2021 04 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

04 21 MIT HOFFNUNG HÄUSER UND TORTEN

OLAF SCHOLZ

SOZIAL UND LIBERAL

Hilfe für die Roma-Kinder im alten Siebenbürgen.

Straßenzeitungen befragen den Kanzlerkandidaten der SPD.

Sylvia Bruns‘ Blick auf Armut und Obdach.


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Notizblock Häufig gestellte Fragen über die Roma und das Romanes.

6 Scholz will gute Arbeit Im September wird gewählt. Wir fragen die SpitzenpolitikerInnen der demo­ kratischen Parteien. Monat für Monat. Es geht um Wohnen, um Armut, um Lösungen. Dieses Mal Olaf Scholz.

18 Marktplatz 23 Das muss mal gesagt werden 24 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäuferin Heidi

26 Zoorätsel/Impressum 27 29

Rund um Asphalt Zuhause gedruckt Hat darauf die Wohnungslosenhilfe nur gewartet? Bezahlbarer Wohnraum für alle Obdachlosen. Schnell und kostengünstig: Häuschen aus dem Drucker.

32 Piquardts Genuss des Einfachen Der bekannte hannoversche Gastronom ist Autor, Olivenbauer und Kochanimator. Jetzt kocht er für Asphalt.

Hermannstadt in Rumänien. Am Rande leben Roma. Arm, ausgegrenzt, seit jeher. Fotografin Alea Horst hat Hoffnungsschimmer gefunden: Kinderhäuser und Familienhilfen. Aus Deutschland.

35 Spieletipps 36 Kulturtipps 38 Silbenrätsel 39 Brodowys Ausblick

Titelbild: Alea Horst

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34 Buchtipps Kinder von Sibiu

Das Asphalt-Prinzip

19 »Ich will Klarheit«

Sylvia Bruns ist die Neue fürs Soziale im hannoverschen Rathaus. Unser Gespräch über Teilhabe, Runde Tische, Frauen, Drogen und eine Online-Umfrage für Obdachlose.

Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1.


Foto: Markus Lampe

»Die Zigeuner kommen, holt die Wäsche rein«, Sätze, mit denen wir oder unsere Eltern aufgewachsen sind. »Zigeuner ist nicht nur ein Wort, es ist ein Messer, es erinnert daran, dass man anders ist, anders sein muss«, sagt Politikwissenschaftler Radoslav Ganev. Ein Teufels­ kreis. Der Staat will nicht, innere Strukturen, die nur selten durchbro­ chen werden, da ist so vieles in sich verkrümmt. Eine Romni sagte mir in einem Gespräch einmal: »Das Bild, das andere von mir haben, es prägt immer auch mein Bild von mir selbst – oder nicht?« Mehr da­ rüber finden Sie in dem Artikel »Kinder von Sibiu«, ein Artikel über Romakinder, die inzwischen auch bei uns in Niedersachsen leben. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, das kennen wir auch aus ande­ ren Zusammenhängen. Wohnungslose kennen es ebenfalls. »Home, sweet homeless« parodiert einen oft existentiellen Kampf. Der jetzt in Amerika durch die 3D-Druckertechnik vielleicht leichter werden könnte – Licht am Horizont. Denn durch diese Technik entstehen Wohnungen innerhalb von 24 Stunden für wenige tausend Dollar, eine Zukunftsbranche, die bald auch uns helfen könnte. »Zuhause gedruckt«, Unglaubliches zu lesen in diesem Heft. Denn immer noch gilt: »Erst wenn Du eine Wohnung hast, bist du wer« – ein immer noch viel zu oft gehörter Satz. Dieses Jahr ist »Superwahljahr«. In sechs Bundesländern wird oder wurde bereits gewählt, im September folgt dann die Bundestagswahl. Aktuell stellen die Parteien Kandidatinnen und Kandidaten auf. Jede und jeder will ein gutes Bild abgeben, auch die SPD – im Interview mit Olaf Scholz lesen wir mehr. »Du sollst Dir kein Bildnis machen«, heißt es nicht umsonst. Den anderen so zu nehmen, wie er ist, ist gar nicht so leicht. Besonders, wenn er anders ist. Die Beiträge in diesem Heft zeigen, wie es gelin­ gen kann.

Eine schöne Osterzeit wünscht Ihnen Ihr

Rainer Müller-Brandes · Stadtsuperintendent und Asphalt-Mitherausgeber

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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Foto: V. Macke

Tonne verteidigt Kita-Gesetz

Coronakrise macht Armutskrise Hannover. Die Coronakrise birgt nach Ansicht der Wohlfahrts­ verbände die Gefahr einer gesellschaftsdurchdringenden Ar­ mutskrise. Bei der breiten Mehrheit der Menschen in Nieder­ sachsen seien die Auswirkungen der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie angekommen, sagte der Vorsitzende der Lan­ desarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrt in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke. »Das merken wir auch daran, dass unsere Beratungseinrichtungen mit anderen Fragestellungen konfron­ tiert werden. Es geht um Kurzarbeit und um Arbeitslosigkeit in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.« Zudem kämen auch immer mehr Menschen aus der Mittelschicht in die Bera­ tungsstellen. Zwölf Monate mit Corona-Beschränkungen hätten Lenke zufolge auch Spuren in der Psyche der Menschen hinter­ lassen. Das führe zu Mutlosigkeit und Resignation. Trotz aller Anstrengung seien Menschen abgehängt worden und durchs Netz gefallen, so Lenke, der auch Chef des Diakonischen Werks Niedersachsen ist, weiter. »Deshalb müssen wir den Sozialstaat gemeinsam neu aufstellen und der angespannten Finanzlage zum Trotz in das Soziale investieren.« Das Netzwerk Landes­ armutskonferenz (LAK) fordert deshalb nun eine Untergrenze für das Kurzarbeitergeld von mindestens 1.200 Euro und eine Ausweitung des Kurzarbeitergeldes auf Minijobber. Außerdem müsse es mehr kostenlose Schuldnerberatung für prekär Be­ schäftigte sowie einen Krisenzuschlag für Arme von monatlich 100 Euro für die Dauer der Pandemie geben. EPD

Hannover. Der niedersächsische Kultusminister Grant Hend­ rik Tonne (SPD) hat den Entwurf für ein neu gefasstes Kita-Ge­ setz gegen teils massive Kritik verteidigt. In der neuen Form sei das Gesetz ein »solides Fundament«, sagte Tonne im Landtag in Hannover. Es benenne die Schritte, die aktuell möglich sei­ en, und stelle die Weichen für mehr Qualität in den Kinder­ tagesstätten. Wohlfahrtspflege, Gewerkschaften und Elterni­ nitiativen hatten den Entwurf zuletzt als völlig unzureichend bezeichnet. Sie bemängelten neben weiteren Punkten auch die fehlende Perspektivplanung für eine dritte Betreuungs­ kraft. Tonne sagte, es sei auch weiterhin das Ziel der Landes­ regierung, eine dritte Kraft zur Betreuung von Kita-Gruppen zu ermöglichen. »Davon haben wir uns nicht verabschiedet.« Angesichts des Fachkräftemangels könne dies allerdings aktu­ ell nicht umgesetzt werden. In das Gesetz sollten keine leeren Versprechungen geschrieben werden, betonte der Minister. Die dritte Kraft könne stattdessen unabhängig vom Gesetzestext er­ möglicht werden. Für diese Herangehensweise erntete Tonne massive Kritik von den Oppositionsparteien. Ein Stufenplan für die dritte Kraft gehöre zwingend in das Gesetz, mahnte für die FDP der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Björn Förster­ ling. Er bemängelte, die Landesregierung habe schon zu oft die Betroffenen vertröstet. Vor diesem Hintergrund sei der Entwurf ein Armutszeugnis und lasse »alle im Stich, die sich in den Kitas für die frühkindliche Bildung einsetzen«. EPD

FDP für Prostituiertenhilfe Hannover. Das coronabedingte zeitweise Verbot der Prostitu­ tion dürfe nicht zu einem vollständigen Verbot der Sexarbeit führen, hat die sozialpolitische Sprecherin der niedersächsi­ schen FDP-Landtagsfraktion, Susanne Schütz, gewarnt. Und hat einen Entschließungsantrag in den Landtag eingebracht, der den Ausbau von Beratungs-, Hilfs- und Schutzangeboten sowie Weiterbildungsmöglichkeiten als Einstieg in den Ausstieg für SexarbeiterInnen fordert. Aktuell gebe es politische Bestre­ bungen, Prostituierte »auf dem Umweg über ihre Kunden und Kundinnen zu kriminalisieren«, indem, wie in Schweden, ein generelles Sexkaufverbot installiert werden soll. Doch nur mit mehr Beratung und Ausstiegsmöglichkeiten seien »die negati­ ven Begleiterscheinungen wie Menschenhandel und Zwangs­ arbeit in den Griff« zu bekommen. MAC


Asse-Protest

Hannover. Niedersachsen hat ein Wohnraumschutzgesetz. Es soll MieterInnen künftig besser vor Wucher, Abzocke und Bruchbuden schützen. Der Landtag hat das Gesetz jetzt ein­ stimmig nach jahrelangen Verhandlungen beschlossen. Dem­ nach müssen Wohnungen immer über einen Strom- und Wasseranschluss, natürliches Licht und Belüftung sowie funk­ tionsfähige Heizungs- und Sanitäranlagen verfügen. Vermieter, die die Vorgaben nicht erfüllen, müssen mit Bußgeldern rech­ nen. Städte und Gemeinden können Schrottimmobilien künf­ tig für unbewohnbar erklären. Überbelegung ist verboten, Min­ destwohnfläche pro Person sind künftig zehn Quadratmeter. 2018 hatten die Grünen erstmals einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, er sieht – noch weitergehend – das Vorge­ hen gegen Schrottimmobilien als Pflichtaufgabe der Kommu­ nen vor. Im jetzt verabschiedeten Gesetz ist das Handeln der Kommunen eine Kann-Regelung nach Kassenlage. Gleichwohl stimmten auch die Grünen dem abgeschwächten Gesetzent­ wurf zu, »damit die Kommunen überhaupt die Möglichkeit be­ kommen, im Sinne der MieterInnen gegen miserablen Wohn­ raum, Vermietungen und Schrottimmobilien vorzugehen«, so der baupolitische Sprecher der Fraktion, Christian Meyer. MAC

Remlingen/Kr. Wolfenbüttel. Umweltschützer haben mehr Tempo bei der Bergung der radioakti­ ven Abfälle aus dem Bergwerk Asse gefordert. Der Protest richtet sich auch gegen das Vorhaben des Betreibers, direkt neben der Schachtanlage eine Konditionierungsanlage und ein Zwischenlager für die Atommüllfässer zu bauen. In dem früheren Salzbergwerk Asse II lagern rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen sowie mit Chemiemüll. Die Grube ist instabil und droht, mit Wasser vollzulaufen. Der Atommüll soll deshalb nach Möglichkeit geborgen werden. EPD

Richtigstellung In Asphalt 03/2021 haben wir Finanzminister Rein­ hold Hilbers der SPD zugeordnet. Dabei ist Hilbers seit mehr als 30 Jahren Mitglied der CDU. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. RED

ZAHLENSPIEGEL »MASKENHAFT«

Im Jahr 2020 wurden laut Destatis Gesichts-

schutzmasken im Wert von rund 6 Mrd. Euro nach Deutschland importiert. Allein im April und Mai Anzeige

2020 im Wert von 3,5 Mrd. Euro, im Juni und Juli kamen Masken im Wert von 1,4 Mrd. Euro nach Deutschland. Damit stiegen die Importe in der Waren-

gruppe ›Textilien ohne Bekleidung‹ – gegenläufig zum starken Rückgang der Gesamtimporte – um

49,4 % auf 16,6 Mrd. Euro. Und allein im Januar 2021 wurden 1,4 Mrd. Stück Gesichtsschutzmasken im Wert von 186,7 Mio. Euro importiert. Davon

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waren 1,1 Mrd. Stück nach FFP2-Standard, Wert: 166,7 Mio. Euro. 94 % kamen aus China, von wo im März 2020 das Virus importiert wurde.

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Gesetz gegen Bruchbuden

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SCHOLZ WILL GUTE ARBEIT


Herr Scholz, dieses Interview führe ich für 20 Magazine, die in 20 deutschen Städten von Menschen verkauft werden, die obdachlos waren oder sind. Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt eine Straßenzeitung gekauft? Oh, das ist einige Zeit her! Das ergibt sich meistens, wenn ich in einem Restaurant sitze und eine Verkäu­ ferin oder ein Verkäufer an meinen Tisch kommt. Seit Corona geht beides nicht.

Früher wählte vor allem der »Kleine Mann« Ihre Partei; heute ist der Anteil der WählerInnen aus einkommensarmen Schichten vergleichsweise gering. Fehlt es der SPD an Bodenhaftung? Nein, im Gegenteil. Wie oft habe ich an Info-Stän­ den die Klage gehört: »Um einen wie mich geht‘s ja nicht.« Doch! Wir machen Politik für dich! Das ist der Grund, warum ich überhaupt in der Politik bin. Die Corona-Krise ist da auch eine Chance: Denn der Beifall für die Corona-HeldInnen darf nicht einfach nur verhallen, die Anerkennung muss sich auch im Portemonnaie niederschlagen. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, »Als Kanzler in der diejenigen, die in einem schi­ würde ich den cken Viertel ihren Café Latte trinken, sich mit denen politisch verbinden, Mindestlohn die ihnen den Kaffee an den Tisch auf 12 Euro bringen. Die Theater-Regisseurin anheben.« ist genauso Teil der Gesellschaft wie der Altenpfleger oder die Ingenieu­ rin. Wenn ich Kanzler werde, wird als eine der ersten Entscheidungen der Mindestlohn auf mindestens 12 Euro angehoben. Wir stehen für bessere Löhne und sichere Arbeitsplätze: in der Pflege, an den Discoun­ terkassen, in den Logistikzentren.

