Urban Recycling

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Von Migranten bewohnte Stadtteile gelten oft als ‚Ghettos‘ oder ‚Parallel­ gesellschaften‘. Die kritische Migrationsforschung verlangt einen ent­schie­ denen Perspektivenwechsel: Es geht darum, den konstitutiven Zusammenhang von Migration und Urbanisierung endlich zur Kenntnis zu nehmen und den Beitrag der Einwanderer zur (Wieder-)Belebung von Stadtquartieren anzuerkennen.

Erol Yildiz Birgit Mattausch (Hg.) Urban Recycling Migration als Großstadt-Ressource

Yildiz/Mattausch (Hg.)  Urban Recycling

ISBN   978-3-7643-8804-1

Bauwelt Fundamente

Birkhäuser

Stadtforschung/ Stadtpolitik



Erol Yildiz Birgit Mattausch (Hg.)

Urban Recycling Migration als Großstadt-Ressource

Bauverlag Gütersloh · Berlin

Birkhäuser Basel · Boston · Berlin


Inhalt

Gerd Baumann Stadt und Migration: Herz und Kreislauf Statt eines Vorworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     8 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    12 Birgit Mattausch Die Bronx im Kopf Ein Mythos und die Kultur der Urbanität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    22 Leon Deben / Jacques van de Ven Fünfhundert Jahre Erfolg durch Immigration Eine kurze Chronik Amsterdams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    42 Holger Floeting Selbständigkeit von Migranten und informelle Netzwerke als Ressource für die Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    52 Robert Pütz Perspektiven der „Transkulturalität als Praxis“ Unternehmer türkischer Herkunft in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    63 Michel Peraldi Marseille: der Geist der Krise und die Ökonomie des Basars . . . . .    82 Erol Yildiz „Als Deutscher ist man hier ja schon integriert.“ Alltagspraxis in einem Kölner Quartier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   100 Katrin Gliemann /Gerold Caesperlein Von der Eckkneipe zur Teestube Urbaner Wandel im Alltag: Dortmund-Borsigplatz . . . . . . . . . . . . .   119 6


Angela Stienen Einst „die Bronx von Bern“ Die andere Logik sozialräumlicher Segregation . . . . . . . . . . . . . . . .   137 Detlev Ipsen /Holger Weichler Vielfalt als Stärke: Kulturelle Cluster in Toronto . . . . . . . . . . . . . . .   159 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   174

„Tante Emma ist jetzt Onkel Ali“ – türkische Konditorei mit Imbiß in Köln, Foto © Erol Yildiz

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Gerd Baumann

Stadt und Migration: Herz und Kreislauf Statt eines Vorworts Wie komme ich durch das Stadtthor? […] Ich verlernte es, ein Zwerg zu sein. Friedrich Nietzsche, Nachlaß 1883

Als der Plan für dieses Buch in meinen Briefkasten flog, war ich sofort Feuer und Flamme. Daß Migration das Wesen der Stadt ist, wissen wir von Ur und Babel seit 5000 Jahren. Und daß etablierte Städter oft ihre Stadttore verriegeln, um ihren Besitzstand zu schützen, wissen wir, seitdem es Nationalstaaten im (ehemals) modernen Sinn gibt, je nach Region zwischen 500 und 50 Jahren. Eine Dialektik der Stadt gibt es, seit es Städte gibt; sie wurde überall schärfer, sobald sich Städte in Nationalstaaten spiegeln wollten. Dann fürchtete man den ‚Turm von Babel‘. Trotzdem ist dieser Prozeß der Urbanisierung oft dialektisch geblieben, manchmal sogar dialogisch geworden, denn Städte brauchen nicht nur alte Venen, sondern auch neue Arterien, wenn sie überleben wollen – ehe­ malige Städte gibt es genug: als ‚romantische‘ Städtchen in Reiseführern für Nostalgiker. Wenn also die lebende Stadt anlockt und zugleich immer ausschließt, dann hängt dies mit der inneren Dynamik der Migration zusammen. Ärmere Städter und Migranten suchen Arbeit, reichere Migranten bringen sozia­ les und ökonomisches Kapital, und zwischen beiden können sich außer­ gewöhnliche Prozesse entwickeln, die es ohne Migration nicht gäbe: Einerseits kommt es zu erneuernden Formen der Unternehmerschaft – oft transkulturell oder transnational geprägt –, andererseits zu einem ‚trickledown‘-Effekt, wie es ihn in Städten wie in Staaten ohne Migration niemals gäbe. Die erste Dynamik ist evident: Alle erfolgreichen Städte haben ihre sinnbildlichen Hugenotten und ausländischen Pioniere, oftmals Flüchtlinge 8


