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JPR08 | Ausgabe 2011

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„Dieses Jahr wird Geschichte machen“

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Wir pf lanzen die Stadt

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Liebe Revoluzzer und Querdenkerinnen, 2011 ist das Jahr der Revolution. Alte Strukturen bröckeln, Regime werden gestürzt. Was lange Zeit als selbstverständlich galt, wird nun hinterfragt und verurteilt. Ausgehend vom arabischen Raum verändert sich alles. Auch in den Köpfen der blank4-Redaktion ist ein systemkritisches Bewusstsein erwacht und jener querdenkerische Ansatz, der jeder Revolution zugrunde liegt. 24 Studierende wuchsen zu einer Redaktion zusammen und lernten, sich selbst zu organisieren. Unser Arbeitsmotto „Querdenken“ ist facettenreich,

das zeigt sich in der Auswahl unserer Artikel. In der visuellen Gestaltung wollten wir die Geschichten leben und die Bilder selbst sprechen lassen. Zu Redaktionsschluss ist die Welle des Aufstands auch nach Europa übergeschwappt. In Madrid campieren Demonstranten auf dem Puerta del Sol, in Graz wird in noch nie dagewesenem Ausmaß gegen das Sparpaket der Landesregierung protestiert. Der Wandel, der diesen Zeitpunkt in der Geschichte prägt, spiegelt sich in blank4 wider. Ein Magazin, das anders denkt.

Übrigens – blank4 gibt es auch online unter www.blankmagazin.at. Um Offlineund Online-Inhalte zu verbinden, finden Sie bei einzelnen Geschichten sogenannte QR-Codes wie diesen. Das sind Strichcodes, die einen direkten Zugriff auf Websites ermöglichen. Wenn Sie mit einem Smartphone inklusive QR-CodeReader (frei verfügbare App) diesen Code scannen, gelangen Sie auf die blank4-Website. Dort finden Sie Videos, Bilder und Audiomitschnitte zu den Artikeln.

In der Hoffnung, dass der revolutionäre Funke überspringt, Ihre Chefredaktion

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* Raum für Freidenker

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Editorial blank4 beschäftigt sich im Jahr der Revolution mit Themen rund ums Querdenken.

Querhandeln Ressort Politik.

10| * 12|

Like Revolucija

Zagreb geht gegen die Regierung auf die Straße. Der Kampf mit und gegen Medien.

Immer der Pappnase nach

Mit Schirm, Charme und Schabernack. Die Revolution der Moderne revolutioniert sich selbst.

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Sesam, öffne dich Open Data ist eine Zauberformel, die man in der Steiermark noch selten erhört.

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StyriaLeaks

Kommt die Steiermark in den Wikileaks vor? Ein Selbstversuch.

Querleben Ressort Gesellschaft.

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Sex, Strom, Salsa

3D-Pornos, Sustainable Dancefloor, Green IT.

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18|

Seine Muttersprache ist Protest

Grazer, Chaot und Querulant. Der ehemalige ÖH-Vorsitzende Cengiz Kulac im Portrait.

20| 22|

Ein Fluss spaltet die Stadt Das geplante Murkraftwerk stößt dem prominentesten Fluss-Bewohner sauer auf.

Räumt das Feld, wir brauchen Energie

Ein umstrittenes Wasserwerk in Brasilien schlägt auch in Österreich Wellen.

Durchbruch zur Basis

Engagierte Bürger verhindern eine Autobahn durch Eggenberg.

Die naive Revolution

Graz als Zentrum der Rebellion. Anarchismusforscher Reinhard Müller im Gespräch.

*

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Mit Otto gegen die Wurschtigkeit

Zuerst kuscheln, dann verspeisen. Ein Streichelzoo der besonderen Art.

Vielen Dank für die Blumen

Guerillagärtner – Freiheitskämpfer mit grünem Daumen oder harmlose Hobbygärtner?

Die Entdeckung des Paradieses

Nach dem Zweiten Weltkrieg suchen junge Steirerinnen ihr Glück in der Schweiz.

#quergesucht

Zwei Deutsche nutzen die Macht der Netzgemeinde und suchen ihr Traumhaus in Graz.

Der Zugführer

Denksportweltmeister Gert Schnider im Portrait. Ein Leben auf 64 Feldern.

Unsere Titelthemen

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App in den Schultag

Ein Apfel als Schulmeister? Das Ipad hält Einzug in die steirische Bildung.

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BIOniere im Web

World Wide Bio. Bei der Gemüsewerkstatt bestellt man online Lebensmittel aus der Region.

Die Krautwaschls

Von der Kunst, Kunststoff zu vermeiden. Eine steirische Familie zeigt, wie‘s geht.

Querformen Ressort Kunst & Kultur.

Diskurskugel

Ladyfest, Lendwirbel, Elevate.

Weiße Weste, schwarzes X Punks mit Prinzipien. Straight Edge ist Hardcore ohne Selbstzerstörung.

Scheibenweise Nostalgie

Ein Streifzug durch den Record Store Day und die veränderte Musikindustrie.

...wilde Vögel f liegen

Zweite Chance für Mensch und Fashion. Im Offline nähen Suchtkranke Secondhand-Kleider.

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Diagnose: Hirn aus Kleister

Beim Protestsongcontest sind auch Grazer mit Gitarren laut dagegen. Werden sie überhört?

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Mauerkünstchen

Illegales Graffiti im Spannungsfeld zwischen Kriminalität und Kunst.

Eine DJane denkt que(e)r

Die lesbische DJane Ina D über Arbeit, David Guetta und den Club, der berühmt macht.

„Dieses Jahr wird Geschichte machen“ Revolutionen, menschliche Grenzen und die Zukunft. Günter Brus im Interview.

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Querfinden Ressort Technologien.

Land der Tüftler, zukunftsreich

Haifischhaut, Siebenmeilenstiefel und eine Tasche voller Sonne. Steirische Erfindungen.

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Alles eine Frage des Geschlechts

Medikamentenforschung macht zwischen Mann und Frau kaum Unterschiede. Mit fatalen Folgen.

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Papier statt Pillen

Ein Tintenstrahldrucker revolutioniert die Medizin.

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Funkstilles Graz

Flächendeckendes WLAN in Graz ist weiterhin nur ein Luftschloss.

Team

Die blank4-Redaktion stellt sich vor. Impressum.

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Die Steiermark spart. Vor allem im Gesundheits- und Sozialbereich, bei der Kultur und im Bildungswesen will die Landesregierung in den nächsten drei Jahren 900 Millionen Euro einsparen. Tausende von Menschen sind deshalb im März auf die Straße gegangen, darunter viele Studierende. Sie demonstrierten konkret gegen teure Öffis und Kürzungen bei der Wohnbeihilfe. blank4 hat mit dem ÖH-Vorsitzenden Cengiz Kulac gesprochen. Bericht Seite 18.

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Querhandeln Politik

10 | Kroatien

Like Revolucija 12 | Protestkultur

Immer der Pappnase nach 18 | ÖH-Vorsitzender

Seine Muttersprache ist Protest 20 | Kraftwerk

Ein Fluss spaltet die Stadt 22 | Brasilien

Räumt das Feld, wir brauchen Energie 24 | Bürgerinitiative

Durchbruch zur Basis 25 | Anarchismusforscher

Die naive Revolution 28 | Open Data

Sesam, öffne dich 29 | Selbstversuch

StyriaLeaks

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© APA/EPA

Revolution via Social Media: In Kroatien gehen radikale Linke und rechte Skinheads gemeinsam auf die Straße.

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Über Facebook werden Antiregierungs-Proteste in Kroatien ausgelöst. Österreichische Medien berichten nur wenig darüber – trotz starker Verbindungen zum Balkan.

TEXT: IMRE WITHALM

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ur wenige Minuten steht der innerstädtische Verkehr auf der Ilica still, während einige hundert Jugendliche ihrem gewachsenen Unmut Luft machen. Sie klopfen lautstark gegen die blauen Straßenbahnen, um rasch weiter Richtung des zentralen Ban-Jelačić-Platz zu ziehen. Es ist Ende Februar in Zagreb und dies sind die ersten zaghaften Schritte einer kroatischen Revolution. „Es herrschte Apathie in dieser Gesellschaft der Korruption und Verbrechen“,

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drückt der Journalist und Protestbeobachter Saša Dugonjić die Situation blumig aus. Die ersten Proteste wirken tatsächlich noch zögerlich, doch die Zeiten der Lethargie scheinen vorbei. Schon zwei Tage später stehen bereits zehntausende Menschen auf dem BanJelačić-Platz, um gegen die Regierung und den EU-Beitritt Kroatiens zu protestieren – diesmal können die Menschen nicht überhört werden. Überall sind kleine, hektisch aufgeklebte Zettel mit ausgestrecktem Daumen und dem

Hinweis „Like Revolucija“ zu sehen – für viele der Teilnehmenden der Grund des Protestes. Kapitalistischer Revolutionär Ein weiteres Mal haben Social Media eine Protest-Bewegung ausgelöst: Viele in Kroatien wurden erst durch FacebookAufrufe aktiv genug, um auf die Straße zu gehen. Die wichtigste Person hinter der Online-Mobilisierung ist Ivan Pernar. Der uncharismatische Mittzwanziger scheint die unwahrscheinlichste aller

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POLITIK | blank4 | 11

„neue Form der Tageszeitung“. Schade, dass er blank4 nicht viel mehr zum Thema zu sagen hatte, denn gerade die Massenmedien spielen neben den Sozialen Medien eine große Rolle bei den Protesten. „Facebook-Revolutionär“ Ivan Pernar macht kein Hehl daraus, dass medienwirksame Aktionen für ihn im Vordergrund stehen. Dieser exhibitionistische Aktionismus, der zu 14 Festnahmen und vier Gefängnisaufenthalten geführt hat, bringt ihm aber auch Kritik ein. Das stört ihn wenig, für ihn sind die Aktionen wohlüberlegt: „Die Massenmedien in Kroatien werden von der Politik kontrolliert. Nur mit spektakulären Aktionen konnte ich die Medienblockade umgehen.“ In Kroatien ist das gelungen, in Österreich kaum. Hier hört man meist nur offizielle Stimmen, die über Fortschritte bei den EU-Verhandlungen berichten. Ob sie durch populären Protest tatsächlich gefährdet sind, bleibt zu bezweifeln. Für Ivan Pernar hat sich trotzdem etwas verändert: Nach Monaten der weitgehend ergebnislosen Proteste hat er sich nun mit eigener Partei in das Reich der Politik begeben. Seine Karriere bewegt sich auf dünnem Eis. Denn die Anhängerschaft besteht aus „Friends“ seiner beiden Facebook-Profile – Ivan Pernar und Ivan Pernar B. Sobald die Administratoren merken, dass er private Profile für politische Zwecke nutzt, ist es vorbei mit dem Netzwerk. Denn die sozialen Medien schaffen neben der Unabhängigkeit von Mainstream-Medien vor allem eines: neue Abhängigkeiten. Q

© APA/EPA

Figuren zu sein, um derartig massive ihren Gewaltexzessen abbringen. „DieProtestwellen anzuzetteln. Seine kurzen jenigen, die Konflikte erzeugen, sind Haare und sein glattes Gesicht geben diejenigen, die uns ausbeuten wollen“, ihm wenig revolutionäre Anmutung. erklärt er ihnen gerne. Wir sehen hier Und trotzdem: Selbst kritische Beobach- Proteste einer benachteiligten Jugend. ter sehen ihn als den Auslöser für ein Prekäre, neoliberale und undemokraneues politisches Erwachen in Kroatien. tische Beschäftigungsverhältnisse ziehen Im Gespräch mit Pernar, der seinen In- sich durch ihre gesamte Arbeitswelt. terviewer gerne „Brother“ nennt, wird klar, dass er keineswegs aus einem klas- Die Medienblockade umgehen sisch linken revolutionären Umfeld Insbesondere im Medienbereich hat es kommt. Seine Kritik richtet der „puris- der Nachwuchs offenbar schwer. Das tische Kapitalist“, wie er sich gerne nen- zeigt sich bei Gesprächen mit jungen nen lässt, gegen das globale Bankenwe- kroatischen Journalisten: Die kroatisen und die „imperialistische“ EU. schen Medien seien korrupt, man müsse Die Wirtschaft Kroatiens und der EU Verbindungen haben, um einen Job zu sieht er kurz vor dem Kollaps: „Unsere bekommen und selbst wenn man Politik ist von den Banken abhängig, die einen habe, würde man in prekären Bewie Casinos agieschäftigungsverhältren. Finanz- und nissen ausgebeutet. ,Z OLYYZJO[L (WH[OPL PU KPLZLY In der österreichiRealwirtschaft entwickeln sich immer .LZLSSZJOHM[ KLY 2VYY\W[PVU schen Presse erfährt weiter auseinander \UK =LYIYLJOLU man davon wenig. – wir leben im Zu eng scheinen die :(:( +<.6510* Corporate Fascism. wirtschaftlichen InSelbst wenn Jesus teressen mit KroatiChristus Finanzminister wäre, könnte er en verknüpft zu sein. Einer der größten nichts ändern.“ Pernars Analyse ist ge- Player am österreichischen Medienmarkt nau und enthält viele stimmige Aspekte. ist die Styria (Die Presse, Kleine ZeiWo er mit seinen Feststellungen hin will, tung), und ihr gehört auch die auflagenbleibt noch unklar. Die konservative stärkste Tageszeitung in Kroatien. Seit Regierung loszuwerden, ist aber das er- sechs Jahren gibt es das Kleinformat klärte Primärziel, das Tausende mit ihm „24 Sata“ (24 Stunden), das in Aufmateilen. Er hat es geschafft, konträre chung und Umfang der U-Bahn-ZeiGruppen wie Linke und Skinheads für tung „Heute“ ähnelt. Für die kroatische gemeinsame Demos zu mobilisieren. Journalistin Anja Nigović hat 24 Sata Und er ist überzeugt, dass hinter ihm so- „den Boulevard nach Kroatien gebracht.“ wohl Roma als auch die radikale Rechte Klaus Schweighofer ist als Vorstand bei stehen. Seine Argumente würden ju- der Styria für das Blatt zuständig. Er gendliche Rechtsradikale sogar von sieht in der Gratiszeitung schlicht eine

Der Protest in Kroatien hat mit einigen Jugendlichen angefangen – wenig später sind Zehntausende politisch aufgewacht.

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Mit Torten, mit Worten, gemeinsam und einsam, wir tanzen und pflanzen, singen und springen. Protestieren ist nicht mehr nur marschieren und skandieren – mit Schabernack, Charme und reichlich Kreativität revolutioniert sich die Revolution gerade selbst.

TEXT: JULIA KARZEL

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ie Sonne scheint friedlich auf das Schlachtfeld, der leichte Wind zerrt sanft an den Haaren und T-Shirts der versammelten Horde. Die Fronten sind verhärtet, die Waffen im Anschlag, die Augen entschlossen nach vorne gerichtet. In einem winzigen Augenblick spüren wir noch das Zögern, die Anspannung, und dann, wie auf einen unsichtbaren Befehl, erfolgt ein Ruck. Schreie. Unsere Körper prallen an Körper und es fliegen die Federn. Geschätzte 250 Menschen schlagen sich am 2. April 2011 am Grazer Hauptplatz Kissen um die Ohren. Veranstaltet von der Flashmob Community Graz, handelt es sich bei der Aktion um ein wahres Paradebeispiel von postmodernem Aktivis-

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mus. Spontan, irritierend, kurzweilig. Und verbunden mit einer gehörigen Menge Spaß. Seit 2003 zieht das Phänomen Flashmob in Form von kollektivem irrationalen Benehmen rund um die Welt. Verständlich – manchmal verspürt ein jeder die Sehnsucht danach, fremden Menschen einen Polster vor den Latz zu knallen. Oder als Teil einer ZombieMeute sabbernd durch die Straßen zu schlurfen, wie es 2009 in London geschah. Moment. Abgesehen von Kissenfetischisten und Untoten – was fasziniert Menschen mit geregeltem Job und Leben an dermaßen zelebrierter Absurdität? Lasst uns Spaß machen Politisch oder wirtschaftlich motiviert waren Flashmobs nie. Sie entstanden

nicht aus einer Notlage oder einem basisdemokratischen Bedürfnis. Gründervater Bill Waslik, ein amerikanischer Journalist, erklärte den von ihm initiierten ersten Flashmob als soziologisches Experiment. Er wollte belegen, dass Hipster, die ewig jedem Trend nachjagen, lächerlich sind und letztendlich die Konformität der modernen Gesellschaft aufzeigen. Und tatsächlich ist das Phänomen Flashmob in einer Gegend und Zeit erblüht, in der es an nichts Existenziellem mangelt. Schon klar. Wir sind die verwöhnten, verweichlichten Charakterlosen, die auf die tüchtige Nachkriegsgeneration und die mal sozialkritischen, mal schlicht bedröhnten Hippies folgen. Wir hungern nicht nach Grundnahrungsmitteln, sondern nach Bedeutung. Wir spritzen uns

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Protest gegen einen Atommülltransport 2008 in Deutschland. Ein Mitglied der Rebel Clown Army zeigt den Polizisten, wo es langgeht.

weniger Drogen, sondern die volle Dosis rer der Spaß daran, Teil eines verschwöan hohlem Pseudo-Spaß. „Zeit“-Autor rerischen Unterfangens zu sein. FlashPeter Kümmel erklärt: „Der Flashmob mobs als sinnentleerte Beschäflebt von der Langeweile, der Leere – tigungstherapie und Protest-Unform zu dem Unbehagen seiner Teilnehmer.“ bezeichnen, wäre zu oberflächlich. Wir Blickt man in die Gesichter der kissen- protestieren gegen Eintönigkeit und schlagenden Grazer, sieht man jedoch Pessimismus. Wir protestieren für keine Leere. ErLebensfreude, für staunlich erfüllt Begeisterung und schauen sie alle aus. +LY -SHZOTVI SLI[ ]VU KLY 3HU Aktivismus. Dass Lachende Fremde, NL^LPSL KLY 3LLYL ¶ KLT <UILOH bei solch einer vereint in einem NLU ZLPULY ;LPSULOTLY spaßorientierten flüchtigen, konspiTätigkeit Kreati 16<95(30:; 7,;,9 2l44,3 rativen Bündnis, vität groß, in das alle UnbeteiLeuchtbuchstaligten mit offenem Mund zurücklässt. ben und mit Ausrufezeichen geschrieben Einer der offensichtlichsten Gründe für wird, versteht sich von selbst. Also nehunsere Freude an Flashmobs ist unser men wir unsere Schirme oder unsere Wunsch nach Gemeinschaft. Ein weite- Kuhglocken und schwingen sie syn-

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chron durch die Gegend. Oder legen mit Dutzenden von anderen eine Tanzeinlage zu Michael Jacksons „Beat It“ aufs Parkett. Zumindest koordinationstechnisch sind wir bewusstseinserweiterten Hippies da überlegen. Das hätte selbst die Nachkriegsgeneration nicht so diszipliniert hinbekommen. Möglicherweise in erster Linie, weil Michael Jackson erst Ende der 50er-Jahre das Licht der Welt erblickte. Ein Mob macht Politik Wir sind alle ziemlich gewöhnt an Demonstrationen. Es marschiert mal wieder ein fremdes Volk gegen seinen Despoten auf den Straßen herum? Schon gehabt. Eine kleine Gruppe erboster Tierliebhaber verteilt Flugblätter gegen Z

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die sperrige Demonstration überwinden Und alle so Yeah muss. Das Internet ermöglicht, Thema, An einem lauen Freitagabend 2009 in Ort, Anfang, Ende und Ablauf kurzfris- Hamburg wurde die deutsche Bundestig und flexibel festzulegen. Dabei zäh- kanzlerin Angela Merkel während ihrer len auch beim Wa h l k a mpf rede Smartmob die dragefeiert wie ein matische Inszenie- +PL *SV^U (YT` PZ[ ILRHUU[ ^PL Popstar. „Yeah“, rung und der LPU I\U[LY /\UK PU .YHa ZVNHY schallte es aus Ü ber raschung s- ILRHUU[LY HSZ 3HK` +P zahlreichen Pubeffekt, denn die likumshälsen – ;,3,2644(5+,9 :*/4<:0 Masse macht es nach jedem ihrer zwar noch immer, Sätze, also in Ababer neue Elemente wie Irritation und ständen von etwa zehn Sekunden, und Spontaneität kommen zum Erfolgs- das knapp eine Stunde lang. Auch in rezept hinzu. Mainz und Wuppertal wurde Merkel von der Yeah-Fraktion beglückt – die Kanzlerin zeigte sich irritiert und auch etwas genervt: „Aha, meine Freunde sind wieder da, vom Internet. Yeah.“ Auslöser dieser denkwürdigen Aktion war das Bild eines Wahlplakats, das im Vorhinein im Internet kursierte: Über die Werbung „Die Kanzlerin kommt“ hatte jemand keck „Und Alle so: ‚Yeaah!‘“ gepinselt. Das ironische Gejubel derYeah-Querulanten löste einiges an Wirbel aus. Während sich manche über eine frische und freche Form des politischen Protests freuten, schimpfte unter anderem der Spiegel auf die pubertäre Internetgemeinde ohne Sinn und Verstand. Etwas hat der Yeah-Mob auf jeden Fall bewirkt: Aufmerksamkeit. Interesse an Merkels Wahlkampf, sowie im weitesten Sinne an Politik an sich. Und eine Reaktion darauf. Dass Reaktionen auf Politik auch in Österreich medienwirksam und mithilfe des Internets ausgetragen werden können, beweist ein schmissiger Song namens „Urs‘la Stress Ned“. Angelehnt an den Duck Sauce-Hit „Barbra Streisand“ wird statt der Weltstadt New York Wien als Musikvideokulisse hergenommen, den viersilbigen Refrain ersetzt der passenderweise ebenso viersilbige Name der Wiener Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel. Die Initiatoren, ein Künstlerkollektiv aus feierfreudigen Nachtschwärmern, bezeichnen die Verbreitung des Videos als virtuelle Unterschriftenaktion gegen die rigorose Sperrstundenpolitik. In Folge werden die Clubtüren trotzdem nicht länger geöffnet. Ursula Stenzel reagiert gelassen auf die Persiflage ihrer Person und gar nicht auf die Forderungen. War © APA/EPA

grausame Hühnerhaltung? Nichts Neues. Wer heute mit ideologisch motiviertem Protest Medieninteresse erlangen will, braucht Innovation. Die pfiffigere – und politisch motivierte – Variation des Flashmobs hört auf den bezeichnenden Namen „Smartmob“. Ein solcher ähnelt in Zweck und Zielen stark der klassischen Demo. In seiner Organisation und seinem Ablauf greift der Smartmob hingegen auf die Methoden des Flashmobs zurück. Über SMS, Foren, Rundmails oder Social Media Tools organisiert, umschifft der Smartmob bürokratische Hürden, die

Mit quietschbunter Spielzeugwaffe und entschlossenem Blick gegen den Nato-Gipfel 2009 in Straßburg.

