kulturjause 2012

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K u lt u r j a u s e

G a l e r i e

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w w w. r a s t a r t . a t

h u K e d n i Bl

A r t - M e e t i n g p o i n t

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„ B linde ku h “ Ja, verbunden die Augen, aber ausgebreitet die Arme, tappen, tasten... denn am Anfang und zentral stehen immer Gespenster, Zaubersprüche, Rituale und schließlich die Verwandlung, kurzum: Die Kindheit als Ursprung in allem. „...EIN STEIN, EIN BLATT, EINE NIE GEFUNDENE TÜR; von einem Stein, einem Blatt, einer nie gefundenen Tür... Und von all den vergessenen Gesichtern...“ So beginnt Thomas Wolfes Prolog für seinen Roman „Schau heimwärts Engel“ und endet schließlich mit „...O verlorenes, vom Wind gekränktes Gespenst, kehre zurück.“ Umfeld-Voraussetzung Lokalisieren wir zuerst einmal das Umfeld, in dem sich die Malerei von Willy Rast bewegt. 1984 treffen sich in Basel Jannis Kounellis, Joseph Beuys, Enzo Cucchi und Anselm Kiefer um darüber zu sprechen, was im Zentrum der Kunst stehen soll. Interessant bei dem Gespräch ist vor allem, dass alle vier aus der speziellen historischen Entwicklung ihres Kulturraums in Europa argumentieren, dass die Renaissance von zentraler Bedeutung ist und immer Hans Sedlmayrs Buch vom “Verlust der Mitte” mitschwingt. Solche Gespräche müssen auch wir wieder führen. Also tauchen wir kurz ein, in die Geschichte Österreichs, des Landes mit der ewigen sinnlichen Reststrahlung des Barock. Früh besiedelt, bringt es auch früh Staunenswertes hervor mit der Venus von Willendorf, später mit der keltischen Hallstadtkultur und dem Kultwagen von Strettweg. Dann folgt die internationale Anbindung an den Mainstream des römischen Imperialismus. Schon spannt sich das Netz der christlichen Religion über Europa, die frühmittelalterliche Kirche von Schöngrabern

zeigt weithin auf ihrer Fassade die “steinerne Bibel” als bildhaften Glaubensinhalt. Erste bildnerische Modifikationen bringt die Gotik, auch nach Judendorf Strassengel, dem kleinen Bruder des Stephansdoms. Dann: Renaissance, die brave Didaktik der Religion wird bildnerisch hochgerüstet auf Gestaltniveau der Antike, man analysiert Gottes Schöpfung. (Wenig davon gibt es bei uns). Doch dann eben: Barock. Im Zuge der Gegenreformation wird vom Künstler programmatisch gefordert, den dramatischsten Augenblick einer Handlung zu zeigen, das Wunder zu vergegenwärtigen. Wahrnehmung halten wir fest als erstes Indiz für die Malerei von Willy Rast, nicht aber der dramatischeste Augenblick, sondern der farblich visualisierte intimste. Kargheit im künstlerischen Ansatz findet man in Österreich kaum, auch Kokoschkas Expressionismus strotzt vor sinnlicher Vitalität, klassizistische Ambition reicht bei uns gerade zum Parlamentsbau, ernst mit der Antike macht erst der Bildhauer

Fritz Wotruba. Vorher, im Jugendstil, tatsächlich eine Erneuerungsbewegung gegen die pragmatisch industrielle Formgebung, gelangt Klimt (trotz Boom noch immer unterschätzt), zu einer reichen Bildfindung mit schlanken, sinnlich hautigen Menschenwesen, die sich wie aus vergrößerten Einzeller-Ornamentstrukturen auf Decken und Gewändern, herausschälen. Dann, grün und rot und blau geschlagen, die nackten Menschen bei Egon Schiele, bis schließlich Herbert Boeckl versucht, noch einmal mit großer Geste, die Erkenntnisse von Kubismus, ja des Informell, über die frühmittelalterliche Malerei bis nach Ägypten zu verbinden. Klimt und Schiele waren für die Entwicklung von Willy Rast sehr wichtig, als wir uns kennen lernten, vor über dreißig Jahren in der Kunstgewerbeschule. In eine Kunstgewerbeschule geht man, weil man gern zeichnet. Die Kunstgewerbeschule selbst, angelehnt an die Didaktik des deutschen Bauhaus, stellt

blinde kuh

„Malen als traumwandelndes Tasten des inneren Auges nach den farbigen Gespinsten erlebter Gefühle.“


den Menschen, als Studium des nackten Menschen in den Mittelpunkt. Die beiden zentralen Persönlichkeiten an der Schule sind Franz Rogler in der Malerei und Josef

Pillhofer in der Bildhauerei. Beide kommen von zentralen künstlerischen Kulminationspunkten nach Graz. Franz Rogler aus der Schweiz , aus der Umgebung des Surrealismus von Max Ernst, Hans Arp, Meret Oppenheim, Pillhofer war Ende der 1950er Jahre in Paris im Umfeld von Laurens, Zadkine, Giacometti. So entstand bei uns auch nie das Gefühl eines peripheren Zugangs zur Kunst. Die tatsächlichen Vorbilder aber waren für Willy Rast (und uns natürlich auch) mehr noch: Van Gogh und Gaugin, also Künstler, die einfach zäh an der Verwirklichung ihrer Vision gearbeitet hatten, ein Menschenbild in Identität mit ihrem Leben zu kreieren. Erinnert man sich an die Ausstellungen Mitte der 70er Jahre in Graz, so waren die nicht unbedingt der bildenden Kunst förderlich. Malerei und Bildhauerei wurden im steirischen herbst immer weniger, statt dessen gab es immer mehr performative Veranstaltungen und große Augen für „neue Medien”. Der Kunstpreis für Malerei des Landes Steiermark setzte auch weniger auf Qualität, mehr auf Neuheit. (Endlich weg vom Tafelbild... endlich wieder ein Tafelbild). Modisches! Wohl interessant waren die Ausstellungen,