mit besonderem sozialen, kulturellen oder technologischen Kapital. Als erstes Beispiel aus eigener Erfahrung sei Kadugli genannt, die Hauptstadt der Nubaberge im Sudan. Als ich 1976 ankam, bestand Kadugli aus fünf armseligen Dörfern mit ein paar Läden, die sich als arabischer Markt (suq) tarnten. Als ich 1979 das Land verließ, hatte die Immigration von daheim stigmatisierten, aber transnational vernetzten Unternehmern aus Oberägypten Kaduglis Dörfer in eine ‚Wild West Boom Town‘ verwandelt: Die ersten geteerten Straßen wurden bald mit Hilfe privater Dieselgeneratoren elektrisch beleuchtet, und man erfand neben der alten Pilgerherberge auch den ersten ‚Saloon‘ und sogar eine Art Restaurant. Aus dem Umland zog es binnen dreier kurzer Friedensjahre beinahe 20.000 Migranten in die werdende Stadt von zunächst 5.000 Einwohnern, wo man den Hunger der Dörfer durch Teilzeitjobs lindern konnte. Die zweite Dynamik freilich fehlte: Der von Neoliberalen angepriesene ‚trickle-down‘-Effekt scheiterte an staatlich erzwungenen eisernen ethnischen Grenzen. Dennoch gibt es diesen Effekt in anderen sich ent­ wickelnden oder wiedererstehenden Städten, wenn auch oft nur innerhalb ethnischer Grenzen. Die ehemalige Stadt Southall (60.000 Einwohner), eingemeindet als Londons dichtest besiedelte und ärmste Vorstadt, war um 1955 ein ruiniertes Elendsviertel, aus dem Tausende auf Kosten des britischen Gesundheitsministeriums umgesiedelt wurden. Just zwischen 1952 und 1982 wurde Southall jedoch durch Immigrationen aus Indien und Pakistan zur ,Asian Capital of Britain‘. 1993, am Ende meines siebenjährigen Aufenthalts, meldeten die Läden auf dem Southall Broadway dem Finanzamt (sic!) einen Umsatz pro Quadratmeter, der nur von Londons kosmopolitaner ‚shopping mile‘ Oxford Street übertroffen wurde. Ironischerweise ist der Southall Broadway eine geographische Verlängerung der Oxford Street. Man könnte sie beinahe umkehren; aber die zweite Dynamik ist wichtiger. Der von rechtslastigen Ökonomen oft beschworene, aber niemals auch nur ansatzweise bewiesene ‚trickle-down‘-Effekt wirkt tatsächlich, wenn es gelingt, inter-ethnische Grenzen durchlässig zu machen und intraethnische Solidaritäten zu respektieren. Ersteres macht die Konsumgesellschaft von selbst: „Wenn du frisches Gemüse willst, dann geh zum Türken“, sagen auch Alt-Amsterdamer, um den einheimischen Treibhaus­ tomaten zu entkommen. Mein Lieblingsbeispiel für urbanen Geschmack ist Frau Mohamed, die mir beim Kochen eines surinamischen Currys zurief: „Gerd, mach die Fenster auf, die Nachbarn müssen auch mal was Gutes riechen!“ 9


Little Italy in the Bronx – „The Good Taste of Tradition“, Arthur Avenue, Foto © Birgit Mattausch

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Oben: Der Künstler Daniel Hauben lebt und arbeitet in der Bronx. Unten: „Young Boy Selling Fruit“, Öl auf Leinwand, 1995, Fotos © Daniel Hauben

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Türkisches Aussteuer-Geschäft in Berlin-Neukölln, Foto © Gerda Heck