678.000 Menschen haben laut der letzten Schätzung hierzulande keine eigene Bleibe – doch Ihr Wahlprogramm erwähnt wohnungslose Menschen nirgends. Sind das keine WählerInnen für die SPD? Natürlich taucht das Thema Wohnungsnot in un­ serem Programm auf. Wir setzen uns massiv dafür ein, dass in Deutschland mehr Wohnungen gebaut

werden, bezahlbare Wohnungen. Bevor ich in Hamburg Bür­ germeister wurde, habe ich verlangt, dass wir viel mehr Woh­ nungen bauen müssen, weil viele unter den steigenden Mieten sehr leiden. Wir haben den Wohnungsbau in Hamburg richtig angekurbelt, mit 10.000 Baugenehmigungen pro Jahr – ein Drit­ tel Eigentums-, ein Drittel Miet- und ein Drittel Sozialwohnun­ gen. Als Bundesfinanzminister habe ich mit durchgesetzt, dass eigens das Grundgesetz geändert wird, damit der Bund den so­ zialen Wohnungsbau weiterhin unterstützen kann. Mein Ziel: 100.000 neue Sozialwohnungen in Deutschland pro Jahr. Woh­ nen ist die soziale Frage unserer Zeit.

Und was ist mit den Menschen ohne deutschen Pass? Die heutigen Obdachlosen sind mehrheitlich nicht-deutsch, sondern etwa aus Polen, Rumänien, Bulgarien. Im Sommer malochen viele auf Baustellen oder in der Landwirtschaft, im Winter fängt unser soziales Netz sie oft nicht auf. Wie will die SPD das ändern? Unser Ansatzpunkt: Der Kampf gegen die Ausbeutung von Ar­ beitskräften und illegale Beschäftigungsverhältnisse. Die Zu­ stände in der Fleischindustrie oder auf dem Bau sind schlimm – deshalb haben wir reagiert. Der Zoll hat neue Kontrollkompe­ tenzen erhalten und mehr Personal, um die Branchen strikter zu überprüfen. Mich empört es, wie Viele lange Zeit hingenom­

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Im September wird gewählt. Die Straßenzeitungen Deutschlands läuten den Wahlkampf zur Bundestagswahl ein. Es geht um Wohnen, um Armut, um Lösungen. Wir fragen die SpitzenpolitikerInnen und Kanzlerkandidaten der demokratischen Parteien. Monat für Monat. Nach Habeck im März heute Olaf Scholz von der SPD.

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men haben, dass so etwas mitten in Deutschland geschieht – Knebelverträge, die den Beschäftigten fundamentale Rechte vorenthalten und sie unter menschenunwürdigen Bedingun­ gen untergebracht haben. Es muss darum gehen, jenen das Handwerk zu legen, die an solcher Ausbeutung verdienen.

Reicht das, um den südosteuropäischen WanderarbeiterInnen zu helfen? Die Europäische Union garantiert die Freizügigkeit. Und es gilt das hiesige Arbeitsrecht, das die Arbeitgeber in der Pflicht sieht – das müssen wir durchsetzen. Die WanderarbeiterInnen müssen wir über ihre Rechte in ihrer jeweiligen Muttersprache informieren, viele wissen gar nicht, was ihnen zusteht. Gemein­ sam mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil habe ich das DGB-Projekt »Faire Mobilität« besucht, das ArbeitsmigrantIn­ nen genau diese Unterstützung bietet.

Berlin hat begonnen, Obdachlosen Wohnungen ohne Vorbedingungen anzubieten, Stichwort »Housing first«. In Hannover tut das bisher nur eine kleine private Stiftung für 15 von 500 Menschen. Was halten Sie von dem Modell? Erst mal ist es wichtig, dass die Kommunen für alle, die auf der Straße leben, gut erreichbare und niederschwellige Angebote vorhalten. Jetzt in der Corona-Krise bleiben vielerorts die Un­ terkünfte über die kalte Winterzeit hinaus offen bis in den Früh­ ling ...

... also sind Sie nicht für »Housing first«? Finnland feiert damit bereits Erfolge. Diese Fragen liegen in der Entscheidungskompetenz der Städte und Gemeinden – und dort gehören sie auch hin. Da gibt es viele gute Ansätze. Zwei Herausforderungen sollten wir aber unterscheiden: Zum einen die wachsende Migration inner­ halb der EU, die die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt stei­ gen lässt. Und zum zweiten diejenigen, die seit Jahren auf der Straße leben. Was aus der Perspektive der jeweils Betroffenen der richtige Weg ist, kann nur vor Ort sachgerecht entschieden werden.

Sie haben sich mal als »Sehr-Gut-Verdiener« bezeichnet. Sollten Leute wie Sie höhere Steuern zahlen? Ja, unbedingt! Diejenigen, die sehr viel verdienen – und dazu zähle ich – sollen mehr Steuern zahlen, um Leute mit mittleren und niedrigeren Einkommen zu entlasten. Wir brauchen ein faires und gerechtes Steuersystem.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellte 2014 fest, dass die 45 reichsten Haushalte hierzulande soviel Geld haben wie die ärmere Hälfte aller Haushalte zu-


Diese Frage ist, mit Verlaub, etwas platt. Gerade in der Pandemie hilft der Staat sehr umfassend allen Bevölkerungsschichten. In allererster Linie geht es um den Schutz von Leib und Leben von uns allen. Und es geht um den Schutz von Beschäftigten und Unternehmen, die unter den massiven Beschrän­ kungen zu leiden haben, die wir ergreifen mussten, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Wir set­ zen Milliarden ein, um durch die Kurzarbeits-Regel Arbeitsplätze zu retten. Das macht uns gerade ganz Europa nach. Familien unterstützen wir mit dem Corona-Kinderbonus, der auch Familien in Grund­ sicherung zukommt und bald zum dritten Mal aus­ gezahlt wird. Und mir ist klar, was nach dieser Krise nicht passieren darf: Wir dürfen den Sozialstaat, der uns gerade ganz gut durch diese Pandemie bringt, hinterher nicht kaputtsparen.

auch nicht via Interviews – festgesetzt werden, sondern muss sich aus den dahinterliegenden Regeln ergeben.

Statt eines bedingungslosen Grundeinkommens will Ihre Partei das Recht auf Arbeit einführen. Wo kann man dieses Recht dann einklagen? Unser Land steht vor Weichenstellungen, die entscheidend sein werden für unsere Zukunft. Die Frage ist: Schaffen wir es, den Klimawandel erfolgreich einzudämmen und gleichzeitig technologisch in der Weltspitze zu bleiben und weiterhin über gut bezahlte Arbeitsplätze zu verfügen? Das geschieht nicht von allein, darum muss man sich kümmern. Beispielsweise indem wir die Erneuerbaren »Auch ein Energien viel stärker ausbauen als bislang 50-Jähriger soll geplant, indem wir in die Wasserstoff-For­ nochmal einen schung investieren, damit wir über saube­ komplett neuen re und verlässliche Energie verfügen, wenn Job erlernen kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Denn wir werden viel mehr grünen Strom dürfen.«

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Die SPD will Hartz-IV in ein »Bürgergeld« verwandeln. Sozial fänden die Sozialverbände, wenn der Regelsatz auf 600 Euro ansteigen würden. Gehen Sie da mit? Die Corona-Krise hat eins gelehrt: Plötzlich sind BürgerInnen in eine unverantwortete finanzielle Krise geraten, die zuvor nie damit gerechnet hätten. Das hat uns allen gezeigt, wie wichtig es ist, dass der Staat helfend zur Seite steht und nicht noch Steine in den Weg legt. Darin liegt eine große Chance für un­ ser Bürgergeld: Fördern, fördern, fördern – ohne mit nickeligen Sanktionen auszubremsen. Wenn etwa ein Selbständiger Grundsicherung in Anspruch nimmt, muss er sich deshalb nicht einen neuen Job suchen, sondern kann sein Geschäft wieder auf den richtigen Weg bringen. Er muss auch nicht aus sei­ ner Wohnung und darf seine Rücklagen behalten. Der US-Philosoph John Rawls hat mal treffend ge­ sagt: Wenn eine Gesellschaft neu konstruiert wird – und das wollen wir mit dem Bürgergeld – möge man bedenken, dass man nicht weiß, ob man künftig arm oder reich sein wird.

Hartz-IV auf 600 Euro anheben, ja oder nein? Klar ist: Bei den Regelsätzen gibt es Steigerungsbe­ darf. Um die Schwächsten vor politischer Willkür zu schützen, darf der Regelsatz aber nicht auf Zuruf –

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sammen. Dieses Ungleichgewicht nimmt jetzt noch zu; die Regierungs-Bazooka sieht etwa für Hartz-IV-Empfänger bloß eine Einmalzahlung von 150 Euro vor. Wieso wächst die soziale Schieflage trotz einer mitregierenden SPD?

Schütze die Menschenrechte mit deiner Unterschrift, deiner Spende, deinem Einsatz.

So erreichen Sie uns: https://amnesty-hannover.de Gruppe Oststadt-List Amnesty International Bezirk Hannover Fraunhoferstr. 15 · 30163 Hannover E: info@amnesty-hannover.de T: 0511-66 72 63 · F: 0511-39 29 09 Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft DE23 3702 0500 0008 0901 00 Stichwort 1475

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brauchen, damit CO2-neutrales Wirtschaften in der Stahl-, Chemie- und Automobilindustrie möglich wird. Die Industrie-Unternehmer wissen das, die PolitikerInnen von CDU/CSU eher nicht.

Und warum kein bedingungsloses Grundeinkommen? Weil ich den Verdacht nicht loswerde, dass es vor al­ lem dazu führt, Leute abzufinden, statt sich um sie so zu kümmern, dass sie in Arbeit kommen.

Was bringt das Recht auf Arbeit? Es formuliert einen Anspruch des Einzelnen gegen­ über der Gesellschaft. Die Bundesagentur für Arbeit muss zu einer Arbeitsversiche­ rung ausgebaut werden, die »Sehr-gut-Verdieaktiv dafür sorgt, dass man mit ner sollen mehr einer neuen Qualifikation auch Steuern zahlen.« einen neuen Beruf ausüben darf. Ich bin dafür, dass auch eine 40-Jährige oder ein 50-Jähriger nochmal einen komplett neuen Job erlernen kann und dass es dar­ auf einen Rechtsanspruch gibt.

Ihre Partei will eine Welt ohne Atomwaffen, der Genosse Außenminister hat sich dagegen jüngst gegen den Atomwaffenverbotsvertrag ausgesprochen. Deutschlands »nukleare Teilhabe« ist freilich auch teuer: Allein die Nachfolger für die alten Atomwaffenträger vom Typ

Tornado kosten rund zehn Milliarden Euro. Wo stehen Sie: Werden Sie die Atomwaffen hierzulande abschaffen und das Geld für Bildung, Soziales, Gesundheit und das Klima einsetzen? In den Haushalten, die ich als Bundesminister der Finanzen aufgestellt habe, haben die Investitionen in Bildung, Soziales, Gesundheit, Verkehr und Klimaschutz ein Rekordniveau er­ reicht. 2020 waren es insgesamt mehr als 50 Milliarden Euro. So will ich es als Regierungschef beibehalten. Zugleich braucht Deutschland eine verlässliche Bundeswehr, die fest in der NATO verankert ist. Ein starkes, souveränes Europa erfordert dies. Und wir setzen uns für Rüstungskontrolle und Abrüstung ein. Unser Ziel ist eine atomwaffenfreie Welt.

Ein Finanzskandal aus Hamburg verfolgt Sie: Kürzlich wurde bekannt, dass der Chef der Warburg Bank einen Bettelbrief, den er Ihnen im November 2016 übergeben hatte, auf Ihre Anregung hin auch an den damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher schickte. Wenige Tage danach hat die Finanzbehörde entschieden, Ansprüche auf 47 Millionen Euro verfallen zu lassen – Gelder, die sich die Bank via Cum-Ex-Geschäfte erschlichen hatte. Wie erklären Sie diese zeitliche Nähe? Die Kurzfassung: Es hat keinerlei politische Einflussnahme auf die Entscheidung des Finanzamtes Hamburg gegeben.

Sie haben den Deutschen gerade zehn Millionen Covid-19-Impfdosen pro Woche versprochen. Zocken Sie gerne? Sie werden sicherlich genau hingehört haben: Ich habe darauf hingewiesen, dass wir wohl bald den Punkt erreichen werden, an dem wir mehr Impfstoff haben werden als wir mit unseren jetzigen Kapazitäten verimpfen können. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Ab April werden wir mehrere Millionen Imp­ fungen pro Woche machen müssen, bis Ende Juni werden es bis zu zehn Millionen Impfdosen sein – so habe ich es gesagt. Ich möchte nicht erleben, dass wir Impfstoff auf Halde haben statt in den Oberarmen der Patienten.

Zuletzt eine Frage, die wir schon Robert Habeck gestellt haben: Was würden Sie als erstes tun, wenn Sie Bundeskanzler würden? Einen Mindestlohn von 12 Euro einführen.

Und was werden Sie tun, wenn Sie nicht Kanzler werden? Ich werde Kanzler. Interview: Annette Bruhns | Fotos: Lutz Jäkel/Laif

IM MAI-ASPHALT: CHRISTIAN LINDNER IM INTERVIEW.


