Modulierte Oberflächen – Ornament und Technologie in der Gegenwartsarchitektur

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Aufbringen Einleitung Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde die Verdrängung des Ornaments weitgehend in Form einer Kritik an der dekorativen Praxis vollzogen. Vor allem die Vertreter der frühen Moderne vertraten die Auffassung, dass das einfache Aufbringen – und entsprechend das leichte Ablösen – von Dekor keinen subs­ tanziellen Diskurs über Struktur und Form erlaubte. Sie betrachteten das Ornament deshalb als überflüssig und bedeutungslos. Doch in Teilen war die Kritik an der dekorativen Praxis wohl auch der Tatsache geschuldet, dass sich die Ornamentik traditionell mit der Gestaltung äußerer Formen und wenig tiefer Oberflächen befasste. Auf diese Weise erhielt die Architektur jedoch in vielen Fällen durch die verschiedenen Verfahren zur Herstellung bemalter, bedruckter, vorgeformter, sandgestrahlter, satinierter oder chemisch behandelter Oberflächen eine neue materielle und äußere Präsenz. Oftmals kann diese Art der Ornamentik die Wahrnehmung charakteristischer Materialeigenschaften tief greifend verändern. An die Stelle tektonischer Klarheit tritt eine Bildsprache, die komplexe architektonische Details durch intuitive sinnliche Eindrücke ersetzt. Vor diesem Hintergrund können die Bedeutung und das Potenzial der ornamentalen Gestaltung in der Gegenwartsarchitektur neu aufgefasst werden. Die hier vorgestellten Projekte sind alle durch das Bestreben gekennzeichnet, Dekoration als Grundlage zum Erzeugen symbolhafter und visueller Wirkungen einzusetzen – als ein „grafisches Verhalten“, das architektonische Oberflächengestaltungen zwischen repräsentativer und emotionaler Wirkung oszillieren lässt. Viele Projekte bekennen sich zu dieser Arbeit an und mit den „oberflächlichen“ Aspekten der Architektur. Sie erzeugen mit der angewandten Ornamentik ein breites Spektrum an optischen, konzeptionellen und symbolhaften Wirkungen und ziehen mit besonderen Fertigungsmethoden und Aussagen die Aufmerksamkeit auf sich. So schafft die übergroße ­Fassadengrafik des Polygreen House von Bellemo & Cat einen Übergang ­zwischen dem Bautyp des Wohngebäudes und jenem der gewerblichen Lagerhallen in der industriellen Umgebung. Die grafische Gestaltung der Gebäudeoberfläche schützt nicht nur das private Gebäudeinnere, sondern versieht als Geste im öffentlichen Raum die ansonsten karge Nachbarschaft mit einer bildhaften Begrünung. Bei dem Gebäude Frog Queen hat das Architekturbüro SPLITTERWERK zwei verschiedene Maßstäbe der Ornamentik zum Einsatz gebracht: Einerseits

löst die großflächige Rasterung der umlaufenden Fassadenhülle den einfachen, rechteckigen Baukörper vollkommen auf, andererseits zeigt die individuelle Gestaltung der einzelnen Aluminiumpaneele in einem wesentlich kleinerem Maßstab ein sich wiederholendes Muster, das auf den besonderen Nutzungstyp hinweist. Oftmals unterliegen die Ornamentik und andere Formen der Oberflächengestaltung den Bedingungen technischer Fertigungsmethoden. Diese wiederum wirken sich auf den Entwurfs- und Gestaltungsprozess aus. Als ein geläufiges Beispiel kann die technische Herstellung von Tapeten genannt werden, bei der sich aus der standardisierten Abmessung der Tapetenrolle eine Wiederholung eines fortlaufenden Tapetenmusters ergibt. Dieser Zusammenhang wird oftmals durch gestalterische Maßnahmen aufgehoben, indem ein verschwimmendes Feld aus Mustern und Linien die Übergänge und Wiederholungen identischer Abschnitte kaschiert. Für Frog Queen gilt entsprechend, dass der Entwurf für das Fassadenraster in Teilen durch die Bedingungen der großflächigen Siebdrucktechnik bestimmt wurde, die die Größe der Paneele begrenzte. In anderen Fällen befasst sich die ornamentale Gestaltung mehr mit den Eigenschaften der Materialoberflächen selbst. Für die Fassade der Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde etwa brachten Herzog & de Meuron durch ein chemisches Verfahren verschiedene Kunstfotografien direkt in die Herstellung der Betonpaneele ein. Daraus entstand ein Gebäude, dessen Oberflächen nicht auf konventionelle Architekturdetails beschränkt bleiben, sondern sich aus bildhaften Eindrücken, Texturen und Farbtönen zusammensetzen. Die in diesem Kapitel vorgestellten Beispiele sind alle von der Faszination verschiedener Gestaltungs- und Herstellungsverfahren geprägt. Obwohl diese in der Vergangenheit von vielen Architekten immer wieder als „oberflächlich“ abgelehnt wurden, bergen sie fundamentale räumliche, visuelle und konzeptionelle architektonische Ausdrucksmöglichkeiten. Ungeachtet dessen, wie „oberflächlich“ diese ornamentalen Modulationen tatsächlich sind, befinden sie sich oft im Einklang mit einfachen, funktionalen Baukörpern. Dabei bereichern sie nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die wahrgenommenen Materialeigenschaften der Oberflächen und schaffen neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und Kommunikation von Architektur.

