2019 10 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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STADT. LAND. PFLICHT.

25 JAHR

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WOHNUNGSBAU

OB-WAHL

VOGELKUNDE

Zu wenig und zu teuer: Warum der Markt allein versagt.

Hannover sozial: Was Experten von den Kandidaten fordern.

Liebling der Niedersachsen: Der Kranich kommt zur Rast ins Moor.


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Notizblock

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Angespitzt

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Wird Wohnen zum Luxus? Die Wohnungsnot hat die Mitte der Gesellschaft erreicht. Der DGB fordert jetzt einen Systemwechsel.

11 No Home no Castle Professor Harald Ansen, Experte für Wohnungslosigkeit an der HAW Hamburg, im Gespräch.

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Straße macht krank Tausendfach müssen Menschen von der Straße und ohne Papiere pro Jahr in Hannover behandelt werden. In einem Parallelsystem. Eine neue Clearingstelle soll helfen.

16 Briefe an uns 18

Wer war eigentlich ... Paula Modersohn-Becker?

19 Was zu tun ist Hannover hat die (OB-)Wahl. In Sachen Wohnen und Armut hat Asphalt fünf Experten gefragt, was sie der künftigen Führungsriege am Trammplatz mit auf den Weg geben.

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Aus der Szene

23 Das muss mal gesagt werden 24 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäuferin Heike

26 Rund um Asphalt 29 Zoo-Rätsel 29 31

Impressum/Ihr Engagement Die Kraniche kommen Kraniche machen in der Diepholzer Moorniederung Station auf ihrem Weg in die Winterquartiere.

34 Buchtipps 35 Oktober-Tipps

Titelbild: dieKLEINERT.de/Picture-Alliance

38 Silbenrätsel 39

Brodowys Momentaufnahme

Das Asphalt-Prinzip Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1


Foto: Markus Lampe

kennen Sie die Leisnig? Leisnig ist eine kleine Stadt zwischen Leipzig und Dresden, die vermutlich kaum einer kennt. Und doch ist sie für das älteste evangelische Sozialpapier verantwortlich – der Leisniger Kastenordnung, an der Martin Luther 1523 maßgeblich mitgewirkt hat. »Kastenordnung« heißt sie deshalb, weil die Kirchengemeinde dort alles Geld, was sie bekam, in diesen Kasten legte – ein Kasten, der allerdings nicht ein, sondern vier Schlösser mit dann eben auch vier unterschiedlichen Schlüsseln hatte. Jeder damalige Stand bekam einen Schlüssel: Adlige, Ratsherren, Bürgerliche und Bauern. Die mussten sich einigen, sonst bekam man den Kasten nicht auf. Eine Idee für heute? Diesen Monat beschäftigt sich Asphalt schwerpunktmäßig mit dem Wohnungsmarkt. Inzwischen hat auch der Mittelstand in größeren Städten Mühe, bezahlbare Wohnungen zu finden, von Flüchtlingen oder gar Wohnungslosen ganz zu schweigen. Wer bekommt heute noch Schlüssel für freie Wohnungen? In der Regel die, die am meisten Geld haben. Aber wie wäre es – »ein Volk ohne Visionen geht zugrunde« heißt es schon in der Bibel – wenn freie Wohnungen vier Schlösser hätten? Lassen Sie uns dafür sorgen, dass es einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Gruppen gibt. Geld allein darf da nicht der alleinige »Schlüssel« sein. Deshalb ist es gut, dass es Sozialwohnungen gibt, deshalb ist es gut, dass Bündnisse für Wohnungsbau geschlossen werden. Nur sinken die Zahlen der Belegrechtswohnungen häufig schneller als neue Wohnungen gebaut werden. Deshalb ist der Impuls aus der Reformationszeit gar nicht schlecht: Alle sozialen Gruppierungen einer Gesellschaft haben den gleichen Anspruch auf eine Wohnung. Folgte man der Kastenordnung, hätten auch Wohnungslose, Flüchtlinge und der Mittelstand Schlüssel. Doch die Realität sieht anders aus. Daher appellieren wir: An staatliche Programme, den Geist einer solchen Kastenordnung zu atmen. An Wohnungseigentümer, an Vermieterinnen und Vermieter, bei allen unstrittigen Kosten zuzusehen, dass Wohnungen nicht unerschwinglich werden. Vielleicht könnte ja auch darin der Impuls des zusätzlichen und heftig diskutierten Reformationsfeiertages liegen: Dass Eigentum verpflichtet, wie es in unserem Grundgesetz heißt oder lutherisch ausgedruckt: Glaube ohne Taten machen keinen Sinn.

Eine interessante Lektüre wünscht Ihr

Rainer Müller-Brandes · Diakoniepastor und Mitherausgeber von Asphalt

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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Düngeproblematik in Niedersachsen Übersicht besonders stark belasteter Gebiete nitratbelastetes Gebiet

nitrat- und phosphatbelastetes Gebiet

phosphatbelastetes Gebiet

keine erhöhte Belastung

Bremen

Hannover Osnabrück

regiografik 1176

Braunschweig

Oldenburg. Weil Amtsträger, Sanitäter, Feuerwehrleute und Polizisten offenbar immer öfter Opfer von Hass und Bedrohungen werden, hat das Innenministerium Hannover eine landesweite Informationskampagne zur »Sicherheit von in der Öffentlichkeit stehenden Personen« gestartet. Polizei, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz sollen im Rahmen von Regionalkonferenzen Helfern und Mandatsträgern den Rücken stärken. »Drohungen, Hass und Gewalt gegen diejenigen, die sich auf dem Boden unserer Rechtsordnung für die Demokratie und das Gemeinwohl einsetzen, müssen im Keim erstickt werden«, so Innenminister Boris Pistorius. »Wir bieten konkrete Hilfestellungen, wie man mit Anfeindungen umgeht und an wen man sich wenden kann, um Unterstützung zu bekommen.« Niedersachsenweit stünden rund 2.500 Menschen auf so genannten Feindeslisten von Rechtsextremen. MAC

Quelle: Niedersächsisches Landwirtschaftsministerium

Gülle im Wasser Hannover. Niedersachsens Landwirte müssen künftig die verwendeten Düngemengen an die Landwirtschaftskammer melden. Das hat die Landesregierung beschlossen. Hintergrund sind die in zunehmendem Maße mit Nitrat, teils auch mit Phosphat belasteten Grundwasservorkommen im Land. Lediglich 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen sind nach einer neuen Studie unbelastet. Niedersachsens Agrarund Umweltministerium haben deshalb jetzt einen Maßnahmenkatalog vorgestellt, der sowohl den Gehalt der Dünger, die vorgegebenen Sickerzeiten von Gülle sowie Lagerkapazitäten von Gülleüberschüssen neu regelt. Denn um die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten, müssen Brauchwasserversorger laut Umweltbundesamt jetzt schon Brunnen häufiger tiefer bohren und belastetes mit unbelastetem Wasser mischen. Zu viel Nitrat verändert das Blut von Säuglingen, eine so genannte Säuglingszyanose lässt die Säuglinge innerlich ersticken. Phosphat gilt als Nährstoff für Mikroorganismen. Stiege die Phosphatbelastung weiter, würde die Wasseraufbereitung und damit die Wasserversorgung jedes einzelnen Niedersachsen teurer. Aus den nun meldepflichtigen Angaben zu Düngebedarf und Düngereinsatz sollen künftig Betriebe »gezielt herausgefiltert werden, bei denen der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten besteht«, so die Landesregierung. MAC

ZAHLENSPIEGEL »WENIG BEIFAHRER«

Oldenburg

Kampagne gegen Hass

Deutsche fahren ungern mit. 2018 buchten laut destatis 2 % der 16- bis 74-Jährigen private Mitfahrangebote über spezialisierte Websites. Anders Estland: 2018 nutzten dort 22 % der Bevölkerung private Fahrdienste. In Malta reisten 13 %, in Frankreich, Irland, Kroatien und Luxemburg

je

12 % via Mitfahrzentrale. Der EU-Durchschnitt lag bei 6 %. Am häufigsten werden die Angebote von jungen Menschen genutzt: Im EU-Durchschnitt organisierten sich 12 % der 16- bis 24-Jährigen und 10 % der 25- bis 34-Jährigen über Online-Plattformen Mit-Fahrten (Deutschland: 3 % bzw 5 %).


Hannover. In der Zentrale der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover-Herrenhausen ist ein Umschlag mit einem weißen Pulver eingegangen. Nach ersten Untersuchungen wurde die Substanz als ungefährlich eingestuft. Der Drohbrief soll Bezug auf die jüngste Entscheidung der EKD nehmen, wonach die Kirche künftig mit einem eigenen Rettungsschiff im Mittelmeer bei der Rettung von Flüchtlingen mithelfen will. Die Entscheidung gilt als politisch wegweisend, weil sich erstmals eine sehr große Institution an dieser Art von Flüchtlingshilfe beteiligt. EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm hatte Mitte September angekündigt, gemeinsam mit anderen einen Verein zu gründen, der das Schiff kaufen und betreiben solle. Die Entscheidung geht auf eine Initiative des Deutschen Evangelischen Kirchentags im Juni dieses Jahres zurück. MAC

Vorfahrt für Radwege Hannover. Das Land Niedersachsen will den Bau von Radwegen und Straßen einfacher und schneller machen. Der Entwurf für ein neues Straßengesetz sieht vor, dass Anhörungsverfahren beispielsweise von Verbänden bei kommunalen und landeseigenen Bauprojekten reduziert und Enteignungen von nötigen Grundstücken erleichtert werden, teilte Verkehrsminister Bernd Althusmann mit. Das neue Gesetz soll zudem auch ganz eigenständige Radwegeverbindungen ermöglichen, die nicht neben einer Straße verlaufen. Das war in der Vergangenheit planungsrechtlich nur schwierig möglich. Die Grünen loben den Radwege-Vorstoß: »Radwege nicht länger als Anhängsel von Straßen zu behandeln« beende den »Flickenteppich im Radwegenetz«, so der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Detlev Schulz-Händel. MAC

Vor 25 Jahren – Wie alles begann

FURY UND BINDER

25 JAHR

Nett sind die meisten, höflich, kommunikativ auf ihre Art. Die etwa 100 Asphalt-Verkäuferinnen und Verkäufer des neuen Straßenmagazins für Hannover nehmen ihre neue Rolle an und ernst. Damals im Oktober 1994. Sie stehen den vielen Interessierten Rede und Antwort und sie hören selber zu. Gerade ist die zweite Ausgabe erschienen. Sie zeigt: Asphalt hat von Beginn an namhafte Unterstützer. Thorsten Wingenfelder hat Asphalt ein Exklusiv-Interview gegeben. Gerade erst ist er mit seiner Band Fury in the Slaughterhouse von einer Amerika-Tournee zurück. »Je mehr wir nehmen, desto weniger geben wir«, heißt es in ihrem Top-Hit. Asphalt feiert das und die Furys Asphalt. (Übrigens bis heute. Danke dafür.) Asphalt gibt Hannover eine neue Zeit der Solidarität, des Mitgefühls. Doch noch steht es finanziell auf wackligen Beinen. Denn: »Wir sind das einzige Selbsthilfeprojekt in Hannover, das sich völlig ohne Staatsknete finanziert«, gibt Herausgeber Walter Lampe einer Zeitung zu Protokoll. Ein Beirat gründet sich. Um Ideen zu entwickeln und Türen zu öffnen. Ellen Runge und Martin-G. Kunze sind darunter, Victor Lies und Dorothee Beckhoff. Eine der Ideen: OB-Krawatten gegen Spende. Zum Schorsenfest bringt Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg dann 121 Exemplare aus seinem Schrank mit. Nicht alle schön, aber Unikate. Denn jede Krawatte signiert der OB vor Ort. Viele Hannoveraner machen den ungewöhnlichen Benefiz-Spaß mit. Einige hundert Mark kommen zusammen. Kreativität im Spendenmarketing. Der Anfang ist gemacht … Fortsetzung in Asphalt 11/2019

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Foto: Karin Powser

EKD bedroht

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ANGESPITZT – DIE GLOSSE

Diese verdammte »letzte Meile«. Hätte sie sich nicht quasi über Nacht in unser Leben geschlichen, Hannover wäre heute noch das, was es am besten kann: beschaulich. Es gäbe noch Flaneure zwischen Massimo und Markhalle, es gäbe SPD-Wahlsiege und eine reelle Chance auf – beschauliches – Wohnen am Wasser. Seit aber jenseits von Sachverstand irgendwo in Berlin die »letzte Meile« zur Schicksalsfrage der deutschen Verkehrspolitik erklärt wurde, ist es vorbei mit der geliebten Beschaulichkeit. Nun ist Hannover voller Roller. Elektroroller. Statt zu flanieren hetzen Teenies und Trunkene, gern auch im Doppelpack, auf Rollen im Affenzahn durch Straßen und Fußgängerzonen, zermantschen Tauben und Fiffies und schlagen entweder selbst Purzelbäume oder Flaneure in die Flucht. Natürlich stets nur, um diese

»ROLLERS LETZTE MEILE«

ominösen »letzte Meile« zurückzulegen. Von irgendwo ins Nirgendwo.

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Nun glänzte jüngst der SPD-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt mit einem Vorschlag, die Wohnungsnot an der Leine zu mildern. Stellte ein großes Baugebiet just ums Leineeck am heruntergewirtschafteten Lindener Kanal in Aussicht. Nur ein wackerer Schrotthändler hält dort einsam noch die Stellung. Der Niedergang des Geschäftes schien halbwegs ausgemacht, die Bauplanungen im Geiste weit fortgeschritten. Nun aber gibt es Schrott in Hannover. Rollerschrott. Massenweise. Denn nach nur wenigen Wochen ist so ein Gefährt durchgenudelt. Fertig. Kaputt. Schrottwert. Ein Fest für Schrotthändler. So kann aus der wunderbaren Wohnungsbauidee am Wasser nix werden. Und die SPD…, ach, Hannover, was hast du dich verändert. Volker Macke


Foto: Christophe Gateau/dpa/Picture-Alliance

Die Wohnungsnot hat die Mitte der Gesellschaft erreicht. Auch Normalverdiener können die Mieten in den Städten kaum noch bezahlen. Vielen droht Verdrängung, so manchem Wohnungslosigkeit. Der DGB fordert jetzt einen Systemwechsel. Längst sind es nicht mehr nur Sozialverbände und Mietervereine, die Alarm schlagen. Die Mieten in den Innenstädten werden für immer mehr Menschen unbezahlbar. Nach einer Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) sehen die deutschen Städte im Wohnraummangel ihre derzeit größte Herausforderung. Das Problem hat sich durchaus bis in die Bundespolitik herumgesprochen und in wohlklingenden Erklärungen niedergeschlagen. Allein: den Worten folgen keine (wirksamen) Taten. So sieht der Koalitionsvertrag der Großen Koalition den Bau von 1,5 Mio. Wohnungen in der laufenden Legislaturperiode vor, das wären 375.000 Wohnungen jährlich. Tatsächlich gebaut wurden letztes Jahr jedoch nur 285.000, also eine Bedarfsdeckung von gerade einmal 76 Prozent. Hinzu kommt, dass heute

insbesondere im für die Städte wichtigen Geschosswohnungsbau die privaten Wohnungsbaufirmen dominieren. Doch die sind an marktwirtschaftliche Prinzipien gebunden, an das Spiel von Angebot und Nachfrage. Und da die Nachfrage derzeit groß ist, steigen die Preise, mit dem Ergebnis, dass inzwischen 95 Prozent dieser Wohnungen nach Ermittlungen des NDR-Magazins Panorama, für Normalverdiener nicht mehr bezahlbar sind. Es wird zu wenig gebaut und das auch noch zu teuer. Bereits seit 2011 steigen die Mieten deutlich schneller als die Einkommen, wie das Prognos-Institut vorrechnet. Die Folgen sind nicht zu übersehen: Mittlerweile summiert sich der Fehlbedarf in den deutschen Großstädten laut Hans-Böckler-Stiftung auf rund 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. Besonders prekär stelle sich die Situation für Singles dar. Von

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WIRD WOHNEN ZUM LUXUS?

