Stockalper

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Stockalper


STOCKALPER Helmut Stalder


Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und Helmut Stalder. © 2020 Herausgegeben von: Sunflower Foundation www.sunflower.ch info@sunflower.ch


Inhalt

Wie ein Walliser während des Dreissigjährigen Kriegs zum reichsten Mann des Alpenbogens wurde, ihn Louis XIV. zum Ritter schlug – und er schliesslich tief fiel

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Text: Helmut Stalder, am 30.10.2019 in der NZZ erschienen

Der Krieg, der einen Staat gebar Text: Helmut Stalder, erschien am 26.5.2018 in der NZZ

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Kaspar Stockalper bringt um 1640 die Globalisierung in die Alpen. Das Bild, gemalt von seinem Schwiegersohn Georg Christoph Mannhaft, zeigt ihn in majestätischer Pose.


Wie ein Walliser während des Dreissigjährigen Kriegs zum reichsten Mann des Alpenbogens wurde, ihn Louis XIV. zum Ritter schlug – und er schliesslich tief fiel Kaspar Stockalper macht den Simplonpass im 17. Jahrhundert zu einer Hauptachse Europas. Er verkehrt mit Kaisern und Königen, wird unermesslich reich – und wird gestürzt. Ein Politthriller, der bis heute nachwirkt.  Text: Helmut Stalder, erschien am 30.10.2019 in der NZZ

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Wer auf der alten Simplonstrasse vom Pass hinuntersteigt und auf halber Höhe in die Weite des Rhonetals blickt, sieht es sofort: Der Stockalperpalast, der sich über das Städtchen Brig erhebt, ist noch heute vollkommen überdimensioniert für den kleinen Ort am Fuss des Simplons. Wie mussten sich erst ahnungslose Reisende vor 350 Jahren gewundert haben, als sie das Schloss in seiner feudalen Grösse und Pracht erblickten. Mitten im Wallis hat Kaspar Stockalper um 1660 den grössten weltlichen Barockbau des Alpenraums errichten lassen, ein alpines Versailles mit goldenen Zwiebeltürmen, eleganten Arkaden und einer Parkanlage mit Springbrunnen, künstlichen Wasserläufen und einem Tiergarten. Stockalper, der grösste Unternehmer, Handelsherr und Machtmensch des Wallis im 17. Jahrhundert, baute hier eine übersteigerte Allegorie seines Reichtums, seiner Macht und seiner Person. Im Zenit glaubte der tiefreligiöse Katholik gar, er könne sich auch noch das Himmelreich erkaufen. Stockalper war eine Ausnahmegestalt im Wallis. Und nicht nur das. Der Dreissigjährige Krieg, der sich derzeit zum 400. Mal jährt, wirft ein neues Schlaglicht auf ihn und zeigt: Mehr als bisher wahrgenommen war er eine europäische Figur. Er erkannte die Chancen, die der Simplon in diesem Krisenjahrhundert bot, und betrieb von Brig aus ein heikles und zugleich äusserst lukratives Balancespiel zwischen den Grossmächten. Damit trug er wesentlich dazu bei, dass das Wallis nicht in den Kriegsstrudel hineingezogen wurde und die Schweiz 1648 letztlich als souveräner Staat aus dem europäischen Ringen hervorging.

Geopolitik aus Brig Stockalpers Aufstieg führt rasch und steil empor. Geboren wurde 6


Das barocke Stockalperschloss in Brig gilt als der grรถsste private Bau aus dem 17. Jahrhundert in der Schweiz.

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er 1609 in Brig als Sohn einer Patrizierfamilie, die einst die Stockalpe am Simplon bewirtschaftete. Sein Vater starb früh und hinterliess ihm einiges an Startgeld. Als Kaspar Stockalper 1628 als knapp 20-Jähriger von seiner Ausbildung an der Jesuitenakademie in Freiburg im Breisgau zurückkehrt, verfügt er über eine solide humanistische Bildung, spricht sechs Sprachen und ist entschlossen, «mich in Brigs Politik einzumischen». Dieser Entschluss führt ihn mitten in die Politik der rivalisierenden Grossmächte hinein. Zu der Zeit gehören zur spanischen Linie des Hauses Habsburg das Kernland Spanien auf der iberischen Halbinsel, die Königreiche Neapel und Sardinien, das Herzogtum Mailand und die spanischen Niederlande am Ärmelkanal. Die alpinen Landkorridore sind für Spanien als Verbindungslinien zwischen den verstreuten Herrschaftsgebieten unerlässlich. Frankreich sieht sich eingekreist, will die spanische Dominanz brechen und ist dazu eine Koalition mit der Republik Venedig eingegangen. Stockalper erkennt klar, dass dem Verkehrsweg über den Simplonpass und durch das Wallis wegen der «Kurtze und mhere Sicherheit der Strassen» geostrategische Bedeutung zukommt und dass er in Brig an der Schlüsselstelle sitzt. Diese günstige Konstellation gilt es zu nutzen. Umso mehr, als in den östlichen Alpen die Drei Bünde mit ihrem Untertanengebiet Veltlin und ihren Passrouten in die Kriegswirren gerissen werden und die dortigen Pässe unbenutzbar sind. Wenn es Stockalper gelingt, die Simplon-Achse in die Hand zu bekommen und den Handel zwischen Oberitalien und dem nordwestlichen Europa auf diese Route zu ziehen, wären hohe Profite zu erzielen und grosser Einfluss zu gewinnen. 8


