2019 02 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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KEINE ZUFLUCHT

25 JAHR

AM LIMIT

AM SCHEIDEWEG

AM HANG

Frauenhäuser müssen Gewaltopfer abweisen

Obdachlosenhilfe zunehmend ehrenamtlich

Kosovos Ski-Tourismus zehn Jahre nach dem Krieg

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Notizblock

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Angespitzt

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Am Limit Immer öfter müssen Frauenhäuser Schutzsuchende abweisen. Mit einem neuen Konzept will die Region Hannover endlich dagegen angehen.

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Wer war eigentlich ... Hans Moser?

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Kein Wintermärchen Die Lifte, die Straßen, die Hotels: Alles zerfällt in Kosovos einstigem Vorzeige-­Ski­gebiet. Weil das Entscheidende bis heute ungeklärt ist: Wem gehört das zerrissene Brezovica?

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Integration strengt an Konflikte um Zuwanderung als Zeichen gelingender Integration zu sehen, fordert der Soziologe Aladin El-Mafaalani in seinem neuen Buch. Ein Interview.

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Hilfe für Obdachlose Auch in diesem Jahr sterben Menschen auf der Straße an der Kälte. Die Politik bekommt das Problem Obdachlosigkeit nicht in den Griff. Hilfe kommt aus der Zivilgesellschaft.

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Aus der Szene

23 Das muss mal gesagt werden 24 Briefe an uns 25 Rund um Asphalt 28 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Micha

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Lust auf Erziehung Karena Bruns ist seit 22 Jahren Vollzugs­ beamtin. Unser drittes einer Reihe von Asphalt-Knast-Interviews.

34 Buchtipps 35 Februar-Tipps

Titelbild: jmcdermottillo/shutterstock.com

38 Impressum/Ihr Engagement 39 Silbenrätsel

Das Asphalt-Prinzip Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1


da sitzen sie auf gepackten Koffern und wollen raus. Die eine aus der Beziehung, die keine mehr ist, weg vom ge­ walttätigen Ehemann, nur noch weg aus der gemeinsa­ men Wohnung. Die andere – stabilisiert – aus den engen Verhältnissen des Frauenhauses, zurück in ein neues Leben, diesmal selbstbestimmt und ohne Angst. Doch die baupolitischen Fehler des Landes der vergangenen 15 Jahre führen dazu, dass die eine nicht raus und die andere deshalb nicht rein kann – Stillstand. Denn es gibt keine günstigen Wohnungen. Lesen Sie dazu unsere Titelgeschichte »Am Limit«. Gut, dass der Druck auf die Politik jetzt endlich größer wird. Denn schon lange sagen Experten: Der damalige Verkauf der landeseigenen Wohnungsgesellschaft NI­ LEG war eine politische Fehlentscheidung ersten Ran­ ges. Die Gewerkschaften fordern nun den Aufbau einer neuen staatlichen Baugesellschaft in Niedersachsen. Damit künftig wieder steuernd eingegriffen werden kann in einen aus dem Ruder laufenden Wohnungsmarkt, der nun sogar geschlagene Frauen dazu verdammt, in den heimischen Gewaltverhältnissen bleiben zu müssen. Und auch Obdachlose stehen schon lange in der Schlan­ ge für Wohnraum ganz hinten. Für ein eigentlich ge­ plantes neues Hilfsprojekt namens »Housing First« in Hannover beispielsweise fehlt es der Stadt woran? An der passenden Immobilie! Eine neue private Initiati­ ve springt da jetzt in die Bresche und will das geplante Pilotprojekt retten. Und auch die Betreuung der stetig wachsenden Zahl der Menschen auf der Straße über­ nehmen immer mehr die ehrenamtlichen Organisa­ tionen. Lesen Sie dazu unseren Überblick »Hilfe für Obdachlose«. Einen – im Namen aller Wohnungslosen – hoffentlich nicht mehr allzu kalten Februar wünscht Ihnen

Volker Macke · Redaktionsleiter

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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DGB fordert Wohnungsbaugesellschaft

Foto: V. Macke

Hannover. Der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB hat die Neugründung einer Landeswohnungsbaugesellschaft ge­ fordert. Denn der privatwirtschaftliche Wohnungsbau allein löse die drastischen Probleme am Wohnungsmarkt nicht. Die DGB-Analyse: »Das Land verkaufte vor 13 Jahren seinen kom­ pletten Bestand von 30.000 Wohnungen an einen privaten In­ vestor. Seitdem ist das Land kein eigenständiger Akteur mehr auf dem Wohnungsmarkt und schiebt die Verantwortung in Richtung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Aber auch der Anteil von kommunalen Wohnungen ist in Nieder­ sachsen – auch im Bundesvergleich – viel zu gering«. Tatsäch­ lich liegen die Angebotsmieten in den Ballungsräumen bei rund neun Euro pro Quadratmeter; in den Großstädten Niedersach­ sens fehlen 110.000 bezahlbare Wohnungen. »Die verfehlte Wohnungspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte hat zu massi­ ven Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt geführt: Wohnun­ gen fehlen, Mieten steigen«, kritisierte DGB-Chef Mehrdad Pay­ andeh. Daher müsse das Land eine neue Baugesellschaft mit einem Investitionsvolumen von 7,3 Milliarden Euro gründen, um in den nächsten zehn Jahren 40.000 landeseigene Wohnun­ gen ohne zeitlich begrenzte Mietpreisbindung zu bauen. MAC

Hannover hilft – gegen die Kälte

2018 besaßen 96,8 % der niedersächsi­schen

ZAHLENSPIEGEL »MOBIL ONLINE«

Hannover. Immer mehr Obdachlose in Hannover, Minusgrade und ein erster Kältetoter. Der langjährig obdachlose Hannoveraner Tommi war Ende Januar mit massiven Erfrierungssymptomen am zentralen Kröpcke aufgefunden worden und einen Tag später im Krankenhaus gestorben. Tommi wurde 54 Jahre alt. Die Nachricht vom Tod des Obdachlosen hat nun eine Welle der Hilfsbereitschaft bei Hannove­ ranern ausgelöst. Die Zivilgesellschaft spendete bei einer Sammelaktion der Hannoverschen Initiative obdachloser Bürger (H.I.o.B.), teils nagelneue De­ cken, Isomatten, Schlafsäcke, Kleidung und viele andere nützliche Überlebenshilfen für kalte Nächte auf der Straße. Am Ende waren es mehrere Garagen voll. »Das war Wahnsinn, wir sind begeistert, das hat alle Erwartungen übertroffen«, sagte H.I.o.B.-Chef Alfred Bulmahn (im Bild 2. v. l.). Der Hintergrund: Rund 400 bis 500 Menschen übernachten täglich in der Landeshauptstadt unter Brücken, in Hausein­ gängen und Tiefgaragen, rund 1.200 weitere schlafen in städtischen Unterkünften und Notschlafstellen, weitere rund 2.500 Menschen leben wohnungslos in Wohnheimen, bei Verwandten oder Freunden. Und jährlich steigt die Rate um rund zehn Prozent. Nach Auskunft der Stadt seien dennoch ausreichend Not­ schlafstellen vorhanden. Einige Obdachlose aber meiden die Unterkünfte, weil diese zum Teil baulich menschenunwürdig und zum anderen oft schwer zu erreichen seien. MAC

Haushalte ein Mobiltelefon. Laut Landesamt für Statistik waren dies 10,0 Prozentpunkte mehr als 2008 (86,8 %). 80,3 % haben sogar ein Smartphone. Bei einem monatlichen Haushaltsnetto von 900 bis 1.300 Euro lag der Ausstattungsgrad bei 65,5 %. Bei 3.600 bis 5.000 Euro gab es in 94,4 % der Haushalte mindestens ein Smartphone. 2008 hatten nur 32,1 % ein Laptop oder Tablet, 2018 waren es 82,7 %. Der Anteil stationärer PCs sank von 65,4 % (2008) auf 47,6 %. Ein

G5-Netz in Niedersachsen bräuchte über 100 % mehr Sendemasten als heute.


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Foto: Archiv

Grüne wollen Schülerticket Hannover. Mehr Mobilität, mehr Sicher­ heit, mehr umweltbewusstes Fahren: die Grünen im Landtag Niedersachsen haben die Einführung eines landeswei­ ten Schülertickets für die Nutzung von Bussen und Bahnen gefordert. Für pro Tag einen Euro, also 365 Euro pro Jahr. Das Ticket soll analog zur bereits 2017 in Hessen eingeführten Regelung das gan­ ze Jahr lang sichere Mobilität auf dem Weg zur Schule, zur Ausbildung, zum FSJ-Einsatzbetrieb und in der Freizeit ermöglichen. Der Erwerb soll freigestellt bleiben. Der Erfolg in Hessen – dort ha­ ben von 840.000 Anspruchsberechtigten bereits 400.000 das Ticket erworben – las­ se aber vermuten, dass ein solches Ticket mit jährlich rund 20 Millionen Euro be­ zuschusst werden müsste. Ein entspre­ chender Antrag wurde Ende Januar in den Landtag eingebracht. MAC

Bald Bürgerbeschwerden? Hannover. Eine individuelle Möglichkeit zur Verfassungsbeschwerde für jeden Niedersachsen hat der neue Präsident des Staatsgerichtshofs, Thomas Smollich, gefordert. Er beobachte einen merkli­ chen Vertrauensverlust der Bürger in ihre staatlichen Institutionen. Die Einführung einer individuellen Beschwerde vor dem höchsten Gericht des Landes könne zu mehr Vertrauen beitragen. Bisher können Bürger dort nicht klagen, wenn sie sich in ihren Grundrechten verletzt fühlen. Das Gericht dient bisher vor allem für Klagen von Oppositionsparteien, wenn diese sich von einer Mehrheit im Land­ tag ungerecht behandelt fühlen. Zuletzt scheiterte die AfD mit einer Beschwer­ de, mit der sie einen Sitz im Stiftungsrat der Gedenkstätten durchsetzen wollte. Der 55-jährige Jurist Smollich war Ende Januar im Landtag einstimmig in das Ehrenamt gewählt worden. MAC

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Vor 25 Jahren – Wie alles begann

POLITISCHE KONTAKTE

25 JAHR

Die Obdachlosen sind zahlreich in Hannover im Februar 1994. In der Passerelle, im Fernroder Tunnel, hinter der Oper … Gerade erst hatte die Hannoversche Initiative obdachloser Bürger (H.I.o.B.) auf öffentlichen Plätzen die Passerellenballade aufgeführt, Aktionstheater im öffentlichen Raum vor einem riesigen Triptychon mit Bildern von Rolf Höpfner, Anführer der Selbsthilfe obdachloser Menschen damals. Das Thema ist ernst, Drogentote und Obdachlosigkeit sind allgegenwärtig. Vertreibung auch. Mit denen reden, die sich auskennen, die betroffen sind, das kann hilfreich sein. Ahnt man in der Politik. Und so sind drei (teils ehemals) Wohnungslose zum großen Empfang in Hannovers Rathaus eingeladen. Sie heben sich äußerlich ab von den vielen Damen und Herren in feiner Webware und blanken Schuhen, wie sich später H.I.o.B.-Mann Jürgen Grünwald mit Augenzwinkern erinnert. Berberstolz! Hannovers Sozialdezernent Dr. Konrad Deufel feiert da im Rathaus mit vielen Gästen seinen Abschied, um als Oberstadtdirektor nach Hildesheim zu gehen. Nun also sind Powser, Höpfner und Grünwald da, wo sonst über sie und tausend andere entschieden wird. Und finden sich als begehrte Gesprächspartner von Oberstadtdirektor Jobst Fiedler (»Der Mann mit dem Rotstift«, Grünberg), von Bezirksbürgermeisterin Ellen Runge, von OB Herbert Schmalstieg und – vom damaligen Diakoniechef Walter Lampe wieder … Fortsetzung in Asphalt 03/18

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Lange sah es so aus, als würden die Grünen bald CDU und SPD als einzige Volkspartei beerben können. Doch nun bahnt sich eine spektakuläre Wende an! Wir wunderten uns doch alle: Großprojekte in Deutschland dauern entweder unendlich lange (BER) oder sie werden unendlich teuer (Elbphilharmonie, Gorch Fock). Regierungsflugzeuge mit Kanzlerin (Merkel) oder Minister (Müller) heben nicht mehr ab, auch die Bundeswehr liegt am Boden. Zufall? Unmöglich. Sie lachen? Denken Sie an Hartmut (»Kahlschlag«) Mehdorn. Der hat die Heidel­berger Druckmaschinen in Existenznot gebracht, danach die Deutsche Bahn kaputtsaniert, Air Berlin in die Pleite getrieben und schließlich das Chaos am legendären Flughafen Berlin-Brandenburg perfekt gemacht. Seither gilt er als deutscher Topmanager! Glasklar: Mit Leuten wie Mehdorn will Schwarz-Rot die Grünen ausbooten. Dafür haben die schwarze Null (Schäuble) und die rote Null (Scholz) die Sparpolitik erfunden. Sparpolitik ist Kaputtpolitik und was kaputt geht, kann auch weg. Seit den Nuller-Jahren liegen die staatlichen Investitionen unter der Kaputtgrenze. So hat die Bahn mehr als 5.000 Kilometer Schienen in Deutsch-

»EIN KOMP(L)OTT«

land abgebaut und die Anlagen verrotten lassen. Nach der Bahn die Luftfahrt, dann die Straßen und die Energie. Am Ende steht die klammheimliche De-Industrialisierung Deutschlands! Da gäbe es auch für die industrielle Landwirtschaft keinen Platz und keine Technik mehr. Die Städte werden wieder zurückgebaut, jeder beackert künftig seine eigene Scholle und Deutschland kann endlich seine Klimaziele erreichen. Und die Grünen? Braucht dann keiner mehr. Aber den Veggie-Day gibt es trotzdem. Sieben Tage die Woche. Ulrich Matthias


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Foto: mediaphotos/iStock

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AM LIMIT Die wachsende Wohnungsmisere bringt auch die Frauenhäuser in Not. Immer öfter müssen diese Schutzsuchende abweisen. Wegen Überfüllung. Mit einem neuen Konzept will die Region Hannover endlich dagegen angehen. Der schwarzblaue Rucksack ist gepackt. Mit dem Allernötigs­ ten. Mit einigen Sachen zum Anziehen, mit ein paar Wasch­ utensilien und mit den wichtigsten Dokumenten. Gut versteckt steht er im Keller. Seit etwa einer Woche schon. »Als ich dann an einem Mittwoch von der Arbeit gekommen bin, bin ich gar nicht erst in die Wohnung hoch. Ich habe meinen Rucksack aus dem Keller geholt und bin geradewegs zu Szenia gegangen«, er­ zählt Steffi* noch immer sichtlich betroffen. In dem Tagestreff für Frauen haben ihr die Mitarbeiterinnen dann die Telefon­

nummer vom Autonomen Frauenhaus in Hannover gegeben. Und Steffi hatte Glück, denn sie hat den letzten freien Platz dort bekommen. In der Region Hannover gibt es derzeit drei Frauenhäuser, in denen Frauen und ihre Kinder Schutz vor Gewalt in der Part­ nerschaft finden. Insgesamt verfügen diese Häuser über 51 Fa­ milienplätze. Doch dieser Platz reicht schon lange nicht mehr aus. »Wir müssen immer öfter Frauen abweisen, die bei uns Schutz suchen, weil wir einfach keinen einzigen freien Platz