“Ich male nicht, was ich sehe, ich male was ich sah.“ Edvard Munch

die Otto Breicha im Kulturhaus zeigte: Vor allem Grafik von Schiele bis Alfred Kubin, Malerei von Herzig, Martinz, Brus, Ringel, Attersee, Sengl...


Das klingt nach mehr, als es tatsächlich war. Schon Hannes Schwarz und Gunter Waldorf waren trotz Präsenz, eher im Augenwinkel der Zeit damals angesiedelt. Dann plötzlich gibts „neue Wilde”. Zwar entschlossen krude, aber doch halb so wild. Und auch das ist etwas ganz anderes, als das, was Willy Rast in seiner Malerei will. Er will damals vielmehr eine herbstlich neblige Freitagsstimmung, geheime Menschen, manchmal verwachsen mit der Rinde brauner Bäume, Symbole, Masken, Schleier wie Bandagen... Am Anfang also steht Vereinsamung und Melancholie. Dann aber werden die Konturen schärfer, die Komposition kompakter, Eros und Thanatos sind zwar nach wie vor einander nahe, aber das „ewig Weibliche” wird real, rothaarig und diesseitiger. Niemand findet etwas dabei, wenn ein Francis Bacon in seiner Entwicklung sich von Velasquez vereinnahmen lässt, hierorts ist das nicht so einfach, aber in der Zeit steigt Willy Rast entschieden

in die Bilderwelt von Egon Schiele. Das ist ja auch eines der großen Probleme in der Entwicklung eines Künstlers, er braucht Zeit, während das Umfeld so tut, als würde es auf den voraussetzungslosen Telemark eines himmelsgesandten Originalgenies warten. Tatsächlich hat das kulturelle Umfeld geringe Ansprüche an die Kunst, es möchte eine angenehme Variante vertrauter Verwirrung, an langsamer Entwicklung ist man trotz gestiegener Lebenserwartung nicht wirklich interessiert. Graz ist damals also kein gutes Pflaster für einen Künstler, der sich entwickeln möchte. Willy Rast geht nach Wien, malt, restauriert, wird schließlich Maltherapeut am Steinhof. Ungefährlich ist ja Wien auch nicht, “das Capua der Geister”, wie es Grillparzer nennt. Nun mit Malerei und Nebenjob könnte die Sache auch in üblichen Bahnen verlaufen. Doch private Dinge bringen Willy Rast wieder nach Graz, er studiert Bühnenbild, gründet eine Familie, zieht aufs Land...

Die neue Situation bringt auch ein ganz anderes Verhältnis zur Welt mit sich und eine ganz andere Verantwortung. Das befruchtet auch die Malerei von Willy Rast ganz neu. Zwar ist Melancholie als Wesenszug noch immer präsent, aber sie erhält eine neue Qualität im Arbeitsprozess selbst, eine neue malerische Qualität. Das lustvolle immer und immer wieder übermalen des gesamten Bildes, bis ein vibrierender Farbkörper entsteht, das lange Betrachten und wieder übermalen, macht den Malprozess selbst zum qualitativen Handeln, zur langsamen Gestaltfindung. Auffällig bleibt, dass die Figuren selten in realen Milieus angesiedelt sind. Oben und unten spielen keine Rolle, die Figuren sind nach allen Seiten hin disponibel. Sie schweben, stürzen, sinken im Bildraum, entzogen der Alltagswelt und doch auch wieder gleichnishaft auf sie verweisend, als deren menschlich emotionelle Aggregatzustände, nicht ohne Lust an der Auflösung, mehr erinnerte Bilder als reale Ansichten. “Ich male nicht, was ich sehe, ich male was ich sah”, sagte Edvard Munch. Bei den Bildern von Willy Rast sind es mehr noch erlebte emotionelle Zustände. Ebenso aber auch ordnet Willy Rast seine gespeicherte Wahrnehmung im Verhältnis zu neuen Eindrücken, zur ganz spezifischen Farbgestalt seiner Bilder. Im Arbeitsprozess wird die erste spontane farbige Zuweisung durch immer wieder neu ansetzende Differenzierung des Gesamten, also die Farbklangstruktur, malerisch hochgearbeitet zur letztlichen Textur, wobei sich dazwischen Gestalten bilden und Szenarien entstehen. Eben: Totale Malerei. Und diese totale Malerei totalisiert auch den Blick des Betrachters, langsam, und lädt ein, tief zu Versinken in eine Bildwirklichkeit, parallel zur Alltagswelt. Deshalb der Titel: „Blinde Kuh“, malen als traumwandelndes Tasten des inneren Auges nach den farbigen Gespinsten erlebter Gefühle. Erwin Michenthaler e.michenthaler@huber-pessler.at

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