Modulor 01 2011

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VIS-A-VIS Sacha Menz

herr Menz, welche Aufgaben beschäftigen sie gerade? Der Bestand in der Architektur und der damit verbundene Umgang mit Baustrukturen aus der Nachkriegszeit. Bauten, in denen wir leben, arbeiten und zur Schule gehen. Sie entsprechen häufig nicht mehr den technischen Anforderungen unserer Zeit und fallen häufig einem Ersatzbau zum Opfer.

MODULØR Magazin

„die schweiz ist keine insel“

welches architektonische werk hat sie kürzlich begeistert? Die Arbeiten des Architektenduos Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal aus Paris. Dabei denke ich an das Beispiel der räumlichen Verdichtung und Sanierung eines Wohnturms in Paris aus den Sechzigerjahren. Der vorgeschlagene Umgang mit dem Bestand begeistert mich. haben sie eine idee von schönheit? Schönheit hat viel mit der Empfindung des Betrachters zu tun. In ihr steckt nichts Absolutes, aber auch nichts Zufälliges. In diesem Sinn ist Schönheit wahrscheinlich in der Nähe von Harmonie zu suchen, die sich sehr oft auf Zahlen, und somit Proportionen, bezieht. Wohltuende Proportionen von Teilen zu einem Ganzen sind das Mass aller Schönheit. Da sind wir wieder bei den Empfindungen. wann wird ein Gebäude zu Architektur? Ein Gebäude wird zu Architektur, wenn es sich im städtebaulichen Kontext als Teil des Ganzen einfügt und diesen weiterwebt. Eine wichtige Frage dabei ist, was bringt der Bau der Stadt oder der Landschaft? Bauerei hat daneben mehr mit investitionsbezogenen, rein objekttechnischen Belangen zu tun und weniger mit Fragen von Öffentlichkeit, Privatem, Typologie und dem gesamten Kontext. welche tugenden sollte ein Architekt erfüllen? Ich denke, dass Architekten in erster Linie die Gabe des Zuhörens und des Beobachtens beherrschen sollen.

Sacha Menz, 1963 in Wien geboren, ist ordentlicher Professor für Architektur und Bauprozess an der ETH Zürich, Vorsteher des Instituts für Technologie in der Architektur und Mitinhaber des Architekturbüros sam Architekten und Partner AG in Zürich. Seit 2005 ist er Präsident des SIA, Sektion Zürich. Professor Menz ist Autor der Bücher „Changes – Innovation im Bauprozess“ und „Drei Bücher über den Bauprozess“. www.samarch.ch www.bauprozess.arch.ethz.ch

welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft? Eine wesentliche Rolle, da Architekten die Erbauer unserer Städte sind. Städte sind nicht als zufällige Ansammlung von Gebautem entstanden. Sie sind aufgrund einer präzisen Intention als Orte der Öffentlichkeit und des Schutzes geschaffen worden und daraus gewachsen. Architekten haben in diesem Schaffensprozess innerhalb der Geschichte des Städtebaus immer eine wichtige Rolle gespielt und werden dies auch in Zukunft tun.

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welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen? Die Politik als Stimme des Volkes ist verantwortlich für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft. Entwicklung hat mit unserer gebauten Umwelt zu tun. Dabei ist jeder Einzelne gefordert und kann seinen Beitrag leisten. Entwicklung muss nicht zwingend technischen Fortschritt bedeuten. Technologien alleine können die anstehenden Probleme der Klimaerwärmung, der Eindämmung des CO2 Ausstosses, der wachsenden Mobilität und des Bevölkerungsanstiegs nicht lösen. Menschen vertrauen immer mehr auf Technologien und übersehen dabei aus Bequemlichkeit den Gesamtzusammenhang zwischen ihrem eigenen Handeln und der daraus folgenden Konsequenz auf die Umwelt, auf die gebaute und nicht bebaute Umwelt. Hier kann die Politik Einfluss nehmen auf die Architektur. In der Siedlungspolitik besteht grosser Bedarf, die Raumordnung in unserem Land muss überdacht werden. Dabei ist die Vielfalt an Traditionen in unserem Land zu beachten und die unmittelbare Nähe zu unseren Nachbarn in der EU nicht zu vergessen. Die Schweiz ist keine Insel. Verschärfte Baugesetze bezogen auf Energiekennzahlen entsprechen noch keiner gesamthaften Lösung zu nachhaltiger Architektur. Der Umgang mit dem Bestand und damit allein der Umgang mit dem Gebäudepark aus dem letzten Jahrhundert bilden für unsere Gesellschaft eine Herausforderung, die nicht zu unterschätzen ist. Strategien des nachhaltigen Umgangs mit dem Bestand sind gefragt und zu fördern. kann Architektur die welt verbessern? Architektur im Sinne des bis anhin Beschriebenen kann die Welt nicht verbessern. Architekten können jedoch einen Beitrag zu einer verbesserten Umwelt leisten, indem sie nicht als Dienstleister der Immobilienindustrie kurzfristig angedachte Spekulationsobjekte mitentwickeln.

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