Aufbringen  19


1

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Frog Queen Graz, Österreich; SPLITTERWERK

1 Die mehrfarbige, durchgehend gerasterte Fassadengrafik löst die harten Außenkanten des Baukörpers optisch auf. 2 Die Abwicklung der Außenhülle zeigt das vollständige Fassadenmuster.

Mit der Planung des Hauptsitzes von PRISMA Engineering, einem Unternehmen für Maschinen- und Motorentechnik, wurde das in Graz ansässige Architekturbüro SPLITTERWERK beauftragt. Das neue Gebäude sollte die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten des Auftrag­ gebers aufnehmen und Ausstellungsmöglichkeiten für Produkte und Entwicklungsarbeit bieten. Auch avancierte Testverfahren und Präsentationen mussten integrierbar sein, ohne die Sicherheit und Geheimhaltung zu beeinträchtigen.

Das für die Arbeit von SPLITTERWERK kennzeichnende Interesse an der Wechselwirkung von bildhaften Eindrücken und Raumwirkungen steht auch bei diesem Projekt im Vordergrund. Mit den Parametern Größe, Distanz und Zeit wurde die Hülle für wechselnde Wahrnehmungen von Volumen und Textur moduliert. Mit den Außenabmessungen 18,125 m x 18,125 m x 17 m gleicht die Gebäudeform annähernd einem Würfel, dessen vier Seiten mit quadratischen Paneelen mit pixelartigen Mustern verkleidet sind. Aus der Ferne erscheinen diese Paneele als ein in zehn

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Architekten

SPLITTERWERK, Graz, Österreich

Fertigstellung

2007

Bauherr

PRISMA Engineering Maschinen- und Motorentechnik GmbH

Planung

Irene Berto, Mark Blaschitz, Erika Brunnermayer, Marius Ellwanger, Hannes Freiszmuth, Johann Grabner, Edith Hemmrich, Ute Himmelberg, Bernhard Kargl, Benjamin Nejedly, Josef Roschitz, Maik Rost, Ingrid Somitsch, Nikolaos Zachariadis

Projektmanagement

Ingenos ZT GmbH

Tragwerksplanung

werkraum zt gmbh, Peter Bauer, David Lemp

Haustechnik

Ing. Rudolf Sonnek GmbH

Klimatechnik

Guenter Grabner

Energieplanung

Dr. Tomberger ZT GesmbH, Hannes Veitsberger

Fassadenbedruckung

Hauser

Fassadenpaneele

Wastl

Tapetenbedruckung

Varistyle

Aufbringen  23


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Aluminiumkassette 71,5x 67cm, pulverbeschichtet, siebbedruckt

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Winkel stabilisiert und nivelliert den Plattenstoß in der Ecke

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1

1 Die Fenster- und Lüftungsöffnungen scheinen vollkommen in der gerasterten Fassadengestaltung zu verschwinden. 2 Darstellung der Paneelanordnung. 3 Eckdetail.

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Ortbetonwand mit Mineralwolledämmung

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Grautönen abgestufter Farbverlauf, der das Gebäudevolumen vor den umgebenden Bäumen, den Wolken und dem Himmel verschwimmen lässt. Der Baukubus wirkt in seiner Objekthaftigkeit in der offenen Landschaft monumental, maßstabslos, ja immateriell und verzichtet dabei ganz und gar auf Bildhaftigkeit. Die klaren Propor­tionen des Würfels werden erst bei der Annäherung erkennbar, ebenso wie das feine Korn der artikulierten Oberfläche der Paneele mit ihren kleinteiligen Raste­rungen abstrakter und bildhafter Muster. Sie lassen sich als Blumenmuster, aber auch als Zahnräder eines Getriebes lesen, als Verweis auf die hier geleistete Entwicklungs­arbeit. Die pulverbeschichteten, aus Aluminium gefertigten und im Siebdruckverfahren bedruckten Fassadenelemente sind mit den Abmessungen 67 cm x 71,5 cm annähernd

quadratisch gestaltet. Auf sie, ebenso wie auf die äußere Gesamtform des Gebäudes sind die Fenster und Türen bezogen und verschwinden damit gleichsam in der Fassadenkomposition. Die Büroräume sind mit Landschaftsmotiven aus der umgebenden Oststeiermark tapeziert und bauen eine Spannung zwischen dem erzählerischen und bildhaften Innenraum und den abstrakten und räumlichen Effekten des Äußeren auf. In diesem Sinne gehen sowohl inneres wie auch äußeres Dekor auf landschaftliche Bezüge ein und bilden visuelle Kontexte, die bildhaft in ihren Verweisen sind und emotional in der Atmosphäre, die sie schaffen.


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Frog Queen

Aufbringen  25


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1 Die Büroräume sind mit unterschiedlichen Landschaftsmotiven aus der Ost­ steiermark tapeziert. 2 Eingangshalle. 3 Die im Siebdruckverfahren aufgebrachten Muster können verschieden aufgefasst werden – als Blumen aus der umliegenden Landschaft oder als Zahnräder eines Getriebes. 4 Die Farbenvielfalt bezieht sich auf Himmel, Wolken und die Bäume der unmittelbaren Umgebung.

