Die Morde des NSU - Chronologie der Ermittlungen

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Die Morde des NSU - Chronologie der Ermittlungen Zusammengestellt von Nese Tüfekçiler Quellen: u.a. tagesschau.de, Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt, Zeit Online, Spiegel Online Stand 16. Mai 2013

Mordserie / Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Enver Şimşek († 38), 9. September 2000, Schlüchtern/Hessen Inhaber eines Blumenhandels Abdurrahim Özüdoğru († 49), 13. Juni 2001, Nürnberg Inhaber einer Änderungsschneiderei Süleyman Taşköprü († 31), 27. Juni 2001, Hamburg Obst- und Gemüsehändler Ermittler stellen Zusammenhang der Morde her Hamburger Polizei ermittelt, dass Taşköprü Freunde im 'Rotlichtviertel' gehabt habe. Sie geht von organisierter Kriminalität aus. Habil Kılıç († 38), 29. August 2001, München Inhaber eines Obst- und Gemüsehandels Ermittler gehen von organisierter Kriminalität und Drogenhandel aus. Mehmet Turgut († 25), 25. Februar 2004, Rostock Mitarbeiter in einem Döner-Imbiss Ismail Yaşar († 50), 09. Juni 2005, Nürnberg Inhaber eines Döner-Imbisses Zeugen hatten zwei sich auffällig verhaltende Männer mit Fahrrädern in der Nähe des Tatorts beobachtet, so dass ein Phantombild angefertigt werden konnte. Die Ermittler des Bundeskriminalamtes gingen nach dieser Tat davon aus, dass die Opfer in Verbindung mit türkischen Drogenhändlern aus den Niederlanden standen. Theodoros Boulgarides († 41), 15. Juni 2005, München Mitinhaber eines Schlüsseldienstes Einziges Opfer griechischer Herkunft Die örtliche Presse schrieb nach dem Mord „Türken-Mafia schlug wieder zu“. Mehmet Kubaşık († 39), 04. April 2006, Dortmund Kioskbesitzer Der Kiosk befand sich in der Nähe eines Treffpunkts für Neonazis. Seine Familie ging immer von einem rechtsextremen Hintergrund aus, es wurde jedoch nie danach ermittelt. Halit Yozgat († 21), 06. April 2006, Kassel Betreiber eines Internetcafés Michèle Kiesewetter († 22), 25. April 2007, Heilbronn Polizistin Die Morde des NSU - Chronologie der Ermittlungen / Stand 16.5.2013 / Heinrich-Böll-Stiftung


Die Polizistin und ihr Kollege parkten ihren Streifenwagen auf der Heilbronner Theresienwiese. Die Täter schossen den Beamten jeweils in den Kopf, der Kollege überlebte schwer verletzt.

Sicherheitsbehörden, Politik und Medien Vor der Enttarnung „Nationalsozialistischer Untergrund“ Ermittlungen bis Juni 2005 Gleiche Tatwaffe des Typs „Ceska“ wird in allen Morden verwendet Alle Morde werden tagsüber in den Geschäften der Opfer begangen Überwiegend türkische oder türkischstämmige Opfer These der Polizei: Verbrechen im Rahmen der organisierten Drogenkriminalität Nach dem Mord von Habil Kılıç (2001) wird die Nürnberger “Soko Halbmond” gegründet Örtliche Medien berichten über „Halbmond-Mafia“ oder „Türken-Mafia“ Ermittlungen bis Februar 2008 Nach dem sechsten Mord wird “Soko Bosporus” gegründet Diese Sonderkommission arbeitet zusammen mit weiteren aus München, Hamburg und Rostock, ab 2006 auch in Dortmund und Kassel Suche nach Verbindungen zwischen den Opfern, Ermittlungen vorrangig in Richtung Waffen- oder Drogenhandel, Spiel- oder Wettschulden