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Foto: U. Matthias

Proteste gegen steigende Mieten wie hier in der hannoverschen Nordstadt nehmen zu.

ihnen befinden sich rund 1,8 Millionen Haushalte unterhalb der Armutsgrenze. Für diese Klientel stehen gerade einmal 250.000 bezahlbare Mietwohnungen in der passenden Größe unter 45 Quadratmetern zur Verfügung.

Städte hinken hinterher Überraschend kommen die Engpässe auf dem Wohnungsmarkt nicht. Viele Kommunen versuchen irgendwie die Bautätigkeit anzukurbeln und hinken der Entwicklung trotzdem ständig hinterher, wie das Beispiel Hannover zeigt. »In den letzten fünf Jahren ist die Bevölkerung Hannovers um 17.300 Menschen auf 541.800 Menschen gewachsen. Gleichzeitig sind von 2013 bis Ende 2017 nur 3.855 Wohnungen fertig gestellt worden«, beklagte das grüne Ratsmitglied Daniel Gardemin kürzlich im Bauausschuss. So haben in der »Hannoverschen Wohnungsbauoffensive 2016« die Landeshauptstadt und die Arbeitsgemeinschaft der Wohnungsunternehmen in der Stadt Hannover (ArGeWo) vereinbart, von 2016-2020 durchschnittlich 1.000 Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Davon sollen 25 Prozent, also rund 250 Wohnungen, jährlich öffentlich gefördert werden. Diese teilen

sich noch einmal in (Sozial-) Wohnungen mit städtischen Beleg­rechten, in Wohnungen für Geringverdiener und für Bezieher von mittleren Einkommen auf, wobei die Einkommensgrenzen teilweise bis zu 60 Prozent überschritten werden dürfen. Der Großteil der Wohnungsförderung geht so auch noch in hochpreisigen Neubau. Die Ratsgruppe der Linken und Piraten fordert daher in einem Antrag 10.000 Wohnungen innerhalb von fünf Jahren bauen zu lassen 95 Prozent der und den Anteil des öffentlich privat gebauten geförderten Wohnungsbaus auf 35 Prozent zu erhöhen. Wohnungen sind Doch gerade bei den Soziheute für Normalalwohnungen hakt es gewaltig. verdiener uner»Bei weiter steigenden Bau­ schwinglich. preisen und den hohen Grund(NDR-Magazin Panorama) stückskosten in der Stadt könne kaum noch Sozialwohnungsneubau stattfinden«, stellt die Stadt in einer aktuellen Drucksache fest. Die Zahl der Haushalte, die auf preisgünstigen Wohnraum angewiesen sind, ist in Hannover in den letzten Jahren stetig gewach-


abschmelzen lässt. Deutschlandweit wurden 2017 gerade noch 1,2 Millionen Sozialwohnungen gezählt. Das sind 46.000 weniger als im Vorjahr und weniger als die Hälfte des Bestands der Zeit um die Jahrtausendwende. Um diesen Abwärtstrend zu stoppen, müssten nach Berechnungen des deutschen Mieterbundes jährlich rund 80.000 zusätzliche Sozialwohnungen fertiggestellt werden. Tatsächlich sind es in 2018 nur 27.000 Sozialwohnungen geworden. Bundesweit. Gerade einmal 809 mehr als im Vorjahr. Eine Bedarfsdeckung von rund 33 Prozent. Eine Fehlentwicklung, die nicht nur Mietpreise antreibt, sondern direkt die Gefahr von Wohnungslosigkeit erhöht.

Niedersachsen sozial am Ende

Sündenfälle der Wohnungspolitik

Seit der Föderalismusreform 2006 ist der soziale Wohnungsbau Sache der Bundesländer. Für eine Übergangszeit schießt der Bund noch Gelder zu, in diesem Jahr noch einmal 1,5 Milliarden Euro. Doch in Niedersachsen kommt der Wohnungsbau nicht entscheidend in Gang. Der DGB rechnet für das Land mit einem Bedarf von mindestens 35.000 neuen Wohnungen pro Jahr. Der Höhepunkt wurde im Jahr 2016 erreicht, mit damals 29.300 fertiggestellten Wohnungen. Bereits in 2017 gingen die Zahlen wieder zurück. Und die 27.366 neugebauten Wohnungen in 2018 bedeuten noch einmal vier Prozent weniger, als im Vorjahr. Noch düsterer sieht es im sozialen Wohnungsbau aus. Der Bestand an Sozialwohnungen in Niedersachsen ging seit 2016 um 3.270 auf rund 82.500 in 2017 zurück und mittlerweile auf

Foto: Rolf Kremming/Picture-Alliance

Auch dieses Programm wird nicht ausreichen, um eine wirkliche Wende einzuleiten. Wie in vielen deutschen Kommunen fehlen auch in Hannover heute die einst privatisierten Grundstücke, um ausreichend Sozialwohnungsbau zu ermöglichen. Als in den 1990er Jahren die marktradikale Euphorie auf Deutschland übergriff, verkauften viele Städte ihre Immobilien und Flächen und überließen die Wohnungspolitik dem Markt. Mit fatalen Folgen. Zunächst brach eine Art Goldrausch der international agierenden Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften aus, den sogenannten »Heuschrecken«. Sie kauften in großem Stil die kommunalen Wohnungen auf und schöpften Milliardenprofite ab, indem sie in der Regel auf jegliche Instandsetzungsarbeiten verzichteten. Der befreite Markt machte es möglich. Bei nächster Gelegenheit stießen diese Investoren die Gebäude – abermals profitbringend und preistreibend – wieder ab. Dieser hitzigen Anfangsphase folgt seit ca. 2013 eine Stabilisierungsphase, in der große Wohnungsgesellschaften wie Vonovia und Deutsche Wohnen auftreten. Ihre Perspektive ist weniger kurzfristig, aber immer noch auf maximale Rendite ausgerichtet. Daher werden alle Möglichkeiten der Mieterhöhung – etwa durch Modernisierung – konsequent ausgenutzt. Das ist ein wesentlicher Preistreiber. Der zweite »Sündenfall« in der Wohnungsbaupolitik war die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit, die Wohnungsunternehmen Steuervorteile gewährte, wenn sie sozial bauten. Die Auswirkungen bekommen wir heute zu spüren: zwischen 1995 und 2010 ist die Zahl der neu gebauten Wohnungen insgesamt von mehr als 600.000 auf schließlich unter 160.000 zurückgegangen. Seither hat die Bautätigkeit wieder angezogen, aber sie reicht bei Weitem nicht aus, die entstandene Lücke zu schließen. Und die besteht vor allem bei preiswerten Wohnungen. Bei den Sozialwohnungen kommt verschärfend die auslaufende Mietpreisbindung hinzu, die den Bestand Jahr für Jahr

Preiswerte Wohnungen sind heute Mangelware. Das liegt auch an Versäumnissen der Baupolitik.

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sen und es ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend fortsetzt. Gleichzeitig ist die Zahl der Wohnungen mit Belegrecht in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, von über 32.000 im Jahre 1998 auf rund 19.000 Beleg­rechtswohnungen bis Ende 2017. Mit der Fortschreibung des Kommunalen Wohnraumförderprogrammes der Landeshauptstadt Hannover, das sonst ausgelaufen wäre, soll jetzt nachjustiert werden. Damit »könnten im Zeitraum von 2019 bis 2023 jährlich ca. 100 Wohnungen mehr und damit insgesamt ab Beginn der Förderung ca. 2.400 Wohnungen bis 2023 gefördert werden«, hofft die Stadtverwaltung.

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weniger als 75.000 im letzten Jahr. In den letzten drei Jahren sind im ganzen Land, bezogen auf 100.000 Einwohner, durchschnittlich nur 16 Sozialwohnungen neu entstanden. Damit liegt Niedersachsen im westdeutschen Vergleich auf dem vorletzten Platz. Diese Bilanz ist wesentlich selbst verschuldet. Mit dem Verkauf der Niedersächsischen Landesentwicklungsgesellschaft (NILEG) mit ihren 30.000 Bei den hohen GrundWohnungen 2005 an den stückspreisen in der US-amerikanischen Finanzinvestor Fortress, Stadt kann kaum noch hat sich das Land als AkSozialwohnungsbau teur auf dem Wohnungsstattfinden. markt selbst entmachtet. (Landeshauptstadt Hannover) Seitdem betreibt Niedersachsen selbst keinen sozialen Wohnungsbau mehr und beschränkt sich auf die Weitergabe und bestenfalls Aufstockung der Fördergelder. Richten sollen es die Kommunen und Genossenschaften sowie die private Wohnungswirtschaft. So der Plan. Das Resultat ist erschreckend: Seit 2005 ist der Bestand an Wohnungen mit Mietpreisbindung um fast ein Viertel eingebrochen. Und seit 2011 steigen die Mieten landesweit rapide an, in Hannover um bis zu 50 Prozent, in Wolfsburg sogar bis zu 65 Prozent. Heute müssen in Oldenburg 44 Prozent der

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Haushalte mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben, in Hannover sind es 43,3 Prozent. In der Landeshauptstadt fehlen der Hans-Böckler-Stiftung zufolge fast 50.000 Wohnungen, die meisten (36.570 Wohnungen) davon für Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens (Median) verfügen. Das ist Platz acht im Negativranking aller 77 deutschen Großstädte. Es bedeutet, dass rund 60 Prozent dieser Haushalte mit geringem Einkommen in Hannover keine bezahlbare Wohnung mehr finden. In Braunschweig fällt die Versorgungslücke nach absoluten Zahlen geringer aus, der Versorgungsgrad ist jedoch noch ein Prozent schlechter. In Oldenburg fehlen laut der Studie rund 11.000 Wohnungen, fast ausschließlich im preiswerten Segment.

Systemwechsel oder Verdrängung? Folge dieser Entwicklung sind u.a. umfangreiche Verdrängungsprozesse. Bezieher von niedrigen Einkommen, Rentner, Alleinerziehende, Arbeitslose werden aus ihren angestammten Vierteln vertrieben und an den Stadtrand gedrängt. Diese Mechanismen haben zwei aktuelle Studien des BBSR und der Wüstenrot-Stiftung jetzt eindringlich beschrieben. Vorher jedoch findet eine Verdrängung aus dem Lebensstil statt, versuchen viele, ihre Wohnungen zu halten und schränken sich immer mehr ein. Und 650.000 Menschen haben in Deutschland laut BAG Wohnungslosenhilfe diesen Kampf schon verloren, müssen ohne eigene Wohnung leben. Daran wird auch das neue Förderprogramm des Landes nicht viel ändern. 400 Millionen Euro sollen den privaten Unternehmen als Anreiz geboten werden, um bis 2030 landesweit 40.000 neue Sozialwohnungen entstehen zu lassen. Doch schon bis 2025 fallen über 50.000 bereits bestehende Sozialwohnungen wieder aus der Mietpreisbindung. Die Lücke wird sich also noch um mindestens 10.000 Wohnungen vergrößern. »Von einer Wende kann keine Rede sein«, resümiert daher der DGB. Die Gewerkschaften fordern nun mit der Einrichtung einer Landeswohnbaugesellschaft einen Systemwechsel. Statt immer wieder nur wirkungslos Millionen Euro als Anreize an private Unternehmen zu verpulvern, sollte der Staat selbst wieder zum Akteur auf dem Wohnungsmarkt werden. Vorteil: die investierten Gelder (7,3 Mrd. Euro) dienten dem Aufbau öffentlichen Vermögens, das wiederum als Sicherheit für die Finanzierung der Wohnbaugesellschaft herangezogen werden könnte. Ziel: noch einmal 40.000 Wohnungen zusätzlich bis 2030. Nicht zuletzt bleiben die so gebauten Sozialwohnungen auch solche und fallen später nicht aus der Mietpreisbindung heraus. Das hat auch die Landesarmutskonferenz überzeugt, die sich diese Forderung nun zu eigen gemacht hat. Ulrich Matthias


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Foto : V. Macke

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NO HOME NO CASTLE Wie eine Stadt mit ihren Obdachlosen umgeht, das ist Kultur. Und auch wie sie welche Lösungen entwickelt. »Unerwünscht, toleriert oder integriert?« heißt der Titel einer Diskussionsrunde Ende des Monats. Mit dabei: Professor Harald Ansen, Experte für Wohnungslosigkeit an der HAW Hamburg. Ein Vorab-Gespräch. Herr Professor Ansen, Bei der Podiumsdiskussion soll es darum gehen, das Thema Obdachlosigkeit vor dem Hintergrund der Kulturhauptstadtbewerbung von Hannover zu diskutieren. Aus welchen Gründen müssen die Themen Kulturhauptstadtbewerbung und Obdachlosigkeit zusammengedacht werden?

Werte des Miteinanders einer Stadt. Das ist ein wichtiges Thema für die Bewerbung. Hinzu kommt, dass vielfach Bürgerinnen aus Europa in Hannover landen und dort zum Teil in große Not geraten. Insofern macht es sehr viel Sinn, das Thema Wohnungslosigkeit bei der Bewerbung zu beleuchten und zu berücksichtigen.

Kulturhauptstadt meint ja unter anderem, das kulturelle Erbe einer Stadt in Europa zu repräsentieren. Nicht nur die Museumskunst oder die Baukunst. Es geht auch um humanitäre

Obdachlosigkeit ist in Hannover ein Thema, genauso wie in anderen Großstädten. Was sind die Hauptursachen,


Foto : V. Macke

dem ist ganz deutlich zu merken, dass der Anteil der Minderjährigen und Kinder auf der Straße zunimmt.