Misshandlungen waren Alltag Steffis Flucht in das Frauenhaus wurde notwendig, weil sie von ihrem Lebenspartner misshandelt wur­ de. Angefangen hat es mit psychischen Misshand­ lungen. »Er hat mich vor den Kindern beschimpft und Schlampe genannt. Ich wurde von ihm regel­ recht runter gemacht und musste mich manchmal sogar in die Ecke stellen. Wie ein kleines Kind. Auch Sprüche wie ›Spring doch lieber aus dem Fenster, das würde der Familie guttun‹ habe ich mir anhören müssen«, erzählt die zweifache Mutter den Tränen nahe. Später kam zur psychischen auch noch die körperliche Gewalt hinzu. Schläge auf den Hinter­ kopf und die Arme sowie Tritte an die Schienbeine häuften sich. »Irgendwann waren es einfach zu viele blaue Flecken. Da wusste ich dann, dass ich drin­ gend etwas ändern muss«, verrät die gelernte Sozi­ alassistentin. Mittlerweile lebt die Mitvierzigerin seit mehr als vier Monaten im Frauenhaus. Ihre beiden Jungs hat sie schweren Herzens beim Vater gelassen. »Ich

Die Istanbul-Konvention Das »Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«, auch Istanbul-Konvention genannt, ist am 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten. Es ist das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument im europäischen Raum zum Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Staaten, die die Konvention ratifiziert haben, verpflichten sich, dass alle staatlichen Organe – darunter Gesetzgeber, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden – die Verpflichtungen umsetzen müssen, die sich aus der Konvention ergeben. Artikel 8 der Istanbul-Konvention verpflichtet die Bundesrepublik, die finanziellen Mittel für die Umsetzung von Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bereitzustellen. Die Artikel 22 und 23 verpflichten zur Vorhaltung von Unterstützungsdiensten und Schutzunterkünften. Insgesamt besteht die Istanbul-Konvention aus insgesamt 81 Artikeln. GB

weiß, dass er den Kindern nichts tut. Deshalb war für mich klar, dass es für die Kinder besser ist, wenn ich sie in ihrem gewohn­ ten Umfeld lasse,« begründet Steffi ihre Entscheidung. Wann sie die Schutzzone wieder verlassen wird und ihre Kinder wie­ dersehen wird, steht bisher noch nicht fest. »Ich fühle mich ein­ fach noch zu unsicher, um diesen Schritt jetzt schon zu gehen«, bemerkt die zierliche Frau. Andere Bewohnerinnen hingegen fühlen sich bereits wieder so gefestigt, dass sie das Frauenhaus gern verlassen würden. Doch durch die angespannte Lage auf dem sozialen Wohnungsmarkt bleiben viele von ihnen länger als notwendig im Frauenhaus. »Manchmal sind die Frauen bis zu einem Jahr oder sogar länger bei uns. Dadurch belegen sie wertvolle Plätze, die andere Schutzsuchende zu diesem Zeit­ punkt sicher viel dringender benötigen«, beklagt Rottmüller. Gerade günstige kleinere Wohnungen oder große Wohnungen seien kaum noch kriegen.

Frauenhausplätze mehr als verdoppeln Auf diese chronische Überbelastung der drei Frauenhäuser hat die Region Hannover nun reagiert und ein »Konzept zur Wei­ terentwicklung von Hilfen für von Gewalt betroffene Frauen« erstellt. »Um den Bedarf zu decken, muss die jetzige Anzahl der Plätze mehr als verdoppelt werden«, sagt Regionspräsident Hauke Jagau. Grundlage für diese Berechnung ist die Empfeh­ lung der Istanbul-Konvention, der Deutschland im vergange­ nen Jahr beigetreten ist. Demzufolge wird je 10.000 Einwohner ein Familienplatz in einem Frauenhaus berechnet. »Regions­

Foto: mandygodbehear/iStock

mehr haben. An manchen Tagen sind das bis zu vier Absagen, die wir treffen müssen. Und auch die ande­ ren Frauenhäuser in Hannover sind meist komplett belegt«, erzählt Martina Rottmüller, Mitarbeiterin des Autonomen Frauenhauses Hannover, frustriert.


Neues Konzept zur Entlastung Wichtigstes Ziel ist zunächst, eine Notaufnahme­ stelle für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder – das FrauenHaus.24 – zu errichten. Diese zentrale Anlaufstelle soll 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche geöffnet sein und über etwa 20 Plätze verfü­ gen. In dieser Einrichtung, die dann über eine ein­ heitliche Telefonnummer für alle Frauenhäuser ver­ »Manchmal sind die fügt, können die Gewaltop­ fer zunächst für längstens Frauen bis zu einem vier Tage bleiben. Innerhalb Jahr oder sogar dieser vier Tage wird mit den länger bei uns.« Frauen genau geschaut, ob Martina Rottmüller vom Autosie wirklich einen Frauen­ nomen Frauenhaus Hannover. hausplatz benötigen oder ob auch andere Hilfen möglich sind. »Wir versprechen uns davon, dass diese Not­ aufnahme ein Stückweit zu einer Entlastung der vor­ handenen Frauenhäuser führt«, hofft Hanke. Martina Rottmüller und ihre Kolleginnen begrü­ ßen den Ausbau der Hilfen für von Gewalt betrof­ fene Frauen. Gerade eine Sofortaufnahme wie das FrauenHaus.24 sei längst überfällig. »Jetzt haben wir oft die Situation, dass Frauen nach dem Einzug bei uns merken, dass das gar nicht das Richtige für sie ist. Und das ist nicht gut. Erstens belegen sie so wert­ volle Plätze und zweitens ist es nicht gut, wenn so unnötiger Weise immer mehr Menschen wissen, wo sich die Frauenhäuser befinden.« In einem nächsten Schritt will die Region zu den bereits bestehenden drei Frauenhäusern noch ein weiteres mit etwa 20 Familienplätzen schaffen. Dieses soll dann zwar gesichert, jedoch nicht an­ onym sein. Der Vorteil hierbei ist, dass die Frauen mit ihren Kindern nicht komplett aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden müssen. »So hätten sie die Möglichkeit, weiterhin Kontakt zu Freunden, Schul­ kameraden oder Verwandten zu halten, wären aber vor den Menschen gesichert, die ihnen bislang Ge­ walt zugefügt haben«, begründet die Regionssozial­ dezernentin dieses Vorhaben. Weil viele Bewohnerinnen aber aufgrund der an­ gespannten sozialen Wohnungsmarktlage aus den

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Foto: sturti/iStock

weit bräuchten wir also 117 Familienplätze. Das heißt, dass uns derzeit 66 Plätze fehlen«, resümiert Regionssozialdezernentin Andrea Hanke.

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Nackte Zahlen 147 Frauen sind 2017 durch häusliche Gewalt zu Tode gekommen. Bundesweit wurden etwa 140.000 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Davon 11.600 allein in Niedersachsen. Am häufigsten wurden laut Bundeskriminalamt die Betroffenen Opfer einer »vorsätzlichen einfachen Körperverletzung« (61 %) gefolgt von »Bedrohung, Stalking und Nötigung« (23,3  %) und »gefährlicher schwerer Körperverletzung ohne oder mit Todesfolge« (12,1 %). Die Kriminalstatistik geht jedoch davon aus, dass weitaus mehr Frauen von Gewalt betroffen sind, diese jedoch nicht zur Anzeige bringen. Mit einem Anteil von knapp über 70 Prozent bildeten die deutschen Frauen den weit überwiegenden Anteil unter den erfassten Opfern der Partnerschaftsgewalt. Am zweithäufigsten wurden türkische Staatsangehörige (4,0 %) erfasst, gefolgt von polnischen Staatsangehörigen (3,2 %). GB


Foto: G. Biele

einen geeigneten Partner, beispielsweise einen freien Träger, übergeben. Für die Umsetzung der vier Maßnahmen stellt die Region Hannover für 2019 ein Finanzvolumen von rund einer Million Euro im Haushalt bereit. Ab 2020 gibt es dann für die jeweils fol­ genden Jahre nochmals 1,4 Millionen Euro. Somit ist die Finan­ zierung des Vorhabens gesichert. Nach Möglichkeit soll daher das FrauenHaus.24 und eventuell die Frauenhauserweiterung noch in diesem Jahr starten. »Das einzige Problem, das wir jetzt noch haben, ist die Frage nach einer geeigneten Immobilie, in der wir all das umsetzen können. Wir werden mit Druck den Immobilienmarkt der Landeshauptstadt absuchen«, verspricht Hanke.

Pläne für die Zukunft Thomas Heidorn, Fachbereichsleiter Soziales, Dr. Andrea Hanke, Regionssozialdezernentin, Regionspräsident Hauke Jagau und Petra Mundt, Gleichstellungsbeauftragte der Region Hannover, (v.l.n.r.), stellen das Konzept zum Ausbau der Hilfen für Frauen in Gewaltnotfällen vor.

Frauenhäusern nicht ausziehen können, gibt es in dem Kon­ zept noch einen weiteren Baustein. Zusätzlich zu den beiden neuen Frauenhäusern sollen Wohnungen für das sogenannte sozialpädagogisch betreute Übergangswohnen zur Verfügung gestellt werden. Hier können Frauen, die keinen geschützten Raum mehr benötigen, allerdings weiterhin auf Unterstützung angewiesen sind, weitgehend selbstständig mit einem sozial­ pädagogischen Betreuungsangebot wohnen. Seit Dezember vergangenen Jahres bietet die AWO so ein Übergangswohnen bereits für sieben Frauen und 16 Kinder an. Der Ausbau von weiteren Familienplätzen ist bereits geplant. »Unser Ziel muss am Ende aber sein, dass Frauen mit ih­ ren Kindern möglichst schnell wieder ein eigenständiges Le­ ben führen können«, betont Hanke. Deshalb will die Region außerdem noch eine Art Wohnraumhilfe aufbauen. Hier soll dann ganz gezielt nach Wohnungen für Frauen gesucht wer­ den, die wieder so gefestigt sind, dass sie aus dem Frauenhaus, dem Übergangswohnen oder der Notaufnahmestelle Frauen­ Haus.24 ausziehen könnten. Dieses Projekt will die Region an

Für Steffi wird die Wohnraumhilfe der Region vermutlich zu spät ihren Betrieb aufnehmen. Auch wenn sie sich derzeit noch nicht so gefestigt fühlt, und den Schutzraum wahrscheinlich erst in ein paar Wochen verlassen wird, so hat sie doch schon klare Vorstellungen, wie es nach dem Frauenhaus für sie wei­ tergehen soll: »Ich werde schauen, dass ich eine Eineinhalb- bis Zweizimmer-Wohnung bis 50 Quadratmeter finde. Denn ich wünsche mir, dass meine Kinder dann an den Wochenenden zu mir kommen und auch ihr eigenes Zimmer haben.« Außerdem möchte sie die psychologische Betreuung noch eine Zeitlang in Anspruch nehmen, denn nach wie vor hat die 1,65 Meter klei­ ne Frau Angst vor ihrem Ex-Partner. »Ich habe ihn einmal von Weitem gesehen und sofort Schweißausbrüche bekommen. Dann habe mich so schnell es ging unter dem Tisch versteckt«, verrät sie. Mit dem Entschluss, sich Hilfe und Unterstützung in einem Frauenhaus zu suchen, hat Steffi bereits den ersten und wichtigsten Schritt raus aus der Gewalt getan. »Leider gibt es aber immer noch viel zu viele Frauen, die für sich sagen, dass Gewalt einfach zum Leben dazu gehört. Deshalb finde ich das Projekt von der Politik mit der Notaufnahmestelle für Frauen in Gewaltsituationen eine sehr gute Idee«, betont Steffi. *Name von der Redaktion geändert Grit Biele

Region sucht Haus Um schnellstmöglich mit der Umsetzung des Vorhabens FrauenHaus.24 beginnen zu können, sucht die Region Hannover dringend nach einer geeigneten Immobilie. Jeder, der glaubt, eine passende Immobilie zu besitzen und diese auch zur Verfügung stellen möchte, kann sich gerne per E-Mail an joerg.hellweg@region-hannover oder telefonisch an 0511 – 616224-53 wenden. Die Immobilie sollte möglichst zentrumsnah liegen oder eine gute Verkehrsanbindung haben und Platz für etwa 20 Frauen und Kinder bieten. Außerdem wären eine Barrierefreiheit sowie Spielmöglichkeiten für Kinder im Freien schön, jedoch nicht zwingend. GB