Medienberichterstattung 15. April 2006: Bild veröffentlicht in einem Artikel die Schlagwörter: „Drogenmafia“, „organisierte Kriminalität“, „Schutzgelderpressung“, „Geldwäsche“ 30. Mai 2006: Hamburger Abendblatt schreibt: „Die schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken schützt die Killer“ Februar 2011: „Der Spiegel“ spekuliert unter Berufung des Informanten „Mehmet“, dass hinter den Morden eine Allianz türkischer Nationalisten, Geheimdienstler, Militärs, Politiker und Juristen stehe. Verweigerer von Geldwäsche o.ä. wären die Opfer. Der Schuss ins Gesicht sei das Zeichen der türkischen Nationalisten für den Verlust der Ehre, die immer selbe Waffe eine Warnung an andere gewesen. Ermittler bestätigen selbige Vermutungen, sehen aber keine Anhaltspunkte für eine Verbindung zu den Opfern. August 2011: „Der Spiegel“ spekuliert weiter: Ein weiterer Informant, wieder namens „Mehmet“, ehemaliger V-Mann des Verfassungsschutzes, sei an einem der Morde beteiligt gewesen und könne das Versteck zur Waffe in der Schweiz benennen. Er erwähnt Verstrickungen des Verfassungsschutzes. Der Kontakt bricht am 5. Juli 2011 ab. Die Nürnberger Staatsanwaltschaft bestätigt den Vorgang gegenüber Spiegel, das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärt die Geschichte des Informanten für frei erfunden. Enttarnung des NSU 4. November 2011: Nach einem Banküberfall in Eisenach werden Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos tot in ihrem ausgebrannten Wohnwagen entdeckt. Angeblich erschoss Uwe Mundlos erst seinen Komplizen, setzte den Wohnwagen in Brand und erschoss sich dann selbst. Etwa drei Stunden später setzt die Beate Zschäpe die Wohnung in Zwickau in Brand. In der ausgebrannten Wohnung in Zwickau findet man die gesuchte Mordwaffe (Ceska 83). Bekennervideo/DVD wird gefunden, mit der Zeichentrickfigur „Paulchen Panther“ als Moderator eine Dokumentation der Mordserie.

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11. November: Bundesanwaltschaft, Leiter Harald Range, übernimmt die Ermittlungen 13. November: Haftbefehl gegen die 36-jährige Deutsche Beate Zschäpe wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung Beteiligung weiterer Rechtsextremisten an der Mordserie wird überprüft Dezember 2011: Gegen vier weitere Verdächtige werden Haftbefehle wegen Unterstützung und Komplizenschaft erlassen, die 2012 teilweise wieder aufgehoben werden Bundesanwaltschaft betraut das Bundeskriminalamt Wiesbaden mit der Neuaufnahme der Ermittlungen, neue Sonderkommission in Nürnberg wird gegründet Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft und des BKA: Aufruf der Bevölkerung zur Mithilfe durch Fahndungsplakate - weitere 400 Ermittler kommen zum Einsatz

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss Am 26. Januar 2012 setzte der Deutsche Bundestag den Untersuchungsausschuss "Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund" ein, der die rechtsextremistischen Verbrechen der Zwickauer Terrorzelle und das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden und der beteiligten Landesbehörden für Verfassungsschutz bei der Aufklärung und Verhinderung der Verbrechen untersuchen soll. Dem Ausschuss gehören elf Abgeordnete des Bundestags an, Vorsitzender ist Sebastian Edathy (SPD). Die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses endet mit der gegenwärtigen Legislaturperiode. Bisherige Erkenntnisse Die Arbeit des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Mordserie und des strukturellen Versagens durch die Sicherheitsbehörden wurde von einer Serie von sogenannten „Pannen“ und „Skandalen“ überschattet. Der Untersuchungsausschuss kritisiert die mangelhafte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit dem Untersuchungsausschuss, das Schützen der Verfassungsschutz-Informanten, das Zurückhalten von Akten, die Aussagen während der Zeugenvernehmungen, die Vernichtung von Akten und Beweismitteln seit der Enttarnung der Terrorzelle. Konsequenzen Juli 2012: Rücktritt von Heinz Fromm, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hessen. Juni 2012: Reinhard Boos, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Sachsen, bittet um Entlassung und wird daraufhin versetzt. Juli 2012: Thomas Sippel, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thüringen, tritt in den vorläufigen Ruhestand September 2012: Volker Limburg, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt, tritt zurück. Akten- und Datenvernichtung und Ermittlungspannen (Auszug) Juni 2012: Disziplinarverfahren gegen einen Referatsleiter des Thüringer Verfassungsschutzes wegen der Anweisung zur Vernichtung von sieben Akten mit Informationen über thüringische Rechtsextremisten im November 2011, nur wenige Tage nach der Entdeckung der NSU-Mordserie. 14. November 2011: Auf Erlass des Bundesinnenministeriums werden sechs weitere Dossiers mit Protokollen von geheimen Abhöraktionen, die sogenannten G-10-AbhörMaßnamen, gelöscht. Auch diese Datenlöschung findet nur wenige Tage nach dem Auffliegen des NSU statt.

