2021 06 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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HERZENSSACHE NEUSTART INS LEBEN

ARMIN LASCHET

NACH DER PANDEMIE

Insa und Milena nach der Organspende.

Straßenzeitungen befragen den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU.

Margot Käßmann über Rechte und Menschenrechte.


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Notizblock

6 Angespitzt

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Wettlauf mit dem Tod

Etwa 9.000 Menschen warten jedes Jahr auf ein neues Organ. Doch nicht alle schaffen es bis zur rettenden Transplantation. Jeder Dritte stirbt, bevor ein passendes Organ zur Verfügung steht.

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Briefe an uns

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Gut zu wissen

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Aus der Szene

20 Zwischenstation Ivan und Michelle wollen ihr Leben zukünftig drogenfrei leben und sind Patienten im Therapie­zentrum OPEN. Es könnte die letzte Chance als Familie sein.

23 Das muss mal gesagt werden 24 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Reinhard

26 Zoorätsel/Impressum Rund um Asphalt

28 Marktplatz

13 Laschet will Aufsteiger Im September wird gewählt. Wir fühlen den SpitzenpolitikerInnen der demokratischen Parteien auf den Zahn. Es geht um Arbeit, Armut, Wohnen und Geld. In dieser Ausgabe: Armin Laschet.

34 Buchtipps 35 Spieletipps 36 Kulturtipps 38 Silbenrätsel 39 Brodowys Ausblick

Titelbild: Africa Studio/shutterstock.com

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Das Asphalt-Prinzip

29 Wahl und Vertrauen

Was ging verloren? Was wird anders bleiben? Mit Margot Käßmann haben wir über Diskurskämpfe, Abgehängte, Armut in der Pandemie und die anstehenden Wahlen gesprochen.

Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1.


wie ist das, wenn man das Sterben des Anderen ersehnt, um selbst eine Überlebenschance zu haben? Wir trafen Menschen, die heute mit Organen von Fremden leben, freudvoll, demütig und nachdenklich. Und haben das für Sie aufgeschrieben. Zum »Tag der Organspende« erzählen sie uns von ihrem inneren Ringen und ihrem Ringen um Luft, von Leben auf Wartelisten, von Moral, Technik und von ihrem bangen Hoffen. Spenden sind Geschenke – auch in einer Dienstleistungsgesellschaft. Zur Lektüre empfehle ich Ihnen zudem unser Interview mit CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Er hat sich den gesammelten Fragen unseres Netzwerks der deutschsprachigen Straßenzeitungen gestellt. Und sich zu Bargeld, zur Situation europäischer Arbeitsmigration, zum Bau von Eigenheimen, Familiensplitting und Ex-Verfassungsschutz-Chef Georg Maaßen geäußert. Wir Straßenzeitungen glauben an gute Wahlentscheidungen aufgrund guter Informationen. Armin Laschet ist damit der vierte Spitzenpolitiker, den wir Ihnen in den vergangenen Monaten von allen Seiten beleuchtet präsentieren. Position bezieht im aktuellen Heft auch die Bischöfin der Herzen Margot Käßmann. Was hat die Pandemie uns gelehrt? Wie begegnen wir dem häufig destruktiven Kampf um die Diskurshoheit? Was wird bleiben, was kommt nie wieder? Wie umgehen mit der sich spreizenden Schere zwischen ganz arm und ganz reich? Wasser, Strom, Gas und Wohnung sind Menschenrechte, sagt sie. Schnörkellos und klar.

Gute Erkenntnisse und einen schönen beginnenden Sommer wünscht Ihnen

Volker Macke · Redaktionsleiter

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Liebe Leserinnen und Leser,

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Foto: Picture-Alliance/dpa/ Moritz Frankenberg

NOTIZBLOCK

Protest gegen Sparvorgaben Hannover. Etwa 650 Studierende und Beschäftigte der Leibniz Universität Hannover haben sich mittels einer Fahrrad-Demonstration gegen die Unterfinanzierung der Hochschulen und neue Sparmaßnahmen des Landes Niedersachsen gewandt. Mit dem Rad ging es zum Finanzministerium, wo entsprechende Forderungen übergeben wurden. Auch das Präsidium der Uni unterstützte explizit die seitens der Studierenden organisierte Demo. »Ich freue mich über die große Beteiligung von Studierenden und Beschäftigten an der Demonstration«, so Uni-Präsident Professor Volker Epping. »Es ist Zeit, unseren Forderungen an das Land, eine auskömmliche Grundfinanzierung seiner Hochschulen sicherzustellen und Sparmaßnahmen zurückzunehmen, auch durch Aktionen wie dieser Nachdruck zu verleihen.« Der Hintergrund: Durch Einsparungen in Höhe von jährlich 24 Millionen Euro fehle, so die Protestler, Geld für Infrastruktur, für Forschung und Lehre an vielen niedersächsischen Hochschulen. Arbeitsplätze, Professuren und ganze Studiengänge müssten gestrichen werden. Allein in Hannover stehen die Meteorologie und die Afrikanistik vor dem Aus, in Göttingen das Studium Oecologicum sowie die Antidiskriminierungsberatung, so die Landes-Asten-Konferenz in einem offenen Brief an die Landespolitiker. Es brauche eine »bedarfsorientierte wettbewerbsunabhängige Wissenschaft.« MAC

Dürre-Sommer wahrscheinlich Hildesheim. Nach drei Dürre-Jahren in Folge stellen sich die Harzwasserwerke auch 2021 wieder auf einen trockenen Sommer ein. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) hielten vielerorts eine erneute Sommer-Dürre für wahrscheinlich, »die Ergebnisse bestätigen, was sich an den Talsperren und im Grundwasser schon länger abzeichnet«, sagte der Technische Geschäftsführer der Harzwasserwerke, Christoph Donner. »Die Trockenheit ist weiterhin vorhanden und bleibt für uns auch eine dauerhafte Herausforderung.« Eine erneute Sommer-Trockenheit sei vor allem in Nordostund Südost-Niedersachsen wahrscheinlich. Die Talsperren im Westharz seien mittlerweile das vierte Jahr in Folge unterdurchschnittlich gefüllt, die Grundwasserspiegel falle. Dennoch sehen die Harzwasserwerke die Trinkwasserversorgung nicht in Gefahr: »Die Versorgungssicherheit für das Jahr 2021 ist gegeben«, betonte Donner. Als größter Wasserversorger Niedersachsens beliefern die Harzwasserwerke eigenen Angaben zufolge täglich etwa zwei Millionen Menschen. Zu den Kunden gehören rund 70 Städte. EPD

Land will sparen Hannover. Noch bis zum Jahr 2024 muss Niedersachsen Kredite aufnehmen. Und sparen. Das hat Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) angesichts der aktuellen Steuerschätzung mitgeteilt. Infolge der Pandemie müsse man sich »über viele Jahre auf erhebliche Steuermindereinnahmen einstellen. Das ist nicht ohne dauerhafte Ausgabeminderungen zu kompensieren«, so Hilbers bei der Vorstellung der Ergebnisse der Mai-Steuerschätzung. Allerdings seien die Einbrüche nicht so extrem wie noch im November vermutet. Konkret: Der Landeshaushalt 2021 könne mit rund 29,1 Milliarden Euro rechnen, in 2022 mit 30,3 Milliarden Euro, und 2023 mit 31,1 Milliarden Euro. Bis 2024 fehlten rund fünf Milliarden Euro gegenüber Vorkrisenniveau. Der Deutsche Gewerkschaftsbund in Niedersachsen hat anstelle von Einsparungen ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gefordert. Die Ergebnisse der Steuerschätzung zeigten einerseits die dramatischen Auswirkungen der Corona-Krise, gleichzeitig ließen sich »nur durch mehr Wachstum und Beschäftigung die Steuereinnahmen nachhaltig steigern. Durch Sparhaushalte besteht hingegen die große Gefahr, dass Niedersachsen auf ein niedrigeres Wohlstandsniveau abfällt«, so DGB-Chef Mehrdad Payandeh. Ähnlich äußerten sich die Grünen. Die FDP forderte Investitionen in Studium und Bildung. MAC


Klima bedroht Kultur­erbe

Hannover/Diepholz. Weil es häufiger zu größeren Covid-­19-Ausbrüchen unter Wanderarbeitern auf Niedersachsens Feldern samt Massenquarantäne kommt, fordern die Grünen im Landtag dringend eine verpflichtende Testung an jedem Arbeitstag für Saisonarbeitskräfte sowie die baldige Unterbringung in Einzelzimmern. »Die Kosten sind von den Arbeitgebern zu tragen«, so die agrarpolitische Sprecherin Miriam Staudte. Das Instrument der Arbeitsquarantäne dürfe nur für direkte Kontaktpersonen von Infizierten angewendet werden und muss zeitlich befristet sein. »Arbeitsquarantäne darf nicht als Mittel der allgemeinen Infektionsprophylaxe angeordnet werden.« Saisonarbeitskräfte sorgen für Wohlstand und günstige Produkte. »So wurden 2019 bundesweit über 130.000 Tonnen Spargel im Wert von rund 845 Millionen Euro geerntet. Auch im Corona-Jahr 2020 wurden allein in Niedersachsen 26.600 Tonnen Spargel geerntet, was 200 Millionen Euro entspricht, denn der Kilopreis ist im Jahr 2020 gestiegen«, so Staudte weiter. Der Landtag hat den Antrag in die Ausschussberatungen verwiesen. MAC

Osnabrück. Kirchen und Klöster, Burgen und Schlösser – mehr als 40 Orte und Gebäude gehören allein in Deutschland zum Unesco-Weltkulturerbe. Doch sie und die Weltkulturerbestätten weltweit sind bedroht von den Folgen des Klimawandels, wie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mitteilt. So seien etwa die Gartendenkmalpflege und die Instandhaltung von Bauwerken betroffen. Wie groß die Gefahr tatsächlich ist, soll jetzt in einem Projekt ermittelt werden, das von der Stiftung mit gut 120.000 Euro gefördert wird. Das Thema finde bislang kaum Beachtung im globalen Klimadiskurs, sagte Constanze Fuhrmann, Leiterin des DBU-Referats Umwelt und Kulturgüter. Eine aussagekräftige Grundlage etwa für künftige Schutzmaßnahmen beim Kulturerbe sei unabdingbar. Seit Gründung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt 1991 gehört die Bewahrung und Sicherung von national wertvollem Kulturgut mit Blick auf schädliche Umwelteinflüsse zu den Förderschwerpunkten. EPD

30.272 neue Wohnungen wurden im Jahr 2020 in Nds. fertig. Das waren 6,8 % mehr als 2019,

ZAHLENSPIEGEL »NEUE HEIMATEN«

so das NLS. Das ist die höchste Zahl von Wohnungsfertigstellungen in den letzten 10 Jahren. 92 % der Wohnungen waren Neubauten (27.852). Weitere 2.014 wurden im Bestand hinzugefügt. 406 Wohnun-

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gen entstanden durch Umbau von Bürogebäuden. 11.671 und damit 42 % der neuen Wohnungen entfielen auf 1-Familienhäuser. Ein Plus von 3,8 % gegen über 2019. 10 % (2.800) befanden sich in neuen 2-Familienhäusern, plus 7,9 %. Der Ge-

schosswohnungsbau stellte knapp 48 % (13.317) aller neuen Wohnungen. Im Vergleich zu 2019 wuchs diese Zahl mit 13,6 % am stärksten an. Die Baukosten betrugen bei durchschnittlicher Wohnfläche von 80 m² bei Geschosswohnungen rund

117.000 Euro, plus 3 % gegenüber 2019.

Beratung sofort nach Beitritt! Jetzt Mitglied werden! Kompetente Hilfe bei allen Fragen zum Mietrecht. Herrenstraße 14 · 30159 Hannover Telefon: 0511–12106-0 Internet: www.dmb-hannover.de E-Mail: info@dmb-hannover.de Außenstellen: Nienburg, Soltau, Hoya, Celle, Neustadt, Springe und Obernkirchen.

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Grüne für Spargelstecher

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ANGESPITZT – DIE GLOSSE

Corona und SUV: zwei Dinge, die die Welt nicht gebraucht hat. Dachte ich bisher. Denke ich in Sachen Corona immer noch, aber beim SUV bin ich mir da jetzt nicht mehr ganz so sicher. Das hat nun wiederum mit Corona zu tun. Corona bedeutet für mich vor allem Homeoffice. Neulich hatte ich mal wieder einen dringenden Abgabetermin und sah bis zum Mittag noch reichlich Arbeit vor mir. Wegen der nervigen Baustelle vor unserem Haus hatte ich mir die letzten Tage schon angewöhnt, mit dem Laptop in die Küche auszuweichen. Die geht nämlich nach hinten raus. Noch während der Rechner hochfährt, fällt mein Blick auf den Kalender. Bloody Monday! Ausgerechnet heute! Der Tag im Monat, an dem das Kampfgeschwader »Wech mit Grün« dem kleinen Biotop in unserem Innenhof zu Leibe rückt. Das kennen sie sicher: ein Trupp in martialischer Aufmachung und mit Geräten, die in jedem Kriegsfilm Eindruck schinden würden. Allein schon von der Lautstärke her. Währenddessen wäre an Arbeiten nun schon gar nicht zu denken. Jedenfalls nicht mit dem Kopf und ohne den geht es bei mir nun mal nicht. Und hier kommt der SUV ins Spiel. Mein Nachbar hat sich nämlich einen dieser Geländewagen-Abkömmlinge zugelegt. Mitten in der Stadt. Damit kommt er kaum durch unsere Straße und wenn er dort parkt, passt kaum ein anderer durch. Pech nur, dass direkt gegenüber noch so ein SUV-Freak wohnt. Und während ich noch überlege, ob ich mit meinem Laptop jetzt aufs Klo ziehen muss, übertönt ein hässliches Geräusch sogar den Baustellenlärm. Metall auf Metall. Bald darauf aufgeregte Stimmen. Wie sich herausstellt, hat sich der Transporter der Gartenbaufirma völlig zwischen den beiden SUV verkantet.