3

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4

Frog Queen

Aufbringen  27


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Perforieren/Schneiden Einleitung Seit einigen Jahren haben sich durch computergesteuerte Schneidverfahren wie etwa der Laser-, Plasma- und Wasserstrahlschneidetechnik individuell perforierte und zugeschnittene Oberflächen als fester Bestandteil der Gestaltung etabliert. In vielen Fällen erlauben diese Fertigungstechniken die unkomplizierte Herstellung von Profilschnitten und Perforationen und ermöglichen die Nutzung einer großen Zahl flächiger Ausgangsmaterialien. Dies beginnt bei Kunststoff und Sperrholz und reicht über Glas und Edelstahl bis hin zu Materialien des vorgefertigten Bauens wie etwa Beton. Durch verhältnismäßig einfache Schnittvorgänge können Oberflächen und Bauelemente mit einer Vielzahl von Figuren und Mustern versehen werden, was andernfalls nur durch zusätzliche Fertigungsschritte oder unter Verwendung standardisierter Elemente möglich wäre. Auf der Ebene einzelner Bauteile werden durch unterschiedliche Perforations- und Profilschnittvorgänge nicht nur architektonische Gitterund Fassadenelemente hergestellt, sondern diese erhalten gleichzeitig durch ihre Durchlässigkeit und Perforation umweltbezogene Funktionen wie die Steuerung des Lichteinfalls, Raumklima und Raumakustik. Die Gestaltung der Perforationsmuster folgt den funktionalen Anforderungen, indem Größe, Form und Anordnung der erzeugten Öffnungen von spezifischen quantitativen Parametern bestimmt werden. Jüngere Arbeiten haben aber auch demonstriert, dass Schnitt- und Perforationsverfahren dazu genutzt werden können, bildhafte und andere äußere Eigenschaften der Oberflächen zur Geltung zu bringen. Neben den funktionalen und praktischen Aspekten treten hier gestalterische und kommunikative Eigenschaften in den Vordergrund. Oft beziehen sich die Schnitt- und Perforationsmuster auf den kulturellen Kontext, die vorhandene Umgebung oder ein mit ihr in Beziehung stehendes Bildmaterial. Auf diese Weise werden die quantifizierbaren und funktionalen Charakteristika der architektonischen Oberfläche erheblich erweitert. Am überzeugendsten sind wohl diejenigen Projekte, die den Versuch unternehmen, Funktion und Gestaltung als scheinbar entgegengesetzte Prinzipi-

en zu verbinden und eine Strategie zu entwickeln, die verschiedenen funktionalen Dimensionen der Öffnung, der Umhüllung und des räumlichen Übergangs durch entsprechende Perforations- und Schnittverfahren mit einer eigenen Bildhaftigkeit in Einklang zu bringen. Zum Beispiel wurde die transparente Aluminiumfassade der von AAVP Architecture in Zusammenarbeit mit Antonio Virga Architecte entworfenen Résidence André de Gouveia der Cité Internationale Universitaire in Paris durch ein mechanisches Stanzverfahren mit einem besonderen Siebmuster versehen, das ein grafisches Motiv entstehen lässt, welches bewusst auf das traditionelle portugiesische Pflastermuster verweist, das auch hier in der unmittelbaren Nachbarschaft vorgefunden wird. Auf ähnliche Weise bezieht sich die Installation Hairywood von 6a Architects auf ein den Entwurf bestimmendes Bild- und Schnittmotiv – in diesem Fall auf die Locken der Märchenfigur Rapunzel. Die auf der Sperrholzverkleidung der Installation entstandenen Muster und Figuren ermöglichen es nicht nur, das Tageslicht in das Turminnere zu leiten, sondern auch, die Außenverkleidung des Turms als Leichtbaukonstruktion auszuführen. Demgegenüber haben Herzog & de Meuron für das De Young Museum eine Kupferfassade mit einem präzisen Lochmuster versehen, das ein ähnliches Lichtspiel wie das des Sonnenlichts in den Kronen der umstehenden Bäume erzeugt und auf diese Weise die bildhaften Eindrücke der umgebenden Natur als materielle Eigenschaften der Gebäudehülle interpretiert. Insgesamt dokumentieren die folgenden Projekte nicht nur die zunehmende Verbreitung von CNC-gesteuerter Schnitt- und Perforationstechnik in der Architektur, sondern unterstreichen die sich daraus ableitenden Möglichkeiten der architektonischen Gestaltung. So können durch verhältnismäßig einfache Produktionsschritte die möglichen Funktionen und Effekte der Gebäudehülle signifikant gesteigert werden. Auf diese Weise optimieren die verschiedenen Profilschnitt- und Lochmusterverfahren nicht nur die quantitativen, praktischen Aspekte der Gebäudehaut sowie deren wirkungsbezogene Potenziale, sondern versehen auch die Oberfläche mit innovativen Eigenschaften.