Ein Coup macht ihn europaweit bekannt Stockalper reist zunächst ins spanische Burgund, durch Frankreich, Belgien, in die spanischen Niederlande bis an die Kanalküste, macht sich in den Zentren des Fernhandels mit den Marktverhältnissen vertraut und knüpft Geschäftskontakte. Er geht eine Partnerschaft mit einem Transportkonsortium in Antwerpen und mit einem Handelshaus in Solothurn ein, um am Simplon eine Alternative zum Gotthardweg zu bieten. Im März 1634 gelingt dem 25-Jährigen ein Coup. Er erhält vom Turiner Hof einen prestigeträchtigen Auftrag. Er soll die Bourbonen-Prinzessin Marie-Marguerite de Carignan, Gattin des Grafen von Savoyen und im vierten Grad verwandt mit dem französischen König, mit ihrem 50-köpfigen Gefolge über den verschneiten Simplonpass nach Domodossola bringen. Er erledigt den Geleitzug mit 150 Reit- und Lastpferden und der Unterstützung von 200 Helfern in zwei Tagen. Dafür erhält er ein fürstliches Honorar von 200 Silberkronen und Publizität für die Simplonroute. Vor allem dehnt er damit sein Beziehungsnetz schlagartig auf die französischen, savoyischen und lombardischen Fürstenhöfe aus und gilt nun als wichtige und fähige Figur am Simplon.

Frühkapitalismus und Monopolwirtschaft Entschlossen stösst Stockalper ins Geschäftsleben vor. Er verschafft sich das staatliche Monopol auf den Warentransport über den Pass, nimmt die Säumergenossenschaften unter Vertrag, zieht die Transportgebühren und Zölle ein. Er verlegt den mittelalterlichen Pfad auf sichereres Terrain, baut Brücken und Stützmauern, pflästert und verbreitert den Weg. In Gondo sowie auf der Passhöhe errichtet er auffällige Sustburgen, die Verkehrsfunktion haben, aber auch weitherum sichtbare Zeichen seiner wach-


Das Alte Hospiz auf der Simplon-Passhรถhe dient dem Verkehr und macht deutlich, dass Stockalper die Transitroute beherrscht.

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senden territorialen Kontrolle sind. Bald übernimmt er weitere Monopole wie jene für Lärchenharz, Zunderschwämme und Schnecken, eine begehrte Delikatesse in der Fastenzeit. Mit dem anziehenden Warenverkehr sprudeln die Einkünfte. Was er nicht in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur investiert, nutzt er als Risikokapital, um in weitere Geschäftsfelder einzubrechen. So übernimmt er die marode Eisenverhüttung in Brig und bringt diesen wichtigen Rüstungsbetrieb auf Vordermann. Schritt für Schritt baut er seine unternehmerischen Aktivitäten zu einem Mischkonzern aus, in dem sich viele Synergien eröffnen. Parallel dazu treibt Stockalper seine politische Karriere voran. Zunächst übernimmt er Ämter in seinem Gebiet, dem Zenden Brig, wird dann als Gesandter auf diplomatischen Missionen in die Eidgenossenschaft und an den französischen Hof geschickt. Auf Landesebene dient er sich durch alle Chargen bis zum Landeshauptmann, der die höchste legislative, exekutive und judikative Gewalt in sich vereint. Früh zeigt sich das Geheimnis seines Erfolgs: Es ist die engste Verzahnung von Politik und Geschäft, die sich gegenseitig bedingen, begünstigen und hochschaukeln. Je mehr er seinen politischen Einfluss ausdehnt, desto mehr kann er sich geschäftliche Opportunitäten eröffnen, meist abgesichert mit staatlichen Privilegien und Preisgarantien. Und je mehr Geld er erwirtschaftet, desto mehr politischen Einfluss kann er sich verschaffen. Mit einer ausgedehnten Klientelwirtschaft entwickelt er ein ausgefeiltes «System Stockalper», das eine Vielzahl von Profiteuren, Loyalen und Abhängigen erzeugt.