»ENGPASS«

Fazit: Des einen Leid, des andern Freud. Mit der Lösung dieses Problems waren die den ganzen Vormittag beschäftigt. Und ich konnte in aller Ruhe meinen Artikel in der Küche zu Ende schreiben. Danke SUV. Ulrich Matthias


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Foto: Joanna Nottebrock

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WETTLAUF MIT DEM TOD Etwa 9.000 Menschen warten jedes Jahr sehnsüchtig auf ein neues Organ. Weil das eigene nicht mehr funktioniert. Doch nicht alle schaffen es bis zur rettenden Transplantation. Jeder Dritte stirbt, bevor ein passendes Organ zur Verfügung steht. Es ist ein ganz normaler Herbsttag im November 2008. Milena Karlheim ist mit Freundinnen auf einer Party. Gerade noch unterhält sich die zu diesem Zeitpunkt 28-Jährige mit ihnen. Ist selbst am Sprechen, als sie unvermittelt und ohne vorherige Anzeichen vornüberfällt. Ihr Herz, es hat plötzlich aufgehört

zu schlagen. Geistesgegenwärtig beginnt ein Ehepaar vor Ort sofort mit den notwendigen Wiederbelebungsmaßnahmen. Sie halten durch, bis der Notarzt eintrifft. Und auch der reanimiert die junge Frau noch mehrmals. Im Krankenhaus angekommen wird Milena zunächst ins künstliche Koma gelegt. Ob sie über-


Foto: privat

In einem Heidelberger Krankenhaus wartet Milena Karlheim drei Monate auf ein neues Spenderherz. Ihr eigenes Herz ist bereits so schwach, dass sie ununterbrochen am EKG-Monitor überwacht werden muss.

leben wird, und dann auch noch ohne bleibende Schäden, weiß zu diesem Zeitpunkt keiner. Aber die Chancen liegen gerade mal bei zwei Prozent. Nach zwei Tagen im künstlichen Koma wacht Milena auf der Intensivstation wieder auf. Trotz anfänglicher ungünstiger Prognose macht sie Fortschritte bei der Genesung. Sogar ohne Folgeschäden. Bis auf ihr Herz. »Als ich wieder einigermaßen die Alte war, hat mir der Arzt bei »Es ist ja schon irder Visite erzählt, dass ich bei gendwie makaber, Einlieferung eine Herzleiswenn mein Leben tung von nur noch 20 Prozent eigentlich nur noch hatte«, erinnert sich die heuexistieren kann, te 40-Jährige. Es folgen einige Untersuchungen, dann die wenn jemand anDiagnose: unheilbare dilataderes geht.« tive Kardiomyopathie – eine Milena Karlheim krankhafte Erweiterung des Herzmuskels, die nach und nach zum Verlust der Pumpleistung führt. »Der Arzt hat mir dann im selben Atemzug prophezeit, dass ich mich so in etwa zehn Jahren mit dem Gedanken eines Spenderherzens auseinandersetzen müsste«, erzählt die gelernte Bürokauffrau. Denn: »Die

Krankheit ist unheilbar, und wenn sie erst einmal ausgebrochen ist, schreitet sie immer weiter voran«, fügt sie noch hinzu. Spätestens jetzt wäre für viele Menschen eine Welt zusammengebrochen. Nicht so für Milena. Sie hat bereits hautnah miterlebt, was in solch einem Fall auf sie zukommen würde. »Als ich sieben Jahre alt war, ist mein Vater an der gleichen Krankheit erkrankt. Er wurde dann transplantiert, da war ich elf oder zwölf. Deshalb wusste ich auch, dass man mit einem Spenderherz sehr gut leben kann«, gibt sich Milena optimistisch. Und noch etwas hat sie in diesem Moment kämpferisch gemacht: »Ich habe mir nie die Frage gestellt, warum ich. Dann könnte man ja genauso gut fragen, warum ich nicht. Mir war wichtig, dass ich das annehme und das habe ich auch. Das war ich meiner Familie, meinen Freunden und nicht zuletzt auch mir selbst schuldig. Aufgrund meines Herzstillstands hatte ich allen einen riesigen Schrecken eingejagt, das wollte ich ihnen nicht noch einmal antun. Außerdem wollte ich ja auch noch viel länger auf dieser Welt bleiben und noch viel mehr erleben, bevor ich das nächste Mal da oben anklopfe.« Ein Herzschrittmacher soll sie für die kommenden Jahre davor schützen, den Milena eine Woche nach ihrem Herzstillstand implantiert bekommen hat. Mit einer Herzleistung von etwa 30 Prozent wird sie wieder aus der Klinik entlassen.

Kampf gegen die Zeit Knapp drei Jahre hält Milena durch, bevor sich ihr Zustand rapide verschlechtert. Im Sommer 2011, einen Tag vor ihrem 33sten Geburtstag, wird sie erneut stationär aufgenommen. Ihre Herzleistung beträgt zu diesem Zeitpunkt nur noch zwölf Prozent. Ein Gremium von mehreren Fachärzten aus verschiedenen Fachabteilungen schickt ihre Unterlagen mit den aktuellen Werten an Eurotransplant. Milena wird sofort »high urgent«, also mit der höchsten Dringlichkeitsstufe, auf die Warteliste für ein Spenderherz gesetzt. Ein Wettlauf mit dem Tod beginnt. Mit voranschreitender Zeit kann Milena immer weniger selber machen. »Ich hatte einen zentralvenösen Zugang und ich war die ganze Zeit am EKG-Monitor unter Beobachtung. Mein Toilettenstuhl stand direkt an meinem Bett, und ich musste gewaschen werden, weil ich das selbst nicht mehr konnte. Teilweise war es mir noch nicht einmal mehr möglich, mir meine Zähne alleine zu putzen. Das war schon sehr hart«, betont sie und hofft nun immer mehr, dass sie bald ein passendes Spenderherzangebot bekommt. Neben dieser Hoffnung schleichen sich bei Milena aber auch ein paar unangenehme Gedanken ein: »Dass ich im Grunde auf den Tod eines anderen Menschen warte, daran hatte ich anfangs sehr zu knapsen. Es ist ja schon irgendwie makaber, wenn mein Leben eigentlich nur noch existieren kann, wenn jemand anderes geht. Wenn man aber


Wunsch nach dem passenden Organ

Foto: G. Biele

Auch wenn vor allem Nieren und Teile der Leber von lebenden Spenderinnen und Spendern übertragen werden können, die meisten Organe stehen für eine Spende erst dann zur Verfügung, wenn jemand anderes stirbt. Aber: »Dass sich ein Patient, egal wie gut oder wie schlecht es ihm auch geht, den Tod eines anderen Menschen gewünscht hat, um ein Spenderorgan zu bekommen, habe ich so bisher noch nicht erlebt«, berichtet Mariel Nöhre, Assistenzärztin in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover, und ergänzt: »Tatsächlich abstrahieren das die allermeisten Patienten, die ich kennengelernt habe. Sie warten wirklich eher auf ein Organ. Und, sie warten darauf, dass ein Organ zur Verfügung steht, das für sie passt und dass sie dann auch an der Reihe sind. Es ist ja schon so, dass der andere Mensch nicht stirbt, damit irgendjemand ein Organ zur Verfügung hat, sondern dass er aufgrund dramatischer Umstände stirbt und dadurch dann jemand die Chance bekommt, zu leben. Das sind aber zwei Vorgänge, die voneinander doch zu entkoppeln sind.« Auf ein passendes Spenderorgan hat auch Insa Krey bis vor sieben Jahren gewartet. Auf eine passende Lunge. Damit sie wieder frei atmen kann. Ohne zusätzlichen Sauerstoff. Einfach mal richtig durchatmen. »Natürlich habe ich mir gewünscht, Dr. med. Mariel Nöhre ist seit 2017 als ich auf der Warteliste stand, als Assistenzärztin in der Klinik für dass das Telefon bald klingelt und Psychosomatik und Psychotherapie ein Spenderorgan für mich da ist. der Medizinischen Hochschule Ich habe mir aber nie gewünscht, Hannover tätig und betreut dort dass jemand stirbt. Das würde ja unter anderem Patienten in ganz implizieren, dass der- oder diejeunterschiedlichen Phasen vor und nige für mich stirbt. So ist es aber nach Organtransplantationen.

nicht. Diese Person stirbt, so oder so. Und wenn ich Glück habe, dann ist dieser Mensch und seine Familie so großzügig, dass sie die Organe zur Transplantation frei geben. Dann habe ich oder vielleicht jemand anderes sehr viel Glück, so ein Geschenk zu bekommen«, betont die 48-Jährige. Bereits im Alter von zwei Jahren erkrankt Insa an Mukoviszidose. Zunächst verläuft bei ihr die Erbkrankheit, die nach und nach hauptsächlich die Lunge zerstört, sehr mild. Insa geht normal zur Schule, macht ihr Abitur und zieht fürs Architektur-Studium von Bremerhaven nach Hannover. Schleichend verschlechtert sich nach und nach ihr gesundheitlicher Zustand. »In kleinen Schritten ging es bergab. Mein Radius wurde immer eingeschränkter und irgendwann kam der zusätzliche Sauerstoff dazu. 24 Stunden am Tag«, erinnert sich die Web-Designerin. Atem-Training, Ergometer-Training, Kräftigungsübungen – Insas Alltag besteht fast nur noch aus Therapien. Und, sie kommt immer schneller an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und ihrer Energie, die nur noch sehr begrenzt für den Tag da ist. An manchen Tagen fällt es ihr sogar schwer, vom Wohnzimmer in die Küche zu gehen, oder einfach mal eben die Spülmaschine auszuräumen. »Das war so der Punkt, wo ich wusste, das geht so einfach nicht weiter. Es gibt einfach keine andere Perspektive mehr, denn therapiemäßig habe ich alles getan, was möglich ist. Der einzige Schritt, der jetzt noch bleibt, ist die Warteliste, um die Chance auf eine Organspende zu bekommen«, gesteht sich die Hannoveranerin ein.

Hoffen und Bangen Nachdem alle relevanten Untersuchungen abgeschlossen sind, wird Insa 2012 auf die Warteliste für eine Spenderlunge gesetzt. Eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen beginnt. »Für viele Patienten ist das häufig eine sehr belastende Situation. Einfach diese Unsicherheit, nicht zu wissen, wie schnell ein Spenderorgan zur Verfügung stehen wird. Wie lange die Wartezeiten sind, ist ja von Organ zu Organ sehr unterschiedlich. Bei Nieren zum Beispiel warten die Patienten im Schnitt etwa sechs bis sieben Jahre, die sie häufig mit irgendeiner Form der Dialyse überbrücken. Und je dringender eine Organspende dann wird, desto schwieriger ist es für die Patienten, das noch auszuhalten. Weil ihnen keiner Gewissheit geben kann, ob und wann es soweit sein wird«, erklärt Nöhre.

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im Krankenhaus liegt und wartet, und man selber merkt, wie es einem immer schlechter geht, da denkt man schon, dass es gut wäre, wenn es in den nächsten Tagen passiert. Denn irgendwann geht es einem vielleicht so schlecht, dass man gar nicht mehr transplantiert werden kann.« Doch Milena versucht, diese Gedanken nicht zu allzu lange mit sich herumzutragen: »Ich habe mir dann gesagt, diese Person stirbt ja nicht für mich. Sie wäre in diesem Moment so oder so gestorben, ob ich jetzt auf ein Herz warte oder nicht. Deshalb war es eher viel wichtiger, dass der- oder diejenige auch bereit ist, seine oder ihre Organe zu spenden«, merkt sie an.

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Und auch Insa musste bereits erfahren, wie anderen Patienten die Zeit davongelaufen ist: »Ich kenne in meinem Bekanntenkreis einige, die auf der Warteliste standen, die es aber nicht mehr geschafft haben. Die gestorben sind, bevor für sie ein passendes Spenderorgan zur Verfügung gestanden hat. Das stand immer im Raum. Das schwingt immer mit«, betont sie. Trotzdem versucht sie nicht allzu oft daran zu denken und so Zeit zu vergeuden. »Man muss auch im Hier und Jetzt sein. Im Hier und Jetzt leben. Es kann ja auch sein, dass kein passendes Organ rechtzeitig zu Verfügung steht und dies die letzten Monate sind, die ich sozusagen hier noch lebe. Und dann nur hoffen, und nicht das Leben noch genießen, zumindest in den Bereichen, wo es noch geht, das war für mich nicht so ganz einfach«, erzählt die 48-Jährige.

Größtes Geschenk Etwas mehr als zwei Jahre wartet Insa gemeinsam mit ihrem Ehemann, als im September 2014 gegen halb vier morgens der erlösende Anruf kommt. Die damals 41-Jährige bleibt zunächst ruhig und gelassen, will einfach nicht zu euphorisch sein. »Ich kenne halt zu viele Menschen, die auch auf der Liste standen,

wo der Anruf kam, und dann aber doch nicht transplantiert werden konnten, weil das Organ nicht gut genug war. Das hatte ich im Hinterkopf, daher wollte ich einfach nicht zu viel Hoffnung in den Anruf legen«, erzählt sie. Doch es passte alles. Insa bekommt in einer sechsstündigen komplikationslos verlaufenden Operation eine neue Lunge. »Als ich nach der Transplantation dann auf der Normalstation lag und wieder einigermaßen klar denken konnte, war ich in Gedanken sehr viel bei der Familie der Spenderin. Mir war natürlich sehr bewusst, dass es da eine Familie gibt, die sehr, sehr viel Trauer hat. Die gerade jemanden verloren hat. Die es gerade sehr schwer hat und wahrscheinlich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Wie sie weiterleben können und dass diese Person ganz sicher fehlt. Aber das Leben ist jetzt vorbei und alle anderen müssen weiterleben«, betont die Web-Designerin. Insas Genesung verläuft in den kommenden Tagen und Wochen ohne nennenswerte Zwischenfälle ab. »Was ich super schön fand und was ich in meinem Leben noch nie so hatte: es wurde wirklich von Tag zu Tag besser. Ich konnte mir selber zusehen, wie ich es den einen Tag einmal über den Flur geschafft habe zu laufen, den nächsten schon zweimal und den Tag danach dreimal. Und danach bin ich dann schon die ersten Treppen gestiegen«, erzählt sie. Nach drei Wochen in der MHH

