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Der moralische Senioren-Schweizermeister

Berichte

Fortsetzung der Realsatire (siehe „Turnfreund“ 3/2022)

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Nach dem Hammerschlag am Vorarlberg-Cup der Bahngeher vom vergangenen März in Dornbirn (AUT) war für mich zuerst mal Wunden lecken angesagt. Bald aber verspürte ich bereits wieder das Verlangen, zu neuen seniorensportlichen Ufern aufzubrechen. Mein Kollege Daniel meinte, ich könnte ja im nächsten Jahr - trotz erklärtem Rücktritt - an den SeniorenSchweizermeisterschaften der Geher teilnehmen, dann aber ohne jegliche Zielsetzung und somit völlig unbelastet. Dann könnte ich ja nur gewinnen, eventuell würde ich wider Erwarten eine „Bombenzeit“ herausholen - falls es jedoch wieder in die Hose gehen sollte - auch egal.

Mangels tiefenpsychologischer Grundkenntnisse vermochte ich nicht zu beurteilen, ob dieser „Trick“ zum Erfolg führen würde. Zusätzliche Zweifel streute mein Arzt, ein Wirbelsäulenspezialist an der Birshofklinik. Er empfahl mir, ich sollte einfach die Flughöhe wahren, d.h. in der Bandbreite „fliegen“ oder vielmehr gehen, welche zu meinem Alter passen würde. Sofern ich mich an diese Regel hielte, sei ich in einigen Jahren der einzige, der einer solchen sportlichen Belastung überhaupt noch standhalten würde – und somit der „King“… Das leichte Schmunzeln auf seinem Gesicht liess mich allerdings zweifeln, ob ich seine Aeusserungen für bare Münze nehmen kann. Obwohl ich also von dieser Argumentation nicht vollumfänglich überzeugt war, meldete ich mich in Monthey zum „Grand Prix der Geher“ Anfang Oktober an, einem von zwei Geher-Wettkämpfen im Jahre 2022. Lieber wäre mir eine Teilnahme an den Schweizer Meisterschaften Ende September in Bellinzona gewesen. Leider hatten aber meine Frau Corinne und ich bereits vor Monaten unsere Portugal-Reise auf die 2. Septemberhälfte gelegt. Meine Verbissenheit hat auch ihre Grenzen, eine Annullation der Reise stand ausser Frage…. Am westlichsten Punkt von Festlandeuropa musste ich dann zur Kenntnis nehmen, dass kein Geher der Kategorie 65-70, mangels gelaufener Limite von 31‘30“, zum Schweizer Meister über 5 km gekürt werden konnte. Hätte ich es geschafft?

Das wollte ich am 8. Oktober in Monthey erfahren. Unter den kritischen Blicken von Daniel ächzte ich mich in 31‘12“ über die Ziellinie. Ja, mit dieser Zeit hätte ich es in Bellinzona geschafft und die Konkurrenz überlegen gewonnen – vor dem Zweit- und zugleich Letztplatzierten. Also darf ich mich doch mit Fug und Recht „moralischer Schweizer Seniorenmeister“ nennen.

Euphorie kam bei mir jedoch nicht auf. Wegen meiner persistierenden Bandscheibenbeschwerden riet mir mein Arzt nun dringend von weiterem Gehtraining ab: Der Hüftschwung belaste die Bandscheibe zu stark. Ich soll mich auf Nordic Walking und (leichtes) Joggen bis 5 km beschränken, dies abwechslungsweise.

Folglich setzte ich mir fürs Jahr 2022 ein letztes Ziel: Nach x Jahren wollte ich es am Riehener Lauftag wieder einmal mit „wettkampfmässigem“ Laufen – de facto vielmehr Joggen – probieren. Mein nicht sehr hoch gestecktes Ziel habe ich überraschenderweise klar unterboten: 5km in 23‘03“; Damit blieb ich nur knapp, nämlich nicht einmal acht Minuten, unter meiner Bestzeit aus dem Jahre 1980. Was sind acht Minuten im Vergleich zur Ewigkeit? Es scheint wieder aufwärts zu gehen, den nächsten zehn Jahren sehe ich mit Zuversicht entgegen… René W. Meier

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