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KINDER VON SIBIU Hermannstadt, touristisches Zentrum von Siebenbürgen in Rumänien. Alt, schön, herausgeputzt. Am Rande leben Roma. Arm, ausgegrenzt, seit jeher. Fotografin Alea Horst hat Hoffnungsschimmer gefunden: Kinderhäuser und Familienhilfen. Aus Deutschland. »Zigeuner ist nicht nur ein Wort. Es ist ein Messer«, sagt der Politikwissenschaftler Radoslav Ganev. »Es sticht ins gesell­ schaftliche Bewusstsein und erinnert daran, dass man anders ist, anders sein muss.« Das ist in Deutschland so, in der Slowa­ kei, Bulgarien, Frankreich oder Spanien. Rund acht Millionen

Sinti und Roma leben in Europa, davon etwa zwei Millionen in Rumänien. Rumänen nennen sie vielfach Tigani oder Cio­ rile (Krähen), sie selbst bezeichnen sich als Roma und Romni­ ja, als Menschen und Menschinnen. Einfach wie respektvoll. Aber an Respekt hat es gefehlt. Seit Jahrhunderten. Und so hat


Roma-Leben im sozialen Wohnungsbau in Făgăraș, eine Stunde mit dem Auto von Sibiu-Stadt entfernt.

Viel mehr als Sahne! Für das Roma-Kind Maria Nacisa aus dem Dorf Sura Mare bedeutet ihre erste Geburtstagstorte: Du hast ein Recht auf Leben. Für manche Kinder ist nur noch draußen Platz. Auf dem alten Sofa.


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Drei Kinderhäuser unterhält die Kinderhilfe Siebenbürgen im Kreis Sibiu.

sich europaweit eine bisweilen tödliche Mischung aus Verachtung und Vertrei­ bung, Verleugnung, Misstrauen, Trotz und Selbststigmatisierung entwickelt. Die größte Minderheit Eu­ ropas ist getrennt von den »Mein Magen zog Mehrheitsgesellschaften. sich zusammen wähSiebenbürgen mit seiner Kreisstadt Sibiu (einst rend wir zwischen Hermannstadt) ist seit Müll und Matsch 600 Jahren ein Hauptsied­ Familien besuchten.« lungsgebiet von Roma. Alea Horst In diesem geografischen Zentrum vom heutigen Rumänien machen Roma bis zu 30 Pro­ zent der Bevölkerung aus. Und immer noch leben sie unter sich in armen eige­ nen Siedlungen am Rande der eigentli­ chen Dörfer und Kleinstädte. Ihre Bleiben sind oft nur baufällige Baracken aus Lehm, Holz, Wellblech und Planen. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung Rumäniens lebt in Armut oder ist armutsgefährdet. Der Min­ destlohn beträgt 2,81 Euro pro Stunde. Sozialleistungen sind an jede Menge Bedingungen geknüpft, die bürokrati­ schen Hürden seien hoch, Korruption

nicht klein, erzählen Helfer vor Ort. Das Kindergeld beträgt 30 Euro. Eine Tüte Milch aber kostet in Rumänien nicht weniger als in Deutschland. Unten am Ende der Armutsspirale leben die Roma. »Der Rassismus in Rumänien wird vollkommen offen aus­ gelebt, sowohl verbal als auch mit physischer Gewalt«, sagt Susanne Blank von der Kinderhilfe Siebenbürgen, die seit 2003 Roma-Kinder vor Verwahrlosung und Perspektivlosigkeit be­ wahren will. »Das gilt sowohl für die Bevölkerung insgesamt, als auch für Behörden, Lehrer, Ärzte ... Es gibt wenige, die ein Interesse haben, hier zu Verbesserungen zu kommen.« In den Jahrzehnten der kommunistischen Einparteienherrschaft war Rassismus zwar verboten, gleichzeitig wurde vom Regime die faktische Existenz einer Roma-Minderheit im Land schlicht geleugnet. Heute gibt es Antidiskriminierungsgesetze in Ru­ mänien. Sie haben an der gängigen Haltung der Rumänen zu der Minderheit wenig geändert. Jüngst erst wurde landesweit in Medien gegen Roma gehetzt, die angeblich das Corona-Vi­ rus aus dem Ausland nach Rumänien eingeschleppt hätten. Zehn Milliarden Euro hat Rumänien aus europäischen Kassen zwischen 2014 und 2020 erhalten. Auch für die Integration der Roma, doch Kontrollen gibt es kaum. Dafür so manche prächti­ ge Villa am Rande der Slums von Sura Mare, Altana, Rosia oder Turnisor. Die Kinder der Barackensiedlungen sollen auf Antikorrupti­ onsstrategien und überörtliche Hilfen nicht länger warten, fin­ det Susanne Blank, Schwester und Mitarbeiterin von Jenny Ra­ sche, die 2003 die Kinderhilfe gegründet hatte.


Oft haben die alten Lehmziegelhütten nur ein oder zwei Räume. Dort lebt dann eine ganze Familien.

Maria Lucaci mit ihrem Sohn neben dem

Roma-Siedlungen liegen oft etwas abseits der Dörfer und Städte.

Neubau und vor der alten Hütte.

Roma und Rumänen: das ist oft beiderseitige Distanz.


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Romni Amalia Zamfir zieht in ihrer alten Hütte beim Dorf Altana ihre Enkelin groß.

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»Wir betreuen aktuell rund 250 Familien mit 600 Kindern in­ tensiv«, sagt Blank. »Das heißt mit Lebensmittelhilfen, Wohn­ verbesserungen, sozialpädagogischer Begleitung und Bera­ tung. In weiteren Siedlungen machen wir monatliche Nothilfen mit Lebensmitteln. Das sind nochmal rund 200 Familien mit etwa 480 Kindern.« Die Hilfe setzt auf Selbsthilfe. Wer seine Kinder in die Schule schickt, bekommt Hilfe beim Hausbau zum Beispiel. Dabei aber müsse man dann auch selbst tatkräf­ tig anpacken. Aber ohne die Zustimmung von Clan- oder Groß­ familienchefs gehe wenig. »Die Roma-Gesellschaft ist häufig noch sehr patriarchalisch, sehr hierarchisch«, weiß Blanke. Kinder, die verwahrlost, geschlagen oder nach der Geburt

schlicht »vergessen« wurden, bekommen ein Zuhause in drei Kinderhäusern der Organisation. Dazu ein Mutter-Kind-Haus und After School Programme. Fotografin Alea Horst hat sich vor Ort umgeschaut: »Mein Magen zog sich zusammen wäh­ rend wir zwischen Müll und Matsch Familien besuchten. Mit 14 verheiratet, Geburt hinterm Bahnhof im Dreck. Kranke Kin­ der, unterernährte Kinder, Menschen, die Hunger haben, viele Waisenkinder, stümperhafte Abtreibungen, fehlender Zugang zum Gesundheitssystem. Kein Schulplatz, kein Auto, keine Ar­ beit, Ausgrenzung von allen Seiten.« Und hat auf den Auslöser gedrückt. Volker Macke

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Foto: Alea Horst

SO O DŽENE BUT PHUČEN PAL O ROMA THE E ROMANI ČHIB* *Frei aus dem ostslowakischen Romanes übersetzt: »HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN ÜBER DIE ROMA UND DAS ROMANES« beantwortet von Sprachwissenschaftlerin Anna-Maria Sonnemann WAS BEDEUTET ROMA? Das Wort Roma bedeutet »Menschen«. Die Einzahl lautet in der männlichen Form Rom, in der weiblichen Romni. Die Sprache heißt Romani čhib (»Roma-Sprache«), Romanes (wörtlich »auf Art der Roma«) oder Romani.

WARUM GIBT ES ROMA IN SO VIELEN LÄNDERN? Im 11. Jahrhundert brachen die Vorfahren der heutigen Roma aus Indien, ihrer ursprünglichen Heimat, in Richtung Euro­ pa auf. Die Frage, was der Auslöser dafür war, lässt sich heute nicht mehr restlos klären. Möglicherweise flohen sie vor Kon­ flikten oder standen als Handwerker und Musiker im Dienst der Truppen der damaligen Herrscherdynastie. Vielleicht üb­ ten sie auch andere mobile Berufe aus, für die sie regelmäßig in neue Gebiete umziehen mussten, um ihre Lebensgrundlage

zu sichern. Später, auf europäischem Gebiet, waren die Roma vielfach Repressionen und Verfolgung ausgesetzt, weil ihr Le­ bensstil so anders war als der der ansässigen Bevölkerung. Sie mussten immer wieder über Landesgrenzen fliehen oder wur­ den vertrieben. Als Resultat dieser jahrhundertelangen Migra­ tions- und Fluchtbewegungen leben Roma heute auf mehre­ ren Kontinenten. Wie viele es in den einzelnen Ländern sind, lässt sich nicht verlässlich sagen. In Europa haben Rumänien, Bulgarien, Nordmazedonien und die Slowakei prozentual den größten Anteil an Roma in der Gesamtbevölkerung. Große Ge­ meinschaften gibt es außerdem in den USA, Brasilien und der Türkei. Die Angaben zur Zahl der Sinti und Roma in Deutsch­ land schwanken je nach Quelle und Zählweise zwischen 40.000 und 120.000. Weltweit gibt es zirka zwölf Millionen Sinti und Roma.


Roma beherrschen in der Regel mindestens zwei Sprachen: Ne­ ben dem Romanes sprechen sie auch die offizielle Sprache des jeweiligen Landes, in dem sie wohnen, und nicht selten sogar noch weitere. Das Romanes ist eine sogenannte indo­arische Sprache. Sie ist verwandt mit dem Hindi, dem Urdu und dem klassischen altindischen Sanskrit. Das Romanes hat also nicht direkt etwas mit dem Rumänischen oder den slavischen Spra­ chen zu tun, wie oft vermutet wird. Das Romanes hat im Lauf der Jahrhunderte viele Lehnwörter und auch grammatische Strukturen aus den umgebenden Sprachen übernommen. In seinem Kern ist es jedoch sehr stabil geblieben. Gerade weil Roma nie einen eigenen Staat hatten, wurde das Romanes über Jahrhunderte ausschließlich mündlich weitergegeben. Es hat nach wie vor eine wichtige Funktion für die Identität der Roma und wird auf mehreren Kontinenten in einer Vielzahl von Dia­ lekten gesprochen. Seit einigen Jahrzehnten wird es auch im­ mer öfter in schriftlicher Form verwendet.

SIND ROMA UND SINTI DASSELBE? Roma und Sinti haben zwar gemeinsame Vorfahren, die im 11. Jahrhundert aus Indien in Richtung Europa aufgebrochen sind, sehen sich aber heute als verschiedene Gruppen an. In Deutschland leben seit Jahrhunderten vor allem Sinti (Einzahl: männlich Sinto, weiblich Sintiz(z)a), aber auch Roma, deren Vorfahren im 19. Jh. aus Osteuropa eingewandert sind. Außer­ dem kamen in den 1960er-70er Jahren Roma aus Jugoslawien als Gastarbeiter nach Deutschland und in den 1990er Jahren auf der Flucht vor Krieg und Diskriminierung in den jugoslawi­ schen Nachfolgestaaten. In Osteuropa leben vor allem Roma, in Westeuropa gibt es zwei weitere große Gruppen, die sich Calé und Manouches nennen.

WENN DAS SO KOMPLIZIERT IST, WARUM KANN MAN DANN NICHT EINFACH »ZIGEUNER« SAGEN? Der Begriff »Zigeuner« ist in Deutschland historisch stark be­ lastet, weil er jahrhundertelang und besonders in der NS-Zeit zur Diskriminierung von Sinti und Roma verwendet wurde. Er ruft rassistische und stigmatisierende Assoziationen hervor. In der Tat gibt es in Osteuropa Roma, die sich selbst als cigani bezeichnen. Das macht das Wort aber nicht automatisch als Fremdbezeichnung akzeptabel.

WOHER KOMMT DAS WORT ZIGEUNER ÜBERHAUPT? Zum Begriff »Zigeuner« gibt es viele nicht zutreffende Her­ leitungen. Am wahrscheinlichsten ist, dass er auf eine reli­ giöse Sekte zurückgeht, mit der die Roma im 14. Jh. auf dem Balkan assoziiert wurden und die in mittelalterlichen griechi­ schen Quellen als Athingan(o)i, das heißt »Unberührbare«, be­ zeichnet wurden. Weil sie nicht wussten, woher die Roma ka­

men, brachten andere Zeitgenossen die Roma mit derjenigen nicht-europäischen Zivilisation in Verbindung, die am bekann­ testen und geheimnisvollsten war – den Ägyptern. Auf diese Idee gehen Bezeichnungen wie englisch gypsy, abgeleitet von »Egyptian«, zurück.

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WAS FÜR EINE SPRACHE SPRECHEN DIE ROMA?

WIE KANN MAN JEMANDEN AUF ROMANES BEGRÜSSEN?

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»Guten Tag!« heißt (je nach Dialekt ein kleines bisschen anders) Lačho dives!, gesprochen »Latscho diwes«.