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Blutexport und Weisses Gold Ein lukrativer Zweig in Stockalpers Unternehmenskonglomerat ist das Geschäft mit Söldnern, in das er 1640 expandiert. Die europäischen Rivalen begehren die Reisläufer aus den Bergen, insbesondere Frankreich, das mit der Eidgenossenschaft und dem Zugewandten Ort Wallis seit langem einen Allianzvertrag für die Werbung von 6000 Söldnern jährlich hat. Wenn sich in der Eidgenossenschaft Lieferengpässe ergeben, weicht der französische König gern auf Walliser Freikompanien aus. Für die beteiligten Kompanieinhaber und Offiziere aus den regimentsfähigen Familien im Wallis sind die Solddienste seit je eine wichtige Einnahmequelle und auch ein Weg, sich mit einem standesgemässen Beruf als Truppenführer Ruhm und Ehre zu erwerben. Die Ehre des Feldes liegt Stockalper nicht so sehr, vielmehr jedoch die Mehrung des Geldes. So führt er selbst keine Truppen, sondern stellt sie Frankreich und Savoyen zur Verfügung, indem er sie an Kommandanten vermietet. Dies ermöglicht ihm Gewinnmargen bis zu 20 Prozent bei geringem Risiko. Zudem kann er Pensionen und Posten verteilen und sich damit die Walliser Elite verpflichten. So richtig in Fahrt kommt Stockalpers Multiunternehmen, als er 1647 das wichtigste staatliche Monopol übernimmt: die Versorgung des Wallis mit Salz, das für die Viehzucht und als Konservierungsmittel lebenswichtig ist. Wegen der entlegenen Bezugsquellen erfordert Salz weitgespannte Geschäftsbeziehungen und Kontakte auf staatlicher Ebene. Es braucht eine flächendeckende Vertriebslogistik im Wallis und viel Kapital, um Einkauf und Lagerhaltung vorzufinanzieren. All das hat Stockalper zu bieten, so dass er als Salzherr zur wichtigsten Figur im Land aufrückt. Er im12


Der Simplonpass wird im 17. Jahrhundert zur wichtigen europäischen Transitachse.

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Stockalper baut den mittelalterlichen Saumpfad ßber den Simplon aus und macht den Pass zu einer Hauptachse des europäischen Handels.

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portiert Salz je nach Marktlage günstig in Frankreich oder in Italien über seinen Simplon, verteilt es im Wallis zu garantierten Preisen und macht so oder so den grossen Schnitt.

Neutralität als Geschäftsmodell Der eigentliche Motor seiner Geldmaschine ist die Verbindung von Simplontransit, Salz und Söldnerwesen. Mit diesen drei Elementen laviert Stockalper geschickt zwischen den Grossmächten: An den französischen König liefert er Söldner gegen billiges Salz und Handelsprivilegien. Immer wieder meldet der französische Ambassador nach Paris, «Stockalper gouverne le Valais» oder «Stockalper est le chef du pays du Valais». Man solle dafür sorgen, dass er billiges Salz bekomme, sonst platze der Soldvertrag. Ähnlich verhandelt Stockalper auch mit Spanien-Mailand. Dort gewährt er gegen billiges Salz Truppendurchzüge über den Simplon, auf die die habsburgische Seite angewiesen ist. So macht er sich unter Wahrung einer politisch-geschäftlichen Neutralität über Jahre auf beiden Seiten nützlich, hält die Grossmächte von Interventionen ab – und sahnt dabei kräftig ab. Die rasante Expansion der stockalperschen Unternehmungen ist aus seinen Handels- und Rechnungsbüchern ersichtlich, die er von seinem Geschäftseinstieg 1634 bis zu seinem Tod 1691 führte und die zu weiten Teilen im Stockalperarchiv in Brig erhalten sind. Auf rund 8000 meist zweispaltig und mehrsprachig beschriebenen Seiten hielt er Tag für Tag Transaktionen, Geschäfte, Schulden, Guthaben, Pläne, Korrespondenzen und wichtige politische Ereignisse im Wallis und in Europa fest, so dass sich sein Geschäftsgebaren und seine politischen Winkelzüge detailliert nachvollziehen lassen. Seine Beziehungen reichen von Lyon über 15


Paris und Brüssel bis an den Ärmelkanal nach Antwerpen, nach Savoyen und Südfrankreich, tief in den Süden Spaniens, nach Mailand, Venedig, Genua, Rom, Neapel bis Sizilien sowie nach Augsburg und Wien.