In Hannover gibt es einige Angebote für Obdachlose. Notschlafstellen, Essensangebote oder auch Wohnheime. Das scheint die Pro­bleme aber nicht zu lösen? Warum ist das so? Zentral bleibt die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. In Hannover fehlen etwa 20.000 bezahlbare Wohnungen. Und wir wissen aus Schätzungen, dass es in Hannover rund 5.000 Menschen gibt, die schon jetzt wohnungslos sind. Hannover muss die Armuts- und Wohnungsfrage lösen. Neben all den persönlichen Problemen, die die Betroffenen mitbringen oder auch erst durch so ein Leben auf der Straße entwickeln, dürfen wir nicht so tun, als ob diese Menschen wohnunfähig wären.

»Housing First« schlagen Sie als wirkliche Lösung vor. Was unterscheidet dieses Konzept von anderen?

Die Straßenzeitung fiftyfifty in Düsseldorf hat über ein eigenes Housing-First-Projekt mittlerweile mehr als 40 ehemals Obdachlosen eine kleine Wohnung gestellt, darunter auch Markus und Vanessa.

dass Menschen obdachlos werden und sich dann in den Städten sammeln? Also die Wege in die Wohnungslosigkeit sind vielfältig. Primär ist das ein Armutsproblem. Wir haben zu wenig bezahlbaren Wohnraum, zu wenig Armutsbekämpfung. Sekundär kommen biografische Themen hinzu, Trennungen, Krankheiten, Verlust der Arbeit. Vielfältige Themen, die in die Obdachlosigkeit hineinführen. Wir wissen wenig über den Verlauf, weil es dazu keine statistischen Daten gibt. Ein Leben auf der Straße ist in jedem Fall extrem kräftezehrend. Man kann sagen, es ist eine Verlustspirale, wo ein Verlust zum anderen kommt. Damit schwinden auch nach und nach die eigenen Kräfte. Bis hin zur Selbstaufgabe.

Hat sich in den letzten Jahren etwas verändert? Sind andere Gruppen dazugekommen, mit anderen Problemen? Zum einen hat der Frauenanteil auf knapp 30 Prozent der Betroffenen zugenommen. Dass es andererseits nur 30 Prozent sind, mag daran liegen, dass Frauen viel mehr verdeckt wohnungslos sind, also deutlich häufiger in sehr prekären Beziehungsverhältnissen unterschlüpfen. Au­ßerdem hat der Anteil der Menschen aus Südosteuropa sehr deutlich zugenommen. Das ist ein Ergebnis des europäischen Einigungsprozesses. Zu-

Die Idee kommt nicht von mir, die stammt aus den USA von Sam Tsemberis. Ich habe sie nur übernommen. Housing First meint, die Betroffenen bekommen zunächst eine eigene kleine Wohnung und dann werden Hilfen auf die jeweiligen Bedarfe der Einzelnen zugeschneidert. Denn die persönlichen Problemlagen unterscheiden sich voneinander. Voraussetzung für das Gelingen ist die Wohnung. Denn Wohnungen haben viele Funktionen: Wir haben eine Adresse, einen Raum zur Regeneration, zur Entfaltung, zur Intimität, wir können hier gesundheitspräventiv leben. All das. Eine eigene Wohnung ist ein Menschenrecht, wenn auch noch kein Grundrecht unserer Verfassung. Darauf warten wir noch.

Ist es nicht viel zu teuer für eine Stadt, so viele Wohnungen bereitzustellen und zu unterhalten? Ökonomische Fragen sollten nicht im Vordergrund stehen. Denn wie gesagt: Es


Ein erstes »Housing First«-Projekt ist in Hannover in den Startlöchern. 15 Wohnungen sollen zur Verfügung gestellt werden. Ein Tropfen auf dem heißen Stein oder ein guter Anfang? Die 15 sind sicher ein guter Anfang. Das Projekt bietet die Möglichkeit es zu beobachten, zu forschen und die Verläufe der Klienten zu dokumentieren. Das könnte dann in der Politik die Bereitschaft erhöhen, weitere Projekte dieser Qualität zu starten.

Aber es geht ja nicht nur um Unterbringung, sondern auch die Art und Weise, wie Menschen Obdachlosen hier begegnen. Wie lässt sich die Einstellung der Menschen verändern?

Professor Harald Ansen diskutiert am 22. Oktober im Schloss Herrenhausen über

Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an. Wir beobachten ein hohes Maß an Gewalt gegen Wohnungslose. Mit steigender Tendenz. Immer wieder werden Obdachlose zu Opfern von Gewaltverbrechen bis hin zum Tode. Dahinter stecken Vorurteile, die schwer zu bekämpfen sind. Der beste Weg wäre es, korrigierende Erfahrungen zu sammeln. Wenn es uns also gelänge, Wohnungslose stärker am Leben der Gesellschaft zu beteiligen,

könnten Vorurteile sicher abgebaut werden. Das kennen wir aus der Arbeit und Integration von Behinderten. Zudem muss es gelingen, die mediale Berichterstattung zu verändern. Die Menschen auf der Straße sind nicht per se die Unruhestifter, sondern Menschen mit weniger Glück im Leben. Letztlich ist es eine politische Frage, wie sehr man ein Klima fördert, in dem Platz für alle ist, wo jeder irgendwie vorankommen darf und kann.

Auch im Oberbürgermeister-Wahlkampf ist Obdachlosigkeit Thema, vor allem im Zusammenhang mit Drogenkonsum an öffentlichen Plätzen. Jeder betont, Obdachlose nicht verscheuchen zu wollen. Gleichzeitig sind Platzverweise und mehr Ordnungspersonal im Gespräch. Sind das ihrer Meinung nach Letztlich ist es Lösungen? eine politische Das sind Stereotype, die gepflegt Frage, wie sehr werden, um sanktionierende man ein Klima oder gar strafende Reaktionen fördert, in dem zu legitimieren. Ein wenig populistisch aus meiner Sicht, denn Platz für alle ist. wenn wir Menschen von Plätzen vertreiben, sind sie an anderen Plätzen unterwegs. Wir verlagern das Problem, lösen es aber nicht. Wir schaffen damit allenfalls kurzfristige optische Gewinne, das heißt ein Platz ist frei, ein anderer wird belegt. Solche punitiven politischen Strategien laden aber die Öffentlichkeit dazu ein, den Betroffenen eher feindselig gegenüber zu treten. Schade. Das Gegenteil wäre eine kluge politische Maßnahme. Suchtprobleme sind ja letztlich nichts anderes als Überlebensstrategien, die sagen: Manchmal ist ein Leben nur in der Narkose zu ertragen. Interview: Marie Christin Müller/StreetLIVE

Obdachlosigkeit in Hannover.

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ist ein Menschenrecht. Gleichwohl glaube ich, dass es langfristig günstiger ist als Wohnungslosigkeit. Denn die hat enorm hohe Folgekosten für die Gesellschaft. Allein schon die hohen Gesundheitskosten.

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STRASSE MACHT KRANK

Foto: Caritas Hannover

Tausendfach müssen Menschen von der Straße und ohne Papiere pro Jahr in Hannover behandelt werden. In einem Parallelsystem. Eine neue Clearingstelle soll helfen.

3.000 waren es im vergangenen Jahr. 3.000 so genannte Kontakte, wie die Sozialarbeiter das nennen, zählte der Kontaktladen Mecki, Hannovers erste Adresse für Obdachlose unten am Raschplatz, in seiner medizinischen Ambulanz für das Jahr 2018. Das Behandlungszimmer dort misst kaum acht Quadratmeter, das passt so gar nicht zur offenkundig weit verbreiteten medizinischen Notlage der vielen Klienten. Wund- und Atemwegserkrankungen, Herz- und Kreislaufprobleme, psychische Erkrankungen sowie Suchterkrankungen lauten die häufigsten Diagnosen, so das Ergebnis einer Studie der Ärztekammer Niedersachsen. Manchmal postiert sich das Zahnmobil in unmittelbarer Nähe unten am Platz, oder auch die Straßenambulanz. Auch diese beiden Angebote in Hannover gehören zur Basisversorgung für die, die nichts und niemanden mehr haben. Die beiden speziellen Krankenwagen fahren auch zu einigen Tagestreffs und Unterkünften, um die Menschen am Rande der Gesellschaft medizinisch zu versorgen. ÄrztInnen und Pflegepersonal arbeiten ehrenamtlich, gewährleisten so regelmäßig neun Sprechzeiten pro Woche. »Gestiegen sind die Anteile chronisch kranker sowie älterer Menschen, die oft eine Rente oder Grundsicherung beziehen«, heißt es in einer jüngsten Drucksache der Region Hannover zum Thema.

Sie könnten sich aber oft »die Rezeptgebühren oder den Eigenanteil bei Krankenhausaufenthalt nicht leisten«. Die »weitaus größte Gruppe der betroffenen Menschen stellen Zuwanderer aus EU-Ländern dar, die in Deutschland aufgrund der aktuellen Rechtslage keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben«, so die Regionsverwaltung weiter. Um diese steigende Zahl der Armen vor allem aus Osteuropa kümmert sich vorrangig die Malteser Migranten Medizin. Dort, im Gebäude des Caritasverbands, zählt man rund 5.500 Behandlungen jährlich. Allein aus Bulgarien stammen etwa Die allermeisten 25 Prozent, aus Rumänien 29 Prozent der Patientinnen und Patienten. Viele von Ihnen der Betroffenen sind nicht oder unzureichend krankenverschaffen es aus sichert, die anderen, die ganz ohne Papiere unterschiedlichen in Deutschland leben, haben ohnehin keine Gründen nicht Anspruchsgrundlage. Doch behandelt werins normale den sie auch. Das gebietet schon allein der berufsständische Eid der Mediziner. medizi­nische VerDas Problem: Die allermeisten der Besorgungssystem. troffenen schaffen es aus unterschiedlichen Gründen nicht ins normale medizinische Versorgungssystem. Und nur ein Teil von ihnen ist versichert. Die Region will den Hilfeeinrichtungen deshalb künftig – zunächst für eine Modellphase von drei Jahren – sozialrechtlich und sozialversicherungsrechtlich ausgebildete Fachkräfte an die Seite stellen. Zur besseren Vernetzung, zur Unterstützung und zur Klärung der Versichertensituation. Die Kosten von rund 170.000 Euro pro Jahr sollen sich Region und Land Niedersachsen teilen. Volker Macke

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FÜR HILFE STATT AUSGRENZUNG.


Foto: Region Hannover

Modellversuch zur Medizinversorgung von Wohnungslosen: Die Region Hannover will die bisherigen Basisangebote besser vernetzen und die Patienten ans reguläre Gesundheitssystem heranführen. Mit einer »Clearingstelle Gesundheitsversorgung von Menschen in besonderen Lebenslagen«. Vier Fragen, vier Antworten von Thomas Heidorn, Leiter des Fachbereichs Soziales der Region Hannover.

Bedeutet die jetzt geplante Einrichtung einer solchen Clearingstelle, dass die Kosten für die Versorgung von Obdachlosen und gestrandeten Migranten zu kostspielig ist? Nein. Gesundheit und der Zugang zu medizinischer Versorgung sind Menschenrechte, deshalb müssen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer sozialen Situation medizinisch behandelt werden können. In diesem Rahmen finden die niedrigschwelligen medizinischen Versorgungsangebote vor allem der freien Wohlfahrt in Hannover ihre zwingende Existenznotwendigkeit. Auch das Gesundheitsamt und der Sozialpsychiatrische Dienst der Region Hannover bieten diesen Menschen medizinische Hilfen an. Ohne diese Angebote wären viele Menschen gänzlich von einer medizinischen Versorgung abgeschnitten. Wir wissen aber auch, dass für viele Betroffene durchaus die Möglichkeit besteht, Leistungen einer Krankenversicherung zu bekommen, weil sie entsprechende Ansprüche haben oder erwerben können. Die Wege dahin sind aber mitunter sehr kompliziert und schwierig. Das überfordert viele Menschen.

Was kommt da übers Jahr an Kosten zusammen? Die Gesamtkosten für die medizinische Versorgung der genannten Menschen sind uns nicht bekannt. Die medizinischen Versorgungsangebote werden durch Eigenmittel der freien Träger, die sie anbieten – Geld- und Sachspenden, freiwillige Zuwendungen und öffentliche Mittel auch von der Region Hannover –, und ganz besonders durch hohes ehrenamtliches Engagement getragen. Die Versorgung von krankenversicherten Personen kann mit den entsprechenden Kassen abgerechnet werden, für andere Menschen werden die Kosten aus der Sozialhilfe übernommen.

Wer zahlt das, wenn es nicht bei Krankenversicherungen, ob hier oder im Ausland, zu holen ist? Wenn bei nicht krankenversicherten Menschen die Sozialhilfe oder öffentliche Gesundheitsdienste nicht unterstützen können, bleiben oft nur die Angebote der freien Wohlfahrtpflege und das Engagement der vielen ehrenamtlich Tätigkeiten, um zu helfen. Wir wünschen uns hier Modelle wie in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen, wo eine medizinische Grundversorgung insbesondere wohnungsloser Menschen paritätisch von Krankenkassen, Land und Kommunen finanziert wird. Leider ließ sich dies in Niedersachsen bisher nicht erreichen. Hier ist die Politik gefragt, um entsprechende Lösungen zu ermöglichen.

Wie genau sieht im Idealfall die Überführung eines am Raschplatz lebenden osteuropäischen Arbeitsmigranten von der Straße »in die Regelversorgung im Rahmen eines dreijährigen Modelversuchs«, wie es in ihrer Drucksache heißt, aus? Es gibt für viele Betroffene Möglichkeiten einer Kostenübernahme für die medizinische Versorgung entweder über das Heimatland oder eine deutsche Krankenversicherung. Die Clearingstelle hat das Ziel, gemeinsam mit den Betroffenen einen bestehenden Krankenversicherungsschutz zu klären und durchzusetzen. Oder die Möglichkeiten abzuklopfen, die Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung neu zu erwerben. Das Sozialrecht in diesem Bereich ist sehr kompliziert. Daher sollte die Clearingstelle von einer Fachkraft für Sozialversicherungsrecht besetzt sein und zum Beispiel diejenigen zu Fragen der medizinischen Versorgung beraten und aufklären, die mit wohnungslosen Menschen arbeiten. Interview: Volker Macke

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»ZWINGEND NOTWENDIG«

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BRIEFE AN UNS

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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Zu Asphalt 8/19 allgemein

Zu Asphalt 8/19 Rubrik: »Briefe an uns«

Lesenswert

Entsetzen

Danke für die wieder gelungene, sehr lesenswerte Ausgabe. 25 NEUER ANTISEMITISMUS? Ich beziehe Asphalt von einem Verkäufer, freundlich, höflich, liebenswürdig, der in Celle vor Drogeriekette Müller steht. Mit Verlaub, weiter so, vielen Dank. Walter H. Bradt, Celle JAHRE

MENSCHENFEINDE

MENSCHENWÜRDE

MENSCHENRECHTE

Antisemiten bedrohen nicht nur Juden

Armenbegräbnisse lassen wenig Raum für Abschied

Straßenzeitungen aus aller Welt bei Asphalt

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Marc Hansmann

HANNOVER. BESSER. MACHEN.