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GIBT ES IM DEUTSCHEN AUCH ROMANES-WÖRTER? Ja! Eins davon benutzen wir in der Umgangssprache sogar sehr oft: Ohne das Romanes hätten wir den Ausdruck »Bock auf et­ was haben« oder »keinen/Null Bock auf etwas haben« nicht. Er hat nichts mit dem Tier zu tun, sondern geht auf das Wort bokh »Hunger« zurück, das im weiteren Sinne auch »Lust« bedeuten kann. Außerdem stammt »Zaster« als umgangssprachliche Be­ zeichnung für Geld aus dem Romanes. Das Ursprungswort da­ für ist saster »Eisen, Metall«. Spätestens seit 2012, als der Rapper Haftbefehl seinen Song »Chabos wissen, wer der Babo ist« her­ ausbrachte, haben zwei weitere Wörter größeren Bekanntheits­ grad erlangt: Čhavo »Sohn, Junge«, gesprochen tschawo, und babo »Vater«. (Dieses Wort gibt es auch in anderen Sprachen, es stammt in diesem Fall aber wahrscheinlich aus einer Balkan-Va­ riante des Romanes.) Wer schon einmal mit PayPal bezahlt hat, dem ist das englische Wort pal »Freund, Kumpel« geläufig, das auf Romanes phral »Bruder« zurückgeht. Und ein lollipop war ursprünglich ein loli phabaj, ein »roter Apfel« an einem kleinen Stock, wie man ihn bis heute auf der Kirmes bekommt. Auch in vielen anderen Sprachen gibt es Lehnwörter aus dem Romanes, meistens in der Jugend- und Umgangssprache. Anna-Maria Sonnemann/Sprachwissenschaftlerin für slavische Sprachen an der Universität Köln

Weiterlesen? Yaron Matras | I met lucky people. The story of the Romani Gypsies. | Penguin 2014 Mozes Heinschink und Daniel Krasa | Romani – Wort für Wort. Kauderwelsch-Sprachführer Band 177 | 2010 Dotschy Reinhardt | Everybody’s Gypsy. Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt | Metrolit 2014 Karl-Markus Gauß | Die Hundeesser von Svinia | Deutscher Taschenbuch Verlag 2006 Klaus-Michael Bogdal | Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung | Suhrkamp 2011 Norbert Mappes-Niediek | Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt | Ch. Links Verlag 2012


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Messegelände – Halle 25, das Impfzentrum der Stadt Hannover. Seit dem 1. Februar werden dort zunächst Personen der Risikogruppe 1 geimpft, die nicht in Altenheimen wohnen. Die Terminvergabe erfolgt in Niedersachsen über die Telefon-Hotline oder das Internet-Portal. Sie ist jedoch sehr stark ausgelastet und mit dem Internet sind viele Senioren*innen nicht vertraut. Deshalb können sich Personen der Risikogruppe 1 über den Stadtkirchenverband und das Diakonische Werk für das Projekt „Impfpate“ anmelden. Ein Anruf genügt und die Organisation der Impftermine wird durch die Impfpaten übernommen. Auch wir bei 96plus haben uns als Impfpaten gemeldet und bekommen nun Senioren und Seniorinnen zugeteilt. Für diese kümmern wir uns, wenn möglich, um einen Impftermin. Des Weiteren führen wir den Transport zur Messehalle durch und begleiten, wenn gewünscht, die Damen und Herren zu ihrem Termin. Dabei helfen wir selbstverständlich auch beim Ausfüllen der notwendigen Dokumente. Allein der Umstand, jederzeit eine/n zuständigen Ansprechpartner*in zu haben, gibt den Senioren*innen ein deutlich sichereres Gefühl, dass sie mit großer Dankbarkeit zurückzahlen.


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»ICH WILL KLARHEIT« Sylvia Bruns ist die Neue fürs Soziale im hannoverschen Rathaus. Sie hat zu tun: Obdachlose verelenden, Hilfen kommen nicht immer an, die Struktur ist unübersichtlich. Unser Gespräch über Teilhabe, Runde Tische, Frauen, Drogen und eine Online-Umfrage für Obdachlose. Sylvia Bruns, der Oberbürgermeister sowie große Teile der Ratspolitik wollen – nach Jahren der Weigerung – dass künftig Unterkunft und Betreuung von Wohnungslosen nicht länger getrennt vom Bau- und Sozialdezernat, sondern von einem Haus geregelt werden sollen, von deinem. Warum jetzt?

führt dazu, dass drei Bereiche zusammengeführt werden. Dazu gehören Integration und Migration, der Bereich Unterbringung und der neu gegründete Bereich Obdach mit den ganzen nie­ drigschwelligen Hilfen. Ein Dreiklang, der zusammenpasst. Ich setze darauf, dass das zu verkürzten Dienstwegen und damit effizienteren Entscheidungen und Ergebnissen führt.

Als im Jahr 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland gekom­ men sind, mussten die KollegInnen ganz eng mit den Exper­ tInnen des Baudezernats kooperieren, daraus ergab sich die Verortung der Unterbringung. Mit der Umstrukturierung ist es jedoch möglich, Synergien zu schaffen, die sich stärker auf die gesellschaftliche Teilhabe konzentrieren. Die Neuaufstellung

Laut Pressemitteilung der Stadt soll dieser neue Fachbereich »Gesellschaftliche Teilhabe« für alle Menschen ermöglichen. Wo siehst du da die vielen nicht anspruchsberechtigten Gestrandeten aus Osteuropa? Das ist für Kommunen ein schwieriges Thema, weil der Bund


das irgendwann gedeckelt hat und mit Bundesge­ setzgebung die Zugänge dieser Menschen sehr stark reglementiert hat. Auf der einen Seite muss man als Kommune der Bundesgesetzgebung folgen, auf der anderen Seite sind hier vor Ort einfach die Men­ schen. Mit Bedürfnissen. Da ist es sehr schwierig, den Spagat hinzubekommen, weil eine Kommune nicht alles auffangen kann, was der Bund nicht zufriedenstel­ »Der Trinkraum lend regeln kann oder will. In »Kompass« hat der praktischen Arbeit ist das eine große Herausforderung und die Erwartungen führt teilweise zu menschlich nicht erfüllt.« schwierigen Entscheidungen.

gustenstraße. Aber wenn das nicht geeignet ist, dann müssen wir auch woanders schauen. Und zwar frühzeitig und nicht erst dann, wenn die Bahn in fünf Jahren den Platz wirklich braucht. Und die alte Polizeiwache ist nahezu fensterlos, eigentlich ist die für die beabsichtigten Zwecke eines erweiterten »Mecki« nicht geeignet. Wir suchen passende Räume für mehrere Einrichtungen. Eventuell sind die aber nicht unmittelbar am Raschplatz.

Lass uns konkret werden: Am Raschplatz wurden zuletzt Protec-Mitarbeiter beim Zählen der dort verweilenden Szeneangehörigen beobachtet. Der »Kompass« wird seitens der Stadt finanziell ausgeblutet und verliert so gerade seinen besonderen Status als »Nasser Tages­ treff«, der »Mecki« kann nun doch nicht in die alte Polizei am Raschplatz und zugleich sucht die Stadt nach neuen Räumen für das bald abgängige Drogenhilfeprojekt »Stellwerk« – und zwar weiter entfernt vom bisherigen Standort. Will die Stadt den Raschplatz »säubern«?

Es herrscht Einigkeit zwischen dem Ordnungsdezernenten und mir, dass die OHH dort ihren Platz auch in Zukunft hat. Sie ist dort etabliert und hilft vielen Menschen. Wir wollen allerdings nicht, dass dort noch weitere Organisationen anfangen. Der »Kompass« war ein Pilotprojekt, angelegt auf drei Jahre. Und wir stellen jetzt fest: Er hat die Erwartungen nicht erfüllt. Die Idee war, über diesen Trinkraum die Menschen ins Hilfesystem zu bekommen, mit ihnen die Ansprüche zu klären. Das ist nicht geglückt. Da sage ich: Wir müssen es anders probieren. Mit mehr Vernetzung der Hilfen untereinander.

Nein, gar nicht. Das sind Menschen und sie sind EinwohnerInnen von Hannover. Sie können sich dort aufhalten, wo sie sich aufhalten wollen. Um das zu verdeutlichen: Das Stellwerk muss vom Amtsge­ richt weg verlagert werden, weil die Deutsche Bahn den Platz für Erweiterungen braucht. Es gibt Alter­ nativen, wie ein benachbartes Gebäude in der Au­

Es geht darum, Synergien möglich zu machen, im Sinne der Menschen, die Perspektiven brauchen. Wir überlegen bei­ spielsweise aktuell mit der ZBS [Zentrale Beratungsstelle, Red.], ob wir die Angebote des DÜK [Tagestreff ›Dach überm Kopf‹ an der Berliner Allee, Red.] erweitern. Vor Ort.

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Inwieweit gibt es da Einigkeit innerhalb der Verwaltung? Aus der Stadtplanung ist zu hören, dass eine Entzerrung hinter dem Bahnhof wünschenswert sei und beispielsweise die Essensausgabe der Obdachlosenhilfe OHH am Andreas-Hermes-Platz zugunsten eines ungestörten Hotelbetriebs weichen solle.

Vernetzung durch Mittelkürzung?

Es ist immer wieder die Rede davon, dass die Stadt so genannte geduldete Orte für die unterschiedlichen Szenen sucht. Wer duldet da was? Wir haben das Konzept »Resiliente Innenstadt« begonnen. In diesem Zusammenhang habe ich gesagt, ich möchte Orte für die Menschen definieren, für die das Sozialdezernat zuständig ist – und zwar auch da, wo sie jetzt schon sind. Diese Menschen müssen dann dort sicher sein, ich möchte nach einem solchen Prozess keine Diskussion mehr darüber haben, ob sie dann vielleicht dort doch wieder weg sollen. Wir werden mit dem neu gegründeten Runden Tisch Obdach genau diesen Innen­ stadt-Prozess begleiten.

Runder Tisch Obdach: Was soll das sein? Dort kommen Mitarbeitende von Trägern der Wohnungslosen­ hilfe und von Politik und Verwaltung zusammen. Grundgedan­ ke ist, dass jeder Träger und jeder Selbsthilfeverein eine Stim­


Wie ist denn der Stand der Dinge in Sachen Unterbringung? Wann kommt die Unterkunft Geveker Kamp, das Wohnheim in der Kleefelder Straße, die neue Unterkunft in Bornum?

stinkt« Betroffene direkt am Runden Tisch beteiligt. Deren jüngste wissenschaftlich fundierte Untersuchung ist für mich eine ganz wichtige Grundlage für die kommende Arbeit, da sie wirklich die Betroffenen fragt, was sie denken und sich wün­ schen. Zum anderen planen wir im April eine Online-Umfrage, an der man auch über das Smartphone teilnehmen kann, um Stimmungen und Bedarfe abzufragen. Die Umfrage könnte bei­ spielsweise über Hilfeeinrichtungen wie »Mecki« und »Neues Land« bekannt gemacht werden, damit möglichst viele Betrof­ fene beteiligt werden können. Wo findet Wohnungslosigkeit im Stadtgebiet statt, auch außerhalb der Innenstadt? Bei Tag und

Hierzu bin ich im guten Austausch mit meinem Kollegen, Stadtbaurat Thomas Vielhaber. Die Vorplanungen für die Klee­ felder Straße laufen, einen Zeitpunkt zur Fertigstellung können wir aktuell noch nicht nennen. Das Objekt in Bornum ist in Be­ zug auf die Planung noch im Anfangsstadium. Im Gebäude am Geveker Kamp werden nach der Sanierung wieder obdachlose Menschen untergebracht werden.

Und wann endlich wird die Massenunterkunft am alten Flughafen geschlossen? Mir ist wichtig, dass wir uns inhaltlich damit auseinanderset­ zen, welche Art von Unterbringung, von Wohnen und Leben wir brauchen und welche eben nicht. Wir werden nicht das gesamte System innerhalb eines Jahres verändern. Ich erwarte mir vom Runden Tisch, dass wir dort herausfinden, was sinn­ voll ist und was wir davon leisten können.

Der Runde Tisch Obdach soll herausfinden, was sinnvoll ist – glaubst du, dass irgendjemand am Tisch sagen wird, dass eine Unterbringung wie am alten Flughafen sinnvoll ist? Nun, es ist ja so, dass wir ganz viele unterschiedliche Angebo­ te haben. Die Frage ist, warum werden einige davon gut an­ genommen und andere nicht. Es gibt ja nicht nur diese große Unterkunft, wir haben auch etwa zehn Prozent leerstehende, verfügbare Wohnungen und freie Einzelzimmer.

Auch das neue Vorzeigeprojekt Plan B – OK in Hannover-Döhren ist überhaupt nicht voll ausgelastet, obwohl es ein recht umfassendes Hilfsangebot mit Perspektiven für die Betroffenen bereitstellt. Warum? Genau das wollen wir analysieren. Wir sind sicher, dass man­ che Angebote in der Szene vielleicht noch besser bekannt ge­ macht werden müssen. Das allein kann es aber nicht sein. Wir brauchen Klarheit, um Dinge sinnvoll ändern zu können.

Wie werden Betroffene daran beteiligt? Zum einen sind beispielsweise über die Organisation »Armut

Sylvia Bruns … … hat am 15. Oktober 2020 ihre Arbeit als Dezernentin für Soziales und Integration der LHH aufgenommen. Die Politikwissenschaftlerin war zuvor Abgeordnete der FDP im Niedersächsischen Landtag. Sie war Sprecherin für Soziales, Gesundheit, Gleichstellung und Verbraucherschutz der FDP-Landtagsfraktion. Vor ihrem Einzug in den Landtag im Jahr 2013 war sie in leitender Funktion bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Hannover tätig. Von 2011 bis 2016 war Bruns Mitglied des Rates der Landeshauptstadt und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Stadtratsfraktion.

