehen jedoch andere, denen unser Bote deshalb den Großteil seiner Verse widmet. Für eine Gruppe von ihnen lässt er gar – neben jenem Höchsten, der für alle da ist – einen eigenen Gott auftreten: Auch Ich / der Kaufleut Gott Mercur / komm hergedrungen / und hab mich mit dem Brieff durch Lufft und Tufft geschwungen / Ihr Kaufleut seyt wolauff und habt ein guten Muth / Die Kaufleute verdienen es, dass sich ihretwegen Merkur persönlich aufmacht. Aber nicht nur sie und ihre Waren sind jetzt, was zählt: Ihr Handwercksleute auch / es wird alls werden gut. Zu Wasser wird fort‹an› man sicher können handeln / und ohne Noht zu Land auff Messen ruhig wandeln / die Waren werden wol zu reisen abegehn / die Läden und Gewölb voll lauter Kauffer stehn / Jetzt ist nicht mehr nur entscheidend, dass die guten Waren überhaupt ankommen und zur Versorgung dienen können, sondern dass sie ihre Käufer finden, dass sie allesamt gekauft werden. Feine Seidenstoffe und was die Kauffahrer sonst noch alles heranschaffen, es hat inzwischen vor allem diesen einen höheren Sinn: tüchtig verkauft zu werden.

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Man wird ja Tag für Tag den Seidenzeug ausmessen / und zu Mittag vor Müh nicht einen Bissen essen / Gewürz und Spezerey verkauffen wol mit Macht / bey lauter Centnern wegwägen Tag und Nacht. Der Schuster wird sein Geldt vor Schuh nicht können zehlen / Den Schneider wird das Volck umb neue Kleider quelen / Der Breuer nimbt nicht ab / der Becker der wird reich / Der Kirschner füttert stäts / und feyret keinen Streich. Mit eingekehrtem Frieden soll vor allem das Kaufen und Verkaufen wieder florieren – und entscheidend dabei: das Geld. Wichtiger als Fürsten, Bauern und Priester sind jetzt die Vorgänge, bei denen Kauf und Verkauf dazu führen, dass der Schuster zu »Geldt« kommt und es im besten Fall gar nicht mehr zählen kann. Der Warenverkehr von außen und das Handwerk im Innern greifen ineinander und werden dank der Vielzahl von Käufern dafür sorgen, dass vor Arbeit kein Händler und kein Kürschner mehr die Zeit findet, mittags einen Bissen zu essen oder eine Pause zu »feiern«. Das Kriegsende bewirkt auch, dass bei Bauern und Gärtnern alles wieder ungestört gedeihen kann, und es bedeutet nicht mehr nur, dass alle gut versorgt werden können mit Hirse, Weizen, Hanf und Gerste, mit Kraut und Rüben, Zwiebeln und Kohl, sondern: Ihr Gärtner werdet dann zu Marckt können fahren / und lösen manchen Batz auß euren grünen Wahren / und damit können sie es sich dann gut gehen lassen: dann kehret ihr mit Lust fein in ein Küchlein ein / und esst ein stücklein Wurst und lescht den Durst mit Wein; was wiederum für andere das entscheidende Beste bedeutet: Ihr Wirthe freut euch auch / der Friede trägt euch ein / Es wird die Stub und Stall voll Gäst und Pferde seyn / mitsamt den einträglichen, nämlich Geld eintragenden Folgen. Nach einem Krieg, der seit 1620 tobte, wird jetzt der Friede gefeiert, weil dank ihm die Geschäfte wieder laufen werden. Das Wohlergehen, das er verspricht, besteht jetzt darin, dass alle wieder zu Geld kommen. Uns leuchtet heute selbstverständlich nichts eher ein, als dass gute Zeiten genau das versprechen. Genau das jedoch ist neu. Nur wenige Jahrzehnte vor diesem Krieg hatte es sich damit noch nicht so verhalten und hatte es sich noch nie und nirgends so verhalten. Erst jetzt steht im Mittelpunkt jeder Hoffnung auf Wohlergehen nicht mehr etwas wie die alte Ordnung der Stände, von welcher die Versorgung aller abhing, sondern das Geld, von dem man nunmehr lebt.

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Nicht sehr lange vor diesem Krieg war es in den Städten überhaupt erst dazu gekommen, nun aber ist bemerkenswert: Nach dreißig Jahren eines erschöpfenden Kriegs gilt es uneingeschränkt noch immer. All das Blutvergießen, das er mit sich brachte, die Verwüstungen des Landes, Hunger und Seuchen, aber auch die rasenden Hexenverfolgungen, die nicht etwa dem Mittelalter angehören, sondern wiederum nicht grundlos erst in dieser Zeit aufflammen, sie haben in den »dreißig« Kriegsjahren über ein Drittel etwa der deutschen Bevölkerung dahingerafft. In derselben Zeit sind zweifellos auch Kauf und Verkauf katastrophal zurückgegangen – und trotzdem blieb die neue Notwendigkeit bestehen, dass in den Städten jeder vor allem Geld braucht, um davon zu leben. Gerade erst war Geld dort zum Hauptvermittler der Dinge geworden, die man zum Leben benötigt, und schon kann selbst der radikalste Rückgang aller Geldgeschäfte diese Notwendigkeit nicht mehr rückgängig machen. Zu ihr hatte eben nicht bloß eine zunehmende Häufigkeit von Gelegenheiten zu Kauf und Verkauf geführt, die sich durch eine abnehmende Tendenz während Kriegszeiten wieder in die ältere, feudalistische Versorgung hätte zurückentwickeln können. Letztere war vielmehr abgebrochen und das hatte, wo es geschehen war, eine Versorgung über Käufe und Verkäufe erzwungen und mit deren Überwiegen auch den Umschlag ins Geld. Der frühere Versorgungszusammenhang bleibt also verdrängt, wo sich auf diese Weise einmal Geld über ihn gesetzt hat. Und so zerfallen in dreißig Jahren Krieg zwar allenthalben die Möglichkeiten, zu Geld zu kommen, zerfällt aber nicht mehr die Notwendigkeit, erst zu Geld zu kommen, um dafür das Nötige zu erhalten. Deshalb muss sich jetzt, nach Abschluss des Krieges, alle hoffnungsvolle Freude auf neue Geschäfte richten, auf Geschäfte, die Geld einbringen. Und mehr noch: Mit dem Zusammenhang, der über die Versorgung und die Mittel zum Leben bestimmt, ändert sich ja nicht weniger als der lebensentscheidende Zusammenhang eines Gemeinwesens. Das heißt, das Gemeinwesen selbst nimmt einen veränderten, einen ganz und gar neuen Charakter an, sobald es darin um Geld geht statt um feudalistische Verteilung. Nach langen Jahren der Verhandlung wird 1648 schließlich der Vertrag zum Westfälischen Frieden unterzeichnet. Und dieser Vertrag ist berühmt dafür, dass sich hier zum ersten Mal moderne Staaten als Souveräne gegenübertreten und nicht mehr die feudalen Herrscher über Personenverbände. Der Friedensvertrag von Münster, den der Postreiter froh verkündet, ratifiziert die Geburtsstunde des Staates. So weit, so überaus weit reicht die Wirkung dessen, was mit dem Geld neu in die Welt kommt.

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