Perspektive Baden-Württemberg 2/2013

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Bildung | Perspektive 02/2013

Ich war in einem Krankenhaus auf der Mutter-Kind-Station und durfte gleich am ersten Tag helfen, das Frühstück zu verteilen und den Puls zu messen. Mein Klassenlehrer hat mich am ersten Tag zum Krankenhaus gebracht, weil ich keinen Plan hatte, wo das in Stuttgart ist. Das finde ich bei unserer Schule sehr gut: Wer Probleme oder Fragen hat, wird nicht alleine gelassen. Und meine Lehrer haben das richtig eingeschätzt: Der persönliche Kontakt mit den Patienten hat mir sehr gut gefallen. Manchmal ist das mit der Berufsvorbereitung ganz schön viel Stoff, das muss man erst mal sortieren. Dabei hilft uns ein Job-Coach. Er unterstützt uns dabei, dass nach der Schule jeder einen Ausbildungsplatz hat oder ein Berufsvorbereitungsjahr macht. Ich habe schon mit ihm darüber gesprochen, dass ich die Arbeit im Krankenhaus spannend fand. Beim nächsten Freitagspraktikum bin ich in einer Praxis für Physiotherapie. Mal sehen, wie es so in einem kleineren Betrieb läuft. Und vielleicht ist das ja mein Traumjob.“

„Der persönliche Eindruck zählt“

Rolf Stelzle ist Malermeister mit neun Angestellten und Bildungspartner der Gemeinschaftsschule in der Taus. Bei ihm lernen Praktikanten nicht nur, wie man Farben mischt, sondern auch, warum ein ordentlicher Händedruck wichtig ist.

„Vor fünf Jahren fragte mich der Rektor der Gemeinschafts­schule, ob ich Bildungspartner werden wolle. Ich habe erst mal um Bedenkzeit gebeten. Denn wenn man Praktikanten annimmt, sollten sie auch gut betreut werden, und das kostet Zeit und oft genug auch Nerven. Andererseits habe ich selbst vier Kinder und war froh, dass sie gute Praktikumsplätze und Lehrstellen gefunden haben. Es ist auch eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung, mich in der Berufsvorbereitung und der Ausbildung zu engagieren. Außerdem hat das Handwerk ein Nachwuchsproblem. Es bewerben sich immer weniger junge Leute und noch weniger kommen tatsächlich als Lehrlinge infrage. Betriebspraktika sind für uns eine gute Gelegenheit, uns nach potenziellen Auszubildenden umzuschauen. Grundsätzlich bilden wir nur dann aus, wenn jemand zu uns passt, denn das Betriebsklima ist uns sehr wichtig. Wenn sich alle Mitarbeiter gut verstehen, sind sie motivierter und bringen bessere Leistungen. Bei den zehn Schülern, die bislang ein Betriebs- oder ein neunwöchiges Freitagspraktikum bei uns gemacht haben, hatten wir schon die ganze Bandbreite. Einige waren völlig des­i nteressiert. Aber ein junger Mann hat nach seinem Abschluss seine Ausbil-

Foto: © Edgar Layher

dung bei uns gemacht und wir haben ihn auch übernommen. Seine Schulnoten waren zwar nicht gut, aber er war hochmotiviert, freundlich und hat sich sehr geschickt angestellt. Daran sieht man, wie wichtig der persönliche Eindruck ist. Was mir auffällt: Vielen Schülern mangelt es an Umgangsformen. Ich erkläre immer wieder, dass man einen Kunden grüßt und ihm in die Augen schaut, wenn man mit ihm spricht. Oder was ein ordentlicher Händedruck ist. Das ist im Handwerk nun mal wichtig, es zeigt, dass man zupacken kann. Viele junge Leute, das ist mein Eindruck, haben wenig Selbstbewusstsein. Ob die Eltern sich nicht kümmern? Wir nehmen uns auch Zeit für diejenigen, die nicht zu uns passen, und erklären ihnen, was wir gut fanden und woran sie noch arbeiten müssen. Diese Beurteilungen bekommen die Lehrer, die Schüler im Praktikum betreuen, auch schriftlich. Zusätzlich treffen wir uns ein paar Mal im Jahr mit den Lehrern und dem Job-Coach der Schule und tauschen uns aus – über einzelne Schüler und über die allgemeinen Erfahrungen aus den Praktika. Dieses Feedback verbessert die Zusammenarbeit. Was ich mir wünschen würde, ist ein anderer Wochentag für die neunwöchigen Praktika: Freitags wird in vielen Handwerksbetrieben traditionell nur bis mittags gearbeitet. Zugegeben, von den Schülern hat sich darüber noch niemand beschwert.“

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