Die 1000 Stimmen Jagd Leseprobe

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Autor Nikolas Bierbaum, 1993 geboren, fing be­ reits mit 11 Jahren an zu schreiben und sammelte früh Erfahrungen mit Kurzge­ schichten. Die Idee für diese Geschichte ent­ stand während des Kurses “Kreatives Schreiben” der KinderKunstSchule-Sauer­ land, den er 2005 besuchte. Dies ist nach dreijähriger Arbeit seine erste veröffentlichte Fantasy- Geschichte.

Illustratorin

Rena Vornweg, Jahrgang 1938, ist Künstlerin, Illustratorin und Großmutter von Nikolas. Mit ihren Bilder nahm sie bereits an vielen Ausstellungen teil. Die Bilder für die Ge­ schichte ihres Enkels sind ihre ihre ersten Buchillustrationen.

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Fantasyroman

LESEPROBE Nikolas Bierbaum

Die 1000 Stimmen Jagd Rotauge

Kalter und durchdringender Westwind wehte durch das von Mondlicht beschienene Tal. Der Wind riss die Bl채tter von den B채umen und blies sie in die Dunkelheit. Dichter Nebel legte sich 3


über die monströsen Berge wie ein großes Lei­ chentuch. Etwas Gefährliches lag in der Luft. Etwas, was die ganze Welt verändern würde. Niemand bemerkte die auf einen Krückstock gestützte Gestalt, die langsam aus dem Schlund der Nacht auftauchte. Spuren hinterließen ihre zerfetzten Schuhe im feuchten Waldboden. Sie trug einen viel zu langen schwarzen Mantel. Das Gesicht, welches aussah, wie ein verfaulter Apfel, war mit vielen Falten durchzogen. Die wenigen schwarzen Haare tanzten im Wind, aber das Auffälligste waren die Farben der Augen: blutrot schienen sie durch die Nacht und sie durchdrangen selbst den dichten Nebel. Die seltsame Gestalt spürte, wie sich der West­ wind durch ihren dünnen Mantel fraß und sie zog den Kragen noch höher über den langen Hals. Zitternd und stöhnend erreichte sie einen kah­ len Baum. Einem Skelett gleich, neigte sich der abgestor­ bene Stamm im Wind. Dabei knackten die Äste gespenstisch. Ihr Körper zuckte zusammen, als sie bemerkte, 4


dass etwas über ihren Mantel strich. Schnell starrte sie in die Schwärze, aber es war nur ein vom Wind zerrupftes Blatt, das in den Ästen des Baumes hängen blieb. Wie auf ein Zeichen wandte sich das kantige Gesicht der dunklen Gestalt hämisch grinsend nach links. Eine kleine Holzhütte stemmte sich tapfer vor ihr gegen den Sturm. Lichter drangen hinter den Fensterläden hervor und kämpften sich vergeblich durch die Nacht. Die Fensterläden klapperten laut im Takt des Windes. Regentropfen klopften wie kleine Knochenfinger an die dünnen Scheiben und forderten Einlass. An der Tür hing ein mit Bronze überzogener Ring. Schwer atmend lief die gebückte Gestalt zur Tür, hob mühsam den Ring an und ließ ihn ge­ gen die Tür schnellen. Leicht wie eine Feder und doch stark wie eiser­ ne Ketten hallte das aufdringliche Klopfen durch die Holzhütte. Der dumpfe Knall drang in die Ohren von Eron 5


und riss ihn unsanft aus seinen Träumen. Eron erschrak. Seine sonst so fröhlichen Augen strahlten in diesem Moment nicht mehr. Sein Gesicht wur­ de blass und seine spitzen Ohren ragten in die Höhe. Eron trug einen dunklen Umhang, der das Licht in der Hütte zu verschlucken schien. Sei­ ne Nase war auffallend lang und krumm und die braunen Haare berührten fast den Boden. Wieder strich das Klopfen über die verschiede­ nen Bücherregale in der Hütte. Zögernd ging er zur Tür. Eron war ein Zarbaron, ein Gehilfe für einen Zauberer. Alle Zauberer waren faul, vergesslich und rühr­ ten nicht den kleinsten Finger. Gelegentlich sag­ ten sie ein paar Zaubersprüche auf, aber der Zarbaron musste Zutaten aus dem Zauberwald für den Zaubertrank holen, Zauberstäbe repa­ rieren oder bauen, Zauberbücher schreiben, Briefe an den Zaubererrat austeilen und noch vieles mehr. Eron arbeitete für den mächtigsten aller Zaube­ rer. 6