Foto: picture-alliance/Imagno

... HANS MOSER? mer, das er sich mit einem Dutzend Hans Moser schien immer wie anderer Patienten teilte. betrunken. Betrunken von Welt­ Mosers Rolle in der NS-Zeit ist eine schmerz und der Erkenntnis, dass bis heute kontrovers diskutierte. doch irgendwie nichts taugt und das Manche sehen in ihm den unpoliti­ alles ziemlich sicher vor die Hunde schen Schauspieler, andere sagen, gehen wird – und betrunken auch das sei zu der Zeit eben gar nicht von den Wiener Weinen in den Heu­ möglich gewesen. Einen »Überle­ rigen, den Schänken der Stadt. Der bensopportunisten ohne jegliche Ausdruck »mosern« wäre für die ideologische Ausrichtung« nennt das Dauerrolle des großen österreichi­ österreichische Magazin »Profil« den schen Schauspielers Mosers wie er­ bis heute verehrten Schauspieler, die funden, nur: in Wien, da sagt man Filme seien Heile-Welt-Aufrechter­ raunzen. Hans Moser war wohl der haltung voller Walzerseligkeit. Der größte Raunzer der Geschichte. deutsche Filmstar Heinz Rühmann Die Rolle des nuschelnden Kleinbür­ ließ sich 1938 von seiner jüdischen gers mit gutem Herz, des typischen Frau Maria scheiden. Hans Moser Wieners – so sahen es zumindest die wollte das nicht, wollte die 25 Jahre Wiener, und dem Rest schien das auch ganz passend – spielte Moser in Variationen in mehr als dauernde Ehe mit Blanca nicht einfach so enden lassen, um 100 Filmen. Moser mit seinem manchmal kaum zu verstehen­ seine Karriere in Sicherheit zu wissen. Er wandte sich an Propa­ ganda-Minister Goebbels, er schrieb wohl sogar einen Brief an den Dialekt. Und das Nuscheln wurde zum Markenzeichen. Hans Moser wurde 1880 als Johann Julier in Wien geboren. Der Hitler, der diesen aber nie erreichte. Seine Frau Blanca wurde Künstlername war eine Verbeugung vor dem Burgschauspie­ 1939 ausgewiesen, überlebte den Krieg in Budapest und Prag, ler Josef Moser. Der Vater wollte den jungen Johann zu einer diese Kriegszeit, in der Moser 26 Filme drehte. Die Tochter der Mosers war schon vor dem Krieg erst nach Karriere als Kaufmann drängen. Doch der Paris und dann nach Argentinien ausge­ Sohn ging nach der Lehre zur Schauspiel­ Ein Opportunist und wandert. schule in Wien, dann auf Wanderschaft und Raunzer aus Wien Nach Ende des Krieges setzen die Mosers tingelte mit Wanderbühnen und Varietés das gemeinsame Leben in Wien fort, es ist umher. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er langsam bekannter, bestach mit komischen Rollen auf Wie­ die vielleicht glücklichste Zeit des Paares. Auch beruflich, denn ner Kleinkunstbühnen. Seine große Karriere begann spät, mit nach Ende des Krieges war Moser weiter gefragter Schauspieler. 42 erst, als der Tonfilm den Durchbruch fand, in der Rolle ei­ Mit Filmen wie »Hallo Dienstmann« (1952) oder »Herrn Josefs nes kauzigen, liebenswürdig grantelnden Kleinbürgers. Fritz letzte Liebe« (1959) wurde er auch in Deutschland zu einem der Löhner-Beda schrieb ihm den Solo-Einakter »Ich bin der Haus­ Wohnzimmerhelden der jungen Nation. Nach dem Schrecken meister vom Siebenerhaus« auf den Leib. Dann ging es weiter. des Krieges war die Walzerseligkeit zum Zeitgeist geworden. Max Reinhard holte ihn in sein Ensemble. Burgtheater, Salz­ Getrübt wurde das Glück des Paares durch den Streit mit Toch­ burger Festspiele, Shakespeare, erste Filmrollen – Moser stieg ter Grete, die aus Argentinien bat, ihr doch einen Teil des Erbes schon zu Lebzeiten der Eltern auszuzahlen. Blanca weigerte in die Riege der wichtigsten österreichischen Schauspieler auf. Moser war, auch privat, kein Mann fürs Mondäne. Luxus wie sich, Hans Moser wollte sie umstimmen - vergeblich. Als Moser das Leben in der Moser-Villa im Wiener Stadtteil Hietzing 1964 starb, fehlte die Tochter beim Begräbnis mit den unzäh­ schrieb man eher seiner Frau Blanca zu. Und gegen das Bild ligen Besuchern in Wien - die Mutter hatte ihr nicht Bescheid des kleinen Sparspießers wehrte er sich auch nie. So gibt es ei­ gegeben. nige Anekdoten, die die Bescheidenheit Mosers illustrieren. Als Hans Moser starb am 19. Juni 1964, kurz vor seinem 84. Ge­ er sich 1962 in einem Wiener Krankenhaus behandeln lassen burtstag. musste, da wählte Moser, über 80 und längst Millionär, ein Zim­ Gerd Schild

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WER WAR EIGENTLICH …

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KEIN WINTERMÄRCHEN Die Lifte, die Straßen, die Hotels: Alles zerfällt in Kosovos einstigem Vorzeige-­Ski­ gebiet. Weil das Entscheidende bis heute ungeklärt ist: Wem gehört das zerrissene Brezovica? Ein Besuch zehn Jahre nach Kosovos Unabhängigkeitserklärung. Manchmal ist es noch fast wie früher, hier in Brezovica, dem größten Skigebiet Kosovos: Wenn viel Schnee liegt, wenn die Sonne scheint und das Wochenende ansteht, dann kommen die Gäste zu Hunderten angereist, in Bussen aus Prishtina oder Prizren, für fünf Euro pro Person. Sie beleben Skipisten, Res­ taurants und Hotels, und das Weiß auf den Dächern der be­ leuchteten Chalets sorgt abends für eine Kulisse wie in einem Wintermärchen.

Wegen Tagen wie diesen gelten die Lifte und Pisten rund um Brezovica noch heute als die Kronjuwelen Kosovos, mit dem Potenzial, die marode Wirtschaft des jungen Landes in Schwung zu bringen. Das Sar-Planina-Gebirge, das die südli­ che Grenze Kosovos zu Mazedonien bildet, eignet sich perfekt zum Skifahren. Die Hänge sind nicht zu steil und nicht zu fel­ sig. Die Winde, die sich über dem Ort treffen, sorgen für viel Schnee, und weil es ein Schattenhang ist, bleibt er lange liegen,


Obdachlose statt Touristen Die Szenerie rund um die Talstation wird geprägt vom Hotel Molika, einem monströsen Bau aus der sozialistischen Zeit. Statt Touristen finden hier in der Nebensaison Obdachlose einen Platz zum Schlafen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als die dreckigen und rissigen Kachelwände, die zerborstenen Scheiben und den Gestank nach Urin hinzunehmen, der sich über die Jahre im Innern breit gemacht hat. Es gäbe viel zu reparieren hier. Doch gut zehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos dämmert das Skigebiet von Brezovica, einst das zweitgrößte auf dem Balkan und Ersatzort für die Olympischen Spiele 1984 in Sarajevo, in einer Art Wach­ koma vor sich hin. In der Zwischenzeit geht alles kaputt, weil niemand investiert. Damit endlich einmal jemand die Straßen flickt, die Lifte ersetzt, die Hotels aufmöbelt, müsste man sich erst einig sein, wem das hier alles gehört. Denn Serbien hat – wie viele andere Staaten auch – die Republik Kosovo nach wie vor nicht anerkannt und betrachtet das Land als eigene Provinz, das Skigebiet entsprechend als sein Eigentum. Erschwerend kommt hinzu, dass der Skiort in einer serbischen Enklave liegt, die sich größtenteils selbst verwaltet: Die Angestellten der 10.000-Ein­ wohner-Gemeinde Štrpce, zu der Brezovica neben 15 weiteren Dörfern gehört, erhalten wie auch Arbeitslose ihr Geld genau­ so aus dem fernen Belgrad und nicht aus Kosovos Hauptstadt Prishtina. Und den Espresso im Ort bezahlt man nicht in Euro, sondern in serbischen Dinar. Für die Reparatur der Anlagen ist die serbische Staatsfirma zuständig, welche sie einst gebaut hat. Anders gesagt: Das Schicksal des Skiorts wird mehrheitlich von den Mächtigen in Belgrad bestimmt – und die haben kein Inter­ esse daran, Kosovos Wirtschaft auf die Beine zu helfen.

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UNGARN

RUMÄNIEN KROATIEN

12 Belgrad

BOSNIEN UND HERZEGOWINA

13

SERBIEN BULGARIEN

MONTENEGRO

Prishtina

KOSOVO Prizren Brezovica

ALBANIEN MAZEDONIEN

Das Schweigen der Serben Ein Mann namens Frankie wird uns als Ortsführer empfoh­ len. Das sei nicht sein richtiger Name, aber das spiele keine Rolle, eröffnet dieser zur Begrüßung. Außerdem: kein Inter­

Keine Fotos bitte: Ortsführer Frankie weiß viel, redet wenig.

Grafik: Ruslan Olinchuk/fotolia.com

manchmal bis in den Mai. Doch wenn der Schnee schmilzt, zeigt das Skigebiet sein wahres Gesicht. Und das erinnert eher an einen Albtraum als an ein Wintermärchen. Um zu den Anlagen zu kommen, zweigt man unten im Dorf nach links ab und folgt einer acht Kilometer langen, stark an­ steigenden und mit Schlaglöchern gespickten Straße hinauf ins Skigebiet. Oben auf 1.700 Metern zeigt sich ein tristes Bild: Sie­ ben der neun alten Ski- und Sessellifte sind kaputt, die Überres­ te lagern in Form von Schrott und eingestürzten Seilen an den Hängen. Auf grünen Wiesen türmt sich der Abfall.


350 serbische Flüchtlinge leben immer noch in den alten

Als Yrtyt Hasani sein Resort baute, sah es noch gut aus mit den

Hotels von Brezovica.

Plänen für das neue Skigebiet. 3.000 neue Jobs waren geplant.

view, keine Fotos. Frankie ist groß, mit breiten Schultern, graue Bartstoppeln lassen ihn ungepflegt erscheinen. Er trägt einen schwarzen Kapuzenpullover, auf dem vorne und hinten in gro­ ßen weißen Lettern »Security« steht. Frankie hält den Wagen vor einem großen Hotel, in dem zu jugoslawischen Zeiten Skitouristen »Serbien ist Betreiber, unterkamen. Heute wohnen hier Kosovo Eigentümer Serben, die während der Kriege in der Anlagen.« den Neunzigerjahren in die serbi­ Yrtyt Hasani, Hotelier sche Enklave flohen. Rund 900 Ser­ ben waren es nach dem Krieg, 350 von ihnen leben heute noch in den alten Hotels des eigentlich kaum 100 Einwohner zählenden Ortes. Sie hatten damals, wie auch Angehörige anderer ethnischer Minderheiten, aufgrund drohender Repressionen ihre Häuser verlassen müssen. Frankie marschiert durch die Gänge und klopft an die Tü­ ren wie ein Polizist. Öffnet jemand, wechselt er ein paar ernste Worte mit den Bewohnern, das Ganze scheint ihm keinen Spaß zu machen. Den Bewohnern auch nicht, sie schicken uns fort. Nicht nur Frankie, auch andere Serben im Ort wollen nichts sa­ gen, zumindest nicht offiziell. Ihr Schweigen zeigt, wie brisant die politische Lage ist: Kurz zuvor hatten die Präsidenten Ser­ biens und des Kosovos einen Gebietsaustausch vorgeschlagen. Während der hauptsächlich von Serben bewohnte Nordkosovo an Serbien ginge, erhielte der Kosovo die hauptsächlich von Al­ banern bewohnte südserbische Region Presevo. Auf den ersten Blick klingt der Vorschlag gut. Denn wenn Belgrad im Zuge der Einigung Kosovo als Staat anerkennt, würde das für Serbien den Weg in Richtung EU freimachen. Der Kosovo wiederum wäre endlich aus der politischen und wirtschaftlichen Blockade be­ freit, wie sie sich hier im Skigebiet von Brezovica manifestiert. Doch der Grenztausch birgt Gefahren. »Was passiert mit den

Serben im Süden des Kosovo?«, fragt etwa Miodrag Milićević, Direktor der NGO »Aktiv«, die sich für ein besseres Zusammenleben zwischen der albanischen und serbischen Bevölkerung einsetzt. Eine Grenz­ verschiebung entlang ethnischer Linien laufe dem grundsätzlichen Ziel zuwider, welches die internati­ onalen Organisationen im Kosovo seit Jahren verfol­ gen: der Integration von Serben und anderen Min­ derheiten im Land. Serben, die in Enklaven wie eben Brezovica leben, könnten die angestrebte Grenzän­ derung also nur auf eine Art verstehen, so Milićević: »Als Aufforderung, den Kosovo zu verlassen.« Es ist daher naheliegend, dass Frankie und all die anderen Serben in Brezovica den Grenztausch keine gute Idee finden. Offen sagen können sie das jedoch nicht. Denn »ihre« Regierung in Belgrad, deren Einfluss bis in die serbischen Exklaven im Kosovo reicht, duldet keine Opposition. Wer was Falsches sagt, muss wirt­ schaftliche Nachteile befürchten. Die politische Situ­ ation der Serben im Kosovo hat sich verändert, seit der autokratisch regierende Aleksandar Vučić im Mai 2017 serbischer Präsident wurde.

Hoffnung braucht Schmiergeld Vor einigen Jahren schmiedete die Regierung in Prish­tina unter Mithilfe der EU einen Plan: An den Hängen nebenan sollte ein riesiges neues Skigebiet entstehen – an einem Ort, wo die Serben nicht mit­ reden können. 23 neue Lifte, 100 Kilometer Pisten und drei neue Bergdörfer mit 7.000 Betten sollten


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Touristen aus dem Ausland zum günstigen Winterurlaub im Kosovo bewegen. 3.000 neue Jobs, 410 Millionen Euro Baukos­ ten: Es sollte die größte Einzelinvestition im Kosovo seit dem Krieg werden. Der Plan schien zunächst aufzugehen, eine auf Wintertourismus spezialisierte Investorengruppe aus Frank­ reich wollte das Geld aufbringen. Die guten Neuigkeiten spra­ chen sich schnell herum in Brezovica. Während oben auf 1.700 Metern weiterhin alles vor sich hinrostet, hat sich das Dorf 800 Höhenmeter weiter unten in den letzten Jahren in eine einzige große Baustelle verwandelt. Geht man am Dorfausgang berg­ wärts, sieht man, wie auf beiden Seiten der Straße ganze Sied­ lungen mit Holzchalets hochgezogen werden. Vor allem Privat­ leute bauen hier Ferienhäuser, Hotels oder Restaurants – in der Hoffnung, dass schon bald Gäste aus dem Ausland kommen, statt der Wochenendtouristen aus Prishtina oder Prizren, die ihr eigenes Essen mitbringen und kaum mehr ausgeben, als der Skipass kostet. Yrtyt Hasani, 36, ist einer jener privaten Bauherren, die im­ mer noch auf den Wandel hoffen. Vor drei Jahren hat er das Re­ staurant und Hotel »Qafa Resort« eröffnet. Direkt an der Straße gelegen, grenzt es auf seiner Rückseite an Wald und einen Berg­ bach. Auf der geräumigen Terrasse sitzt man mitten in der Na­ tur, die Motoren der Baumaschinen, das Bohren und Hämmern rundherum hört man aber auch hier. Er zeigt auf eine nahe Baumgruppe, in der auch die Umrisse eines Daches zu erken­ nen sind. »Dort drüben hatte Tito früher eine Ferienresidenz«, sagt er. Hasani, der in Portugal studiert hat, an der Universi­ tät Prishtina Marketing-Vorlesungen hält und nebenbei einen Gas- und Ölbetrieb in der Nachbargemeinde führt, hat keine Hemmungen, seine Meinung zu sagen. Als Albaner hat er von den Mächtigen in Belgrad nichts zu befürchten. Für ihn ist klar: »Serbien ist Betreiber, Kosovo Eigentümer der Anlagen.« Was man nun endlich brauche, seien Investitionen, es sei Aufgabe des kosovarischen Staates, dafür die Türen zu öffnen. Damit es aufwärtsgehe mit dem Skigebiet, brauche es aber nicht nur Geld, sondern auch eine andere Kultur: »Wir müssen um sechs Uhr aufstehen und arbeiten.« Als Hasani 2015 hier baute, sah es noch gut aus mit den Plä­ nen für das neue Skigebiet. Doch mittlerweile sind die desig­ nierten Investoren aus Frankreich wieder abgesprungen – sie erhielten für ihre Pläne keine Bankgarantie. Gut möglich, dass es nicht allein die politischen Unsicherheiten waren, die dem Vorhaben im Weg standen. Denn es gibt ein weiteres großes Problem, welches die kosovarische Wirtschaft lähmt: die Kor­ ruption. Jede Baugenehmigung kostet ein kleines Extra. Von je 10.000 Euro ist die Rede. Der alte Glanz lässt auf sich warten, im Kleinen wie im Gro­ ßen. Serbiens Präsident Vučić hat sich jüngst aus den Gesprä­ chen mit seinen kosovarischen Amtskollegen Hashim Thaçi zurückgezogen. Der Gebietstausch und die erhoffte Lösung der

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Ski ohne Kundschaft im bis zu 2.500 Meter hohen Skigebiet.

politischen Blockade sind vertagt. Zumindest einen positiven Effekt aber hatten die Bemühungen um das Skigebiet von Bre­ zovica in den letzten Jahren: Gemäß Hotelbesitzer Hasani sind es nämlich »zu 95 Prozent« Kosovo-Albaner, die in der Gegend bauen. Das hat zur Folge, dass die einst praktisch nur von Ser­ ben bewohnte Enklave durchmischt wird, zumindest während der Saison. Das bietet für Serben und Albaner eine Chance, nicht nur nebeneinander, sondern auch wieder miteinander zu leben – so wie früher, in goldenen jugoslawischen Zeiten. Text: Andreas Eberhard/Fotos: Marco Frauchiger


Konflikte um Zuwanderung als Zeichen gelingender Integration zu sehen, fordert der Soziologe Aladin El-Mafaalani in seinem neuen Buch ÂťDas IntegrationsparadoxÂŤ. Gerade die Erfolge der offenen Gesellschaft mobilisierten ihre Gegner. Ein Interview.