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© rainermaichin_facebook

Ob nun als Huldigung einer Poplegende, der Umwelt zuliebe oder aus Unzufriedenheit mit politischen Zuständen, kreativer Protest findet seinen Weg auf die Straßen.

diese Aktion mehr als eine satirische Blödsinnsaktion, die sich zwar zum Selbstläufer entwickelt hat, aber doch wieder im Sand verlaufen wird? Vollen Herzens kann diese Frage wohl niemand bejahen, denn: Die Aufmerksamkeit war auch hier da, es wurde darüber nachgedacht, es wurde geredet. Und es wurde gelacht, denn das bringt Spaßprotest vor allem: Spaß am Protest. Clowns und nackte Tatsachen Die Sache mit dem Spaß treibt eine ebenso dubiose wie verrückte Truppe auf die Spitze: CIRCA. Die „Clandestine Insurgent Rebel Clown Army“ hat nicht nur Spaß am Protest, für die freiberuflichen Schelme ist Spaß mit Protest gleichzusetzen. Und das ist manchmal weniger amüsant als effektiv. So stößt man im YouTube-Kosmos auf Clowns, die weit

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mehr als Zirkus im Kopf haben. Mit blechernen Kopf bedeckungen, die ihre Bestimmung normalerweise in der Küche erfüllen, farbenfroher Kleidung und artistischen Fähigkeiten albern die rebellischen Spaßmacher schon mal vor einer Rekrutierungseinrichtung des Militärs herum. So lange, bis die wahlweise belustigten oder entnervten Soldaten das Büro schließen und die bunte Bande in irres Gejubel ausbricht. Die Clown-Armee ist gewaltloser Protest in seiner Höchstform, mit dem Ziel, das System nicht zu zer-

schlagen, sondern „zu zer-lachen“, erklärt Befreiter Nippel (nein, dieser Name wurde nicht von der Redaktion geändert). Der Spaß ist neben der Waffe auch der Schutz der Clowns. Denn welcher Polizist schießt schon auf einen jonglierenden, johlenden Gesellen, der ihn umarmen will? In Graz hält sich das Bataillon der Clowns noch im Verborgenen, ist allerdings laut Telekommander Schmusi sowieso bereits „bekannter als Lady Di.“ Zumindest bunte Farben sind auch jetzt schon in der Steirermetropole zu finden. Z

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Nach der Kissenschlacht am 2. April 2011 wurde der Grazer Hauptplatz übrigens brav sauber gefegt.

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te an dem Carrotmob teilnehmen, desto mehr Geld geht an die Umwelt. In Graz stellte sich am 18. Juni 2010 der Bio-Laden „Matzer“ dem ersten Carrotmob. Spielpfand für die kauffreudige Kundenmeute war das Versprechen von Micha Matzer, neue Kühlvitrinen zu installieren. „Im Sommer ist der Umbau“, bestätigt man bei Matzer auf Nachfrage. Die Aktion war also anscheinend erfolgreich, doch seit knapp einem Jahr tut sich nichts in der hiesigen Carrotmob-Community. „Der Initiator der Carrotmobs in Graz ist jetzt nicht mehr hier“, erzählt Micha Matzer und zum Fortführen fehlen anscheinend Energie und Esprit. Davon hat wiederum die Grazer Flashmob Community genug. Der Kissenschlacht soll Brunnenplanschen folgen, ein Dancemob, ein Schlafmob, verkündet man stolz auf der Grazer FlashmobWebseite. Und ja, auch Zombies sollen bald durch die Steirerstadt wanken. Q

© juliaantes_fl ickr

Und eine lustige Bekleidung, nämlich Grüner wird’s nicht gar keine. Am 26. Juni 2009 holte sich Bereits anno 2008 erkannte das Brent eine Gruppe freizügiger und kunstvoll Schulkin. Drei Jahre und eine schneibemalter Radler den Platz auf der Straße dig-juvenile Homepage später hat der zurück, den norAmerikaner nicht malerweise Autos nur Trendbefür sich beanspru- +HZ APLS PZ[ UPJO[ ALYZJOSHNLU wusstsein, sonchen. Organisiert ZVUKLYU KHZ ALYSHJOLU KLZ dern auch einen wurde der „Naked :`Z[LTZ grünen Daumen Bike Ride“ von für Marketing be ),-9,0;,9 5077,3 der Critical Mass w iesen. Seine Graz. Cr it ica l Idee des CarrotMass, etwas stümperhaft eingedeutscht mobs ist in den USA längst bekannt, als kritische Masse, ist die Kunst, mit Schulkin für zahlreiche Vorträge, mit vielen Tritten in viele Pedale den Ver- Titeln wie „Using the web to power sokehr gezielt zu behindern. Jeden Monat cial movements“, gebucht. Das Prinzip schwingen sich Teilnehmer einer Criti- des umweltfreundlichen Mobs ist ganz cal Mass kollektiv auf den Drahtesel, einfach: Die Carrotmobber suchen an um auf ihre Rechte gegenüber motori- einem bestimmten Tag einen bestimmsierten Verkehrsteilnehmern zu pochen. ten Laden auf und kaufen, was das Zeug Und auch, um ein ökologisches State- hält. Der Geschäftsinhaber verspricht ment abzuliefern. Grün ist am Vor- im Gegenzug, den so erhöhten Tagesmarsch und das merkt man auch in umsatz in umweltfreundliche Technoder Protestkultur. logie im Laden zu stecken. Je mehr Leu-

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:LPUL 4\[[LYZWYHJOL PZ[ 7YV[LZ[ Cengiz Kulac – Grazer von Geburt, Chaot aus Gewohnheit und Querulant aus Überzeugung. Die Themen des ÖH-Vorsitzenden* sind Politik, Studenten und Rassismus.

TEXT UND FOTO: TANYA KAINDLBAUER

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in Mikrofon. Mehr als 5 000 Grazer und Grazerinnen an einem Ort. Unzählige Plakate. Nein, das ist kein Konzert. Es ist die größte Grazer Demo seit 50 Jahren. Menschen schreien Parolen, drücken ihren Unmut über das kürzlich beschlossene Sparpaket der Regierung aus. Wer sich erfolgreich als Nachzügler auf den Hauptplatz gequetscht hat, sieht zunächst nur einen braunen Lockenkopf, der über die aufgebrachte Menge ragt und wild gestikuliert. Man muss den Mann auf dem Podium aber auch gar nicht sehen, um ihn zu hören. Cengiz hat ein lautes Organ – und auch reichlich Erfahrung mit dieser Art des Protests. Für unser Gespräch treffe ich den türkischstämmigen Grazer in seinem Büro. Drei verschiedene Menschen fragen uns

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dort, warum wir filmen und mindestens zwei davon behalten uns im Auge. Cengiz sieht mich während des Interviews selten an, er starrt an die Decke oder zeichnet abstrakte Blumen auf einen Block. Antworten kommen oft erst nach einer gewissen Bedenkzeit, manches bittet er mich zu „übersehen“. So scheinen ihn meine Notizen zu seiner eigenwilligen „Schreibtisch-Ordnung“ zu beschäftigen. Er ordnet schnell ein paar Mappen: „Ich bin eben chaotisch – das ist, glaub ich, mein größter Fehler“. Und: Auch Frühaufsteher ist er keiner. „Da bin ich definitiv auf den Barrikaden!“ Wenn der Hut so richtig brennt, arbeitet Cengiz aber auch schon mal durch. Da verschickt er nicht nur gern mehrere

Rundmails, sondern plant auch kurzfristig Demos, um die Interessen der Studierenden zu vertreten: „Es kann doch nicht sein, dass man in einem reichen Land wie Österreich einfach so auf junge Leute hinunter tritt. Da bin ich definitiv auf den Barrikaden!“ Gemeint sind die Kürzung der Familienbeihilfe, die schlechte Ausfinanzierung der Universitäten, die bevorstehende Kürzung der Wohnbeihilfe und die Teuerung der Öffi-Tickets. Wie soll hier ein Studium noch finanzierbar sein? „Eine sozialpolitische Katastrophe!“, bei diesem Thema wird Cengiz laut. Der Kuli in seiner linken Hand bohrt sich in den Tisch. „Er hat diesen Pragmatismus und ist von dem überzeugt, was er tut. Er will die Welt verändern“, erzählt ein Freund, der Cengiz schon aus Kinderzeiten kennt.

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Auf meine Frage nach eben jener Zeit und dem Berufswunsch des damals achtjährigen Cengiz kommt eine überraschend schnelle Antwort. Der kleine Cengiz wollte „eigentlich immer Forscher“ werden, die Natur erkunden. Aber dann hat ihn die Politik doch ein bisschen mehr fasziniert: Neben seinem Schulsprecheramt gründete er gleich noch die Alternative SchülerInnenvertretung (Grüne) und brachte es zum Landessprecher der Grün-Alternativen Jugend. Vor zwei Jahren wurde er – als Mitglied der Grünen & Alternativen StudentInnen Graz (GRAS) in einer Koalition mit Schwarz und Rot – Vorsitzender der Hochschülerschaft (ÖH) an der Universität Graz und damit Sprecher von über 27 000 Stimmen. Rassismus und widerwärtiger Zynismus Fast genau so lange gibt es die rechtsradikale Homepage Alpen-Donau.info, gegen die Cengiz vor Kurzem Anzeige wegen Verhetzung und gef ährlicher Drohung eingereicht hat. Im darin erwähnten Artikel wird er beispielsweise als „ÖH-Tschusch“ oder „Neoösterreicher“ bezeichnet, der sich „die Haare schneiden“ soll. Seine private Wohnadresse wird veröffentlicht – mit dem Zusatz: „Und dass ihr uns ja keinen Schabernack mit der Adresse treibt!“ Die Seite machte schon vorher durch die dort publizierten „Hetzparolen gegen Minderheiten und Politiker“ auf sich aufmerksam und wurde mehr als einmal vom Netz genommen (zuletzt im März 2011). Da mehrere Server in den USA angelegt seien, könne man von Österreich aus wenig dagegen tun, heißt es offiziell. Hausdurchsuchungen brachten im April zwei Verhaftungen, trotzdem ging die Seite Ende des Monats wieder online. Die Verfasser erklären sich außerdem „zum Gegenschlag bereit“. „Hast du Angst?“, frage ich Cengiz. Schließlich wurde einem Blogger, der gegen die Seite schrieb, schon mit dem Tod seines Sohnes gedroht. Doch der ÖH-Vorsitzende antwortet bestimmt: „Ich lasse mich sicher nicht von diesen Rassisten einschüchtern.“ Warum er sich dann selbst auf seinem Facebook-Profil als „integrationsunwil-

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lig und -unfähig“ beschreibt? Aggressiv reagiert er auf diese Frage: Er wolle sich dem „gesellschaftlichen, homophoben und sexistischen Normalzustand“ nicht anpassen. Sein persönlicher Kampf sei es, gegen diese Vorurteile anzukämpfen. Damit spielt er auf seine Herkunft an. Cengiz (Kurzform von Dschingis Khan) ist nämlich „eigentlich das, was man als Österreicher bezeichnet“: Er ist in Österreich geboren, seine Mutter kommt aus Österreich, seine Muttersprache ist Deutsch. Viele Einheimische würden ihn aber allein aufgrund seines Namens hier nicht sehen wollen. „Das ist ja der Zynismus, der in Österreich herrscht. Einfach widerwärtig.“ Von Bergen, Schwarztee und Politik Da soll doch mal einer sagen, Politik sei langweilig. „Stimmt“, sagt ausgerechnet Cengiz. Zumindest die große Politik sieht er als nicht mehr zeitgemäß an,

findet sie wenig reizvoll und demotivierend – mehr eine Verwaltung des IstZustands. Die Grünen nimmt er davon nicht aus. Sie machen zwar „bei Weitem noch die beste Politik, das Quäntchen an reizvoller Politik fehlt ihnen aber noch“, so Cengiz. Ein politikverdrossener Politiker also. Dafür gibt er sein jetzt schon spärliches Privatleben jedenfalls noch nicht auf. Das Studium ist auch schon in Verzug geraten. Und wenn Cengiz gerade keine Hochschul-Politik macht? Dann wandert er gerne auf österreichischen Bergen, plant sein Auslandssemester oder diskutiert mit Freunden bei einem gemütlichen Bier, in Cengiz Fall wohl eher Schwarztee. Thema? Wie sollte es auch anders sein – Politik. * Im Mai 2011 gab es ÖHWahlen. Zu Redaktionsschluss stand das neue Vorsitzteam noch nicht fest.

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In Graz lässt ein geplantes Wasserkraftwerk die Wogen hochgehen. Die einen wollen die Energieversorgung der Stadt sicherstellen, andere sehen den Lebensraum von Tieren und Pflanzen bedroht.

TEXT: CHRISTOPH TRITSCHER

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Brennstoffe und ein Wasserkraftwerk weist mit 100 Jahren die längste Betriebszeit aller Kraftwerkstypen auf. Die Gegner sehen es anders. Sie erkennen in dem geplanten Projekt gefährliche Einschnitte in die Natur: Der Fluss muss aufgestaut, Dämme errichtet und Bäume gerodet werden. „Die Problematik liegt in erster Linie in der Bauphase. Hier ist mit einem größeren Eingriff in den Lebensraum von Tieren und Pflanzen zu rechnen. Doch nach Fertigstellung sind diese ‚Schäden‘ wieder behoben“, stellt Projektleiter Christoph Rath von der Energie Steiermark fest. Die Bewegung „Rettet die Mur“ glaubt nicht an diese Versprechen. Als momentan größte Bürgerinitiative der Steier-

mark hat sie es sich zum Ziel gesetzt, den Fluss und die Umwelt zu retten. Es geht ihr nicht nur um die Bewohner des Flusses, auch 8 000 Bäume – die achtfache Menge des Baumbestandes im Grazer Stadtpark – sollen dem Kraftwerk zum Opfer fallen. Das Gesetz schreibt zwar eine höhere Wiederbepflanzung vor, doch wie diese im Projektgebiet erfolgen soll, ist vielen Zweiflern ein Rätsel. „Das Hauptziel ist, die letzten frei fließenden Kilometer der Mur zu erhalten. Unsere Nachkommen sollen die Mur ebenfalls kennen, wie sie heute ist“, erläutert Clemens Könczöl, Sprecher von „Rettet die Mur“. Unzählige Grabkerzen ließen seine Mitstreiter und er am Murufer erleuchten, um auf den drohenden Unter-

© Architekturbüro Pittino-Ortner

er Huchen, unser Grazer Haus-und-Hof-Fisch, muss sich in den kommenden Jahren womöglich eine neue Heimat suchen. Der urtümliche Flussbewohner ist ins öffentliche Interesse geschwommen, weil er zu jenen Tieren gehört, deren Lebensraum durch den Bau des Murkraftwerks gef ährdet ist. Das Projekt soll in Zukunft 20 000 Grazer Haushalte mit erneuerbarer Energie versorgen. Seit Jahren arbeiten die Energie Steiermark und der Verbund daran, den Bau auf Höhe der Olympiawiese zu realisieren. Die Befürworter haben starke Argumente: Energiegewinnung durch Wasserkraft erfordert keine fossilen

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gang vieler Bäume und Fische aufmerksam zu machen. Dabei geht es um Einzigartiges wie den Huchen, der über einen Meter lang werden kann. Er hat sich in der Mur so zahlreich angesiedelt, weil er hier optimale Bedingungen findet, um sich fortzupflanzen. Naturschützer fürchten, dass der Fisch durch den geplanten Kraftwerkbau die Region für immer verlassen wird. Darüber ist nun ein regelrechter Streit entbrannt: Der Huchen wird weiter leben, sagen die Befürworter. Der Fisch wird aus seinem Lebensraum verdrängt und womöglich sterben, meinen die Gegner. Clemens Könczöl betont, wie bedeutend die Mur für das Schicksal des akut vom Aussterben bedrohten Huchens ist: „In der Mur befindet sich das größte Vorkommen des Huchens. Wenn das Kraftwerk gebaut wird, wird sein Lebensraum zerstört und der Huchenbestand ist weltweit in Gefahr.“ Die Betreiber sagen: Das Kraftwerk soll „fischfreundlich“ gestaltet werden und eine Fischaufstiegshilfe enthalten. Fische können sich somit nach wie vor in der Mur bewegen. Ob der sensible Huchen das auch tun und sich flussaufwärts niederlassen wird, könnte nur der Fisch selbst beantworten. Doch dieser bleibt stumm. Wasserschlacht der Politik Umso lauter geht es dagegen in der Grazer Stadtpolitik zu. Die Stellungen der Parteien sind klar bezogen. Die ÖVP spricht sich für, die Grünen gegen den Bau aus. Die Volkspartei sieht vor allem die Möglichkeit, dem Wildwuchs an den Murufern ein Ende zu setzen und das Naherholungsgebiet zu erneuern und auszuweiten. „Die Mur war früher näher bei den Grazern und vom Schlossberg aus zu sehen. Heute ist das Flussbett kaum noch wahrnehmbar. Die Hebung des Wasserspiegels bedeutet eine Neuausrichtung in der Nutzbarkeit“, sagt Thomas Rajakovics, Sprecher von Bürgermeister Siegfried Nagl. Zudem rechne Graz in den nächsten 15 Jahren mit 30 000 neuen Einwohnern, wodurch mehr Energie benötigt werde. Diese Energie soll durch Ökostrom abgedeckt werden. So gut die Idee der Wasserkraft auch ist, für die Grünen ist der Energie-Output des Murkraftwerks zu gering. „Mit den 74 Gigawatt, die das Kraftwerk produziert, können gerade einmal drei Monate des nächsten Energiezuwachses der Steiermark abgedeckt werden“, beschreibt Lisa Rücker, Bürgermeister-Stellvertreterin, die Energie-Ineffizienz des Murkraftwerks. Darüber hinaus kann aufgrund der Wassersituation des Flusses in den stromfressenden Wintermonaten nicht genügend Energie erzeugt werden. Also muss erst recht Strom aus anderen Kraftwerken zugeführt werden. Noch ist die Diskussion offen, die Meinungen um das Murkraftwerk Graz gehen auseinander. Doch in einem Punkt sind sich Gegner und Befürworter einig: Energieeinsparungen und ein Umdenken in der Energiepolitik sind dringend notwendig. Bis dahin schwimmt der Huchen aber noch einige Längen durch die Mur. Q

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9p\T[ KHZ -LSK ^PY IYH\JOLU ,ULYNPL Beim Bau eines Wasserkraftwerks soll in Brasilien die Heimat tausender Menschen überschwemmt werden. Vor Ort kämpfen Umweltschützer gegen das Projekt, in Graz gibt es kritische Stimmen gegen einen steirischen Zulieferer.