Foto: G. Biele

Transplantationsbeauftragte Bevor Patienten ein Spenderorgan überhaupt empfangen können, müssen zunächst einmal potentielle SpenderInnen zur Verfügung stehen. Diese ausfindig zu machen, ist unter anderem Aufgabe von Transplantationsbeauftragen. In der Medizinischen Hochschule Hannover nennen sie sich selbst jedoch Organspendeberater bzw. Organspendeberaterin, denn: »genau da, wo die Transplantation anfängt, hört unsere Aufgabe auf«, erklärt Frank Logemann, Organspendeberater in der MHH. Dazu schaut der Organspendeberater auf den Intensivstationen, ob sich bei einem Patienten das neurologische Krankheitsbild so verschlechtert hat, dass man eine infauste Prognose annehmen kann. Ist dies der Fall, nimmt er mit den StationsärztInnen Kontakt auf. »Danach gucken wir, ob die Angehörigen einer Hirnfunktionsdiagnostik zustimmen, denn keine Organspende ohne Hirnfunktionsausfall«, so Logemann. Stimmen die Angehörigen zu, organisieren die Organspendeberater die Hirnfunktionsdiagnostik, die von zwei qualifizierten ÄrztInnen durchgeführt wird. Kommen die zum Ergebnis, dass keinerlei Hirnfunktion mehr da ist und auch nicht mehr da sein wird, werden die Angehörigen erneut zum Gespräch gebeten. »Wir besprechen mit ihnen dann den Zustand ihres Angehörigen, denn endgültige Hirnfunktionslosigkeit bedeutet per Gesetz, dass der Mensch verstorben ist. Und sobald der Tod vorliegt, muss man das den Angehörigen mitteilen. Wir können dann auf Wunsch verschiedene Rituale, wie z. B. Fenster öffnen stattfinden lassen, Seelsorger oder Geistliche mit dazu holen – alles was der oder die Verstobene in dieser Situation gewollt hätte, und wir kümmern uns um die Frage, ob es im Sinne des Verstorbenen gewesen wäre, Organe oder Gewebe zu spenden. Ist dies der Fall, organisieren wir gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) die erforderlichen Untersuchungen zur Eignungsprüfung«, erklärt Logemann. Mit den KoordinatorInnen der DSO und DGFG führen die Organspendeberater dann den Prozess so weit, dass der/die OrganspenderIn in den OP-Saal kommt und dort die Organe entnommen werden. Dies geschieht mit besonderer Wertschätzung des/der SpenderIn und endet nach sorgfältigem Wundverschluss und Pflege des Leichnams. GB


Grit Biele

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Foto: Joanna Nottebrock

folgen drei Wochen Reha, bevor es »Ich habe mir für die Hannoveranerin endlich aber nie gewieder nach Hause geht. »Später wünscht, dass habe ich noch einen anonymen jemand stirbt.« Dankesbrief an die Familie der Spenderin geschrieben. Ich habe Insa Krey mich bei ihnen von Herzen für dieses wirklich großzügigste und schönste Geschenk, was ich je erhalten habe und was wahrscheinlich auch nie getoppt werden wird, bedankt. Das war mir sehr wichtig«, merkt Insa an. Nach drei langen Monaten des Wartens auf der Intensivstation bekommt auch Milena endlich die ersehnte Nachricht: es gibt ein passendes Spenderherz. »Mein erster Satz war: Sie wollen mich wohl verarschen?«, erzählt sie und lacht. »Es ist total absurd – man liegt da, um genau diesen Satz vom Arzt und zu hören, und wenn er dann endlich kommt, kann man es einfach nicht glauben«, so Milena weiter. Angst vor der Operation hat sie keine: »Ich wusste, jetzt geht es los und entweder ich wache wieder auf oder ich schlafe friedlich ein.« Doch Milena wacht wieder auf. In einer mehrstündigen OP hat die junge Frau ein neues Herz transplantiert bekommen. Weil die Operation aber leider nicht ganz ohne Komplikationen verläuft hat sie noch einen weiteren neuen Begleiter: »Ich bin wach geworden mit einem neuen Herzen und mit einem Dialyseapparat am Bett. Den habe ich aber erst mal gar nicht so beachtet. Für mich war entscheidend, ich habe mein Herz nicht mehr gemerkt. Mein altes Herz, mit dem hatte ich drei Jahre lang permanent Rhythmusstörungen. Deshalb musste ich mir oft an die Brust greifen, um zu fühlen, ob das neue überhaupt funktioniert«, erinnert sich Milena. Auch in den folgenden Tagen und Wochen nehmen ihre Nieren die Arbeit nicht wieder auf. Nun hat Milena zwar ein neues Herz, das auch tipptopp funktioniert, aber: »Da hatte ich dann das nächste Problem, dass ich eben direkt auf ein anderes Organ gewartet habe«, so die 40-Jährige. Genau drei Jahre liegt Milena an der Dialyse, als sie im Oktober 2014 eine Niere von ihrer Mutter bekommt. Und obwohl es am Anfang zu Abstoßungsreaktionen kommt, kann die Niere mit einer Spezialbehandlung gerettet werden. Heute lebt Milena noch immer mit der Niere ihrer Mutter und dem Herzen einer großzügigen Organspenderin. Für sie steht fest: »Das war ein ganz toller Mensch, denn sonst hätte sie keinen Organspenderausweis gehabt. Ich bin einfach nur dankbar. Das kann man auch gar nicht so in Worte fassen. Da denke ich sehr oft dran. Und wenn ich dann mal am Meer gestanden habe und den Wind wieder spüren konnte – da kriege ich jetzt noch Gänsehaut. Denn, das ist nur dank dieser Person noch möglich.«

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In der ersten Woche nach ihrer Lungentransplantation übt Insa Krey bereits das Sitzen auf der Bettkante. Ihr Mann Jörg ist im Rahmen der Besuchszeiten immer an ihrer Seite und eine große Stütze. Anzeige

Schütze die Menschenrechte mit deiner Unterschrift, deiner Spende, deinem Einsatz.

So erreichen Sie uns: https://amnesty-hannover.de Gruppe Oststadt-List Amnesty International Bezirk Hannover Fraunhoferstr. 15 · 30163 Hannover E: info@amnesty-hannover.de T: 0511-66 72 63 · F: 0511-39 29 09 Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft DE23 3702 0500 0008 0901 00 Stichwort 1475


BRIEFE AN UNS

Zu Asphalt 03/21 Gespräch mit Robert Habeck 2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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Typisch Habeck

Was für ein grandioses Interview präsentiert uns Asphalt da. Der Habeck liest sich so wunderbar wählbar auf den ersten Blick. Auf den zweiten liest man leider fast nur heiße Luft. Das sind die Grünen von heute. Beispiel STRASSE WIRD WEIBLICHER gefällig? Bitte: Da fordert er wohlfeil ein Recht auf Wohnen. Klingt gut, denkt man. Endlich. Doch dann reduziert er selbst: Ein wohnungsloser Mensch solle nicht erst beweisen müssen, »dass sie oder er mit den eigenen vier Wänden verantwortungsvoll umgehen kann, bevor er einziehen darf.« Das ist alles? Ah, merkt man dann: Er forderte ja gar nicht ein Recht auf Wohnung, er forderte nur ein Recht auf Wohnen. Ein staatlicher Versorgungsauftrag zur Durchsetzung eines Menschenrechts für jede und jeden, unabhängig vom Geldbeutel und unabhängig von einem Markt, das wäre eine Überraschung gewesen. So war es dann doch nur ... typisch Habeck. Guido Pfeiffer, Hannover OBDACHLOS MIT BABY

ROBERT HABECK

ENDE DER HOFFNUNG

Patricia ist eine von 60.000 Frauen ohne Wohnung.

Straßenzeitungen befragen den Spitzenkandidaten der Grünen.

Wenn der Gerichtsvollzieher die Wohnung nimmt.

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Zu Asphalt 05/21 Angespitzt

Zu Asphalt 05/21 Angespitzt

Hetze

Enttäuscht

Hallo, geht‘s noch? Was greift Ihr die Jäger*innen an? Die Jäger sind doch die KAI SPRICHT KLARTEXT Einzigen, die bei uns an der Küste unsere Deichschaf-Herden beschützen dürfen. Die Wölfe laufen leicht mal ein paar Tage nacheinander 50 km, aber kehren stets zu ihrem Rudel zurück. Man muss also einen breiten Küsten-Streifen von vornherein »wolfsrudel-frei« halten. Die Jäger dürfen auch Nutrias schießen, sie müssen sich sogar Vorwürfe dafür anhören. Dürfen? Sie würden ja gerne auf Gänsejagd im Rheiderland gehen – verboten! Die Gänsehirten vom NaBu passen scharf auf. Diese Eure »Glosse« ist Hetze. Die paar »schwarzen Schafe« sind in Eurer Glosse die Mehrheit der Jägerschaft, einfach alles totschießen und Trophäen sammeln, das stimmt doch nicht. Die Jäger setzen sich für ihre Tiere und Wälder ein. Auch bei den Obdachlosen sind es viele, die den Passanten Unterhaltung bieten, mit Musik, Pantomime, Theaterszenen, Capoeira, einige Schlaue haben immer einen Besen dabei, denn das ist für sie schon eine Zeltstange, wenn man improvisieren kann, man kann sich damit wehren wie Kung Fu und man kann damit sauber kehren. Eigentlich gibt es viele Gemeinsamkeiten mit den Jägern: Sie werden schlecht gemacht. Sie haben die meiste Zeit kein Dach überm Kopf, bei jedem Wind und Wetter und manchmal auch in langen Nächten. Sie müssen teilweise in den eigenen Kleidern schlafen, und in einfachen Waldhütten. Sie freuen sich auf das nächste warme Getränk. Und sie streunen gerne durch die Landschaft mit ihrem treusten Freund, dem Hund als Begleiter. Sie haben zwar Waffen, die dürfen sie nicht mal in Notwehr einsetzen. Hero Van Jindelt, Leer

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ARMUT IST IMMER

CHANCEN FÜR ARME

RAKETE IM KOPF

Fury-Frontmann Wingenfelder über Angst, Kunst und Corona.

FDP-Chef Lindner über Porsche, Minijobs und Wanderarbeiter.

Neuer Staatsvertrag erleichtert mehr Glücksspiel-Sucht.

Ich habe die Glosse gelesen und bin enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass ein Berufskollege, Redakteur Ulrich Matthias, so etwas als »Glosse« veröffentlicht. Jäger vermehren sich nicht »ungehemmt«. Sie sind Heger, Natur- und Wildschützer zugleich. Lernen ein halbes Jahr, man nennt das auch das »Grüne Abitur«. Sie wollen auch nicht totmachen, sondern erfüllen einen gesetzlich vorgeschriebenen Abschussplan, der u. a. auch der Bestandspflege dient, aber auch dem Wald-/Baumschutz. Und ehe sie den Jagdschein bekommen, müssen Sie eine Prüfung ablegen. Jäger sind es auch, die immer wieder totgefahrenes Wild von der Straße holen und verletzte, sich quälende Tiere erlösen. Natürlich jagen sie auch, erlegen Wild und ganz sicher nimmt auch Kollege Matthias gerne mal einen Wildgulaschbraten, oder ein Stück Rehrücken zu sich. Im Übrigen ist die »Wild­ ernte« ein nicht unerheblicher Wirtschaftsfaktor. Die Wolfpopulation nimmt zu. Immer mehr Schäfer überlegen, ob sie den Beruf und die Schafhaltung aufgeben. Ein Jäger lernt nur dann zu schießen, wenn er ausreichend Büchsenlicht hat und das Tier exakt ansprechen kann, ob reguliert werden muss/ darf/kann. Qualitätsniveau hat das nicht und eine Glosse ist es schon gar nicht, eher eine Posse, oder ein sogenannter Schuss in den Ofen. Achim Linck, Springe

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LASCHET WILL AUFSTEIGER Im September wird gewählt. Die Straßenzeitungen Deutschlands läuten den Wahlkampf zur Bundestagswahl ein. Es geht um Arbeit, Armut, Wohnen und Geld. Wir fühlen den SpitzenpolitikerInnen der demokratischen Parteien auf den Zahn. Nach Habeck, Scholz und Lindner heute Armin Laschet von der CDU.


Herr Laschet, die Zahl der Obdachlosen wächst exponentiell: Sie hat sich in Hamburg genauso verdoppelt wie im kleinen Rain am Lech. Nehmen Sie diese Verelendung wahr?

Aber was soll dann geschehen, damit WanderarbeiterInnen nach Einsätzen in der Landwirtschaft oder auf Baustellen, die zu keinen Sozialleistungen berechtigen, nicht auf der Straße landen?

Ja, das ist ein Problem, an dem Politik arbeiten muss. Ich selbst bin seit Jahren mit einer Wohnungslosen-Initiative in Aachen verbunden, Café Plattform. Da merkt man, dass es nicht nur um die Frage geht, ob eine Wohnung da ist oder nicht, sondern um sehr individuelle Lebensgeschichten. Wir brauchen mehr als nur ein Wohnungsbauprogramm, um Menschen da herauszuhelfen.

Die Obdachlosigkeit nimmt nicht nur durch Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa zu ...

Die Verelendung ist auch ein Ergebnis von Armutszuwanderung: mehr als zwei Drittel der Betroffenen haben einen EU-Pass – aber keinen deutschen. Sie haben 2014 gesagt, die EU sei keine »Sozialunion«; der Staat solle ArbeitsmigrantInnen nicht dieselben Sozialleistungen bieten wie Deutschen.

Der Ausweg kann nicht sein, dass jeder, der innerhalb der Europäischen Union einreist, automatisch Anspruch auf Leistungen hat. Das würde das deutsche Sozialsystem überfordern.

... sagen wir es so: Die wenigen Zahlen, die wir haben, legen nahe, dass Zuwanderung entscheidend dazu beiträgt. In Hamburg waren 2009 mehr als 70 Prozent aller Obdachlosen deutsch. Bei der letzten Zählung, 2018, hatte sich die Zahl der Betroffenen fast verdoppelt – und zwei Drittel waren Nicht-Deutsche.

Welche Lösungen schlagen Sie vor?

Dortmund hatte das Problem massiv: mit vielen Menschen, die in illegale, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse vermittelt worden waren. Sie wurden teilweise in Schrott­ Ich habe nur das europäische Recht immobilien untergebracht, manchen wurden erläutert. Für soziale Leistungen ist Bargeld ist ein Kreditkarten und Pässe abgenommen. Kurz: Es zunächst der Mitgliedsstaat zuständig, Freiheitsrecht. gab ein kriminelles Umfeld, das eine große soziaus dem jemand stammt. Man kann ale Frage zur Folge hatte. Dortmund hat reagiert, zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland kommen, aber man kann nicht einwandern indem die Stadt die Schrottimmobilien stillgelegt und legale und sofort Leistungen in Anspruch nehmen. Das ist Arbeitsmöglichkeiten geschaffen hat. Tariflohn, Mindestlohn, Arbeitslosenversicherung – all das, was unser Land an Sozialnicht das Konzept der Europäischen Union. absicherung vorsieht, muss natürlich auch für legal Beschäftigte aus Südosteuropa gelten.