INTEGRATION STRENGT AN


»Integration« bedeutet übersetzt, dass jemand oder eine be­ stimmte Gruppe ein Teil des Ganzen wird. Nimmt man den Begriff ernst, heißt es, dass die kleinere Gruppe sich bewegen muss – und damit ändert sich das große Ganze. Und dieser zweite Teil ist schwierig zu verstehen und mühsam. Wenn die Menschen diese Anpassungsprozesse vollziehen, dann verän­ dern sie das Land mehr als wenn sie sie nicht vollziehen. Es ist nicht eine Maschine, an der man eine Schraube wechselt, son­ dern es wird angebaut, die Maschine selbst ändert sich.

Was hat sich denn bereits geändert? Das schönste Beispiel für mich ist, wie der öffentliche Raum genutzt wird. Dass man heute auf Grünflächen seine Freizeit verbringt und zum Grillen zusammenkommt, ist nicht auf die neue Freiheit der sogenannten 68er zurückführen, zumindest nicht hauptsächlich, sondern hat mit den Gastarbeitern zu tun. Sie haben damals angefangen und die Deutschen haben sich dazugesellt auf den Grünflächen, wo eigentlich »Betreten ver­ boten«-Schilder standen und diese Entspanntheit ebenso zu schätzen gewusst. Dadurch ist dieses Verhalten »deutsch« ge­ worden. Das ist ein Beispiel, man könnte weitere aufzählen: die Art, wie man sich begrüßt, wie man feiert, was und wie man isst, der ganze Alltag.

Sie schreiben, die »Wir sind kein Einwanderungsland«-Verweigerung habe den gleichen Effekt wie eine unkritische »Multikulti«-Position. Was meinen Sie damit? Das Entscheidende ist: Sieht man ein, dass Integration, eine Einwanderungsgesellschaft und eine offene Gesellschaft zu sein, unglaublich anstrengend ist? Zu sagen, »Wir sind keine Einwanderungsgesellschaft, man muss nichts tun«, ist auf der Handlungsebene dasselbe wie zu sagen »Vielleicht sind wir’s, aber das ist einfach toll«. Beide Seiten gehen von den gleichen Annahmen aus: Wir müssen nichts tun, wir werden uns nicht verändern und wenn alle sich Mühe geben, ist alles harmo­ nisch. Ich würde sagen, diese drei Annahmen stimmen nicht.

Man streitet sich nur mit Leuten, mit denen man am Tisch sitzt? Ja. Die erste Generation begnügt sich mit dem Katzentisch. Ihre Kinder sprechen deutsch und sind hier geboren, sie wol­ len ein Stück vom Kuchen. Die dritte Generation möchte mit­ bestellen und über die Tischregeln diskutieren – so wie alle anderen auch. Mehr Integration bedeutet mehr Teilhabe und damit mehr Konflikt – und das Land verändert sich. Die Frage »Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht?« etwa erzeugt erst Konflikte, seit sie gestellt wird. Je besser Muslime integriert sind, desto eher wollen sie, dass sie und ihre Religion ein Teil des Landes sind. Vor 20 Jahren wäre es verrückt gewesen, die

Frage zu stellen. Muslime und Nichtmuslime hätten relativ einheitlich mit nein geantwortet. Heute ant­ worten etwa die Hälfte der Muslime und die Hälfte der Nichtmuslime in Deutschland mit Ja. Also gibt es Streit um Zugehörigkeiten, aber die Spaltung ver­ läuft nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, sondern zwischen denen, die dafür sind und denen dagegen.

Sie sagen sogar, es wird mehr über Diskriminierungserfahrungen gesprochen, weil es immer weniger gibt. Das ist ja nur eine der Paradoxien von Integration: Wenn Ungleichbehandlung als Diskriminierung erlebt und thematisiert wird, ist Integration schon weit fortgeschritten. Wenn ein enorm wachsender Teil der Menschen mehr Teilha­ be erlebt, entsteht ein Bewusst­ »Es gibt keine sein, das empirische Gleichbe­ widerspruchsrechtigung erwartet. Die erste freien Lösungen.« Einwanderergeneration hatte Aladin El-Mafaalani keinen Anspruch auf volle Zu­ gehörigkeit. Ihre besser inte­ grierten Kinder werden besser behandelt, Diskri­ minierung nimmt aber nicht so schnell ab, wie die Erwartungen an Zugehörigkeit und gleiche Teilhabe steigen. So nehmen in der dritten Generation auch deshalb die Konflikte zu, weil mehr Diskriminierung erfahren wird. Sie kann man als Differenz zwischen Erwartungen und Realität beschreiben.

Die Konflikte um Integration erleben jedoch viele als zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Es geht bergauf und jeder, der schon mal bergstei­ gen war, weiß: das ist anstrengend – und die letz­ ten hundert Meter sind die anstrengendsten. Man weiß nicht, wie weit der Gipfel ist und ob nicht noch ein höherer folgt. Für einige ist das zu viel und sie wollen zurück ins Tal. Andere wollen lange Pausen machen und das Ganze langsamer angehen. Das ist ganz normal. Wenn es den Anschein macht, als wäre unsere Gesellschaft gespalten, dann ist sie es im Hinblick auf Haltungen, denn mit Blick auf die gesellschaftliche Realität war sie noch nie so wenig gespalten wie heute.

Zurzeit macht es den Eindruck, als wollte eine wachsende Zahl Menschen den Weg bergauf nicht mehr mitgehen.

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Herr El-Mafaalani, was ist eigentlich Integration?

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Es gibt eindeutig Menschen, Milieus, Ideologien, die damit nie klar kamen und nicht klar kommen werden. Die Gegenbewe­ gung wächst im Augenblick überproportional, weil wir eine völlig verschobene, abseitige Diskussion über den Zustand un­

serer Gesellschaft haben. So wächst der Anteil an Menschen, die nicht sicher sind, ob die offene Gesellschaft das Richtige ist. Es ist der Grad an Offenheit, das Ausmaß der Teilhabechancen, der Erfolg, der die Gegner mobilisiert. Objektiv betrachtet gab es aus soziologischer und historischer Sicht bisher keine bes­ sere Situation in Deutschland als die jetzige. In praktisch allen gesellschaftlichen Bereichen ist Deutschland so frei, so demo­ kratisch, so offen für Teilhabe wie nie zuvor.

Wer sind denn die Gegner der offenen Gesellschaft?

Die Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern der offenen Gesell­ schaft verlaufe nicht zwischen Migranten und Nichtmigranten. Sie verlaufe durch die ganze Gesellschaft, auch durch alle Parteien, sagt der Soziologe Aladin El-Mafaalani.

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Es gibt zwei in Europa entwickelte Ideologien, die miteinander zusammenhängen: Nationalismus und Rassismus. Aus ihnen speist sich die Anfälligkeit für Schließungstendenzen. Hinzu kommt eine weitere große Schließungsbewegung: der funda­ mentalistische Islam. Er ist heterogen so wie auch die anderen Schließungsbewegungen. Nationalisten, Populisten und Isla­ misten würden es in einem Raum nicht miteinander aushalten, arbeiten aber an dem gleichen Projekt gegen die offene Gesell­ schaft. In dieser gibt es keine widerspruchsfreien Lösungen, die Schließungsbewegungen bieten aber genau das an. Wie im Rassismus und Nationalismus gibt es eine im Islam vorhan­ dene Anfälligkeit, sich überlegen zu fühlen, die sich aus dem Glauben an die letzte, die vollkommene Überlieferung speist. Statt Überlegenheit erleben viele Muslime ihre Lebenssituation als prekär, ausgegrenzt, benachteiligt, und tendenziell stimmt das auch. Darauf gibt es zwei Reaktionen: Zweifel und in der Konsequenz die Abwendung von der Religion und andererseits die Erklärung: »Die Botschaft Gottes ist wahr, wir glauben nur nicht streng genug daran, wir sind benachteiligt, weil wir Gottes Wort nicht ernst genug nehmen.« Und dazwischen versuchen die meisten Muslime irgendwie zurechtzukommen. Eine ganz schwierige Situation. Aber sehr vergleichbar mit der Situation der Nichtmuslime: Wir haben Extreme und eine Mehrheit, die dazwischenliegt.

Was ist zu tun?

Beratung sofort nach Beitritt! Jetzt Mitglied werden! Kompetente Hilfe bei allen Fragen zum Mietrecht. Herrenstraße 14 · 30159 Hannover Telefon: 0511–12106-0 Internet: www.dmb-hannover.de E-Mail: info@dmb-hannover.de Außenstellen: Nienburg, Soltau, Hoya, Celle, Neustadt, Springe und Obernkirchen.

Wir müssen kritischer gegenüber der Geschichte sein. Und wir müssen gesamtgesellschaftlich das Bewusstsein schärfen, dass die Konflikte, die wir am intensivsten diskutieren, Folge posi­ tiver Entwicklungen und ein gutes Zeichen sind. Solange das nicht stattfindet, ist Verunsicherung und die Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit nachvollziehbar. Die gab es aber nie. Die Herausforderungen der Zukunft sind so groß, dass wir uns ihnen endlich zuwenden sollten. Statt einer Leitkultur brauchen wir eine Streitkultur, mit der wir die Modalitäten unseres Zusammenlebens aushandeln. Denn die offene Gesellschaft ist nur die Arena, spielen müssen wir selbst. Interview: Bastian Pütter/Fotos: Wilfried Gerharz Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von bodo/INSP.ngo


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HILFE FÜR OBDACHLOSE Auch in diesem Jahr sterben Menschen auf der Straße an der Kälte. Die Politik bekommt das Problem Obdachlosigkeit nicht in den Griff. Hilfe kommt aus der Zivilgesellschaft. Ein Schlaglicht auf die unverzichtbare Arbeit Ehrenamtlicher. Sonntagmorgen in Hannover. Tommi rührt sich nicht mehr. Der 54-jährige Obdachlose, der seit Jahren in Hannover »Platte macht«, hat auch diese Nacht auf der Straße verbracht. Es war diese eine Nacht zu viel. Bis zum Morgen sanken die Tempera­ turen unter den Gefrierpunkt. Die Hilfe kam, aber sie konnte nichts mehr ausrichten. Am Montag starb Tommi an der Un­ terkühlung. Tommi hätte nicht sterben müssen. Doch die Politik geht die Obdachlosigkeit nur zögerlich an. Soziale Einrichtungen versorgen daher die Menschen auf der Straße mit dem Notwen­ digsten. Und es sind vielfach Ehrenamtliche, die in ihrer Frei­ zeit Essen kochen, Kleider und Schlafsäcke sammeln und alles an Notleidende verteilen. Vor allem jetzt, in der Zeit der Kälte. Dienstag, 17 Uhr. Vor dem Kontaktladen Mecki in der dunk­ len Unterführung am Ende des Raschplatzes ist reger Betrieb, obwohl die Einrichtung nur in den frühen Morgenstunden ge­

öffnet hat. Doch jetzt ist die Zeit des Bollerwagen-Cafés. Jeden Dienstag versorgen Sandra Lücke und ihre Mitstreitenden 80 bis 120 notleidende Menschen mit einer warmen Mahlzeit und Kleidern. Seit vier Jahren ist das Bollerwagen-Café eine feste Institution in der Hilfe für Obdachlose, allerdings auf rein eh­ renamtlicher Basis. »Die im Dunkeln sieht man nicht«, heißt es in Brechts Drei­ groschenoper. Auf die Obdachlosen trifft das nicht zu, sehr wohl aber auf das Problem. Die Bundesregierung hat sich nun immerhin bereit erklärt, Vorarbeiten für eine bundesweite Er­ fassung Wohnungsloser auf den Weg zu bringen. Bis die Statis­ tik steht, bleiben wir auf Schätzungen angewiesen. So rechnet die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) für 2016 mit einer halben Million wohnungsloser Menschen (ohne Flüchtlinge), davon rund 52.000 Obdachlose, in Deutsch­ land. Dabei gehen Hilfsorganisationen wie auch die BAGW von


Foto: G. Biele

Foto: Bettina Martin/JUH

Foto: U. Matthias

Cord Kelle vom Langenhage-

Auch beim Kältebus der Johanniter ist die ehrenamtliche Hilfe

Sandra Lücke ist mit ihrem Bollerwagen-­Café

ner Jägerhof kocht schon im

unverzichtbar.

seit 2015 eine Institution in der Hilfe für

neunten Jahr für Obdachlose.

seither weiter steigenden Zahlen aus. Einen immer größeren Anteil stellen die EU-Bürger aus Osteuropa dar. Sie fallen durch die Lücken, die man extra für sie im sozialen Netz offengelassen hat. Um keine An­ reize zu schaffen, nimmt die Politik das wachsende Elend in Kauf. Das Problem ist seit Jahren bekannt, eine Lösung nicht in Sicht. Mittwoch, 7 Uhr. In einem Hotelrestaurant in Krähenwinkel ist zwei Tage in der Woche (auch donnerstags) früher als sonst Betrieb. Cord Kelle, der Koch und Inhaber des Jägerhofes, bereitet Mahl­ zeiten für die ökumenische »Durch die Arbeit Essensausgabe in Hanno­ bei uns erhalten Obver zu. Diesen ehrenamt­ dachlose Wertschätlichen Einsatz leistet er zung, die sie sonst seit 2013 zusammen mit seinem ehemaligen Kol­ nicht bekommen.« legen Dick van Beuzekom Mario Cordes im selbstgegründeten Ver­ ein Kochen für Obdach­ lose (KfO). Rund 9.000 Essen pro Jahr kommen so Menschen zugute, die wenig oder fast nichts haben. Begonnen hatte alles schon mit einer privaten Ini­ tiative im Winter 2011/12. »Für mich ist das immer noch eine Herzensangelegenheit«, sagt Kelle. Über sein Unterstützernetzwerk sammelt der Langenha­ gener Koch auch Kleider und zu Weihnachten auch Geschenkpakete für Obdachlose. Mehr als 400 Päck­ chen kamen diesmal zusammen.

Obdachlose.