Mit Entsetzen habe ich den Leserbrief von Helmut Lick gelesen. Meinungsvielfalt finde ich gut und Kritik muss sein. Eine von der Mehrheit der Deutschen in Ost und West gewählte Kanzlerin als Migranten-Kanzlerin zu bezeichnen, ist schon falsch, denn es gab vorher schon Migranten aus Polen, der Ukra­ ine und anderen europäischen Ländern und die sogenannten Spätaussiedler in Deutschland. Alle in dem Leserbrief genannten Fälle wurden nicht nur von Migranten verübt, sondern es gab auch Fälle von Nicht-Migranten, die hier nicht aufgezählt werden. Fakten weglassen und umdeuten ist Sache einer bestimmten Partei und der Presse (Bild u.a.), die nur die Schlagzeile braucht. Der Inhalt dieses Leserbriefes könnte von einem Sympathisanten oder AfD-Mitglied kommen. Natürlich stört es mich auch, dass in der Presse und in den sogenannten »Sozial-Medien« immer nur über die Verursacher geschrieben wird und dabei immer die betroffenen Lok-Führer, Straßenbahnfahrer und das Leid der Hinterbliebenen der Opfer nicht erwähnt wird. Das Problem nur auf die Migranten zu reduzieren und alle anderen Fakten zu verschweigen, ist nicht richtig. Solche Äußerungen im Asphalt lesen zu müssen, macht mich wütend. Heinz-Werner Seider, Hannover

3 Anmerkungen zum Leserbrief:

AM 27.10. BESSER. HANSMANN. WÄHLEN. besser-hansmann.de

Der Schreiber sollte Verallgemeinerungen unterlassen. Oder was würde er davon halten, mit Kinderschändern (Braunschweig, Lügde), prügelnden Hooligans, den Schlägern beim G20 Treffen, Mördern von Bürgermeistern oder Hartz 4 Betrügern in einen Topf geworfen zu werden, nur weil diese die gleiche Nationalität/Religion haben wie er? Die als ›Kanzlerinnen-Migranten‹ bezeichneten Menschen sind FLÜCHTLINGE. Möge dem Schreiber erspart bleiben, dass er jemals selbst in diese Lage gerät. Was leitet der Schreiber aus seiner Aussage, dass ›die Mehrheit noch nie Recht hatte‹, ab? Dass Demokratie insgesamt Blödsinn ist? In einer Demokratie werden menschliche Fehlentscheidungen zumindest von der Mehrheit getragen. Dr. Ralf Uhte, Hannover


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Zu Asphalt 8/19 Thema: »Der Hass kehrt zurück«

Neue »Qualität«? Von neuen Qualitäten lesen und hören wir allenthalben in den Medien. Auch bei Asphalt, diesmal über die neue Antisemitismus-Qualität. In anderen Zusammenhängen wird auch von einer neuen Qualität des Verbrechens oder der Drogensucht berichtet. Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Qualitätsbegriff zu verwenden, erscheint mir nicht passend. Qualität ist, als Bewertung, gemeinhin die Summe der Güte aller Eigenschaften eines Objekts oder Systems. Demzufolge eine Art Auszeichnung oder Anerkennung, etwas Erstrebenswertes, der Nachahmung empfohlen; also ein positiv besetzter Begriff. Vielleicht wäre es möglich, den Begriff Qualität dementsprechend zu verwenden? Alternativ böte sich an, von einer neuen Form oder Dimension des Antisemitismus (in anderen Zusammenhängen des Verbrechens oder der Drogensucht) zu berichten. Eine, wenn auch unbeabsichtigte, Qualitätsaufwertung sollte jedoch nicht erfolgen. Norbert Wertheim, Hannover

Zu Asphalt Sonderheft »Kids«

Hingabe und Genauigkeit Ich habe mich in Ihr Thema eingelesen und bin sehr beeindruckt, mit welcher Hingabe und Genauigkeit Sie »IHRE« Zeitung publizieren. In Greifswald gönnt sich unser Landkreis immer noch 2 Straßensozialarbeiter, so dass wir solche krassen Lebenslagen weniger sehen. Dass die Verkäufer 50 Prozent ihrer Einnahmen behalten können, habe ich nicht gewusst. Jetzt werde ich öfter eine kaufen, z.B. am WE bin ich in Berlin. Ein paar Jahre wohnte einer unserer Söhne auch in Hannover, weshalb mir die Stadt schon deshalb sehr gut gefällt. Ein schöner Ort zum Leben. Angela Leddin, Greifswald

Für den guten Zweck: Das 96plus-Laternenfest! 12.11.2019, 17 Uhr Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne – bereits zum neunten Mal lädt 96plus zusammen mit seinem Hauptpartner Clarios sowie dem Staatstheater Hannover alle Kinder, Jugendlichen, Eltern und Großeltern zum gemeinsamen Laternenumzug ein. In den vergangenen Jahren konnte unser Laternenumzug, von Musikzügen begleitet, zum größten seiner Art in Deutschland wachsen. 2018 liefen 5.000 Menschen mit und besangen gemeinsam ihre leuchtenden Laternen. Das wollen wir mit Euch gemeinsam auch in diesem Jahr schaffen. Mit selbstgebastelten Laternen vom Opernplatz bis zum Innenraum der HDI Arena. Denn für jedes mitlaufende Kind spendet 96plus-Hauptpartner Clarios zwei Euro an soziale Initiativen aus Hannover. ABLAUF 17.00 Uhr B egrüßung auf dem Opernplatz mit Pressefoto 17.15 Uhr Start des Laternenumzugs 18.00 Uhr Einlauf in die HDI Arena 18.15 Uhr Gruppenfoto aller Kinder 18.45 Uhr Ende der Veranstaltung

Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben.

Kommt zu Deutschlands größtem Laternenumzug!

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WER WAR EIGENTLICH …

Foto: akg-images/Picture-Alliance

… PAULA MODERSOHNBECKER? Im Jahr darauf wendet sich Paula von Bei Paula Modersohn-Becker denkt der Landschaftsmalerei ab und stärman unweigerlich an Worpswede. Im ker den Menschen zu, vor allem den Juli 1897 besucht sie zum ersten Mal Kindern, die sie mal in die Landschaft das Dorf im Teufelsmoor. Zwei Jahre stellt, mal auf einem mächtigen Stuhl zuvor waren der Neunzehnjährigen oder auf einem Kissen Platz nehmen in einer Ausstellung der Bremer läßt. Es sind melancholische Bilder Kunsthalle die Werke der »Worpswevon in sich versunkenen Kindern, under Künstlergemeinschaft« aufgefalgewöhnlich für eine Zeit, in der man len. Sie ist angetan vom Naturverden Nachwuchs landauf, landab ins ständnis eines Fritz Mackensen; der Matrosenkleid steckt. Immer deutsei »ganz famos«, teilt sie ihrem Bruder licher wird nun ihre eigene Handmit, nur seine Perspektive, die verstehe schrift, eine Technik, bei der sie sich sie nicht. »Sonst interessiert mich noch auf das Wesentliche konzentriert und riesig ein Modersohn.« Gesichtszüge nur noch andeutet. Sie Im September 1898 wird Paula geht einen in Deutschland bis dahin Schülerin von Fritz Mackensen, dem unbekannten Weg, auf dem ihr auch seinerzeit bekanntesten Worpsweder ihr Mann gelegentlich kaum zu folgen Maler. »Inniges Nachbilden der Natur, vermag: »Die Farbe ist famos – aber das soll ich lernen.« Doch sie komponiert die Landschaft lieber nach eigenen Vorstellungen. Und die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel. Nasen wie Kolben, sie sucht sich ihre eigenen Motive. Mal sind es Bauernkinder, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins.« Otto Modersohn mal alte Frauen aus dem Armenhaus, andere Modelle kann sie hätte diese Sätze seinem Tagebuch sicher nicht anvertraut, nicht entlohnen. Einige ihrer Arbeiten werden 1899 in der Bre- hätte er geahnt, dass gut drei Jahrzehnte später nationalso­ zialistische »Kulturpolitiker« sich ihrer mer Kunsthalle ausgestellt – und von bedienen würden. Arthur Fitger, dem »Kunstpapst« jeImmer wieder auch taucht Paula ner Tage, in der »Weser-Zeitung« ver»Mein Leben ist ein kurzes, Modersohn-Becker ein ins Pariser Lerissen: Für diese Arbeiten reiche »der intensives Fest.« ben, durchstreift mit dem Skizzenbuch Wörterschatz einer reinlichen Sprache in der Hand die Museen. 1906 entsteht nicht aus.« Paula Becker macht, was sie ohnehin vorhatte: Sie schüttelt ihr »Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag« – erstmalig in der Kunstsich »diesen Bremer Staub von den Füßen« und reist nach Pa- geschichte stellt eine Frau sich selbst als Akt dar. Im Frühjahr ris. Das verschafft ihr Distanz und neue Eindrücke. Sie notiert: 1907 kehrt sie nach Worpswede zurück. Ihr wohl letztes Bild erinnert an Vincent van Gogh: Das »Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig? Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben »Stillleben mit Sonnenblume, Stockrosen und Georginen« steht ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest.« Oft schreibt sie an Otto am 20. November 1907 auf ihrer Staffelei. An diesem Tag erhebt Modersohn – die beiden verbindet mehr als nur künstlerische sich Paula Modersohn-Becker knapp drei Wochen nach der Nähe. Im Mai 1901 heiraten sie und bannen danach fast wett- Geburt ihrer Tochter erstmals wieder aus dem Bett. Plötzlich eifernd Moorlandschaften auf die Leinwand. Für Otto ist Paula treten Schmerzen im Bein auf. Sie muss sich setzen – und stirbt »ein geniales Frauenzimmer.« Mehr noch: »Wenn sie sich so kurz darauf an den Folgen einer Lungenembolie. Paula Moderweiter entwickelt, bin ich sicher, daß sie mal etwas sehr Feines sohn-Becker wurde nur 31 Jahre alt. in der Kunst leisten kann.« Wolfgang Stelljes


Die Wohnungslosen

»Die effektivste Art Obdachlosigkeit zu bekämpfen ist die Bereitstellung von Wohnraum. Oder wie es ein ehemals Wohnungsloser gesagt hat: Mit einer Wohnung bin ich König über mein kleines Reich. Daran muss sich Politik messen lassen. Das neue Jürgen Schabram Wohnraumförderprogramm Geschäftsführer, Soziale Wohnder Stadt Hannover will 50 raumhilfe Hannover gGmbH Prozent der geförderten Wohnungen für arme Menschen – Eine moderne KulturBeleg­rechtswohnungen. Gut so. Eine Partei fordert, das hauptstadt bietet selbst Housing First an. kommunale Wohnungsunter­ nehmen hanova so auszustatten, dass es mehr Beleg­ rechtwohnungen bauen kann. Gut so. Bitte tut beides! Trotz Neubauboom steigt das Problem der Wohnungslosigkeit weiter an. Es werden nicht ausreichend Wohnungen für arme Menschen gebaut und die Einwohnerzahl Hannovers steigt an. Die Stadt begegnet der steigenden Anzahl an Obdachlosen u.a. mit der Schaffung neuer Notunterkünfte. Vielleicht muss man diesen Weg beschreiten. Aber dann bitte menschenwürdig. Ein abschließbares Zimmer mit Bad und Kochgelegenheit muss Standard der Notunterbringung sein. Das Wort bedeutet doch schon, dass hier Menschen in Not sind. Und dieser Not darf die Stadt nicht begegnen, indem zuerst gefragt wird, wer eigentlich zuständig ist. Und die Hilfe in der Not kann nur der Anfang der Hilfe sein. Sozialpädagogische Fachkräfte müssen Bestandteil der Nothilfen sein. Und die Krönung wäre es, wenn die Stadt über viele Housing First Projekte den Obdachlosen Wohnungen anbieten würde. Das entspräche einer modernen sozialen Stadt, die Kulturhauptstadt werden will.«

Der Wohnungsmarkt »In den nächsten zehn Jahren müssen allein in der Stadt Hannover bis zu 20.000 Wohnungen geschaffen werden. Diese Wohnungen müssen für weite Teile der Bevölkerung tatsächlich bezahlbar sein. Die Landesregierung hat bereits vor einiger Zeit Geld für die Schaffung von Wohnraum zur Verfügung gestellt. Dieses Geld muss jetzt in spürbarer Weise abgerufen werden. Außerdem muss endlich die Zweck­ entfremdung von Wohnraum gestoppt werden, die sich zur Zeit vor allem im Missbrauch von Wohnraum durch Nutzung als Ferienwohnungen sowie beim (teils spekulativen) Leerstand zeigt. Die Bekämpfung dieses Ärgernisses kostet Geld, dessen Einsatz aber zwingend notwendig ist, um den Wohnraummangel effektiv zu bekämpfen.«

Foto: DMB

Foto: Diakonisches Werk

Hannover hat die Wahl. Für den 27. Oktober sind rund 370.000 wahlberechtigte HannoveranerInnen aufgerufen, das Oberbürgermeisteramt neu zu besetzen. Zwölf KandidatInnen treten an. Für den einen oder die eine steht spätestens am Abend des Stichwahltermins 10. November fest: Jetzt wird es ernst, denn es gibt viel zu tun. In Sachen Wohnen, Armut und Gestrandete hat Asphalt fünf Experten gefragt, was sie der künftigen Führungsriege am Trammplatz mit auf den Weg geben. Eine Asphalt-Wahlhilfe.

Reinhold Fries Geschäftsführer, Deutscher Mieterbund Hannover e.V.

Die Zweckentfremdung von Wohnraum muss gestoppt werden.

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WAS ZU TUN IST

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Bitte mit Kraft endlich marode Unterkünfte sanieren.