Er hieß Merlin, der einzige Zauberer der tüchtig war und wahrscheinlich auch der älteste von al­ len. Anders als Zauberer, hatten Zarbarone keinen Zauberstab, sondern eine Münze. Mit dieser konnten sie jeden Zauberspruch aufsagen und mussten nicht wild mit ihr in der Luft herum fuchteln. Nur fest, wirklich ganz fest musste man sie in der Hand halten. Wer war da draußen? Eron erkannte einen riesigen Schatten unter der Türschwelle, der aber gleich darauf vom Licht der Hütte verblasste. Vorsichtig spähte er aus einem kleinen Fenster neben der Tür. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er be­ merkte, wie mehrere Schauer seinen Rücken hoch kletterten. Draußen stand ein düsterer Mann. Der Regen leckte über seinen schwarzen Mantel. Unerwartet zog etwas Starkes den Zarbaron zur Tür. Er wehrte sich, doch die unheimliche Macht war stärker. 7


Er spürte die Macht, die ihn dazu zwang, die Tür zu öffnen. „Wo zum Koboldmist ist bloß meine Zauber­ münze?“, zerschoss es Eron pfeilschnell die Sin­ ne. Schnell stemmten sich seine Finger gegen die Tür. Kälte durchströmte seinen Körper und er be­ kam eine Gänsehaut. Doch die Tür öffnete sich mit einem energi­ schen Ächzen und der Regen prallte schmerz­ haft wie Peitschenhiebe auf ihn ein. Angezogen von der blutroten Farbe seiner Au­ gen, blickte er dem Mann bis tief in die Augen­ höhlen. Eron und der Unbekannte musterten sich gegenseitig mit durchdringenden Blicken. In Erons Körper krochen langsam aber sicher seine eigenen Kräfte zurück. Die langen Finger des Mannes packten den ge­ bogenen Krückstock. Der Umhang des Zarbarons klebte ihm am gan­ zen Leib, als die Stimme des Mannes hart gegen seinen Kopf schlug: „Darf ich eintreten?“ Und da war sie wieder! 8


Eine unsichtbare Macht fesselte Eron. Wie im Dämmerzustand machte er eine einladende Handbewegung. Mit schweren Schritten und einem Furcht erregenden Röcheln trat der Mann ein. Eron führte ihn in sein kleines Wohnzimmer. Der Mann ließ sich aufatmend auf einem klapp­ rigen Stuhl neben dem Kamin nieder. Ein lo­ derndes Feuer warf schwarze Schatten an die Bücherregale. Gebannt starrte der Fremde in die knisternden Flammen. Eron schaute sich hektisch um, aber er fand kei­ nen Ausweg. Der Zarbaron beobachte die vom Feuer ange­ lockten Schatten, die schnell über die Bücher tanzten und sich zu immer neuen Gebilden formten. Funken flogen durch den Schornstein empor in die kalte Nachtluft und warteten darauf, vom Regen gelöscht zu werden. Eron setzte sich ein Stück weiter abseits des Mannes. Wind wehte durch die Holzhütte und ein paar Buchseiten flatterten auf. 9


Eron wusste nicht was er sagen sollte, aber um die angespannte Stille zu unterbrechen fragte er zitternd: „Wer …, ähm ich meine, … sie …?“, er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Es schien, als versuche der Mann den Blick ver­ gebens vom Feuer abzuwenden. Seine roten Augen funkelten böse. Die Glut spiegelte sich in seinem Gesicht. Er blickte grinsend in die Luft und flüsterte seine Antwort in den dunklen Rauch, der sich im ganzen Wohnzimmer schnell wie ein Teppich ausbreitete.