© Verena Glass

TEXT: GEORG PARTOLOTH

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raz muss evakuiert werden, Verena Glass glaubt, dass auf internatiodenn Österreich braucht nale Zuliefererfirmen Druck ausgeübt mehr Strom. Ein Riesen- werden müsse, damit etwas passiert. Sie staudamm wird errichtet sieht täglich Menschen, die angeln, um und da, wo jetzt Straßenmusiker spielen zu überleben und andere, die in kleinen und Pensionisten ihre prall gefüllten Kommunen leben und sich von dem erEinkaufstaschen mühsam zur Straßen- nähren, was der Boden gerade hergibt, bahn schleppen, werden künftig Enten und nicht sehr gebildet sind. Die müssnach Futter tauchen. Für Graz ein ten ihre Heimat verlassen, ohne dass es undenkbares Szenario, 10 000 km Luft- konkrete Umsiedlungspläne gäbe. Glass linie von uns entfernt könnte es aber ist die Schnittstelle zwischen den Amabald Realität sein. zonasbewohnern und internationalen Im Bundesstaat Pará im Norden Brasili- Medien, über sie erhalten Journalisten ens soll trotz Protesten der Bevölkerung Informationen, was die Menschen vor das Wasser des Amazonas-Seitenflusses Ort denken und wollen. Xingu durch eine riesige Betonmauer Doch gegen die Marketing- und PRaufgestaut werden. Auf insgesamt 500 Kampagnen der brasilianischen RegieQuadratkilometern soll es hier spätes- rung fühlt sich die engagierte Initiatitens im Jahr 2019 „Land unter“ heißen. ven-Sprecherin machtlos. „Norte In einem Gebiet, das viermal größer ist Energia“, das verantwortliche Energieals Graz. unternehmen für das Kraftwerk, wirbt Verena Glass kämpft seit Jahren gegen im ganzen Land für Belo Monte. Auf das Projekt. Sie lebt in der Region und Flughäfen laufen Videospots, in denen ist Sprecherin von „Movimento Xingu die Vorteile des Kraftwerks für ganz Vivo Para SempBrasilien sowie re“ („Bewegung für die betroffene Xingu lebt ewig“), ,PU )H\LY ILRHT THUPW\SPLY[L indigene Bevöleinem Zusammen- 7HWPLYL ]VY KPL 5HZL NLOHS[LU kerung erklärt schluss von über <U[LYZJOYLPIL LY UPJO[ ^ YKL LY werden. Kritik 250 Einrichtunin den Medien a^HUNZLU[LPNUL[ gen und sozialen schienen die Poli =,9,5( .3(:: Organisationen. tiker kaum ernst Die Brasilianerin zu nehmen: „Die weiß, dass sie auf Regierung ernationaler Ebene kaum Chancen hat, klärt, dass Brasilien wachsen muss. Dadas gewaltige Wasserkraftwerk zu ver- für brauche man Energie, und Wasserhindern. Anfang Juni gab sogar die kraft sei sauber. Aber viele Menschen in brasilianische Umweltbehörde grünes São Paulo wissen eben nicht, was in Belo Licht - und missachtet damit alle Ein- Monte wirklich los ist, da es sehr weit wände der Kraftwerksgegner. Glass setzt weg ist“, erklärt Glass. Wenn sie erzählt, auf internationale Unterstützung, zumal wie Regierung und Firmen mit der Bean dem Projekt auch weltweit Firmen völkerung umgehen, ist in ihrer Stimme beteiligt sind. Und scheint Erfolg damit Wut zu hören: „Ein Bauer wollte seine zu haben. Auch in Graz sind die Protes- 60 Hektar Land, auf denen er Kakao ante angekommen. Eine katholische Initi- baut, nicht verkaufen. Prompt bekam er ative unterstützt die Kraftwerkgegner manipulierte Papiere vor die Nase gehalund auf der Homepage des „Welthauses“ ten, die auswiesen, dass sein Terrain jefinden sich entsprechende Informatio- mandem anderen gehöre. Unterschreibe nen und ein Boykottaufruf gegen die er nicht, würde er zwangsenteignet.“ Firma Andritz, die Turbinen an das Erwin Kräutler kämpft an der gleichen Kraftwerk liefern soll. Front. Der Vorarlberger ist seit bald

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50 Jahren Missionar in der unteren Region des Rio Xingu und seit gut 30 Jahren auch Bischof des Gebiets. Er kritisier t, dass das K raft werk die Lebensgrundlage indigener Volksstämme zerstöre. Durch sein persönliches Engagement für die Bevölkerung bekam er 2010 den alternativen Nobelpreis verliehen. Die Schattenseite: Er fühlt sich bedroht und bewegt sich nur noch mit Sicherheitspersonal. Unterstützung bekommen Kraftwerksgegner wie Verena Glass oder Erwin Kräutler auch von Prominenten: James Cameron, Arnold Schwarzenegger und Bill Clinton haben unter anderen bereits ihre Stimme erhoben. In Österreich beschäftigt sich die „Plattform Belo Monte“ mit dem Thema und sieht Alternativen zum Bau des Kraftwerks. Es sollten die Stromleitungen verbessert werden. Außerdem schlagen sie Wind- und Solaranlagen oder kleinere Wasserkraftwerke vor. Auch der Bedarf soll hinterfragt werden. Selbst die Forderung der Menschenrechtsorganisation der Organisation Amerikanischer Staaten, den Kraftwerksbau zu stoppen, scheint Brasiliens Regierung nicht zum Umdenken bewegen zu können. Die Antwort: Niemand sollte sich in innenpolitische Probleme einmischen. Das Kraftwerk gilt als Prestigeprojekt von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Wird es jetzt tatsächlich gebaut, steht noch mehr auf dem Spiel als eine Fläche von 500 Quadratkilometern in Pará: 60 weitere Staumauern sind entlang des Amazonas bereits geplant. Dann wären die gigantischen Bäume, deren Wurzeln außerhalb der Regenzeit ein sehr imposantes Bild ergeben, wohl nur mehr auf Archivaufnahmen zu sehen. Noch größere Eingriffe in die Natur müssten vorgenommen werden. Das Zukunftsszenario auf Österreich übertragen: „Land unter“ für viel mehr als einen Lebensraum der vierfachen Größe von Graz. Das ganze Land müsste dann wohl evakuiert werden. Q

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Bürgerbewegungen können selbst Felsmassive sprengen. Starker Protest verhinderte die Autobahn durch Graz und führte zum Bau des Plabutschtunnels.

TEXT: TANYA KAINDLBAUER

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rische Luft und die Eggenberger Grünflächen im Rücken. Für Hofrat Dr. Alois Fauland ein Privileg, heute so unbeschwert in seinem Fernsehsessel zu sitzen. Denn vor knapp 30 Jahren sah es so aus, als ob die Wirklichkeit des heute pensionierten Richters fast eine völlig andere geworden wäre: Grau statt Grün, Abgase statt Blütenduft, Autolärm statt Vogelgezwitscher. Der Bezirk Eggenberg wäre von einer Autobahn durchtrennt gewesen. Das hat der Hofrat verhindert. Er wagte den Schritt zur ersten wirklich erfolgreichen Grazer Bürgerinitiative, die sogar das damalige Stadtoberhaupt Gustav Scherbaum das Amt gekostet hat. Seit er 1960 ins Amt gehoben wurde, kannte der Grazer Bürgermeister Scherbaum in seiner politischen Lauf bahn fast nur Erfolge. Das änderte sich, als 1971

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die Frage der Trassenführung der Phyrnautobahn mitten durch Eggenberg aufkam: Eine zunächst kleine Runde, darunter auch Fauland, leistete Widerstand. „Da hat’s heftige Auseinandersetzungen gegeben“, erinnert sich der Jurist. „Die Leute haben unsere Listen tausendfach unterschrieben und sogar eigene angefertigt.“ Schließlich wuchs die Bürgerinitiative zu einer beachtlichen Größe heran und selbst namhafte Politiker befanden sich im „unparteiischen“ Komitee. „Der Ärger über Scherbaums Entscheidung über unsere Köpfe hinweg war einfach zu groß.“ Dieser rote Bürgermeister ließ 1973 die Unterschriften eines Volksbegehrens gegen die „Eggenberger Trasse“ vom Magistrat prüfen. Ein kapitaler Fehler angesichts der nahen Gemeinderatswahlen: Zwar stellte sich heraus, dass in der Tat ein Drittel der Unterschriften ungültig war, die Wut der kleinen Bürger über die Kontrollaktion war aber so enorm, dass die Wahl zu einer gravierenden Niederlage der SPÖ führte. FPÖ und ÖVP hingegen waren noch rechtzeitig auf den Zug gegen die Transitstrecke aufgesprungen. Sie entschieden die Wahl für sich – und für die Bürger: Statt der

Autobahn wurde 1987 der Plabutschtunnel gebaut. Mit diesem „Erfolg für die Basisdemokratie“ hätte der ambitionierte Rechtsexperte nicht gerechnet, ein Rezept verrät er uns trotzdem: Man braucht ein ordentliches Zugpferd, viel Zeit und noch mehr Energie. Bevor man aber gesetzeswidrige Wege einschlägt, sollte man sich erst gut organisieren – oder es gleich lassen. „Denn wir haben genug Möglichkeiten, auf gesetzlicher Basis unseren Widerwillen, unseren Willen und unsere Wünsche den Politikern da oben mitzuteilen.“ Laut Referat für BürgerInnenbeteiligung der Stadt Graz erreichen mehr als die Hälfte der Bürgerinitiativen auch mehr als die Hälfte ihrer Ziele. So schnell wie damals lassen sie sich allerdings nicht mehr durchsetzen. Das zeigte sich bei der Initiative für die Verlängerung der Straßenbahnlinie 6: Sie sorgte zwar für noch mehr Wirbel, kostete aber bis zur Realisierung eine negative Volksbefragung, drei Bürgermeister, mehrere Verkehrsstadträte und über 30 Jahre Zeit. Was der Einzelne bewirken kann, zeigen auch internationale Initiativen. So hat die spanische Bürgerinitiative „Prowu!“ dafür gesorgt, dass der Stierkampf in Katalonien ab 2012 verboten wird. Damit haben sich die Tierschützer nach mehrjährigem Kampf gegen ein Nationalsymbol durchgesetzt. Ein Einzelfall? Nein. Auch die „erfolgreichste Bürgerinitiative der Welt“ (so der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan) entwickelte sich aus der Idee eines Einzelnen. Um das Verbot von Anti-Personenminen politisch durchzubringen, setzten Gruppen von Afghanistan bis El Salvador ihre Regierungen unter Druck. Geschafft haben sie es 1997 in Kanada, wo die Konvention unterschrieben wurde. Der Friedensnobelpreis folgte. Basisdemokratie ist demnach kein romantisches Relikt, sondern Garant für Mitsprache, Dialog und Veränderung. Q

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+PL UHP]L 9L]VS\[PVU Anarchismusforscher Reinhard Müller im Gespräch mit blank4 über Graz als anarchistisches Zentrum Österreichs, Herrschaft und die Revolution. INTERVIEW: IMRE WITHALM FOTOS: VIKTORIA FAHRNLEITNER

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ährend die Glut des Zigarillos rot aufleuchtet, fließt der Kaffee schwarz und dampfend in die Tasse. Nein, hier sind sie noch nicht, die Zeugnisse finden sich vielmehr an der Wand. Nicht pompös, sondern eher beiläufig hängen in der Wohnung des Anarchismusforschers Reinhard Müller wichtige Beiträge einer reichen Tradition. Der Gastgeber ist gesellig, erzählt aber durchaus akademisch. Trotzdem dauert es keine Frage bis er „Du“ zur korrekten Anrede erklärt und uns einlädt, mit ihm auf Reise zu gehen. Auf die Reise in eine Zeit, als Graz das wichtigste anarchistische Zentrum Österreichs war. Wir kommen mit. Kaum ein Zweiter hat sich mit dem Anarchismus in Graz so intensiv auseinandergesetzt wie du. Was hat dich dazu gebracht, deine Forschung diesem Bereich zu widmen?

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Als ich jünger war, hieß es immer, in Österreich hätte es keine anarchistische Szene gegeben. Die Überzeugung, dass das nicht stimmen kann, hat mich in die Forschung getrieben. Dort konnte ich zwei Dinge belegen: Zum einen, dass es sehr wohl Anarchistinnen und Anarchisten in Österreich gegeben hat und zum anderen, dass Graz sogar einst unbestritten das anarchistische Zentrum in Österreich war. Es war nach Verhängung des Ausnahmezustands 1884 über Wien, als Graz zum ersten Mal zum Zentrum der frühen anarchistischen Arbeiterbewegung wurde. Kurz vor dem ersten Weltkrieg hat sich dieses Bild zwar noch einmal geändert, aber danach hat die Blütezeit des Anarchismus in Graz endgültig begonnen. Der Erste Weltkrieg war ein dermaßen massiver Einschnitt, dass die ursprüngliche Wiener Bewegung völlig eliminiert wurde. Symptomatisch dafür war, dass Pierre Ramus (Anm.: er hieß eigentlich Rudolf Grossmann), die frühe anarchistische Symbolfigur in Österreich, unter Hausarrest gestellt wurde. Andere sind verhaftet worden.

Wieder andere gingen ins Exil. Trotzdem konnte sich die Bewegung neu etablieren. Und zwar in erster Linie eben hier in Graz. In Relation zur Einwohnerschaft war Graz überhaupt die Anarchistenszene schlechthin. Man kann von einem harten Kern von etwa 400 Personen ausgehen, das Sympathisantenfeld ist in den 20er-Jahren von der Polizei aber auf einige Tausend geschätzt worden. Ein Grund dafür war, dass es AnarchistenFührer Ramus gelungen war, den „Bund herrschaftsloser Sozialisten“ (BhS) zu gründen – eine Dachorganisation, in der unterschiedlichste anarchistische Strömungen Platz gefunden haben. Heute sieht man von dieser Szene aber kaum mehr etwas. Diese Blütezeit des Anarchismus in Graz war eben nur von kurzer Dauer. Schon in den 30ern sind die Anarchistinnen und Anarchisten mit der Machtübernahme der Austrofaschisten in die Illegalität getrieben worden. Die Szene hat sich auch nach dem Z

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Zweiten Weltkrieg nicht wirklich erholt. Nach einer Unterbrechung der Tradition hat es erst 1970 wieder eine Anarcho-Szene in Österreich gegeben, die hat aber nichts mehr mit der Tradition des BhS zu tun gehabt. Wer war Teil dieses Bundes herrschaftsloser Sozialisten, diesem Grazer Anarchismusbund der 20er? Eine Vielzahl anarchistischer Bewegungen, die mehr oder weniger alle Lebensfelder abgedeckt haben. Da hat es die Vegetarier gegeben, die Anti-Vivisektionisten – also die Tierschützer, wie man heute sagen würde –, aber auch Alkoholgegner oder Leute, die Siedlungen oder Landkommunen gründen wollten. Außerdem Leute, die sich für die Entwicklung einer Weltsprache eingesetzt haben oder Menschen, die einfach versucht haben, die herkömmliche Kunstwelt aufzubrechen. Es gab kaum einen Alltagsbereich, wo man nicht irgendwo anarchistische Gesinnungsfreunde und Gesinnungsfreundinnen hatte, mit denen man sich zusammentun konnte. Es ist ein sehr trag fähiges Netzwerk im Rahmen dieses BhS entstanden. Der BhS konzentrierte sich also darauf, das Leben selbst zu ändern. Inwieweit hat „die Revolution“ in Rhetorik und Praxis des BhS eine Rolle gespielt? Wenn man sich die Zeitschrift des BhS anschaut, „Erkenntnis und Befreiung“, dann wird man sehr oft das Wort „Revolution“ finden. Aber eigentlich wäre „Rebellion“ korrekter. Denn was Pierre Ramus propagiert, ist eigentlich nichts anderes als die Rebellion der Anarchisten und Anarchistinnen in allen möglichen Alltagsbereichen. Er geht zwar schon davon aus, dass eine herrschaftsfreie

Gesellschaft, die ausschließlich auf freiwilligen Zugehörigkeiten beruht, nur über eine massive Veränderung aller sozialen, politischen und militärischen Struktur möglich ist. Allerdings war er auch Realist genug um zu sehen, dass man so etwas nicht in Form eines Putsches oder in Form einer Revolution durchführen kann. Denn der Begriff der Revolution kommt ja aus der Physik und bedeutet nichts anderes als eine Drehung um sich selbst – und am Ende ist wieder alles dort, wo es war. Ramus und viele andere Anarchisten und Anarchistinnen haben richtig erkannt, dass diese Form der „Revolution“ nicht gewollt ist. Ein anderer Grazer Anarchist, Franz Prisching, war auch dieser Meinung: Wenn man selbst so weit ist, dass man auf Gewalt und auf Herrschaft über Menschen verzichten kann, dann werden sich andere vielleicht ein Vorbild nehmen und versuchen, dem nachzueifern. Würdest du diesen Zugang als naiv einstufen? Nein, ich würde den als hoch intelligent einstufen – naiv ist für mich eher, wenn man glaubt, dass man mit einem Putsch tatsächlich eine fundamentale Revolution herbeiführen kann. Nordafrika ist ein gutes Beispiel dafür. Natürlich, da wird jetzt ein Diktator mit Waffengewalt vertrieben, aber was folgt nach? Es wird die Demokratie nachfolgen, deren Auswirkung im 20. Jahrhundert gut zu beobachten war – immerhin ist auch Hitler einst mit demokratischen Wahlen an die Macht gekommen. Deshalb bin ich skeptisch, dass man das jetzt so bejubelt und sagt: „Mah, da gibt es jetzt den großen Freiheitskampf in Nordafrika.“ Ich glaube, im Prinzip wird in Afrika nichts anderes gemacht, als dass man das europäische Modell versucht, zumindest in Teilen nachzuahmen. Die wirkliche Freiheit bleibt aus.

Die Revolten in Nordafrika haben heute einen stark technologischen Faktor – sie wurden großteils über Social-Media-Netzwerke organisiert. Nicht alle finden das gut. Oft ist zu lesen, dass gerade das anarchistische Umfeld heute viel stärker von technologiekritischen Strömungen geprägt ist als beispielsweise zu Zeiten des BhS. Was ist aus anarchistischer Sicht so schlimm an der Technologie? Durch die technologischen Entwicklungen haben wir, meiner Ansicht nach, einen bislang noch nie erreichten Grad an Herrschaft über Menschen. Es gibt Kommunikationsmöglichkeiten, die durch die Technologie erst entstehen. Sie dehnen die Herrschaft in einem bisher unbekannten Ausmaß aus. Das heißt, der persönliche Kontakt, der eigentlich für anarchistische Bewegungen immer ganz wichtig war, verliert sich. Man will ja kleine Gruppen. Man will sich mit Menschen zusammenschließen, die man kennt und wo man glaubt, dass man gemeinsame Interessen und Ideen hat. Welche Auswege gibt es aus dieser Situation? Welche Rolle können da Anarchismen heute noch spielen? Es gibt für mich kein Allheilmittel. Aber man sollte sich als Erstes überlegen, wo man im Alltag beeinflusst wird. Das muss man zuerst erkennen und dann verhindern – und zwar schrittweise. Ich habe sehr viele Anarchisten und Anarchistinnen kennengelernt, die immer glauben, sie müssen jetzt alles und sofort umsetzen. Ich dagegen glaube, dass sich soziale Veränderungen nur in kleinen Schritten machen lassen: Schnell geht es nur, wenn es von oben mit Zwang kommt. Von sich aus und mit Überzeugung geht es aber nur langsam. Q

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:LZHT MMUL KPJO Wer Verwaltungsdaten offenlegt, stößt das Tor zur Zukunft auf. Open Data ist die Zauberformel – die man in der Steiermark noch selten erhört. TEXT: JAN HESTMANN

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n den Urzeiten des WWW, als es noch keine Routenplaner für öffentliche Verkehrsmittel gab, hat eine Gruppe engagierter Bürger in Graz die Fahrpläne an den Haltestellen abfotografiert und ins Web gestellt – zum Nutzen der Allgemeinheit.“ Eine Geschichte aus vergangenen Tagen, die Wolfgang Halb von der Forschungseinrichtung Joanneum Research in Erinnerung geblieben ist: „Paradoxerweise werden die Fahrplandaten noch heute nicht als frei zugängliche, offene Daten angeboten.“ Halb engagiert sich dafür, dass sich das ändert und Open Data auch die Steiermark erreicht. Open Data over Austria Ausgehend von Großbritannien und den USA beginnen immer mehr Länder, Daten, Zahlen und Fakten des Alltags im Netz offen zugänglich zu machen: Luftwerte, Verkehrslage, Stadtpläne, Kindergartenstandorte – alles nur einen Klick entfernt und bereit für eifrige und kreative Köpfe, um daraus neue Tools, Karten und Informationsdienste zu basteln. Auch in Österreich ist diese Auf bruch-

stimmung in Richtung Open Data angekommen. Der Verein Open3 nimmt österreichweit die Vorreiterrolle ein und hat mit der bunten Visualisierung des Wiener Budgets 2009 von sich reden gemacht. Auf Städteebene wollen es Wien und Linz vormachen: Die Bundeshauptstadt hat bereits Mitte Mai einen öffentlich zugänglichen Datenkatalog präsentiert. Linz will im September nachziehen. In der Steiermark öffnet man sich vorerst nur vorsichtig. Im August 2010 gab es in Graz ein erstes Treffen Interessierter, mit dabei auch Wolfgang Halb. Das zu Joanneum Research gehörige „Policies“, das Zentrum für Wirtschafts- und Innovationsforschung, stelle schon seit Jahren wirtschaftspolitische Informationen bereit und mache auch im Auftrag des Landes öffentliche Daten zugänglich, so Halb. „Open Government Data (Anm.: kurz OGD) ist somit zumindest teilweise Realität in der Steiermark.“ Dennoch gäbe es seitens der Bürger wie auch der Wirtschaft ein Bedürfnis nach noch umfangreicheren Informationen. „Darum wollen wir die internationale Auf bruchstimmung

auch hierher bringen.“ Aus der offiziellen Steiermark hört man derweil keine solchen Töne. Interesse? Natürlich! Aber immer schön langsam. „Seitens der Politik wurde das Thema bislang nur am Rande beachtet“, sagt Halb. Der steirische Landesamtsdirektor Helmut Hirt bestätigt, dass OGD keine Priorität in der Steiermark habe. Derzeit sei man mit anderen Themen ausgelastet. Apps gegen Fahrraddiebe Dabei wäre mit offenen Daten vieles möglich. „Beispielsweise ein intelligenter Routenplaner für Fußgänger und Radfahrer, der Kriminalitätsstatistiken oder Fahrraddiebstähle berücksichtigt, um so die Sicherheit der Bürger zu erhöhen“, schlägt Halb vor. Der Kreativität seien „keine Grenzen gesetzt“. Als innovatives, bereits realisiertes Grazer Projekt nennt der Open Data-Experte die Plattform feinstaub.st. Darauf werden in Kooperation mit dem Land Steiermark Daten zur Feinstaubbelastung in Graz und Umgebung regelmäßig aktualisiert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die User können sich so jederzeit informieren, wo die Belastung am höchsten ist und diese Bereiche meiden. 2011 ist das Jahr, in dem die Datenlawine in Österreich losgetreten wurde. Wann sie schließlich auch die Steiermark erfasst und wie sich OGD generell auf die Beziehung zwischen Regierung und Bevölkerung auswirken wird, bleibt vorerst – wie leider erst wenige Datensätze – offen. Q >LP[LYL 0UMVYTH[PVULU! ^^^ VWLU H[ ^^^ NV] VWLUKH[H H[ ^^^ ^PLU N] H[ ^^^ QVHUUL\T H[ ^^^ ^OLYLKVLZT`TVUL`NV VYN

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:[`YPH3LHRZ Sind auf Wikileaks Inhalte aus der Steiermark zu finden? Oder haben Aufdecker-Plattformen bei uns keine Chance? blank4 hat nachgeforscht.