»Sicherheit ist das A und O für jeden Obdachlosen. Davon gibt es in Hannover viel zu wenig. Sowohl auf der Straße, »auf der Platte«, als auch in den Unterkünften. Es kann doch nicht angehen, dass sie tagsüber schlafen müssen, weil es den Obdachlosen nachts zu gefährlich vorkommt. In den Unterkünften wie am alten Flughafen in Vahrenheide sind für rund 300 Menschen gerade mal eine Handvoll Mitarbeiter der Security vor Ort zuständig. Also muss in einer ersten Sofortmaßnahme das Personal vor Ort deutlich aufgestockt werden. Außerdem sind manche Unterkünfte so marode, dass aus unserer Sicht die Unterbringung nicht menschenwürdig ist. Schön wäre es, wenn der oder die neue OberbürgermeisterIn da durchsetzungsstark bauliche Verbesserungen in Angriff nähme. Und nach wie vor haben in Hannover Tierliebhaber unter den Obdachlosen das Nachsehen: Viele Berber mit Hund sind gezwungen »Platte zu machen«. Ich allein kenne rund 20 Leute, bei denen das so ist. In Hamburg bietet die Caritas übrigens eine ganz wunderbare tägliche Hilfe für Obdachlose an: Eine große Aufbewahrungsstätte für das jeweilige bisschen Hab und Gut der ganzen Leute von der Straße. Morgens können sie dort ihre Schlafsäcke, Pappen und Taschen abgeben und abends, wenn es wieder zum Schlafplatz geht, wieder abholen. Denn bisher kommt es immer wieder vor, dass die Platten der Obdachlosen dann, wenn sie gerade nicht an ihrem Platz sind, abgeräumt werden. Das Beispiel aus Hamburg also bitte hier nachmachen! Wir selbst als Obdachlosenhilfe unterstützen mehrmals wöchentlich mit kostenlosen Armenspeisungen die Menschen von der Straße. Ein bisschen mehr ideelle Unterstützung durch die Politik und wohlwollendere Haltung der Verwaltung, wenn es zum Beispiel um die Genehmigung von Ausgabestellen geht, wäre wünschenswert.«

Die Wanderarbeiter »Die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit sorgt dafür, dass immer mehr Menschen aus Osteuropa nach Deutschland kommen, um hier temporär zu arbeiten. Aus Polen, Rumänien, Bulgarien oder Moldawien zum Beispiel. Zunächst einmal haben sie keinerlei Ansprüche auf Sozialhilfe oder ähnliches. Und auch wenn sie hier Arbeit finden, Beispielsweise in der Fleischindustrie, im Schiffsbau, im Paketdienst oder in der Landwirtschaft, und sie werden irgendwann arbeitslos, dann müssen sie das Land nach sechs Monaten wieder verlassen, wenn sie hier nicht durchgehend fünf Jahre gearbeitet haben. Also Abschiebung. Es sind also allermeist kaum gesicherte Arbeits- und Aufenthaltsverhältnisse. In unsere Beratung kommen viele Menschen, weil sie Deutschland zu sehr vertraut haben. Oft wundern sie sich gar nicht, wenn sie ohne schriftlichen Vertrag arbeiten, oder das Geld bar gezahlt werden soll. Denn sie Vertrauen auf den guten Ruf von Deutschland. Dann plötzlich wird das Geld teils gar nicht oder teils unter hohen Abzügen für Wuchermieten in Gemeinschaftsunterkünften gezahlt, so begehen die Subunternehmer auch Sozialversicherungsbetrug. Dann merken die Wanderarbeiter, dass sie ihre Rechte auf Lohn kaum durchsetzen können. In unserer Beratung sind das Klassiker. Manche stranden dann temporär in der Obdachlosigkeit. Was auf kommunaler Ebene fehlt? Kostenlose Sprachkurse für die mobilen Beschäftigten und spezielle Ansprechpartner vor Ort. Ein Trinkraum reicht definitiv nicht. Und oft sind die Probleme der Ausbeutung so tiefgehend, manche Menschen sind im rechtlichen Graubereich auf einem Arbeiterstrich tätig. Rekrutiert, getäuscht und abgezockt – da muss man sogar manchmal von Menschenhandel sprechen. Für solche intensiven Fälle aber gibt es keine interdisziplinäre Anlaufadresse in Hannover. Das wird unbedingt gebraucht.«

Manchmal muss man sogar von Menschenhandel sprechen.

Foto: V. Macke

Foto: V. Macke

Mario Cordes 1. Vorsitzender, Obdachlosenhilfe Hannover e.V.

Die Sicherheitslage

Paul-Octavian Idu Beratungsstelle für mobile Beschäftigte Hannover, Arbeit und Leben gGmbH


Foto: V. Macke

Wahl der Oberbürgermeisterin oder des Oberbürgermeisters am 27. Oktober 2019 sowie etwaige Stichwahl am 10. November 2019

Auch wohnungs- und obdachlose Bürgerinnen und Bürger sind wahlberechtigt

Vikas Bapat Fachabteilungsleiter Niedrigschwellig, STEP GmbH

Eine 24/7-Notunterkunft ist dringend erforderlich. Die Drogenabhängigen »Die Drogenszene in Hannover besteht seit vielen Jahren – und seit vielen Jahren ist die Zusammenarbeit mit den politischen Vertretern der Stadt vertrauensvoll und konstruktiv. Das wünschen wir uns so fortzusetzen. In der Stadtöffentlichkeit werben wir für Akzeptanz und versuchen, das Thema Suchterkrankung immer wieder zu verdeutlichen um mehr Verständnis, auch für die Lebensverhältnisse der erkrankten Menschen zu schaffen. Genauso wie Obdachlose oder Angehörige der Trinkerszene sind auch Drogenkonsumierende ein sichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Die Bedingungen für den gemeinsamen Lebensraum immer wieder neu auszuhandeln, zu gestalten und zu verbessern, ist unsere gemeinsame Aufgabe. Die Verdrängung von Szenen trägt nie zur Verbesserung bei, sondern verschiebt Probleme, die aus unserer Erfahrung dann sehr viel schwieriger zu handhaben sind. Was fehlt – und aus unserer Sicht den öffentlichen Raum entlasten würde – sind gestaltete Räume, die an die Bedürfnisse der Hilfesuchenden angepasst sind. Der öffentliche Platz, auf dem sich die offene Drogenszene aufhält, braucht Sitzgelegenheiten, ausreichende Überdachungen, die Schutz vor Sonne und Regen bieten, und dringend eine Lösung für die derzeitigen sanitären Probleme. Eine niedrigschwellige Notunterkunft ist zusätzlich dringend erforderlich. Eine szenenahe Einrichtung also, die Menschen rund um die Uhr aufsuchen können, wo sie jederzeit sanitäre Anlagen nutzen dürfen, auch tagsüber einen Schlafplatz finden, sozialpädagogische Hilfen in Anspruch nehmen können und darüber hinaus einen Platz haben, wo sie keine Angst haben müssen – sogar willkommen sind.«

Wählen darf, wer am Wahltag • die deutsche Staatsbürgerschaft oder die Staatsbürgerschaft eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt, • mindestens 16 Jahre alt und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, • seit drei Monaten in Hannover übernachtet hat. Bei Personen ohne Wohnung gilt der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts als Wohnung. Öffnungszeiten der Briefwahl-Außenstelle im Kontaktladen „Mecki“ • vom 8. bis 25. Oktober 2019 • jeden Dienstag, Donnerstag und Freitag von 10 bis 11 Uhr • im Falle einer Stichwahl zusätzlich vom 29. Oktober bis 8. November • jeden Dienstag, Donnerstag und Freitag von 10 bis 11 Uhr

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Das Fahrgastfernsehen. · Goethestraße 13 A · 30169 Hannover · (0511) 366 99 99 · redaktion@fahrgastfernsehen.de

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AUS DER SZENE

Zehn Jahre Suchthilfe für Wohnungslose Hannover. Dieses Angebot ist bundesweit einmalig: Ursula Neubacher ist die einzige Suchttherapeutin in der Wohnungslosenhilfe. Und das inzwischen seit zehn Jahren. Zuvor war die Sozialarbeiterin 13 Jahre im diakonischen Kontaktladen »Mecki« am Raschplatz mit dem Problem alkoholkranker Wohnungsloser konfrontiert. Armut, Isolation, geringe Schulbildung, fehlende soziale Basiskompetenzen sowie die Belastung durch häufig unentdeckte psychische Krankheiten kennzeichneten deren Lebensumstände. »Uns wurde zunehmend klar, dass wir ein niedrigschwelliges Angebot für diese Menschen schaffen mussten«, sagt Neubacher, die oft andere Wege als in der traditionellen Suchttherapie beschreiten muss. »Wenn mein Klient nicht weiß, was er abends essen oder wo er schlafen soll, kann ich keine Entspannungsübungen mit ihm machen.« Führte sie im Jahr 2009 noch mit 61 Ratsuchenden rund 400 Gespräche, kamen im letzten Jahr schon 185 Klienten zu 1.200 Gesprächskontakten in die Zentrale Beratungsstelle (ZBS) der Diakonie in der Berliner Allee 8. Dort ist Neubacher Mo.-Fr. von 9-11 Uhr sowie nach Vereinbarung zu erreichen. UM

Eine neue Unterkunft für obdachlose Familien hat die Landeshauptstadt in Hannover-Lahe am Rande der Autobahn in Betrieb genommen. Das neue Zuhause für die Familien aus der Podbielskistraße 115 – größtenteils Roma, die zwischenzeitlich auch im Burgweg zuhause waren – wurde in so genannter Modulbauweise, also aus fertig eingerichteten Containern erstellt. Das dreigeschossige Gebäude bietet neun Wohneinheiten für drei Personen und 18 Wohneinheiten für vier Personen. Jede dieser 27 Wohneinheiten bietet neben Schlafzimmern mit Blechspind, Stuhl und Bett auch eine spartanisch aber zweckdienlich eingerichtete Wohnküche sowie je eine Nasszelle. Fernsehempfang wird laut StadtFoto: V. Macke

Foto: Sabine Dörfel

Unterkunft für 99 Obdachlose

verwaltung gewährleistet, Wlan soll es aber nicht geben. Zudem gibt es ein Gemeinschaftshaus mit Betreuungsräumen, Teeküchen und Büros. Die Baukosten belaufen sich auf 4,5 Millionen Euro. Für die Betreuung der 99 Obdachlosen stehen 80 Sozialarbeiterstunden pro Woche zur Verfügung. Ein Secu­ ritydienst wacht rund um die Uhr. MAC

Landesarmutskonferenz lädt zum Wohngipfel Hannover. Explodierende Mieten, Verdrängung von Bewohnern, Wohnungslosigkeit: Wird Wohnen in der Stadt zu einem für die Mehrheit unerschwinglichen Luxus? Trotz mancher Ankündigungen findet die Politik bislang keinen wirksamen Zugriff auf das Problem (s. S. 7 – 13). Die Landesarmutskonferenz (LAK) Niedersachsen diskutiert Alternativen – aus Sicht der Betroffenen. Und die sind heute von Hartz-IV-Empfängern bis zu den Mittelschichtlern die Mehrheit in den Ballungsräumen. Der Wohngipfel steigt am 04. November in der Marktkirche in Hannover. Von 10:30 bis 15:30 Uhr. Mit dabei Olaf Lies, niedersächsischer Bauminister, Fachleute wie Matthias Günther vom Eduard-Pestel-Institut, Vertreter von Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden und Wohnungslosen. Um Anmeldung wird bis zum 28. Oktober gebeten unter: anmeldung@ rls-nds.de oder Tel.: 0511 – 27 909 34. Die Teilnahme ist kostenlos und barrierefrei möglich. UM


Immer wieder kam und kommt das Thema auf: »Bargeld abschaffen«. Für und Wider werden ausgiebig diskutiert. Ich kann nur hoffen, dass diese Idee schnell wieder in Vergessenheit gerät und ich, solange ich lebe, meine Einkäufe mit meinen Euros bezahlen kann. Ich bin altmodisch genug, um keine Lust zu haben, noch gläserner zu werden, als ich es eh schon bin. Mir ist es völlig unverständlich, wie freigiebig sich ein Großteil der Bevölkerung durchsichtig macht, wie viele persönliche Informationen die über sich preisgeben. Orwell 1984 – weit entfernt davon sind wir nicht. Über unser Handy kann jederzeit unser Standort ermittelt werden, mit wem wir kommunizieren natürlich auch. Die Bankgeschäfte sind jederzeit abrufbar und sobald ich mit einer Kreditkarte einkaufe, kann problemlos verfolgt werden, was und wo ich einkaufe. Nein, ich liebe meine Euros, mit ihnen will ich weiterhin meine kleinen Besorgungen erledigen. Und diese gehen niemanden auch nur das Geringste an; sie sollen ganz allein meine Angelegenheit bleiben. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut und nicht ein gläsernes Massenprodukt.

Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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»BESSER ALS EIN MEDIKAMENT« Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäuferin Heike (34).

Du hast am 1. Oktober Geburtstag, herzlichen Glückwunsch, Heike! Hast du etwas Schönes vor? Meine Eltern und ich haben schon jahrelang eine Tradition: An meinem Geburtstag gehen wir über den Kramermarkt – das ist ein Jahrmarkt hier in Oldenburg. Darauf freue ich mich. Mittlerweile gehen wir sogar immer zu viert. Ich habe einen kleinen Sohn. Er ist sieben. Der lebt bei seiner Oma, also meiner Mutter.

Wie lange verkaufst du schon Asphalt? Fast ein Jahr. Wenn ich in meine Depri-Phasen gehe, dann bin ich gern in der Stadt und verkaufe – weil es mich einfach wieder da rausholt! Die Menschen sind lieb und freundlich. Ich habe das Gefühl, dass durch das Verkaufen mein innerer Schweinehund in die Ecke getrieben wird, dass ich jetzt einfach regelmäßiger wieder was mache. Ich will mich nicht verkriechen, den Depressionen nicht nachgeben.

Toll, dass dir das Verkaufen aus den schwierigen Phasen heraushilft und du das auf diese Weise einzusetzen weißt! Asphalt ist für mich besser als ein Medikament – definitiv. Beim Verkaufen kann ich nebenbei auch zeichnen, schreiben, lesen, Musik machen. Am Anfang lief der Verkauf noch ein bisschen schleppend, aber als die ersten dann auf mich zukamen und mega freundlich waren, ging das alles von alleine weiter. Finanziell hilft es mir auch ungemein. Ich kann keine Menschen anbetteln. Ich habe sechs Jahre auf der Straße gelebt und es mehrfach versucht, aber keine Chance – ich kann es nicht.

Sechs Jahre auf der Straße? Mehr oder weniger. Gott sei Dank musste ich aber nie draußen – so richtig auf der Straße – schlafen. Ich bin von Freunden zu Freunden oder war auf dem Punkerplatz. Das ist eine Wagensiedlung, da wohnt man in Bauwagen. Ich bin froh, dass ich da unterkommen konnte, aber auch, dass das mittlerweile Geschichte ist – und ich wünsche es mir nicht zurück!

Wie lebst du heute? Seit dem 1. Februar habe ich ein WG-Zimmer. Da wohne ich mit sechs weiteren Leuten, mit Freunden. Ich fand es am Anfang echt anstrengend. Sechs Jahre habe ich im Endeffekt keine Regeln gehabt. Da bin ich aber auch wieder reingekommen.

