Im Schattenspiel des Mörders von Sophia Münster

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Die Autorin Sophia Münster, geboren am 28.02.1998, lebt in Mannheim. Bekannt wurde sie vor allem als Schauspielerin mit den Kinofilmen „Hanni & Nanni“ 1, 2 & 3. Darin spielte sie bereits im Alter von 11 Jahren zusammen mit ihrer eineiigen Zwillingsschwester Jana das weltberühmte Schwesternpaar nach den Romanen von Enid Blyton. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie schon früh durch das Lesen von Drehbüchern und dem Wunsch eigene Geschichten zu erfinden.

Sophia Münster

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Leseprobe von Sophia Münster Im Schattenspiel des Mörders Ab Juni 2015 im Buchhandel erhältlich Leseproben + Verlagsprogramm: http://issuu.com/casimir-verlag www.facebook.com/CasimirVerlag https://twitter.com/casimirverlag Auszug aus „Im Schattenspiel des Mörders“ © Casimir-Verlag, Carsten Krause, 34388 Trendelburg 2015 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: © Nicola Kirchner Printed in Germany 2015 ISBN 978-3-940877-19-2

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Prolog Die milde Abendsonne schien durch die ver­ blichenen Fenster. Wäre er in der Stimmung ge­ wesen, hätte er einen Spaziergang um den Block gemacht. Die Sonne ließ sich in letzter Zeit viel zu selten blicken. Glücklich über das schöne Wetter setzte er sich auf einen alten Le­ derstuhl und dachte über die Ereignisse der letzten Wochen nach. Er fühlte keine Reue, nur Erleichterung. Das Schicksal anderer war ihm schon immer relativ gleichgültig gewesen, egal in welcher Beziehung er zu den Personen stand. Viele würden einen solchen Charakter als egoistisch bezeichnen, er aber sah diese Verhal­ tensweise als notwendig an. Sein Lebensmotto lautete: „Willst du im Leben etwas erreichen, darfst du auf Andere keine Rücksicht nehmen“. Schon immer hatte er nach diesem Motto ge­ handelt. Vielleicht war er deswegen so allein. Er schaute sich in seiner dunklen Wohnung um und bei dem Gedanken, der ihm dabei durch den Kopf ging, grinste er schadenfroh. Es war 5


niemand da, der es hätte sehen können und niemand, dem er davon hätte erzählen können. Also ließ er die Ereignisse für sich allein Revue passieren. Seit seiner Kindheit war sein Handeln sehr clever und gerissen. Außerdem hatte er sich immer einen Spaß daraus gemacht, andere Menschen hereinzulegen. Er hatte nicht nur Freude daran, sondern war auch noch verdammt gut darin. Der Trick bestand darin, zuerst ihr Vertrauen zu gewinnen und sie dann in die Falle zu locken. Anfangs hatte er das nur an seinem Bruder erprobt, doch mit der Zeit war er immer besser geworden und hatte sich auch an Erwachsene herangetraut. Der bisher beste Streich, den er seinem Bruder gespielt hatte, war für ihn bis heute unvergessen. Denn so harmlos er auch begonnen hatte, das Ende war umso schrecklicher gewesen. Er hatte seinem Bruder versprochen, niemandem etwas davon zu erzählen. In Gedanken versunken stand er auf und packte seine Sachen in eine große Reisetasche. Auf einmal hatte er es eilig. Er konnte nun end­ 6


lich gehen, konnte all seine Sünden, sein bishe­ riges Leben und auch alle Menschen, die er im Stich gelassen und verletzt hatte, hinter sich las­ sen. Trotz seiner Fehler war er zufrieden mit sich. Doch obwohl er es nicht zugab – die Angst, erwischt zu werden, war immer noch da. Als er fertig gepackt hatte, verstaute er vier große Bündel Geld und ein Flugticket in der Innentasche seiner Jacke. Das Wichtigste kommt zum Schluss. Siegessicher ging er zur Wohnungstür und erstarrte beim Geräusch plötzlich aufheulender Sirenen. Es war still, totenstill. Ein leiser Wind wehte und ließ Layla frösteln. Sie mochte die Dunkel­ heit nicht. Sie sah kaum etwas und die Gegend kam ihr fremd vor. Abends, wenn sie im Bett lag und über den Tag nachdachte, brauchte sie immer ein kleines Licht in ihrem Zimmer. Von ihrem Bett aus konnte sie dann das ganze Zim­ mer betrachten. Es war dunkelgrün gestrichen und ziemlich klein. Kein Wunder, denn bei dem bisschen Geld, das ihre Mutter verdiente, war 7