In Europa gelingt es offenbar nur Finnland, Obdachlosigkeit zu verringern: durch »Housing First«, die bedingungslose Vermittlung von Wohnraum. Ihr Sozialminister Karl-Josef Laumann hat ein entsprechendes Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen zuletzt als »vollen Erfolg« bezeichnet. Würden Sie als Kanzler Housing First in ganz Deutschland einführen? Das entscheiden die Länder, der Bund kann nur Impulse setzen. Jedes Land muss auf die Situation vor Ort eine Antwort finden. Die ist im Ruhrgebiet im Zweifel anders als in Köln, auf dem Land anders als in Städten. Housing First ist in Nordrhein-Westfalen ein Modellprojekt. Wenn es gut funktioniert, und den Eindruck habe ich, kann es natürlich eine Blaupause sein für andere in Deutschland.

In vielen Städten werden Obdachlose durch Ordnungsdienste brutal vertrieben. Grundlage sind Straßensatzungen, die »aggressives Betteln«, »Lagern« und »störenden Alkoholgenuss« verbieten. Was halten Sie als ehemaliger


Die Erfahrung aus gut 70 Jahren Bundesrepublik lehrt: Staatlich geplanter und kontrollierter Wohnungsbau führt nicht zu mehr bezahlbarem, menschenwürdigem Wohnraum. Was wir brauchen, ist aus Landes- und Bundesmitteln geförderter Sozialwohnungsbau und dazu Anreize für mehr Wohnungsbau, besonders in überhitzten Gebieten wie Berlin. Der Mietendeckel hat das Gegenteil bewirkt. Es wurde noch nie so wenig in Berlin gebaut wie jetzt. Er war das falsche Mittel für das richtige Ziel: Auch in Metropolen muss für jeden eine Wohnung bezahlbar sein; Menschen sollten nicht aufs Land ziehen müssen.

Was wären das für Anreize? Steuererleichterungen für Vermieter? Die bräuchte es nicht. Sobald man Flächen ausweist, wo gebaut werden kann, wird auch gebaut. Wohnungsbau ist attraktiv als Anlageobjekt, nur muss man Regeln haben gegen überhöhte Mietkostensteigerungen.

Angenommen ich hangle mich von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten, wohne zur Miete und mache mir Sorgen um die Zukunft, auch wegen des Klimawandels. Weshalb sollte ich die CDU wählen?

Wir werden mit der AfD weder reden, noch kooperieren.

Integrationsminister von soviel Intoleranz?

Da geht es um schwierige Abwägungen zwischen der öffentlichen Ordnung und der Möglichkeit, sich irgendwo aufzuhalten und sein Leben zu leben. Ich würde mir einerseits eine tolerante Handhabung der Gesetzeslage wünschen, vor allem aber, immer den Menschen im Blick zu behalten, um den es da geht.

Apropos Betteln: Die Finanzexpertin der CDU, Antje Tillmann, hält mindestens die kleinen Münzen für überflüssig. Geben Sie uns hier und heute eine Garantie, dass mit Ihnen das Münzgeld erhalten bleibt? Ja! Soweit ich das kann, und das nicht die Europäische Zentralbank entscheidet. Ich finde selbst eine Ein-Cent-Münze zeitgemäß. Bargeld ist ein Freiheitsrecht.

Um zu mehr wirtschaftlichem Wachstum und damit zu mehr Arbeitsplätzen zu kommen! Vor der Pandemie haben wir ohne Steuererhöhungen mehr Steuereinnahmen gehabt – weil die Wirtschaft gewachsen ist. Dies wieder herzustellen, wird wegen des Klimawandels zur doppelten Herausforderung. Wir wollen bis zur Mitte des Jahrhunderts mit marktwirtschaftlichen Anreizen Deutschlands Klimaneutralität hinbekommen. Die CO2-Besteuerung – also dem klimaschädlichen CO2 einen höheren Preis zu geben – wird zu Innovationen führen, die wiederum für neue Arbeitsplätze sorgen. Und: Die CDU kümmert sich nicht nur um guten Klimaschutz, sondern auch um die soziale Frage.

Mehr Einfamilienhäuser bedeuten pro Person deutlich mehr CO2-Ausstoß als andere Wohnformen – trotzdem fördert die Union diesen

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Das Verfassungsgericht hat gerade Berlins Mietendeckel gekippt: Für das Mietpreisrecht sei der Bund zuständig. Mit welchem Konzept gegen überteuerte Mieten ziehen Sie in den Wahlkampf?

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Armutsforscher wie Christoph Butterwege halten das Baukindergeld aber auch aus sozialen Gründen für eine fehlgeleitete Subvention: Es helfe nicht den Familien, die in Ballungsgebieten keine Wohnung finden. Das ist ja auch gar nicht die Absicht! Es ist für die Familien gedacht, die theoretisch die Chance hätten, Eigentum zu erwerben, aber nicht zu den Großverdienern gehören. Es ist aber kein Mittel, um Wohnungsnot in einer Großstadt zu lindern.

Eine Kanzlerin Baerbock würde die Steuern und Abgaben für Vermögende erhöhen, um das Geld umzuverteilen. Gehen Sie da mit? Jetzt geht es doch um die Frage, wie kann und wird es uns gelingen, die Folgen der Pandemie zu bewältigen, wie bringen wir Menschen aus Kurzarbeit, wie erhalten wir Arbeitsplätze erhalten und schaffen neue. Das gelingt sicher nicht mit Steuererhöhungen. Das Problem einer Vermögenssteuer ist doch, dass sie besonders den Mittelstand trifft. Also die vielen Familienunternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Das wäre jetzt die falsche Antwort gerade auch für die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in diesen Betrieben arbeiten.

Die Grünen wollen das Ehegattensplitting abschaffen, das nach wie vor die Alleinverdiener-Ehe fördert. Warum sollte die Republik an diesem Steuermodell festhalten? Erstens entscheiden Ehepaare selbst, wie sie die Familienarbeit aufteilen. Zweitens würde, wenn Sie das so pauschal abschaffen, eine ganze Generation der heute Älteren nachträglich bestraft werden. Deshalb finde ich die Weiterentwicklung des Ehegattensplittings zu einem Familiensplitting gerechter.

Und was bedeutet das für Alleinerziehende?

Generell gegen Einfamilienhäuser anzutreten, weil sie CO2-schädlich seien, ist nicht die Politik der CDU.

Traum. Ist das nicht rückwärtsgewandt?

Ich glaube, dass es gut ist, wenn Menschen auch mit kleineren oder mittleren Einkommen die Chance haben, Eigentum zu erwerben. Das Baukindergeld soll dies kinderreichen Familien erleichtern und damit zugleich zur Altersvorsorge beitragen. Welche Flächen in einer dicht bebauten Stadt dafür infrage kommen, muss natürlich die Kommune entscheiden. Aber generell gegen Einfamilienhäuser anzutreten, weil sie CO2-schädlich seien, ist nicht die Politik der CDU.

Ein Familiensplitting würde die Kinder unabhängig vom Status der Eltern steuerlich berücksichtigen. Für Alleinerziehende ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders wichtig. Eine gute Kinderbetreuung ist für sie existenziell, und zwar nicht nur von Ein- bis Sechsjährigen, sondern auch für Grundschulkinder. Wir wollen möglichst bis zum Sommer den Anspruch auf Grundschulkinderbetreuung rechtlich verankern.

Laut Ihrer Partei soll gute Bildung Hartz-IV-Karrieren verhindern. Als Kanzler könnten Sie den Ländern freilich wenig vorschreiben, den Ministerpräsident fragen wir, was bisher falsch gelaufen ist: Woher kommt die große Bildungsungleichheit in Deutschland? Das ist ein Thema, das mich seit vielen Jahren umtreibt. Ich habe dazu ein Buch geschrieben, »Die Aufsteigerrepublik«. Die eigentliche soziale Frage lautet: Aufstieg unabhängig von der Herkunft der Eltern zu ermöglichen. Das betrifft viele Kinder mit einer Einwanderungsbiografie, wenn die Eltern nicht gut


In der Pandemie wurden Laptops an Schüler in einem Land verteilt, in dem es vielerorts noch an der Mobilfunkversorgung hapert. Wieso rangiert das Merkel-Deutschland in Sachen Netzausbau noch hinter Albanien? Wir sind da nicht gut genug. In Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt Verträge mit den großen Telekommunikationsunternehmen gemacht, um den Ausbau zu beschleunigen.

Ihre Corona-Politik wirkte im Gegensatz zu der ihres bayerischen Amtskollegen Markus Söder schlingernd ... ... wieso ist es schlingernd zu sagen, Kinder und Jugendliche sollen wieder in die Kita und Schulen, wenn die Infektionszahlen sinken? Das war der große Streit des Jahres 2020. Für ein Kind, das mit Geschwistern in einer Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung lebt, ist der Präsenzunterricht die Chance, um den Aufstieg zu schaffen. Wir werden uns nach der Pandemie intensiv um die Kinder kümmern müssen, gerade um diejenigen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, damit kein Kind

aufgrund der Pandemie zurückbleibt. Meine Haltung war klar: Neben den Inzidenzzahlen müssen auch die Schäden in den Blick genommen werden, die Schulschließungen anrichten. Dieses Jahr hatten wir eine Phase mit explodierenden Infektionszahlen, mit der britischen Mutante sogar mit höheren Ansteckungsraten bei Kindern. Da muss man eine andere Antwort geben als im Jahr zuvor.

Der umstrittene Ex-Verfassungsschutz-Chef Georg Maaßen hat auf Twitter schon Corona mit Grippe verglichen. Was bedeutet seine Bundestagskandidatur für Ihre Kanzlerkandidatur? Gar nichts. Corona ist gefährlich. Tausende Menschen haben ihr Leben verloren wegen dieser Pandemie. Punkt. Ansonsten gehe ich davon aus, dass Herr Maaßen seinen Beitrag für den Erfolg der Union leisten wird. Wir werden mit der AfD weder reden, noch kooperieren, diese Regeln gelten auch für Herrn Maaßen. Das weiß er auch. Im Übrigen hat der Bundesparteivorsitzende keinen Einfluss auf die Wahl der Kandidaten in den 299 Wahlkreisen.

Ihr Konkurrent Olaf Scholz hat uns auf die Frage, was aus ihm würde, wenn er nicht siegt, geantwortet: »Ich werde Kanzler.« Wie ist das bei Ihnen, würden Sie auch nach Berlin gehen, um die Opposition anzuführen? Das ist doch mal eine originelle Antwort. Ich werde Kanzler. Interview: Annette Bruhns/Fotos: Maurice Weiss/Ostkreuz

IM JULI-ASPHALT: JANINE WISSLER IM INTERVIEW.

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Deutsch sprechen. Aber auch in deutschen Familien mangelt es teilweise an guten Sprachkenntnissen. Deshalb brauchen wir frühkindliche Sprachförderung, Ganztagsangebote – und durchlässige Schulen, die etwa den Wechsel von der Realschule zum Gymnasium jederzeit ermöglichen. Ich kenne viele Karrieren, gerade aus Einwandererfamilien, die in der Hauptschule begonnen und zum Abitur geführt haben. Der Anteil an Abiturientinnen und Abiturienten mit Zuwanderungsgeschichte steigt von Jahr zu Jahr.

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Foto: G. Biele

GUT ZU WISSEN

Petition für Verhütung für alle Mehr Aufklärung, mehr Forschung an Empfängnisverhütungsmitteln für Männer, gleichberechtigten Zugang sowie volle Kostenübernahme für Verhütung durch die Krankenkassen fordert eine neue Petition auf change.org von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Ins Netz gestellt hat die Petition die noch junge Organisation BetterBirthControl. »Wir sind überzeugt davon, dass jeder Mensch über den eigenen Körper, die Sexualität und die einhergehende Verhütung bestimmen soll. Es soll möglich sein, Sexualität ohne Angst vor ungewollten Schwangerschaften auszuleben«, schreiben die beiden Gründerinnen Jana Pfenning und Rita Maglio. Die Unterschriftenliste ist unter www.change.org/p/die-bundesregierung-verhütung-für-alle-besser-machen zu finden. RED

Verbraucherzentrale lässt Parship prüfen

Alkohol-Rückfälle vorbeugen Der Saftladen Hannover bietet ab dem 3. Juni 2021 einen neuen Kurs »S.T.A.R. – Alkohol-Rückfallpräventionsprogramm« für abstinente Menschen an, die einen Kursus machen möchten, um eigenen Rückfällen vorzubeugen. Interessierte melden sich bitte unter saftladen@sewo-online.de oder telefonisch unter 0511 – 69 17 62. Der Saftladen ist ein Tagesaufenthalt für abstinente Alkoholiker, der unter anderem professionelle sozialpädagogische Begleitung, Suchtberatung und psychosoziale Betreuung bietet. RED

Stadt fördert Ehrenamtliche Der städtische Förderfonds für Bürgerschaftliches Engagement nimmt erneut Anträge von gemeinnützigen Organisationen und Initiativen aus der Stadt Hannover an, um Ehrenamtlichen und Aktiven für ihr Engagement zu danken. Die Antragsfrist endet am 18. Juni. Alle Infos finden Sie unter www.freiwillig-in-hannover.de/foerderfonds. RED

Immer mehr Menschen nutzen eine Partnervermittlung, um die bessere Hälfte zu finden. Wer aber einen Vertrag mit einer kostenpflichtigen Vermittlung eingegangen ist, findet oft nicht so leicht wieder heraus. Lange Vertragslaufzeiten und schlechte Widerrufsbedingungen sind an der Tagesordnung. Nach Ansicht der Verbraucherzentrale Niedersachsen sind die Regelungen oft nicht rechtens. Und verweist auf ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Das hat jetzt das Widerrufsrecht gestärkt. »Das Urteil stützt unsere Ansicht, dass die bisherigen Widerrufsbedingungen nicht nur kundenunfreundlich, sondern rechtswidrig sind«, sagt Tiana Preuschoff, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Häufig erschweren Partnervermittlungen den Widerruf: Sie erbringen innerhalb weniger Wochen die Leistung, etwa die Erstellung zahlreicher Partnervorschläge. Sobald dies geschehen ist, haben Betroffene nichts mehr von ihrem Widerrufsrecht, da die Agenturen einen Wertersatz fordern. »Das ist kostspielig, denn diese Forderung ist meistens so hoch wie die für die gesamte Vertragslaufzeit vereinbarte Vergütung«, so Preuschoff. Mit dem heutigen Urteil unterbindet der BGH diese Praxis. Auch lange Vertragslaufzeiten sorgen immer wieder für Ärger. Der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) prüft zurzeit eine Musterfeststellungsklage gegen Parship wegen der allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Vertragsverlängerung. »Aus Sicht der Verbraucherzentralen sollten die Nutzerinnen und Nutzer jederzeit kündigen können. Sie geben sensible Daten preis und müssten folglich selbst über den Zeitpunkt des Austritts entscheiden dürfen«, erklärt Preuschoff. Bei Fragen hilft die Verbraucherzentrale Niedersachsen via Videoberatung: www.verbraucherzentrale-niedersachsen.de/fuer-sie-da. RED