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me hat, egal ob groß oder klein, um die Vielfalt der Stimmen und Ideen zu sichern. Und damit es nicht nur beim Ideenaus­ tausch bei Kaffee und Keksen bleibt, wird es Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen wie Unterbringung oder medizinische Versorgung geben und – das ist ganz wichtig – die Antragsbe­ rechtigung des Runden Tisches im Sozialausschuss der Landes­ hauptstadt.

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Unterbringung aber auch schon einiges auf den Weg gebracht, beispielsweise die Tagesnotschlafplätze für drogengebrau­ chende, sich prostituierende Frauen. Und im Housing-FirstPilotprojekt in Vahrenwald sind 30 Prozent der Plätze für Frau­ en reserviert.

Welche eigenen Erwartungen verknüpfst du damit? Woran dürfen wir dich irgendwann messen? Ich gebe mich ganz sicher nicht damit zufrieden, zu sagen, ich stelle zwei neue Sozialarbeiterinnen ein und dann ist es gut. Es muss sich was zum Guten verändern. Und das müssen auch andere wahrnehmen, die ehrenamtlichen Hilfsorganisationen etwa.

Das erste Konzept für Frauen in der Obdachlosigkeit in Hannover wurde in den Neunzigern geschrieben. Die Reaktionszeit von Politik und Verwaltung ist manchmal etwas lang, oder? Der Blick zurück bringt uns ja nicht weiter. Ich möchte nach vorn schauen und die Dinge angehen. bei Nacht? Wie wird die bestehende Hilfe genutzt? Passen un­ sere Angebote? Auf solche Fragen erhoffen wir uns Antworten mit Hilfe der Umfrage. Es können sich alle Bürgerinnen und Bürger Hannovers daran beteiligen.

Die Umfrage im April ist etwas anderes als die in den nächsten Monaten beginnende repräsentative Befragung via Bürger-Panel zum gleichen Thema? Beim Bürger-Panel werden 3.000 BürgerInnen zufällig ausge­ wählt, die einen nach Alter und Geschlecht repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 18 Jahren darstellen. Diese werden direkt angeschrieben und um Meinungen zum Thema Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit gebeten. Erfahrungs­ gemäß nehmen 75 Prozent der Befragten online teil. Die Ergeb­ nisse beider Befragungen erwarte ich mit Spannung.

Die März-Ausgabe des Asphalt-Magazins titelte »Straße wird weiblicher«. Die Zahl wohnungsloser Frauen ist in den letzten Jahren angestiegen. Wird das Thema »Obdachlose Frauen« im Speziellen bei den Befragungen berücksichtigt und ein eigenes Arbeitskreis-Thema des Runden Tisches werden? Die Ausgabe kam wie gerufen. In der Tat sieht man auf der Stra­ ße immer mehr obdachlose Frauen. Dabei wurde erkannt, dass Frauen eine andere Ansprache und eventuell eine andere Be­ gleitung in die Hilfestrukturen brauchen. Dafür haben wir zwei neue Stellen in der Straßensozialarbeit geschaffen. Die starten im April. Beim Runden Tisch kann das durchaus auch Thema einer Arbeitsgruppe werden. Wir haben zusammen mit dem Bereich

Dann kommen wir zu einer sehr aktuellen Analyse: Das sozialwissenschaftliche Institut Zoom aus Göttingen hat den Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt in Paarbeziehungen evaluiert und vor einem Monat sein Fazit gezogen: Demnach bestehen für – Zitat – psychisch erkrankte, suchterkrankte und wohnungslose Frauen keine angemessenen Angebote im Gewaltschutzsystem. Was bedeutet dieses Ergebnis für die Landeshauptstadt? Ich habe mit den beiden Organisationen Phoenix und La Strada hier in Hannover jüngst auch darüber gesprochen. Ein wesent­ licher Punkt scheint die psychiatrische Versorgung zu sein. Die ist sowohl für wohnungslose Frauen als auch für wohnungslose Männer nicht ausreichend. Da können wir definitiv besser wer­ den. Da sind wir im engen Austausch mit der Region Hanno­ ver, die letztlich für die Gesundheitsversorgung zuständig ist. Ich weiß, dass die KollegInnen auch schon dran sind an dem Thema. Gewaltschutz meint unter anderem Frauenhäuser. Es ist bekannt, dass der Zugang gerade für drogengebrauchende Frauen dort schwierig ist. Das werden wir angehen müssen.

Zum Ende konkrete Zukunft: Es soll bald ein bundesweites Pilotprojekt zur Abgabe von Naloxon-Nasenspray an Junkies und ihre Angehörigen geben. Ein häufiger, gefährlicher Effekt von Heroinkonsum ist der Atemstillstand. Naloxon kann den zuverlässig aufheben. Hannover hat eine recht große Drogenszene. Ist Hannover beim Pilot dabei? Generell habe ich Sympathie für so einen Ansatz. Ganz klar. Interview: Volker Macke | Fotos: Selim Korycki


Ein Bundespolizist soll einen 19-jährigen afghanischen Flüchtling in der Bahnhofswache misshandelt haben. Soll! Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren »mangels hinreichenden Tatverdachts« ein. Weiter soll derselbe Polizist gemeinsam mit Kollegen einen Obdachlosen aufgegriffen, in einen Dienstwagen verfrachtet und dann auf einem Acker ausgesetzt haben. Zuvor soll er ihm einen Schlag ins Gesicht und einen Tritt in die Rippen versetzt haben. Auch dieses Verfahren wurde jetzt »mangels hinreichenden Tatverdachts« eingestellt. 2014 hatte ich von Übergriffen durch Polizisten berichtet, die ich selbst erleben musste. Und eine Leserin dieser Zeitschrift meinte hernach, ich hätte mich doch beschweren können. Ich wurde nicht nur außerhalb der Stadt ausgesetzt, sondern im Schnee und musste dort meine Schuhe ausziehen. Ich wurde in einer Zelle von Polizeibeamten so brutal zusammengeschlagen, dass ich noch tagelang mit blauen und dick geschwollenen Augen herumgelaufen bin. Hätte ich mich bei der »lieben« Polizei beschweren sollen? Auch im Vechta-Knast bin ich von einem Rollkommando zusammengeschlagen worden. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein, weil sie den Wärtern mehr glaubte. Damals hätte man mir als Obdachlose genauso wenig geglaubt, wie es heute scheinbar immer noch ist. Um es kurz zu machen: Es hat sich also gar nichts geändert in all diesen Jahren!

Karin Powser Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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»EINFACH RICHTIG GUT« Aus dem Leben: im Gespräch mit Asphalt-Verkäuferin Heidi (57). Hallo Heidi, du bist ja nun fast 18 Jahre bei Asphalt. Kannst du dich noch erinnern, wie du damals angefangen hast? Zuerst wollte ich das gar nicht machen. Ich hatte früher ge­ schnorrt, habe auf der Straße gelebt. Ein ehemaliger As­ phalt-Verkäufer hat mich dann aber mal mit zu Asphalt genom­ men. Ja, und das war dann irgendwie besser, als einfach nur ‘ne Hand aufzuhalten. Wenn ich jetzt Feierabend mache, dann habe ich das Gefühl, etwas getan zu haben. Durchs Betteln muss man sich oft auch arg erniedrigen lassen. Das ist nicht so schön.

sen, in Engelberg bei der Ski-Freizeit. Taschengeld haben wir auch bekommen. Wir hatten es wirklich gut. Aber meine jün­ gere Schwester wurde richtig verhätschelt und vertätschelt. Die hat uns oft ausgespielt. Das war nicht so schön. Für mich war das hart. Das läuft mir auch heute noch hinterher. Ich mache mir immer unheimlich einen Kopf, was andere über mich den­ ken könnten. Was meine Kunden über mich denken. Ich habe immer um Liebe bei meiner Pflegemutter gebuhlt, überlegt, wie kann ich ihr eine Freude machen, dass sie mich liebhat. Das nimmt mich auch heute noch mit.

Warum hast du früher überhaupt auf der Straße gelebt? Ich komme ja aus Freiburg. Früher hatten wir ordentlich ge­ trunken. Weil damals dann so ein paar Dinge gelaufen sind, musste ich mit meinem Typen, einfach so mit nur ein paar Kla­ motten, von heute auf morgen flüchten. Wir sind dann erstmal nach Heidelberg. Da habe ich dann eine Weile Platte gemacht.

Heidelberg? Wie bist du dann nach Hannover gekommen? Irgendwie habe ich immer die Falschen kennengelernt. Nach­ dem mein Typ weg war, habe ich jemanden kennengelernt, mit dem ich dann in einer WG gewohnt habe. Der hat mich nach neun Jahren mit einer anderen betrogen. Für mich ist das ein No-Go, daher bin ich dann geflüchtet. Danach habe ich jeman­ den getroffen, der war aus Goslar. Der hat mich mitgenommen und so bin ich erstmal in Goslar gelandet und hängengeblie­ ben. Da war ich in einer Obdachlosen-Unterkunft. Zu dieser Zeit bin ich auch auf harte Drogen gekommen. Später war ich dann noch in Hamburg, zwischendurch habe auch mal in Frankfurt Platte gemacht und irgendwann bin ich in Hannover gelandet.

Da hast du ja wirklich schon eine Menge mitgemacht. Wie sieht das heute aus? Heute nehme ich keine Drogen mehr und ich trinke auch nicht mehr. Das würde ich auch nicht mehr machen, schon alleine wegen Motte, meinem Hund. Ich habe ihm gegenüber ja Ver­ antwortung. Ich habe einmal einen Hund verloren, weil ich damals Drogen genommen hatte. Den musste ich dann ins Tierheim geben. Das will ich nie wieder machen müssen. Ich will nie mehr wieder irgendwas aufs Spiel setzen, was für mich wichtig ist. Motte ist auch so mein Therapie-Hund. Ich leide ja unter Depressionen und da gibt sie mir sehr viel Halt.

Erinnerst du dich gerne an deine Kindheit? Ja. Ich bin ja im SOS Kinderdorf groß geworden. Mit anderthalb Jahren bin ich dort hingekommen. Mit meinen zwei Schwes­ tern, eine älter, eine jünger als ich. Wir hatten alles. Wir sind in den Urlaub gefahren, in die Kinderferien, sind in Italien gewe­

Warum seid ihr ins SOS Kinderdorf gekommen? Ich bin gebürtige Berlinerin. Naja, und meine Mutter hatte auch ein ziemlich bewegtes Leben. Mir wurde erzählt, dass mein Vater sie unter Druck gesetzt hatte, entweder mehr Geld zum Saufen oder die Kinder kommen weg. Das glaube ich aber nicht so recht. Fakt ist, meine Schwestern und ich waren un­ terernährt. Das Jugendamt muss sich dann wohl eingeschaltet haben, aber das weiß ich nur vom Hörensagen. Wir sind dann erst ins Kinderheim gekommen und danach direkt ins SOS Kin­ derdorf nach Baden-Württemberg vermittelt worden.

Hast du einen Beruf erlernt? Ja, ich habe eine Lehre gemacht und abgeschlossen. Als Ver­ käuferin. Das war meiner Pflegemutter sehr wichtig, dass wir alle einen Beruf erlernen. Eigentlich wollte ich ja mal Altenpfle­ gerin werden. Aber meine Schwester hatte dort ein Praktikum gemacht und danach angefangen zu saufen, weil sie das nicht so gut verkraften konnte. Als sie mir dann so ein paar Sachen erzählt hat, wie es da so abgeht – eigentlich nur Massenabferti­ gung – da war das dann doch nichts für mich. Für Massenabfer­ tigung brauche ich doch nicht Altenpflegerin zu werden.

Hast du irgendwelche Hobbys? Ich koche gerne. Aber für mich alleine mache ich das nicht mehr. Mein damaliger Mitbewohner hat immer von meinen Rouladen geschwärmt. Rinderrouladen. Er hat noch nie so gute Rouladen gegessen, hat er immer gesagt. Und ich habe früher gerne Tischtennis und Kicker gespielt. Und Fußball. Ich war so­ gar in einem Fußball-Verein. Da hatte ich dann aber zweimal einen Bänderriss, deshalb habe ich dann lieber aufgehört.

Was bedeutet Asphalt für dich? Durch Asphalt bin ich selbstbewusster geworden. Ich muss nicht mehr schnorren, sondern verdiene ehrlich mein Geld. Und ich genieße die Unterhaltungen mit meinen Kunden. Durch Asphalt komme ich mit vielen netten Leuten ins Ge­ spräch. Das tut mir einfach richtig gut. Interview und Foto: Grit Biele


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Heidi verkauft Asphalt vor Edeka »Segebrecht« auf der Lister Meile.


RUND UM ASPHALT

Braunes Fell und lange Krallen

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Gewinnsp

Wer streckt denn da neugierig die Nase aus dem Beutel von Mutter Maya heraus? Es ist ein kleines Nacktnasenwombat, der erste Nachwuchs der Nachtnasenwombats Maya und Kelly im Erlebnis-Zoo Hannover. Etwa acht Monate ist das Jungtier nun. Der zarte Flaum über der nackten Nase hat sich inzwischen zu braunem Fell gemausert und die Krallen an den kleinen Pfoten sind schon beachtlich gewachsen. Doch nicht nur die rosa Nase schiebt sich aus dem Beutel heraus. Auch die Vorderpfoten setzt das Jungtier immer mal wieder auf den Boden auf und tastet sich neugierig, aber trotzdem noch langsam und vorsichtig vorwärts. Welches Geschlecht der kleine Nachwuchs hat, da wollen sich die Tierpfleger noch nicht so recht festlegen. »Zurzeit sieht es aber sehr danach aus, dass es ein Männchen ist«, verraten sie. Tasmanische Nacktnasenwombats sind die kleinere Unterart der Nacktnasenwombats und in den Feucht- und Trockenwäldern Tasmaniens (Australien) beheimatet. Maya und Kelly sind die einzigen Vertreter ihrer Unterart in ganz Deutschland. Mit Asphalt können Sie zwei Tagestickets für den Zoo Hannover gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage: Wie heißen die Eltern vom kleinen Nacktnasenwombat im Erlebnis-Zoo Hannover?