Layla überrascht, dass sie sich nach der Scheidung überhaupt noch eine Wohnung leisten konnte. Das alles war zwar schon viele Jahre her, doch der Gedanke, dass es kein Streit war, der ihre Eltern auseinandergebracht hatte, ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Sie selbst erinnerte sich kaum noch an ihren Vater. Ihre Mutter sprach nicht viel von ihm, und ehrlich gesagt hatte Layla sie nie wirklich darum gebeten. Wieso auch? Sie kamen sehr gut ohne ihn zurecht. Und dann, ganz plötzlich und ohne jede Vorwarnung, bekam sie eines Tages diese E-Mail. Der Versender war ihr unbekannt, doch das hielt sie nicht davon ab, die E-Mail zu öffnen und zu lesen. Sie las und las, las noch einmal. Den Inhalt dieser E-Mail würde sie wahrscheinlich nie vergessen: Ihre Kehle war wie zugeschnürt und sie bekam einen Moment lang keine Luft mehr. Ihre Augen fingen an zu tränen, ihre Wangen brannten und sie wusste, dass das nur der Anfang dieser Geschichte war.

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Noch immer musste Layla tief einatmen, um sich zu beruhigen, wenn sie nur daran dachte. Die Angst, jetzt ihren Vater zu treffen, nach so langer Zeit, war einfach zu groß. In der E-Mail hatte er sich bei ihr entschuldigt: Angeblich war er überfordert mit einem Kind. Er ging weg, als sie sechs Jahre alt war. Sie konnte sich noch ganz genau an diesen Tag erinnern. Therese war dabei gewesen, alle Bilder, auf denen Geor­ ge allein oder mit anderen zu sehen war, zu verbrennen, während Layla danebenstand und schrie. Seitdem hatte sie ihren Vater fast zehn Jahre lang nicht mehr gesehen, also würden sie sich jetzt wohl genügend zu berichten haben. Aber wie sollte sie ihn ansprechen: Hallo Papa? Nein. Hallo George? Kam das nicht beides ein bisschen blöd? Layla zitterte mittlerweile am ganzen Kör­ per. In der Eile hatte sie es gerade mal geschafft, ihre dünne Weste mitzunehmen. Denn als sie die E-Mail bekommen hatte, war es schon fast 22 Uhr und ihr Vater hatte ausdrücklich ge­ schrieben, dass sie sich um 23 Uhr auf der Half­ 9


penny Bridge treffen sollten. Ihre Mutter hatte von alldem natürlich nichts mitbekommen. Seit es mit ihrem Job als Kellnerin finanziell nicht mehr so gut lief, passierte es ständig, dass Layla sie abends besoffen auf dem Sofa liegen sah. Sie warf einen Blick auf ihr Handy: viertel vor, er musste also gleich auftauchen. Rastlos lief sie auf und ab, nur um sich gleich darauf wieder an die steinerne Brückenmauer zu lehnen. Die Stille war nun nicht mehr auszuhalten, weshalb sie begann, leise vor sich hinzusummen. Dabei schaute sie sich immer wieder um, aus Angst nicht allein zu sein. Doch die Thames Street war menschenleer. In dem kleinen Ort namens Lechlade, wo sie mit ihrer Mutter in einem klei­ nen Haus zur Miete wohnte, war sowieso nie viel los. Andauernd nur diese nervigen Touris­ ten, die nach dem Weg fragten. Layla war hier aufgewachsen und hatte nie woanders gelebt. All die schmalen Gassen mit ihren kuschligen Läden neben verschlafenen, zum Teil zerfalle­ nen Häusern kannte sie wie ihre eigene Westen­ tasche. Viele Jugendliche in ihrem Alter würden 10