Hannover. Ausrechnen, wie armutsgefährdet man selbst ist: Dabei hilft jetzt der Armutsrechner des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in Niedersachsen. 13 Millionen Menschen in Deutschland sind armutsgefährdet. Vielen sei dieses Risiko allerdings nicht bewusst. Die Folge: Sie können nicht rechtzeitig gegensteuern. Spätestens wenn sie in Rente gehen, drohe ihnen ein Leben in Armut. Deshalb hat der SoVD jetzt ein interaktives Instrument entwickelt, mit dem das persönliche Armutsrisiko berechnet werden kann. Der Armutsrechner ist Teil der SoVD-Kampagne »Wie groß ist dein Armutsschatten?«, mit der Niedersachsens größter Sozialverband Betroffene für das Thema Armutsgefährdung sensibilisieren und die Politik zum Handeln auffordern möchte. Unter www.armutsschatten. de/armutsrechner können Interessierte die wichtigsten Fragen beantworten und erhalten dann eine persönliche Auswertung. Anonym und kostenlos. UM

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AUS DER SZENE

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Brillen für Obdachlose Hamburg/Hannover. Sehhilfen bleiben für viele Obdachlose unerschwinglich. Auch die Hemmschwelle beim Betreten eines Optikerladens erweist sich oft als zu hoch. In dieser Situation hilft die gemeinnützige Organisation Mehrblick. Mit gebrauchten Brillen. Und einer kostenlosen Optikersprechstunde in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Seit fünf Jahren schon in Hamburg und seit einem Jahr auch in Hannover. Gründerin Christiane Faude-Großmann hatte die Idee während ihrer Tätigkeit für die Diakonie. »Ich bin selbst seit meiner frühen Kindheit Brillenträgerin und weiß, wie wichtig gutes Sehen für die Bewältigung des Alltags ist«. Als sie in den Gesprächen mit Obdachlosen immer wieder von der fehlenden Versorgung mit Brillen hörte, begann sie zu sammeln. Mit Erfolg. »Die Brillen erhalten von uns eine Ultraschallreinigung, einen Pass und einen Eintrag im System. Zu jeder Sprechstunde kommen wir mit einem Optiker oder einer Optikerin und den entsprechenden Messapparaturen«, so Faude-Großmann. Natürlich sei eine absolute Passgenauigkeit immer Glückssache. Aber sie kämen immer mit einigen hundert Brillen zu den Terminen und da sei die Trefferquote schon sehr hoch. Wichtig sei die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen. »Wir können uns eigene Räume für die Untersuchungen nicht leisten«, betont Faude-Großmann. In Hannover finde die Optiker-Sprechstunde einmal im Monat im Rahmen der Straßenambulanz in der Diakonie am Leibnizufer 13-15 statt. UM


ZWISCHEN­STATION Ivan legt schützend den Arm um seine Lebensgefährtin Michelle. Sie trägt ein Kind unter ihrem Herzen, sein Kind. Aufgenommen ist das Bild im Garten des Therapie­ zentrums OPEN, denn beide wollen ihr Leben zukünftig drogenfrei leben und sind hier als Patienten in Therapie. Es könnte die letzte Chance als Familie sein. Mit 27 ist Ivan am Tiefpunkt seines Lebens angekommen. Er ist obdachlos und multiabhängig: alkoholkrank und drogensüchtig. Er ist zurzeit stationär im Rehabilitationszentrum für Menschen mit Suchtproblemen, dem Therapiezentrum OPEN und will mit Hilfe der ganzheitlichen Therapie seinem Leben eine

Wende geben, seine Alkohol- und Drogensucht bekämpfen und sich ein neues, drogenfreies Leben aufbauen. Sein bisheriger Lebensweg war hart und steinig. Geboren als Sohn eines Polizeibeamten und aufgewachsen in einer Kreisstadt in Nordrhein-Westfalen, einem scheinbar gutbürgerlichen Milieu, ge-


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nügte er schon früh nicht den Ansprüchen. Er fiel in der Schule und das Kind.« Seine Lebensgefährtin spricht damit auf, war ein hibbeliges, viel zu munteres Kind. Die ärztliche Di- das aus, was auch die Suchttherapeuten als ein Proagnose lautete ADHS, das Mittel der Wahl Ritalin. Die Neben- blem sehen. Ein Kreislauf bekannter Mechanismen, wirkungen von Ritalin sind umstritten, es soll vielfach zu Sucht- der sich wiederholen kann, obwohl alle Teilnehmer und Abhängigkeitsproblematiken führen. »Ritalin war für mich sehen, was kommt. Ivan erklärt: »Man möchte gerne vergessen, die erste Substanz, die mich veränderte, meine erste Droge« erzählt Ivan. »Ich habe damals ganz schnell gelernt, zu funk- sich betäuben. Aber stattdessen ist es ein täglicher tionieren und vor allem dem Vater zu gefallen. Habe gelernt, Kampf. Wenn ich einkaufen gehe, ist es für mich ein Kampf, ich kämpfe im Supermarkt durch eine Substanz mich zu verändern. Ich gegen jedes Bier. Gegen den Alkam mit in der Schule, habe meinen Vater »Ritalin war meine kohol, den Genuss und die Erinnicht mehr »gestört« und war nicht mehr auferste Droge.« nerungen an bessere Zeiten. Der fällig. Ich war das erste Mal zugedröhnt und Ivan, 27, Patient im Alkohol ist das schlimmste, der auf einmal beliebt.« Therapiezentrum OPEN ist überall, um mich herum und Diesen Zustand, den Ivan als Kind nicht legal. Mein Vater hat auch immer verstanden hat, sieht er heute als einen Auslöser für seinen Konsum. Die Erkenntnis »ich habe was einge- gerne Bierchen getrunken, aber der ist auch ein annommen und dann gut funktioniert« prägte seine Entwicklung, deres Thema, das verarbeite ich in meinen Gedichsoll aber keine Entschuldigung oder Verurteilung gegenüber ten. Da dürft ihr gerne mal ein Gedicht an meinen seinen Eltern sein. Es war damals Stand der medizinischen Be- Vater veröffentlichen.« Das Schreiben und die Selbstreflexion sind wichhandlung. Später benutzte er dann eine Kombination aus Marihuana und Ritalin bis zum Ende der neunten Klasse, »ich galt in tige Bausteine im verhaltenstherapeutisch orientierder Schule immer als der Eigenbrötler, oder der Polizistensohn, ten Therapiekonzept von OPEN. Mit 24 stationären die Schimpfwörter konnte ich mir aussuchen,« reflektiert Ivan Plätzen in der Fachklinik und elf stationären Plätheute. »Ich habe es immerhin noch geschafft meinen Schulab- zen in der Adaption sind sowohl die Gruppengröße schluss zu machen, nur eine Lehrstelle, die gab es für mich da- überschaubar, wie auch der Behandlungsfokus auf nach nicht. Stattdessen falsche Freunde, Kontakte zur rechten Realitätsbewältigung gegeben. »Nach der Entgiftung Szene. Dort gab es Alkohol und harte Drogen im Überfluss und und der Therapie in einer Fachklinik kommen auch als ich da meinen Ausstieg geschafft hatte, mir in der linken häufig Patienten von außerhalb zu uns, um ihre Szene Wurzeln suchte, da wurden LSD und THC meine Beglei- persönlichen Ressourcen zu entdecken und sich ter. Sie waren meine Beruhigungspille. Ich nahm abwechselnd zu erproben.« Erläutert Stefan Kröger, Diplom-PsyAufputschmittel und Downer. Bis zur ersten Überdosis. Da hat man mich erstmals gründlich untersucht und eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) bei mir festgestellt.« Es folgten vier Entzugsaufenthalte und jetzt die Aufnahme in die Adaption bei OPEN. Das Ziel, das Ivan verfolgt, ist ein suchtfreies Leben. Er schaut dabei aber nicht nur auf seine Zukunft, seine Lebensgefährtin Michelle hat ihn in die Therapie begleitet, da auch sie ein Suchtproblem hatte und es gemeinsam mit Ivan angegangen war. Dass sie während der Therapie schwanger wurde und sie jetzt Eltern werden, macht die Adaption nicht einfacher, aber dafür umso dringlicher. »Wir haben ja auch schon einiges erreicht und können uns jetzt um eine Arbeit und eine eigene Wohnung kümmern« resümiert Michelle »doch das ist echt schwierig in Göttingen. Aber zurück auf die Straße oder in unsere Heimatstadt wollen wir nicht, dann geht alles wieder von vorne los. Drei Jahre Drogensucht sind für mich endgültig genug, ich bin und bleibe clean, ich habe schon einmal freiwillig ein Kind in Pflege abgeben müssen, weil ich es nicht geschafft habe, das will ich nicht noch mal haben. Ivan hat es Stefan Kröger, Diplom-Psychologe und Psychologischer noch schwerer. Aber er muss es jetzt einfach schaffen. Für mich Psychotherapeut bei OPEN.

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Meine Welt Ein Gedicht an meinen Vater

Therapiezentrum OPEN: »Patienten, die erfolgreich entzogen haben die Möglichkeit bieten, ein selbstbestimmtes drogenfreies Leben zu führen.«

chologe und Psychologischer Psychotherapeut bei OPEN, das Konzept des Hauses. »Wir wollen den Patienten, die erfolgreich entzogen haben, oder sich im Maßregelvolzug bewährt haben, die Möglichkeit bieten, sich in Göttingen einzugewöhnen und in Arbeit und Wohnung zu kommen, ein selbstbestimmtes, drogenfreies Leben zu führen« Dabei arbeitet die Klinik mit lokalen Trägern, wie der Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN und der Neue Arbeit Brockensammlung eng zusammen. Auch das lokale Umfeld bietet in umliegenden Betrieben der Industrie, Zeitarbeit und Gastronomie immer wieder Chancen zur eigenen Bewährung und später auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Die Aussichten für eine erfolgreiche Therapie sieht Kröger im Verhältnis zur Verweil- bzw. Therapiedauer steigen. »Ohne Therapie liegt nach dem Entzug die Rückfallquote bei 90 Prozent, nach drei bis sechs Monaten bei 60 Prozent, nach neun bis zwölf Monaten bei 30 Prozent und nach zwei Jahren mit Therapie und bei dem Besuch von verschiedenen Modulen und mit Fachklinik, Adaption und Selbsthilfegruppe bei unter sechs Prozent.« Dass die Wohnungsknappheit in Göttingen ein großes Hindernis für eine erfolgreiche Therapie ist, bedauert Kröger sehr. »Wir haben aktuell große Probleme, Wohnungen zu finden und wenn unsere Patienten in Arbeit sind, aber dann keine Wohnung finden, ist auch der Therapierfolg in Gefahr. Daher ist das eine unserer Prioritäten. Aber wir fangen häufig auch nach einem Rückfall, oder noch besser davor, die ehemaligen Patienten auf. Viele brauchen scheinbar diesen Extra-Warnschuss. In den letzten Jahren und durch Corona hat sich vieles verändert. Unsere Patienten sind jünger geworden, die Drogenpalette umfangreicher und viele Patienten haben einen Migrationshintergrund oder sind die erste Generation, die in Deutschland aufgewachsen ist.« Text und Fotos: Ute Kahle

Gib mir deine Hand ich zeig dir meine Welt am Gesellschaftsrand bestraft und verachtet des Glückes entmachtet Leben wir hier in Illusionen und Selbstmanipulationen mit geplatzten Träumen mussten wir unsere Gesellschaftsplätze räumen. In dieser Welt gibt es keine Gnade wir sind mitten drin in einer Abwärtsspirale der Stärkere gewinnt der Schwächere zerrinnt wie Sand zwischen den Fingern. Hier lernst du hart zu sein Schwäche, Trauer und Gefühle passen hier nicht rein Ehre und Treue zählen hier wie auch Schnaps, Drogen und Bier Nachts wird unter freiem Himmel gepennt. Lagerfeuer brennen Polizisten rennen Schreie verhallen in der Nacht von Schlägen gekennzeichnete Menschen Blut auf dem Boden da liegt ein Toter mit der Nadel im Arm mitten im Rausch als der Tod kam keine Liebe und kein Maß nur Schrecken und Hass. Nur der Rausch ist unser Tor hinaus nur so können wir dem Elend entfliehen. Hab keine Angst hier hab ich Macht hab es sonst im Leben zu nichts gebracht. Aber nun genug von mir jetzt kommen wir zu dir nimm mich an die Hand und geh mit mir ein Stück vielleicht finde ich bei dir mein Glück. Zeig mir deine Welt. Ich werde bei dir sein Du bist nicht mehr allein.


Na ja, meine Frühlings-Erwartungen, die ich auf meiner letzten »blauen Seite« geäußert habe, sind ja nun wahrlich nicht eingetroffen. Seit gefühlten 100 Jahren war es nicht mehr so kalt beim Start in den Mai wie in diesem Jahr, und die Bank am Kanal hat auch nicht unbedingt zu einem Eis eingeladen. Nichtsdestotrotz sind wir nun endlich wohl »über den Berg«, und das gilt nicht nur für das Wetter, sondern auch für Corona – hoffentlich! Da ich auch zu den Geimpften zähle, nehme ich diesen schrecklichen Virus bei aller gebotenen Vorsicht ein bisschen leichter. Und da selbst der immer zur Vorsicht mahnende Karl Lauterbach hoffnungsvolle Signale sendet, vertraue ich ihm gern und hoffe, dass wir das Schlimmste überstanden haben. Den Corona-Kranken wünsche ich gute Besserung und den vielen Menschen, die sich aufopferungsvoll um sie kümmern bzw. gekümmert haben, dass sie endlich zur Ruhe kommen und sich in Zukunft ihrem auch ohne Corona schon anstrengenden Beruf widmen können. Schön wäre es allerdings, wenn sie nicht nur lobende Worte, sondern endlich auch eine finanzielle Anerkennung ihrer für uns alle doch so wichtigen Arbeit bekämen.

Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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»MEIN LEBEN WAR EINE ACHTERBAHNFAHRT« Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Reinhard (72).

Hallo Reinhard. Lass mich raten: Du bist 96-Fan? Ja, kann man so sagen. Bin früher oft zu den Spielen nach Hannover gefahren. Aber diesen Pulli habe ich über Asphalt bekommen, weil die eine Kooperation mit 96 haben.

später eine Tischlerlehre vermittelt, aber der Betrieb hat uns Lehrlinge nicht übernommen. Danach habe ich einen Malereilehrgang gemacht, aber auch dort ging es nicht weiter. Bevor ich dann arbeitslos wurde, habe ich einige Jahre lang in einer Baufirma gearbeitet.

Wie bist du denn zu Asphalt gekommen? Das war als ich arbeitslos wurde. Ich bin dann zur Celler Diakonie, zu Herrn Ludwig. Der fragte mich, ob ich mir das vorstellen könne, Asphalt zu verkaufen, bis ich eine andere Arbeit finde. Und nun bin ich schon über 20 Jahre dabei. Das ist schon eine lange Zeit, mit nur einer kurzen Unterbrechung für einen Lehrgang zum Landschaftsgärtner.

Hat dir das gelegen, als Asphalt-Verkäufer zu arbeiten? Anfangs war es schon ungewohnt, da so in aller Öffentlichkeit zu stehen, aber überwiegend habe ich positive Erfahrungen gemacht. An meinem Verkaufsplatz habe ich mir eine treue Stammkundschaft erworben und auch meine jetzige Bekannte dort kennengelernt. Natürlich gab es auch immer mal wieder die Pöbler, die einen beschimpft haben. »Geh doch arbeiten« und so. Da habe ich dann nur gedacht: Wenn ihr wüsstet!

Klingt so, als hättest du schon einiges erlebt? Ich habe immer gearbeitet! Nach der Schule habe ich zunächst eine Lehre angefangen, eine kaufmännische Ausbildung, aber das war nichts für mich. Dann bin ich auf Montage gegangen. Das war eine Knochenarbeit. Wir haben Zäune gesetzt, zuerst die Betonpfosten und daran dann das Drahtwerk. Für die Bundeswehr zum Beispiel bei Jever. Danach habe ich Möbel ausgeliefert und zusammengebaut. Habe auch in der Tischlerei gearbeitet, an der Fräse.

Es war sicher nicht einfach für dich, nach dem Gefängnis? Das war ja eine andere Welt, in der man sich auch erst zurechtfinden musste. Aus dieser Zeit stammt auch mein schlimmstes Erlebnis. Wir waren zu dritt in einer Zelle und haben eines Tages einen von uns tot in der Toilette gefunden. Der hatte sich die Arme aufgeschlitzt, alles war voller Blut. So etwas vergisst man nicht mehr. Nach dem Knast bin ich zurück nach Celle. Hier lebte ich vier Jahre lang in einer Obdachlosenunterkunft, bis ich eine eigene Wohnung bekam. Ich bin nur froh, dass es bei dieser einen Straftat geblieben ist und ich nicht tiefer gefallen bin.

Was hat dir Halt gegeben? Das hatte sicher auch damit zu tun, dass ich nie Drogen genommen habe und auch nie Probleme mit Alkohol hatte. Ich habe oft genug gesehen, wie andere abgestürzt sind. Stattdessen habe ich immer viel Sport getrieben, zwei- bis dreimal die Woche Training nach der Arbeit. Vor allem viel Fußball, aber auch Laufen und Volleyball. Im Sportverein hatte ich auch meine schönsten Erlebnisse und natürlich auch als ich eine Freundin gefunden habe. So etwas hat mich immer hochgepuscht.

Hast du eigentlich noch Familie? Ich habe noch eine Schwester, die wohnt jetzt in Minden. Wir haben noch Kontakt, aber nur ein- oder zweimal im Jahr. Dann gibt es noch einen Stiefbruder.

Aber für längere Zeit war nichts dabei? Ach, es ist alles nicht so gut gelaufen, in meinem Leben. Ich habe auch Fehler gemacht, dazu stehe ich auch. Im Grunde war mein Leben eine Achterbahnfahrt. Meine Kindheit war ganz normal, ich bin in einem Dorf bei Celle aufgewachsen. Der Tiefpunkt waren dann sicher die acht Jahre, die ich im Gefängnis absitzen musste. 1978, da war ich 28 Jahre alt, kam ich in den Knast, mit 36 bin ich dann entlassen worden. Das war eine blöde Sache gewesen, da war nichts geplant, ich bin da so reingerutscht. Aber auch im Gefängnis habe ich gearbeitet, habe dort auch zwei Lehrgänge besucht. Aber draußen hat sich dann nie etwas in diesen Jobs ergeben. Das Arbeitsamt hat mir

Lebst du denn allein oder in einer Partnerschaft? Allein. Verheiratet war ich leider nie. Einmal war ich verlobt, im Alter von 23 Jahren. Gewünscht habe ich mir das schon lange, eine Partnerin zu haben, nicht immer nur allein zu leben. Aber jetzt ist der Zug wohl abgefahren. Meine derzeitige Bekannte will das auch nicht mehr.

Wenn du einen Wunsch freihättest ... Wenn ich so zurückblicke, freue ich mich, dass ich bald meinen 73. Geburtstag erleben darf. Interview und Foto: Ulrich Matthias


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Reinhard verkauft Asphalt in der Innenstadt von Celle.


RUND UM ASPHALT

Abendstimmung im Late-Zoo

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Gewinnsp

Eine fast verzaubernde Stille legt sich abends über die Savanne am Sambesi, über die Wildnis Kanadas in Yukon Bay und über die verwunschene Ruine des indischen Dschungelpalastes. Die Pfauen stimmen ihren abendlichen Gesang an, die Flamingos schnattern eifrig beim Abendbrot, während ein Boot auf dem Sambesi an ihnen vorbeigleitet. Beim Late-Zoo können Zoobesucher vom 6. Mai bis zum 19. August jeden Donnerstag bis 21 Uhr die abendliche Atmosphäre mit dem Boot über den Sambesi oder bei einem Spaziergang durch die einzigartig gestalteten Themenwelten ab 16.30 Uhr zum vergünstigten Preis genießen. Und für die Hungrigen unter den Besuchern hält die Zoo-Gastronomie viele leckere Köstlichkeiten bereit. Der Erlebnis-Zoo ist unter Auflagen geöffnet. Jeder Besucher benötigt zu den Tickets zusätzlich eine Zutrittsberechtigung. Diese gibt es ausschließlich online unter shop.erlebnis-zoo.de. Welche Regelungen für einen Zoo-Besuch sonst noch gelten, finden Besucher tagesaktuell unter www.erlebnis-zoo.de. Mit Asphalt könne Sie zwei Tagestickets für den Zoo Hannover gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage:

Foto: Zoo Hannover

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An welchem Wochentag gibt es den Late-Zoo? Schicken Sie uns eine Postkarte oder eine E-Mail mit Ihrer Antwort und dem Stichwort »Zoo« bis zum 30. Juni 2021 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover oder gewinne@asphalt-magazin.de. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautet: »Maya und Kelly«.

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Ute Kahle, Ulrich Matthias Gestaltung: Maren Tewes Kolumnistin: Karin Powser Freie Autoren in dieser Ausgabe: A. Bruhns, B. Pütter, T. Rosenbohm, W. Stelljes Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Heike Meyer

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Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Sophia Erfkämper, Ute Kahle, Kai Niemann Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Vertrieb Göttingen: Telefon 0551 – 531 14 62 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1

redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de goettingen@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Online: www.asphalt-magazin.de www.facebook.com/AsphaltMagazin/ www.instagram.com/asphaltmagazin/ Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 26.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 21. Mai 2021 Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung

nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus. Gesellschafter:

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


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Foto: Hans-Jürgen Oertelt

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Foto: U. Kahle

»Über den Horizont«

Nachgeschaut Wie sieht es aus ganz unten auf den Straßen von Hannover? Axel von der Ohe, Ordnungsdezernent der Landeshauptstadt Hannover war mit Martin Prenzler, Geschäftsführer der City-Gemeinschaft (re.) sowie Asphalt-Geschäftsführer Georg Rinke (li.) in der City unterwegs, um Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit der Innenstadt zu überprüfen. Ein Thema des Rundganges war die Situation der Obdachlosen, die vor Karstadt lagern und deren Räumung bei Druckschluss kurz bevorstand. Von der Ohe teilte auf Nachfrage mit: »Wir sind nicht sehr erfolgreich gewesen in der Ansprache und insofern ist, wenn sich das in den nächsten Tagen nicht ändert, eine Räumung vorgesehen.« Prenzler hingegen äußerte, dass ihm an der Stelle keine Beschwerden vorlägen, aber »mir fallen da gleich zehn andere Stellen ein.« Georg Rinke sagte: »Ich freue mich, dass wir zu dem Thema im Austausch sind. Mit pauschalen Aussagen zu der Situation der Menschen auf der Straße ist ja niemandem geholfen. Wenn wir aber helfen wollen, und ›Asphalt‹ möchte dies, dann ist hinsehen und sprechen die erste Voraussetzung.« UKA

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Vanessa Erstmann, 1. Vorsitzende Jazz Club Hannover e.V.

»Asphalt ist die soziale Stimme meiner Heimatstadt. Seit über 25 Jahren erinnert sie daran, dass in unserer Gesellschaft nach wie vor viele Menschen in Not leben. Asphalt ist aber auch ein soziales Bindeglied, das die Möglichkeit der Begegnung schafft. Und schließlich steht Asphalt nicht nur für starke Taten, sondern auch für starke Worte, die mich monatlich über den eigenen Horizont blicken lassen.«

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Foto: Picture-Alliance/Julian Stratenschulte

KAFFEE MIT KÄSSMANN

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WAHL UND VERTRAUEN Was ging verloren? Was wird anders bleiben? Mit Ex-Bischöfin und Asphalt-Mitherausgeberin Margot Käßmann haben wir über Diskurskämpfe, Abgehängte, Armut in der Pandemie und die anstehenden Wahlen gesprochen. Liebe Margot Käßmann, wenn die Pandemie in den nächsten Monaten vorbei ist, wird es dann wieder so sein wie vorher? Positiv wird sein, dass wir dankbar sein werden für all das Alltägliche, für das wir früher gar keine Dankbarkeit empfanden. Wie etwa die Möglichkeit, sich mit anderen frei und abstandslos zu treffen. Das ist für mich und viele andere wertvoller geworden. Zudem gibt es Lektionen: Es wird in Zukunft eine höhere Sensibilität für Gesundheit da sein. Dass Menschen in und aus Asien Masken tragen, wenn sie erkältet sind, um andere

nicht anzustecken, wird nicht mehr wie früher belächelt werden. Masken werden voraussichtlich auch bei uns beibehalten werden im kommenden Winter. Das wird positive Effekte haben: Es gab im vergangenen Winter 2020/2021 überhaupt nur 519 Grippefälle in Deutschland. Erstmals blieb also die Grippewelle aus. Laut einer Umfrage sagen 49 Prozent der Deutschen, sie werden in Zukunft achtsamer miteinander sein.

Während der Spanischen Grippe vor rund 100 Jahren wurde Spucken unstatthaft. Alle Spucknäpfe überall ent-


Foto: Picture-Alliance/Julian Stratenschulte

KAFFEE MIT KÄSSMANN

Karl noch einsam in der Außengastronomie in Hannovers Südstadt. »Für das Alltägliche werden wir große Dankbarkeit empfinden«, sagt Margot Käßmann.

sorgt. Sie kamen nie wieder. Wie wird es bei uns mit dem Handschlag sein?

genannten Wilden Zwanzigern, wohl eher Hedonismus anstatt Umsicht war da angesagt.

Er wird zumindest nicht mehr das Symbol der freien, westlichen, auf Gleichberechtigung ausgerichteten, Welt sein. Das wird sich ändern. In Dänemark zum Beispiel war die Frage, ob ein Mann einer Frau die Hand gibt, ein Kriterium für die Einbürgerung. Das wurde in der Pandemie ausgesetzt und es ist fraglich, ob es zurückkommt als Symbol.

Vielleicht ist das kurzfristig so, das sagen auch Tourismusforscher. Aber latent im Hintergrund wissen wir alle, dass die Klimakrise ansteht. Sie ist nur etwas in den Hintergrund getreten. Die Corona-Krise hat uns doch gezeigt, dass wir in der Lage sind, unseren Lebensstil zu ändern.

Zoomkonferenzen, Homeoffice, virtuelle Universitäten, was davon wird bleiben, was wird wohl wieder verschwinden? Im Dezember saß ich mit dem Wirtschaftsmanager Wolfgang Reitzle in der Sendung Sonntagsstammtisch in München zusammen. Er sagte dort, er habe vor der Pandemie beinahe täglich auf einem deutschen Flughafen gestanden, um zu einer geschäftlichen Besprechung zu fliegen. Er war überzeugt, dass es das in Zukunft so nicht wieder geben wird, weil sich gezeigt habe, dass wir einige solcher Treffen viel effektiver innerhalb von zwei Stunden am Bildschirm durchführen können. Das macht Hoffnung, dass die Pandemie nachhaltig etwas an unserem Flugverhalten ändert und wir somit Einfluss auf den Klimawandel nehmen werden. Vielleicht erkennen viele jetzt auch, dass sich auch in Deutschland gut Urlaub machen lässt.

Gegenthese: Nach Krieg und Spanischer Grippe kam es im vergangenen Jahrhundert in Deutschland zu den so

Könnte es gar zum ökonomischen Paradigmenwechsel kommen, zu einer Abkehr vom Abfeiern von Rendite, Wachstum und Deregulierung? Es wird Kräfte geben, die das verhindern wollen. Da gibt es handfeste Interessen. Ich kann mir aber vorstellen, dass gerade die jüngeren Menschen in den vergangenen 15 Monaten eine solche Ausbremsung erfahren haben, dass genau hier die entscheidende Frage sein wird: Müssen wir das jetzt alles nachholen und abfeiern, dass es vorbei ist? Oder haben wir jetzt wirklich gelernt, wie fragil das Leben ist und dass weniger mehr ist. Beziehung, Familie, Verlässlichkeit, Vertrauen. In der Pandemie haben wir doch begriffen, was das Wesentliche im Leben ist und gleichzeitig realisiert: All das ist nicht käuflich.