In einem ständigen Balancespiel zwischen den Grossmächten macht sich Kaspar Stockalper auf allen Seiten nützlich und sahnt dabei kräftig ab.

Damit umfasst sein Handlungsfeld auf dem fragmentierten westlichen Kontinent die habsburgische wie die französische und die savoyische Seite, und alle wollen sich den Herren vom Simplon gewogen machen. So ernennt der französische König Louis XIV. ihn zum Ritter des Sankt-Michaels-Ordens. Papst Urban VIII. macht ihn zum Ritter vom Goldenen Sporn. Der Herzog von Savoyen macht ihn zum Baron, indem er ihm gegen den Erlass von Schulden die Baronie von Duingt am Lac d’Annecy übergibt. Und der römisch-deutsche Kaiser Ferdinand III. erhebt ihn in den erblichen Adelsstand des Reichsritters. Stockalper darf nun den Adelstitel Kaspar Stockalper vom Thurm tragen und sich mit einem Wappen schmücken, das, wie er sagt, «einem Fürsten gemess» ist.

Selbst verursachte Immobilienteuerung Sukzessiv baut Stockalper seinen Mischkonzern zum Imperium aus. Söldner und Salz lässt er sich in harter Münze bezahlen. Dadurch entgeht er der chronischen Bargeldknappheit jener Zeit, 16


Der Stockalperturm in Gondo, GĂźterumschlagplatz und Lagerhaus, bezeugt den Reichtum seines Erbauers und sein Monopol auf die Passstrasse.

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ist immer liquide und bestimmt auch den Devisen- und den Geldmarkt. So risikofreudig er sein Geschäftsgebaren in frühkapitalistischer Manier auf Gewinnmaximierung ausrichtet, so konservativ ist seine Anlagepolitik. Getreu seinem Wahlspruch «Nichts ist beständig ausser Grund und Boden» kauft er Grundstücke, Ländereien, Weinberge, Obstgärten, Häuser und Palazzi zusammen, wo er sie nur bekommen kann. Die erprobte Methode dazu ist die Schuldenfalle: Er gewährt systematisch kleinen Bauern und klammen Mitgliedern höhergestellter Familien durch Grundpfand gesicherte Kredite und lässt die Zinsen auflaufen. Wenn Schuldner zahlungsunfähig werden, zieht er ihnen den Boden unter den Füssen weg und verpflichtet gleich noch die überz.hligen Bauernsöhne als Kanonenfutter in seinen Kompanien. Seine Gier nach Grundbesitz ist so gross, dass er im Wallis selber eine Immobilienteuerung auslöst und ins Val d’Ossola ausweichen muss. Schliesslich besitzt er so viele Grundstücke, dass er von Mailand bis Lyon stets in eigenen Wänden nächtigen kann. Dank seiner Grundwerte kann er riesige Summen absichern. Damit entwickelt sich sein Multiunternehmen immer mehr zur Handels- und Kreditbank. Seine Finanzkraft übersteigt bald jene aller nobler Familien im Wallis sowie der Landeskasse um ein x-Faches, so dass er die Geldpolitik des Landes bestimmt und als Privatmann die Funktion einer Notenbank übernimmt.

Gottes Günstling soll abkassieren Kaspar Stockalper ist im Geschäftsleben ein knallharter Kapitalist und hat keine Skrupel, Konkurrenten auszustechen, Menschen in Abhängigkeit zu treiben und Notlagen nicht nur aus18


zunutzen, sondern selbst zu erzeugen. Im Politischen macht er sich Leute gefügig durch Drohungen, Patronage, Begünstigung, Schmiergelder, Stimmenkauf oder blanke Bestechung. Das europäische Blutvergiessen ist die Grundlage seiner Gewinne an der Transitachse, gefallene Söldner sind blosse Ausfallrisiken in der laufenden Rechnung, opportunistisch spielt er Frankreich und Spanien-Mailand gegeneinander aus. Er türmt hemmungslos Reichtümer auf, stolziert mit Titeln herum, steckt enorme Summen in protzige Paläste. Er stiftet Kirchen, Klöster und Schulen und erheischt mit kalkulierter Wohltätigkeit die ewige Gefolgschaft seines Umfelds. Gleichzeitig ist er ein durch und durch frommer Mann, der sein spirituelles Leben minuziös plant und täglich um die Vergebung seiner Sünden betet. Solche Widersprüche sind in Stockalpers Universum jedoch keine. Er ist vielmehr tief überzeugt, dass irdisches Gewinnstreben und die Erlangung himmlischer Seligkeit aufs Engste zusammenhängen und in seiner Person ihre reinste Verkörperung finden. Dies fasst er in einem lateinischen Sinnspruch zusammen: «Sospes lucra carpat – Gottes Günstling soll die Gewinne abschöpfen». Der Satz erfasst seine wirtschaftsethische und spirituelle Lebenshaltung in nur drei Wörtern, versöhnt alle Widersprüche, ist Rechtfertigung und Auftrag – und er ist ein Anagramm seines Namens. Stellt man die Buchstaben um, erhält man «Casparus Stocalper». Gottes Günstling hat aus seiner Sicht die Aufgabe, Gewinne anzuhäufen. Tut er dies nach Kräften, belohnt ihn Gott mit diesseitigem Reichtum und jenseitigem Heil. Stockalper, der diese Heilsökonomie aus der jesuitischen Wirtschaftsethik der iberischen Spätscholastik ableitet, versteht das Geldscheffeln als gottgefälliges Werk, all die angehäuften Preziosen als Aus19