Mittwoch, 13 Uhr. Cord Kelle hat seine Portionen bereits ab­ geliefert. Längst hat sich vor der ökumenischen Essenausgabe schon eine lange Schlange gebildet. Die Veranstalter rechnen mit durchschnittlich 190 Mittagessen pro Tag, die in diesem Jahr über den Tresen bei der Heilsarmee wandern werden. Das sind insgesamt rund 16.000 Mahlzeiten in der Saison. Ausge­ geben werden sie ebenfalls von ehrenamtlichen Mitarbeitern aus dem Umfeld der Heilsarmee oder der beteiligten Kirchen­ gemeinden, wie Leutnantin Christine Tursi berichtet. Geöffnet hat die ökumenische Essensausgabe vom 1. Dezember 2018 bis zum 16. März 2019, jeweils montags bis samstags von 11 bis 13 Uhr bei der Heilsarmee, Am Marstall 25. Zur Essenausgabe am Marstall kommen nicht nur Woh­ nungslose, sondern auch viele andere Menschen, die der Hilfe bedürfen. Darunter Geringverdiener und Senioren mit kleiner Rente, die bei den steigenden Mieten kaum über die Runden kommen und sich so wenigstens eine warme Mahlzeit gönnen dürfen. Die Armut ist größer, als die Statistiken vermuten las­ sen. Donnerstag, 9 Uhr. In der Küche der Johann-Jobst-Wagener­ schen Stiftung an der Glocksee wird fleißig geschnippelt und ge­ schält. Asphalt-Verkäufer Mario Cordes und seine Mitstreiten­ den von der Obdachlosenhilfe Hannover e.V. bereiten rund 200 Portionen Bratkartoffeln zu. Der Verein ist eine Neugründung, viele Mitglieder, wie auch Cordes, kennen Wohnungslosigkeit aus eigener Erfahrung, manche von ihnen leben auch gegen­ wärtig in Wohnheimen, mindestens ein Mitstreiter ist derzeit obdachlos. Alle arbeiten ehrenamtlich, ohne Lohn. »Durch die Arbeit bei uns erhalten sie Wertschätzung, die bekommen sie auf der Straße sonst nicht«, sagt Cordes.


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Foto: U. Matthias

Foto: U. Matthias

Foto: U. Matthias

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Der obdachlose Patrick freut sich über

Mario Cordes und Rebecca Flügel von der Obdachlosenhilfe

Warme Kleider von der Missglückten

ein Hot Dog.

Hannover e.V. bereiten Bratkartoffeln für die Ausgabe am

Welt. Es sind mehr Helfer unterwegs,

Andreas-Hermes-Platz zu.

als viele denken.

Donnerstag, 16 Uhr. Auf dem Andreas-Hermes-Platz herrscht reger Andrang. Montag bis Samstag werden hier von verschiedenen Initiativen warme Mahlzeiten und Kleider ver­ teilt, das hat sich in der Szene natürlich herumgesprochen. Den Donnerstag bestreitet die Obdachlosenhilfe Hannover. Cordes ist gelernter Maurer, hat sich das Kochen selbst beigebracht. Hier auf dem Platz kommen die Bratkartoffeln jedenfalls gut an. In Hannover gibt es schätzungsweise 4.000 bis 5.000 Woh­ nungslose. Die meisten können vorübergehend irgendwo un­ terkommen, sei es bei Freunden oder in einem Wohnheim. Die städtischen Obdachlosenunterkünfte sind derzeit (Stand 31.12.2018) mit 1.246 Menschen belegt. Für alle reicht das An­ gebot nicht. Rund ein Zehntel der Wohnungslosen lebt dauer­ haft auf der Straße, und deren Zahl steigt. Für sie hält die Stadt einige Notschlafplätze bereit. Dazu zählen die Wörthstr. 10 (36 Plätze für Männer), der Vinnhorster Weg 73A (zehn Plätze für Frauen), die Langensalzastr. 17 (neun Plätze für Frauen mit Kindern) und der Alte Flughafen mit 150 Plätzen für alle Per­ sonengruppen. Das Problem: der Alte Flughafen ist schlecht zu erreichen und tagsüber (derzeit von 9 bis 17 Uhr) müssen die Notschlafplätze geräumt werden. Freitag, 18 Uhr. Der Kältebus der Johanniter macht seine Runde. Seit 2007 ist die Organisation in der kalten Jahreszeit mit einem Einsatzwagen unterwegs und versorgt Obdachlose mit warmem Essen, Schlafsäcken und Winterkleidung. Das An­ gebot wird weitgehend von der Stadt finanziert, gekocht wird allerdings auch hier ehrenamtlich. Die Einsatztage sind Mon­ tag, Mittwoch und Freitag in der Zeit von 18 bis 21 Uhr. Der Bus hält zunächst am Raschplatz und fährt dann weiter zum Kröp­ cke. Liegen die Temperaturen dauerhaft bei null Grad oder da­

runter, startet der Bus auch täglich. Die Ehrenamtlichen sind ausgebildete Sanitätshelfer und können kleinere Wunden und Verletzungen behandeln. Neu ist eine zentrale Servicenum­ mer, unter der Bürger Obdachlose melden können. Die Mitar­ beiter des Kältebusses nehmen diese Hinweise auf und bieten den Menschen ihre Hilfe an. Erreichbar ist die Nummer 0800 / 0848488 jeweils an den Einsatztagen in der Zeit von 16 bis 20 Uhr. In diesem Jahr sind erstmals auch die Caritas (Di) und die Malteser (Do) mit Kältebussen unterwegs. Sonnabend, 17 Uhr. An der Glocksee startet Mario Cordes´ Obdachlosenhilfe Hannover ihre Tour durch die Innenstadt. Zwei Bollerwagen sind mit Thermobehältern beladen. »Norma­ lerweise teilen wir uns in zwei Gruppen auf und klappern auch die Brücken ab«, sagt Cordes. Diesmal reicht die Teilnehmerzahl nur für die Tour über Steintor zum Bahnhof und weiter bis zum Opernplatz. Am Bahnhofsausgang gegenüber vom ZOB spricht sich die Ankunft der Obdachlosenhilfe schnell rum. 120 HotDogs können heute verteilt werden, dazu einige Liter Kaffee. Sonnabend, 20 Uhr. In der Passerelle treffen Mario und sei­ ne Mitstreitenden auf eine Gruppe junger Punker, die Kleidung verteilen. »Wir sammeln unsere alten Sachen und Kleider von der Familie. So zweimal im Jahr haben wir genügend beisam­ men, dass es sich lohnt, loszuziehen«. Seinen eigenen Namen mochte der junge Mann nicht verraten, die Gruppe nennt sich »Missglückte Welt Sippschaft«. So sehr auch die Zahl der Obdachlosen noch im Dunkel liegt, gilt das scheinbar auch für die Helfer: es gibt mehr von ihnen, als zu erwarten war. Das macht Hoffnung, aber Obdach­ losigkeit bleibt dennoch, was sie schon immer war: ein Skandal. Ulrich Matthias


AUS DER SZENE

ZUHAUSE SOFORT Housing first, Restrukturierung second: Wohnungen für Obdachlose, direkt und mit nur minimaler Bürokratie für die Betroffenen. Das will die neue Stiftung »Ein Zuhause« realisieren. Und lädt zur Diskussionsrunde »Wohnen für alle« ein.

Grafik: MOSAIK architekten bda

Der Rats-Auftrag: Ein Konzept für ein Pilotprojekt zur ganz normalen mietrechtlichen Unterbringung von heute noch ob­ dachlosen Menschen. Von der Straße weg, ohne Eignungsprü­ fung, ohne Bürokratie, mit viel ambulanter sozialarbeiterischer Unterstützung. »Housing First« heißt dieser aus den USA im­ portierte Hilfeansatz. Pilotprojekt, das bedeutet: Es geht nicht um baldige Hilfe für die gut 1.500 Obdachlosen in Hannover. Es geht um einen Test, ob ein Paradigmenwechsel in der Betreu­ ung obdachloser Menschen machbar und sinnvoll ist. Denn in der Fachwelt ist längst unumstritten, dass in Hannover die derzeitige Situation der Menschen zwischen Straße, Tagestreffs und teils maroder nächtlicher Unterkunft nicht mehr akzepta­ bel ist. Ideal-Ziel: alle Leute von der Straße holen. Nichts we­ niger. Ein Jahr lang hatte die Stadtverwaltung nun gebraucht, bis sie im vergangenen Dezember den Ratspolitikern eine fünfseiti­ ge Antwort auf die Forderung des SPD/Grüne/FDP-Bündnisses vorstellen konnte. Nüchternes Ergebnis: Die Landeshauptstadt hat offenbar weder geeignete Immobilien, noch finanzielle Mit­ tel für die dann notwendige sozialarbeiterische Basisunterstüt­ zung der Obdachlosen. »Maximal enttäuschend« findet das Ka­ trin Langensiepen, sozialpolitische Sprecherin der Grünen im

Der Entwurf für die neue Obdachlosenwohnung der Stiftung.

Rat, die für den damaligen Rats-Beschluss als feder­ führend gilt. »Es kann doch nicht sein, dass man bei der Stadt ein Jahr braucht, und dann so gar nichts Konkretes vorweisen kann.« Eine neue Stiftung unter Beteiligung namhaf­ ter Wohnungsloseneinrichtungen wie die Sozia­ le Wohnraumhilfe (SWH) und Werkheim will das Unkonkrete nun füllen. Die Stiftung »Ein Zuhau­ se« will das von der Politik angemahnte Pilotpro­ jekt baldmöglichst auf den Weg bringen: Ein Haus mit 15 kleinen Einzimmerwohnungen bauen. »Wir verhandeln aktuell um geeignete Baugrundstücke mit Stadt und Kirche«, so Stiftungssprecher Eckart Güldenberg. »Denn manchmal kann die Zivilge­ sellschaft einfacher und direkter neue Projekte an­ gehen«, erläutert der ehemalige Stadtplanungspro­ fessor seinen Sprung in die politische Bresche. Noch in diesem Jahr soll der Bau des Obdachlosenhauses beginnen. Ein fertiger Projektvorschlag existiert bereits. Zwei Millionen Euro werden als Baukosten veranschlagt, 200.000 davon muss die noch junge Stiftung als Eigenmittel zusammenbringen. Das ist laut Güldenberg noch nicht erreicht. »Den Rest der Kosten können wir über ganz normale Landesför­ dermittel realisieren.« Nach dem Einzug beginnt dann der zweite, kei­ neswegs unwichtigere Teil von »Housing First«: die sozialarbeiterische und suchttherapeutische Arbeit mit den Bewohnern vor Ort. Die intensive Betreu­ ung ist teurer als bei der bisher in Hannover bereits existenten SWH, die aktuell rund 70 Wohnungen für Wohnungslose verwaltet. »Mindestens eine Perso­ nalstelle pro 15 Bewohner muss man schon haben«, so SWH-Chef Jürgen Schabram. »Gleichwohl, wir sind sicher, dass wir für die Stadt damit günstiger sein werden als die bisherige Unterbringung«, er­ gänzt Güldenberg. Volker Macke

Die Diskussionsrunde »Wohnen für alle« findet am Mittwoch, 20. Februar, ab 19 Uhr im Pavil­ lon Hannover, Lister Meile 4, statt (siehe auch Seite 36).


»Die kleinen Häuschen sind nicht unproblematisch« lese ich. Gemeint sind die »Hundehütten« (Diakonie) des Vereins Little Home für Obdachlose. Und einige geben ihre Kommentare ab, allerdings keine Betroffenen. Dass ich viele Jahre auf der Straße gelebt habe, wissen die Leserinnen und Leser von Asphalt. Und die können mir glauben, ich hätte mich irrsinnig gefreut, so ein kleines, eigenes Zuhause zu haben, einen Platz, wo ich mich ge­ schützt hätte fühlen können, wo mir kein Mensch auf der Welt hätte etwas tun können und wo ich meine wenigen Habseligkeiten hätte lagern können. Kann sich irgend­ jemand wirklich vorstellen, wie es ist, bei Wind und Regen, bei Schnee und Kälte draußen zu schlafen? Keine Heizung ist in den Häuschen – na und! Kleidung, Schuhe, Decken, alles ist trocken. Und hätte damals so ein Winz­ ling mir gehört, ich hätte sogar ein Poster an die Wand heften, eine batteriebetriebene Kerze aufstellen, mich in alles was ich hatte einmummeln können und mich sicher­ lich als die glücklichste Obdachlose der Welt gefühlt.

Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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BRIEFE AN UNS

Zum Artikel »Weggepflügt«

Zur Sonderausgabe »Asphalt Kids«

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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Pflichtlektüre Neulich habe ich neben dem monatlich erscheinenden Asphalt-Magazin auch »Asphalt Kids« erworben. Dieses Heft ist sehr gut aufgemacht, nicht nur für Heranwachsende, sondern auch für Erwachsene zu empfehlen. Danke, dass uns so die Möglichkeit gegeben wird, Zusammenhänge der Obdachlosigkeit, auch bei Kindern, zu verstehen. Das finde ich sehr wertvoll und wichtig. Vieles ist der Allgemeinheit nicht bekannt und es herrschen Vorurteile. Viele denken, die Betroffenen sind doch an allem selbst schuld. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das Leben nicht wirklich planbar ist und es auch immer eine Rolle spielt, wie ich aufgewachsen bin und was ich erlebt habe. »Asphalt Kids« sollte Pflichtlektüre in Schulen sein. Das würde ich mir wünschen. Regina Schaprian, Burgdorf

Kindgerecht Eine super Sonderausgabe, hoffentlich nicht nur einmal! Unbedingt kaufen und den Kids Dinge erklären und kindgerecht deutlich machen. Augen verschließen ist keine Option! Danke. Stefani Wehaus, Hannover

Erklärhilfe »Asphalt Kids« zeigt prima die Auswirkungen von Armut und fehlender Hilfe bei drohender Obdachlosigkeit. So etwas hätte es schon viel eher geben sollen, sind wir Erwachsenen doch immer ein bisschen hilflos, wenn wir unseren Kindern Bettler und Obdachlose erklären sollen. Ich habe das Heft mit meiner Tochter gemeinsam durchgesehen. Ganz toll (und schlimm) finden wir die Zeichnungen und den Teil über die Straßenkinder. Chapeau! Corina Schumacher, Hannover Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben.

Stehen lassen!