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Oben: „Europa-Imbiss“ in Berlin-Kreuzberg, Unten: „El Salam Orient Café“ in Berlin-Kreuzberg, Fotos © Gerda Heck

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Und das jenseits jeglicher institutioneller Kontrolle, direkt vor der Nase des Staates und der Honoratioren, und, ob es den paranoiden Warnern gefällt oder nicht, unabhängig von Cliquen, Banden und mafiösen Vereinigungen religiöser, politischer oder wirtschaftlicher Art. Die Unternehmer und die Ladeninhaber, die informellen Notare und die „Ameisen“, die diesen Markt organisieren, erfinden das europäische Handelsreich aufs neue, aber dies ist ein Reich ohne Herrscher, ohne Einheimische, ohne Kolonisten, geglättet und befriedet allein durch die „unsichtbare Hand des Marktes“. * Zuerst erschienen unter dem Titel „Der Geist der Krise“ in Heft 24/1998 der Stadtbauwelt. Aus dem Französischen von Gabriele Krüger. Die von den Herausgebern leicht gekürzte Fassung erscheint im vorliegenden Band mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Hammam in Marseille-Belsunce: „Tout Confort“, Foto © Leslie Dema

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Aufstieg auf eigene Rechnung

Slimane, Sohn eines Bauarbeiters, hat nach äußerst mittelmäßiger schulischer Laufbahn sehr früh die Schule aufgegeben. Sein Vater, mit den Kreisen der Mächtigen in Algerien liiert, machte dort Umsätze im Transithandel, die den bescheidenen Handel der „Ameisen“ weit übertreffen. […] Von seiner Kindheit an begann Slimane zusammen mit seinem Vater zu arbeiten: „Seit meiner Kindheit schickt mich mein Vater in die Siedlung und auf den Flohmarkt, um die Waren zu verkaufen, die sein Chef (eigentlich sein Lieferant, ein Grossist in Belsunce) ihm gab. Im Gegenzug machte mein Vater unbezahlte Überstun­den. Der Chef gab uns Kleidung, Pralinen, Kaugummi.“ Nachdem er die Schule verlassen hat, tritt Slimane als Lagerist in den Betrieb des Grossisten ein, eines sephardischen Juden: „Es war, als gehörte ich ihnen. Ich war ihnen ausgeliefert. Ich arbeitete nicht wie alle anderen 39 Stunden pro Woche, sondern 60 Stunden. Unter dem Vorwand, ich sei der einzige ordentlich Angemeldete, mußte ich alles machen. Er rief mich regelmäßig nachts an, damit ich Ware ablade, den Lastwagen hier oder dorthin fahre. Das war zuviel.“ Slimane verläßt seinen Chef auf der Grundlage einer gütlichen Einigung: Der Grossist liefert ihm Waren auf Kredit, die Slimane auf eigene Rechnung auf den Märkten oder in den Sozialsiedlungen weiterverkauft. […] Zwar kennt Slimane jeden in den Nachbarsiedlungen, doch lebt er dort nicht, und auf dieser ‚vertrauten Fremdheit‘ bauen seine Geschäfte auf. Er vertreibt ausschließlich Markenkleidung (Chevignon, Timberland, Lacoste), die er sich entweder beim Grossisten besorgt