Perforieren/Schneiden  47


1

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Hairywood London, Großbritannien; 6a Architects

1 Der periskopartige Turm mit Beobachtungsstand. 2 Das Motiv erweckt Assoziationen mit der Lockenpracht der Märchenfigur ­Rapunzel. 3 Typisches Paneel. 4 Das Muster läuft um die Ecken und ­umfängt den Körper mit einer einheit­ lichen Oberfläche.

Die temporäre Installation Hairywood, 2005 von der Architecture Foundation in London in Auftrag gegeben, erkundet die Verbindungen zwischen Architektur und öffentlichem Raum. Das Projekt ist in Zusammenarbeit des Londoner Architekturbüros 6a Architects mit dem Grafikdesigner Eley Kishimoto entstanden. Es steht am Eingang der Galerien der Architecture Foundation an der Old Street und schafft Abstand zum dichten Straßenleben. Die Sperrholzwände des Turms sind mit einem Muster versehen, das Erinnerungen an Rapunzels Haar aus der Märchenwelt weckt. Das alle Seiten übergreifende Muster wurde mit einem Laser in gewöhnliche Sperrholzplatten

geschnitten und dafür in sechs verschiedene, aneinander anschließende Teilmuster zerlegt (von denen wiederum zwei als zusätzliche Variation umgekehrt wurden). Die märchenhaften Schnittfiguren lassen bei Tag im Inneren des Turms ein lichtes Schattenspiel entstehen und den Gebäudekörper bei Dunkelheit einer Laterne gleichen. Eine Aussichtsplattform auf dem Dach bietet einen „öffentlichen Raum für zwei“. Aus der Sicht der Architekten vereint der Turm eine wirtschaftliche Bauweise und die technische Präzision digitaler Produktionsmethoden mit romantischen Konnotationen von geschütztem Raum und gestaltetem Ort.

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Architekten

6a Architects, London, Großbritannien

Fertigstellung

2005

Bauherr

The Architecture Foundation

Grafikdesign

Eley Kishimoto

Tragwerksplanung

WSP Engineers

Bauträger

John Perkins Projects

Bedruckung

Allan Williams

Laserzuschnitt

Capital Lasers

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1

1 Die Fassadenabwicklung zeigt die sechs verschiedenen Paneeltypen. 2 Der fertiggestellte Turm am Covent Garden. 3 Der Turm dient als Eingangsbereich f체r die inneren Galerier채ume. 4 Treppendetail im unteren Bereich des Turms.

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2

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Hairywood

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Perforieren/Schneiden  67



Schichten Einleitung Herkömmliche mehrschalige Gebäudehüllen erfüllen stets eine Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen. Dies umfasst nicht nur umweltbezogene Funktionen wie Regenschutz und Klimatisierung, sondern auch verschiedene Anforderungen an Sicherheit und Wartung sowie mediale Aspekte. Als sehr frühes Beispiel für eine mehrschichtige Gebäudehülle gilt die in Giengen, Deutschland, im Jahre 1903 erbaute Fabrikhalle für die Firma Steiff. Die dreigeschossige doppelschalige Vorhangfassade regulierte dort nicht nur das Innenraumklima, sondern ermöglichte ebenso einen maximalen Tageslichteintrag. Auch die Moderne experimentierte für größere Projekte mit zweischaligen Gebäudehüllen, wie etwa Le Corbusier in den frühen 1930er Jahren mit seinen Entwürfen für die Cité de Refuge und das Immeuble Clarté in Paris. Heute sind mehrschalige Gebäudehüllen allgemein verbreitet. Zusätzlich zu den funktionalen Eigenschaften verleiht der mehrschichtige Aufbau der Gebäudehülle oftmals eine größere räumliche Tiefe. Diese entsteht aus der gestalterischen und konstruktiven Überlagerung von mehreren oftmals unabhängigen, jedoch aufeinander bezogenen Schichten und den verwendeten Materialien. Die damit einhergehende größere Tiefe der Außenhülle moduliert den Übergang zwischen dem Außen- und Innenraum, macht ihn langsamer, schützt zugleich das Gebäudeinnere und verleiht der Fassadenoberfläche ein vielschichtiges Erscheinungsbild. Viele Fassaden aus diesen Jahren machen sich die Trennung von Innen- und Außenhaut zunutze, um unterschiedliche Wirkungen der Gebäudeoberfläche zu erzeugen – einfache Moiré-Effekte beispielsweise oder durch komplexe Überlagerungen verschiedener Materialien und Muster entstandene Interferenzmuster. Bei den vom Architekturbüro Kumiko Inui geplanten Projekten Dior Ginza und Louis Vuitton Hilton Plaza in Osaka manifestiert sich diese Vielschichtigkeit in einem dünnwandigen Fassadenaufbau, der durch feine Verschiebungen optische Muster erzeugt, welche eine räumliche Tiefe der Au-