Auf der Strecke geblieben scheint mir in jedem Fall Vertrauen. Je nach Umfrage vertrauen Menschen in die Politik zu 15 bis 30 Prozent. In jedem Fall keine Mehrheit. Und 54 Prozent der Befragten sehen die Politiker als von ihren Aufgaben komplett überfordert.


Vermutlich kann nicht jeder mit den doch nicht wenigen Fehlern so verständnisvoll umgehen. Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sogar zwischen Familien und Großeltern, die Zerstörung der Kultur, die aus dem Lockdown erwachsende neue Armut, die Macht einer verfassungsmäßig nicht vorgesehenen Organisation wie die Ministerpräsidentenkonferenz, die ungleiche Verteilung der Hilfsgelder und die extrem späte Erkenntnis, dass in beengten Armeleute-Haushalten Covid besser gedeihen könnte, als in großen Einfamilienhäusern … An all dem ist was dran. Vermeintlich alternativlose Wahrheiten müssen doch hinterfragbar sein. Schon Pontius Pilatus hat gefragt, was ist Wahrheit?

Und? Was wurde ihm geantwortet? Nun, das steht im Raum seit 2.000 Jahren. Ich denke, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir von allen Menschen erwarten können, dass sie sich breit aus unterschiedlichen Quellen informieren. Das gilt natürlich auch für Politikerinnen und Politiker. Es ist wichtig, dass sie Wissenschaftsmeinungen aus allen Disziplinen zurate ziehen, und sich nicht allein auf

Virologen verlassen. Aber das gilt auch für jeden und jede Einzelne von uns. Die Möglichkeiten sind vielfältig, sie sind über die früher verfügbaren Angebote von Tagesschau und Tageszeitung hinaus in den vergangenen Jahrzehnten nochmal viel größer geworden. Vor kurzem aber habe ich ein Interview mit zwei jungen Männern gesehen, die auf die Frage, wo sie sich über das Geschehen in Deutschland und der Welt informieren, sagten: Auf der Homepage von Pegida. Das ist problematisch. Die Frage ist, wie wir es schaffen, dass sich Menschen nicht nur in der eigenen Blase gegenseitig die gleiche Meinung bestätigen. Wie erreichen wir größtmögliche Offenheit und Vielfalt als größtmögliche Annäherung an Wahrheit?

Solche Menschen wie diese beiden jungen Männer haben sich aus dem Diskurs ja quasi selbstbestimmt verabschiedet. Muss die Mehrheitsgesellschaft vielleicht einfach einen bestimmten Prozentsatz als verloren gegangen und nicht mehr erreichbar akzeptieren? Verloren gegangen? Damit sollten wir uns nicht abfinden. Früher haben wir es auf dem Kirchentag geschafft, Menschen mit scheinbar unvereinbaren Positionen auf den Podien zum Gespräch zusammenzubringen. Wo sind heute diese Podien für die kontroverse Auseinandersetzung? Schaffen wir das noch? Ich hoffe das. Ich selbst kenne zwei Kollegen persönlich, einen in Bonn und eine auf Usedom, die versucht haben, auch selbst ernannte »Querdenker« einzuladen zum Gespräch. Die Erfahrungen sind: Ein Drittel ist erreichbar, ein Drittel hört noch zu und ein Drittel ist absolut nicht mehr gesprächsfähig. Aber immerhin, zwei Drittel sind nicht verloren gegangen, wenn wir intensiv den Dialog suchen.

Vielfach geht es bei Querdenkern und Rechtsauslegern nicht um die Kraft der Argumente, sondern eher um ein Gefühl, um instabile Identität, um ein Unbehagen gegenüber Gesellschaft und Staat. Anzeige

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Fehlendes Vertrauen in die gewählten Politikerinnen und Politiker ist für eine Demokratie eine sehr große Belastung. Als evangelische Christin sage ich mit Martin Luther aber auch: Simul iustus et peccator, also jeder Mensch ist Gerechter und Sünder zugleich. Jeder Mensch hat Stärken und jeder Mensch hat Schwächen. Perfekte Menschen gibt es nicht. Und so gibt es auch in der ganzen politischen Welt eine ganz natürIn der Pandemie liche Fehlerquote. Eine solche haben wir doch Pandemie hat noch nie jemand begriffen, dass der heute Lebenden erlebt, eine solche Krise ist insofern einmadas Wesentliche lig. Sicherlich wurden da der eine im Leben nicht oder andere Fehler gemacht. Gekäuflich ist. wiss auch von Herrn Spahn. Aber ich fand seinen Satz, dass wir im Nachhinein gewiss einander vieles verzeihen müssten, absolut richtig. Der Satz hatte für mich eine ganz tiefe Bedeutung, zeigt er doch, dass Politiker begreifen, dass sie Fehler machen. Niemand wusste genau was richtig ist, Demut tut uns allen gut. Was nicht heißt, dass ich nicht die eine oder andere Maßnahme für unsinnig gehalten habe.

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KAFFEE MIT KÄSSMANN

Foto: Picture-Alliance/Daniel Kubirski

Ich fürchte, diese grundsätzliche Zustimmung haben in Deutschland einige nicht mehr, und damit meine ich nicht nur verschrobene Reichsbürger.

Kampf um die Diskurshoheit: April 2021, so genannte QuerdenkerInnen wähnen Jesus auf ihrer Seite.

Auf der Gefühlsebene erreichst du Menschen am besten über die direkte Begegnung. Weil es dann schwierig wird, Urteile und Vorurteile aufrecht zu erhalten. Das ist mir auf vielen Ebenen begegnet. Das gibt es im Dialog zwischen Muslimen und Christen, das gibt es in organisierten Begegnungen von Israelis und Palästinensern. Feindbilder sind häufig lediglich theoretische Feindbilder. Sie entspringen meist Vorstellungen und selten Erleben. Solange du nicht weißt, was Esra auf der Flucht erlebt hat, sagst du, alle Flüchtlinge sollen weg. Wenn sie dir aber von ihrem Leben erzählt, ist das plötzlich ganz anders für dich. Da überdenkst du deine eigenen vermeintlichen Wahrheiten. Aber genau dafür müssten wir Begegnungsräume schaffen.

Die es nun ausgerechnet wegen einer weltumspannenden Virusausbreitung seit mehr als einem Jahr nicht gibt. Gut möglich, dass uns die Pandemie als noch unerkannte Langzeitfolge im Bestreben um friedliches Miteinander zurückgeworfen hat. Echte Begegnung ist durch Corona nahezu unmöglich geworden. Das merke ich selbst im Gottesdienst: Da fehlt etwas, wenn alle mit Abstand sitzen.

Immanuel Kant fordert in seiner Rechtslehre, dass jeder Einzelne den Staat als Produkt seines eigenen Willens, als in Übereinstimmung mit sich selbst erleben muss.

Das ist aber nicht allein neu durch Corona. Schon seit einigen Jahren liegt meines Erachtens ein Gefühl der Lähmung über dem Land. Viele beschlich doch ein Gefühl, dass sie aufgrund dieser sich kaum verändernden Zähigkeit nichts mehr mitentscheiden konnten. Insofern habe ich Hoffnung, dass nun, wenn gleich drei KanzlerkandidatInnen mit einigermaßen Aussicht auf Erfolg antreten, wieder mehr ein allgemeines Gefühl der Mitbestimmung im politischen System entsteht. Da kommt es ganz entschieden auch auf die Gesichter an. Das ist für die einzelnen Personen sehr belastend. Aber wir können nicht davon ausgehen, dass alle Menschen die Parteiprogramme lesen werden. Insofern ist es gut, dass im Herbst auch drei ganz unterschiedliche Typen zur Wahl antreten. Denn Menschen verkörpern Ideen. Da sind wir wieder beim Thema Vertrauen und Emotion. Das wird in jedem Fall eine für die Lebendigkeit unserer Demokratie im Land enorm wichtige Wahl.

Und was sind die wahlentscheidenden Themen? Der jungen Generation brennt das Klimathema zu Recht auf den Nägeln. Zudem ist Wohnen ein großes existenzielles Thema. Und dann ist da die wirtschaftliche, die soziale Schere, die sich offenkundig immer weiter spreizt. Ich bekomme viele seriöse Hilferufe von Menschen, die beispielsweise ihre Stromrechnung nicht mehr zahlen können. Wenn ich jetzt von Prognosen lese, dass Strom bis zum Jahr 2030 um rund 50 Prozent Wasser, Strom, teurer werden könnte, dann ist das ein ganz heißes Thema. Es gibt für Gas und Wohsolche Fälle von unbezahlbaren nung sind MenStromrechnungen vor allem auf schenrechte. lokaler Ebene privat organisierte Unterstützung wie die hannoversche Organisation »A Little Help from my Friends« von Stefanie Holm, die ich für dieses Engagement sehr schätze. Aber solche Initiativen, die in Notlagen helfen, dürften in Deutschland eigentlich für derartige Fälle nicht nötig sein. Wasser, Strom, Gas und Wohnung sind Menschenrechte. Im reichen Deutschland dürfen diese Grundlagen menschenwürdiger Existenz nicht versagt werden.

Ein neues Bündnis fordert Artikel 13 Grundgesetz zu erweitern. Hinter den Satz zur Unverletzlichkeit der Wohnung soll direkt ein neuer Satz 2 eingefügt werden: »Jeder Mensch hat das Recht auf eine Wohnung.« Schließt du dich der Forderung an? Ja. Interview: Volker Macke


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Das Fahrgastfernsehen. · Goethestraße 13 A · 30169 Hannover · (0511) 366 99 99 · redaktion@fahrgastfernsehen.de


BUCHTIPPS Wer quer denkt EsoterikerInnen in Pluderhosen, die teils auf mitgebrachten Yogamatten meditieren, Impfgegner, die halb ironisch Grundgesetze verteilen, ›Reichsbürger‹, rechte Hools, Verschwörungsfans mit eigener Symbolik: Vor allem im vergangenen Jahr hat diese irritierend heterogene, und dabei oft als bürgerlich wahrgenommene Protestbewegung bundesweit Großdemonstrationen durchgeführt, Bündnisse geschlossen und sich weiter formiert. Die JournalistInnen Heike Kleffner und Matthias Meisner sind ausgewiesene ExpertInnen für die extreme Rechte in Deutschland. Ihr soeben veröffentlichter Sammelband über die bundesweiten Corona-Proteste bietet 40 Texte einer beeindruckenden Reihe erfahrener FachjournalistInnen. Sie beleuchten die wichtigen Aspekte, Konzepte, AkteurInnen und Angegriffenen einer Bewegung, die sich vor allem durch eins auszeichnet: den fehlenden Mindestabstand zu Antidemokraten, Antisemiten und Neonazis. BP Heike Kleffner, Matthias Meisner | Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde | Herder | 272 S. | 22 Euro

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Wie geht es Marc? Katja Hübner trifft in der Nähe ihrer Wohnung Marc, der auf einer Parkbank lebt. Sie weiß nicht viel über Obdachlosigkeit und nichts über Psychosen. Aber sie will helfen. Sie bringt Marc Essen und versucht vergeblich, ihn zum Verlassen seiner Bank zu bewegen. Sie ist irritiert von der vermeintlichen Gelassenheit der Hilfsorganisationen, liest und lernt über das Hilfesystem und über psychische Erkrankungen. Als vor dem G20-Gipfel das Ordnungsamt beginnt, jeden Morgen Marcs Hab und Gut zu entsorgen, kümmert sie sich täglich um einen neuen Schlafsack. Sie schreibt ForscherInnen an, spürt gar Marcs Familie auf. Und als es auf den Winter zugeht, sorgt sie mit großem Einsatz für eine Einweisung in die Psychiatrie, die Marc das Leben rettet. Katja Hübner hält den Kontakt, begleitet Marc bei seinem Neuanfang: Passfotos, neuer Ausweis, ein Konto, Grundsicherung, ein Portemonnaie. Heute lebt Marc in einer Wohngruppe, Katja und er besuchen sich regelmäßig. Schonungslos ehrlich hat Katja Hübner, die eigentlich Grafikerin ist, diese gemeinsame Reise, auf der sie Marcs und ihre eigenen Grenzen überschritten hat, aufgeschrieben. Beim Lesen erfährt man mehr über Obdachlosigkeit und psychische Erkrankungen als in manchem Fachbuch. BP Katja Hübner | Okay, danke, ciao! Eine Geschichte über Freundschaft und Obdachlosigkeit | Heyne | 192 Seiten | 16 Euro

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SPIELETIPPS Rocketmen Aus der Feder von Martin Wallace kommt das Deckbuildingadventure Rocketmen, das die Spieler in die Science-Fiction-Welt der Raumfahrer befördert und eine Reise zu Mond, Venus und Mars als Ziel hat. Deckbuilding ist dabei eine Kernkompetenz, die die Mitspieler schnell erlernen können. Durch die Mechanik des »all-at-once« der Kartentexte fallen zwar die Wahlmöglichkeiten weg, jedoch ermöglicht es gerade Einsteigern die eigene Strategie zu verfolgen, ein Launchpad für die Rakete zu bauen und die Mission zu einem guten Ende zu bringen. Hat er richtig taktiert, war er zu vorsichtig, oder hat er genau die Punktlandung geschafft, die ihn zum Sieg bringt? Ein vergnüglicher und spannender Spieleabend ist nahezu garantiert und es wird sicher nicht bei der einen Runde bleiben. Rocketman, Phalanx Games, Deckbuildingadventure für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren, ab 29,95 Euro.

Hashi Ein Spiel ohne Wartezeiten ist Hashi, denn die Spieler können alle gleichzeitig auf ihren individuellen Spielfeldern benachbarte Inseln mit Brücken verbinden. Gehen von einer Insel so viele Brücken ab, wie die Zahl auf der jeweiligen Insel es vorgibt, ist die Insel fertig angelegt und bringt Punkte. Nach diesem Prinzip werden die Brücken strategisch errichtet. Gelegentlich verbaut man sich auch selbst den Weg und kann am Ende keine Brücken mehr setzen und nur noch den Mitspielern gratulieren. Auch alleine wird das Spiel zu einem großartigen Highscore-Rätsel und bietet selbst für geübte Brückenbauer immer wieder neue Herausforderungen, denn keine Runde ist gleich. Hashi, NSV-Verlag, Logikspiel für 1 bis 4 Spieler ab 8 Jahren, ab 13,49 Euro.