oder äußerst vorsich­tig bei den Netzen von Werftarbeitern und Spe­diteuren, die die Entwendung von Waren am Hafen organisieren. Er verkauft sie dann in kleinen Mengen an Vertrauenskundschaft weiter. Lassen wir ihn selbst zur Organisa­tion seiner Geschäfte zu Wort kommen: –  Warum gehst Du in den Siedlungen verkaufen? –  Viele Menschen, die hier zusammenwohnten, sind in diese Siedlungen umgezogen. Ich kenne viele Leute in den Siedlungen, wir sind zusammen aufgewachsen. Für mich ist das besser, die Siedlung ist meine Welt, ich bin dort zu Hause, ich wohne aber nicht dort, ich wohne nebenan […]. –  Wie hast du dir deine Kundschaft aufgebaut? –  Anfangs war das schwer. Ich habe in jedem Haus an allen Türen geklopft. Mehr als einmal ist mir die Tür vor der Nase zugeschlagen worden. Schrittweise habe ich mir einen Kundenstamm aufgebaut, und jetzt sind es immer dieselben. Ich habe fünfzehn regelmäßige Kunden, dreißig unregelmäßige und etwa fünfzig, die gelegentlich etwas kaufen. –  Verkaufst du gegen Barzahlung oder gibst du Kredit? –  Ich werde selten cash bezahlt. Der deal zwischen den Kunden und mir ist, daß sie bezahlen, wann sie wollen. Einige haben nie bezahlt, ich vergesse sie nicht. Wenn sie mich sehen, schleichen sie an den Hauswänden entlang. Einige wollen mehr Ware, ich verkaufe sie ihnen, sie zahlen aber bar. Ich klage nie das Geld ein, das mir geschuldet wird. Ich schenke es, aber ich vergesse nicht. Vor lauter Vertrauen gegenüber den Leuten bin ich mißtrauisch geworden. Jetzt mache ich es wie die Polizei, an allen Grenzen wird kontrolliert. Jeder Geschäftsmann muß

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Arbeiter- und heutige Einwanderungsstadtteile, vor allem innenstadtnahe Altbauquartiere, hatten seit jeher einen schlechten Ruf. Dem im erwähnten Forschungsprojekt untersuchten Borsigplatzviertel in der Dortmunder Nordstadt (vgl. Kasten) beispielsweise wurde anfangs als Neben­effekt einer Spekulation in Stahl und Kohle keine Zukunft gegeben. Daher griff auch die Stadt zunächst nicht steuernd in die Entwicklung ein. Der Stadtteil wurde planlos und eng bebaut, Straßenbefestigung und Kanalisation gab es nicht, so daß die hygienischen Zustände zeitweise katastrophal waren. Dies wurde natürlich auch von den alteingesessenen Dortmundern registriert und entsprechend kommentiert. Als der wirtschaftliche Erfolg in der Nordstadt einsetzte, wurden die besserverdienenden Einwanderer neidisch beäugt (vgl. Horstmann 1989, 62), aber niemals als gleichwertig akzeptiert. Meist wurde eine Gruppe zur Stigmatisierung des gesamten Viertels ausgewählt (‚Pollackendrehscheibe‘, ‚Klein-Istanbul‘.) In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts fiel eine wichtige Vorentscheidung für die heutige Situation: Es begann der Exodus der Facharbei-

Das Borsigplatzviertel in Dortmund Das Borsigplatzviertel ist Teil der Dortmunder Nordstadt; trotz der Innenstadtnähe ist es durch seine Lage zwischen Bahndämmen und Werksflächen jedoch relativ isoliert. Ende 2007 lebten rund um den Borsigplatz (Statistischer Unterbezirk Westfalenhütte) 11.246 Menschen, davon nach offizieller Zählung 44 Prozent ohne deutschen Paß. Seit seiner Gründung im Jahr 1870 ist der Stadtteil Ziel von Einwanderung aus dem In- und Ausland. Anfangs zögerlich, ab 1895 binnen eines Jahrzehnts jedoch vollständig bebaut, war das Viertel im Schatten eines großen Montankonzerns stets Anlaufstelle für Arbeits­suchende – zuerst aus der näheren Umgebung, aus Westfalen und Nordhessen, später aus ganz Deutschland und dem heutigen Polen. Unter den Nazis mußten Tausende von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern den Werkbetrieb aufrechterhalten. Ab Mitte der sechziger Jahre begann die Einwanderung aus den klassischen Anwerbeländern ins Viertel. In der jüngsten Vergangenheit gibt es keine einheitlichen Trends mehr – neben dem Nachzug Angehöriger kamen auch neue Flüchtlinge und Einwanderer aus den verschiedensten Staaten.