TEXT: CORNELIA KRÖPFL

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ir versuchen es mit den Begriffen „Steiermark“, „Styria“ und „Graz“. Und sogar „Voves“, „Schützenhöfer“ und „Klasnic“ tippen wir in das Suchfeld. Erfolglos. Es bleibt bei „no page text matches“. Geheiminformationen aus der Steiermark scheint es auf Wikileaks nicht zu geben. Dabei mangle es nicht an brisanten Dokumenten, steht für den steirischen Journalisten Ingo Hasewend außer Frage.

„Fast jede kleine Geschichte läuft über Geheiminformationen“, weiß der Außenpolitik-Leiter der Kleinen Zeitung. Da sei auch vieles dabei, was der Journalist nur als Hintergrundinformation nutzen darf. So eine indirekte Botschaft wechselt dann schnell den Besitzer: bei Smalltalk, ein paar Brötchen, einem Schluck Wein – und natürlich Vertrauen. Immerhin will der Informant seine Botschaft gut aufgehoben wissen. Alte Bekannte sind da vertrauenswürdiger als undurchsichtige Server, die irgendwo auf der Welt in einem Bunker versteckt sind. Hasewend hat sich im vergangenen Herbst intensiv mit Wikileaks beschäftigt. Als Dokumente, die sich auf Österreich beziehen, exklusiv in News veröffentlicht wurden, sei das Interesse aber bald abgeklungen. Der Grund: „Eine Quelle benutzen, die andere vorher schon hatten, ist uninteressant. Da ist die Exklusivität weg.“ Und zum planlosen Durchforsten der Dokumente auf Wikileaks fehle ihm und seinen Kollegen einfach die Zeit. Falter-Redakteurin Ingrid Brodnig hat die Dokumente auf Wikileaks trotzdem durchstöbert. Für sie war klar, dass solch

eine Enthüllungsplattform früher oder später sowieso online gekommen wäre. „Das kann man nicht auf halten“, sagt Brodnig. Und das sei auch gut so, immerhin habe Wikileaks Dinge aufgedeckt, die für die Öffentlichkeit wichtig waren. Nicht ganz so positiv bewertet Brodnig den Versuch des Kurier, mit AustroLeaks ein Wikileaks-Pendant für Österreich zu schaffen: „Das ist unglaubwürdig, weil der Kurier als herkömmliches Medium andere Interessen hat als die Leute bei Wikileaks, die an Information für alle glauben.“ Authentischer für sie ist der Aufdecker-Blog dietiwag.org, auf dem Geschäftsverträge des Tiroler Stromkonzerns Tiwag veröffentlicht werden. Generell glaubt Brodnig aber, dass es diese Plattformen in Österreich nicht einfach haben. Amerikaner sind dank des Gesetzes „Freedom of Information Act“ daran gewöhnt, dass Regierungsdokumente veröffentlicht werden. Brodnigs Schlussfolgerung: So ein Gesetz, „das fehlt uns“. Abseits von gesetzlichen Vorgaben sei es aber auch eine Mentalitätsfrage. „Österreicher sind nicht sehr auskunftsfreudig“. Q

die bildungswerkstatt der grünen steiermark

Paulustorgasse 3/1 | A-8010 Graz | fon. 0316/822557-0 | info@gruene-akademie.at

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Querleben Gesellschaft

32 | Technik

Sex, Strom, Salsa 34 | Essbares

Mit Otto gegen die Wurschtigkeit 36 | Guerilla Gardening

Vielen Dank f端r die Blumen 40 | Arbeitsmigration

Die Entdeckung des Paradieses 42 | Wohnraum

#quergesucht 44 | Denksportler

Der Zugf端hrer 46 | Unterricht

App in den Schultag 48 | Essbares

BIOniere im Web 49 | Plastik

Die Krautwaschls

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:L_ :[YVT :HSZH 3D-POR NO

Blockbustaaah

© Jonny Craig/picturedesk

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nde April feierte der weltweit erste 3D-Pornofilm in Hongkong Premiere – und scheint mit seinen dreidimensionalen Liebesakten direkt ins Schwarze getroffen zu haben: „3D Sex and Zen: Extreme Ecstasy“ sorgte nicht nur für lange Schlangen vor den Kinos, sondern entpuppte sich gleich am Premierenwochenende als standhafter Kassenknüller, der den bisherigen Rekordhalter „Avatar“ vom 3D-Thron stürzte. Nackte Haut scheint wesentlich beliebter zu sein als blaue: 250 000 Euro brachte der 3D-Porno am Startwochenende ein, immerhin 20 000 Euro mehr als „Avatar“.

GRE EN IT

© BE&W/picturedesk

Grüner geht immer

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eit dem ersten Akku-Ausfall wissen wir: Computer sind die reinsten Energiefresser. Die IT-Branche verursacht mittlerweile gleich viel CO2-Belastung wie der globale Luftverkehr. Neben dem gelegentlichen Offline-Tag setzt sich immer stärker der

ENERGI E TANZT

© Energie Steiermark

Tanz der Elektronen

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tecker rein, Schalter an. Schon fließt Strom. Wie dieser produziert wird, interessiert meist keinen. Dabei wäre die Eigenproduktion ganz einfach, fast sogar spielerisch: Der „Sustainable Dancefloor“ wandelt Tanz-Bewegungen in elektrischen

Solche Ergebnisse lassen annehmen, dass die Erotik- und Pornofilmindustrie nach dem Rückschlag durch Gratis-Downloads im Internet jetzt doch wieder im Kommen ist. Experten erwarten einen 3D-Porno-Boom allerdings erst mit dem zunehmenden Verkauf von 3D-Geräten. Bis dahin gewähren nur Kinos die begehrten dreidimensionalen Einblicke. Ab wann auch die 3D-Brillengläser in Graz beschlagen, ist derzeit noch nicht bekannt. Unklar ist auch, ob die heimischen Zuseher, wie jene in Hongkong, zur 3D-Brille die Taschentücher frei Haus mitgeliefert bekommen.

Grundsatz der Green-IT durch. Statt totalem PC-Verzicht minimiert man HardwareKosten und verwendet umweltschonende Technik, wie energieeffiziente Prozessoren. Auch die Wirtschaftskammer Steiermark setzt auf die grünen Bits und Bytes und propagiert Servereinsparungen. Mitarbeiter werden zum Abschalten von ungenutzten Geräten angehalten, Videokonferenzen ersparen Autokilometer. So kann man mit grünem Gewissen in die Tasten hauen.

Strom um. Tritt man auf den umweltschonenden Tanzboden, verformen sich die besonderen Materialien und erzeugen so Energie. Je intensiver auf der Tanzfläche herumgewirbelt wird, desto mehr Strom wird produziert. Von den vielen Grazer Lokalen fährt bisher aber noch keines die Tanzstrom-Schiene, zu sehen ist der „Sustainable Dancefloor“ in Graz nämlich vorerst nur in der Ausstellung „E-Wunderwelt“ der Energie Steiermark.

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4P[ 6[[V NLNLU KPL >\YZJO[PNRLP[ Wir wollen gar nicht wissen, woher unser Schnitzel kommt. Wir schauen lieber weg. Schokolade-Hersteller Josef Zotter will das ändern. Mit seinem Essbaren Tiergarten schickt er sich an, unsere Blicke zu schärfen.

TEXT: CORNELIA DEXL FOTOS: JAN HESTMANN

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tto ist zwei Wochen alt. Sein linkes Bein ist mit Verband umwickelt und seine kindlichen Kulleraugen machen es auch den Hartgesottensten fast unmöglich, sich einen Ausruf

des Entzückens zu verkneifen. Otto ist ein Schaf. Und er lebt im Essbaren Tiergarten von Josef Zotter. Während Otto in anderen Betrieben gnadenlos als „nicht lebenswert“ aussortiert worden wäre, kümmert man sich

hier rührend um seine unterentwickelten Beine. „Wir haben sie ihm geschient, und seit Kurzem kann der Otto gehen“, freut sich Josef Zotter. Dass Otto ihm gerade die Hose wegknabbert, scheint ihn nicht zu stören. Mit dem Essbaren Tiergarten hat der Schoko-Mogul sein nahe der Riegersburg gelegenes Unternehmen gerade erweitert. Nach der Schlemmerei in den süßen Hallen der Schokoladen-Manufaktur dürfen sich Besucher nun über einen tierischen Verdauungsspaziergang freuen. Allerdings nicht über „Ziegenfleisch on demand“: Im Vordergrund stehen die lebendigen Tiere und nicht die Schnitzel. Das ist bei vielen Kritikern leider nicht sofort angekommen. „In Internetforen sind Gerüchte entstanden, dass man sich bei uns ein Schaf aussuchen und dann schlachten könnte. Das ist völlig absurd, aber es soll mir nur recht sein, ich möchte ja auch, dass dieses Thema Wellen schlägt“, sieht Zotter die Kritik positiv. Mittlerweile habe sich das Stimmungsbild ohnehin verändert, Anerkennung und lobende Rückmeldungen würden überwiegen. Das liegt nicht nur an Otto. Das Schäfchen und seine Geschwister teilen sich ihren Stall mit Ziegen, Wildschweinen und einigen Küken. Gestreichelt und beäugt werden können aber auch ausgefallene und wenig be-

Essen verboten: Josef Zotters Lämmchen sind nur zum Streicheln da.

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kannte Tiere, wie etwa Belgische Riesenhasen, Sonnenschweine, AltsteirerHühner, sowie Lamas und Zottelrinder. Auf insgesamt 27 Hektar Land sehen Besucher eine artgerechte Haltung der Nutz- und Haustiere. In der „Essbar“, wenige Meter von ihren Ställen entfernt, werden die Tiere eines Tages schließlich verspeist. „Scharfe Sau“, „Bratwurst vom Glücksschwein“, „SPECKtakel“ oder „Marinierte Tiergartenbewohner“ finden sich auf der Speisekarte. Auch vegetarische und andere Köstlichkeiten kommen hier auf den Tisch: Obst, Gemüse oder Milchprodukte. Hungrig geht hier niemand wieder nach Hause. Wenngleich man sich den „Zottel-Burger“ nach tierischen Streicheleinheiten dann lieber zweimal überlegt. „Ich will niemanden zum Vegetarier machen, ich bin ja selbst auch keiner. Aber es geht hier um Emotionen. Einerseits wollen die Leute nicht wissen, wie das Tier aus dem Supermarkt-Fleischpackerl gelebt hat, andererseits will man Tiere, die man streichelt, auch nicht verspeisen“, erklärt der Hausherr das Prinzip. Zotters Motto: „Wegschauen gilt nicht.“ Das muss man im Essbaren Tiergarten auch nicht.

gewohnten Umgebung zuerst betäubt und mög lichst stressfrei geschlachtet. In der Schweiz und in Deutschland wird das bereits praktiziert. Nor m a ler weise sind Hofschlachtungen bei uns Das Prinzip ist klar: Anschauen, streicheln, und dann essen (siehe unten). nicht gestattet, aber die Genehmigung für den Tiergarten soll laut Zotter bald erteilt werden. Artgerechte Tierhaltung ist hier aber nicht das einzige Ziel. Es geht auch ums „artgerechte Essen“. Für Josef Zotter ist die Botschaft klar: „Menschen sollen darüber nachdenken, was Essen kosten soll und darf, wenn es ökologisch produziert ist.“ Er sieht ein großes Problem im Konsumverhalten der Bevölkerung. Niedriger Preis gehe vor Qualität, Masse vor Genuss. Eine Einstellung, die in Zotters Augen auch den Klimawandel beschleunigt. Es ist eine einfache Rechnung: Für eine Kalorie Fleisch braucht man etwa acht bis zehn Kalorien Getreide und Futtermaterial. In der HerstelWer länger lebt, schmeckt besser lung benötigt Fleisch die 10-fache Bewohner des Essbaren Tiergartens füh- Menge fossiler Brennstoffe, als wenn ren ein vergleichsweise angenehmes, ja man Gemüse produziert. Aber nicht nur hörnigen Ziegen – die großflächigen Sofast schon luxurider Umwelt, auch laranlagen auf. Sonnenenergie sorgt daöses Leben. Ein den Menschen für, dass auf dem gesamten Gelände Zottelrind darf ,ZZLU :PL KPL /pSM[L aHOSLU :PL selbst täte es gut, energieautark gearbeitet und gelebt wersich beispielswei- KHZ +VWWLS[L \UK :PL OHILU den Fleischkon- den kann – mit 750 000 Euro zwar eine se für etwa vier LPULU .L^PUU NLTHJO[ sum zu reduzieren teure, aber eben auch nachhaltige InvesJahre an grünen und stattdessen zu tition. Um den ursprünglichen Kreislauf 16:,- A6;;,9 Wiesen, saftigem gesünderen pflanz- von Mensch, Tier und Natur wiederherGras und frischer lichen Nahrungs- zustellen, hat sich Josef Zotter sein neues Luft erfreuen, während Artgenossen in mitteln zu greifen. Einen simplen und Projekt insgesamt etwa 5,2 Millionen herkömmlichen Betrieben – meist Mo- doch geistreichen Hinweis hat Zotter Euro kosten lassen. „Wenn ich mit dem nokulturen – schon nach drei bis 20 Mo- auch hier parat: „Essen Sie die Hälfte, Essbaren Tiergarten erreiche, dass die naten auf dem Teller landen. Doch nicht zahlen Sie das Doppelte und Sie haben Leute hier raus gehen, einfach einen nur das Leben, auch das Sterben soll für einen Gewinn gemacht.“ schönen Tag gehabt haben und noch dazu die Tiere möglichst angenehm gestaltet ihren Fleischkonsum überdenken, dann werden. Wildtiere und Hochlandrinder Vierhörnige Ziegen im Sonnenlicht habe ich mein Ziel schon erreicht.“ dürfen geschossen werden, ihre letzten Der ökologische Gedanke endet für Zot- Und was bedeutet das für Otto, das kleidrei Tage verbringen sie auf Spezialwei- ter nicht bei Tierhaltung und Essverhal- ne Schaf ? Die Fleisch-Frage kann ihm den mit dem besten Futter und – wie ten. Auch was die Energie- und Wasser- völlig wurscht sein. Er und seine GeJosef Zotter meint – „total zufrieden“. versorgung angeht, hat sich der schwister zählen neben Bei kleineren Tieren wie Schweinen will Unternehmer mit dem Essbaren Tiergar- den Ratten, Ziegen und man im Essbaren Tiergarten auf das ten eine eigene kleine Insel aufgebaut. Ponys zu den Haustieren. Prinzip des „Mobilen Schlachthofs“ set- Betritt man das weitläufige Areal, fallen Und Haustiere werden zen. Dabei werden die Tiere in ihrer einem – neben den seltsamerweise vier- nunmal nicht verspeist.

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Sonnenblumen für die Revolution. Guerilla Gardening macht Betonfriedhöfe grün und stellt die elementare Frage: Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum?

TEXT: JAN HESTMANN FOTOS: JULIA KARZEL, JAN HESTMANN

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uerilla Gardening – ein klingender Begriff. Er verrät: Es geht ums Gärtnern. Und gleichzeitig soll eine politische Botschaft vermittelt werden. Ja, denn hier wird nicht im eigenen

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Garten angepflanzt, sondern über die Grenzen des Zauns hinaus – sprich im öffentlichen Raum. Ziel ist es, diesen zu verschönern und dabei einen Anspruch auf freie Mitgestaltung zu stellen. Gehört der öffentliche Raum nicht eigent-

lich allen? Ob es sich hierbei um konstruktiven politischen Protest oder bloß um eine belächelte Subkultur handelt, steht zur Debatte. Aber eine feine Idee ist es allemal. Und so haben sich innerhalb unserer Redaktion ein paar WeltverZ

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besserer zusammengeschlossen, haben Samen, Setzpflanzen und Blumenerde besorgt und sind durch die StraĂ&#x;en von Graz gezogen. Immer in Begleitung einer kleinen, blauen GieĂ&#x;kanne, unserem schnuckeligen Symbol des Protests. 2007 haben Guerilla-Gärtner aus Belgien, genannt The Brussels Farmers, den „International Guerilla Sunflower Day“ ins Leben gerufen, der seitdem am 1. Mai stattfindet und in der Szene populär geworden ist. Heuer haben auch unsere Guerilleros erstmals diesen Tag gebĂźhrend gefeiert und daher auch verstärkt zu Sonnenblumensamen gegriffen. Wer die Samen um den 1. Mai herum setzt, kann schon im August die ausgewachsene Sonnenblume bewundern. Wem das zu lange dauert, greift eben zu sonstigen Blumensamen oder gleich zu Setzpflanzen. So, seed the world!

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ine Confiserie, irgendwo in Zürich. Schokolade-Raffinessen soweit die Sinne reichen. Mittendrin staunt die Österreicherin Marianne H. Sie ist gerade dem materiellen Elend der zerbombten Heimat entwischt. In diesem Moment empfindet sie etwas bisher Unbekanntes: Sie fühlt sich von der Fülle des Angebots überfordert. Dass das Gras anderswo immer grüner scheint, lehrt uns ein altkluges Sprichwort. Im Nachkriegsösterreich war es bittere Realität. Es gab wenig Lebensmittel, Kleidung wurde aus alten Gardinen genäht und die Löhne waren niedrig. Eintönige und körperlich auszehrende Arbeit prägte den Alltag. Wie ein Leuchtfeuer erschien den jungen Frauen die Alternative: eine auf Zeit begrenzte Arbeitsmigration. Damals galt vor allem die Schweiz als Konsumeldorado. Das Land genoss den Ruf, auch ausländischen Arbeitskräften Lebensqualität und Zukunftsperspektiven zu bieten. Schon die Anreise war ein Abenteuer: Marianne H. erinnert sich an die Zugfahrt, an die vorüberziehenden Berge, die sie faszinierten: „Ich konnte mir nicht erklären, wieso Schnee auf den Bergen lag, es musste in der Höhe doch wärmer sein.“ In der Schweiz angekommen, gab es für einige Steirerinnen dann erste Enttäuschungen. Die zukünftigen Arbeitgeber hatten nicht wie vereinbart Geld für die Weiterreise hinterlegt oder die Kosten für die zwingende Gesundenuntersuchung verschwiegen. Oft mussten sich die jungen Frauen Geld beim Bahnhofspersonal leihen.

+PL ,U[KLJR\UN KLZ 7HYHKPLZLZ TEXT UND FOTO: VIKTORIA FAHRNLEITNER

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Mut braucht es, um in die Fremde zu ziehen. Junge Steirerinnen hatten ihn und erlebten nach dem Krieg in der Schweiz ein Schlaraffenland auf Zeit.