Wie bist du damals auf der Straße gelandet? Ich bin Epileptikerin und habe Depressionen. Vor meiner Zeit auf der Straße habe ich zuerst bei meiner Mutter gelebt, weil ich ja meinen Sohn bekommen habe. Dann habe ich in einer Einrichtung für psychisch Erkrankte gewohnt und dauernd Anfälle bekommen, weil ich meine Medikamente am frühen Morgen nicht nehmen konnte. Da ist einiges schiefgelaufen. Ich musste da raus und bin zu meinem Freund gezogen. Meine Betreuerin meinte, dass es nur ein paar Wochen dauern würde, bis ich wieder eine Wohnung hätte … So war es dann aber nicht.

Und dein Sohn lebt jetzt noch bei deiner Mutter? Ich habe das komplette Sorgerecht an meine Mutter abgegeben, sonst wäre er mir ganz weggenommen worden. Im Laufe der Jahre hat sich ganz schön was angehäuft bei mir: durch die Epilepsie und die Depressionen. Jetzt sehe ich ihn mindestens einmal im Monat zu festen Terminen und weiß, dass es ihm gut geht. Das läuft gut, auch mit unserer Bindung.

Wie war denn deine Kindheit? Die meisten Probleme in meiner Kindheit hatte ich wegen meiner Epilepsie: Ich durfte nicht reiten, schwimmen, nicht in die Sonne. Ansonsten war alles sehr behütet und meine Eltern sehr liebevoll. Sie haben mir beide so viele Möglichkeiten gegeben, wie sie konnten – auch finanziell gesehen, obwohl sie nicht viel hatten. Wenn ich mir von anderen Menschen anhöre, was die alles so erlebt haben, da bin ich echt glücklich, dass ich ein super gutes Zuhause hatte. Hätte ich das nicht gehabt, hätte ich meinen Sohn da auch nicht abgegeben.

Du hast gesagt, dass du beim Verkaufen zeichnest und Musik machst. Ist das so dein Ding? Kreativ sein? Ob das richtig kreativ ist, das weiß ich nicht. Ich versuche gerade, Gitarre spielen zu lernen – noch bin ich eher schlecht als recht, aber es macht Spaß. Ich habe viele Hobbys: Zeichnen, Menschen kennenlernen, Quatschen, Sonne genießen … Ich kann die Sonne wegen meiner Epilepsie ja nicht immer gut aushalten. Sie kann Anfälle auslösen, unter anderem deshalb habe ich auch den Hut auf. Kann ich sie dann an einem Tag aber gut vertragen, genieße ich sie in vollen Zügen. Am meisten genieße ich es aber, Zeit mit meinem Sohnemann zu verbringen. Da geht nichts drüber! Interview und Foto: Svea Kohl


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Heike verkauft Asphalt in der Innenstadt von Oldenburg.


Fotos: G. Biele (2), K. Powser (1)

RUND UM ASPHALT

Jubiläum mit Text und Torte Eine Ode an die Solidarität, ein Loblied auf Asphalt. Nichts weniger brachte Meisterdichter Tobias Kunze zum Jubiläum zu Gehör. Bejubelt und beklatscht von Asphalt-Verkäuferinnen und Verkäufern, Team und ehrenamtlichen Helfern. Auf den Tag genau 25 Jahre nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe der Straßenzeitung hat Asphalt zwischen Zirkuswagen und Haus der Jugend groß gefeiert. Mit Grill, Kuchen, Musik, guten Gesprächen und Wiedersehen mit so manchen Weggefährten aus der Hilfeszene. Denn einige Asphalter sind immer noch dabei.

Wir trauern um unsere Verkäuferin

Brigitte Schmidt * 29. September 1948

† 29. August 2019

Das gesamte Asphalt-Team mit allen MitarbeiterInnen und VerkäuferInnen.

Es gibt nichts anderes für ihre Lebenslagen. Kein Arbeitsmarktprogramm, keine Sozialarbeit. So bietet Asphalt Teilhabe und Schutz seit Anbeginn. Unser herzlicher Dank geht an »Leibniz« Rainer Künneke, Thorsten Hitschfel, Bäcker Frank Ekkenga, Getränkelieferant Brunnenkopp und Staude, an die Grillmeister von Hannover 96 Sales&Service, den Turn-Klubb zu Hannover, sowie ans Haus der Jugend und die Azubis von Pro Beruf für Geschirr, Kaffee und Unterstützung. Und natürlich an die Ehrenamtlichenrunde von Asphalt. Für alles. MAC

Das Herz der Straße 25 Jahre Asphalt. Unsere Jubiläumsausgabe liefert Rückblicke, Aus­ blicke, Daten und Fakten. Asphalt-Gründer Walter Lampe spricht über die Gründungstage, über Dankbarkeit, Freundschaft und das Notwendige. Verkäufer der ersten Stunde erzählen über ihr Leben mit Asphalt. Die Jubiläumsausgabe gibt es ab sofort für 2,20 Euro auf Straßen und Plätzen. Die Hälfte davon bekommt wie immer der Verkäufer.


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Bis es euch gefällt »Wenn Sie mit anderen Leuten Fahrstuhl fahren, sagen Sie während der Fahrt zu den anderen mal ganz souverän: Die Fahrscheine bitte!«, forderte Matthias Brodowy sein Publikum auf, im Alltag viel mehr Quatsch zu machen. Es war mal wieder Freitag, der 13. Und jeder Asphalt-Fan weiß, der Tag ist was ganz Besonderes für die AsphalterInnen. Und besonders war er wirklich. Eine Benefiz-Veranstaltung von Matthias Brodowy in der International School in Hannover zu Gunsten von Asphalt. Lustig, tiefsinnig, albern, berührend und immer authentisch, mit Haltung, Pointen

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»Asphalt ist mitten aus dem Leben«

Foto: G. Biele

Dennis M. Bohnecke GOP-Direktor

und viel Musik. Mit seinem Best-off-Programm »Biss es euch gefällt« zauberte der Hannoveraner auch dem knurrigsten Gast ein Schmunzeln ins Gesicht. »Das gibt ganz sicher Muskelkater vom vielen Lachen«, schwärmte Asphalt-Verkäuferin Inge-Lore nach der Veranstaltung. Eröffnet wurde der Benefiz-Abend zunächst aber von den Sängerinnen und Sängern des ChorWerks Hannover, einem Musikprojekt, in dem wohnungslose Menschen gemeinsam proben und singen. Für diesen wunderbaren Abend sagt das Asphalt-Team herzlich Danke an Stephan Handwerker für die Gastfreundschaft, an das ChorWerk Hannover und natürlich an Matthias Brodowy und die vielen ehrenamtlichen Helfer. Danke auch an das Publikum für ihre Verbundenheit zu Asphalt und die Spendensumme von rund 1355 Euro. GB

gesucht – gefunden Verkäufer Thomas: Ich suche einen Laptop und eine Spielkonsole mit ein paar Spielen. Danke! [V-Nr. 1909] Kontakt: 0152 – 55438452. Verkäufer Mario: Ich suche einen Laptop. [V-Nr. 1970] Kontakt: 0157 – 55433509.

Hannover und Niedersachsen ist stolz auf seine Asphalt. Es ist allmonatlich eine große Freude den leidenschaftlichen Asphalt Verkäufer*innen zu begegnen und die neuste Ausgabe zu kaufen und einen Plausch zu halten. Für mich fühlt es sich immer wieder wie eine kleine Premiere bei uns im Theater an. Qualitätsjournalismus mit vielfältigen Themen mitten aus dem Leben und damit Gutes tun – das ist für mich meine Asphalt.

on … Wussten Sie sch

it ohne seine soziale Arbe … dass Asphalt e finanziert? ss hü sc Zu chliche öffentliche und kir enerlösen sind aufs- und Anzeig Neben den Verk Förderer die rer Freunde und die Spenden unse ierung. nz zur Gesamtfina wichtigste Stütze ende: indung für Ihre Sp Unsere Bankverb Asphalt-Magazin 30 0410 0000 6022 IBAN: DE35 5206 EK1 BIC: GENODEF1 nk Evangelische Ba ck: Sozialarbeit Verwendungszwe

… mehr als eine gute Zeitung!

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RUND UM ASPHALT

Fotos: G

. Biele

Bowling mal anders Sport treiben und dabei Freude haben – auch die zweite Auflage vom »Cup der Guten Hoffnung« war ein voller Erfolg. Elf Mannschaften aus neun sozialen Einrichtungen in Hannover traten bei diesem Bowlingturnier gegeneinander an und bowlten um die Plätze. Spiel und Spaß standen Vordergrund, aber auch der sportliche Wettstreit und das Miteinander waren gefragt, denn auf die drei besten Teams wartete jeweils ein Pokal. Am Ende durfte sich die Mannschaft der Caritas über Platz Eins freuen, der zweite Platz ging an den Saftladen und den dritten Platz erkämpfte das Karl-Lemmermann-/Paul-Oehlkers-Haus. Egal ob gewonnen oder nicht, am Ende gab es für jeden noch Sachspenden, gestiftet von 96plus, Fa. Dirk Rossmann und der BKK VBU. Schirmherren waren Ricarda und Udo Niedergerke, die über ihre gleichnamige Stiftung den »Cup der Guten Hoffnung« finanziell unterstützt haben und so unter anderem für das leibliche Wohl sorgten. Initiiert und organisiert wurde die Veranstaltung von Asphalt-Vertriebsleiter Thomas Eichler in Kooperation mit Dara Bichou von der Bowling World Hannover, die auch die Bahnen und Schuhe kostenlos zur Verfügung gestellt haben. Die Barber Angels sorgten noch vor dem Turnier für den perfekten Look. Acht Friseurinnen haben bei rund 60 TurnierteilnehmerInnen die Haare geschnitten, geföhnt und gestylt. »Wenn es einem selber gut geht, dann kann man auch Menschen, die am Rande der Gesellschaft wohnen etwas wiedergeben. So ein Haarschnitt macht ganz viel aus und gibt ganz viel Selbstwertgefühl«, begründet Carola Kherfani den Einsatz ihrer Engel. Durch Aktivitäten wie diese haben auch die Nutzer sozialer Einrichtungen die Möglichkeit, Freizeitangebote wahrzunehmen und am sozialen Leben teilzuhaben. GB

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BESUCHERBERGWERK KLOSTERSTOLLEN BARSINGHAUSEN Helm auf – Lampe an „Glück auf“ – und los geht´s! Fahren Sie mit der Grubenbahn in den Berg hinein und tauchen Sie in die 300jährige Geschichte des Deisterbergbaus ein. Nach ca. zweistündigem Bergbau-Abenteuer kommen Sie zurück ans Tageslicht.

Es werden feste Einfahrtzeiten angeboten. Infos und Anmeldung: Besucherbergwerk Barsinghausen · Hinterkampstr. 6 30890 Barsinghausen · Tel. 05105 514187 E-Mail: klosterstollen@t-online.de


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Jan und Jana geben Gas

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Gewinnsp

Im Erlebnis-Zoo Hannover erkunden gleich zwei Zebrajungtiere ihre Umgebung am Ufer des Sambesi. Auf staksigen Beinen folgen sie ihren Müttern, versuchen sich in gewagten Sprüngen und kurzem Galopp, bis sie irgendwann einfach umfallen und schlafen. Monis Tochter Jana erblickte am 8. August das Licht der Welt, eine Woche später, am 15. August, wurde Elas Sohn Jan geboren. Bei der Geburt wiegt ein Zebra rund 30 Kilo und wird etwa sechs bis acht Monate lang gesäugt. Erst nach einem Jahr trennt sich der Nachwuchs von der Mutter und geht eigene Wege. Bis dahin toben Jan und Jana weiter über die Steppe – immer gut bewacht von ihren Müttern. Von allen Wildpferdearten ist das Steppenzebra am weitesten verbreitet. Trotzdem wird diese Art von der Weltnaturschutzunion IUCN als »potentiell gefährdet« eingestuft, da die Bestände immer weiter abnehmen. Ein Problem: Weidezäune versperren den Tieren bei der Wanderung den Weg zu Trinkwasser. Mit Asphalt könne Sie zwei Tagestickets für den Zoo Hannover gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage: Wann kam Jana zur Welt?

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Foto: Zoo Hannover

Asphalt verlost 10 x 2 Karten für den Zoo Hannover

Schicken Sie uns eine Postkarte, eine E-Mail oder ein Fax mit Ihrer Antwort und dem Stichwort »Zoo« bis zum 31. Oktober 2019 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover, gewinne@asphalt-magazin.de, Fax 0511 – 30126915. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautet: »drei«.

Machen Sie bei uns mit! Die Runde der Ehrenamt­lichen trifft sich an jedem letzten Dienstag im Monat in den hannoverschen Asphalt-Redaktionsräumen. Da werden Veranstaltungen organisiert, Info-Stände geplant und Ideen gesammelt, um die Arbeit von Asphalt engagiert zu unterstützen. Besonders für unsere Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer ist es wichtig zu spüren, dass viele Menschen hinter ihnen stehen. Wir freuen uns, wenn Sie sich dieser lebendigen Runde anschließen möchten! Rufen Sie uns einfach vorher an: 0511 – 30 12 69-0. Das nächste Treffen ist am Dienstag, 29. Oktober, um 17 Uhr.

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei VerkäuferInnen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Grün

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Gesellschafter: Diakonisches Werk Hannover, H.I.o.B. e.V. Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Svea Kohl, Ulrich Matthias Fotografin/Kolumnistin: Karin Powser Gestaltung: Maren Tewes Freie Autoren in dieser Ausgabe: Marie Christin Müller, B. Pütter, W. Stelljes, K. Zempel-Bley

Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Christian Ahring (Sozialarbeiter) Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Fax 0511 – 30 12 69-15

Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1 Online: www.asphalt-magazin.de redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 22.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 23. September 2019

Für unaufgefordert eingesandte Manus­kripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weiter­ gegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus.


RUND UM ASPHALT

Authentisch auf Asphalt Niemand kennt die Straße besser als die, die auf ihr leben. Oder gelebt haben. Dank Asphalt diese Lebensphase hinter sich lassen konnten. Thomas (im Bild mit Hut) ist so einer. Asphalt-Verkäufer und Führer des sozialen Stadtrundgangs. Einst drogensüchtig, heute clean, einst auf Spielplätzen und unter Brücken zuhause, heute in einer eigenen kleinen Wohnung. In einer Zeit von Wahlkampf, Wahlversprechen und dringend nötigem Sachverstand hat Asphalt den Kandidaten und Kandidatinnen für das Amt des Oberbürgermeisters von Hannover sein einzigartiges Expertenwissen angeboten. Und fast

Kommen Sie mit – zum sozialen Stadtrundgang! Asphalt zeigt Ihnen das andere Hannover. Unsere Verkäuferinnen und Verkäufer führen Sie zu Orten, an denen Wohnungslose keine Randgruppe sind. Ein außergewöhnlicher Stadtrundgang – von ExpertInnen der Straße geführt! Nächster Termin: 25. Oktober 2019, 15 Uhr. Treffpunkt: Asphalt, Hallerstr. 3, 30161 Hannover. Bitte anmelden unter: 0511 – 301269-20. Teil­ nahme auf Spendenbasis: ab 5 Euro pro Person. Gruppen vereinbaren bitte gesonderte Termine! Auf Nachfrage auch in englischer Sprache!