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Der Borsigplatz gehört zu den wenigen Schmuckplätzen Dortmunds, die Ende des 19. Jahr­hunderts nicht nur geplant, sondern auch verwirklicht wurden. Geprägt ist er durch die teils historische Bausubstanz und die sechs sternförmigen Zufahrtsstraßen. Foto © Gerold Caesperlein, Katrin Gliemann

terschaft in angesehenere Stadteile. Sie profitierte vom Wirtschaftswunder weit stärker als die noch mit der Beseitigung der Bombenschäden an ihren Gebäuden beschäftigten Haus- und Geschäftsbesitzer. Die Abwanderung – was den Wert des Viertels betraf, gleichsam eine Abstimmung mit den Füßen – machte erst den Weg frei für den Zuzug von Arbeits­ kräften aus den Anwerbeländern. Die Einwanderer trafen damit auf Einheimische, deren Status bröckel­te, waren sie doch die Verbliebenen, die sich einen Wegzug nicht leisten konnten. Ihr Ansehen und das des Viertels sanken weiter durch den öffentlich als negativ bewerteten Zuzug von Migrantinnen und Migranten. Anfangs konnten die Alteingesessenen ihnen noch die Außenseiterrolle zuweisen und sie auf einen Verhaltenskodex verpflichten. Spätestens in den achtziger Jahren gelang auch dies nicht mehr; der Zusammenhalt der Einheimischen durch Wegzug und Überalterung erodierte. Wesentliche sozia­le Netzwerke der Alteingesessenen büßten ihre Funktion und ihre Rolle ein: – Mehr als drei Viertel der Läden mußte schließen, wodurch auch eine Basis für die soziale Kontrolle über alltäglichen Klatsch und wirtschaftliche Kontrolle über Kleinkredite und enge Kundenbindung verlorenging. 123


der kosmo­politischen Metropolen der Welt.6 Die Hälfte aller Einwohner Torontos ist nicht in Kanada geboren und 47 Prozent gaben bei der letzten Umfrage im Jahre 2006 an, daß ihre Muttersprache eine andere als Englisch oder Französisch sei.7 Kulturelle Komplexität, wie wir sie in Toronto ausgeprägt finden, kann für die Entwicklung einer Stadt problematisch oder produktiv sein. Eine hohe Kriminalitätsrate kann ein Zeichen für eine problematische Entwicklung sein, ebenso die sozialräumliche Abschottung einzelner kultureller Gruppen, die isoliert nebeneinander leben. Kommt es aber zum Austausch von Wissen, Leistungen und Gütern, wird die Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Kultur gestärkt, die Lebensqualität in einer Stadt steigt. Orte der Kulturen Für jeden Besucher der Stadt sichtbar, äußert sich ihre Weltoffenheit in zahlreichen kulturell geprägten Stadtteilen oder Straßenzügen, die in der Regel auch offensiv mit ihrem Charakter werben. Eine Gruppe stellt die Mehrheit der Bewohner einer Nachbarschaft, Geschäfte, Restaurants, institutionelle Einrichtungen und religiöse Stätten der verschiedenen Kulturen prägen unübersehbar und auf vielfältige Art und Weise den Stadtraum. Little Italy, zwei Chinatowns, GreekTown, Koreatown sind Beispiele solcher kulturell geprägter Stadträume, die wir im weiteren als kulturelle Cluster bezeichnen. In Toronto gibt es kulturelle Cluster, die ganz unterschiedliche Entstehungsgeschichten haben und sich in ihrer Größe und ihrer Gestalt vielfältig ausdrücken. Die kulturelle Prägung geschieht über gebaute oder applizierte Zeichen und Symbole, die Werbung oder die Schriftzüge der Geschäfte und Geschäftsinhaber in der jeweiligen Muttersprache oder über die Waren selbst. Manchmal sind es den Stadtraum charakterisierende kleine Elemente, die Hinweise auf die kulturelle Zugehörigkeit geben, wie die sogenannten A-Frames, Werbetafeln auf den Bürgersteigen, die sich gehäuft im chinesischen Viertel finden. Manchmal sind Prägungen in der baulichen Struktur der Gebäude zu erkennen, wie ein asiatisch geschwungenes Dach oder ein chinesisches Drachentor an der Straßenbahnhaltestelle des chinesischen Geschäftsviertels. Das folgende Beispiel der GreekTown in Toronto soll die mögliche Ausprägung eines kulturellen Clusters und dessen Bedeutung für die zugehörige kulturelle Gruppe veranschaulichen.

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„Orte der Kulturen“ – Straßenschilder in Toronto Fotos © Johanna Debik, Detlev Ipsen, Holger Weichler

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