«Sospes lucra carpat – Gottes Günstling soll die Gewinne abschöpfen». Es ist das Lebensmotto von Kaspar Stockalper, und gleichzeitig ein Anagramm seines Namens.

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druck von Gottes Gnade und den Reichtum als Eintrittsticket fürs Himmelreich. «Nomen et Omen» setzt er ans Ende seines Wahlspruchs. Sein Name ist zugleich Programm, Legitimation und Vorzeichen der ewigen Seligkeit. Und der protzige Palast in Brig mit den Türmen, die wie direkte Antennen zu Gott emporragen, ist ein steingewordenes Abbild der Geisteshaltung seines Erbauers, der sich hier zum ungekrönten Sonnenkönig von Gottes Gnaden aufschwingt.

Sturz und Exil 1677 haben die Führungsfamilien im Wallis genug von Stockalpers Dominanz. Die meisten Landratsabgeordneten stehen bei ihm in der Kreide, sind seiner Willkür ausgeliefert und müssen ihre soziale Deklassierung fürchten, wenn es ihm beliebt. Auch die Zenden, der Bischof und unzählige Einwohner des Landes sind bei ihm verschuldet. Bisher erzeugte Stockalpers System des Klientelismus und der Kettenverschuldung viele Abhängige. Doch jetzt besteht für einen grossen Teil der Elite die Aussicht, seine Übermacht zu brechen, Schulden abzuschütteln und selbst an die Futtertröge zu kommen. Es kommt zu einer Verschwörung, bei der die führenden Leute der unteren Zenden in einem politischen Handstreich Stockalpers Entmachtung planen. Im Landrat im Mai 1678 anlässlich seiner Wiederwahl als Landeshauptmann legen sie eine lange Liste mit Anklagepunkten vor, darunter den Missbrauch des Salzmonopols, Veruntreuung von Geldern aus dem Söldnerwesen. «Der grosse Reichtum und der Einfluss Stockalpers bedeuten eine Gefahr für den Staat. Zur Alleinherrschaft im Wallis fehlt ihm nur noch der Titel», heisst es. Zudem habe er Verbrechen gegen den Staat begangen, darauf steht die Todesstrafe. 21


Stockalper wird wochenlang inhaftiert, aller Ämter enthoben und verliert seine Monopole. Kommissäre werden ins Schloss geschickt, um seinen Besitz zu inventarisieren. Er muss die Zenden mit hohen Strafzahlungen abfinden. Gleichzeitig rollt eine Lawine von Zivilprozessen an, in denen die neu gewählten Landeshäupter, Gläubiger, Schuldner und Gegner und ehemalige Freunde sich an der Vermögensmasse gütlich tun. Sämtliche Immobilien von Goms bis St. Léonard haben einen Wert von 2 200 200 Pfund oder 122 233 Kühen. Im Sommer 1679 wird erneut der Vorwurf des Majestätsverbrechens erhoben, diesmal mit Vorladungen und Haftbefehl. Jetzt setzt sich Stockalper ab nach Domodossola, wo er längst einen Palazzo besitzt und auch schon die meisten Wertsachen in Sicherheit gebracht hat. Fünf Jahre verbringt er im Exil, wo er als Grossgrundbesitzer und Mäzen freudig aufgenommen wird und die Protektion des Mailänder Hofs geniesst. Darben muss er keineswegs, auch seine in Brig verbliebene Familie nicht, der ein rechter Anteil des Vermögens und das Schloss erhalten bleibt.