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Keine Gnade für die Monster Auf die Socken, fertig, los! Lautet das Motto für die Verteidigung des Hauses, denn die kleinen Monster sind im Anmarsch und wollen es übernehmen. Doch die Spieler bilden ein starkes Team und bekämpfen die Monster mit ihren Bällen und Socken, die sie nach ihnen werfen. Dabei kennen sie keine Gnade. Mit seinem Spielbrett, das sich zu einem 3D-Haus entfaltet, seinem kooperativen Konzept und den kleinen Aufgaben, die gestellt werden, garantiert dieses Spiel einen unterhaltsamen und lustigen Abend für alle Mitspieler. Geschicklichkeit, Gedächtnis und Zusammenarbeit werden gefördert und nur gemeinsam gelingt es auch den jüngsten Mitspielern die Monster zu vertreiben. Keine Gnade für die Monster, Heve­tiqVerlag, Kooperativspiel für 1 bis 6 Spieler ab 4 Jahren, ab 19,99 Euro.

Getestet von Ute Kahle


KULTURTIPPS Musik

Ausflug

Hania Rani & Dobrawa Czocher

Die Leine in der Stadt

Die Pianistin, Cembalistin und Arrangeurin Hania Rani aka Hanna Raniszewska und die Cellistin Dobrawa Czocher erschufen 2015 mit ihrem gemeinsamen Album Biała Flaga, eine Sammlung schöner, verletzlicher Stücke, die eine tiefe Verbindung zwischen den beiden Instrumentenfarben und der freundschaftlichen Vertrautheit der beiden jungen Musikerinnen widerspiegelt. Eine leidenschaftliche, sinnliche, mal zarte, mal stürmische, mal schelmische, mal ernste Begegnung zwischen dem empfindsam, minimalistischem Stil Hania Ranis und dem delikat-betörenden Cellospiel von Dobrawa Czochers. Nach einigen anderen Projekten und Soloalben arbeiten die beiden Musikerinnen jetzt an ihrem zweiten gemeinsamen Album. Sonntag, 06. Juni, Warm-up 19 Uhr, Beginn 21 Uhr, Galerie Herrenhausen, Herrenhäuser Straße 3, Hannover, Bereits erworbene Tickets für die verschobene Veranstaltung vom 26. Mai behalten ihre Gültigkeit. Aktuelle Informationen oder Programmänderungen gibt es unter www.kunstfestspiele. de. Eintritt 5 Euro zzgl. VVK-Gebühren.

Die Leine – sie ist rund 278 Kilometer lang, fließt durch zwei Bundesländer und weist einen Höhenunterschied von 375 Metern auf. Doch wo entspringt die Leine und wo fließt sie hin? Auf dem naturkundlichen Rundgang mit NaTourWissen durch die Leineaue am Sportpark zwischen Maschsee und Ihme erfahren die Interessierten jede Menge Wissenswertes über den Fluss. Dabei folgen die Teilnehmer rund zwei Stunden dem Wasser der Leine, das in seinem Lauf mehrmals seinen Namen ändert. Und mit viel Glück zeigt sich während des Spaziergangs auch der eine oder andere Biber. Samstag, 05. Juni, 15 Uhr, Treffpunkt: Maschsee-Nordufer, Musikpavillon, Hannover, Anmeldung und aktuelle Informationen zur Veranstaltung auf www.natourwissen.de, Teilnahme 10 Euro.

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Süßes und herzhafte Aufstriche

SO WHAT I F W E H AV E TO PART, WE’LL BE TOGET HER AGAIN! LOUIS ARMSTRONG

Zu jedem guten Brot gehört ein leckerer Belag. Und noch besser: ein leckerer selbstgemachter Belag. Gemeinsam mit dem Faserwerk stellen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer süße und herzhafte Aufstriche her. Während des Rührens, Mixens und Kochens bleibt natürlich auch genügend Zeit für den Austausch von Geheimrezepten. Einmal damit angefangen, entdeckt man unzählige Variationsmöglichkeiten für Karotte, Tomate und Co. Dienstag, 08. Juni, 19 bis 21 Uhr, online über Jitsi, Anmeldung unter kontakt@faserwerk.info, Materialpakete können am Tag vor dem Workshop zwischen 15 und 19 Uhr im Faserwerk, Ottostraße 77, Hildesheim, abgeholt werden. Nach der Anmeldung erhalten die TeilnehmerInnen mit der Anmeldebestätigung eine Liste mit Materialen, die zuhause bereitgehalten werden sollten, sowie den Link zum digitalen Veranstaltungsraum.


Ein Kind zu verlieren ist das wohl Traurigste, was Eltern widerfahren kann. Schon nach viel zu kurzer Zeit müssen sie Abschied nehmen. In der Kindergedenkfeier unter dem Motto »In guten, wie in schlechten Zeiten« können betroffene Eltern, Verwandte, Geschwister und Freunde gemeinsam mit anderen Betroffenen Seite an Seite ihrer verstorbenen Kinder gedenken und mit einem Segen versehene Seifenblasen als Gruß in die Lüfte steigen lassen, fest im Glauben, dass sich die Kinder gemeinsam darüber freuen werden. Das Rahmenprogramm aus verschiedenen Aktionen wird mit den Worten von Diakonin und Seelsorgerin Ilse-Dore Grahe und den Rednern der Leeren Wiege Hannover e. V. begleitet. Samstag, 12. Juni, 10 bis 12 Uhr, Kindergedenkstätte auf dem Stöckener Friedhof, Stöckener Straße 68, Hannover, Außenveranstaltung unter Einhaltung der Corona-Regeln, Eintritt frei.

Künstlerischer Spaziergang Kriege, politische Verfolgung, wirtschaftliche Faktoren – noch immer müssen Menschen ungewollt ihr Heimatland verlassen. Doch aufgrund von Themen wie der Corona-Pandemie wird in den Nachrichten kaum noch etwas über die Fluchtursachen oder den Alltagsrassismus berichtet. Dabei verstärkt gerade die Pandemie die Isolation von Menschen mit Fluchtgeschichte und verhindert Begegnungen mit Alteingesessenen. Bei einem gemeinsamen Spaziergang durch die hannoverschen Stadtteile Linden, der Südstadt und der Nordstadt präsentiert der transkulturelle Verein kargah Interessierten persönliche Zitate und Bildcollagen von sieben Geflüchteten in fünf Sprachen. Sie berichten über frühere Lebensorte, jetzige Lieblingsplätze, Wünsche und Ziele. Aus den Ergebnissen des Spaziergangs wird kargah im Anschluss politische Forderungen entwickeln. Sonntag, 20. Juni, Uhrzeit und Treffpunkt werden unter www.kargah.de und auf www.wft.kargah.de rechtzeitig bekannt gegeben, Anmeldung erfolgt per E-Mail an kultur@kargah.de, Teilnahme frei.

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In guten, wie in schlechten Zeiten

Foto: Jo Titze

Sonstiges

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Klangkunstfestival Sie heißen »Brunnen für eine unbekannte Stadt«, »Meta_ Morph« oder »Die Quadratur des Kreises« und bringen zwölf ungewöhnliche Schauplätze in der Region Hannover zum Klingen – vom Parkhaus über einen Wertstoffhof bis hin zur Wunderkammer. Fünf Wochen lang präsentiert die IntraRegionale 2021 für ihren jeweiligen Standort entworfene Klangkunstwerke von KünstlerInnen aus Deutschland, Österreich und Großbritannien. Mit dabei unter anderem Lisa Premke, Peter Kutin, Stefan Roigk & Daniela Fromberg, Anna Schimkat und viele mehr. Ein umfangreiches Begleitprogramm aus Konzerten, Vorträgen, Klang-Workshops und Touren macht Lust aufs Hin- und Zuhören, aufs Erleben und Ausprobieren. Komplettiert wird das Klangkunstfestival von Arbeiten der Studierenden der Hochschule Hannover Sonntag, 13. Juni, bis Sonntag, 18. Juli, Die meisten der IntraRegionale-Kunstwerke sind im öffentlichen Raum zu sehen. Für einige Kunstorte gibt es Öffnungszeiten. Nähere Informationen dazu und ausführliche Beschreibungen der Programmpunkte sowie Hinweise zu den Veranstaltungs­ orten gibt es unter www.intraregionale.org und www.hörregion-hannover.de. Anmeldung und Tickets sind ebenfalls unter der angegebenen Website erhältlich.


SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 20 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – ein Zitat von Robert Browning ergeben: amt – bit – chi – cken – cken – del – dem – drun – eh – ein – em – er – er – folg – ge – geld – gen – gens – he – her – her – ho – ini – len – men – mer – mes – na – nach – nen – ni – nor – not – per – reh – reich – ren – ru – rü – sa – san – sen – show – skrit – som – stein – stol – tal – talk – tas – ten – ti – tia – übri – un – ve

1. Lärm 2. Schicksalsgöttinnen 3. Kultursprache Indiens 4. Spielraum bei manchen Gesetzen 5. ein Wildgericht 6. entgeltlose soziale Tätigkeit 7. Jahreszeit 8. ein gesetztes Ziel geschafft

Unter den EinsenderInnen der richtigen Lösung verlosen wir zweimal das Buch »Über die Schwalbe«. Stephen Moss erzählt von der unglaublichen Reise der Schwalbe von Afrika nach Europa, von Brut und ihrem Verhalten, aber auch von der Rolle, die sie in unserer Kultur, in der Literatur wie in der Popkultur einnimmt. Dieses Buch lüftet die verborgenen Geheimnisse eines ikonischen Vogels, der direkt vor unserer Haustür lebt. Viermal gibt es das Sachbuch »Wie geht Politik?« für Kinder ab 9 Jahren von Jan von Holleben und Lisa Duhm zu gewinnen. Spannende Antworten auf echte Kinderfragen. Das Buch informiert über die verschiedenen Regierungssysteme, die Wahlen, die Parteien und die Europäische Union. Die Fragen wurden in Kooperation mit weiterführenden Schulen gesammelt. Ebenfalls viermal verlosen wir das Hörbuch »Jeder Mensch« von Ferdi­nand von Schirach. Mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in Frankreich wurden die Grundsteine für unsere moderne Gesellschaft gelegt. Heute stehen wir vor ganz neuen Herausforderungen. Globalisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Klimawandel. Vor 200 Jahren noch nicht einmal vorstellbar. Wir brauchen deshalb neue, zusätzliche Menschenrechte. Die Lösung des Mai-Rätsels lautet: Leben ist immer lebensgefährlich. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 30. Juni 2021. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

9. jemanden ins Haus lassen 10. gezwungenermaßen 11. im Boden verlegte Gedenkplatte 12. außerdem 13. englisch: Huhn 14. etwas zu jemandem bringen 15. englisch: Unterhaltungssendung 16. schweizerische Landschaft 17. lat: Gesundheit 18. Anstoß 19. früher: Taschengeld der Ehefrau 20. folglich


Foto: Tomas Rodriguez

Comics Als ich Kind war, gab es pro Woche zwei Feiertage: Der Tag, an dem die neue Mickymaus erschien und der, an dem das Yps-Heft rauskam. Bei Yps war das Besondere, dass immer ein Gimmick dabei lag, wie zum Beispiel der Solar-Zeppelin, der Agentenausweis oder ähnliches. Legendär war das kleine Päckchen mit einer Art Pulver, aus dem sich die sogenannten Urzeitkrebse entwickelten. Achten Sie bitte genau auf die Schreibweise! Diese Krebse konnten Ihnen nämlich keinesfalls sagen, wie spät es ist. Nein, sie kamen vielmehr aus einem Land vor unserer Zeit. Wie auch immer. Comics pflastern meinen Lese- und Lebensweg. Lucky Luke, Clever und Smart, Tim und Struppi und natürlich Asterix. Die hintersinnigen Geschichten rund um das unbeugsame gallische Dorf mit seinen phantastischen Charakteren sind für mich absolute Königsklasse. Nehmen Sie den unersättlichen Obelix, den stets auf Hoheitszeichen bedachten Majestix, den streitlustigen Fischhändler mit dem schönen Namen Verleihnix oder den markerschütternden Barden Troubardix. Viele der teilweise Jahrzehnte alten Geschichten bilden nahezu perfekt unsere heutige Gesellschaft ab. Wir prügeln uns nicht mit Fäusten, aber manch Verbalschlacht wird im Internet genauso hiebträchtig und irrational geführt. Die Gallier allerdings bleiben im Gegensatz zu manch Zeitgenossen dabei immer sympathisch. Ich glaube, dass Asterix und Obelix verantwortlich sind für meinen Lebensweg. Durch die Comics wurde mein Interesse an der Geschichte geweckt, vor allem natürlich an der römischen. »Julius«, wie Asterix seinen Kontrahenten Cäsar gerne kumpelhaft nennt, ist in den Comicbänden allerdings ungleich sympathischer als in der vergangenen Realität. Und dann ist da natürlich »diese Nase«! Kenner wissen jetzt sofort, um wen es geht: Kleopatra! Den Film »Asterix und Kleopatra« habe ich bestimmt 20 Mal gesehen. Die alten Ägypter haben es mir sehr angetan. Ich werde nie vergessen, wie ich als Kind in einer Ausstellung die Totenmaske von Tutenchamun zu sehen bekam. Wussten Sie übrigens, dass Tutenchamun als Grabbeigabe 145 Unterhosen mitbekommen hat? Das ist jetzt kein Scherz und keine Comicbehauptung, sondern archäologische Erkenntnis. Man fand in der Gruft des Pharaos also jede Menge Wechselschlüpper, allerdings nur vier Paar Socken. Da kann man nicht auf großem Fuß ewigleben. Nun werden Sie einwenden, dass es im Tal der Könige reichlich warm und man auch barfuß gut gerüstet ist. Denken Sie jedoch an die Schlagerzeile »Brennend heißer Wüstensand«. Socken schützen auch vor Hitzfüßen. Und ebenso vor den eisigen Wüstennächten. Übrigens waren die Ägypter in gewisser Weise die Erfinder des Comics, denken Sie nur an die Hieroglyphen. So gesehen kann es sein, dass es Tutenchamun zwar hin und wieder fußkalt wurde, aber immerhin hatte er in seiner Grabkammer genug zu lesen. Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

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