Nicht nur die ackernden Landwirte haben erheblichen Einfluss auf Wachstum und die HANDARBEIT Verbreitung der heimischen Flora der Wegränder und Feldraine. Ein sehr starker negativer Einfluss wird insbesondere durch die Straßenmeiste­reien ausgeübt. Regelmäßig werden die Seitenräume der Straßen zu dem Zeitpunkt gemäht, wenn die dort blühenden Wildstauden mit der Blüte beginnen oder in Vollblüte stehen. Dadurch wird verhindert, dass sich diverse Wildstauden wie Königskerze, Wegwarte, Johanniskraut … durch Samen vermehren können. Eine sehr einfache Lösung besteht darin, dass die Mahd solcher Flächen erst dann erfolgt, wenn die Samen der Wildstauden ausgereift sind. Diese Maßnahme würde obendrein dafür sorgen, dass die Wildstauden als Insektenweiden erhalten bleiben und obendrein würde durch die Mahd der Pflanzen nach erfolgter Samenreife für eine weitere Verbreitung, Ausdehnung der Insektenweiden gesorgt. Erich Grantzau, Seelze MAFIÖS

BAUERNSCHLAU

WÜTEND

Was die »Flüchtlingswelle« mit unseren Tomaten zu tun hat

Wie Meter für Meter Ackerränder verschwinden

Was Sänger Bosse neben der Bühne denkt

Problem erkannt Früher führte der Bauer sein Pferd, hatte einen einscharigen Pflug angehängt, an dessen Ende ein Griff war, den er anfasste und dann mit seinem Gespann den Acker auf und ab marschierte. Wenn der mal den Pflug zu Ungunsten der Kleinbauern/ Ziegenbauern setzte, hatte er sofort ein echtes Problem! Mit der Weiterentwicklung der Trecker und all der Geräte, die man dranhängen kann, begann der Niedergang unserer bis dahin noch ordentlichen Feldnatur. Hinzu kamen in den Gemeinden die Flurbereinigungsverfahren, die größere Ackerflächen schufen, in dem die Eigentümer Ackerflächen untereinander tauschten, um größere Ackerflächen zu erhalten. Parallel starben die Kleinbauern mit ihren Ziegen weg, d.h. Wegfall einer »Kon­ trollinstanz« in dieser Interessengemeinschaft. Und mit Hilfe der modernen Maschinen fielen Gräben, Buschecken, einzelne Bäume in den Feldern und auch Grenzen. Darunter musste natürlich die Umwelt leiden: Feldlerchen (tot), andere Vogelarten, Hasen, Fasane und vor allem Rebhühner, Hamster und natürlich auch alles, was wir unter »Kleingetier« einstufen. Dramatisch ist besonders der Rückgang der Insekten, die bis zu 70 Prozent ausgestorben sind. Wesen, auf die wir Menschen für das Überleben angewiesen sind! Merke: Keine Blüten, keine Hecken, keine Büsche und Bäume = kein Überleben für uns ALLE! Sie haben richtigerweise ein Problem erkannt und aufgegriffen! Hartmut Otto Grupe, Hannover


Schulklassen

Auf der S t ra ß e : Wi e i s t das?

Immer mehr Menschen sind wohnungslos in Deutschland, mehr als 50.000 leben sogar komplett auf der Straße. Darunter auch Tausende Kinder. Wie wird man obdach­ los? Was sind die Gründe? Und warum sogar Kinder? Wir erklären es euch. Asphalt Kids, ab sofort für 4 Euro auf Straßen und Plätzen. Schulen bestellen bitte unter 0511 – 301269-0.

Asphalt verlost 10 x 2 Karten für den Zoo Hannover

Tierische Inventur Wie viele andere Unternehmen, hat auch der Zoo Hannover am Ende des Jahres Inventur. Da wird alles gezählt, von der Schraube in der Werkstatt bis zum Stofftier im Shop. Und auch die tierischen Bewohner gehören dazu. Oft ist das gar nicht so einfach. Einige Tiere wuseln wild durcheinander, wie die Erdmännchen, andere sitzen in Sekundenschnelle an anderer Stelle, wie die Loris und wieder andere sind gut getarnt, wie die Wandelnden Blätter. Nach tagelanger Zählung steht nun fest: Im Erlebnis-Zoo Hannover leben 2.170 Tiere in 178 Arten. Die Tiere werden aber nicht nur gezählt, sondern auch gewogen und vermessen. Das größte Tier ist Giraffenkuh Niobe mit 4,40 Metern, die Elefantenkuh Indra ist mit 3,2 Tonnen das schwerste Tier und Schimpanse Max ist mit 54 Jahren der Älteste unter den Zoobewohnern. Mit Asphalt können Sie zwei Tagestickets für den Zoo Hannover gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage: Wie groß ist das größte Tier im Zoo Hannover?

Internationale Verkäuferwoche Vom 4. bis 10. Februar ist internationale »VendorWeek«. Die Woche, in der rund um den Globus auf die Verkäuferinnen und Verkäufer von sozialen Straßenzeitungen aufmerksam gemacht wird, ist ein Projekt des Internationalen Netzwerks der Straßenzeitungen INSP. Asphalt ist von Anfang an Mitglied in diesem Dachverband. Er dient der gegenseitigen Unterstützung, dem Erfahrungsaustausch und der gemeinsamen journalistischen Arbeit. Solidarität statt Konkurrenz ist das Motto der Straßenzeitungen. Genau in diesem Moment, an einem beliebigen Tag im Februar 2019, verkaufen in 35 Ländern rund um den Erdball etwa 8.800 Menschen Ausgaben von aktuell gut 100 aktiven Straßenzeitungen. Im vergangenen Jahr wurden von all diesen Vendors (engl. für Verkäufer) rund 20 Millionen Exemplare einer sozialen Straßenzeitung verkauft. Seit der zeitgleichen Gründung von Asphalt und INSP im Jahr 1994 haben Straßenzeitungen weltweit 300.000 (ehemals) Obdachlosen geholfen. Im kommenden Juni werden viele der Straßenzeitungsmacher aus aller Welt in Hannover bei Asphalt zum »International Streetpaper Summit« zu Gast sein. Bis es soweit ist: Vielleicht mögen Sie ihrem Stammverkäufer zur »Vendor Week« ein kleines zusätzliches Zeichen der Wertschätzung mitgeben. MAC

Foto: Zoo Hannover

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Schicken Sie uns eine Postkarte, eine E-Mail oder ein Fax mit Ihrer Antwort und dem Stichwort »Zoo« bis zum 28. Februar 2019 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover, gewinne@asphalt-magazin.de, Fax 0511 – 30126915. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautet: »zwei Kinderkarussells«.

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RUND UM ASPHALT

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Foto: J. Birnstiel

RUND UM ASPHALT

ung 96-Verlos

Karten für 96! Fußballfans aufgepasst! Asphalt verlost gemeinsam mit Hannover 96 wieder 2 x 2 Karten für ein Top-Heimspiel. Diesmal für den 27. Spieltag (29. März bis 01. April):

Hannover 96 – FC Schalke 04 Wer uns einfach eine Karte, eine E-Mail oder ein Fax mit dem Stichwort »96« schickt, der hat die Chance, zwei Karten in Block S 4 zu gewinnen! Wir drücken ganz fest die Daumen und wünschen viel Glück! Asphalt-Magazin, Hallerstr. 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; gewinne@asphalt-magazin.de oder Fax: 0511 – 301269-15. Einsendeschluss: 28. Februar 2019.

Weihnachten im Schuhkarton Anzeige

Ende Dezember wurde Asphalt mit einem tollen Projekt des BfD der MHH überrascht. Unter dem Motto »Weihnachten mal anders« sammelten Mitarbeiter des Bundesfreiwilligendienstes der MHH bei der gesamten Belegschaft, um 108 Schuhkartons mit Inhalt für die Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer zu füllen. Diese konnten sich über zahlreiche Kosmetik-Artikel, Mützen, Schals, Handschuhe, Süßigkeiten und jede Menge andere nützliche Dinge freuen. Damit nicht genug – jeder einzelne Karton wurde zudem noch liebevoll dekoriert. Vielen Dank dafür an den BfD und die Mitarbeiter der MHH. GB

gesucht – gefunden Verkäufer Michael: Suche von Tolkien »Das große Hobbitbuch« 1+2. Vielen Dank im Voraus! Micha [V-Nr. 1115] Kontakt: 0160 – 92822576.

WohnGlück

Verkäufer Olaf: Wer verschenkt einen Midiplayer mit DJ-Funktionen und einen Drucker? HP wäre gut. [V-Nr. 1612] Kontakt: 0157 – 51737955.

Mit Hannoverherz & Immobilienverstand begleiten wir Sie in eine lebens- & liebenswerte Zukunft.

Verkäufer Uwe: Ich möchte mich bei all meinen treuen Kunden bedanken und ein gutes 2019 wünschen! Danke nochmals für die Treue am Samstag. [V-Nr. 1865]

hanova.de


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Vortrag mit Hund n

Foto: H. Diedrich

O-To

Asphalt-Verkäufer Hasso Diedrich: Auf Einladung von Dr. Katharina Schmidt, Geographin mit Schwerpunkt Obdach- und Wohnungslosigkeit, waren sechs Mitglieder der Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen plus Hund Ago in der Uni Hamburg. Zuerst zeigten wir einen TV-Bericht über unser Projekt, anschließend berichteten die Studenten von einer Umfrage unter Wohnungs-

losen in Hamburg. Dann sind Uwe und Hund Ago zum Rauchen gegangen. Auf dem Rückweg wurde Ago der Einlass verweigert. Doch ohne Ago geht es nicht, der Hund gehört dazu. Daraufhin erklärten sich alle Anwesenden bereit, die Lehrveranstaltung (mit Ago) auf dem Univorplatz fortzuführen. Dort haben wir unser Projekt vorgestellt. Durch unsere Arbeit fühlen wir uns nicht mehr als Einzelkämpfer und werden auch von der Politik wahrgenommen.

Kommen Sie mit – zum sozialen Stadtrundgang! Asphalt zeigt Ihnen das andere Hannover. Unsere Verkäuferinnen und Verkäufer führen Sie zu Orten, an denen Wohnungslose keine Randgruppe sind. Nächster Termin: 22. Februar 2019, 15 Uhr. Treff­ punkt: Asphalt, Hallerstr. 3, 30161 Hannover. Bitte anmelden unter: 0511 – 301269-20. Teilnahme auf Spendenbasis: ab 5 Euro pro Person. Gruppen verein­ baren bitte gesonderte Termine!

2000 Euro für den Mittagstisch der Grund­ schule Mühlenberg Im Dezember hat 96plus aufgerufen, die Facebook-Seite der Initiative zu liken. Die Community für gute Ideen und gute Taten sollte nach dem Motto „Gemeinsam stark!“ wachsen. Für jedes „Gefällt mir“ wurden drei Euro ausgelobt, was den Kosten eines Essens beim Mittagstisch der Grundschule Mühlenberg entspricht. Knapp 600 Menschen mehr folgen seitdem der 96plus-Facebookseite und erfahren, welche guten Dinge angestoßen, welche guten Taten vollbracht und welche guten Ideen entwickelt werden, um das Leben in Hannover ein kleines Stückchen besser zu machen – für alle. Das Ziel von 1896 Likes wurde bereits kurz vor Weihnachten erreicht. Am Neujahrstag klickte dann der 2000ste Mensch auf den „Gefällt-mir-Knopf“, was 96plus zum Anlass nahm, die Summe auf 2000 Euro aufzurunden, welche 96-Geschäftsführer Björn Bremer und Johann-Friedrich Dempwolff, Geschäftsführer von 96plus Hauptpartner Johnson Controls, symbolisch an Stefanie Ramberg, Rektorin der Grundschule Mühlenberg, übergaben. Auch bei Facebook? 96plus unter www.facebook.com/H96plus liken!

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»JETZT HABE ICH EIN HOBBY« Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Micha (57).

Herzlichen Glückwunsch, Micha! Am 21. Februar wirst du 57. Feierst du deinen Geburtstag? Keine große Feier, aber wir sitzen schön zusammen: essen Ku­ chen, trinken Kaffee. Ein Kumpel kommt vorbei. Das wird nett.

Du hast ein Bild von deinen gesammelten Modeltrucks mitgebracht. Ist das dein Hobby? Modeleisenbahnen und Modelautos: Das sind meine Hobbys. Mit meiner Eisenbahn komme ich im Moment nicht so richtig voran, weil wir – also meine Freundin und ich – gerade an ih­ rer Anlage herumbasteln und die aufbauen. Sie hat auch eine, aber eine kleinere: im Maßstab 1:160. Meine ist 1:87. Meine Modelautos und Modeltrucks haben Ehrenplätze an unseren Wänden bekommen. Die brauche ich ja nicht aufbauen wie die Eisenbahn. Die haben auch den Maßstab 1:87 – originalgetreu kopiert. Die habe ich mir alle nach und nach zusammengesam­ melt und -gespart. Früher habe ich mein Geld versoffen, jetzt habe ich ein Hobby. Ich bin schon zwölf Jahre trocken. So kann es ruhig weitergehen.

Herzlichen Glückwunsch dazu! Fällt es dir manchmal noch schwer, nicht zu trinken? Ich habe keine Probleme mehr damit. Dreimal im Jahr sündige ich aber: Auf den Weihnachtsmärkten in Bothfeld und Buch­ holz trinke ich jeweils einen Glühwein und im Urlaub gibt es einmal pro Jahr einen Schwedeneisbecher mit Eierlikör. Bei den drei Sünden bleibt es dann aber auch. Ich verfalle dadurch nicht wieder der Sucht. Das muss man aber können. Jeder hat einen anderen Umgang damit.

Wie sieht so ein Urlaub bei dir aus? Einmal im Jahr fahre ich mit meiner Freundin für eine Woche nach Cuxhaven – meistens im Frühjahr oder im Herbst. Cuxha­ ven ist mit der Bahn auch gut zu erreichen. Dafür muss ich aber auch eine Weile sparen. Da gibt es ein Appartement-Haus. Wir verpflegen uns selbst.

Wie lange bist du mit deiner jetzigen Partnerin schon zusammen? Elf Jahre sind das jetzt. Die längste Beziehung meines Lebens. Wir haben uns bei einer Umschulungsmaßnahme vom Arbeits­ amt kennengelernt, an der wir beide teilgenommen haben. Eigentlich bin ich gelernter Kommissionierer, habe in einer Fleischerei gelernt.

Beruf. Asphalt verkaufe ich aber auch immer noch gerne – bei Wind und Wetter. Sechs Tage die Woche. Ich komme raus und bin unter Leuten, habe viele gute Gespräche mit meinen Kun­ den. Mir fehlt schon was, wenn ich nicht verkaufen gehe – an Feiertagen zum Beispiel. Die sind ein Grauen für mich. Mit 65 will ich aber aufhören, in Asphalt-Rente gehen.

Bei unserem letzten Gespräch hast du dir gewünscht, deinen Führerschein zu machen. Konntest du dir deinen Wunsch erfüllen? Leider noch nicht. Das dauert wohl noch ein bisschen. Zum Glück ist der Führerschein aber auch nicht so teuer wie ein Au­ toführerschein. Ich möchte ja nur einen Mopedführerschein machen, bis 45 km/h. Reicht mir vollkommen. Ich will damit ja nur zum Einkaufen, zu Asphalt und nach Celle.

Wieso nach Celle? Da leben meine beiden Töchter in einer Pflegefamilie. Ihnen geht es dort sehr gut. Auch, dass sie zusammen sind, ist gut. Die Große ist jetzt 13 und die Kleine ist elf. Die Große hat sogar schon Berufswünsche geäußert. Sie möchte Polizistin oder Fa­ milienhelferin werden.

Und du besuchst sie dort regelmäßig? Alle sechs bis acht Wochen sehe ich sie für ein bis zwei Stun­ den. Meine Ex-Freundin, die Mutter der beiden, kommt dann auch immer aus Bremen. Und dann gehen wir alle zusammen Eis essen oder unternehmen was – also kleine Unternehmun­ gen, viel Zeit haben wir ja leider nicht.