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Dezember 2011: Das BKA stellt eine Anfrage an das Berliner LKA bezüglich eines Verdächtigen. Das LKA verschweigt bei seiner Antwort, dass er seit zehn Jahren als dessen V-Mann aktiv war. Hinweise, die dieser bereits im Jahr 2002 zum NSU gegeben hatte, wurde dem BKA nicht mitgeteilt. Unklar ist, was mit den Informationen passierte. Februar 2013: Eine Liste über beschlagnahmte Gegenstände und Briefe von einer Hausdurchsuchung aus dem Jahre 1998 wird dem Untersuchungsausschuss übergeben: Fünf fertige Rohrbomben, mehrere Kilogramm TNT-Sprengstoff, zwei umfassende Adresslisten, inklusive Daten von Uwe Mundlos wurden damals in einer Wohnung in Jena gefunden. Bis 2011 waren die Liste und Briefe in der Thüringer Asservatenkammer gelagert Informationen darüber wurden nicht weitergeleitet. März 2013: Der Untersuchungsausschuss gelangt an eine aktualisierte und geheime Liste über mögliche Unterstützer des NSU, die 129 Namen umfasst. April 2013: Skandal um die Ermittlungen um das Nagelbomben-Attentat in Köln, wobei zwei Polizisten in unmittelbarer Nähe des Anschlags auf Streife waren. Diese wurden erst neun Jahre später im Jahre 2013 dazu vernommen. 16. Mai 2013: Auf seiner letzten Sitzung bescheinigt der Untersuchungsausschuss nach einjähriger Arbeit den deutschen Sicherheitsbehörden „Totalversagen“. Polizei und Nachrichtendienste hätten vorurteilsbeladen und mit Scheuklappen ermittelt. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD): "Das war eines Rechtsstaates unwürdig." Auch der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland sagte anlässlich des Endes der Beweisaufnahme, es sei "tatsächlich das Totalversagen unserer Sicherheitsbehörden in allen Etagen".

Prozessbeginn Das Oberlandesgericht München wird für den NSU-Prozess ausgewählt, weil fünf der Morde in Bayern begangen wurden. Diskussion um das Akkreditierungsverfahren für Journalisten Aufgrund der Tatsache, dass keine der türkischen/griechischen und internationalen Medienvertreter/innen für das Verfahren akkreditiert wurden, musste ein weiteres Akkreditierungsverfahren angesetzt werden. Der Prozessbeginn wurde vom 17. April 2013 auf den 6. Mai 2013 verschoben. Die türkische Zeitung Sabah hatte eine Verfassungsklage eingereicht. Das OLG München hat als Zeitraum für den Prozess 6. Mai 2013 bis 16. Januar 2014 benannt. Etwa 84 Sitzungstermine sind anberaumt. Vorgesehen sind 600 Zeug/innen, 86 Nebenkläger/innen sowie 62 Anwälte und Anwältinnen.

Fachkontakt: Mekonnen Mesghena, E-Mail mesghena@boell.de T 030-28534-242 Presse: Vera Lorenz, E-Mail lorenz@boell.de T 030-28534-217

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