lieber in einer Großstadt leben wollen – Layla nicht. Ein erneuter Blick auf die Uhr ihres Handys verriet ihr, dass es nun 23 Uhr war. Wie konnte sie nur so blöd gewesen sein zu glauben, dass ihr Vater hier wirklich auf sie warten würde? Plötzlich zuckte sie zusammen. In der Dunkelheit vor ihr bewegte sich etwas. Ein Schatten, nein, eine dunkle Gestalt kam auf sie zu. Vor Schreck wich Layla zurück, stolperte dabei über ihre eigenen Füße und landete hart auf dem kalten steinigen Boden der Brücke, die Augen unverwandt auf die dunkle Gestalt gerichtet. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und die Luft blieb ihr weg, als die Gestalt plötzlich eine Hand nach ihr ausstreckte. Eine Sekunde lang sah es so aus, als würde die Gestalt sie anlächeln. Es war kein fröhliches Lächeln, sondern wirkte eher verlegen. Layla nahm all ihren Mut zusammen und griff nach der ausgestreckten Hand. Ganz sanft wurde sie nach oben gezogen und stand so dicht vor der Gestalt, dass sie deren Atem auf dem Gesicht spüren konnte. Hastig trat sie einen kleinen 11


Schritt zurück, denn die Nähe war ihr unheimlich. Nun erkannte sie auch, wer da vor ihr stand: Es war ein Mann. Er trug eine ganz normale Jeans und hatte sich offensichtlich die Kapuze seiner Jacke tief ins Gesicht gezogen, so als würde er nicht erkannt werden wollen. Minutenlang standen Layla und George einfach nur da und blickten einander schweigend an. Kurz dachte Layla daran, einfach wegzurennen, verwarf diesen Gedanken aber ganz schnell wieder. Und im nächsten Moment durchbrach der Mann endlich die Stille und sagte kaum hörbar: „Layla? Ich bin’s, George.“ Layla saß neben ihrem Vater auf einer alten Bank nahe der Brücke. Die Umgebung war in ein blasses Schwarz getaucht. George hielt Laylas Hände in den seinen und blickte sie lie­ bevoll an. Nie hätte sie gedacht, dass sie ihren Vater eines Tages wiedersehen würde. Es war ein schönes Gefühl. Obwohl sie ihn kaum kann­ te, war er ihr so vertraut. Sie unterhielten sich und Layla fragte sich, ob er noch oft an Therese 12


dachte. George erzählte von früher: Wie Layla sich einmal den Kopf am Küchentisch aufgeschlagen hatte und er sie sofort ins Krankenhaus gebracht hatte. Oder wie sie beide einmal gemeinsam Klettern gewesen waren und Layla vor lauter Angst zu fallen, geweint hatte. Layla erzählte ihrem Vater von ihrer Schule und ihren Freunden. Erleichtert über die entspannte Situation lächelte sie ihn an. Seine Hände waren warm und trocken und seine dunkelbraunen, fast schon schwarzen Augen strahlten, während er ihr begeistert zuhörte. Layla dagegen hatte helle Augen, ein blasses Blau-Grün, passend zu ihrer Gesichtsfarbe. Manchmal war sie so blass, dass Kira sie ‚Leichengesicht‘ nannte. Kira Sinfried war ihre beste Freundin, und das schon seit dem Kindergarten. Die beiden erzählten sich einfach alles und so konnte Layla es kaum erwarten, Kira in der Schule zu erzählen, dass sie ihren Vater wiedergesehen hatte. Wahrscheinlich würde Kira sie wieder einmal für verrückt halten, wie so oft. Aber diesmal musste sie ihr einfach glau13


ben. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand Layla auf und befreite ihre Hände aus dem festen Griff ihres Vaters. Ihre langen braunen Haare fielen ihr ins Gesicht, wie durch einen Schleier hindurch blickte sie George an und sagte: „Ich muss jetzt gehen.“ „Jetzt schon?“, fragte er verwundert. Layla nickte verlegen. „Also gut“, meinte George und fuhr fort: „Versprich mir, Layla, dass du deiner Mutter erst mal noch nichts von unserem Treffen erzählst. Das bleibt fürs Erste unser kleines Geheimnis, ja?“ Erwartungsvoll blickte er sie an. „Versprochen“, erwiderte Layla, drehte sich um und ging davon. Als sie zu Hause ankam, war es ein Uhr nachts. Leise öffnete sie die Haustür und schlich durch den winzigen Flur. Im Wohnzimmer konnte sie ihre Mutter schnarchen hören. Also hatte sie gestern Abend mal wieder zu tief ins Glas geschaut. Layla wusste, dass Thereses Schicht nie länger als bis ein Uhr dauerte. Mit wem sie danach oft bis tief in die Nacht hinein weitertrank, wusste Layla nicht. Sie wollte Therese aber auch nicht darauf ansprechen, sonst 14