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„Ich heiße Rotauge und bringe dir, als Bote, einen Brief von Merlin. Er hat mich geschickt“, griff tief in seine feuchte Manteltasche, zog einen durchweichten Brief heraus und über­ reichte ihn Eron. Missmutig packte der Zarba­ ron den feuchten Umschlag. Er schaute Rotau­ ge erstaunt an und betrachtete das golden glit­ zernde Papier. Der Umschlag bewegte sich. Er schien verzau­ bert zu sein, denn das Wachssiegel mit dem Zauberstab zerbrach ohne Berührung. Plötzlich sprangen viele Buchstaben heraus und hüpften laut lachend auf den Tisch. Mühsam kletterte zuletzt ein kleiner dicker Ko­ bold hinterher und rief wütend: „RRRRUUUUUUHHEEEE!“ Die Buchstaben verstummten und schmollten. Mit erhobenem Haupt ging der Kobold auf Rot­ auge zu. „Konntest du nicht ein bisschen besser aufpas­ sen? Mich den großen, mächtigen, dicken, über­ aus freundlichen“ ,er atmete tief durch, „und hilfsbereiten Kobold Nom in ein enges, durch­ geweichtes, schmutziges, raues und ungemütli­ ches Stück Papier zu stecken, da mach ich nicht 12


mehr mit.“ Rotauge wandte sich zu Nom den erbosten Ko­ bold: „Ich werde dafür sorgen, dass du künftig komfortabler reisen wirst.“ Nom schaute ihn ungläubig an: „Das soll ich dir glauben?“ Die Augen von Rotauge wurden immer größer. Der Kobold war wie hypnotisiert. „Verzeihung Meister! Ich werde ihnen nie wie­ der widersprechen“, sagte Nom ängstlich und Rotauge nickte daraufhin triumphierend. Eingeschüchtert stellte sich der Kobold vor die Buchstaben und brüllte: „Ordnen!“ Sofort liefen sie wild rufend durcheinander und stellten sich in lesbare ganze Sätze zusammen. Der Kobold atmete noch einmal tief durch und las den Brief vor:

Lieber Eron, Ich muss dir etwas Schreckliches mitteilen.

Du hast dir doch vor über 100 Jahren das „Buch der 1000

Stimmen“ aus meiner Bibliothek

ausgeliehen, um die Lehren des Bösen zu ler­ nen. In dem Buch gibt es eine Seite, die jetzt 13


von enormer Bedeutung ist. Ich dachte du hät­ test mir das Buch schon

zurück gegeben, aber

dem ist nicht so. Ich brauche es dringend, denn Sir Kardaror hat gedroht Camelot anzugreifen und seitdem König

Arthur gestorben ist, geht

hier alles drunter und drüber. Mit dem Buch könnten wir vielleicht die Armee besiegen. Es ist unsere einzige Chance. Du musst es nach vier Sonnenuntergängen zu den Steinkreisen gebracht haben. Sir Kardarors Armee ist nämlich schon bis nach Avalon vorgedrungen. Ich kann es mir leider nicht selber holen, da ich versuche die Armee aufzu­ halten damit du Zeit gewinnst. Aber pass auf, dass es dir nicht von den Die­ nern Sir Kardarors gestohlen wird, wenn sie es als erster zu den Steinkreisen bringen werden sie es dort zerstören, da man das Buch nur an dem Ort

vernichten

kann,

wo

es

auch

entstanden ist. Ich habe es ja , wie Du weißt, bei den Steinkrei­ sen geschrieben. Nur das Böse kennt die Formel um das Buch zu vernichten und ich glaube das 14


Sir Kardaror alles daran setzen wird, das Buch auszulöschen. Beeile dich Eron, sonst gehört Camelot bald der Dunklen Seite an.