«Wie der Schatten dem Körper, so folgt der Neid dem Erfolg.»  Kaspar Stockalper

Nach fünf Jahren will er in die Heimat zurückkehren. Als Bedingung verlangt die Obrigkeit einen «civilischen Submissionsbrüf», in dem er anerkennt, dass alle Strafen gegen ihn legitim waren, und gelobt, sich künftig unterwürfig zu verhalten. Wie es seine Art ist, schickt er ein eher rechthaberisches als demütiges Schrei22


ben, macht sich ohne auf die Erlaubnis zu warten auf den Rückweg – und zieht im Triumph in Brig ein. Danach lebt er sechs Jahre ruhig auf seinem Schloss und mischt sich nicht mehr in die Politik ein. Stockalper stirbt 1691 im greisen Alter von 82 Jahren und wird in der von ihm gestifteten Pfarrkirche von Glis beigesetzt. Stockalper war zu seiner Zeit im Wallis ein singuläres Phänomen. Er hat erkannt, dass die Schweiz als kleines Staatswesen im Zentrum des Kontinents ihre Existenz zwischen den Grossmächten der Lage an den Alpenpässen und dem klugen, man kann auch sagen opportunistischen Umgang mit seinen Nachbarn verdankt. So konsequent wie keiner vor und nach ihm hat der Briger Europapolitiker der ersten Stunde mit einer Neutralitätspolitik avant la lettre die Möglichkeiten der Zeit ausgenutzt – bis er auf ein gesellschaftsverträgliches Mass zurückgestutzt wurde.

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Die Unterzeichnung des Westfälischen Friedens in Münster am 15. Mai 1648 gilt als Geburtsstunde der Souveränität der Eidgenossenschaft.


Der Krieg, der einen Staat gebar Wegen der Pässe und des Exports von Söldnern ringt sich die Schweiz zur Neutralität durch – und geht als souveräner Staat aus dem Dreissigjährigen Krieg hervor.  Text: Helmut Stalder, erschien am 26.5.2018 in der NZZ

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Mehrfach hängt die Existenz der Eidgenossenschaft von 1618 bis 1648 am seidenen Faden. Dass sie während der ganzen 30 Jahre nicht in den europäischen Krieg hineingezogen wird, grenzt fast an ein Wunder: Sie liegt im Zentrum der Interessensphären, eingeklemmt zwischen den katholischen Mächten Spanisch- Habsburg, Österreichisch-Habsburg und dem spanischen Mailand, dem von Westen herandrängenden Frankreich und den bis an den Bodensee vorstürmenden protestantischen Schweden. Die Eidgenossenschaft gehört zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, ist ein labiles Staatengefüge aus dreizehn eigenständigen Orten in einem Geflecht von Bündnissen untereinander und in zum Teil sich ausschliessenden Allianzen der einzelnen Orte mit den kriegführenden Mächten. Konfessionell ist sie tief gespalten zwischen katholischen und protestantischen Orten, die übers Kreuz mit den Kriegsparteien sympathisieren. Die Tagsatzung, ein blosser Gesandtenkongress, ist schwach und aussenpolitisch nicht handlungsfähig. Eine zentrale Militärorganisation fehlt, so dass die Grenzen offen daliegen. Die Eidgenossenschaft ist ein Machtvakuum im Alpenraum und ständig den Begierden der kriegführenden Mächte ausgesetzt.

Blutiges Vorspiel in Graubünden Wie unerbittlich die Rivalen ihre Interessen durchsetzen, zeigt sich in den «Bündner Wirren», die 1618 den heutigen Kanton Graubünden und sein Untertanengebiet Veltlin erfassen. Dieses blutige Ringen am Rand der Eidgenossenschaft – die Drei Bünde sind lediglich ein «Zugewandter Ort» – nimmt vorweg, was der Eidgenossenschaft insgesamt leicht blühen kann. Es geht um die 26


Kontrolle der Alpenübergänge, die geopolitisch so wichtig sind wie die Meerengen. Spanien will seine Besitzungen in Norditalien mit jenen in den Niederlanden verbinden – über die so genannte «Spanische Strasse». Vom spanischen Mailand führt ein Ast westlich über Savoyens Pässe und teilweise über den Simplon durchs Wallis, über das spanisch-habsburgische Burgund und das österreichisch-habsburgische Elsass nach Flandern, ein zweiter Ast führt zentral durch die katholischen Kantone über den Gotthard. Der dritte Ast soll östlich über die Bündner Pässe die Verbindung ins österreichische Tirol, an den Bodensee und an den Rhein sichern. Frankreich muss verhindern, dass diese in Feindeshand fällt, zumal sie der einzige Landweg zum verbündeten Venedig ist. Über Jahre versuchen die Grossmächte die Kontrolle über die Drei Bünde zu erringen, wobei sie die konfessionelle Spaltung, Familienfehden, Rivalitäten der Talschaften und das Fehlen einer Zentralgewalt ausnützen. Schliesslich siegt die österreichisch-spanische Seite, das «Mailänder Kapitulat» gewährt den Spaniern die Nutzung der Bündner Pässe und verwehrt sie den Feinden.