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Und erst die Perlonstrümpfe! Elfenbeinfarben, zart und ohne sichtbare Abnützung sind die Nylonstrümpfe von Marianne H. aus der Zeit in der Schweiz noch heute. Stumme, aber besondere Zeugen. Auch Hermine P. erinnert sich noch gut an diese weibliche Eleganz: „Damals hat man Netzhandschuhe getragen und die ersten Perlonstrümpfe, das war ja was.“ Der modische Chic in den helvetischen Metropolen und die großen Kauf häuser beeindruckten die jungen Frauen. Darin lag etwas Neues, etwas Verheißungsvolles – etwas, das die Steirerinnen gerne mit in die Heimat nahmen. „In der Schweiz war es modern, Schuhe und Handtaschen Ton in Ton zu tragen. Ich hatte beides in rosa, und erregte daheim Aufsehen damit!“ Marianne H. zwinkert und lacht. Exotisch erschienen Gepflogenheiten in jüdischen Haushalten, die sich von der gewohnten Kultur stark unterschieden: Koschere Speisenzubereitung und jüdische Festkultur kannte fast keine der jungen

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5HJORYPLNZaLP[! +PL :\JOL UHJO baum und die Feiernden sehen, während ich in meinem Zimmer saß. Das war schon KLY OLPSLU >LS[ 0T )\JO É/H\Z[VJO[LY NLZ\JO[¸ ( 7YL[[LU[OHSLY APLNLYOVMLY 2 4 :JOTPKSLJOULY < :VUUSLP[ULY 3L`RHT KVR\TLU[PLYLU KPL (\[VYLU WLY Z USPJOL ,YMHOY\UNLU LOLTHSPNLY (YILP[ZTPNYHU[PUULU +HZ )\JOWYVQLR[ LU[Z[HUK PU A\ZHTTLUHYILP[ TP[ KLT 0UZ[P[\[ M Y ]LYNSLPJOLUKL 9LJO[ZNL ZJOPJO[L \UK KLT 0UZ[P[\[ M Y .LZJOPJO [L ALP[NLZJOPJO[L KLY 2HYS -YHUaLUZ <UP]LYZP[p[ .YHa

Frauen. Alles musste schnell erlernt werden. Schnell, das hieß auch: Die Frauen hatten kaum Zeit zum Ankommen. Noch am Ankunftstag mussten die Schürzen umgebunden werden, um der Dame des Hauses zur Hand zu gehen. Manche Aufgaben lassen auch eine Schikane vermuten. Beispielsweise das Auswaschen blutiger Bettlaken. Während ihrer Dienstzeit bei einem jüdischen Fabrikanten erlebte Hermine P. ein Weihnachten ohne Fest. „Ich konnte im Nachbarshaus den Christ-

hart.“ Als sie in der Kirche einen Schwächeanfall erlitt, tippten ihre „Chefitäten“ auf eine Schwangerschaft und brachten sie zu einem jüdischen Arzt. Dieser befreit die junge Frau vom falschen Verdacht. Marianne H. war in Zürich beschäftigt und wurde tatsächlich schwanger. Sie wusste, dass „ausländische schwangere Frauen jederzeit des Landes verwiesen werden konnten. Auch wenn der Kindsvater ein Schweizer war.“ Aber sie hatte Glück: Sie und ihre Schwester arbeiteten in einem renommierten Hotel am Zürichsee. Der Hotelier erwies sich als couragiert: Er brachte beide in der Nähe unter und half bei allen behördlichen Angelegenheiten. Häufig aber erfuhren die Frauen Ausnutzung und Abwertung – „Östricherle“ war nicht liebevoll gemeint. Selten wurde es der eigenen Familie erzählt. Man hatte ja das Paradies erlebt – zumindest sollte es in den Augen der Zuhausegebliebenen so sein. Q

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Š Jan Hestmann

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Scheinbar obdachlos: Monika und Achim.

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Š Achim Meurer

Ein Haus im Internet zu suchen ist nichts Neues. Hausgesucht.at setzt aber auf die Macht der Netzgemeinschaft und virale Videos.

Š Achim Meurer

Š Achim Meurer

TEXT: HANNA PFEILER

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akler sind teuer, finden nie, was man sucht und ßberhaupt sind Makler nicht das Richtige – zumindest fßr Monika und Achim. Seit Wochen sind die beiden deutschen WahlÜsterreicher auf der Suche nach dem richtigen Haus in Graz oder Umgebung. Obwohl sie scheinbar alles versucht

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haben, wollte es sich einfach nicht zeigen. Ihr neuer Weg zum Ziel ist kreativer: Die beiden dokumentierten ihre bisher erfolglose Suche mit kurzen Videos und stellten diese online. Eine vĂśllig logische Entscheidung: „FĂźr irgendwas muss Facebook und das ganze GedĂśns doch gut sein“, sagen Achim und Monika. Ihr Konzept ist einfach. Aufmerk-

samkeit durch Videos, eine Website, die mit Gewinnen lockt, und eine Facebookseite zur Verbreitung. Das Paar hofft, dass die Hilfe der Community schneller zum neuen Haus fßhrt als die einer einzigen bezahlten Person. Unternehmen nutzen ähnliche Aktionen schon lange, fßr Privates, wie eine Haussuche, sei das eine neue Chance, hofft Achim. Q

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64 Felder. 32 Figuren. Ein Ziel. Gert Schniders Leben dreht sich um König, Dame, ein dreijähriges Mädchen und um das große Schachmatt. Ein Denksportweltmeister im Porträt.

+LY A\NM OYLY TEXT: HELENE VOGLREITER FOTO: JAN HESTMANN, VIKTORIA FAHRNLEITNER

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s gibt Menschen, die leben in Alice später einmal nicht FuĂ&#x;ballerin, schen Nachwuchskader, den „stärksten den Tag hinein. Es gibt chao- Prima Ballerina oder Biathletin wird, Schachnachwuchs in Ă–sterreich“, wie tische Menschen, verwirrte steht sowieso fest. SchlieĂ&#x;lich bekommt er stolz anmerkt. Schnider fordert von Menschen, sprunghafte Men- die blonde Dreijährige schon seit Mona- seinen SchĂźlern FleiĂ&#x; und Disziplin, schen, zerstreute Menschen. Gert Schni- ten Unterricht von ihrem Papa, dem denn im Denksport gewinnt nicht der der gehĂśrt definitiv nicht dazu. Der Schachprofi. Der findet es nämlich mit dem hĂśchsten IQ oder dem grĂśĂ&#x;ten 32-jährige Grazer gehĂśrt zur Gruppe wichtig, dass sich seine Tochter so frĂźh Talent, sondern derjenige, der am härder Langweiler. Er bezeichnet sich selbst wie mĂśglich mit KĂśnig und Dame an- testen trainiert, ist Schnider Ăźberzeugt. als Vorausdenker und hat vom Einkaufs- freundet, damit sie ein GefĂźhl fĂźr das Doch auch wer zehn Stunden am Tag zettel bis zur Zeugung seines Kindes al- Spiel entwickelt. „Bei mir ist es fast so, vorm Schachbrett sitzt und seine Gegner les genau geplant. dass die Felder aufleuchten, wo die von der ErĂśffnung bis zum Endspiel ausDer Mann mit den braunen kurzen Figuren hinwollen. Man schaut auf ‘s wendig kennt, kann verlieren. NiederlaHaaren, dem wachen Blick hinter den Brett und weiĂ&#x; – Hoppla, der Springer gen passen nicht wirklich in Schniders runden Brillengläsern und dem viel zu steht nicht gut, der gehĂśrt dorthin. Und Ordnung. Niederlagen ärgern ihn groĂ&#x;en Pulli scheint auf jede einzelne ich glaub‘, das ist etwas, was viel besser furchtbar, ein sportliches „Dabei sein ist meiner Fragen bestens vorbereitet zu angeeignet wird, wenn man es sehr frĂźh alles“ interessiert ihn nicht. Wenn er sein. Während unseres gesamten Ge- kennenlernt“, so Schnider. Bedenken, verliert, dann analysiert er oft die ganze spräches kann ich er kĂśnne seiner Nacht, bis er genau weiĂ&#x;, wo er die Parihm kein einziges Tochter zu viel zu- tie verhaut hat, was er hätte spielen sol„Ähm“ entlocken. )LP TPY PZ[ LZ MHZ[ ZV muten, hat er kei- len und was er tun muss, damit beim Als wir ihn fĂźr ein KHZZ KPL -LSKLY H\Ă…L\JO[LU ne – schlieĂ&#x;lich hat nächsten Mal wieder alles nach Plan Foto zum Schach- ^V KPL -PN\YLU OPU^VSSLU er selbst auch schon verläuft. brett bitten, dĂźrfen als FĂźnf jähriger Der 32-Jährige will sich demnächst als .,9; :*/50+,9 wir die Figuren nur mit dem Schach- Schachlehrer selbstständig machen und sehr ungern selbst spielen begonnen. „Internationaler Meister“ werden. Das anordnen, weil unsere Ordnung (KĂśnig Seine erste Partie gewinnt Schnider ge- ist der zweithĂśchste Titel, den man im und Dame in die Mitte, das schaut auf gen seine Oma, später spielt er in ver- Schach erlangen kann. „Ansonsten“, so dem Foto sicher gut aus ‌) nicht seiner schiedenen Kursen seine Gegner ins Schnider, „habe ich eigentlich keine Ordnung („Diese Spielkonstellation Schachmatt und entdeckt seine Begeis- groĂ&#x;en beruflichen Ziele. Ich will so existiert in Wirklichkeit nicht.“) ent- terung auch fĂźr andere Denksportarten. weitermachen wie bisher und dann der spricht. Im Alter von 16 bis 22 trainiert Schnider Manager meiner Tochter Alice werden.“ Gert Schnider denkt und lebt auf 64 Fel- sechs bis acht Stunden „Go“ (siehe Info- Und wenn die Dreijährige auch so weidern. Ăœberall in seiner Wohnung hängt, Box) pro Tag – aus reiner Freude am termacht wie bisher, dann hat sie die steht oder liegt ein Schachbrett, die Spiel. Mit 20 wird er Weltmeister im besten Voraussetzungen, um irgendschwarz-weiĂ&#x;en Karos bestimmten den „Abalone“, im Jahr darauf verteidigt er wann an der Weltspitze mitmischen zu Alltag seiner Familie. Seine Frau Gabri- seinen Titel und wird zusätzlich noch kĂśnnen, vor allem auch, weil es nur ele, die er beim Plasmaspenden kennen- Weltmeister im „Decamentathlon“. wenige Frauen im Spitzenschach gibt. gelernt hat, spielt ebenfalls Schach und Heute ist er staatlich geprĂźfter Schach- Ganz so, als hätte Schnider auch das Ăźberlegt, einen Anf ängerkurs zu geben trainer und unterrichtet den steiri- Geschlecht seines Kindes geplant. Q – im Kindergarten von Tochter Alice. Die Dreijährige selbst kann schon seit einem halben Jahr alle Schachfiguren +LURZWVY[HY[LU PT lILYISPJR selbst aufstellen, sie weiĂ&#x;, dass das Pferd Go: +HZ Z[YH[LNPZJOL )YL[[ZWPLS .V PZ[ ]VY HSSLT PU 6Z[HZPLU ]LYIYLP[L[ A^LP :WPLSLY „Springer“ heiĂ&#x;t und spielt kleine SLNLU HI^LJOZLSUK SPUZLUM€YTPNL ZJO^HYaL \UK ^LPÂ?L :[LPUL H\M LPU :WPLSIYL[[ TP[ Schachvarianten mit ihrem Vater, damit -LSKLYU APLS KLZ :WPLSZ PZ[ LZ TP[ KLU LPNLULU :[LPULU T€NSPJOZ[ ]PLSL :[LPUL KLZ .LNULYZ a\ \TYHUKLU (T ,UKL ^PYK KPL .Y€Â?L KLY .LIPL[L ZV^PL KPL (UaHOS NLMHU sie die ZĂźge kennenlernt. Kein Wunder NLULY :[LPUL ]VU ILPKLU :WPLSLYU ]LYNSPJOLU – Alice wurde das Schachspielen buchstäblich in die Wiege gelegt. „Wir haben Abalone: (IHSVUL PZ[ LPU MYHUa€ZPZJOLZ )YL[[ZWPLS KHZ H\M LPULT ZLJOZLJRPNLU :WPLSMLSK geplant, dass unser Kind im ersten TP[ 3Â…JRLU NLZWPLS[ ^PYK (T 9HUK ^LYKLU QL^LPSZ ^LPÂ?L \UK ZJO^HYaL 2\NLSU Quartal auf die Welt kommen soll, falls H\MNLZ[LSS[ +\YJO [HR[PZJOLZ =LYZJOPLILU ]VU LPULY a^LP VKLY KYLP LPNLULU 2\NLSU ^PYK ]LYZ\JO[ KPL NLNULYPZJOLU 2\NLSU ]VT :WPLSMLSK a\ ]LYKYpUNLU .L^VUULU OH[ ^LY sie später einen Sport ernsthaft betreibt“, ZLJOZ NLNULYPZJOL 2\NLSU ]VT :WPLSMLSK ]LYKYpUNLU RVUU[L sagt Schnider. „Es gibt ja immer Jahrgangsbewerbe und da sind natĂźrlich die Decamentathlon: +LJHTLU[H[OSVU PZ[ LPU 4LOYRHTWM KLY MÂ…Y KPL +LURZWVY[VS`TWPHKL Leute bevorzugt, die frĂźher im Jahr geNLZJOHMMLU ^\YKL \T KHZ ILZ[L +LURZWVY[ 4\S[P[HSLU[ KLY >LS[ a\ Ă„UKLU ,Y ILZ[LO[ H\Z boren sind, weil die dann ein halbes Jahr LPULT ]PLYZ[Â…UKPNLU ;LZ[ KLY PU aLOU +PZaPWSPULU H\MNL[LPS[ PZ[ (\MNY\UK ZLPULY 2VTWSL _P[p[ ^PYK +LJHTLU[H[OSVU U\Y H\M KLY QpOYSPJOLU +LURZWVY[ >LS[TLPZ[LYZJOHM[ H\ZNLÂ…I[ älter sind als die anderen“. Und dass

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Das Ipad ist auf dem Weg in die Klassenzimmer. Ab Herbst wird in der Steiermark an sechs Berufsbildenden HĂśheren Schulen mit Apples Tablet unterrichtet. blank4 hat drei Applications getestet.

TEXT: SVJETLANA SIMIC

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er Versuchung konnten schon Adam und Eva nicht widerstehen: Wenn der Apfel in Reichweite ist und verfĂźhrerisch glänzt, wieso dann nicht einen Bissen davon kosten? Das steirische Bildungswesen greift beherzt zu Apple – fĂźr das Schuljahr 2011/12 sind Ipads im Unterricht geplant. Die UnterstĂźtzung des Lan-

desschulrats und Apple Ă–sterreich ermĂśglicht die EinfĂźhrung des Ipad 2 als Unterrichtshilfe fĂźr sechs Berufsbildende HĂśhere Schulen. In Graz wird das in der Handelsakademie Grazbachgasse sein. Die Vorteile sind klar: spannende, innovative Unterrichtsmethoden. Der Grund, wieso gerade Apple anstelle von vergleichbaren, gĂźnstigeren Anbietern fĂźr die Benutzung

von Tablet-PCs herangezogen wurde: „Bei Apple wird jedes App durch eine spezielle Abteilung einer genauen PrĂźfung unterzogen“, erklärt Bernd Steiner vom Landesschulrat. Trotzdem stellt sich fĂźr das Bildungssystem eine grundlegende Frage: Soll ein Privatunternehmen eine so wichtige Rolle im Ăśffentlichen Unterricht spielen? Q

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QUER GEDACHT QUER STUDIERT Mehr als fit fürs Berufsleben: Einige Absolventinnen und Absolventen der FH JOANNEUM bewegen sich erfolgreich zwischen den Disziplinen.

Daniela Grabe, Germanistik und Geschichte (Uni Graz), Informationsmanagement (FH JOANNEUM): Dank meines ersten Studiums konnte ich ca. zehn Jahre in vielen interessanten inner- und außeruniversitären Projekten im In- und Ausland arbeiten – unter anderem in Südosteuropa in der LehrerInnenfortbildung, als Lehrbuchautorin und bei Uni-Wissenschaftsprojekten. Im Laufe der Jahre wuchs aber einerseits das Interesse, wieder etwas ganz Neues zu lernen und andererseits entstand aus meiner Arbeit zunehmend wirtschaftliches und technisches Interesse. Ergänzt mit der grundsätzlichen Überlegung, nach Jahren in freiberuflicher Projektarbeit stärker einen Tätigkeitsbereich mit mehr „Jobsicherheit“ anzustreben, kam dann ein Inserat des Studiengangs „Informationsmanagement“ der FH JOANNEUM, das ich zufällig entdeckte, genau richtig. Ich schloss das Studium im Jahr 2003 ab und kann heute im Beruf auf sehr viel des Gelernten zurückgreifen: im „Brotjob“ vor allem auf dem Datenbanken-Gebiet und in meiner Tätigkeit als Gemeinderätin (und Aufsichtsrätin) sehr stark im Wirtschaftsbereich.

Markus Larisegger, Absolvent von „Elektronik & Technologiemanagement“ und Student von „Advanced Electronic Engineering“. Ein technisches Studium im Bereich Elektronik an der FH JOANNEUM zu absolvieren hat mir, nach meinem wirtschaftlichen Studium im Bereich Marketing, neues Wissen, weitere Fähigkeiten und auch gänzlich neue Denkweisen beschert. Wenn der Weg auch teilweise ein holpriger ist, so entschädigt am Ende das Verständnis von aktueller Technik vollends den Aufwand. Der Umstieg von einem wirtschaftlichen zu einem technischen Studium war für mich auch ohne technisches Vorwissen relativ problemlos möglich.

Alexa Sölkner, Architektur (TU Graz), „Bauplanung und Bauwirtschaft“ (FH JOANNEUM): Nach meinem Architekturstudium arbeitete ich ein paar Jahre in einem Bauunternehmen, wo ich recht bald bemerkte, dass die guten entwerferischen und technischen Kenntnisse einem großen Manko in Bezug auf Bauwirtschaft und Baumanagement gegenüberstanden. Deswegen habe ich mich dazu entschlossen, das Bachelor-Studium „Bauplanung und Bauwirtschaft“ an der FH JOANNEUM sozusagen „draufzulegen“. Die Praxis hat mir gezeigt, wie notwendig das dort erworbene Wissen gebraucht wird, und welchen enormen Mehrwert dieses zusätzliche Studium mir selbst aber auch meinem Arbeitgeber bringt. Nach einigen Jahren Praxis in einem renommierten Grazer Architekturbüro bin ich nun wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FH JOANNEUM und kann hier mein Wissen weiter ausbauen.

Elektronik & Technologiemanagement

Health Care Engineering Advanced Electronic Engineering

Bernd Pichler, Sportwissenschaften (Uni Graz), Health Care Engineering (FH JOANNEUM): Nach meiner technischen Ausbildung an der HTL Elektrotechnik studierte ich Sportwissenschaften und war in Leistungsdiagnostik, Arbeitsmedizin und Prävention am Arbeitsplatz sowie Fitnessstudio tätig. Meine technische Vorbildung und mein Wunsch, im Gesundheitsbereich eine andere Richtung einzuschlagen, machten mich auf „Health Care Engineering“ aufmerksam, wo Gesundheit und Technik sehr gut verbunden werden. Heute arbeite ich im LKH-Univ. Klinikum Graz in der Stabsstelle Qualitäts- und Risikomanagement. Der, durch die beiden Studienrichtungen unterschiedliche Zugang zum Gesundheitsbereich sowie die Erfahrungen daraus lassen sich in meiner heutigen Tätigkeit perfekt anwenden.

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Informationsmanagement

Bauplanung und Bauwirtschaft

Informationsmanagement

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48 | blank4 | GESELLSCHAFT

)06UPLYL PT >LI Bio ist gleich Rezept. Web ist gleich Erfolg. Bio plus Web ist gleich Erfolgsrezept. Für die Gemüsewerkstatt in Graz geht diese Rechnung auf.

TEXT: VERENA SCHAUPP FOTO: TANYA KAINDLBAUER

F

reitag in der Früh. Noch ist es ruhig im Laden. In wenigen Stunden wird Kaffeegeruch in der Luft liegen und der Raum wird mit Stimmen und Gelächter von 40 Leuten gefüllt sein. Auf den rustikalen Verkaufstheken stapeln sich frische Früchte und andere Lebensmittel, die zu einem aromatischen Volksfest einladen. Der steirische Hauskäse duftet bis auf die Straße hinaus. Äpfel, Kartoffeln, Karotten, Paprika, Radieschen und Spinat glänzen in rot, gelb, weiß und grün. Alles, was die Saison zu bieten hat, ist hier fein säuberlich in Kisten sortiert und wartet nur darauf, abgeholt zu werden. Bio auf einen Klick Die Gemüsewerkstatt ist ein Verein, der mit zwölf regionalen Bio-Bauern zusammenarbeitet. Der ehemalige GeografieStudent Ernst Preininger hatte mit Freunden die Geschäftsidee zu dem etwas anderen Bio-Laden. Sie saßen beisammen, sahen in der Ecke ein Jutesackerl und die Bio-Diskussion war entfacht. Kurze Zeit und Planung später gründeten die Freunde im Herbst 2010 die Gemüsewerkstatt. Ausverkaufte Lieblingsäpfel und das ständige Gefühl im Supermarkt, die Schlange an der Kassa nebenan bewegt sich schneller – das ist für Ernst Preiningers Kunden vorbei. Sie kaufen Lebensmittel unkompliziert und bio gemacht: Bis Mittwochabend können sie sich durch das große Onlinesortiment der Gemüsewerkstatt

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klicken. Was ins Auge sticht und dem Bauch gefällt, wird einfach in den virtuellen Warenkorb gelegt. Dann heißt es warten, bis Ernst Preininger seinen Bio-Bauern die gewünschten Waren in Auftrag gibt. Zwei Tage später stehen die gelben Paprika, der Waldhonig oder das knusprige Dinkelbrot in der Leonhardstraße 36 bereit zum Abholen. Die Bio-Bauern liefern die Produkte Freitagvormittag, knapp bevor die Gemüsewerkstatt ihre Holztüren öffnet, persönlich ins Geschäft. Bewusst nachhaltig Preininger will „weder die breite Masse noch den Bio-Prototypen anziehen, sondern jene Leute, die sich bewusst und nachhaltig Gedanken um ihre Umwelt machen“. So ist auch das Logo der Gemüsewerkstatt blau und nicht grün gestaltet. Und statt Holzpantoffeln und Leinenhosen tragen die Kunden von Preininger oft akademische Titel. Doch das ist keine Voraussetzung, um den grünen Weg in die Leonhardstraße zu finden. Q

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Mundhygiene im Hause Krautwaschl: mit Holzzahnbürste und Birkenzucker.

Wie sieht ein Leben ohne Plastik aus? Eine Familie aus einem Vorort von Graz macht seit zwei Jahren die Probe aufs Exempel. Und setzt dabei auf Erfindergeist.