Foto: Zoo Hannover

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Jeder Besucher benötigt zusätzlich zu den Tickets eine Zutrittsberechtigung. Diese gibt es ausschließlich online unter shop. erlebnis-zoo.de Schicken Sie uns eine Postkarte oder eine E-Mail mit Ihrer Antwort und dem Stichwort »Zoo« bis zum 30. April 2021 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover, gewinne@asphalt-magazin.de. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautet: »zwölf Jahre alt«.

gesucht – gefunden Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Verkäufer­ Innen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Gelb

Verkäufer Fred: Ich wünsche allen ein schönes Osterfest. Dass alle gesund bleiben und dieses Hin und Her vorbei ist. Danke für die Treue in diesen schwierigen Zeiten! Ihr Asphalt-Verkäufer Fred vor dem Edeka Wucherpfennig in Ricklingen. [V-Nr. 332/Hannover].

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Ute Kahle, Ulrich Matthias Gestaltung: Maren Tewes Kolumnistin: Karin Powser Freie Autoren in dieser Ausgabe: A. Bruhns, B. Pütter, T. Rosenbohm, A.-M. Sonnemann, W. Stelljes Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer

Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Sophia Erfkämper, Ute Kahle, Kai Niemann Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Vertrieb Göttingen: Telefon 0551 – 531 14 62 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1

redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de goettingen@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Online: www.asphalt-magazin.de www.facebook.com/AsphaltMagazin/ www.instagram.com/asphaltmagazin/ Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 26.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 22. März 2021 Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung

nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus. Gesellschafter:

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


ASPHALT 04/21 Foto: Ricardo Wiesinger

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»Beitrag zur Solidarität«

Startups spenden Möglichkeiten Vier Freunde für Asphalt: 10.000 medizinische Masken und 200 Desinfektionsbänder für‘s Handgelenk unserer Asphalter haben Dennis Winschu (re.) von der Agentur event it, Joel Scholderer (2. v. re.) vom StartUp Cleanbrace, Michael Skowronek von WeCare (3. v. li.), sowie die Künstleragentur WEYKUP! gespendet. »Als Gemeinschaft, die helfen will«, möchten die vier »in diesen schwierigen Zeiten insbesondere die Menschen stärken, die ihre Mitmenschen benötigen«, so WEYKUP!-Chefin Sonia Ordoñez Alcantara (vorne li.). Ihre Spende solle dazu beitragen, dass die VerkäuferInnen in ganz Niedersachsen das Magazin weiterhin verkaufen und so weiter am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, so Ordoñez Alcantara weiter. Denn der Verkauf des Heftes stabilisiert und strukturiert die Leben der einst aus der Bahn Geworfenen. »In der aktuellen Lage sind Schutzmasken und Desinfektionsmittel für unsere VerkäuferInnen ein wertvolles Gut. Insofern bin ich sehr dankbar«, so Asphalt-Geschäftsführer Georg Rinke (vorne re.), der mit Vertriebsleiter Thomas Eichler (li.), die Spende entgegennahm. Asphalt dankt für diese gute Geste zur rechten Zeit. MAC

Wir trauern um unseren Verkäufer

Jens Rinn Er wurde 51 Jahre alt. Das gesamte Asphalt-Team mit allen MitarbeiterInnen und VerkäuferInnen.

Hauke Jagau, Regionspräsident der Region Hannover

»Hannover ohne Asphalt-Magazin? Kann ich mir nicht mehr vorstellen! Asphalt gibt Menschen mit dem Verkauf der Zeitung eine Aufgabe und einen Ankerpunkt auf dem Weg zurück in ein geregeltes Leben, es bietet Menschen in Lebenskrisen Hilfe zur Selbsthilfe. Das Magazin ist ein Beitrag zu mehr Solidarität und Hilfsbereitschaft. Dass wir beides brauchen, spüren wir gerade stärker denn je.«

on … Wussten Sie sch

regelmäßige seine Arbeit ohne … dass Asphalt e finanziert? chliche Zuschüss öffentliche und kir enerlösen sind aufs- und Anzeig Neben den Verk Förderer die rer Freunde und die Spenden unse ierung. nz zur Gesamtfina wichtigste Stütze ende: indung für Ihre Sp Unsere Bankverb Asphalt-Magazin 30 0410 0000 6022 IBAN: DE35 5206 EK1 BIC: GENODEF1 nk Evangelische Ba ck: Perspektiven Verwendungszwe

… mehr als eine gute Zeitung!

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RUND UM ASPHALT

Foto: V. Macke

Fanszene spendet für VerkäuferInnen Verkaufsstopp des Asphalt-Magazins von Mitte Dezember bis Ende Januar. Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen für unsere Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer ab Februar zum Selbstund Fremdschutz. Für Hannover96-Fan Benjamin Meuer Grund genug, Asphalt unter die Arme zu greifen: »Die Beschaffung der FFP2-Masken und des Desinfektionsmittels bringt zusätzliche, ungeplante Kosten mit sich«, ist sich der 96-Fan sicher und ruft daher unter dem Motto »Fanszene hilft« zum Spenden unter den Anhängern auf. Flyer werden verteilt, ein Post über Facebook geteilt. 227 Fans sind dem Aufruf gefolgt und haben insgesamt stolze 3.882 Euro zusammengesammelt. Um die Spendensumme rund zu machen, wurden am Ende nochmal 118 Euro draufgelegt. Wir alle sagen herzlich Danke und werden die 4.000 Euro in den so wichtigen Infektionsschutz für unsere Asphalter investieren. GB

Gerade erst in unserer März-Ausgabe haben wir darüber berichtet, dass immer mehr Frauen auf der Straße leben. Dass immer mehr kein eigenes Zuhause haben, wie auch Patricia und ihr drei Monate altes Baby. Wir haben mit ihr über ihren Weg in die Obdachlosigkeit gesprochen und über ihr Leben auf elf Quadratmetern in der Frauenunterkunft in der Langensalzastraße. Bereits Mitte März hat sich das Blatt für Patricia zum Guten gewendet. Denn Melanie Schlöndorf und Robert Kulle von der Johann Jobst Wagenerschen Stiftung haben vom Schicksal der jungen Mutter gelesen und ihr daraufhin ein neues Zuhause angeboten. »Als hätte der Zufall es so gewollt. Wir hatten gerade eine Absage für eine leerstehende Wohnung bei uns bekommen. Weil wir aber schnell jemandem helfen wollten, sind wir dann auf Patricia gekommen. Nachdem wir mit ihr dann gesprochen hatten war klar, wenn nicht jetzt, wann dann? Es passt wirklich gut«, freut sich Melanie Schlöndorf. Die 40-jährige Patricia ist von so viel positiver Resonanz ganz überrascht und überwältigt: »So scheiße es auch manchmal läuft, es gibt doch immer wieder auch Positives. Das ist echt klasse. Ich kann echt nur fett Danke sagen. Danke an die Wagenersche Stiftung und danke an Asphalt. Ich freue mich wirklich riesig auf den Umzug.« GB

Foto: privat

Asphalt-Bericht wirkt

Drei Gänge für Asphalt Linsensüppchen, hohe Rippe gefüllt, Melly’s Cheesecake – unter dem Motto »Wir kochen – ihr genießt – zusammen unterstützen wir« haben Mellany Galla, Orthopädin aus Hannover, und Ronny Spaniel gemeinsam im La Rock ein 3-Gänge-Menü to go kreiert und gekocht. Drei Tage lang haben sich die beiden dafür ins Zeug gelegt. Pro Abholmenü gab es 10 Euro für Asphalt. »Mir fiel neulich auf, dass meine Asphaltverkäuferin, die sonst immer vor Manufactum steht, fehlt. Es war mir vorher gar nicht so bewusst, dass die Asphaltverkäufer ebenfalls stark von den Folgen des Lockdowns betroffen sind. So ist diese Idee entstanden«, bemerkt Mellany Galla. Deshalb hat sie zusätzlich auch noch eine weitere Spendenaktion für Asphalt eingerichtet, wo Genießer unabhängig vom Menü noch mehr Gutes tun konnten. 2.320 Euro sind am Ende zusammengekommen, die die begeisterte Hobbyköchin nun an Asphalt übergeben hat. Asphalt sagt Danke. GB


Foto: ICON/Regan Morton

Das neue Heim von Tim Shea.

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Hat 8.500 Euro gekostet:

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ZUHAUSE GEDRUCKT Hat darauf die Wohnungslosenhilfe nur gewartet? Bezahlbarer Wohnraum für alle Obdachlosen. Und nicht nur für die. Schnell und kostengünstig: Häuschen aus dem Drucker. Nach Jahren der Obdachlosigkeit und des harten Lebens hat Tim Shea die scharfen Ecken in seinem Leben gegen das runde, fließende Design seines neuen 3D-gedruckten Hauses in Aus­ tin, Texas, eingetauscht. Shea war der Erste in den Vereinigten Staaten, der in ein 3D-gedrucktes Haus eingezogen war, wie der in Austin ansässige Bauträger ICON mitteilte. Manche halten

das für einen Meilenstein in den Bemühungen, die verfügbaren Angebote an bezahlbarem Wohnraum zu erhöhen. Shea (70) betont, dass sein neues Haus, das ihm kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, sein Leben gerettet habe. »Es ist einfach phänomenal schön, es umgibt mich einfach und gibt mir ein Gefühl von Lebenssicherheit«, erzählt Shea der Thom­


Obdachlosen-Camp in Seattle/USA: Foto: REUTERS/David Ryder

Kann 3-D-Druck die Krise am Wohnungs-

Foto: ICON

markt lösen?

Das TIME Magazine zählt ICON-Chef Jason Ballard zu den 100-NEXT-Führungskräften, die die Zukunft von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Aktivismus maßgeblich beeinflussen werden.

son Reuters Foundation per Telefon aus seinem 46 Quadratmeter großen Haus. Die hohen Decken, großen Fenster und Oberlichter ließen das Haus größer er­ scheinen, als es von außen aussehe, fügt er hinzu. Shea konnte zusehen, wie sein Haus vor Ort von einem großen neuen Drucker gebaut wurde, der von ICON entwickelt und betrieben wird. Dieser Prozess dau­ erte nach Angaben des Unternehmens etwa 48 Stunden und werde mit der Ver­ besserung der Technologie noch weiter verkürzt werden. Der 3D-Druck im gro­ ßen Maßstab gewinnt als schnellere, bil­ ligere und effizientere Art des Wohnungs­ baus weltweit an Bedeutung. Bei einigen Projekten wird ein Haus in 24 Stunden Druckzeit für nur ein paar tausend Dollar gebaut. ICON hat 2018 das erste zugelas­

sene 3D-gedruckte Gebäude in den USA gebaut und ist eine der wenigen 3D-Baufirmen, die sich speziell auf bezahlbaren Wohnraum konzentrieren.

Erschwinglich und nachhaltig Die Verwendung des 3D-Drucks für den Bau, auch bekannt als additive Fertigung, geht mindestens auf das Jahr 2004 zurück, als ein Professor der Univer­ sity of South Carolina versuchte, eine Wand zu dru­ cken. Im Gegensatz zu anderen Anwendungen des 3D-Drucks – wie z. B. medizinischen Geräten oder komplexen Modellierungen – wird bei diesem Ver­ fahren in der Regel eine Form von schnell trocknen­ dem Beton verwendet, der von einem computerge­ steuerten Extruder präzise aufgetragen wird. Der Ansatz wurde in den letzten Jahren für Nischenpro­ jekte verwendet – wie die erste 3D-gedruckte Brü­ cke der Welt, die 2016 in Madrid der Öffentlichkeit


betreut wird. Der Standort, genannt ›Community First! Villa­ ge‹, wird derzeit immer mehr erweitert. 500 Personen soll das wachsende 3D-Dorf irgendwann ein Zuhause zu bieten, so die Präsidentin der Organisation, Amber Fogarty. »Was uns ange­ zogen hat, ist das Versprechen dieser Technologie. Oft werden Innovationen nur für Leute mit Ressourcen verfügbar, daher ist es etwas ganz Besonderes, dass dies auch für unsere Nachbarn verfügbar ist.«

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zugänglich gemacht wurde. Während der globale Markt für 3D-gedruckte Konstruktionen im Jahr 2019 bei drei Millionen US-Dollar lag, wird er laut einer Studie des Beratungsunternehmens ›Research and Markets‹ bis 2024 rasant auf mehr als 1,5 Mil­ liarden US-Dollar anwachsen. Letztes Jahr listete die globale Branchenpublikation ›3Dnatives‹ ein Dutzend Unternehmen auf, die weltweit an 3D-ge­ druckten Häusern arbeiten. Jason Ballard, der ein Jahrzehnt lang im Bereich Wohnungsbau und Obdachlosigkeit tätig war, bevor er vor vier Jahren ICON mitgründete, sagte, dass er auf der Suche nach einer erschwinglichen, nach­ haltigen und klimaresistenten Baumethode zum 3D-Druck »Man könnte ... kam. »Für mich ging es im­ die Obdachlosigmer um den Wohnungsbau.« Ballard verweist nicht nur auf keit und die Krise die Kosten- und Zeitersparnis, der Bezahlbarkeit sondern auch auf die Arbeits­ beenden.« ersparnis, da die Häuser von Jason Ballard einem Tablet oder Telefon aus gedruckt werden können. Und die statischen Strukturen seien zudem widerstands­ fähiger gegen Katastrophen wie Hurrikane, energie­ effizienter und leicht an individuelle Designwün­ sche anpassbar. »Man könnte sich Hunderte oder Tausende dieser Drucker vorstellen – und damit die Obdachlosigkeit und die Krise der Bezahlbarkeit beenden«, findet der junge Startup-Gründer. ICON baute seine ersten Häuser in einem Dorf gegen Ob­ dachlosigkeit in Austin, das jetzt von der gemein­ nützigen Organisation Mobile Loaves and Fishes