ßenhaut simulieren. Im Fall des von Studio M entworfenen Airspace Tokyo weisen die voneinander getrennten Fassadenebenen jeweils unterschiedliche Muster auf, die für eine optische Interferenz zwischen dem öffentlichen Raum und den halb öffentlichen Bereichen im Gebäudeinneren sorgen. In vielen Fällen ist auch der Luftraum zwischen den Fassadenebenen entscheidend. Dieser verstärkt die verschiedenen Eigenschaften der Außenhülle und ermöglicht variierende Zwischenabstände sowie oftmals auch Lichteffekte, welche die Gebäudehülle als einen vielschichtigen, zwischen dem Innen- und Außenraum angesiedelten Organismus erscheinen lassen. Während sich diese Ansätze durch die tatsächlich vollzogene oder vorgetäuschte Überlagerung von materieller Tiefe und Räumlichkeit sowie der sinnlichen Wahrnehmung befassen, setzen sich andere Projekte mit bestimmten Zeichen und Symbolen auseinander, die weniger die materiellen Charakteristika als vielmehr repräsentative Eigenschaften betonen. Dazu gehört beispielsweise die ikonografische Fassadengestaltung der Kunstakademie Sint Lucas von FAT. Mit ihrer Vermischung von Figuren und Mustern verweist die Außenhülle auf historische und gegenwärtige Bezüge, die gemeinsam eine Geschichte über das Gebäude und den Ort erzählen. Auf diese Weise bildet die Auseinandersetzung mit dem sachlichen Kontext die wesentliche Grundlage für die äußere Gestaltung des Projekts. Es entsteht eine formale und zeichenhafte Komplexität, die sich aus vielen, oftmals widersprüchlichen Schichten zusammensetzt. Für viele Projekte in diesem Kapitel bietet die Vielschichtigkeit der Gebäudehülle die Gelegenheit, neue Materialkonzepte und erweiterte Ausdrucksmöglichkeiten zu erforschen. Obwohl sich die hier gezeigten Gebäudehüllen in ihrer räumlichen Wirkung stark unterscheiden, verfolgen sie alle das Ziel, die aus der Überlagerung von Oberfläche, Raum und Zeichen erzeugten Effekte in einheitliche und übergreifende entwurfliche Konzepte einzubinden.

Schichten  81


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Louis Vuitton Hilton Plaza Osaka, Japan; Office of Kumiko Inui

1 Ansicht der hinterleuchteten Fassade bei Nacht. 2 Fassadenaufbau. 3 Die verschiedenen Fassadenschichten.

Das für den Louis Vuitton Store in Osaka vom Tokioter Architekturbüro Kumiko Inui entwickelte Fassadenkonzept ist als Nachrüstung für eine bestehende Vorhangfassade angelegt. Die dem Bahnhof von Osaka zugewandte Fassade wurde durch eine Konstruktion aus mehreren Schichten mit 60 cm Gesamtstärke ergänzt. Diese liegt hinter einer äußeren Glashaut in vertikaler Flucht zu der darüber ansetzenden Fassade des Gebäudekomplexes. Die vertiefte Fassade wurde mit einem Gitternetz aus Edelstahl ausgeführt, das mit einer bedruckten, nahezu durchsichtigen Folie hinterlegt ist. Die Linien des Edelstahlgitters verstärken das Rautenmuster der bedruckten

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Folie und erinnern an das Firmenlogo von Louis Vuitton. Reflektiert und gebrochen in den hochglanzpolierten Oberflächen des Stahlgitters, interagieren die immateriellen Linien der bedruckten Folie mit dem materiellen Gitter – ein Spiel mit der Wahrnehmung, das nur gelegentlich von scheinbar schwebend hineingesetzten Vitrinen unterbrochen wird. Die vertraute typografische Gestalt des Firmenlogos wird in ein grafisches Gesamtsystem und eine materielle Struktur überführt, auf einer architektonischen Oberfläche, die zwischen materiellen und immateriellen, zwei- und dreidimensionalen Erscheinungen oszilliert.

3

Architekten

Office of Kumiko Inui, Tokio, Japan

Fertigstellung

2004

Fassadengestaltung

Office of Kumiko Inui

Tragwerksplanung

Space and Structure Engineering Workshop

Innenarchitektur

Louis Vuitton Malletier and Higo Design Associates

Konstruktionsplanung

Tekenaka Corporation and Takashimaya Space Create

Schichten  101


1

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1 Das Muster der Fassade wird nur von scheinbar schwebend hineingesetzten Vitrinen unterbrochen. 2 In der Schrägansicht verschwindet das diagonale Stahlgitter hinter der reflektierenden Glasschicht.