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s dürfte von jedem etwas gewesen sein. Ob Tupperware, Verpackung oder Flasche – US-Forscher fanden vor Kurzem im Nordatlantik Millionen Plastikteilchen unterschiedlichen Ursprungs. Aber sie haben auch eines gemein: Sie werden noch länger im Meer treiben. Weil Kunststoff nicht nur das beliebteste Material des Alltags ist, sondern auch das umweltschädlichste. Dieses Problem ist den Krautwaschls aus Eisbach bei Graz bewusst. Seit Mitte November 2009 versucht die fünf köpfige Familie, ihren Haushalt möglichst plastikfrei zu halten. „Am Anfang war es schon sehr schwer, aber mittlerweile

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haben wir den Plastikmüll um 95 Prozent reduziert“, erzählt Mutter Sandra von dem Projekt. Was durch den Kinofilm „Plastic Planet“ als Experiment für einen Monat begonnen hatte, bestimmt mittlerweile ihren Lebensstil. Und birgt dabei einige Herausforderungen. Auf Kartoffelchips könne man vielleicht noch verzichten, aber bei Hygieneartikeln werde es knifflig. „Man muss sich aber eben auch bei diesen Dingen anstrengen und informieren“, verweist die gelernte Physiotherapeutin auf den hauseigenen Erfindergeist. So holt sich die Familie ihr Waschpulver direkt von einem Hersteller aus Übelbach, die Milch und andere Lebensmittel kom-

men von Bauern aus der Umgebung. Im Bad ist Seife und Wascherde statt Duschgel und Shampoo angesagt. Im Supermarkt lassen sich die Krautwaschls Käse und Wurst in mitgebrachten Metallboxen abpacken und an der Kassa wird dann die eigene Stofftragetasche gezückt – die obligatorischen Plastiksackerl sind tabu. 350 Millionen dieser Plastiksackerl werden allein in Österreich an Einkaufende verteilt – und landen danach meist sofort wieder im Abfall, um irgendwann im Nordatlantik Teil einer großen Menge zu werden. Nicht umsonst sind sie bereits in einigen Staaten und Städten verboten. Bangladesch hatte 2002 als erster Staat der Welt den Plastikeinkaufsack verboten. Mittlerweile haben auch Italien, Palau, Sansibar, San Francisco sowie China nachgezogen und ab diesem Sommer ist auch in der Weltmetropole Los Angeles der Einkauf mit dem Kunststoffsack verboten. Dass so ein Verbot nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, zeigt das Beispiel China. Durch die Verbannung des Plastiksackerls konnte der Kunststoffverbrauch in der Volksrepublik um bis zu 500 000 Tonnen reduziert werden. Jährlich werden dadurch bis zu drei Millionen Tonnen Erdöl eingespart. Ganzu zu schweigen von den tausenden Säcken, die jetzt nicht 400 Jahre in der Umwelt auf ihre Zersetzung warten. Q

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Š Julia Karzel B_Ressorts.indd 6

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Querformen Kunst & Kultur

52 | Festivals

Diskurskugel 54 | Subkultur

Weiße Weste, schwarzes X 56 | Plattenladen

Scheibenweise Nostalgie 58 | Modestrecke

...wilde Vögel f liegen 64 | Protestsongcontest

Diagnose: Hirn aus Kleister 66 | Graffiti

Mauerkünstchen 68 | Beatmixerin

Eine DJane denkt qu(e)er 70 | Aktionskünstler

„Dieses Jahr wird Geschichte machen“

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52 | blank4 | KUNST & KULTUR

+PZR\YZR\NLS LA DYFEST

„Lob der Klitoris“

© Chris Mak

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orkshops zur weiblichen Emanzipation und schräge bis grandiose Konzerte von weiblichen Bands. Das sind die Kernelemente von Ladyfesten. Die gibt es seit zehn Jahren weltweit und jetzt auch in Graz. „Riot-Grrl“ und „DIY-Punk“ waren Bewegungen in den 90er-Jahren, die über die Popkultur revolutionäres Potenzial erzeugen wollten. Daraus bildete sich 2000 das erste Ladyfest in den USA. Es sollte feministisches und queeres* Selbstbewusstsein schaffen und gleichzeitig die Szene repräsentieren. Mittlerweile hat sich daraus eine weltweite Tradition gebildet, die in

LEN DW IRBEL

© Ana Viola Curd

Design bereitet Kreuzweh

D

er Lendwirbel ist die künstlerischste und wildeste Blockparty in Graz und alle machen mit. Manche ungefragt. Der Designmonat, das Aushängeschild der CIS (Creative Industries Styria), nahm ohne Rücksprache den Lendwirbel in sein

ELEVATE

© Johanna Lamprecht

Am Boden bleiben

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E

ine der interessantesten Veranstaltungen in Graz in den Bereichen elektronischer Musik und Diskurs ist gefährdet. Sie droht von den vielen Kooperationen erdrückt zu werden. Seit 2005 wächst das „Elevate“. Mit der Größe tauchen jedoch auch finanzkräfti-

Graz ihre Fortsetzung findet. Und zwar mit Workshops, die sich „Lob der Klitoris“ oder weniger spektakulär „Selbstmanagement“ nennen, umrahmt mit Konzerten von lokalen und internationalen Bands. Das Prinzip „Do It Yourself “ war bei den meisten Bands zwar durchaus zu hören, der mangelnden Perfektion stand aber der offenkundige Spaß beim Spielen gegenüber. Das Ladyfest Graz organisiert sich frei, basisdemokratisch und ist offen für „alle Frauen, feministisch interessierte Menschen und Queers“, heißt es von Seiten des Plenums. Wer sich hier nicht angesprochen fühlt, hat es beim Ladyfest vielleicht etwas schwer. Die Chance zu sehen, ob man vielleicht doch reinpasst, gibt es beim Grazer Ladyfest im nächsten Jahr. * gefühlte Geschlechtsidentität jenseits der Norm

Programm auf. Und versucht so, mit unabhängigen Veranstaltungen sein Programm aufzuwerten. Den Beteiligten der alljährlichen Party im Mai wurde das zu viel: Ein Manifest sollte klären, wo der Lendwirbel steht. Sichtlich nicht auf Seiten der CIS. In einer kritischen Selbstbetrachtung hinterfragt das Manifest auch, welche Rolle der Lendwirbel in der sogenannten Aufwertung des Lendviertels (inklusive höherer Mieten) spielt.

ge Sponsoren und einflussreiche Medienpartner auf. Die gesamte Grazer AlternativSzene stärkt dem Elevate noch den Rücken, doch die Balance aus Inhalt und populärer Party ist nur schwer zu halten. Einen möglichen Ausweg aus der drohenden Abhängigkeit hat das Festival bereits geschaffen: Letzten Herbst gab es einen eigenen Medienchannel. Via Internet wurden die Inhalte ganz autonom in die Welt getragen.

06.06.2011 13:27:51 Uhr


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54 | blank4 | KUNST & KULTUR

>LP L >LZ[L ZJO^HYaLZ ? Es muss nicht immer der berühmte Drogentod sein. Dass man Punk sein kann, ohne seine Sinne zu benebeln, beweist Straight Edge seit 30 Jahren.

TEXT: GUDRUN GEIST

A

lex* lebt Straight Edge. Der Grazer hat sich seit sechs Jahren jenem Lebensstil verschrieben, der jede fürsorgliche Großmutter glücklich machen würde. Kein Alkohol, keine Drogen und keine Promiskuität sind Markenzeichen jener Punk-Bewegung, die sich in den frühen 80er-Jahren entwickelt hat. Die Anhänger der Bewegung wollten ihr eigenes Ding machen und sich so dem selbstzerstörerischen Hardcore-Lebensstil entgegenstellen. „sXe“ lautet die Abkürzung für diese Jugendkultur, die optisch und inhaltlich so gar nicht zusammenpassen will. Piercings und Tattoos, Retro-Shirts und Nieten treffen auf Mäßigung, Verzicht und Abstinenz. Doch wer braucht heute noch Straight Edge? Und was wurde eigentlich aus den ursprünglichen Idealen? Zu jung für echten Punk? Obwohl der Hardcore-Punk gerade in den 80er-Jahren für seine unverblümte

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Aggressivität und Brachialität bekannt war, drängten die oft jungen Musikfans in Scharen in die Clubs, um sich der aufstrebenden Untergrund-Bewegung anzuschließen. Doch vor dem vollendeten 16. oder gar 18. Lebensjahr wurde den Jugendlichen der Zutritt zu Konzerten der Szene untersagt, da in den Lokalen Alkohol ausgeschenkt wurde. Dies tat dem Zustrom der Jugendlichen aber keinen Abbruch, ein Ausweg musste her. Alkohol war das Problem, ein „X“ die Lösung. Entdeckt wurde sie von der Band „The Teen Idles“ rund um den Bassisten Ian MacKaye, zur musikalischen Blütezeit selbst noch minderjährig, bei einem Gig in Los Angeles. Ein schwarzes „X“ auf dem Handrücken sollte Barkeepern zeigen, wem sie keinen Alkohol ausschenken durften. Mit der Lösung im Gepäck kehrten die Musiker zurück nach Washington und legten damit den Grundstein für AllAges-Konzerte. Zwischen der „No Future“-Ideologie und perspektivloser

Selbstzerstörung waren die Texte von The Teen Idles eine willkommene Abwechslung. „I drink milk“ hatte zwar die übliche musikalische Punk-Rohheit, grenzte sich jedoch inhaltlich vom in der Szene längst salonfähigen Alkohol- und Drogenkonsum ab. Nicht einmal zwei Jahre später startete Ian MacKaye jedoch als Sänger in der heute weitaus berühmteren Band „Minor Threat“ durch. Mit Text und Gesang in seiner Hand, konnte MacKaye jenen Lebensstil propagieren, den er als den richtigen ansah. Seine Abneigung gegen Drogen kam erstmals 1981 im Song „Straight Edge“ deutlich zur Geltung und legte den Grundstein für die spätere Jugendbewegung: „I’m a person just like you but I’ve got better things to do than sit around and fuck my head […], snort white shit up my nose, pass out at the shows […]: I’ve got the straight edge“. No Sex. No Drugs. No Alcohol. Eine Punkband, die zeigte, dass Drogen nicht zur Szene gehören müssen, war für

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die Fans eine willkommene Neuerung. Definition von Straight Edge entsprechen Auch bei Volljährigen landete nun das – wenn es so etwas überhaupt gibt.“ „X“ vor allem am Wochenende auf dem Handrücken, um Drogenfreiheit zu sig- Straight Edge – ein Leben lang nalisieren. Aus „No Future“ wurde „Do Durch die Freiheit, die Richtlinien nach it yourself “, aus Selbstzerstörung wurde eigenem Ermessen umzusetzen, wurde Eigeninitiative. aus einer musikaAber ganz so rigolischen Revolte ros waren die Vor- /HYKJVYL PZ[ a\ LPULY YLHR[PVUp schnell ein lebensschr iften dann YLU W\YPZ[PZJOLU KVNTH[PZJOLU langes Vorhaben. doch nicht. Sex? LSP[pYLU :JOLP L NL^VYKLU In den 90er-JahJa, jedoch ohne ren schwappte die (3,? den Respekt vor Welle auch nach der anderen Person Graz über, wo sich zu verlieren. Drogen und Alkohol? Ja, je- eine standhafte Szene dem Drogenkondoch ohne die Kontrolle über sich selbst sum entgegenstellte. Die Wandlungen, aufzugeben. Viele moderne Straight Ed- die seitdem stattfanden, sind aber unüberger begrüßen die persönlichen Ausle- sehbar: „Straight Edge hat sich unglaubgungsmöglichkeiten des Lebensstils. lich verändert. Die Szene ist an jedem Auch für Alex geht es deshalb um weit Punkt der Geschichte ein Produkt der akmehr als nur die historisch entstandene tuellen Zeit und der gesellschaftlichen Definition des Straight Edge als Lebens- Verhältnisse“, erklärt Alex. „Hardcore stil: „Straight Edge ist ein Name, eine bietet schwammige Ideologien und narZuschreibung, ein Label. Es gibt zahlrei- zisstische Identitäten, die, verpackt im che Verzichte für mich, die nicht ‚der‘ Chic des ‚Alternativen‘, nur noch konsu-

miert werden müssen. Es ist zu einer reaktionären, puristischen, elitären und dogmatischen Scheiße geworden.“ So entwickelte Straight Edge anfangs ein gesundheitsbewusstes und sauberes Image, thematisierte später politische Inhalte wie beispielsweise den Umgang mit Sexismus, unterlag Einflüssen wie Veganismus und wurde von einer Gegenkultur zu einer Subkultur. Dass diese Gesellschaftskonformität im krassen Gegensatz zur Ideologie des Punk steht, sieht auch Alex mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Ich nehme das als traurigen Beweis der fehlenden Reflexionsfähigkeit und politischen Relevanz wahr. Es ist nur mehr ein Spektakel, das zur Unterhaltung dient. Das revolutionäre Potenzial gleicht annähernd dem eines gebrauchten Taschentuchs, das in der Ecke liegt.“ Doch in seiner eigenständigen Umsetzung bleibt Alex dem, was als Straight Edge bekannt wurde, treu. Großmutter wäre stolz auf seine Einstellung. Q * Name von der Redaktion geändert

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56 | blank4 | KUNST & KULTUR

D

er Baustellenbeton in der Neutorgasse passt zum grauen Wolkenschleier, der an dem windigen Samstagmorgen über Graz hängt. Zwei weiße Stehtische teilen den Gehsteig. Auf ihnen stehen Schalen mit Erdnussflips, Apfelsaftbecher und Puntigamer-Dosen. Ein Stadtbus dampft vorbei, von Weitem hört man schweren Baumaschinenlärm. Und in einem Schaufenster spielt ein junger Mann mit grauem Kapuzenpullover und Wuschelhaaren auf seiner Gitarre. Das Grazer „Inandout Records“ bemüht sich mit seinen grünen Bannern sichtlich

um Aufmerksamkeit. Bauarbeiter und ältere Hundebesitzer bleiben stehen und schauen verwundert. Die Türen der beiden abgetrennten Verkaufsräume für CDs und Schallplatten stehen offen, geschäftig eilen Mitarbeiter im Laden hin und her. Plakate verraten: Heute ist International Record Store Day, ein eingeführter Feiertag für kleine, unabhängige Plattenläden. Sie feiern an diesem Tag ihr Überleben (und das der Schallplatte). Vor vier Jahren von Amerikaner Chris Brown gegründet, zelebriert man diesen Tag mittlerweile jeden dritten Samstag

geben der alten Vinylplatte ein Ständchen und einen überaus passenden Rahmen für die Veranstaltung. Doch bei aller „Hurra, wir leben noch“Euphorie – jede größere Fete wäre angesichts der wirtschaftlichen Situation für ein kleines Plattengeschäft kaum möglich. Anders als große Elektronikketten, die mit einem breiteren Sortiment Verluste wirtschaftlich abfedern, trifft der Umsatzeinbruch im CD-Verkauf die Plattenläden direkt und unvermittelt. 2002, das Jahr als die erste große Tauschbörse Napster Konkurs anmeldete, erwirtschaftete die österreichische Musik-

TEXT: JOSEF GASTEIGER

:JOLPILU^LPZL 5VZ[HSNPL Ein Streifzug durch den Record Store Day und die veränderte Musikindustrie.

im April weltweit. Brown wollte die Kunst und den Mikrokosmos seines unabhängigen Record Stores herausstreichen. Große Plattenfirmen unterstützen mittlerweile den Record Store Day – mit Sonderveröffentlichungen und speziellen Bandperformances inmitten von Country-Ecke und AfroCuban-Regal. Sie betonen damit den Status des Besonderen, der unabhängigen Plattenläden anhaftet. In Graz steigen heute sieben junge, lokale Künstler und Bands in das drei Quadratmeter große, zur Bühne umfunktionierte Schaufenster des Inandout. Gefühlvolle, englischsprachige Folkbarden, gesellschaftskritische Deutschrocker mit einer indischen Sitar und auch eine lupenreine beatlesque Rock’n’Popband

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industrie mit Tonträgern noch 260 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr gerade noch 140 Millionen Euro. Und die Talfahrt geht weiter. Trotzdem ist der Record Store Day keine Totenfeier. Er ist vielmehr das Hochlebenlassen einer Nische, die sich bewusst als solche präsentiert und auch gar nichts anderes sein kann. „Ich bin schon etwas stolz, dass wir Teil dieser Initiative sind“, sagt Inandout-Chef Tino Kopanakis. „Die paar Dutzend unabhängigen Plattenläden in Österreich werden jährlich weniger. Da ist es schön, dass wir als einer von vier Shops im ganzen Land den Record Store Day mittragen.“ Zu weit von der Fußgängerzone entfernt, um mit großer Lauf kundschaft rechnen

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zu können, zieht auch der heutige Tag ein eher eingeschworenes Publikum ins Inandout. Man kennt sich, begrüßt sich leise und verhalten, will andere nicht beim Stöbern in den Regalen und Kästen ablenken. Hier ist der Plattenladen noch Treffpunkt und Umschlagplatz, Ideengeber und Empfehlungsdienstleister – alles Funktionen, die mittlerweile fast völlig ins Netz abgewandert sind. „Es ist eine gewisse Ruhe und Sicherheit, die die Leute zu uns führt. Auch finden sie hier noch fundierte Beratung – trotz Internet wird das immer noch sehr positiv aufgenommen“, weiß Tino, der in einer braunen, abgenutzten Lederjacke und Jeans den lockeren Gastgeber gibt und gleichzeitig wie sein typischer Kunde aussieht. Die Stammkundschaft macht 80 Prozent des Gesamtpublikums im Inandout aus.

würde es sowieso. Die leuchtenden Augen der Vinylveteranen, wenn sie über Schallplatten sprechen, zeugen von jahrzehntelangem Musikfanatismus, bei dem es um mehr geht, als den reinen Konsum von Schallwellen. Schon bald muss aber diese Audiophilität beendet werden: Ein Blick auf die Uhr

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Sie interessiert sich vorwiegend für Schallplatten. Gekleidet in Leder- oder Jeansjacke, jenseits der 30 und bewaffnet mit einer Stofftasche in Schallplattengröße – so sieht hier der durchschnittliche Vinylfan aus. Kunden, die in den hallenartigen Verkaufsräumen großer Ketten eher verloren wirken würden. An einem Stehtisch diskutieren zwei Herren jenseits der 40 und der optimalen Haarfülle über die Originalpressung des dritten Jimi Hendrix-Albums. Sie präsentieren sich gegenseitig die gerade abgestaubten Raritäten aus der Secondhand-Abteilung. Selbstverständlich ist alles „a guade Scheibn“. CDs kommen für sie gar nicht in Frage, mit Vinyl ist man aufgewachsen und besser klingen

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erinnert an das abgelaufene Parkticket und das Duo löst sich auf. Man verabredet sich auf nächste Woche. Einer der beiden, Co-Inhaber Christian, führt die Vorteile von Vinyl weiter aus: „Auf den kleinen CD-Hüllen erkennt man ja heute kaum mehr etwas vom Artwork. Bei Schallplatten gehört die Verpackung zum Gesamterlebnis dazu.“ Diese Erfahrung ist längst schon im immer wiederkehrenden Retro-Kult etabliert. Aktuelle Künstler veröffentlichen neben Digital- und CD-Format auch auf Vinyl, erklären die Platte zum hippen Nischenprodukt. Von Lady Gaga bis zu U2 veröffentlicht jeder, der etwas auf sich hält, das neue Album in Vinyl-Sondereditionen, die im Inandout an den

Wänden über alten AC/DC-Scheiben und zwischen Kurt Cobain-Postern hängen. Die Schallplatte gehört wieder zum guten Ton, der auch eine jüngere Schicht anspricht. Die taucht nachmittags im Laden auf. Von weitgeschnittener Skatermode mit der obligatorisch schief aufgesetzten Kappe bis hin zu schwarzen Röhren-hosen und gegeltem Seitenscheitel – der Generationswechsel könnte kaum bunter sein. Statt Familienvätern und wahren Vinylzeitzeugen sortiert sich nun ein Duo Twentysomethings mit Fliegerbrillen durch die alphabetisierten und nach Genre aufgeteilten Kästen, während eine Gruppe Punks mit ergonomischen Haarkonstrukten ein Tom Waits-Boxset um 130 Euro bestaunt. „Schon cool, aber sauteuer“, meint ein großgewachsener Junge mit rasierten Streifen und dunklen Strähnen im blonden Haar. „Die habe ich zwar auf CD, aber so etwas hätte schon mehr Stil.“ Die neuen Vinyler begreifen den Plattenladen wieder als Lifestyle und als Lebensraum für Musikliebhaber. Er bietet Extras und viel Liebe zum Detail, um die Konsumenten in die Geschäfte und an die Kassen zu bekommen. Heute läuft der Laden: Mit der späteren Stunde und dem besseren Wetter kommen sie alle ins Inandout. Auch wenn das Hochgefühl der kleinen Party an der nächsten Straßenkreuzung schon nicht mehr bemerkbar ist – die Platten im Inandout drehen sich noch lange. Q

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Zum ersten Mal ist in Graz heuer ein Protestsongcontest über die Bühne gegangen. „Laut dagegen“ ist sein Motto. Aber wer hört das schon?

