Reisemagazin Bregenzerwald

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Mir scheint, ich bin einen Hauch zu lebenstüchtig unterwegs, so lebenstüchtig bin ich gar nicht; oft verfalle ich dem Irrtum, andere hätten Interesse an den Lebensumständen der Menschen in den Landschaften, die sie durchfahren. Ob er Franz Michael Felder gelesen habe, frage ich Brendel, der sei in Schoppernau zu Hause gewesen. Felder, sagt Brendel etwas matt, das ganze Hotelzimmer ist voller ­Felder! Ich habe nie hineingeschaut. Was von dem zu halten sei? Nicht alles ist gut, aber die Autobiografie ist vorzüglich. Merkwürdig rührender Fall eines Autodidakten, Peter Handke hat sie neu herausgegeben. Aha. So leid es mir tut, wir müssen Höhenmeter machen. Damüls ist ein Walserdorf, wurde nicht vom Bregenzerwald aus, sondern von der anderen Seite her besiedelt, vom Laternsertal und vom Rheintal. Warum denn die Walser aus dem Wallis ausgewandert seien, will Brendel wissen. Ich weiß es nicht, ohne Google im Auto ist man verloren, später schaue ich nach. Inzwischen äußere ich vage historische ­Vermutungen. Vermutlich Hungersnöte, Bevölkerungswachstum, Zwist mit Feudalherren. Nicht einmal ganz falsch, was ich sage. Die Geschichte, als ich mit einem Käsemeister in steilstem Gelände auf Recherche unterwegs war, erzähle ich lieber nicht – als der mich bat, auszusteigen, weil er an abschüssiger Stelle eine Kehre nicht auf einmal bewältigen konnte, sondern mit dem Heck über dem Abgrund reversieren musste. Das Leben in den Bergen ist gefahrvoll. Man kann hinübersehen auf die Alpe auf der Üntschen. Das erwähnen wir nicht, aber den Käser schildern wir, der dort aus dem siedenden ­Kessel das siebzig Kilo schwere Netz mit dem Käse allein heraushebt, nachdem er zuvor dessen Enden mit den Zähnen zusammengehalten hat. Das erinnert Brendel an eines seiner Gedichte. Käse!, sagt er mit würzigem Ingrimm. Peinlicherweise habe ich es nicht präsent und kann nichts weiter dazu sagen. Weil’s nicht im Sammelband steht, sondern im „Fingerzeig“. „In einer Zeit/die den Menschen das Recht absprechen möchte/ sich öffentlich zum Käse zu ­bekennen/ verdienen die Bemühungen des Käsesyndikats/Aufmerksamkeit und Unterstützung.“ Und überhaupt: „Mittlerweile hat der Vorschlag/

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Irena Rosc fotografiert Alfred Brendel beim Gespräch mit Armin Thurnher im Hotel Hirschen in Schwarzenberg

das Käsesyndikat in eine Käsekirche umzugestalten/an Boden gewonnen …“ Auch wir haben Boden gewonnen und sind endlich da, nach einer letzten Kurve leuchtet uns die barocke, rote Zwiebel des Damülser Kirchturms entgegen. Ein kleines Kirchlein, prekär und doch geschützt auf einem Rücken gelegen, das einzige nennenswerte gotische Bauwerk in Vorarlberg, barock überformt, versteht sich. Das Dorf schmiegt sich an den Fuß des kleinen Rückens. Das schneereichste Dorf der Welt, damit wirbt der Ort für den Wintertourismus, aber jetzt ist Sommer, die Alpenblumen blühen, die Luft ist schärfer, reiner, rauer als unten im Tal. Auf den Berggipfeln, wenige Hundert Meter oberhalb von uns, halten sich letzte Flecken von Schnee.

Wir gehen die paar Meter zur Kirche steil bergauf, über eine schmale Stiege und einen Kiesweg. Kein Tourist weit und breit, nur zwei, drei Walserinnen bemühen sich um die Gräber auf dem kleinen Friedhof. Ich, ganz Cicerone, habe den Dehio mit, Brendel nimmt ihn dankbar. Ein geschnitzter, ­barocker Pestchristus bietet einen kuriosen ­ersten Höhepunkt. Ans Kreuz geschlagen und mit Pestbeulen übersät – ein bisschen viel auf einmal, aber dem barocken Gemüt konnte es nicht drastisch genug sein. Brendel hat ein Faible für Absurdes. Eine der Frauen kommt und macht mehr Licht. Jetzt können wir die berühmten, geschmackvoll restaurierten Fresken betrachten. Die Anbetung


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