Foto: G. Biele

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alle griffen zu: (v.l.n.r.) Marc Hansmann, Jessica Kaußen, Joachim Wundrak, Belit Onay, Iyabo Kaczmarek, Eckhard Scholz, Julian Klippert, Adam Wolf und Catharina Gutwerk. Straßenkinder in Hannover? Leider immer wieder – man muss nur genau hinsehen. Drogenentzug direkt hinterm Bahnhof? Braucht dringend Unterstützung. Warmes Essen, warme Betten, warme Duschen? Gibt es immer noch viel zu wenig. Eine Trinkhalle als Antwort auf europarechtliche Defizite? Kann nicht reichen. Und immer mehr Frauen ohne Bleibe? Verkäufer Thomas wusste viel Insiderwissen über die einzelnen Hilfeeinrichtungen im Viertel zu berichten. Und von seinen Erfahrungen auf der Straße. Nachfragen, Staunen. Manch Kandidat glänzte mit Kenntnissen, andere waren gelehrige Schüler. Manches Versprechen wurde – abseits des Protokolls – gegeben. »Ich hoffe nur, dass, wer auch immer die Wahl gewinnt, er oder sie sich nach der Wahl erinnert«, sagte Thomas zum Ende des Rundgangs am dunklen Ende des Raschplatzes. MAC

a m n e s t y a f t e r wo r k Schreiben Sie für die Menschenrechte – gegen Verfolgung, Gewalt und Folter

Gemeinsam für die Menschenrechte Sie können helfen: Wir laden Sie herzlich ein, uns montags zu besuchen. Lassen Sie Ihren Tag mit einer guten Tat bei Kaffee, Tee und Gebäck ausklingen, indem Sie sich mit Faxen, Petitionen oder Briefen gegen Menschenrechtsverletzungen in aller Welt einsetzen. Öffnungszeiten: Montag 18 bis 19 Uhr after work cafe Dienstag 11 bis 12 Uhr, Donnerstag 18.30 bis 19.30 Uhr amnesty Bezirksbüro Hannover Fraunhoferstraße 15 · 30163 Hannover Telefon: 0511 66 72 63 · Fax: 0511 39 29 09 · www.ai-hannover.de Spenden an: IBAN: DE23370205000008090100 · BIC: BFSWDE33XXX Verwendungszweck: 1475


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DIE KRANICHE KOMMEN Die Diepholzer Moorniederung zählt zu den bedeutendsten Rastplätzen des Kranichs in Deutschland. Die Vögel machen hier Station auf ihrem Weg in die Winterquartiere – ein beeindruckendes Naturschauspiel. Birgit Klöpper hat Stellung bezogen, in einem kleinen Bauwagen am Rande des Goldenstedter Moores. Vor ihr eine flache Ebene, aus der junge Birken und – in weiter Ferne – ein paar Torfberge emporragen. Es ist ruhig, das Pfeifengras wiegt sich im Wind. Ein guter Platz für Vogelfreunde. Unweigerlich wird man still und sucht den Himmel mit seinen Augen ab. Dann kommen sie. Lauter kleine schwarze Punkte, die sich am Horizont mal zu einer dichten Wolke, mal zu einer langen dunklen Schlange formieren: Kraniche. Viele Kraniche. Klöpper stützt

ihre Ellenbogen auf die Fensterklappe des Bauwagens. »Das sind 300, 400«, sagt sie bei einem Blick durch ihr Fernglas. »Dieser Riesenschwarm wird jetzt von denen, die schon am Boden sind, begrüßt.« Der Ruf des Kranichs, oft als trompetend beschrieben, erfüllt die Luft. »Gruh, gruh.« Immer lauter. »Gruh, gruh.« Vor allem die Altvögel sind weit zu hören. Der nächste Trupp fliegt ein, diesmal in Keilformation, die Hälse weit nach vorne gestreckt. Die langen Beine werden erst kurz vor der Landung ausgefahren, sagt Klöpper, »man meint


Das Goldenstedter Moor: Im knietiefen Wasser sind die Kraniche

Die Flügelspanne der Kraniche beträgt etwa 2,20 Meter. Trotz ihrer Größe

über Nacht sicher vor natürlichen Feinden wie dem Fuchs.

gelten die Vögel als scheu. Ihre Fluchtdistanz liegt bei 300 Metern.

Kraniche beobachten Zu »Kranichbegegnungen« laden das Naturschutz- und Informationszentrum (NIZ) und die LEB Goldenstedt ein. Die Wanderung mit Birgit Klöpper oder einem anderen Referenten beginnt an ausgewählten Tagen im Oktober und November beim NIZ, Arkeburger Straße 20. Beobachtet wird der Abendeinflug der Kraniche. Termine, Uhrzeiten und Anmeldungen unter der Telefonnummer 04444 – 2694, mehr Informationen: www. niz-goldenstedt.de. Der Aussichtsturm auf dem NIZ-Gelände ist ganzjährig geöffnet. Im Herbst lassen sich hier Kraniche von Mitte Oktober bis Anfang Dezember beobachten, im Frühjahr von Ende Februar bis Mitte April. Die beste Zeit: eine Stunde vor Sonnenuntergang. Fernglas oder Spektiv mitnehmen! Auch an anderen Orten rund um die Diepholzer Moorniederung gibt es Aussichtspunkte, zum Beispiel am Südrand des Rehdener Geestmoores und im Neustädter Moor (www.bund-dhm.de).

fast, man hört es einrasten.« Die Vögel sammeln sich in sicherer Entfernung, unsichtbar hinter hohem Gras. Alle naselang trudeln weitere Trupps ein. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit steigen sie dann gemeinsam auf und fliegen zu ihren Schlafplätzen. Kraniche schlafen mitten im Moor, stehend und – wenn möglich – umgeben von knietiefem Wasser, zum Schutz vor natürlichen Feinden wie dem Fuchs. Tagsüber sind sie auf Nahrungssuche, in einem Umkreis von vielleicht 20, 30 Kilometern. Fündig werden sie auf Feuchtwiesen und abgeernteten Maisfeldern. Dort sieht man mitunter Hunderte von Kranichen.

Das Goldenstedter Moor liegt am nordwestlichen Rand der Diepholzer Moorniederung. Schon um die Wende zum 20. Jahrhundert soll es hier Kraniche gegeben haben. Dann wurden die Moore trockengelegt. Jahrzehntelang hat man Torf abgebaut, erst im Handstich, später industriell. »Man hat ihnen das Bett genommen«, sagt Birgit Klöpper. Auch heute noch wird Torf abgebaut, allerdings hat man bereits vor über 30 Jahren mit der Wiedervernässung abgetorfter Flächen begonnen. Ohne diese renaturierten Flächen, ohne das Niedersächsische Moorschutzprogramm gäbe es hier keine Kraniche. Die ersten sollen um das Jahr 2000 herum aufgetaucht sein. Ein kleiner


Trupp nur, der davor, so vermutet Klöpper, auf einer anderen Route gen Süden zog und durch schlechtes Wetter »abgedriftet« sei. Ganz schlecht kann es den Tieren im Goldenstedter Moor nicht gefallen haben. »Irgendwie haben sie es weitererzählt.« Jedenfalls wurden es von Jahr zu Jahr mehr. Einmal in der Woche zählt Birgit Klöpper die einfliegenden Tiere. An einem Herbstabend 2016 kam sie auf 14.340 Kraniche, ein absoluter Spitzenwert. Im Ohne das Niedervergangenen Jahr hat sie die sächsische Moormeisten Tiere Ende Oktober gesichtet, da waren es 11.310. schutzprogramm Die Höchstzahl bei den sogegäbe es hier nannten Synchronzählungen keine Kraniche. in der gesamten Diepholzer Moorniederung im vergangenen Jahr: 42.839 Kraniche. Damit gehört das Gebiet zu den drei größten Rastplätzen in Deutschland, ähnlich bedeutsam wie die Rügen-Bock-Region an der Ostseeküste oder das brandenburgische Rhinund Havelluch. Birgit Klöpper war noch nicht bei den anderen Rastplätzen. Ihr graust vor dem Gedanken, dass »die Leute busweise kommen, dann haben wir ein Problem, dann rennen sie uns quer durchs

Text und Fotos: Wolfgang Stelljes

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Moor.« Schon heute ärgert sie sich, wenn mal wieder jemand die Hinweisschilder ignoriert oder mit dem Quad über Moorwege donnert. Seit 2004 ist Birgit Klöpper im Förderverein Goldenstedter Moor aktiv, seit 2011 bietet sie Führungen an. Gleich zu Beginn nimmt sie den Leuten allzu große Hoffnungen. Denn man weiß nie, ob man Kraniche sieht. »Wir sind nicht im Zoo.« Manchmal allerdings hat sie auch schon nach wenigen Metern Glück. Dann kommt die 59-Jährige mit ihren Gästen zu einer Stelle, von der aus man, geschützt durch eine lange Baumreihe, Kraniche auf einem abgeernteten Maisfeld beobachten kann. Die Tiere sind nicht zu übersehen: Mit einer Größe von etwa 1,20 Meter ist der Eurasische oder Graue Kranich deutlich größer als der Graureiher und der Weißstorch. Seine Flügelspanne von 2,20 Meter entspricht sogar der eines Adlers, der zu seinen größten Feinden zählt. Kraniche sind sehr scheu, ihre Flucht­ distanz liegt bei etwa 300 Metern. Heben sie den Kopf, sind sie so gut wie weg. Warum die Menschen so fasziniert sind vom Kranich, kann auch Birgit Klöpper nicht so genau sagen. »Der hat was Exotisches.« Und er ist intelligent und verfügt über einen ausgeprägten Familiensinn. Jedenfalls hat kaum ein anderer Vogel die Phantasie der Menschen derart beflügelt. Schon bei den alten Römern und Griechen sah man ihn auf Grabreliefs und Vasen, oft in Verbindung mit erotischen Szenen. Bei den Japanern gilt er als Glücksbringer, bei den Chinesen als Sinnbild für ein langes Leben und große Weisheit. Noch bis Anfang Dezember sind die Kraniche im Goldenstedter Moor. Dann ziehen sie weiter in ihre Winterquartiere im Südwesten Frankreichs, nach Spanien oder Nordafrika. Hunderte von Kilometern können sie an einem Tag zurücklegen. Kleinere Gruppen bleiben hier – sie überwintern und trotzen selbst größerer Kälte. Im Frühjahr kommen dann auch die anderen wieder. Und das Spektakel beginnt von Neuem.

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BUCHTIPPS Von der Wut »Ich will nicht zynisch oder verbittert klingen, sondern ich bin zynisch und verbittert, und dann klingt man eben so.« Endlich ist Darren McGarveys Bestseller »Poverty Safari« auf Deutsch erschienen. Darren McGarvey ist der bürgerliche Name des schottischen Rappers Loki, der in einem Glasgower Problemviertel, umgeben von Gewalt und Drogen – auch in der eigenen Familie – aufwuchs, und sich herauskämpfte aus Pollok und der eigenen Sucht. Jenseits der Punchlines ist McGarvey alles andere als zynisch und verbittert, er ist getrieben von einer produktiven Wut, die einen fast atemlos durch dieses Buch fliegen lässt. McGarveys Analyse des britischen Klassensystems, die Beschreibung der Ursachen und der Folgen von Armut sind radikal, präzise und klug. McGarvey verbindet sie mit seiner eigenen Geschichte und der großen Entschlossenheit, niemanden zu schonen, nicht den Leser und nicht sich selbst – sei es durch das Offenlegen der persönlichen traumatischen Erfahrungen oder durch das Bloßstellen von Lesererwartungen. Trainspotting-Autor und Straßenzeitungs-Botschafter Irvine Welsh fasst zusammen: »Nicht weniger als ein intellektuelles und spirituelles Rehabilitationsprogramm für die progressive Linke«. BP Darren McGarvey | Armutssafari | Luchterhand | 15 Euro

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WohnGlück Mit Hannoverherz & Immobilienverstand begleiten wir Sie in eine lebens- & liebenswerte Zukunft.

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Obdachlosigkeit ist in der Gegenwartsliteratur gar nicht so selten – als Vehikel für einen Krimi-Plot, als Großstadt-Kolorit oder als Straßenkid-Abenteuer im Jugendbuch. Von lieblos aneinander geklatschten Klischees bis zu großer Kunst (etwa bei Virginie Despentes) ist alles dabei. In »Die Schulter des Riesen« ist vieles anderes als sonst. Der Roman erzählt die Geschichte von Gregor Bach, dem nach einer falschen Entscheidung sein Leben entgleitet. Bereits die ersten hundert Seiten irritieren: Den Dominoeffekt, mit dem auf eine vermeintlich folgenlose falsche Entscheidung eine wahre Kaskade von kleineren und größeren Katastrophen folgt, die zu Trennung und Sorgerechtsstreit, Job- und Wohnungsverlust, Schulden und Vorstrafen führt, kennt jeder in der Wohnungslosenhilfe. Hier ist dieser Absturz, ebenso wie das Leben in der Obdachlosigkeit und das mit der Sucht mit großer Präzision und Glaubwürdigkeit erzählt. Das ist selten. Dabei behält der Roman bei allem psychologischen Interesse an seinen Figuren einen beinahe systemischen Blick. »Die Schulter des Riesen« ist ein so gut geschriebener wie recherchierter Gesellschaftsroman. Einer von unten. BP Raffael Rauhenberg | Die Schulter des Riesen | BoD | 12,85 Euro


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KULTURTIPPS Lesung Foto: Christoph Bastert

34 Die fromme Helene trifft Max und Moritz Wer kennt sie nicht, die Geschichte der landverschickten Helene, dem braven Onkel Nolte, der strengen Tante, Vetter Franz, Herrn G.J.C. Schmöck und … ja, der verheerenden Wirkung des Alkohols. Axel LaDeur liest in einer vergnüglichen Stunde die »Fromme Helene« von Wilhelm Busch und wird dabei musikalisch vom Fagott-Quartett »Die Fagottiere« aus Hannover begleitet, welche mit Musik aus der Zeit von Wilhelm Busch das sündhafte Geschehen kommentieren. Die originaloriginellen Zeichnungen werden auf die Leinwand projiziert. Samstag, 19. Oktober, Einlass 16 Uhr, Beginn 17 Uhr, Inklusives Kulturcafé Anna Blume auf dem Stadtfriedhof Hannover-Stöcken, Stöckener Straße 68, Hannover, Reservierung unter 0511 – 10581302, Eintritt 15 Euro, erm. 12 Euro, AktivPass 5 Euro.