Louis Vuitton Hilton Plaza

Schichten  103



Formen/GieSSen Einleitung In der heutigen Architektur werden bei der ornamentalen Gestaltung häufig Fertigungsmethoden angewendet, die sich auf Guss- und andere Formungsprozesse verformbarer Materialien stützen. Zum Teil ist die zunehmende Verbreitung von Guss- und Formverfahren der Tatsache geschuldet, dass durch die Wiederholung und Modularität einzelner Elemente besonders wirtschaftliche Vorfertigungs- und Produktionsprozesse möglich werden. Während standardisierte Verfahren traditionell diversen Einschränkungen unterliegen, ­verspricht die zunehmende Flexibilität von Guss- und Formtechnik vielfach verbesserte technologische und konzeptionelle Umsetzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Dies beginnt bei den Thermo- und Vakuumformtechniken und reicht bis zum aktuellen Superforming- und Spritzgussverfahren. Seit einigen Jahren erlaubt die auf diese Weise gewonnene Flexibilität bei der Herstellung individueller Gusselemente die Realisierung von geometrisch komplexen Oberflächen und Elementen. Die vielleicht eindrucksvollsten Ergebnisse werden erzielt, wenn die individuell gefertigten, entweder identischen oder unterschiedlichen Einzelteile zu einem größeren Verbund zusammengefügt werden und dabei vielfältige Oberflächen, Muster oder Ornamente entstehen. Innerhalb dieser Anordnungen bleiben die einzelnen Elemente, falls sie überhaupt als solche identifiziert ­werden können, dem Gesamtverbund untergeordnet. Gleichzeitig entstehen ­dabei Muster und Figuren, die kaum Rückschlüsse auf die benötigten Her­ stellungs- und Aufbauschritte zulassen. Andere Beispiele zeigen, dass die ornamentale Gestaltung aber auch in den materiellen und strukturellen Eigenschaften der einzelnen Bauteile liegen kann. Hier entsteht eine systematische Ornamentik, die aus der Wiederholung von Einzelteilen und Anordnungsmustern stetig wachsende Felder und Oberflächen erzeugt. Die Form- und Gusstechniken waren in der Vergangenheit von den verschiedenen Guss- und Formvorlagen abhängig, vorzugsweise solchen, die wiederverwendbar oder günstig herzustellen waren. Demgegenüber haben aktuelle Form- und Gussverfahren von der zunehmenden Verbreitung digitaler Fertigungsmethoden profitiert, sodass heutzutage viele Architekten in der Lage sind, mit maßgefertigten Gussformen zu arbeiten, die mittels computergestützter Steuerung aus Schaumstoff, Holz und Metall gefräst werden und die deshalb verschiedene Materialien und ungewöhnliche Gestaltungsformen in

das Gussverfahren einzubringen erlauben. Zum Beispiel illustriert das Büround Fitnesscenter von Rüdiger Lainer + Partner Architekten die handwerkliche Herstellung individueller Gussformen, welche die serielle Fertigung selbst­ ähnlicher Aluminiumpaneele ermöglichen. Dies ist auch bei dem von Lyons Architects entworfenen Mornington Center der Fall, bei dem durch die Kombination von herkömmlichen mit individuell angefertigten Ziegelsteinen ein abwechslungsreiches Fassadenmuster entsteht, welches Erinnerungen an regionale Holzkonstruktionen weckt. Der direkte Zugriff auf die Gestaltung der Formteile und der individuellen Gussformen für die Ziegelsteinproduktion versetzte die Architekten in die Lage, bei der Gebäudefassade ein Höchstmaß an Vielfalt und materieller Differenzierung zu erreichen. Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgten Herzog & de Meuron mit ihrem Projekt 40 Bond Street. Sie überführten zweidimensionale Graffitizeichnungen aus der New Yorker Innenstadt in dreidimensionale Liniengrafiken, die die Basis für den Entwurf der Umzäunung der in den unteren Geschossen befindlichen Wohnungen bildeten. Anschließend wurden diese aus gefrästen Schaumstoffformteilen in Aluminiumguss gefertigt. Die einzelnen Gussteile wurden in die großflächige und kontinuierliche Gesamtform der Einzäunung integriert, die zugleich komplex und kleinteilig erscheint. Demgegenüber versuchten Hild und K Architekten mit ihrer Fassadensanierung in Berlin die geschichtlichen Spuren des historischen Wohnhauses buchstäblich in die neue Putzfassade einzuprägen. Mit dem entstandenen Flachrelief wurden die Unterschiede zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht nur sichtbar gemacht, sondern so inszeniert, als ob diese bereits zum ursprünglichen Entwurf und Bau gehört hätten. Die Beispiele in diesem Kapitel zeigen eine Vielzahl ornamentaler Gestaltungen, die aus unterschiedlichen Form- und Gusstechniken entstanden sind. Sie erzielen Modulationen der Oberfläche und der Gestalt mit prozessualen und konzeptionellen Mitteln. Diese Projekte profitieren nicht nur von den technischen Errungenschaften avancierter Fertigungsmethoden für die Herstellung spezieller Guss- und Formteile, sondern präsentieren ein breites Spektrum an Ansätzen, welche sich die Eigenschaften und formalen Gestaltungsmöglichkeiten der Einzelelemente und des Gesamtverbundes zunutze machen und ein Höchstmaß an Vielfalt und Differenzierung erzeugen.

Formen/GieSSen  111


1

1 Das schattige Innere bietet eine Aufenthaltszone f체r die wartenden Zugg채ste. 2 Dachuntersicht gegen den Himmel.

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Shin-Yatsushiro-Monument Yatsushiro, Präfektur Kumamoto, Japan; Office of Kumiko Inui

3 Blick durch das Dach in den Himmel. 4 Die einfache Grundform wird durch die scharfen Kanten fragmentiert und durch die Guss-Ornamentik aufgelöst. 5 Die Ansicht zeigt im Rahmen einer vertrauten Wohnhaustypologie die Projektion des allumfassenden orthogonalen Musters im Wand- und Dachbereich.