würde sie sie nur wieder mit diesem schuld-be­ wussten Blick ansehen. Das könnte sie nicht er­ tragen. Außerdem hatte ihre Mutter sowieso schon genug Probleme, seit sie einen zweiten Job als Putzfrau angenommen hatte. Auf Zehenspitzen schlich Layla zur offenen Wohnzimmertür und betrachtete ihre schlafende Mutter eine Weile. Sie unterdrückte das Bedürfnis, sich neben sie zu legen und ihr über das Haar zu streicheln, so wie Therese es früher im­ mer bei ihr getan hatte. Stattdessen schlich Lay­ la weiter bis in ihr eigenes Zimmer. Vor-sichtig schloss sie die Tür hinter sich, setzte sich aufs Bett und starrte an die Wand. Das Treffen mit George musste sie erst einmal verarbeiten. Viele Wolken, kalte Luft, hohe Berge, Papa … da stand er und lächelte Layla an, doch dann: ein Schrei! George fiel, schwerelos. Layla spürte, wie Angst in ihr aufstieg … Ein lautes Piepsen ertönte, ein Knall … Layla schreckte hoch und blickte sich ver­ wirrt um. Natürlich, sie war in ihrem Zimmer 15


und das Piepsen ihres Weckers hatte sie aus ihrem Albtraum gerissen. Sie lehnte sich zur linken Seite, um das schreckliche Geräusch neben sich auf dem Nachtschränkchen auszuschalten. Dabei bemerkte sie, wie ihr eine warme Flüssigkeit langsam über die Wangen rann. Sie hatte im Schlaf geweint. Um sie herum war es noch dunkel, nur ein einziger Sonnenstrahl hatte seinen Weg durch den Vorhang am Fenster gefunden. Layla versuchte sich zu beruhigen und konzentrierte sich auf alle Geräusche, die sie hören konnte. Da war das Radio nebenan in der Küche. Gerade lief irgendein alter Song aus den 80ern. Ihre Mutter war also schon wach. Meistens musste Layla sie nach einer durchzechten Nacht wecken. Draußen fiel eine Autotür zu und ein Mann, wahrscheinlich ihr Nachbar, beschwerte sich bei jemandem, er solle doch bitte seinen Hund an die Leine nehmen. Layla stand auf, zog sich an und verließ ihr Zimmer. Im Flur roch es lecker nach Pfannenkuchen, wow! Anscheinend war ihre Mutter heute Morgen richtig gut 16


drauf. Mit den Worten „Hallo Mum, hmm …, das riecht aber gut!“, betrat Layla die Küche und setzte sich vorsichtig an den kleinen, wackeligen Küchentisch. „Guten Morgen, Layla Schatz, wie geht es dir?“, antwortete Therese abwesend, ohne auf eine Antwort zu warten, denn Layla kaute bereits mit vollen Backen. „Hey, mach langsam. Sonst verschluckst du dich noch und wir müssen dich ins Krankenhaus fahren“, ermahnte Therese sie und lachte bitter. Layla runzelte die Stirn. Offensichtlich hatte ihre Mutter einen Kater. Ihre Gedanken begannen abzuschweifen und sie starrte ungewollt auf ihren leeren Teller. Die ganze Zeit hatte sie das Gesicht ihres Vaters vor Augen. War es möglich, dass sie ihn auf einmal vermisste? Obwohl sie bis gestern nicht einmal mehr gewusst hatte, wie er aussah? Therese hatte es verdient zu wissen, dass George wieder hier war, fand Layla. Sie musste ihr von dem Treffen mit ihm erzählen. Sie öffnete den Mund, um es ihr zu sagen, schloss ihn aber schnell wieder. Emotionales Handeln würde sie beide 17