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TEXT: JAN HESTMANN FOTO: VIKTORIA FAHRNLEITNER

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ch hab ein Hirn aus Kleister, ich wär so gerne Bürgermeister“, mal säuselt, mal schreit er diese Zeilen ins Mikro, spielt dazu auf einer schlecht gestimmten Gitarre. Aber hier

hat ohnehin der Text oberste Priorität. Hc Roth ist der Gewinner des 1. Grazer Protestsongcontests, der Ende März im Innenstadtlokal „Wakuum“ stattgefunden hat. Veranstaltet haben ihn die Kommunistische Jugend (KJÖ) und der Kommunistische StudentInnenverband (KSV). Zwölf Protestsänger stellten sich der Jury. Sie boten Punk, HipHop, Blues und Metal – darunter Singer/ Songwriter wie Hc Roth. Die Veranstaltung war nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch bunt. Was machte „Hirn aus Kleister“ zum Sieger? „Die politische Aktualität seines Textes war wohl ein Grund dafür“, meint Veranstalterin Alice Saiko. Die progressive Ballade schneidet mehrere lokalpolitische Themen an, darunter das Bettelverbot und das im März beschlossene steirische Landesbudget. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit Klar ist: Protest kann über viele Ebenen passieren – auch über die

Musik. Im Wiener Rabenhoftheater ist der alljährliche Protestsongcontest schon längst Tradition. Mit „Laut dagegen“ hat die steirische Landeshauptstadt jetzt ihr eigenes Event. Fraglich bleibt, was Protest dieser Art bringt und wen er überhaupt erreichen kann. Noch dazu, wenn er - wie in Graz - von den Kommunisten parteilich gefärbt wird. „Es ist sehr schade, dass die Veranstaltung hinterher in den Medien keine Erwähnung gefunden hat“, resümiert Hc Roth. „Wenn man einen Protestsongcontest macht, sollen mehr Menschen mitbekommen, dass es eine Bewegung gibt. Es darf nicht nur eine Veranstaltung für die 100 anwesenden Leute sein, die es interessiert.“ Straßenmusik gegen das Sparpaket Einen kleinen persönlichen Erfolg kann er für sich verbuchen: ein Engagement durch die Organisation „Plattform 25“, die sich gegen das geschnürte Sparpaket ausspricht. Während einer Protestaktion ist Hc Roth in der Grazer Innenstadt aufgetreten, um die Stimmung anzuheizen. Die Chancen für eine Zukunft des Grazer Protestsongcontests stehen gut. Aufgrund der internen positiven Resonanz denkt man an eine Neuaufl age, meint Veranstalterin Saiko. Vielleicht gelingt es dem Event dann größer und lauter zu sein. Und vielleicht traut sich ein Medium, darüber zu berichten – obwohl das Schreckgespenst Kommunismus über der Veranstaltung schwebt. Auch im nächsten Jahr gibt es genug Themen, um geräuschvoll dagegen anzusingen. Q

Der Sieger Hc Roth überzeugt die Jury und das Publikum.

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Verkehr und Umwelt

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4H\LYR UZ[JOLU Selbstdarstellung, Vandalismus und Visionen. Illegales Graffiti im Spannungsfeld zwischen Kriminalität und Kunst.

TEXT UND FOTOS: JULIA KARZEL

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ie größte Galerie der Stadt schlängelt sich an Mauern rauf, über Regenrinnen hinab, Fassaden entlang, durch Unterführungen hindurch und an Treppenaufgängen empor. Manche Kunstwerke erstrecken sich farbensprühend über mehrere Meter, andere sind bescheidener und mit noch ungelenker Amateurhand gezeichnet. Legal gefertigt wurden die wenigsten der Graffiti-Gemälde. Die inoffi zielle Grazer Stadtgalerie versprüht Gefahr, Abenteuer, Nervenkitzel und ist genauso vielfältig wie verführerisch. Genau wie die Gründe, sich an der unerlaubten, urbanen Kunstproduktion zu beteiligen.

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Für manche Sprayer ist ihre meist nächtliche Tätigkeit mehr als egozentrisches Revierpinkeln mit der Dose. „Die Stadt, in der ich lebe, will ich mitgestalten. Schließlich muss man sich ja auch die ganzen Plakate ansehen“, sagt Jakob, der mit gutmütigem Gesicht und kurzem, braunem Haar aussieht wie der nette Junge von nebenan. Jakob heißt eigentlich gar nicht Jakob und ist Graffitikünstler. Er macht vieles legal. Aber auch manches illegal. Sein basisdemokratischer Ansatz gleicht stark dem des Urban Hacking, wo der öffentliche Raum als Bühne gesehen wird, um Kritik an kapitalistischen Strukturen zu äußern. Die illegale Natur der Aktivität ist dabei wichtig, denn so

werden Autoritäten herausgefordert und untergraben. Der Graffitikünstler als urbaner Robin Hood der subversiven, individualisierten Straßenkunst? Eine schöne, wenn auch wildromantische Vorstellung. Primärer Motivationsgrund für das illegale Sprayen ist immer noch der Kick, das gibt auch Jakob mit einem Schmunzeln zu. Die Dunkelheit und das leise Zischen der Farbe sorgen für den ersten, prickelnden Adrenalinschub. Dazu kommt noch die ständige Angst, während der Arbeit auf einmal Stimmen auf der anderen Straßenseite zu vernehmen, sich rasch nähernde Schritte oder am allerschlimmsten wütendes Geheule. Tagsüber löst der Anblick des eigenen Werks und die Chuzpe, die man besitzen muss, um sich erst einmal zu trauen, ein stolzes Glücksgefühl aus. Dass das Ego bei Sprayern zumindest ein bisschen mitmischt, zeigt schon das Taggen.

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So bezeichnet man das Hinterlassen des eigenen Namens oder Künstlernamens entweder als Kunstwerk an sich oder eingearbeitet in ein Writing. Keine Frage – illegale Graffitikünstler verstehen ihre Arbeit als Kunst und haben eine flexible Einstellung zum Thema Kriminalität. Die meisten Hausbesitzer goutieren es eher wenig, wenn man ihr Eigentum bekritzelt. 123 Anzeigen wegen Sachbeschädigungen hatte die Grazer Polizei im ersten Quartal 2011 zu bearbeiten. 17 Fälle wurden geklärt. „An Hotspots wie Stiegenaufgängen, Unterführungen oder Zügen kann nicht alle fünf Minuten eine Streife vorbeikommen“, erklärt der Pressesprecher der Grazer Polizei, Maximilian Ulrich. Wenn man erwischt wird, ist das dann aber bitter. Eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen sieht das Gesetz bei leichter Sachbeschädigung vor, bei

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schwerer drohen sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe. Möglichkeiten, legal zu sprayen gibt es ja eigentlich einige in Graz. Im Rahmen des Four Elements Festivals und des Lendwirbels finden zahlreiche Aktionen statt – nur kommen da klarerweise Graffitikünstler an die Dosen, die sich schon einen gewissen Ruf ersprüht haben. Jungen, unerfahrenen Sprayern bleiben die paar legalen Spots, die sogenannten Walls of Fame, um sich auszuprobieren. In Graz findet man zum Beispiel in St. Peter eine legale Wand, bei der Augartenbrücke oder am Josef-Huber-Platz. Der größte Vorteil der sogenannten Walls of Fame ist aber gleichzeitig auch das größte Problem: Hier darf jeder malen. Liebevoll gestaltete Werke haben also eine kurze Überlebenszeit, bevor sie von anderen übersprüht werden. Das verleitet natürlich, den künstlerischen Prozess auszulagern. Dorthin, wo

die Tätigkeit gefährlicher ist – aber das Ergebnis mehr Bestand hat. Doch Graz ist keine große, pulsierende Metropole wie New York oder London. Eine kontinuierliche, illegale Szene von Graffitikünstlern ist in einer so kleinen Stadt unwahrscheinlich bis unmöglich. Über kurz oder lang wird man bei einer Nacht-und-Nebelaktion erwischt. Doch: „Wenn wir Sprayer auf frischer Tat ertappen und die eine Möglichkeit sehen, zu entwischen, dann laufen sie schon davon“, erzählt Maximilian Ulrich über nächt-liche Polizeieinsätze. Jakob war einmal nicht schnell genug. Auf die Frage, ob er sich nun nach einer saftigen Geldstrafe nur mehr auf das legale Sprayen konzentrieren wird, kommt keine Antwort. Nur ein Kichern. Der nette Nachbarsjunge hat es auf einmal faustdick hinter den Ohren. Die Grazer Galerie wird wohl noch mit einigen seiner Werke bestückt werden. Q

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Š VIPevents.at

,PUL +1HUL KLUR[ X\L L Y FĂźnf Fragen an die lesbische DJane Ina D Ăźber Arbeit als Hobby, David Guetta und den Club, der berĂźhmt macht. INTERVIEW: KEVIN GRIEBAUM

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eit sechs Jahren verbringt die 24-jährige Daniela Buck aka Ina D ihre Nächte an den DJPulten in und auĂ&#x;erhalb Ă–sterreichs. Am Tag lebt die gebĂźrtige Grazerin in Wien. Im Gespräch wirkt sie ruhig, Ăźberlegt sich ihre Antworten gut, lacht aber viel, wenn sie aus ihrem Leben erzählt. Warum wolltest du DJane werden und nicht Tischlerin oder Friseuse? Das ist einfach so passiert. Ich habe auf Partys und in Clubs schon immer viel getanzt und auf die Musik gehĂśrt. Irgendwann wollte ich dann probieren, ob ich nicht einfach besser auflegen kann als die DJs dort. Also habe ich begonnen, Platten zu kaufen und selber zu mischen. Und mittlerweile produziere ich meine eigenen Sachen, habe ein eigenes Studio. Ich will nicht grĂśĂ&#x;enwahnsinnig werden, deswegen definiere ich das DJ-Sein immer noch als Hobby, obwohl es längst mehr als das ist.

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Bedeuten Reichtum und Ruhm auch Ă–3? Ich will auf jeden Fall underground bleiben, weil das meine Musik ja auch ist. Wenn jemand von mir Eminem hĂśren will, ist er in einer ganz anderen Welt. Ich spiele Deepund Tech-House und das läuft auf Ă–3 sowieso nicht, und da will ich auch nicht gespielt werden. Also so wie David Guetta will ich nicht sein. Das sag ich ganz ehrlich, das macht mir keinen SpaĂ&#x; und hat keinen Anspruch mehr. Es ist Kommerz und das ist nicht meins. Ich will ein gut gebuchter Underground-DJ sein. Wird man als DJane anders behandelt als die männlichen Kollegen? Die Frage wird mir oft gestellt. Aber ich weiĂ&#x; es nicht. Jungs puschen sich untereinander mehr, die Mädels eher nicht. Sie sind eher ein wenig neidisch oder gĂśnnen es sich nicht richtig. Jungs hingegen arbeiten mehr zusammen und schaffen so auch mehr.

Beeinf lusst dich deine sexuelle Orientierung bei der Arbeit? Ich spiele schon mehr oder weniger regelmäĂ&#x;ig auf schwul-lesbischen Veranstaltungen, wo der Unterschied einfach im total diversen Publikum liegt. Da treffen sich Leute mit allen Musikvorlieben. Da spielt man automatisch mehr kommerziellere Sachen. Aber solang ich nicht nur auf das reduziert werde, ist es okay. In welchem Club wolltest du schon einmal auf legen? Der geilste Club der Welt ist sicher der „Berghain“ in Berlin. Da gibt‘s die Panorama-Bar, da geht die Party am Wochenende immer durch, also Tag und Nacht. Irgendwann zu Mittag gehen dann die Balken hoch und dann kommt das Sonnenlicht rein – also das ist schon sehr, sehr cool, da mĂśchte ich schon gerne mal spielen. Ich sag mal, wenn man dort gespielt hat, dann hat man es geschafft. Mein Traum ist der groĂ&#x;e Club, trotzdem ist es mein Ziel, underground zu bleiben. Q

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MoMA in New York, Tate Modern in London oder Centre Pompidou in Paris – die Werke von Günter Brus sind in den wichtigsten Museen für moderne Kunst zu sehen. In Graz eröffnet im Herbst das Bruseum. blank4 hat mit dem wohl größten Grazer Querdenker über Revolutionen gesprochen.

INTERVIEW: PETER WAGNER, DAVID KINZER FOTO: MARTIN BERANEK

Günter Brus, würden Sie sich als Revolutionär bezeichnen? Mit Abstrichen. Herkömmlich versteht man unter Revolution eine unbedingte Volksbeteiligung, bei unseren Aktionen waren aber nur Studenten und wir Künstler beteiligt. Wir von den Wiener Aktionisten waren nur eine kleine Gruppe und der Sozialistische Österreichische Studentenbund hat sich 1968 mit uns eine Aktion ausgedacht, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Das wollten wir aber so nicht, wir wollten auf uns selbst aufmerksam machen. Mit einer Aktion, die als „Uni-Ferkelei“ in die österreichische Geschichte einging. „Kunst und Revolution“ war von Nacktheit, Masturbation und Verrichten der Notdurft geprägt und brachte Ihnen eine Verurteilung zu sechs Monaten Gefängnis ein. Es hat deshalb nachträglich Konflikte mit den Studenten gegeben. Sie waren verbittert, weil wir die ganze Idee verraten hätten. Aber was

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war die Idee? Man wollte die westliche Gesellschaft und den Kapitalismus umstürzen. Das war jedenfalls damals entweder zu früh oder auch untauglich, und zwar deshalb, weil sich die Studentenschaft komplett isoliert hatte. Sie hatte keinen Anhang auf der Arbeiteroder Bauernseite.

Vorgänge auf La Gomera (Anm.: Mühls Kommune wird u.a. Sex mit Minderjährigen vorgeworfen) und bei Nitsch die immer präsente katholische Geste. Aber der verstorbene Rudolf Schwarzkogler und ich werden quasi als Erfinder der ‚Bodyart‘ gesehen, weil wir um fünf bis zehn Jahre mit der Idee voraus waren, mit dem eigenen menschlichen Körper zu arbeiten.

War Ihrer Meinung nach die „UniFerkelei“ oder waren die Studentenproteste der österreichische Bei- Sie sprachen im Zusammenhang mit trag zur 68er-Bewegung? der 68er-Bewegung in Österreich Von den Protesten der Studenten ist – mit einmal von berechtigten ForderunVerlaub – nichts übrig geblieben. Der größte gen sowie irrationaler Utopie der Teil der Studenten, Studenten. Was der von Aktionismus war utopisch? keine Ahnung hat, +PL (\MZ[pUKL PT 1HOY Ich fange so an: Diewird gesagt haben: LU[SHY]LU KLU >PKLYZWY\JO se Sprache, die diese „Was soll das?“ In a^PZJOLU 0ZSHT \UK +LTVRYH[PL Leute geführt haben, die Kunstgeschichte war sogar für uns .l5;,9 )9<: werden wir vier als aufgeklärte Leute Protagonisten eingeStudentenlatein. hen. Und zwar weltweit. Wobei man bei Das war mir verdächtig, weil ich mich mit ihOtto Mühl und Hermann Nitsch Abstriche nen nicht ernsthaft unterhalten konnte. Und machen muss. Da gibt es diese skandalösen dann war da noch die RAF. Ich habe damals

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zufällig deren Mitbegründerin Gudrun Ensslin kennengelernt, als sie gerade vom Kaufhausbrand in Frankfurt zurückgekommen war. Missionarisch hat sie mir erklärt, dass es nun in ganz Europa losgehe. Sie hatte bereits ihre Phantasien und ich war anfangs ein bisschen auf ihrer Seite – nach den Erfahrungen in Berlin, wo ich nach meiner Freilassung ohne Aufenthaltsgenehmigung im Exil gelebt hatte. Aber der Fanatismus, der aus ihren Augen förmlich gesprungen ist, der war mir verdächtig. Ich habe ihr die Frage gestellt, die jeder gestellt hätte: „Was habt ihr euch ausgedacht mit diesem Brand, wenn da 1 000 unschuldige Menschen auch möglicherweise draufgehen?“ „Das müssen wir in Kauf nehmen“, hat sie geantwortet. Damit war unsere Beziehung sofort abgebrochen. Sehen Sie die aktuelle „unibrennt“Bewegung, die gegen schlechte Studienbedingungen ankämpft, weniger kritisch? Ich war 1968 kritisch eingestellt, weil eine Modewelle von Frankreich und Deutschland nach

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Österreich gekommen ist und sich hier verspätet ausgewirkt hat. Für die Anliegen der Studenten hatte ich aber absolutes Verständnis, wie ich es jetzt auch wieder habe. Die Struktur in den Universitäten, die begrenzten Plätze und überhaupt die Philosophie, die ganzen Rituale mit ihren Talaren, hat mich verstört, obwohl ich keinen Zugang zur Universität hatte.

Damals waren die Proteste noch mehr oder minder auf Europa oder einzelne Staaten bezogen - wie die jetzigen auch. Heute geht es aber mehr um Probleme, die globalisiert sind, und weltweit zu lösen sind, ob soziologisch oder in Energiefragen wie mit der Atomkraft. Ein Kampf um mehr Plätze oder freien Zugang bleibt da zurück.

Glauben Sie noch an das Potenzial der „unibrennt“-Bewegung? Wenn ein Anliegen massiv vorhanden ist und viele es haben, dann muss es zur Explosion kommen. Es sieht im Moment, vor allem an diesem Sommertag (deutet auf die hoch stehende Sonne), allerdings nicht danach aus. Ich glaube, da müsste schon der Wohlstandsstaat etwas abtauchen. Für Revolutionen braucht es immer entsprechende Stimmung in der Bevölkerung.

Global gibt es wahrlich andere revolutionäre Strömungen, gerade im Jahr 2011. Wo bleibt der österreichische Beitrag zum Jahr der Revolutionen? Ich kann ihn auf keinen Fall mehr leisten, wenn, ist es immer ein Anliegen der Jugend.

Also sind auch die Studentenproteste von heute, wenn auch in einem ganz anderen Sinn, zum Scheitern verurteilt?

Kann 2011 als das Jahr der Revolutionen in die Geschichte eingehen? Es wird ganz sicher Geschichte machen. Vor allem, da es noch nicht beendet ist. Wenn wir von heuer als Jahr der Revolutionen sprechen, dann nur aufgrund unserer Einteilungsmanie. Es geht sicher weiter und es ist auch ein Ereignis, das von keinem Politologen vorhersehZ

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© BRUSEUM/Neue Galerie Graz

© BRUSEUM/Neue Galerie Graz

Günter Brus, ohne Titel (Aktionsskizze), 1966

Günter Brus, ohne Titel (informell), 1960

bar war, ähnlich wie der Fall der Berliner Mauer. Diese vielen Aufstände müssen historisch sein, weil jetzt der Widerspruch zwischen Islam und Demokratie entlarvt wird. Damit in den arabischen Staaten jemals Demokratie in ihrer reinen Form entsteht, müssen aber andere Dinge passieren. Man müsste beginnen, einen Schub, wie in der

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es für mich zu gefährlich und für meine Familie unerträglich (Anm.: Brus trank u.a. Urin und schnitt mit einer Rasierklinge in seinen kahlen Schädel). Es hätte nur mehr im Suizid enden können. Aber das ist keine Lösung, also habe ich mich literarischen und zeichnerischen Tätigkeiten zugewandt. Die Anerkennung nimmt auch dort immer mehr zu. Das beweisen viele Ausstellungen und Ankäufe in und von großen Museen.

Aufklärung, zu verursachen, der zunächst die Religion anprangert. Auch die Aufklärung hätte nie weitere Ergebnisse erbracht, wenn nicht der ganze Katholizismus infrage gestellt worden wäre. Diese Revolutionen haben auch deshalb eine Chance, weil sie sich organisatorisch von der Vergangenheit unterscheiden. Das Internet stützt die Aufstände durch seine Netzwerke. Sind eigentlich auch Sie online? Nein. Ich bin froh, dass ich den richtigen Radiosender einschalten kann. Ich weigere mich nicht bewusst, aber ich habe kein Interesse daran. Das ist mir zu viel. Nicht das auch noch, würde ich sagen (lacht). Sie sind sehr vielseitig, auch in Ihrem künstlerischen Schaffen. Worin konnten Sie sich am besten ausdrücken? Alle Betätigungen, ob auf dem zeichnerischen, literarischen oder aktionistischen Gebiet, waren für mich gleichwertig. Die Aktionen entstanden aus der damaligen Unmöglichkeit, das informelle Bild noch weiter zu bringen und waren so ausgelegt, dass jede für sich mehr oder weniger verschieden war. Im Gegensatz zu anderen Aktionskünstlern war es mir niemals möglich, eine Wiederholung zu machen. Dadurch bin ich bald an die Grenzen zur Selbstzerstörung gestoßen. Die letzte Aktion hieß „Zerreißprobe“, da wurde

Viel Anerkennung steckt auch in dem Projekt des Bruseums, das im Herbst in Graz eröffnet wird. Ja, zum Beispiel. Es ist nicht überraschend gekommen, aber trotzdem spannend für mich, weil ich mir schon vorstelle, dass man fixe Räume für meine Arbeiten bauen kann. Rainer hat sein Museum in Baden, Nitsch in Mistelbach. Das Bruseum war nicht zu vermeiden, und ich wollte es auch gar nicht vermeiden. Und passt der Ort? Ja, super. Ich habe das Glück, dass ich von allen Genannten am besten bedient wurde mit dem Universalmuseum Joanneum. Erstens wird das ganze Joanneumsviertel entstehen, es wird lebendiger werden, ähnlich wie in Paris im Centre Pompidou mit Kaffeehäusern und Eingliederung in den Stadtkern. Und zweitens ist Baden halt bei Wien und Mistelbach bei Brünn oder so (lacht). Nicht nur das Bruseum, auch Ihr heutiger Lebensmittelpunkt liegt in Graz. Fühlen Sie sich als Grazer? Als gestandener nicht. Dazu war ich zu lange weg. 15 Jahre in Wien, elf Jahre in Berlin, sechs Jahre mit Unterbrechungen auf der kanarischen Insel La Gomera. Deshalb geht das nicht mehr, aber das muss ja auch nicht sein. Q

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Querfinden Technologien

76 | Erfindungen

Land der T端ftler, zukunftsreich 78 | Gender Medicine

Alles eine Frage des Geschlechts 79 | Pharmazie

Papier statt Pillen 80 | WLAN

Funkstilles Graz

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76 | blank4 | TECHNOLOGIEN

3HUK KLY ; M[SLY a\R\UM[ZYLPJO Vom Geistesblitz zur eigenen Firma: blank4 stellt drei Grazer Unternehmer mit ihren außergewöhnlichen Erfindungen vor.