Das Shin-Yatsushiro-Monument wurde im Jahr 2004 anlässlich der Eröffnung des benachbarten Hochgeschwindigkeits-Bahnhofs realisiert. Dem ländlichen Raum fehlt es hier an prägnanten Merkmalen, auch der Bahnhof selbst passt mit seiner urbanen Erscheinung nicht recht zum offenen und weitläufigen Landschaftsbild. So entwickelte das in Tokio ansässige Architekturbüro Kumiko Inui ein Objekt, das eine Vermittlerrolle zwischen Bahnhof und Umgebung einnehmen soll. Ausgehend von der Form des traditionellen Wohnhausfensters, basiert der Entwurf auf einem unregelmäßigen Muster aus sieben verschiedenen Rechtecken, das in

3

7 cm starke, glasfaserverstärkte Wand- und Dachelemente aus Beton gegossen wurde. Das Muster der Fensteröffnungen bestimmt das Licht- und Schattenspiel innerhalb und außerhalb des umschlossenen Volumens, das sich bei Annäherung aufzulösen scheint. Obwohl zunächst funktionslos, wurde das kleine Gebäude bald als Aufenthaltszone der wartenden Zuggäste genutzt. Neben den benachbarten Einfamilienhäusern macht es einen vertrauten ­Eindruck, der aber von den harten Linien und dem abstrakten Oberflächenmuster vollkommen auf den Kopf gestellt wird.

4

Architekten

Office of Kumiko Inui, Tokio, Japan

Fertigstellung

2004

Tragwerksplanung

Space and Structure Engineering Workshop

Konstruktionsplanung

Yonemoto

5

Formen/GieSSen  149



Stapeln/Kacheln Einleitung Modulare Strukturen stellen eines der ältesten tektonischen Prinzipien dar. Sie bieten den Vorteil hoher Wirtschaftlichkeit, der sich aus der Massenproduktion und dem Zusammensetzen einzelner Elemente zu einem größeren Verbund ergibt. Besonders die tektonische Struktur des einfachen Ziegelverbandes macht dies deutlich: Die standardisierte Anordnung von ähnlichen oder identischen Ziegelsteinen erhöht die Belastbarkeit und vergrößert die Fläche. Daraus ergibt sich ein tektonisches System, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile und das Konstruktion oder Umhüllung in ihrer Gesamtheit bestimmt. Obwohl die Logik derartiger Bauprinzipien durch das Prinzip der Wiederholung einzelner Elemente bestimmt ist, ermöglichen diese Systeme doch ein gewisses Maß an Differenzierung, das sich aus der Variation der Einzelteile oder der Verbindungstechnik ableitet. Für den Entwurf des Spanischen Pavillons für die Weltausstellung 2005 entwickelten Foreign Office Architects beispielsweise ein standardisiertes Wandsystem, das aus einem hexagonalen Verbund eine variable Fläche bildet. Ausgehend von einem Grundmodul aus sechs unterschiedlichen keramischen Elementen bildeten sie ein Fassadenmodul, dessen einheitliche Außenform durch die individuelle Anpassung der hexagonalen Einzelelemente in ihrem gemeinsamen Schnittpunkt zustande kommt. So erhält jedes Fassadenmodul in der Mitte ein hohes Maß an Differenzierung, während die immer gleiche Außenform eine immer gleiche Stapeltechnik und damit eine kontinuierliche Oberflächenstruktur der Gebäudefassade ermöglicht. Auf diese Weise wird in kleinem und großem Maßstab der Eindruck eines Variationsreichtums erzeugt, und eine scheinbar zufällige Anordnung der Fassadenmodule prägt die Gebäudehülle. Die verschiedenen Stapel- und Kachelsysteme können auch durch die Anordnungen und Muster von ansonsten identischen Einzelteilen formal differenziert und abwechslungsreich gestaltet werden. Die Funktion wie auch die Wahrnehmung des Gesamtsystems werden durch Veränderung der charakteristischen Parameter wie Positionierung, Ausrichtung oder Verteilung einzelner Elemente manipuliert. So entwickelten SHoP Architects mit ihrem Projekt 290 Mulberry Street eine individuell angepasste Fassadengrundplatte, die es