nicht weiterbringen. Layla wollte lieber abwarten, bis sie selbst wieder einen einigermaßen rationalen Gedanken fassen konnte. Das restliche Frühstück verlief schweigend. Nur kleine unwichtige Nichtigkeiten kamen noch zur Sprache, was Layla nicht weiter schlimm fand, da sie sowieso so schnell wie möglich in die Schule wollte, um wenigstens Kira von dem Treffen mit ihrem Vater zu erzählen. Sonst würde sie noch vor Glück und vor lauter unausgesprochenen Fragen platzen. „Mist“, fluchte Layla, als sie einige Zeit spä­ ter an der Bushaltestelle ankam, um zur Schule zu fahren. Sie konnte gerade noch sehen, wie der Bus um die nächste Ecke bog und ver­ schwand. So etwas passiert aber auch nur mir, dachte sie ärgerlich. Was nun? Sollte sie laufen oder die Schule schwänzen? Nein, sie musste einfach in die Schule, sie musste Kira unbedingt erzählen, was gestern Nacht passiert war. Viel­ leicht schaffte sie es ja, dass ihre Eltern sich wie­ der vertrugen und sie alle in mindes-tens einem Jahr wieder zusammenlebten, über-legte Layla. 18


Weiter kam sie mit ihrem Gedan-ken nicht, denn plötzlich fuhr ein schwarzer Polo an ihr vorbei und hielt direkt vor ihr am Straßenrand. Die Fahrertür sprang auf und George stieg aus dem Wagen: „Hallo Layla, soll ich dich vielleicht mitnehmen?“, fragte er und kam auf sie zu. Verdutzt blickte sie ihm entgegen und brachte schließlich heraus: „Klar, gern. Danke.“ Mit einer ‚Komm mit und folge mir‘-Geste brachte George sie zum Auto und öffnete ihr die Tür. Das war aber echt Rettung in letzter Sekunde, dachte Layla, bevor sie nach hinten in den Wagen stieg. Die Straßen waren kaum befahren, trotzdem kam Layla der Weg zur Schule wie eine halbe Ewigkeit vor. Die Scheiben waren von innen be­ schlagen, so dass es fast unmöglich war, hin­ auszuschauen. Was hätte ich getan, wenn Papa nicht gekommen wäre?, überlegte sie. Und überhaupt, wieso war er da gewesen, als sie ihn brauchte? Und woher wusste er eigentlich, wo ihre Schule war? Mit einer Hand wischte sie 19


über die Scheibe und schaute hinaus. Sie waren fast da. „An der Kreuzung rechts“, sagte sie entschlossen. Doch als sie an der Kreuzung ankamen, fuhr George einfach weiter geradeaus. „Hey, du hättest abbiegen müssen“, sagte sie nun leicht genervt zu ihm. Endlich äußerte George sich auch. „Keine Sorge, Layla, wir sind auf dem richtigen Weg, vertrau mir.“ Vor ihnen lagen jetzt nur noch Landstraßen. George wusste bestimmt nicht, wo ihre Schule war, denn er fuhr völlig falsch. Anscheinend hatte er gemerkt, dass sie ihn anstarrte, denn plötzlich drehte er sich abrupt um und schaute ihr ein paar unangenehme Sekunden lang direkt in die Augen. Schnell wandte Layla sich ab und schaute auf ihre Füße. „Das war aber Glück, dass ich dich gefunden habe, ich war gerade auf dem Weg zur Werkstatt. Mein Auto ist auch nicht mehr das, was es einmal war.“ Verlegen lächelte George sie durch den Rückspiegel an. Layla hob kurz den Kopf und widmete sich danach wieder ihren Füßen. Die restliche Fahrt über schwiegen beide. Layla fühlte sich unwohl 20


und traute sich nicht einmal mehr, aus dem Fenster zu gucken. Die Fahrt kam ihr furchtbar lang vor. Weg, ich will einfach weg hier, dachte sie und war glücklich, als sie merkte, wie der Volkswagen zum Stehen kam. Doch als sie die Tür aufreißen und aussteigen wollte, spüre sie, wie sie ihr schwer in den Händen lag. Ein Blick nach vorne verriet ihr, dass er lachte – George lachte. Und im selben Moment wusste Layla, dass die Tür überhaupt nicht mehr geöffnet werden konnte. Nicht von ihr, nicht jetzt. Hilflos schaute sie nach draußen. Keine Kinder, kein Hof, keine Schule.

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Ab Juni 2015 als Hörbuch im Handel! Gelesen von Jana und Sophia Münster ca. 600 Minuten

16,95 €

ISBN 978-3-940877-31-4 23


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