Friedliche Durchzüge als Kriegsgrund Unmittelbar bedroht ist die Eidgenossenschaft im ersten Jahrzehnt des Krieges nicht, zumal sie um des inneren Friedens willen und wegen ihrer aussenpolitischen Schwäche die eingeübte Kunst des «Stillesitzens» praktiziert. Gemäss älteren Vereinbarungen haben jedoch Frankreich, Kaiser Ferdinand II. sowie Spanien das Recht, für friedliche Durchzüge Schweizer Pässe zu nutzen; dies entspricht der Lehre des Hugo Grotius, des berühmtesten Völkerrechtslehrers jener Zeit, der solche Durchmärsche vehe27


ment verteidigt. Von ihnen geht die grösste Gefahr aus, dass die Eidgenossenschaft in den Krieg hineingerissen wird. 1617 beantragen deshalb die reformierten Abgeordneten an der Tagsatzung, dass die Gewährung von Heereszügen von der Zustimmung aller Orte abhängig gemacht werde. Aber die katholischen setzen durch, dass weiterhin die einzelnen Orte darüber befinden, vorausgesetzt, dass «solche durchzüg one schaden und nachtheyl unseres geliebten vatterlands zugan mögen». In der Folge kommt es zu Bewilligungen und Verweigerungen von Durchzügen, stets begleitet von heftigem Streit an der Tagsatzung. Nur einmal 1629, als der Kaiser die Öffnung der Gebirgswege fordert und sein Oberbefehlshaber Albrecht von Wallenstein seine Armee am Bodensee konzentriert, rafft sich die Tagsatzung zur einhelligen Zurückweisung auf, «da es zu Erhaltung des freien Standes kein köstlicheres Kleinod gibt, als die Pässe in der Gewalt zu haben».

Die Schweiz neutralisiert sich selbst, um nicht von innen gesprengt und von aussen zerrissen zu werden. In den folgenden Jahren buhlt König Gustav II. Adolf von Schweden um ein Bündnis mit den Eidgenossen, erhält jedoch einen Korb. Weil er befürchtet, dass die katholischen Gotthard-Kantone dem spanischen Heer den Durchzug erlauben, droht er, den Krieg in die Schweiz zu tragen – ausser die Eidgenossen verhalten sich neutral. Dermassen unter Druck gesetzt, reagiert die Schweiz mit einer Erklärung der Unparteilichkeit, auf die sich beide Seiten danach mehrmals berufen werden. Gleichwohl kommt es zu Grenzverletzungen.

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So marschiert der schwedische General Gustav Karlsson Horn im September 1633 mit 6000 Mann durch Stein am Rhein und den Thurgau, um das kaisertreue Konstanz zu belagern. Dies reisst die reformierten und katholischen Orte um ein Haar in einen Bruderkrieg und führt zu einem langen Zerwürfnis, weil die katholischen Orte den untätig gebliebenen reformierten Thurgauer Kommandanten Kilian Kesselring einsperren. Zürich und Bern treffen Vorbereitungen für einen Waffengang gegen Zug, Uri, Schwyz und Unterwalden, beide Seiten suchen Allianzen mit ausländischen Heeren. Mit der Warnung, dass solches Säbelrasseln den Untergang des Vaterlandes herbeiführen würde, können weniger militante Orte beider Konfessionen die Gemüter besänftigen.

«Niemandem den Pass zu gestatten» Die schlimme Erfahrung führt zu einem Umdenken. Es setzt sich die Einsicht durch, dass die geostrategische Lage an den Pässen essenziell ist für das Land: Die Bevorzugung einer Kriegspartei beim Durchmarsch oder gar ein fallweises Zusammengehen der Orte mit ausländischen Glaubensbrüdern würde den eidgenössischen Bund unweigerlich zerreissen. Mit dem Verzicht auf Parteinahme neutralisiert sich die Schweiz sozusagen selbst, um nicht von innen gesprengt und von aussen auseinandergezerrt zu werden. An der Tagsatzung im Mai 1637 beschliessen die Abgeordneten deshalb, «alle Pässe wohl verschlossen zu halten und jedem Ort mit ganzem Vermögen zu Hilfe zu eilen, wenn es von fremdem Volk angegriffen werde». Diese Absichtserklärung wird schon bald auf die Probe gestellt, als Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar im Juli 1637 und im 29