ermöglichte, die vorgeblendete Ziegelsteinmauer wellenförmig über die gesamte Gebäudefassade laufen zu lassen. Die besondere Verformung der Gebäudehülle, kontrolliert durch digitale Modellierung eines parametrischen Oberflächenmodells, wurde vor allem durch die flexible Anordnung standardisierter Ziegelelemente erzeugt, die als Baureihe vorgefertigter Fassadenpaneele fabriziert wurden. Vollständig zusammengesetzt, besitzt die auf diese Weise modulierte Fassadenoberfläche vielfache farbliche Wirkungen, die aus der individuell veränderten Anordnung einheitlicher Einzelelemente entstanden sind. Neben der innovativen Fertigungs- und Produktionstechnik wurden durch algorithmische Logik auch die digitalen Werkzeuge zur Modellierung komplexer Muster fortentwickelt. Bei der Fassade des Liberal Arts and Science College von Coelacanth and Associates etwa werden Variation und Differenzierung durch die Wiederholung einheitlicher, nicht-periodischer Muster hervorgebracht. Die Einheiten bestehen aus irregulär geformten, ansonsten jedoch baugleichen Einzelteilen, die durch geometrische Wiederholung eine abwechslungsreiche Umhüllung des Gebäudes erzeugen. Die Basis bildet ein Grundmodul aus drei unterschiedlichen Elementen, einem Rechteckelement und zwei diamantförmigen Fassadenplatten. Die geometrische Form des Grundmoduls erzeugt jeweils einzigartige, spiralförmige Modulanordnungen auf der Außenhaut des Gebäudes, deren unregelmäßige Geometrie und komplizierte Eindeckung eine kontinuierliche und gleichzeitig differenzierte Fassade entstehen lassen. Dabei bleibt die Geometrie des einzelnen Fassadenelements erkennbar und verweist auf den Aufbau der gesamten Gebäudehülle. Obgleich die Prinzipien des Stapelns und Kachelns grundlegend auf der Wiederholung baugleicher Einzelelemente basieren, zeigen die aktuellen Beispiele weitgehende Variationsmöglichkeiten im Rahmen standardisierter Fertigungssysteme. Die im Folgenden vorgestellten Projekte machen deutlich, wie durch Veränderung einzelner Bauelemente oder deren Anordnung Oberflächenmodulationen entstehen, die zugleich kontinuierlich und differenziert, repetitiv und variationsreich erscheinen.

Stapeln/Kacheln  155


1

178


Fassade Weingut Gantenbein Fläsch, Schweiz; Gramazio & Kohler in Zusammenarbeit mit Bearth & Deplazes In dem neuen Betriebsgebäude sollten die verschiedenen räumlichen Anforderungen des kleinen Weinguts Gantenbein neu zusammengefasst werden. Dazu gehören große Gärräume zur Traubenaufbereitung, ein Keller zur Lagerung der Weinfässer und eine Dachterrasse für Verkostungen und Empfänge. Während die Grundstruktur des Gebäudes von Bearth & Deplazes aus einer einfachen Betonskelettkonstruktion besteht, entwickelte das Zürcher

1 Das Gebäude in der ländlichen Weinbaugegend vor dem Hintergrund der Berge. 2 Die Teilpaneele werden mit Hilfe eines Roboterarms zusammengesetzt. 3 Detail der Backsteinanordnung. 4 Typisches Teilpaneel.

2

Büro Gramazio & Kohler für die Fassade eine Ausfachung, die Temperaturschwankungen ausgleichen und den Sonnenlichteinfall in den Gärraum dämpfen kann. Mit Hilfe einer digital gesteuerten, automatischen Herstellungstechnik, die Gramazio & Kohler an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich entwickelten, wurden 20 000 Backsteine in 72 Wandelementen entsprechend vorprogrammierter Parameter wie Ausrich-

3

4

Architekten

Gramazio & Kohler, Zürich, Schweiz, in Zusammenarbeit mit Bearth & Deplazes, Chur, Schweiz

Fertigstellung

2006

Bauherr

Marta und Daniel Gantenbein

Planung

Tobias Bonwetsch (Projektleiter), Michael Knauss, Michael Lyrenmann, Silvan Oesterle, Daniel Abraha, Stephan Achermann, Christoph Junk, Andri Lüscher, Martin Tann

Tragwerks- und Konstruktionsplanung

Jürg Buchli, Haldenstein

Fassadenelemente

Gramazio & Kohler, Architektur und Digitale Fabrikation, ETH Zürich; Keller AG Ziegeleien

Stapeln/Kacheln  179


1

1 Ein fertiggestelltes Teilpaneel wird an seinen Platz gesetzt. 2 Das Tragwerk und das aus den Mauerausfachungen hervortretende Bild von großen Trauben nehmen den Dialog mit den umliegenden Weinbergen auf. 3 Blick in den Gärraum.

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2

tung und Abstand der Backsteine angeordnet. Der Abstand der Steine voneinander wurde so gewählt, dass indirektes Licht in den Raum einfällt, wobei PolykarbonatVerkleidungen den Innenraum vor Wind und Regen schützen. Jeder Stein reflektiert das Sonnenlicht anders in Abhängigkeit vom jeweiligen Winkel zur Fassade, sodass die Gebäudeoberfläche aus weiter Entfernung wie gepixelt erscheint – ein Effekt, den die Architekten mit einer

symbolischen Darstellung der Hauptressource des Weingutes, der Weintraube, ausgestalteten. Das Wechselspiel zwischen der bildhaft nach außen gestellten Funktion des Gebäudes und dem materiellen Aufbau der Außenhülle wird mit wechselnder Intensität deutlich, wenn sich der Betrachter um das Gebäude bewegt; man erlebt, wie die Wahrnehmung zwischen Ausdruckshaftigkeit und reiner Materialpräsenz oszilliert.


3

Fassade Weingut Gantenbein

Stapeln/Kacheln  181


1

1 Der ungewöhnliche Wandaufbau erzeugt Lichteffekte im Gebäudeinneren. 2 Außenansicht der Fassade.

182


2

Fassade Weingut Gantenbein

Stapeln/Kacheln  183


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