Du kommst ursprünglich aus Leipzig. Möchtest du irgendwann in deine Heimat zurückkehren? Nein, ich bleibe hier. Allein schon wegen meiner Töchter. Außerdem fühle ich mich in Hannover sehr wohl. Ich habe kei­ ne Sehnsucht nach Leipzig. Außerdem habe ich mir hier rich­ tig was aufgebaut: lebe mit meiner Freundin in einer 60 Qua­ dratmeter großen Wohnung in Ahlem. Wir haben es uns schön gemacht. In Leipzig habe ich zuletzt ja auf der Straße gelebt – nicht die besten Erinnerungen. Es ist schon alles gut so. Jetzt gehts mir gut.

Wie siehts mit Wünschen für die Zukunft aus? Ich habe immer noch den Wunsch vom letzten Mal: meinen Führerschein zu machen. Ansonsten bin ich froh, wenn es ein­ fach so weitergeht. Ich bin zufrieden.

Asphalt verkaufst du aber schon lange, oder? Seit 17 Jahren. Ich finde keine Arbeit in meinem gelernten

Interview: Svea Kohl


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Foto: S. Kohl

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Foto: privat

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Micha verkauft Asphalt vor der Post in der Kurze-Kamp-StraĂ&#x;e in Hannover Bothfeld.


LUST AUF ERZIEHUNG Karena Bruns ist seit 22 Jahren Vollzugsbeamtin, davon 13 Jahre im Jugendstrafvollzug. Dass viele H채ftlinge nach ihrer Entlassung erneut straff채llig werden, frustriert sie nicht. F체r sie z채hlen die kleinen Erfolge. Unser drittes einer Reihe von Asphalt-Knast-Interviews.


Ich habe mir diesen Ort gar nicht speziell ausgesucht. Ich habe eine Freundin, die hier gearbeitet hat. Als ich arbeitslos war, meinte sie: »Fang doch im Knast an, das ist total toll! Bewirb dich, das ist was für dich.« Und was sie erzählt hat, hat mir ge­ fallen.

Warum genau? Weil die Arbeit nicht so eintönig ist. Man hat mit Staatsanwälten und Richtern zu tun, spricht mit Anwälten und arbeitet eng mit dem Sozialdienst und dem Psychologischen Dienst zusammen. Dazu kommt noch die Arbeit auf der Station mit den Gefange­ nen. Manchmal ist es sehr hektisch, wenn etwas Unerwartetes passiert. Aber das Gesamtpaket finde ich einfach gut.

Wie war denn der erste Tag hier im Gefängnis? Nachdem ich das allererste Mal hier in der Anstalt war – noch bevor ich eingestellt wurde –, habe ich mich gefragt, ob das et­ was für mich ist. Ich habe es auf mich wirken lassen und war fasziniert von dem ganzen Ambiente und habe gedacht: Hier musst du arbeiten! Viele sagen ja: Ich fange im Gefängnis an, weil ich mit Menschen arbeiten möchte. Das stand für mich zu dem Zeitpunkt nicht im Vordergrund. Ich fand es insgesamt sehr spannend und war aufgeregt, was mich erwarten würde.

Sie sind Vollzugsbeamtin aus Leidenschaft? Das muss so sein, sonst kann man hier auch kaputt gehen. Man muss mit einer gewissen Leidenschaft dabei sein.

Vollzug soll zum einen eine Strafe sein, aber auch auf die Rückkehr in die Gesellschaft vorbereiten - wo sehen Sie da Ihre Aufgabe? Wir schützen zum einen die Gesellschaft vor weiteren Straf­

taten, sobald der Gefangene einsitzt. Aber ich sehe mich ganz klar im sogenannten Behandlungsvollzug. Gerade mit Jugend­ lichen muss man ganz viel machen. Man versucht erzieherisch auf diese Klientel einzuwirken. Genau das ist mein Ding, dazu habe ich Lust. Deswegen bin ich auch im Strafvollzug und nicht in der U-Haft. Man beschäftigt sich hier ganz anders mit seinen Gefangenen. Jeder Insasse wird einer Kollegin oder einem Kol­ legen zugeteilt – somit ist man der Ansprechpartner für diese Insassen. Wir tragen eine gewisse Verantwortung und werden auch in die Pflicht genommen von »unseren« Insassen. Und das macht mir Spaß.

Mit welchen Problemen kommen die Insassen denn zu Ihnen als Bezugsperson? Die haben in erster Linie konkrete Sachen auf dem Zettel, die ihre Haft betreffen: »Wann könnte ich Ausgänge nehmen?« »Es gibt noch offene Verfahren – kann ich trotzdem raus?« »Wie schlimm ist das alles?« Gerade Jugendliche fragen alles ganz oft, wahrscheinlich weil sie sich jedes Mal eine etwas bessere Antwort erhoffen. Und sie sind auch gerne im Gespräch mit uns. Richter kommen teilweise auch hierher, um Insassen an­ zuhören, um zu prüfen, ob sie nach der Hälfte oder zwei Drit­ teln der Strafe entlassen werden könnten.

Geht es auch um Privates? Als Ansprechpartner hat man zu »seinen« Gefangenen eventu­ ell ein etwas engeres Verhältnis als zu den anderen Gefange­ nen, so dass sie auch mal mit privaten Dingen zu einem kom­ men. Ich versuche aber, für alle da zu sein, soweit das geht.

Sie bauen also ein Vertrauensverhältnis zu den Gefangenen auf? Ja. Darauf basiert hier die Arbeit, weil wir damit Verbindlichkeit erzeugen. Unverbindlich geht gar nicht. Wir nehmen sie aber auch in die Pflicht, wenn sie »Scheiße gebaut« haben. Dann

Wärter im Gefängnis Körperlich, geistig und vor allem charakterlich fit muss man sein, um als Justizvollzugsbeamter arbeiten zu können, heißt es seitens des Niedersächsischen Justizministeriums. Zudem wird in der Regel ein Realschulabschluss, mindestens jedoch ein Hauptschulabschluss samt förderliche Berufsausbildung erwartet. Das Mindestalter für einen Einstieg in den Beruf ist 20 Jahre, Höchstalter 40. Ausgebildet wird dann über zwei Jahre, davon gut die Hälfte der Zeit Praxis vor Ort, die andere Hälfte Theoriemodule. Eingesetzt werden die Beamten dann im Stationsdienst zur sicheren Unterbringung der Gefangenen, im Vorführ-, Transport-, Besuchs-, Kontroll- oder dem Pfortendienst. Ein Berufsanfänger bekommt dafür dann rund 2.300 Euro brutto.

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Die meisten Leute hier wollen nur eins: raus. Warum haben Sie sich ausgerechnet die Haftanstalt als Arbeitsplatz ausgesucht?

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setzen wir uns mit ihnen auseinander und reagieren klar und konsequent. Es kommt ja vor, dass die Gefangenen sich unter­ einander – wie Jugendliche so sind – »kabbeln«, vielleicht ist auch mal eine Faust dabei oder es gibt ein Geschubse. Das wird aber nicht toleriert. Dann reden wir mit ihnen – wie in einer Fa­ milie. Wir spiegeln ihnen ihr Verhalten und fragen: Was hast du gemacht? Warum hast du das getan? Wie fühlst du dich dabei? Die Insassen würden uns keine Auskunft geben, wenn es so gar kein Vertrauen zu uns Bediensteten geben würde. Oft suchen sie auch von sich aus das Gespräch, sobald eine Vertrauense­ bene geschaffen wurde. Und das hat nichts damit zu tun, dass sie sich davon Vorteile erhoffen. Sie wollen einfach, dass man zuhört.

Wie unterscheidet sich die Arbeit der Vollzugsbeamten in der Jugend- von der im regulären Strafvollzug? Ich habe vorher sieben Jahre in der U-Haft für Erwachsene gearbeitet. Erwachsene sind einfach anders als Jugendliche, meistens überlegter. Jugendliche sind spontaner. Und anstren­ gender, weil immer alles sofort passieren muss. Die haben emotionale Ausbrüche: Eben war noch alles gut und jetzt schon nicht mehr. Das kann dann hin und her gehen. Das ist anstren­

gend. Es gibt Tage, da möchte man nach Hause, weil es zu viel wird. Aber das muss man aushalten. Der Unterschied zum Er­ wachsenenvollzug ist natürlich auch, dass im Jugendvollzug der Erziehungsgedanke ganz oben steht. Und bei den Erwach­ senen werden härtere Strafen angesetzt. Hier benehmen sich die Jugendlichen auch mal daneben. Das sanktionieren wir natürlich. Aber das große Ganze ist nach meinem Empfinden einfach anders: nicht ganz so bitterernst.

Wann war ein Arbeitstag für Sie ein guter Tag? Zunächst mal, wenn es keine besonderen Vorfälle gab, keine Aggressionen unter den Jugendlichen und wenn wir deshalb niemanden in die Isolation bringen mussten. Wirklich gut sind die Tage, an denen die Stimmung im Umgang mit den Gefan­ genen gut ist und wenn man lachen konnte, im besten Fall mit den Insassen.

Wann ist ein Arbeitstag schlecht? Wenn wir unsere Arbeit nicht schaffen und Aufgaben liegen bleiben, weil es Stress mit oder unter den Inhaftierten gibt. Oder wir auf der Station unterbesetzt sind. Wie zum Beispiel heute, wenn die Grippe rumgeht.


Der größte Erfolg ist natürlich, wenn Jugendliche nach einiger Zeit entlassen und nicht wieder straf­ fällig werden. Aber das ist nicht so häufig der Fall, da machen wir uns nichts vor. Aber vielleicht lässt sie die Erfahrung, die sie hier machen konnten, zumin­ dest vor gewissen Straftaten zurückschrecken.

Ob Ihre Arbeit erfolgreich war, zeigt sich ja erst im Laufe der Zeit – und vor allem bekommen Sie es ja nicht mit, wenn ein ehemaliger Gefangener keine Straftaten mehr begeht. Frustriert das nicht? Vielleicht sind manche Kollegen davon frustriert, mir geht es nicht so. Ich sehe auch kleine Entwick­ lungen als Erfolg an. Die Inhaftierten sind und blei­ ben Menschen, und wenn wir einen Zugang zu ihnen Ein Tag war gut, bekommen und sich kleine wenn wir niemanDinge verändern, dann ist das auch ein Erfolg. Viele Ju­ den in die Isolation gendliche können zum Bei­ bringen mussten. spiel kaum Deutsch, wenn sie zu uns kommen, vor al­ lem viele Flüchtlinge. Hier können sie an Deutschund Integrationskursen teilnehmen und machen oft schnelle Fortschritte.

Sie sind hier täglich mit jungen, oft frustrierten Männern konfrontiert, von denen viele mit einem anderen Frauenbild aufgewachsen sind, als es in Deutschland üblich ist. Ist es für sie als Frau schwieriger, hier zu arbeiten als für ihre männlichen Kollegen? Das würde ich nicht sagen. Man braucht schon ein selbstbewusstes Auftreten – das habe ich mir über die Jahre angeeignet. Dadurch werde ich von den Jugendlichen genauso respektiert wie meine männ­ lichen Kollegen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich größer und kräftiger bin als die meisten der jungen Kerle. Wobei ich sagen muss, dass es vor ein paar Jahren eine schwierige Phase gab, als sehr viele Marokkaner neu hierher kamen. Von denen wurde ich aufs Übelste beleidigt, auch nach Dienstschluss aus dem Fenster quer über den Hof – das kann ich hier gar nicht wiedergeben, so derb war das. Die konnten sich nicht damit abfinden, dass eine blon­ de Frau wie ich hier arbeitet und ihnen sagt, was sie zu tun haben. Aber es wurde dann mit ihnen geredet und ihnen klar gemacht, dass das in Deutschland

ganz normal ist, wenn Frauen arbeiten, auch hier im Strafvoll­ zug. Und mit der Zeit haben die ersten von ihnen gesagt: Die Frau Bruns, die ist ja doch ganz okay. Und mittlerweile gibt es auch mit den Marokkanern keine Probleme mehr.

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Was ist für Sie Erfolg im Strafvollzug?

Geht es ihnen nicht nahe, wenn sie so beleidigt werden? Ich habe ein dickes Fell, damit kann ich umgehen. In vielen Fäl­ len ist es ja gar nicht so gemeint. Das sind Jugendliche, die in ih­ rer Wut die Kontrolle verlieren und dann gewisse Sachen sagen – meistens entschuldigen sie sich ein paar Stunden später bei mir. Viel schlimmer ist es, wenn mich Jugendliche belügen. Das kann ich überhaupt nicht leiden. Natürlich sind hier nicht im­ mer alle absolut aufrichtig und die Jugendlichen wollen für sich das Beste herausholen – aber wenn mich jemand dreist anlügt, dann ist bei mir eine Grenze überschritten. Dann spreche ich mit demjenigen nicht mehr als das absolut Nötige und sage ihm das auch. Das wirkt – viel mehr als andere Disziplinarmaßnah­ men wie Fernseh- oder Sportverbot. Das geht denen tatsächlich nahe, wenn man sie nicht mehr anspricht. Interview: Philipp Jarke/Fotos: Benjamin Eichler

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BUCHTIPPS Dies ist kein Atlas Auf unseren Weltkarten erscheint der Westen in der Mitte, der Norden immer oben, und Afrika ist viel zu klein. Bis hinunter zum Stadtplan sind Karten politisch. Das Kollektiv orangotango hat nun unter dem beziehungsreichen Titel »This is not an Atlas« ein Kompendium der »Gegen-Kartografie« vorgelegt. Mehr als 40 Karten »von unten« zeigen die Welt wie sie eben auch ist: Eine »Anti-Zwangsräumungs-Karte« zeigt die Zusammenhänge von Gentrifizierung, der Privatvermietungsplattform Airbnb und Entmietungen in San Franciscos Bay Area. Soziale Kartierungsprojekte helfen BewohnerInnen am Amazonas, ihre Rechte durchzusetzen. Flüchtlinge zeichnen »no border«-Karten, die Passagen und Grenzüberwindungen zeigen. In Open-Source-Mapping-Projekten erstellen Bewohner Karten ihrer Slums und »illegalen« Siedlungen, die sonst auf Karten fehlen, auch wenn Hunderttausende dort wohnen – ein Projekt spannender als das andere. Ein Staunen machendes Großformat in edler Ausstattung. BP kollektiv orangotango+ (Hg.) | This Is Not an Atlas. | transcript | 34,99 Euro

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a m n e s t y a f t e r wo r k Schreiben Sie für die Menschenrechte – gegen Verfolgung, Gewalt und Folter

Gemeinsam für die Menschenrechte Sie können helfen: Wir laden Sie herzlich ein, uns montags zu besuchen. Lassen Sie Ihren Tag mit einer guten Tat bei Kaffee, Tee und Gebäck ausklingen, indem Sie sich mit Faxen, Petitionen oder Briefen gegen Menschenrechtsverletzungen in aller Welt einsetzen. Öffnungszeiten: Montag 18 bis 19 Uhr after work cafe Dienstag 11 bis 12 Uhr, Donnerstag 18.30 bis 19.30 Uhr amnesty Bezirksbüro Hannover Fraunhoferstraße 15 · 30163 Hannover Telefon: 0511 66 72 63 · Fax: 0511 39 29 09 · www.ai-hannover.de Spenden an: IBAN: DE23370205000008090100 · BIC: BFSWDE33XXX Verwendungszweck: 1475

