BOX 226

Page 7

nachgefragt

SCHWULE Hauptstadt BERLIN BILDER&TEXTE: vvg

Brian S., Berlin Ich bin in Bonn aufgewachsen, habe lange in Köln gelebt, wo ich mein Coming Out hatte und lebe seit 1999 in Berlin. Zu meiner Coming Out - Zeit war Köln eine wirklich tolle Stadt mit richtig geilen Kneipen und toller Stimmung. Die Szene war übersichtlich, familiär und jeder kannte jeden. In Berlin hat man unterschiedliche Szenen; egal in welchem Stadtteil man ist, alles ist weitläufiger. Aber ich muss sagen, wenn man sich auf die Schöneberger Szene begrenzt, wo es auch Leder- und Bärenlokale gibt, ist es das gleiche wie damals in Köln: Irgendwie wird es wieder zum Dorf, wo jeder jeden kennt. Vielleicht fehlt in Berlin tagsüber das ein oder andere Cafe, aber das Gute ist doch, dass man zu jeder Zeit ausgehen kann, was man aber nicht macht, wenn man hier lebt. Als schwuler Mann kann man hier sehr gut leben, aber die Hauptstadt der Schwulen ist Berlin für mich nicht. Ich glaube, die ideale Hauptstadt wäre eine Mischung aus Köln mit seinem gigantischen CSD und dem einmaligen Bear-Pride, das heutige Berlin und Amsterdam, wie es vor ein paar Jahren noch war. Dietmar Holzapfel, München Ich liebe München, aber dahinter liegen unmittelbar Berlin und Hamburg. Köln kommt erst an 4. Stelle. Als Hauptstadt der Szene sehe ich aber durchaus Berlin. Köln, wenn man einmal vom CSD absieht, ist es nicht. Geh mal in Köln in der Woche aus, da kann München genauso mithalten. Unsere Szene ist nicht groß, aber in der Woche ist sie lebendig. Natürlich wird auch in München die Szene kleiner und Straßenfeste weniger, aber insgesamt gesehen, steht München nicht schlecht da. Ich bin oft in Berlin, da ist schon ein anderes Leben. Da ist wirklich für jeden etwas dabei, selbst für sozial Schwache gibt es Einrichtungen. Wichtig ist aber, was eine Stadt für ihre Szene tut, da können wir uns in München nicht beklagen, z.B. das „Themenheft zur Geschichte der Lesben und Schwulen in München“. In welcher Stadt wird so etwas schon herausgebracht? Wowereit tut für die Szene mit Sicherheit alles, was in seiner Macht steht, aber München hat das Glück, mehr Geld zu haben. Günter Behringer, Siegen Ich denke schon. In Berlin kann man alles machen. Da stört es niemand, wenn man in Fetischsachen auf der Straße läuft, weil die Berliner es gewohnt sind. Berlin hat Köln auf jeden Fall den Rang abgelaufen. Vielleicht haben sich die Kölner Kneipenwirte untereinander zu sehr „bekriegt“. Ich kann mich an Zeiten vom Chains, Hands und Stiefelknecht erinnern, wo man das als Besucher mitbekam und nicht mehr hinging. Über die Szene in Berlin kann ich nichts Schlechtes sagen; da ist für jeden etwas dabei. Viele sind nach Berlin gezogen, weil sie berufliche, wie private Möglichkeiten sahen; und – es hört sich vielleicht negativ an - auch zum Sterben. Vielleicht weil sie sich andernorts nicht verwirklichen konnten und Lebensentwürfe gescheitert sind. Jetzt werfen sie Drogen ein, haben nur noch Party im Kopf und ohne positiven Lebenswillen und -ziele bleiben sie auf der Strecke. Auch ich als „Junge vom Land“ werde mit meinem Freund, wenn das familiäre Umfeld nicht mehr existent ist, den Lebensabend in Berlin verbringen. Die Stadt hat für jede Gemütsverfassung das Richtige zu bieten. Serkan A., Regensburg Ich finde Berlin sehr schön, ob das jetzt die Hauptstadt ist oder nicht. Ich finde, es leben so viele Schwule und Lesben in Berlin, dass Berlin mengenmäßig die Hauptstadt von Schwulen und Lesben ist. Aber für mich gibt es eine Stadt aus schwul-lesbischer Sicht, die noch geiler ist und das ist Köln :-). Eine Hauptstadt ist dann eine Hauptstadt, wenn es Multi-Kulti und das ganze Miteinander gibt, egal welche Nationalität man hat. Ebenso sollte es die Akzeptanz, mindestens Toleranz auch bei verschiedenen Sexualitäten geben. Wenn jeder auf jeden ein bisschen zuginge und nicht immer Vorurteile haben würde, wäre das für mich eine Bilderbuch-Hauptstadt. Aber in so einer großen Stadt wie Berlin oder Köln gibt es auch andere Seiten. Ich habe lange in Köln gewohnt und manchmal kennt man den eigenen Nachbarn nicht. Das finde ich an großen Städten traurig. Ich wohne jetzt in einem Dorf mit ca. 60 Menschen. Jeder kennt jeden, was manchmal auch nicht so toll ist, aber immerhin weiß ich, dass ich mich auf die Leute verlassen kann und wer rechts und links von mir wohnt. Torsten Goldhagen, Köln Ja, für mich ist sie das, weil sie die größte und vielfältigste Szene der Welt hat. Die Zahl an internationalen schwulen Touristen nimmt kontinuierlich zu. Mittlerweile ist jeden Monat eine Großveranstaltung wie Hustler Ball, Leder-Treffen, Folsom, Berlinale mit Teddy Award u.v.a.m. Berlin ist eine offene und tolerante Stadt. Sie hat Köln nicht nur durch den Fall der Mauer und ihre städtebauliche Entwicklung, sondern auch durch den Boom, den die Stadt momentan erfährt, längst überholt. Ich wohne sowohl in Köln als auch in Berlin und habe gute Vergleichsmöglichkeiten. Die Größe des schwulen Netzwerkes ist in keiner anderen deutschen Stadt gegeben und ihre Vielfältigkeit ist riesig; sei es im Fetisch-/ Leder-/ Transgender- oder Lesbenbereich. Wenn ich mal einen freien Tag in Köln habe, fällt es mir schwer, eine für mich passende Location zu finden. In Berlin habe ich jeden Tag die Qual der Wahl. Köln hat sicher einen großen CSD, zieht zum Karneval Unmengen von Touristen in die Stadt und hat einen sehr guten Bear Pride; ansonsten liegt Berlin ganz klar an erster Stelle.

7


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.