TEXT: JOHANNES KUHN

SU N N Y BAG

Ein Kraftwerk in der Tasche

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die Sunnybags eingebaut sind, liefern unterwegs die Stromversorgung. Dank eines Akkus soll es auch an verregneten Tagen keinen Energiemangel geben. Im Jahr 2008 entstand Sunnybag als Ponsolds Einmannprojekt am Campus02 in Graz. Doch bereits wenige Monate nach der Gründung des Unternehmens holte Ponsold die Innovationsmanagerin Kerstin Kurre mit an Bord, die seitdem die Entwicklung und das Design der Sunnybags tatkräftig unterstützt.

© Sunnybag

ie Stromversorgung für Handy, MP3-Player und Co. ist gesichert – auch in der afrikanischen Savanne, weitab von jeder Steckdose. Von der Sonne ließ sich das Grazer Startup Sunnybag bei der Herstellung ihrer Taschen inspirieren. Stefan Ponsold, der Sunnybag 2010 im Science Park Graz gegründet hat, erklärt das Konzept: die Verbindung zwischen Solartechnik und Modedesign im Sinne einer eigenständigen, umweltfreundlichen Energieversorgung. Die beiden Solarpanele, die in

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Das Startup setzt auf Zusammenarbeit mit Sozial- und Hilfsorganisationen, die sowohl lokal als auch weltweit tätig sind. Sie spielen eine wichtige Rolle in Design, Herstellung und Produktentwicklung. Durch die Kooperation mit dem Arbeitsprojekt Heidenspass bleiben die Bereiche Design und Produktion in Graz. Zum Einsatz kommt Sunnybag aber bereits durch internationale Partnerschaft, etwa mit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. So konnten durch den Einsatz der Taschen in Krisengebieten wertvolle Erfahrungen gesammelt werden. Die Entscheidung zur Selbstständigkeit als Jungunternehmer bezeichnen Kurre und Ponsold als großen, aber wichtigen Schritt. Mut, Durchhaltevermögen, Risikobereitschaft und Optimismus seien gefragt in einem Startup, so die beiden Unternehmer. Positive Erfahrungen macht Ponsold mit dem Firmenstandort Graz, weil ihn hier so viele kreative Köpfe umgeben. Von hier aus werden die Sunnybags auch global über das Internet vertrieben. Dank des starken Umweltbewusstseins erfreuen sich die Taschen weltweit wachsender Bekanntheit. Ohne großes Budget kann Sunnybag, vor allem über soziale Medien, Fans und Kunden ansprechen. Blogs, Interviews und regelmäßig erscheinende Video-Podcasts seien für junge Unternehmer eine sinnvolle Alternative zu teuren Marketing-Kampagnen, erklärt Ponsold seine Firmenphilosophie.

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SI EBEN M EILEN

Schuhe für den großen Sprung

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CE BIONIC SU R FA

Die Aerodynamik der Haifischhaut

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er einen Hai sieht, dabei an ein Flugzeug denkt und darauf hin seine eigene Firma gründet, muss ein Querdenker sein - oder Erfinder. Andreas Flanschger und Peter Leitl, die jungen Tüftler hinter dem Grazer Unternehmen Bionic Surface, vereinen beide Eigenschaften. Bei der Suche nach einer neuen, aerodynamisch günstigen Oberfläche sind die beiden auf den Hai gekommen. Denn die Haut dieses Fisches ist so strukturiert, dass sie nur einen geringen Reibungswiderstand im Wasser bietet. Forscher sprechen vom Riblet-Effekt. Nach intensiven Tests gelang es den Grazer Maschinenbauern durch komplexe Strömungsberechnungen, die Mikrostruktur der Haifischhaut auf eine Hightech-Folie zu übertragen.

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Mit dem Effekt, dass sich Windräder, Schiffe oder Flugzeuge, die mit der Folie ausgestattet sind, schneller und effizienter bewegen können. Getestet haben Flanschger und Leitl ihre neue Entwicklung bei einem der bekanntesten amerikanischen Luftrennen, dem Reno Air Race in Nevada. Ein Flugzeug, das mit der Grazer Spezialfolie beschichtet war, belegte den zweiten Platz. Mit diesem Erfolg wurde das junge Unternehmen Bionic Surface auch hierzulande bekannt. Im letzten Jahr erhielten Andreas Flanschger und Peter Leitl den steirischen Primus Award in der Kategorie „Geistesblitz“. Bionik, die Inspiration der Technik durch die Natur, bietet ein großes Potenzial für Erfindungen. Oft würden Ideen aber an der mangelnden Professionalität der Entwickler scheitern, sagen die beiden Jungunternehmer von Bionic Surface. Auch fehle es an Unterstützung aus

dem Umfeld, an Risikobereitschaft, Erfindergeist, aber oft auch an Realismus, um die Entwicklung kundengerecht zu vermarkten und die Pläne mit Zahlen zu belegen. Bionic Surface hat diese unternehmerischen Hürden längst hinter sich gelassen. Nach der Firmengründung im Jahr 2009 im Grazer Science Park arbeiten Flanschger und Leitl nun bereits an weiteren Forschungsprojekten.

© Viktoria Fahrnleitner

© 7Meilenstiefel

iebenmeilenstiefel heißt das trendige Sportgerät, das Wolfgang Stiksl mit seinem Unternehmen Future Tech in Graz entwickelt und vertreibt. Der Steirer gilt als Erfinder der Sprungstiefel, mit denen Läufer auf federnden Stelzen gehen und dabei große Sprünge vollführen können. Rund um die Stiefel entwickelte sich ab 2002 die Funsportart Bouncen, die als Freizeitsport, aber auch für Trainings- und Therapiezwecke eingesetzt werden kann. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten entschied sich der Selfmademan Stiksl bei der Planung des Produktionsstand-

orts und im Verkauf für eine offensive Strategie: Die Siebenmeilenstiefel lässt er heute in Asien produzieren und verkauft sie über ein weltweites Netz von Vertriebspartnern. Der wichtigste Markt ist dabei Deutschland, hier tummeln sich viele Anbieter. Um sich gegen die Konkurrenz zu behaupten, setzt Stiksl auf ein breites Angebot an Service- und Kursangeboten und auf eine strikte Qualitätskontrolle. Trotzdem gab es Rückschläge: Als spektakuläre Form der Fortbewegung hatten Sprungstelzen der Marke Poweriser in der Fernsehsendung Wetten Dass 2010 einen dramatischen Auftritt. Der schwere SprungstiefelUnfall von Samuel Koch führte zu einem großen Imageschaden in der Branche. Aber Wolfgang Stiksl lässt sich nicht abschrecken. Man müsse Rückschläge und Zweifel als Ansporn sehen und den Mut besitzen, neue Wege zu gehen, beschreibt er sein Erfolgsrezept.

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78 | blank4 | TECHNOLOGIEN

(SSLZ LPUL -YHNL KLZ .LZJOSLJO[Z Biologische Unterschiede zwischen Frau und Mann werden bei Medikamentenforschungen kaum beachtet. Die Gründe: Vorurteile, Bequemlichkeit und das liebe Geld.

TEXT: TINA KAUFMANN

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in stechender Schmerz durchbohrt den Brustkorb, zieht in den linken Arm. Der Atem stockt. Übelkeit. Kalter Schweiß dringt aus jeder Pore. Die Luft bleibt weg. Selbst für jeden Medizin-Laien schrillen die Alarmglocken: „Ruf den Notarzt, der Mann hat einen Herzinfarkt!“ Oft gesehen, oft gehört. In „Grey’s Anatomy“, „Emergency Room“ oder vielleicht sogar einmal im echten Leben. Doch was viele nicht wissen: Die für uns typischen Herzinfarkt-Symptome sind eigentlich nur die Anzeichen, die sich beim männlichen Patienten bemerkbar machen. Frauen empfinden oft ein Ziehen, ein Stechen im Oberbauch, erbrechen häufiger. Der Infarkt gekonnt getarnt als Magenverstimmung. Viele Betroffene reagieren deshalb zu spät oder gar nicht.

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Und gelingt eine rechtzeitige Diagnose, so wird Frau mit „Männertabletten“ versorgt – Überdosis nicht ausgeschlossen. Neben dem Herzinfarkt gibt es eine lange Liste von Erkrankungen, die Frau und Mann unterschiedlich wahrnehmen und durchleben. So löst Diabetes bei Frauen doppelt so oft eine Herz-Kreislauf-Erkrankung aus. Hormonhaushalt, Gewicht, weiblicher Zyklus, Größe der Organe, Verteilung von Fett- und Muskelmasse – das sind die biologischen Verschiedenheiten, die uns anders krank machen, in unserer medizinischen Betrachtung aber noch viel zu selten Beachtung fi nden. Der Unterschied liegt im Detail Zum ersten Mal sind Ärzte beim Thema „Sprechen“, einer tatsächlichen Frauen-

Domäne, auf den „Gender-Unterschied“ aufmerksam geworden. So erlernten die weiblichen Patienten nach einem Schlaganfall deutlich schneller wieder den Umgang mit Wörtern. Seitdem begann die Medizin vermeintlich kleine Unterschiede gründlicher zu beleuchten und arbeitete bewusst auf eine Trennung der beiden Geschlechter hin. In Österreich seit etwa zehn Jahren. Das relativ junge Fachgebiet „Gender Medicine“ ist auch in der steirischen Landeshauptstadt stark verwurzelt. Die medizinische Universität Graz bietet Studierenden und Wissenschaftlern in diesem Bereich verschiedene Workshops und Fortbildungsmöglichkeiten. „Wir erhalten auch viele Forschungsaufträge“, erklärt Barbara ObermayerPietsch, Leiterin des endokrinologischen Labors der Universitäts-Klinik.

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Probieren statt studieren Soweit der aktuelle Forschungsstand, die Praxis sieht anders aus: Mitte 30, gesund und männlich. Das ist das klassische Anforderungsprofil für eine Medikamenten-Testperson. Wenige Gemeinsamkeiten lassen sich hier mit einer beispielsweise 70-jährigen Frau erkennen. Welche katastrophalen Auswirkungen sich bei Verbraucherinnen einstellen können, zeigte der Contergan-Skandal in den frühen 60er-Jahren. Frauen nahmen dieses an Männern erprobte Beruhigungsmittel auch während der Schwangerschaft ein. Die Säuglinge kamen mit schweren Missbildungen zur Welt. Als Folge wurde zwar das Medikament europaweit verboten, eine Änderung der Forschungssituation aber nicht erreicht. Das ist erstaunlich. Auch Professor Obermayer-Pietsch wundert sich. Medizinisches Wissen sei nicht in den 50erJahren stehen geblieben. Es müsste heute selbstverständlich sein, aktuelles Wissen auch in eine gendergerechte Erforschung

von Medikamenten einzubauen. Deshalb fordert sie eine neue gesetzliche Grundlage für Studien. Wünschenswert? Ja. Durchführbar? Nein. Nüchtern analysiert Gerhard Kobinger, Präsident der Apothekerkammer Steiermark, den Wunsch nach einer neuen Probanden-Aufstellung. Die zusätzlichen Ausgaben würden sich für Pharmafirmen schlicht und einfach nicht rentieren. Dabei sind von dem Problem nicht nur Frauen betroffen. Auch für Kinder ist die ideale Dosierung meist nicht erforscht und so sind rund 80 Prozent der Medikamente für die Kleinsten gesperrt. Die absurde Situation: Vermutlich gibt es viele passende Medikamente, da sie aber nicht an den Kleinen getestet sind, dürfen sie auch nicht eingesetzt werden. So verhindert der derzeitige Forschungsauf bau möglicher weise Chancen auf Heilung. Es geht eben doch ums Geld: Eine Differenzierung nach Geschlecht und Alter würde die Entwicklungskosten explodieren lassen und die Medikamente für

den Verbraucher verteuern und vielleicht sogar unbezahlbar machen. Und so werden Gesundheit und sichere Medikamente zu einer Frage des Preises. Q

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in besonderer Tintenstrahldrucker revolutioniert die Medizin. Ja, richtig gehört. Der Clou: Die Patronen sind nicht mit Farbe gefüllt, sondern mit verschiedenen medizinischen Wirkstoffen. Diese werden in der richtigen Dosis auf essbares Papier aufgedruckt und kommen dann in eine handelsübliche Pillenkapsel. So spart man sich viele verschiedene TablettenPackungen und nimmt stattdessen mit nur einer Pille alle benötigten Medikamente auf einmal ein. Das Projekt nennt sich „Pills on Paper“ und hat seinen Ursprung in Graz, beim „RCPE“ (Research Center Phama-

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ceutical Engineering). Die Wissenschaftler arbeiten gemeinsam mit einer Forschungsgruppe aus den USA seit zwei Jahren an der medizinischen Neuheit. Diese ist ganz einfach umzusetzen: Jede Apotheke, die sich den „Drucker“ zulegt, kann die neuartigen Kapseln erzeugen. Für die Patienten bedeutet die Papier-Pille keine große Umstellung. Die fertige Kapsel wird wie gewohnt eingenommen. Durch diese neue Art der Medikation ist es beinahe unmöglich, einmal eine von vielen Tabletten zu vergessen und auch die Gefahr einer Überdosis ist verschwindend gering. Die gedruckten Wirkstoffe werden auch

auf gegenseitige Verträglichkeit abgestimmt. Durch diese Technik können Nebenwirkungen und Fehlreaktionen reduziert werden. Die Grazer „Düsentriebs“ werden noch weiter an dem Projekt forschen und arbeiten, um die Genauigkeit des Druckverfahrens zu verbessern und für die Zukunft Firmenpartner zu f inden. Eines ist aber sicher: Durch die Pills on Paper gehen wir in der Medizin und Pharmaindustrie einen großen Schritt nach vorne. Graz hat den Anfang gemacht. Und schon bald könnte das Gesundwerden weltweit wesentlich vereinfacht werden. Q

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Flächendeckendes WLAN in Graz? Seit fünf Jahren steht dieser Plan auf der Agenda der Stadt. Jetzt droht das Projekt zu scheitern.

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raz als die IT-Hauptstadt Österreichs. Dominic Neumann ist von diesem Projekt überzeugt. Als Berufsgruppenobmann der Informationstechnologen in der Steirischen Wirtschaftskammer sieht er hier ein wichtiges Stück Zukunft für die Stadt. Seit drei Jahren sitzt er im Grazer Stadtrat, genauso lange ist er auch am Projekt „WLAN für Graz“ beteiligt. Getan hat sich aber bisher nicht viel. „Wir sind Genuss-Hauptstadt und wollen Fairtrade-Hauptstadt werden, aber ein Bewusstsein für Neue Medien ist bei der Stadtleitung einfach nicht vorhanden“, kritisiert Neumann. Hotspots: vier von 300 Dabei hätte es etwas Einzigartiges werden sollen. Insgesamt 700 Kilometer Lichtwellenleiter liegen seit den 90erJahren unter Graz begraben. Die beste Voraussetzung für flächendeckendes WLAN an der Oberfläche. Geplant wurde deshalb, bis 2012 insgesamt 300 Hotspots in der Stadt aufzustellen. Damit wäre Graz die Nummer eins in Österreich gewesen. Doch die Realität sieht anders aus: Die Zahl der Hotspots wurde aus Kostengründen auf 150 gekürzt. Und ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Planungsfrist stehen erst vier Hotspots: am Karmeliterplatz, am

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Hauptplatz, am Jakominiplatz und an der Murpromenade. Diese vier Surfpoints dienen als „Testspots“, gab es doch am Anfang viele kritische Stimmen wegen möglicher gesundheitlicher Risiken. Viele Bürger hatten Angst vor der Strahlung, die durch die Funkwellen freigesetzt wird. „Dabei ist WLAN völlig harmlos“, so Neumann. Das bestätigt auch Norbert Leitgeb, Elektrosmog-Experte an der TU Graz: „Selbst wenn man direkt neben dem WLAN-Hotspot steht, ist die Intensität der Strahlung um ein 1000faches geringer als zum Beispiel beim Mikrowellenherd. Zusätzlich nimmt die Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung ab.“ Auch die Bereitschaft der Bürger, öffentliches WLAN zu nutzen, wurde durch die vier Hotspots getestet. Konkrete Zahlen gäbe es zwar nicht, aber Neumann sieht eine positive Entwicklung: „Vor allem im Sommer wird das Angebot vermehrt aufgenommen“, sagt er und ergänzt: „Was gibt es Schöneres, als bei Schlossbergpanorama im Internet zu surfen?“ Trotzdem: „Es ist ein Kampf um jeden einzelnen Surfpoint“, weiß der 35-Jährige. Denn niemand will zahlen. Rund eineinhalb Millionen Euro müsste die Stadt Graz in die Installation der 150 Hotspots investieren. Dass sich diese

Kosten in kürzester Zeit wieder refinanzieren lassen würden, steht für Neumann fest. „Ist das Netz einmal da, kann man alles damit machen.“ Von Tourismus-Guides, die von Informationssystemen der Stadt gespeist werden, bis hin zu Modellen, bei denen ganze städtische Dienste wie die Verkehrsüberwachung über das WLAN laufen sollen. Die Konzepte zur Refinanzierung liegen in den Schubladen. Bleibt Graz off line? Ein Blick in andere europäische Städte bestätigt, dass das Outdoor-Internet immer begehrter wird: Rom will es, Düsseldorf hat es und London plant es anlässlich der Olympischen Spiele im nächsten Jahr. Auch in Österreich hat sich einiges getan, seit der Plan für flächendeckendes WLAN in Graz 2003 zum ersten Mal auf kam: In Wien strebt Vizebürgermeisterin Vassilakou einen massiven Ausbau an Hotspots an, in Linz gibt es bereits 119 öffentliche Surfzonen. Nur die steirische Landeshauptstadt scheint hier den Anschluss ans Netz zu verpassen. „Im Prinzip wäre ja alles da – man müsste nur jemanden mit der Umsetzung beauftragen“, bringt es Neumann auf den Punkt. Solange herrscht wohl noch Funkstille in Graz – im wahrsten Sinne des Wortes. Q

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Infos gibt‘s auf:

http://www.facebook.com/ Das-ist-auch-Europa

Das Land Steiermark

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Martin Beranek

Cornelia Dexl

Viktoria Fahrnleitner

Josef Gasteiger

Gudrun Geist

Kevin Griebaum

Birgit Guggi

Jan Hestmann

Tanya Kaindlbauer

Julia Karzel

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David Kinzer

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Johannes Kuhn

Magdalena Maria Mitter

Georg Partoloth

Hanna Pfeiler

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Helene Voglreiter

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Imre Withalm

© Viktoria Fahrnleitner

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0TWYLZZ\T CHEFREDAKTION: Helene Voglreiter, Imre Withalm | ARTDIREKTION: Magdalena Maria Mitter, Birgit Guggi | TEXTCHEFS: Josef Gasteiger, Julia Karzel, Peter Wagner | TEXTREDAKTION: JPR08 | GRAFIK: Georg Partoloth, Hanna Pfeiler, Svjetlana Simić | BILDREDAKTION & BILDBEARBEITUNG: Viktoria Fahrnleitner, Tanya Kaindlbauer | FOTOGRAFEN: Viktoria Fahrnleitner, Jan Hestmann, Tanya Kaindlbauer, Julia Karzel SCHLUSSREDAKTION: Josef Gasteiger, Birgit Guggi, Tina Kaufmann, Georg Partoloth, Carina Vanzetta | ONLINE: Christoph Tritscher, Cornelia Dexl, Kevin Griebaum, David Kinzer, Johannes Kuhn | ANZEIGEN: Martin Beranek, Gudrun Geist, Johannes Kuhn, Verena Schaupp | PR & VERTRIEB: Martin Beranek, Gudrun Geist, Cornelia Kröpfl, Johannes Kuhn, Verena Schaupp, Christoph Tritscher | FREIE MITARBEITER: Lisa Hauser (Titelseite), Jochen Hencke (Online) STUDIENGANGSLEITER: Dr. Heinz M. Fischer (verantwortlich im Sinne des Mediengesetzes), FH Joanneum, Alte Poststraße 152, 8020 Graz DOZENTEN: Ursula Kronenberger (Magazin-Journalismus), Rita Gerstenbrand (Grafik), Heinz Wittenbrink (Online) TECHNIK: Boris Böttger | LEKTORAT: Karin Raffer | SEKRETARIAT: Carmen Peltea, Elisabeth Staggl DRUCK: Offsetdruck Dorrong OG, Kärtner Straße 96, 8053 Graz Ein Projekt des Studiengangs „JOURNALISMUS UND PUBLIC RELATIONS (PR)“ der FH Joanneum Graz

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Ein Magazin des Studiengangs „Journalismus und Public Relations (PR)“ der FH Joanneum

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