Merlin Schnell sprangen die Buchstaben mit aufgereg­ tem Gemurmel zurück in den Umschlag und Eron stupste den protestierenden Kobold hin­ terher. Die Miene des Zarbaron verfinsterte sich. Langsam legte er den Brief auf den Kamin. Die Finsternis hatte das Wohnzimmer ver­ schlungen. Das Feuer war ausgebrannt und nur noch die Glut schimmerte im Raum. „Warum konnte man mit so einem einfachen al­ ten Buch einen Kampf entscheiden?“, fragte sich Eron innerlich und schmiss einen tro­ ckenen Holzscheit in die Glut. Das Feuer flammte wieder auf und die Schatten kehrten zu den Büchern zurück. Als das Feuer nach einiger Zeit wieder etwas erkennen ließ, bemerkte Eron erschrocken, dass 15


Rotauge verschwunden war. Er schaute sich um. „Wo war er?“, strich es dem Zarbaron durch den Kopf. Erons Finger packten eine triefende Wachsker­ ze. Langsam durchsuchte er die kleine Holzhütte nach Rotauge. Die Schatten sprangen ihm im Kerzenschein nach und folgten in jede staubige Nische. Seine Suche führte ihn in jeden Raum des Hauses. Am Ende blieb nur noch ein Raum den Eron nicht durchsucht hatte. Leise schlich er in die kleine Bibliothek seiner Hütte, heißer Wachs tropfte auf seine Finger. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Eron zitterte, und ließ den Kerzenstumpen fal­ len. Alleine in die Dunkelheit eingetaucht, stolperte er über die am Boden verstreuten Bücher. Vorsichtig tastete sich Eron an einem Bücherre­ gal entlang. Er strich über die alten Rücken der Bücher, für einen Moment vergaß er sich in den 16


verschiedenen Geschichten. Es schien als wiesen sie ihm mit ihren freundli­ chen Stimmen den Weg durch das Bücherlaby­ rinth. ,,Rechts, links, rechts, links!“, durchbrachen ihre Stimmen die Stille. Er schien wie umzingelt von riesigen Regalen. Eron wurde es zwischen ihnen mulmig zumute. Plötzlich sah er zwei rote Punkte in der Dunkel­ heit aufblitzen. Eron spürte seine Beine nicht mehr. Er wurde magisch angezogen. Wie von fremder Geisterhand gezogen lief er auf die roten Augen zu. Ein Donnern, ein Blitz ... und Eron blieb vor Rotauge stehen. Er sah, dass Rotauge in einem Buch las. Die ro­ ten Augen schienen durch die Buchseiten hin­ durch. Mit seinen schmutzigen Händen stellte er das Buch an seinen ursprünglichen Platz. Nebel hatte sich durch die kleinen Holzritzen gekämpft und umwickelte Eron. Seine Starre wurde von einer heiseren Stimme 17


unterbrochen. „Muss ich denn immer noch auf euch Acht ge­ ben?“, flüsterte Rot-auge, verstummte aber gleich darauf wieder. „Ich musste noch meine Schatten einfangen“, kicherte er und wies mit seinem Krückstock auf einen Sack der ihm über dem Buckel hing. Kleine schwarze Rauchwolken entwichen aus den dünnen Fasern und zersetzten sich. Mit der Zunge fuhr sich Rotauge über die krummen und spitzen Zähne, die so schwarz waren wie die Nacht. Ohne ein weiteres Wort zu sagen lief Rotauge zur Tür hinaus. Nachdenklich und zugleich auch erleichtert blickte Eron ihm nach. Der Mond beleuchtete den matschigen Pfad, dem Rotauge schnell folgte. Ein lautes Lachen durchbrach die Stille. Eine

Rabenschar

flog

aufgeschreckt

den

dunklen Wolken entgegen. Das Lachen brannte sich in Erons Kopf ein. Ihm wurde schwindelig, hastig schloss er die Tür. Alles drehte sich in Erons Gedanken. 18


Der Zarbaron setzte sich auf ein altes Sofa, das im Wohnzimmer stand. Seine Augen schlossen sich und Eron kehrte, vor Erschöpfung, mit sorgenvoller Miene in sei­ ne Träume zurück.

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Auszüge aus:

Nikolas Bierbaum

Die 1000 Stimmen Jagd Fantasyroman Copyright: © 2014 by Nikolas Bierbaum 1. Auflage: März 2009 Verlag: Casimir-Verlag, Carsten Krause, 34388 Trendelburg Alle Rechte, auch die des auszugsweisen und fotomechanischen Nachdrucks, vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Einwilligung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsge­ staltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagabbildung:/Illustration © Rena Vornweg Lektorat, Satz & Layout: Carsten Krause Printed in Germany

ISBN 978-3-940877-02-4

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