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Transformative Technologie Obwohl ICON erst vor kurzem mit der Einführung seiner Tech­ nologie begonnen hat, werde seine Firma bereits mit Anfragen von Obdachlosen, gemeinnützigen Organisationen und aus­ ländischen Regierungen geradezu überschwemmt, sagt Bal­ lard. Jüngst hat er sich mit ›New Story‹ zusammengetan, einer US-amerikanischen Non-Profit-Organisation, die sich interna­ tional für die Bereitstellung von Wohnraum in Gemeinden mit niedrigem Einkommen einsetzt. Gemeinsam bauen sie nun Häuser in einer Gemeinde von Fischern und Textilarbeitern in Tabasco, Mexiko. Andernorts hat ›New Story‹ normalerweise Häuser aus Schlackensteinen gebaut, aber sie waren an Mög­ lichkeiten interessiert, schneller zu arbeiten, sagte Sarah Lee, die leitende Geschäftsführerin von ›New Story‹. Wohnungsbau sei »ein massives Problem, und ohne Risiken einzugehen, wer­ den diese Familien die letzten sein, die von dieser Technologie profitieren.« Obwohl das Tabasco-Projekt durch die Coronavi­ rus-Pandemie verzögert wurde, könnten bitterarme Familien in den kommenden Monaten in zehn der neuen Häuser einziehen. Gedruckt, getrocknet und eingezogen. Carey L. Biron | Mit freundlicher Genehmigung von Reuters/ Thomson Reuters Foundation/INSP.ngo

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JÜRGEN PIQUARDTS GENUSS DES EINFACHEN

»verbunden«

Foto: jirkaejc/iStock.com

»Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe muss abwarten, geduldig sein, bis seine Zeit zum Blühen kommt.« (Dietrich Bonhoeffer) »Man muss immer etwas haben, worauf man sich freut.« (Eduard Möricke) Saisonal und regional. Das sind die zwei geistigen Fundamente dieser Frühjahrskolumne. Dazu, und vor allem davor, kommen: Freude, Zuversicht und Liebe. So sind die Frühjahre für uns Menschen angelegt. Mit vielen Aufgaben, sonst wäre der nächste Frühling hoffnungsärmer: Geduld (»Winter«) und Vorfreude (»Frühling«) müssen sich gegenseitig stärken. In unserer modernen Welt ganz im Besonderen, denn die schnelllebig-hektische Zeit hat kaum Platz für diese Seelenkultur. So kommt auch immer früher, wer weiß, wo immer her, der Spargel auf den Markt, weit vor der natürlichen Saison. Verhängnisvoll daran ist, unter vielen anderen Besorgnissen: Kaum ein regionaler Bauer hat vorwiegend KundInnen, die freudvoll warten können: Auf die natürliche, regionale Saison. Vielleicht hilft diese Kolumne ein klein bisschen in diese naturnähere Richtung? Noch früher ist, wiederum wer weiß, woher, Bärlauch zu kaufen. Beides sollte uns – absichtlich liebevoll-aufdringliche Wiederholung, ermutigen, der Natur und den ehrlichen, ihrer Erde verbundenen Bauern, treu zu bleiben, oder treu zu werden. Da gibt es viel zu lernen, zum eigenen Nutzen, zum Nutzen und Selbstverständnis der umweltbewussten Bauernschaft, zum Nutzen unserer sinnvollen (!) Überlebens-»Strategien« auf diesem kleinen Planeten. Gehen wir in unsere Wälder! Zum liebe- und verständnisvollen Bärlauch ernten ... Doch bei aller wundervollen Romantik – Achtung! – Bärlauch und Maiglöckchen sind, ohne Blüten, für die Augen zum Verwechseln ähnlich. Aber der Geruchssinn kann einfach helfen, sofern wir wissen, wie Knoblauch riecht: Das Reiben der Blätter

olfgang Foto: W

Der bekannte hannoversche Gastronom lebt in der Provence, ist Autor, Olivenbauer und Kochanimator. Seine Gerichte: regional und saisonal. Jetzt kocht er für Asphalt. Ein Gericht zu jeder Jahreszeit.

Becker

KNACKIGER FRÜHLINGSBOTE

aneinander gibt dann eindeutig Sicherheit. Der Bärlauch, auch Knoblauchspinat, wilder Knoblauch oder Hexenzwiebel genannt, hat die Angewohnheit, sollte er sich wohlfühlen, große Waldflächen zu besetzen. Trotzdem: Gehen wir vorsichtig mit ihm um, bei uns im Norden mehr als im Süden Deutschlands. Dort ist er nicht gefährdet. Eine Möglichkeit der Rücksichtnahme: Pflücken wir nur eins von seinen zwei Blättern. Und: Pflücken wir nicht mehr als wir und unsere von uns beschenkten FreundInnen für zwei bis drei Tage brauchen. Welk ist er nur noch sehr bedingt ein Genuss! Besser: Häufige Ausflüge in die Wälder. Gehen wir zum Spargelbauern. Ermutigen wir diese besonders Erdverbundenen zu weiterhin sorgfältiger, naturschonender Arbeit. Vielleicht können wir ihnen sogar bei ihrer saisonal so schwierig zu leistender Ernte helfen?! Fragen wir sie. Ein möglicher »Telefonstart« dazu: »Solidarische Landwirtschaft.« Folie und beheizen – das sind Vokabeln aus dem »künstlich« beschleunigten Spargelanbau. Haben wir Geduld. Die Saison endet ja erst zu Spargelsilvester, am 24 Juni. Jedes Jahr ist das so. Für unsere »Vorspeise« mit rohem Spargel sind vorrangig die dünneren Stangen gefragt. Das trifft sicherlich auf das Wohlwollen der Liebhaber von »Prachtexemplaren«. Eine Eigenschaft ist jedoch unabdingbar: Frische! Knackig frisch muss der dünne Spargel sein. Für die ganz, ganz Ungeduldigen unter uns: Die Schwarzwurzel mit ihrem spargelähnlichen Geschmack und ihrer krümmlich-warzigen Stangenform könnte das Warten deutlich erleichtern. Ihre Saison: Oktober bis April. Und dann gibt‘s ja, die Wartezeit gleichfalls leichter machend, die vielen Rettichsorten. Und dann gilt sowieso, ganzheitlich gefühlt und tolerant gedacht: »drei Sprachen sollten wir Menschen haben: eine regionale, eine nationale, eine globale ... (?). Deshalb ist der traditionelle Kolumnenschluss zukunftsfroh gewandelt: Goadn Aftit! Guten Hunger! Love!


AUS RE

Zutaten Pesto »normal«: Dünner Spargel, Bärlauch, Olivenöl, Pfeffer, Salz, Sonnenblumenkerne, Cashewkerne, Pinienkerne?, Parmesan oder einen anderen Hartkäse aus den »Bergen« Zutaten Pesto »vegan«: Wie Pesto »normal«, aber ohne Käse Fakultativ: Hefeflocken, Veilchen- und Gänseblümchenblüten, Erdbeeren

Prozedere: Kerne einige Stunden in wenig Wasser einweichen | Spargel schräg in dünne Spälten schneiden | Bärlauch, gezupft, in das »Zerkleinerungsgerät« (Pürierstab ab ca. 20 Euro, Hochleistungsmixer ab ca. 100 Euro) geben | hinzufügen der Kerne, des Olivenöls (auch andere kaltgepresste Öle sind dem Pesto lieb), des Käses | pürieren.

Tipps: 1. Das »normale« Pesto vorsichtig salzen, da der Parmesan sehr würzig ist.

2. Die Käsemenge, Pesto um Pesto, reduzieren, zum Nutzen aller »Beteiligten«. Vielleicht späteres, individuelles Würzen mit Hefeflocken, vor allem bei der veganen Variante. 3. Zum liebevollen »Dekorieren«: im April und im Mai mit den Blüten, ab Mitte Mai mit regionalen Bio-Erdbeeren. 4. Die Pesto-Variante mit Bärlauch ist naturgemäß zeitlich begrenzt. Die klassische Version mit Basilikum ist dank der »Topfkultur« das ganze Jahr über möglich. 5. Pestos werden von vielen Firmen in Gläsern angeboten. Das ist nur die zweit-

beste Wahl. Die beste: selbstgemachte Pestos bereiten die meiste Freude.

Heiterer Hinweis: Roher Spargel mit Bärlauchsauce oder mit anderen Worten: Carpaccio von dünnen Stängeln des Burgdorfer Spargels, Pesto von Niendorfer Bärlauch, 50 Monate alter Parmesan und Öl von handgepflückten, oberitalienischen Oliven, verziert mit Veilchen- und Gänseblümchenblüten von der Märchenwiese. Beides kann das Gleiche sein. Und ähnlich liebevoll zubereitet.

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Foto: Dar1930/iStock.com

e c u a s h c u a l r ä B it Roher SpargeGlIOm DER SAISON N E T A T U Z N NALE

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BUCHTIPPS Werkzeugkasten Im ganzen Elend der in Corona-Zeiten blühenden, alternativen Wahrheiten zur »Plandemie«, zum »Great Reset« und den Impfzielen von Bill Gates gibt es auch gute Nachrichten. Auf dem Buchmarkt. Wer verstehen möchte, was Verschwörungserzählungen so ansteckend macht, wieso nichts an ihnen neu, aber durch das Netz und »soziale« Medien vieles schwieriger geworden ist, für den gibt es Hilfreiches zwischen zwei Buchdeckeln: Katharina Nocuns und Pia Lambertys extrem dichtes »Fake Facts« etwa, oder Karoline Kuhlas Nicht-nur-Jugendbuch »Fake News«. In diese Reihe gehört Irene Brodnig mit dem soeben erschienenen »Einspruch!«. »Einspruch!« ist so etwas wie ein Ratgeber für den Hausgebrauch – im wahrsten Sinne. Irene Brodnig liefert leicht anwendbares Handwerkszeug für den Umgang mit rhetorischen Tricks, für die Bewertung von Expertisen, und sie hat hilfreiche Ratschläge für Diskussionen am Küchentisch. BP Ingrid Brodnig | Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online | Brandstätter | 160 S. | 20 Euro

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Ellinor macht sich nach dem Abitur auf nach New York. Es ist ein Ausbruch aus dem Elternhaus, in dem auch Jahrzehnte nach dem Krieg die Traumata noch wirken. Überfordert davon, dem neuen Leben eine eigene Ordnung zu geben, trifft sie den Psychotherapeuten Dr. Dan Guttman, dessen jüdische Familie aus Deutschland nach Argentinien geflohen war und dort Opfer der Diktatur wurden. Gemeinsam reisen Ellinor und Guttman zum Grab seiner Eltern, wo sie dem Sohn des ehemaligen SS-Mannes begegnen, der für deren Tod verantwortlich ist. Was reduziert auf den Plot nach Geschichtsdrama klingen mag, ist etwas ganz anderes. Der Roman der Schriftstellerin Anja Liedtke ist ein schwebender, tastender und durch und durch psychologischer Text. Sensibel wie die Heldin sucht er nach den Bedingungen dafür, ein Ich zu werden, auch unter der Last deutscher Geschichte. So genau es Ellinor zu beobachten versteht, so sehr ist der Text von ihrer Subjektivität geprägt, und am Ende ist man gar nicht überrascht, dass Ellinor in einem Café sich selbst gegenübersitzt, dem Ich, das sie vielleicht geworden wäre. BP Anja Liedtke | Ein Ich zu viel | Asso | 212 S. | 18 Euro


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SPIELETIPPS Die kürzesten Geschichten der Welt Die kürzeste Geschichte der Welt handelt von … Nein das verraten wir an dieser Stelle nicht. Es ist in diesem Spielebuch eine Kombination aus 52 Karten und vielen Möglichkeiten, die die ganz kurzen, lustigen, traurigen oder traurig-lustigen Geschichten lebendig werden lässt. Ob alleine oder zu zweit, selbst gepuzzelt oder liebevoll vorgelesen, eines haben alle Geschichten gemeinsam: Sie sind unvorhersehbar, regen die Fantasie an und stecken voller Wortwitz und Andeutungen an bekannte Märchen. Mit den wunderbaren Illustrationen der Vorderseiten werden Anstöße gegeben, um eigene, kleine Geschichten zu erfinden und zu erzählen. Die kürzesten Geschichten der Welt, Hevetiq-Verlag, Spielebuch für 1 und mehr Spieler ab 5 Jahren, ab 20,37 Euro.