Mörderinnen und Mörder Eine zuvorkommende Mutter zweier Kinder erstickt ihr Neugeborenes. Ein Mann schneidet zwei Frauen die Kehlen durch. Eine Geschäftsfrau metzelt ihren Mann nieder und verdrängt die Tat danach. Was sich wie ein Kriminalfilm anhört, ist pure Wirklichkeit. In seinen Büchern beschreibt Veikko Bartel nicht nur die Taten und was sich dahinter verbirgt, er gibt auch einen tiefen Einblick in seine Arbeit als Strafverteidiger. Er erzählt die Biographien dieser als »Monster« und »Abschaum« bezeichneten, verteufelten Männer und Frauen. Wie kann man »das« verteidigen? In seiner Lesung gibt der Autor viele Antworten auf noch mehr Fragen. Sonntag, 13. Oktober, Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, Kulturzentrum Faust, Warenannahme, Zur Bettfedernfabrik 3, Hannover, Eintritt VVK 15 Euro, AK 18 Euro.

Bühne Nicht mehr alleine an der Leine Die Welt ist im Wandel. Hannover auch. Und das nicht nur zum Besten – das spüren auch Rosa L. und Mandy. Doch was tun, wenn der letzte Frauenbuchladen in Hannover schließen muss oder die Billigketten den Friseursalon in Linden vernichten? Am besten: »Frau« kämpft gemeinsam für ihre eigenen Träume. Kann da die Casting-Show »Deutschland sucht den Supermieter« die Rettung sein? In ihrem zweiten selbstverfassten Stück »Nicht mehr alleine an der Leine – Hannovergeschichten« erzählt Kabarettistin Beate Heinemann mit viel Theater ums Kabarett, beißender Satire und musikalischen Einlagen vom irrwitzigen Existenzkampf zweier Frauen in Hannover. Samstag, 26. Oktober, 20 Uhr, Stadtteilzentrum Lister Turm, Walderseestraße 100, Hannover, Eintritt 12 Euro, erm. 9,60 Euro, AktivPass 6 Euro.

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Musik Moonlight Swing

Foto: Zaucke

Zwei Gitarren, ein Kontrabass und eine Geige – das sind Chapeau Manouche. Mit dieser für die Jazzmusik ungewöhnlichen Instrumentation erklingt Musik der Marke Sinti Swing. Angelehnt an die Swingmusik Django Reinhardts der 20er und 30er Jahre umfasst das Repertoire der Oldenburger Band Chanson- und Swingklassiker dieser Zeit. Aber auch moderne Jazzstandards weiß das Quartett bestens zu interpretieren. Zusammen mit Gastsängerin Anna Marija Kleimann lockt Chapeau Manouche das Publikum mit ihren starken Rhythmen aufs Tanzparkett. Freitag, 25. Oktober, 20 Uhr, Schloss Landestrost, Schlossstraße 1, Neustadt am Rübenberge, Eintritt 19 Euro, erm. 13 Euro.

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Asphalt verlost 3 x 2 Karten für Miu im Pavillon

Für Kinder

Modern Retro Soul

Von Freundschaft und Lebenssinn

Inspiriert von starken Songwritern wie Carole King, Roh-Soundspezialisten wie den Black Keys, atmosphärischen Klängen eines Michael Kiwanuka und großen Vokalistinnen wie Amy Winehouse, bringt Miu ihre Lieder mit durchsetzungsstarkem Sound ins Jahr 2019. Dreck und Glanz, rauer Wumms und zart flirrender Schmelz. Bei all der Vorliebe für Retro Sounds könnten die Themen der gebürtigen Hamburgerin nicht aktueller sein: Social Media Wahnsinn, Einsamkeit unter vielen, die Mühe der Mühelosigkeit, Stalking und eine auseinanderdriftende Gesellschaft. Die Songs der Sängerin dokumentieren all ihre musikalischen Einflüsse und beziehen gleichzeitig klar Stellung zum Zeitgeist. Für ein unvergessenes Konzerterlebnis mit Miu und ihrer Band können Sie 3 x 2 Karten gewinnen. Rufen Sie uns dafür am 17. Oktober zwischen 12 und 13 Uhr unter der Telefonnummer 0511 – 301269-18 an und beantworten folgende Frage: Aus welcher Stadt stammt Miu? Die ersten drei Anrufer mit der richtigen Antwort dürfen sich über die begehrten Tickets freuen. Montag, 21. Oktober, 20 Uhr, Kulturzentrum Pavillon, Lister Meile 4, Hannover, Eintritt VVK 20,70 Euro, AK 22 Euro, erm. 17 Euro.

Wildschwein und Fuchs sitzen in einer richtigen Klemme. Sie möchten eine Eintagsfliege auf keinen Fall traurig machen. Doch wie sollen die Beiden der Eintagsfliege schonend beibringen, dass sie nur einen einzigen Tag zu leben hat? Kurzerhand behauptet der Fuchs derjenige zu sein, der bald sterben muss. Zuerst ist die Fliege darüber ganz betrübt, aber dann hat sie eine Idee: Wenn man nur einen einzigen Tag hat, muss eben das ganze lange Leben in diesen einen Tag passen, mitsamt dem großen Glück. Das Theaterstück von Martin Baltscheit über das besondere Geschenk der Freundschaft und den Sinn des Lebens ist für Kinder ab sechs Jahre. Sonntag, 20. Oktober, 15 Uhr, und Montag, 21. Oktober, 9.15 und 11.15 Uhr, Theater Hameln, Rathausplatz 5, Hameln, Eintritt 12 Euro, erm. 6 Euro.


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Sonstiges Naturparkkino – Mythos Wald

Foto: r.classen/shutterstock.com

Es gibt sie mit Laubbäumen, mit Nadelbäumen oder auch gemischt – die Wälder. Viele von uns nutzen sie für ausgedehnte Spaziergänge oder einfach zur Erholung. Doch wissen wir wirklich, was sich in unseren Wäldern so alles abspielt? Zeitraffer und extreme Zeit-

lupen sowie neue Makrooptiken enthüllen Phänomene, die dem menschlichen Auge bislang verborgen waren. Der Naturfilm von Jan Haft zeigt unter anderem den anmutigen »Tanz der Lebermoose« und wie der Blütenstaub der Haselnuss durch den Wald weht. Ein Kinoerlebnis für die ganze Familie. Sonntag, 20. Oktober, 15 bis 16.30 Uhr, Infozentrum Naturpark Steinhude, Am Graben 4-6, Wunstorf-Steinhude, Eintritt frei.

Unerwünscht, toleriert oder integriert? In jeder Stadt gibt es Plätze, die als Aufenthaltsorte für Obdachlose dienen. Im Stadtbild werden sie oftmals als »schwarze Flecken« wahrgenommen und von den meisten Menschen gemieden. Für die Obdachlosen wird es zunehmend schwerer, einen Platz zum Schlafen und Leben zu finden. Doch eine Stadtgesellschaft, die den Titel Kulturhauptstadt gewinnen möchte, sollte sich auch über den Umgang mit Obdachlosen Gedanken machen. Wie also lässt sich die Einstellung zum Thema Obdachlosigkeit verändern? Welche Angebote gibt es bereits und wie sollten diese noch ausgebaut werden? Diesen und weiteren Fragen der Journalistin Tanja Schulz stellen sich Experten bei Herrenhausen Extra und suchen gemeinsam Antworten. Gesprächsgäste sind: Sozialdezernentin Konstanze Beckedorf, Prof. Harald Ansen vom Department Soziale Arbeit HAW Hamburg, Asphalt-Geschäftsführer Georg Rinke, Werner Buchna, ehemaliger Asphalt-Verkäufer und Sandra Wolf von der Bauhaus-Universität Weimar. Dienstag, 22. Oktober, 19 bis 22 Uhr, Schloss Herrenhausen, Herrenhäuser Straße 5, Hannover, Eintritt frei.

Am Lindener Berge 38 30449 Hannover · Telefon 45 44 55 www.jazz-club.de

OKTOBER 2019 Freitag, 04. Oktober CARLA BLEY TRIO Eintritt: 30 Euro/erm. 20 Euro Samstag, 05. Oktober QUINTETTO DENNER Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Freitag, 11. Oktober LUTZ KRAJENSKI BAND feat. Darryll Smith Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Samstag, 12. Oktober FRIEND 'N FELLOW Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Dienstag, 15. Oktober MATTHIAS GMELIN SEXTETT Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Donnerstag, 17. Oktober NILS WOGRAM NOSTALGIA Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Sonntag, 20. Oktober NGUYÊN LÊ QUARTET Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Mittwoch, 23. Oktober GILAD HEKSELMAN TRIO Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Freitag, 25. Oktober PERICOPES + 1 Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Samstag, 26. Oktober THEO CROKER Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Mittwoch, 30. Oktober HERVÉ SAMB Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro

Konzertbeginn jeweils um 20.30 Uhr, Einlass ab 19.30 Uhr

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SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 20 Wörter zu bilden, deren erste und sechste Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – einen Spruch aus den Bauernregeln ergeben: a – acker – ben – ber – ber – bild – chen – cho – dit – ein – el – en – ero – fen – gen – gie – grund – hund – iro – jagd – kehl – kre – ler – ler – licht – lin – lo – me – ner – neu – nie – ober – on – ot – part – pin – räu – ran – rei – ro – ro – rot – rü – se – si – si – sied – ten – ter – ti – trag – ver – vor – zig

1. Jagdhund für bestimmte Nagetiere 2. Darlehen 3. Einwohner eines österreichischen Bundeslandes 4. Deckenbeleuchtung 5. Hauptstadt Deutschlands 6. Aufspüren von Wasservögeln 7. Gemüsefeld 8. Singvogel

Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir viermal das spannende Buch »GLOW« von Ned Beauman. Smarte, junge Helden versuchen zwischen dem burmesischen Dschungel und dem Londoner Underground die Welt zu retten. Es geht um Geld, Macht und Drogen. Alles beginnt in einem Londoner Waschsalon, wo ein illegaler Rave in vollem Gang ist. Hier hört Raf von Glow, angeblich die beste Droge der Welt ... Ebenfalls viermal können Sie den Ratgeber »Intervallfasten für Berufstätige« gewinnen. Intervallfasten ist eine effektive Art, den Körper zu entgiften und Gewicht zu verlieren. Eine Diät kostet oft viel Aufwand, doch das Kurzzeitfasten und die 50 Power-Rezepte helfen dabei, sich trotz Berufsalltag ausgewogen zu ernähren. Die vollwertige, aber leichte Küche optimiert die Vitalität und ist gut durchzuhalten. Außerdem gibt es dreimal das »Kinder Künstler Fratzenbuch« zu gewinnen. Ob Fratzen mit süßen Hasenzähnen, mit Glubschaugen, Rotznasen oder schrecklich langen Zungen: In diesem Buch ist genug Platz für tolle Quatsch- und Querköpfe, wilde Katzenrocker, kopflose Kicker und lustige Pogesichter. Es gibt nichts Schöneres, als komische Gesichter zu zeichnen! Mit mehr als 115 Klecks- und Rätselbildern, Weiter- und Dazumalseiten. Die Lösung des September-Rätsels lautet: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; Fax: 0511 – 30 12 69-15. E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 31. Oktober 2019. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

9. Tanz zarter Märchenwesen 10. Abkommen zwischen DDR und BRD im Jahre 1972 11. Abtragung der Erdoberfläche 12. Lehre vom Nervensystem 13. Muster, positives Beispiel 14. Eremit 15. Dieb 16. Person aus dem heutigen Thailand 17. Lebensgefährte oder Teilhaber einer Firma 18. Zustand verdorbenen Fettes 19. versteckter Spott 20. polnischer Komponist im 19. Jahrhundert


Foto: Tomas Rodriguez

n f u a t n Mome

Ich hatte vor kurzem einen Auftritt in Glücksburg. Ein Ort, der diesen Namen völlig zurecht trägt. Die herrliche Flensburger Förde vor der Tür und Seeluft in der Nase. So ein Ort, da möchte man sich einfach nur in den Strandkorb oder in den Strandsand setzen und aufs Meer schauen. Das Wasser hat so etwas Beruhigendes. Obwohl es Wasser ist, erdet es irgendwie. Außer, es strömt ausschließlich von oben. Unmittelbar an der Seebrücke entdeckte ich dieses Schild an einem Café. Kein Wlan, dafür Meerblick. Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Dabei ist es doch eigentlich traurig, dass man uns moderne Menschen wieder auf das Wesentliche stoßen muss. Ständig hantieren wir mit unseren Smartphones, auf der Straße, in der Bahn, im Café und, uäääähhh, auf dem Klo, und nehmen das Leben ansonsten kaum noch wahr. Wir sehen die Welt durch das Display, beantworten sofort jede WhatsApp und wenn irgendwo auf der Welt irgendwas passiert, sind wir per »breaking news« und Liveticker sofort am Geschehen dabei. Voyeurismus de luxe. Seien wir ehrlich: Nicht wir haben das Smartphone in der Hand, das Smartphone hat uns in der Hand. Die Welt um uns herum verblasst, die virtuelle Welt wird zur absoluten Wahrheit. Das Internet könnte ein Meilenstein der Aufklärung und Bildung sein, und das ist es ja durchaus auch oft, zugleich aber öffnet es dem Hass und der Lüge die Tür, um ein unzähliges Publikum zu vergiften. Wie im Mittelalter kocht wieder die Gerüchteküche und die Hexenjagd hat neu begonnen. Mit einem Knopfdruck erreicht man binnen Sekunden Millionen Menschen. Ein Tweet bei Twitter kann heute über Krieg und Frieden entscheiden. Und jetzt Stopp! Denn ich fange gerade an, die Welt auch in den düstersten Farben zu malen, und das ist wahrlich nicht meine Absicht. Umso mehr gilt das, was zwischen den Zeilen auf dem Schild steht. Schalt mal ab! Dein Handy und auch Deine sorgenvollen Gedanken! Schau mal auf das Meer! Wenn Du das Meer siehst, dann bist Du ganz in der Gegenwart und schaust doch ebenso in Vergangenheit und Zukunft. Das Meer ist mächtiger als alle Mächtigen dieser Welt. Aber auch poetischer. Rau, still, aufgewühlt, spiegelglatt – unberechenbar halt. Insofern ein bisschen wie Donald Trump. Nur unvergleichlich schöner. Übrigens, es kann sein, dass Sie die ganze Zeit denken: »Wieso schreibt er immer ›wir‹? Ich hab doch gar kein Smartphone!« Das würde mich freuen, wenn Sie noch so ganz analog lebten. Vielleicht waren Sie das dann neulich in der U-Bahn, der als einziger nicht auf das Display gestarrt, sondern Asphalt gelesen hat. Chapeau! Läge Hannover am Meer, dann hätten Sie natürlich aus dem Fenster geschaut. Denn mehr als Meer geht nicht! Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

ASPHALT 10/19

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