Westfälischer Friede 1648

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Januar 1638 am Rhein mit 6000 Soldaten Schweizer Territorium durchquert. Danach bekräftigen Reformierte und Katholiken an der Tagsatzung einhellig, «niemanden den Pass durch die eidgenössischen Lande zu gestatten und jeden allen Ernstes davon abzuhalten». Die geostrategische Lage, der äussere Druck und das Patt der Konfessionen im Innern führen dazu, dass sich das pragmatische fallweise «Stillesitzen» hin zu einem aussenpolitischen Prinzip der bewaffneten Neutralität entwickelt. Allerdings fehlt der Eidgenossenschaft die militärische Organisation, um das Territorium zu schützen. Es braucht eine erneute Gefährdung durch einen schwedischen Truppenaufzug am Bodensee, dass sich die katholischen und reformierten Orte dazu durchringen. Erst im letzten Kriegsjahr 1647 kommt die «Defensionale von Wil» zustande, die erste, zum Schutz der Ostschweiz erlassene gesamteidgenössische Wehrverfassung. «Uff fürbrechenden Nothfal» haben die Kantone 12 000 Soldaten und 24 000 Mann Reserve zu stellen und Geld in eine Kriegskasse zu zahlen.

Söldner für alle Der zweite Antrieb, der die Schweiz zu einer neutralen Haltung führt, ist viel profaner: Ihr wichtigstes Exportprodukt sind seit je Söldner. Zu Kriegsbeginn stehen etwa 20 000, am Ende etwa 30 000 Schweizer in fremden Diensten. Alle Kriegsparteien wollen sie, die Kantone haben keine Verwendung für die überzähligen Bauernsöhne und erhalten für die Werbeerlaubnis stattliche Pensionen, und die privaten Kriegsunternehmer, welche die regulären Regimenter und Freikompanien organisieren, machen reichlich Kasse. Als Widerspruch zur Neutralität wird das Söldnerwesen keineswegs empfunden, weder von den Käufern noch von der Eidgenossenschaft. Voraussetzung für dieses Geschäft ist 31


allerdings die unparteiische Berücksichtigung aller Interessenten. So darf Frankreich aufgrund des 1521 geschlossenen und eben erneuerten Soldbündnisses bis zu 16 000 Söldner anwerben. In vielen Heeren Europas ziehen jeweils mehrere tausend Schweizer mit. Um Bruderkämpfe zu vermeiden und – vor allem – mit allen Seiten im Geschäft zu bleiben, dürfen sie nur defensiv eingesetzt werden. Die Verträge bestimmen auch, dass sie in die Heimat entlassen werden müssen, falls dort Krieg droht. Damit der Nachschub an Söldnern gewährleistet bleibt, halten sich die Mächte zurück, den Krieg ins Alpenland zu tragen. Mit dem neutralen «Blutexport» und dem Verkauf von andern strategischen Gütern wie Getreide und Pferden verdient die Eidgenossenschaft gut am Krieg und erkauft sich gleich auch die Unversehrtheit des Landes.

Ein «Neutral Standt» Nach fast 30 Jahren Krieg ist Europa erschöpft, im westfälischen Münster und Osnabrück beginnen die Friedensverhandlungen. Vor Ort reist der Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein, um Basel von der seit langem für Unmut sorgenden Unterstellung unter das Reichskammergericht zu befreien. Er überzeugt die eidgenössischen Stände, dies gleich für die ganze Eidgenossenschaft zu erstreiten. Mit grossen Geschick nutzt er die Rivalitäten der Verhandlungsmächte und erreicht, dass der Kaiser allen 13 Orten die «Exemption» gewährt. Damit sind sie von den Pflichten gegenüber Kaiser und Reich entbunden und nicht mehr der Reichsgerichtsbarkeit unterstellt. Streng genommen ist das nicht der Austritt aus dem Reich. Aber angetrieben von Frankreich und den Niederlanden 32


Johann Rudolf Wettstein (1594–1666), Bßrgermeister von Basel.

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setzt sich die Lesart durch, das Reich habe die Eidgenossenschaft 1648 im Westfälischen Frieden in die Souveränität entlassen. Mit der neuen völkerrechtlichen Position, der anerkannten Unverletzlichkeit des Territoriums und der bewaffneten Neutralität rückt die Eidgenossenschaft nun im europäischen Mächtespiel zum souveränen Staatswesen auf. 1674, während der Eroberungszüge Louis XIV., beschliesst die Tagsatzung, dass «wir uns als ein Neutral Standt halten und wohl versorgen wollen» – die erste offizielle Neutralitätserklärung und manifester Ausdruck des im Krieg gewonnenen neuen Staatsverständnisses.

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Die Welt hängt heute in einem geradezu unvorstellbaren Masse von Geld ab. Was bedeutet das? Die Sunflower Foundation stellt sich dieser Frage.

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