Kippelino Balance und Feinmotorik stehen gleichermaßen im Mittelpunkt des Bauspiels für Kinder und Erwachsene. Gemeinsam wird ein Baumhaus nach den Plänen des Architekten Raben errichtet. Doch Vorsicht ist geboten, denn der Architekt war etwas zu geizig mit den Säulensteinen, die dem Bau normalerweise Halt geben. Er war viel zu sparsam und so steht manchmal eine Säule auf einem Loch, manchmal ist es ganz schön schief und wenn man nicht aufpasst, dann stürzt der Bau vorzeitig zusammen. Ein ruhiges Händchen ist für die Baumeister von Nöten und wird trainiert. Gemeinsam wird aber in fast jeder Runde erfolgreich ein Baumhaus errichtet. In seiner Kompaktheit auch gut als Mitnehmspiel geeignet. Kippelino, NSV-Verlag, Wortspiel für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren, ab 10,29 Euro.

Getestet von Ute Kahle

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Team 3 grün oder Team 3 pink? Ein kooperatives Miteinander ist gefordert, um das Bauvorhaben mittels der kleinen Klötzchen zu verwirklichen. Ein wenig erinnert es an eine Art offline-Tetris, wäre da nicht das Handicap. Ein Spieler ist der Architekt, darf jedoch nicht reden, sieht aber den Bauplan und erklärt diesen mit Händen und Füßen seinem Bauleiter. Dieser instruiert den Bauarbeiter, der jedoch nichts sieht, aber die Bausteine korrekt verbauen soll. Bei zwei Teams kann auch um die Wette gebaut werden, mit einer Stoppuhr oder parallel. Beide Spiele beinhalten eine unterschiedliche kleine Erweiterung, sind jedoch auch perfekt solo spielbar, wobei die Erweiterung von Team 3 pink etwas höher im Schwierigkeitsgrad ist. Ein faszinierendes Spiel, dem sich kaum jemand entziehen kann. Es wurde mit den Lernspielpreis der Spielemesse Stuttgart belohnt. Team 3 grün/Team 3 pink, Brain Games/Abacus-Spiele, Kooperativ­spiel für 3 bis 6 Spieler ab 8 Jahren, jeweils ab 15,79 Euro.

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KULTURTIPPS Foto: Pressefoto/Kulturzentrum Faust

Musik online Mein Elba Die meisten dürften ihn als Sänger der Coverband Horizont kennen. Doch jetzt macht Carsten Schlegel als Solokünstler mit »Mein Elba« selbstgeschriebene Musik. In dieser neuen Rolle möchte er der Künstler sein, dem Menschen in besonderen Momenten zuhören. Beim Runterkurbeln der Scheibe auf der freien Landstraße, an kühlen Herbst- und heißen Sommertagen oder beim Sonntagsputz. Mit seiner Musik will er Leute live zum Tanzen und zum Abschalten bringen. Doch vor allem will er dabei immer er selbst sein. Samstag, 17. April, Beginn 20 Uhr, www.youtube. com/channel/UC0gaKs6OozXt21ZbcrfqcZA, Tickets gibt es unter www.eventbrite.de, Teilnahme ab 5 Euro.

Ausstellung Stones unzipped

Dornröschen-Quartett Sie kennen sich aus der Studienzeit an der Musikhochschule Hannover – Niklas Turmann, Daniel Scholz, Lennart Voss und Johannes Keller. Gemeinsam bilden sie das Dornröschen-Quartett. Schon seit einigen Jahren gehören die vier zur sehr lebendigen Musikszene Hannovers, das gemeinsame Musizieren und ihre Liebe zum Jazz haben sie allerdings erst in den letzten Jahren entdeckt. Im Quartett spielen die Musiker mit zwei akustischen Gitarren, Kontrabass und Schlagzeug eine Auswahl von bekannten Jazz-Klassikern aus dem Great American Songbook. Samstag, 24. April, 19 Uhr, Live-Stream unter www.kulturzentrum-faust.de/veranstaltungen/april/24-04-21-dornroeschen-quartett.html, Teilnahme kostenfrei.

Am Morgen des 17. Oktober 1961 trafen sie sich zufällig wieder, gemeinsam waren sie zur Grundschule gegangen: Mick Jagger und Keith Richards. Was folgte, sind 60 Jahre Musikgeschichte, aktuell präsentiert im Groninger Museum. Eigentlich sollte die Ausstellung über die Stones schon vor Monaten beginnen, ganz real, eigentlich. Um überhaupt etwas präsentieren zu können, gibt es nun eine erweiterte virtuelle Show, bei der der Stones-Fan zuhause auf dem Sofa sitzend, Musik und Filme per Mausklick starten und stoppen kann. Da fällt es dann auch nicht weiter auf, wenn er mal eben kurz vor dem »superscharfen Close-Up« des Schlagzeugs von Charlie Watts niederkniet ... Bis 18. April, www.groningermuseum.nl., Ticket 9,50 Euro. Nach dem Eingang der Zahlung kommt per E-Mail ein Code, mit dem man sich einloggen kann. Dann bleiben 48 Stunden Zeit für den virtuellen Besuch der Ausstellung.


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Ausflug »Der Hund ist immer hungrig«

Dörfliche Idylle in Alt-Ricklingen und herrliche Natur an der »Kies­teich-Riviera« wechseln sich ab mit traditionellen Arbeitersiedlungen und großen Wohnkomplexen – ein Spaziergang durch einen Stadtteil der Gegensätze. Eine Zeitreise vom Rittergut bis in die Moderne. Eine etwa zweistündige Entdeckungstour durch Hannovers Stadtteil Ricklingen. Sonntag, 25. April, 14 Uhr, Treffpunkt Schünemannplatz, Hannover, Anmeldung unter www.stattreisen-hannover.de, Teilnahme 10 Euro.

Nach ihrem Debütroman »Wie hoch die Wasser steigen«, legt Anja Kampmann mit »Der Hund ist immer hungrig« ihren zweiten Lyrikband vor. Zeitungsträger, ein Mädchen auf dem Spielplatz, Jugendliche in ihrer naiven Sehnsucht fragen sich darin nach dem großen Leben und wo es sein könnte. Die Zukunft unterdessen hat ein anderes Blau und kündigt sich an mit Klonpferdchen und Mammuts. Die neuen Gedichte erzählen vom Marschland, Figuren treten auf, wiederkehrende Motive verklammern sie zu einem großen Bild der Landschaft unserer Zeit. Sie bestätigen Anja Kampmanns Rang als ganz eigenständige, überraschende Stimme ihrer Generation. Donnerstag, 15. April, 17.30 Uhr und 19.30 Uhr, beide Veranstaltungen sind inhaltlich nicht identisch und können einzeln oder zusammen gebucht werden, je nach Pandemie-Situation finden die Lesungen als Präsenzveranstaltung: Literaturhaus Hannover, Sophienstraße 2, Hannover, oder Online: www.literaturhaus-hannover.de statt, Informationen dazu vorab unter der angegebenen Internetseite, Eintritt 10 Euro, erm. 5 Euro.

Foto: Kerstin Schomburg

Wiesen, Deichgrafen und das Paradies

Lesung Theater »Mon Amour« Bequem auf der Couch sitzen und über den Rechner oder das Handy ein Stück Literatur genießen – das bietet die gemeinsame Lesung von Torben Kessler, Ensemblemitglied des Schauspiel Hannover, und Intendantin Sonja Anders ihrem Publikum an den Monitoren. Und wer mag, der kann sich nach der Lesung noch an den anschließenden Gesprächen beteiligen und über das Gehörte austauschen. Dienstag, 13. April, 19.30 bis 21 Uhr, Digital über Zoom, Anmeldung verbindlich über freundeskreis-hannover.de/ veranstaltungen/theater-mon-amour, nach erfolgreicher Anmeldung gibt es die Zugangsdaten, Teilnahme kostenfrei.

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SO WHAT I F W E H AV E TO PART, WE’LL BE TOGET HER AGAIN! LOUIS ARMSTRONG

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SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 17 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben (Achtung: ch = 1 Buchstabe) – jeweils von oben nach unten gelesen – ein Zitat von Sören Kierkegaard ergeben:

1. Ablehnung

2. Frucht eines Wasservogels al – bau – cker – de – ei – en – ent – ga – ge – gen – gi – gik – il – imi – kna – la – las – le – leih – li – lo – min – mon – na – ner – nuss – on – pe – ram – rei – rung – sam – sche – schung – se – ser – so – streb – ta – täu – ten – ter – ti – tim – tor – tur – wa – wei

3. Gerät zum Aufbrechen einer Baumfrucht

4. Süßigkeit

5. Krokodil

6. Vorrichtung für die Abfuhr von Erzeugnissen

7. Mietauto (ugs.) Unter den EinsenderInnen der richtigen Lösung verlosen wir dreimal den spannenden Thriller »Der erste Tote« von Tim MacGabhann. Mexiko. Die beiden Journalisten Andrew und Carlos sollen eigentlich nur ein Routinestück über die Ölindustrie in Poza Rica machen. Zufällig finden sie die verstümmelte Leiche eines jungen Umweltaktivisten. Trotz massiver Drohungen stellen die beiden weitere Nachforschungen an ... Ebenfalls dreimal können Sie das kurzweilige Buch »Rotkäppchen raucht auf dem Balkon« von Wladimir Kaminer gewinnen. Verstehe einer die Kinder. Oder die Großeltern. Die einen werden erwachsen, kaufen sich Leitz Ordner für Handyverträge. Die anderen haben eine kindliche Freude daran, die Welt neu zu erobern und ihre Grenzen auszuloten. Kaminer beschreibt das komplizierte Verhältnis der Generationen mit viel Liebe und Humor. Auch das Buch »Lieblingskräuter« von Axel Gutjahr gibt es dreimal zu gewinnen. Kräuter geben jedem Gericht den ganz besonderen Pfiff. Gutjahr erklärt fundiert und ausführlich, wie und an welchem Standort Basilikum, Rosmarin und Co. optimal gedeihen. Wie man die Kräuter am besten einsetzt, zeigen die Rezepte zum Genießen und Genesen – hier finden sich nicht nur frisch-würzige Gerichte, sondern auch bewährte Heilmittel. Die Lösung des März-Rätsels lautet: Wer erkennen will, muss vorher gezweifelt haben. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 30. April 2021. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

8. unerfüllte Erwartung

9. Kraut aus Afrika und Indien

10. langatmige Predigt

11. bestimmtes Datum

12. ungesetzlich

13. Fähigkeit, richtig zu denken

14. Wurfschlinge zum Einfangen von Tieren

15. Nachahmung

16. Begriff aus dem Bergbau

17. Englischer Landschaftsmaler (William … )


Ausblick

Foto: Tomas Rodriguez

Hätte, wäre, könnte ... In dem Augenblick, da ich am Schreibtisch sitze und diese Kolumne schreibe, ist am briti­ schen Königshof gerade alles in heller Aufregung ob des Interviews des Duke of Sussex nebst seiner Gattin: Harry und Meghan haben mit ihren Worten an den Säulen der Monarchie gerüttelt. So weit hätte es niemals kommen dürfen! Und so weit wäre es auch nie gekommen! Wenn, ja, wenn … Lassen Sie mich ein wenig ausholen: Im Jahre 1714, die Älteren werden sich vielleicht noch erinnern, wurde ein Thronfolger in London gesucht. Aufgrund des »Act of Settlement« durfte dieser um Himmels Willen nicht katholisch sein. Auserwählt war Kur­ fürstin Sophie! Protestantisch und damit geeignet! Obgleich Sophie meist in Hannover resi­ dierte, war sie Herzogin und Kurfürstin von Braunschweig-Lüneburg. Wenn Hannoveraner und Braunschweiger einmal nach den Wurzeln ihrer Städtekabbelei suchen wollten, wür­ den sie im 18. und 19. Jahrhundert fündig. Sophie wurde dennoch nicht Queen, weil sie im Sommer 1714 das Zeitliche segnete. Schlechtes Timing! An ihrer Statt bestieg ihr Sohn Georg Ludwig als erster Hannoveraner den britischen Thron. Ob der gute Mann über ausreichende Englischkenntnisse verfügte, weiß ich nicht. Aber vielleicht konnte er platt schnacken und wir wissen ja, dass man sich mit Plattdeutsch im angelsächsischen Raum durchaus verstän­ digen kann. So begann also die sogenannte Personalunion zwischen Großbritannien und dem späteren Königreich Hannover. Diese wunderbare europäische Achse endete jäh, als im Jahre 1837 eine Dame namens Victoria Königin wurde. Während man ihr im britischen Empire huldigte, rümpfte man am hannöverschen Hofe die Nase. Unter Berufung auf das spätantike salische Gesetz verwehrte man einer Frau die Königswürde. So endete die Perso­ nalunion und Hannover bekam seinen ersten Ernst August. Wenn Sie mir diesen Kalauer er­ lauben: Mit ihm hat sich die rühmliche Zeit und die Achse Hannover-London quasi verpisst. Während jenseits des Ärmelkanals ein viktorianisches Zeitalter anbrach, machte Bismarck 1866 dem Königreich Hannover den Garaus. Wider Willen wurden wir preußisch. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, in Hannover wäre man drei Jahrzehnte zuvor fortschrittlicher gewe­ sen und hätte Victoria als Königin akzeptiert: Niemals hätte sich der olle Bismarck getraut, Hannover zu liquidieren, wenn die Queen womöglich ihre Seeflotte losgeschickt hätte, die dann irgendwann über Leine und Ihme angekommen wäre. Preußen hätte bestimmt nicht die Machtfülle erlangt. London-Hannover wäre die Keimzelle Europas geworden. Jeden Nachmittag gäb es hier Tea Time. Und im August grüßte die Queen von ihrer Sommerresi­ denz, der Marienburg. Nicht Boris Johnson wäre Premierminister, sondern Angela Merkel. Und: Harry und Meghan hätten das Interview nicht gegeben! Und ich wäre soooo gerne der Duke of Limmer! Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

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Brodowys

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