Poesie-Atlas ist ein schönes Wort. Und tatsächlich bringt der Sammelband, eine jahrelange Sammel- und Fleißarbeit der beiden Herausgeber Winfried Ihrig und Ulrich Janetzki, so etwas wie eine geografische Ordnung in die literarische Vielstimmigkeit der europäischen Roma. Von Bronisława Wajs (Papuscha), der ersten polnischen Roma-Dichterin, die ihre Verse aufschrieb, bis zum linksradikalen Rap der deutsch-serbischen »Gipsy Mafia«. Natürlich sind Texte von Philomena Franz und Ceija Stojka vertreten, zweier Pionierinnen einer Erinnerungsliteratur nach dem Porajmos, dem Völkermord an den europäischen Sinti und Roma. Prominente MusikerInnen steuern Texte bei: die Jazzerin Dotschy Reinhardt, die auch das Vorwort verfasste, Marianne Rosenberg, Schlager­ikone und Tochter des Sinto-Bürgerrechtlers Otto Rosenberg oder der Schweizer Stephan Eicher, ein Jenischer. Vor allem aber zeigt sich die ganze Breite einer jungen Generation europäischer Intellektueller von Delia Grigore bis Samuel Mago, die Kunst und Roma-Aktivismus verbindet. BP Winfried Ihrig, Ulrich Janetzki (Hg.) | Die Morgendämme­ rung der Worte. | Die Andere Bibliothek | 42 Euro


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KULTURTIPPS Konzert

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Caroll Vanwelden – Valentinskonzert

Die Sopranistin Anna Gann und die Pianistin Naoko Christ-Kato bilden gemeinsam das Gernsheim-Duo – benannt nach dem jüdischen Komponisten Friedrich Gernsheim. Mit ihrer Musik wollen sich die beiden Künstlerinnen dem Schaffen vergessener jüdischer Komponisten widmen und dem Publikum zu Gehör bringen, welch tiefen, bleibenden Graben der Holocaust in die europäische Kultur und Tradition ge-

Feinsinnig instrumentiert setzt die belgische Sängerin und Pianistin Caroll Vanwelden ihre farbenreiche Stimme mal schwungvoll und zupackend, mal fröhlich und verträumt leicht ein. Dabei verwandelt sie ganz nebenbei Shakespeares Sonette in eine neue Komposition aus aktuellen Klangfarben und Musikstilen. Gemeinsam mit Vanwelden lassen Thomas Siffling an der Trompete und am Flügelhorn, Mini Schulz am Kontrabass und Jens Düppe am Schlagzeug einen komplexen Sound voller Gefühl und Rhythmus entstehen. Genau richtig für Valentin. Donnerstag, 14. Februar, 20 Uhr, Schloss Landestrost, Schlossstraße 1, Neustadt a. Rbge., Eintritt 19 Euro, erm. 13 Euro.

Foto: Dorothea Brandt

Theater

schlagen hat. Sie möchten dem Vergessen etwas entgegensetzen und ein kleines Stück des verlorengegangenen Reichtums wieder zum Klingen bringen. Sonntag, 10. Februar, 15 Uhr, Gedenkstätte Ahlem, Heisterbergallee 10, Hannover, Eintritt frei.

Frau Müller muss weg Die Eltern der Klasse 4b sind sich sicher: Frau Müller muss weg! Die Noten der geliebten Kinder sind schlecht und daran kann nur die Lehrerin schuld sein. Das steht fest! Doch beim Elternabend kämpft plötzlich lautstark jeder gegen jeden. Nur über die Kinder soll am besten nicht gesprochen werden! Um zu retten, was noch zu retten ist, muss die Lehrerin abgesetzt werden – dafür ist den Eltern jedes Mittel recht. Hauptsache die Versetzung der Kinder ist erfolgreich. Doch Frau Müller spielt nicht mit. Samstag, 9. Februar, 20 Uhr, Lister Turm, Walderseestraße 100, Hannover, Eintritt 12 Euro, erm. 9,60 Euro, AktivPass 6 Euro. Samstag, 23. Februar, 20 Uhr, Bürgerschule Stadtteilzentrum Nordstadt, Klaus-Müller-Kilian-Weg 2, Hannover, Eintritt 12 Euro, erm. 8 Euro, AktivPass 6 Euro.

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Sonstiges Foto: Alexander Valk

Armut und Gesundheit Unter dem Titel »Weil Du arm bist, musst Du früher sterben« startet die Polit-Talk-Reihe von Caritas, Asphalt und der Landesarmutskonferenz im ka:punkt ins neue Jahr. Als Gesprächsgast von Eva Thalheimer von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. stellt sich dieses Mal Prof. Dr. Gerhard Trabert, Vorsitzender von Armut und Gesundheit in Deutschland e.V., den kritischen Fragen. Auch das Publikum ist wieder herzlich zum Mitdiskutieren und Nachhaken eingeladen. Zur Stärkung gibt es Kaffee und Kuchen kostenlos. Donnerstag, 7. Februar, 16 bis 17 Uhr, Treffpunkt ka:punkt, Grupenstraße 4, Hannover, Eintritt frei.

Kreativführung Mit dem Stift in der Hand sieht man mehr. Ob die Liebe zum Detail oder die Liebe zum großen Ganzen. In der Ausstellung »Alles Liebe!« können Sie sich von den Bildern inspirieren lassen und eigene Interpretationen direkt in der Ausstellung zeichnen, skribbeln und kolorieren. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, denn diese Kreativführung ist für alle, die gerne mal was Neues ausprobieren wollen. Freitag, 15. Februar, 15.30 bis 17.30 Uhr, Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Georgen­ garten 1, Hannover, Voranmeldung unter 0511 – 16999-11, Eintritt 9 Euro.

Wohnen für Alle Die Stiftung »Ein Zuhause« für Wohnungslose unterstützt das Konzept »Housing First« und will dazu beitragen, geeignete Wohnungen bereitzustellen. Sprecher Eckart Güldenberg stellt Ziele und Zweck der Stiftung auf einem Informations- und Diskussionsabend vor, Architekt Kay Marlow zeigt einen Projektvorschlag. Das Konzept »Housing First« erläutert Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e.V.. Angefragt sind auch Michael Heesch, Fachbereich Planen und Stadtentwicklung, Frank Eretge von der Firma Gundlach sowie Vertreter der Ratsparteien. Heiko Geiling von der Leibniz-Universität Hannover übernimmt die Moderation. Mittwoch, 20. Februar, 19 Uhr, Pavillon, Kleiner Saal, Lister Meile 4, Hannover, Eintritt frei.

Die schrägsten Filme aller Zeiten Klassiker des Unterrichtsfilms wechseln sich mit skurril anmutenden Kurzfassungen von Spielfilmen ab. Verkehrsfilme kreuzen sich mit Musikclips, Trickfilmen und Karateklassikern. In seiner abendfüllenden »Die Super 8 Show« zeigt Thommi Baake mit seinen alten Projektoren, die im Zuschauerraum stehen und vor sich hinrattern, ein Potpourri aus skurrilen, schönen und unfreiwillig komischen Filmen aus den 1960er und 70er Jahren. Charmante Zwiegespräche mit dem Publikum, Anekdoten und ein Quiz zu den gezeigten Filmen runden den Abend ab. Donnerstag, 28. Februar, 20 Uhr, die hinterbuehne, Hildesheimer Straße 39a, Hannover, Eintritt 12 Euro, erm. 8 Euro.

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Für Kinder Kofferkonzert Wenn Zaches und Zinnober auf Reisen gehen, dann nehmen die Autofahrten in den Urlaub eine ganz eigene Dynamik an. »Sind wir bald da?« tönt es von der Rückbank und am Ende singt die ganze Autobahn. Das Navigationssystem wird zum DJ umfunktioniert und gibt Tanzunterricht und Baustellenbagger buddeln Sandburgen. Zaches und Zinnober verzaubern Alltägliches in kleine poetische Abenteuer. Dazu wird auf allem musiziert, was gerade greifbar ist. So wird aus einem Koffer dann schnell mal ein Klavier. Für Kinder ab vier Jahren. Montag, 25. Februar, 10.30 Uhr, KinderOase Linden Süd, Ritter-­BrüningStraße 14, Hannover, Anmeldung erforderlich unter 0511 – 168-44897, Eintritt 4 Euro, Kinder mit AktivPass frei.

Lesung Den blinden Göttern Nach fünf Romanen lässt Steven Uhly in seinem neuen, sechsten Roman eine Zündschnur in die Endlosigkeit abbrennen. Erneut nutzt er das Spiel von Dichtung und Wahrheit in so raffinierter Weise, dass man nicht zu entscheiden vermag, ob sein neues Werk »Den blinden Göttern« Krimi, Burlesque oder hermeneutische Deutung ist. Vor allem aber wird nicht klar, ob hier eine wahre Geschichte vorliegt oder aber die Persiflage einer solchen. Donnerstag, 7. Februar, 19.30 Uhr, Literaturhaus Hannover, Sophienstraße 2, Hannover, Kartenvorverkauf im Künstlerhaus, Eintritt 12 Euro, erm. 6 Euro.

Barocke Lyrik Mit seinem 1624 erschienenen »Buch von der Deutschen Poeterey« belebte Martin Opitz Form- und Themenvielfalt der deutschen Sprache, der Kultur und des Literaturbetriebes. Es ist die richtungsweisende Poetik des deutschen Barock, in der Opitz Regeln und Grundsätze einer neu zu begründenden hochdeutschen Dichtkunst formuliert. Damit wollte er ein neues fruchtbares lyrisches Schaffen anregen. Der Germanist und Philosoph Dietmar Herbst möchte nun die Lust und Freude an der Lyrik der Barockzeit – der Zeit des Dreißigjährigen Krieges – mit seinem Publikum teilen. Donnerstag, 14. Februar, 19.30 bis 21 Uhr, Residenzmuseum im Celler Schloss, Schlossplatz 1, Celle, Kartenvorverkauf an der Kasse des Bomann-Museums, Eintritt 5 Euro.

36 Am Lindener Berge 38 30449 Hannover · Telefon 45 44 55 www.jazz-club.de

FEBRUAR 2019 Freitag, 01. Februar JUNGLE BY NIGHT Eintritt: 25 Euro/erm. 20 Euro Sonntag, 03. Februar HANNES DUNKER TRIO „Krambambuli“ Eintritt: 10 Euro Donnerstag, 07. Februar GEIR SUNDSTØL „Brødløs“ Eintritt: 20 Euro/erm. 15 Euro Freitag, 08. Februar RAMÓN VALLE TRIO „The time is now“ Eintritt: 20 Euro Dienstag, 12. Februar ADAM BEN EZRA „Pin Drop“ Eintritt: 20 Euro/erm. 15 Euro Samstag, 16. Februar Die Gesellschaft der Freunde des Jazz präsentiert SEPALOT QUARTET „A new cycle“ Eintritt: 20 Euro/erm. 15 Euro Donnerstag, 28. Februar VAN RULLER-WULFMEIERGUDENKAUF-SCHOENEFELDT „Personality Standards Vol. 1“ Eintritt: 20 Euro/erm. 15 Euro Konzertbeginn jeweils um 20.30 Uhr, Einlass ab 19.30 Uhr

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IHR ENGAGEMENT

Herausgeber: Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Svea Kohl, Ulrich Matthias Fotografin/Kolumnistin: Karin Powser Gestaltung: Maren Tewes Freie Autoren in dieser Ausgabe: H. Diedrich, A. Eberhard, P. Jarke, B. Pütter, G. Schild, W. Stelljes, K. Zempel-Bley Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Christian Ahring (Sozialarbeiter) Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Fax 0511 – 30 12 69-15 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1 Online: www.asphalt-magazin.de redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 25.000 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 28. Januar 2019 Für unaufgefordert eingesandte Manus­ kripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus.

Machen Sie mit! Die Runde der Ehrenamt­lichen trifft sich an jedem letzten Dienstag im Monat in den hannoverschen Asphalt-Redaktionsräumen. Da werden Ver­ anstaltungen organisiert, Info-Stände geplant und Ideen gesammelt, um die Arbeit von Asphalt engagiert zu unterstützen. Besonders für unsere Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer ist es wichtig zu spüren, dass viele Menschen hinter ihnen stehen. Wir freuen uns, wenn Sie sich dieser lebendigen Runde anschließen möchten! Rufen Sie uns einfach vorher an: 0511 – 30 12 69-0. Das nächste Treffen ist am Dienstag, 26. Februar, um 17 Uhr.

Verkäuferausweise

Foto: hakase420/fotolia.com

Impressum

Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei VerkäuferInnen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Gelb

In eigener Sache: Ihre Daten Liebe Leserinnen und Leser, bisher fanden Sie an dieser Stelle eine wunderbare Sammlung von Namen, von Menschen, die es gut mit Asphalt und den Asphaltern meinen. Men­ schen, die Asphalt mit Spenden in unterschiedlicher Höhe unterstützt ha­ ben. Die Namensliste war unser Dankeschön an Sie. Und auch irgendwie ein fortlaufendes Dokument einer großen Asphalt-Familie. Gerne hätten wir das weiter so gemacht. Aber nun gibt es die neue europäische Datenschutzricht­ line DSGVO. Sie setzt uns – strafbewehrt – sehr enge Grenzen für die Verar­ beitung personenbezogener Daten. Wenn Sie uns Geld spenden, dann ist Ihr Name gemäß DSGVO für die Ausstellung einer Spendenquittung nötig und die Verarbeitung dafür erlaubt. Für ein öffentliches Dankeschön unsererseits aber dürfen wir den Namen ohne explizites Einverständnis nicht mehr veröf­ fentlichen. Deshalb hier ein großes Dankeschön an Sie alle. Volker Macke Anzeige

Muss man hören:

Gesellschafter:

Hertzliches Hannover das Wohnungslosen-Magazin immer am 5.Freitag im Monat von 19 bis 20 Uhr

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger

... auf UKW 106.5 und auf www.leinehertz.de


Aus den nachfolgenden Silben sind 21 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – einen Spruch aus »Der Spruch des Tages – Radio Niedersachsen Band 7« ergeben: ade – be – ben – bit – bon – chen – de – den – der – der – dra – dung – ein – em – er – er – erd – erd – fekt – ga – igeln – in – kas – kun – lan – li – lis – lo – lol – macht – männ – mar – me – na – nau – nie – nier – no – ohn – or – per – ra – re – ri – ri – sa – san – sels – te – teil – ten – to – tur – um – va

1. Verdienste 2. erster Bundeskanzler 3. europäischer Staat 4. Gegenteil von tadeln 5. Bewusstlosigkeit 6. possierliche Tiere 7. Heilanstalt 8. sportlicher Wettkampf

Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir dreimal das Sachbuch »Die Körpersprache der Hunde« von Barbara Wardeck-Mohr. Wer Hunde verstehen will, muss ihre Körpersprache lesen und deuten können: Dieses Buch bietet dazu einen umfassenden Überblick mit zahlreichen Fotos von unterschiedlichsten Ausdrucksverhalten der Hunde. Ebenfalls dreimal können Sie den raffinierten Psychothriller »Die Moortochter« von Karen Dionne gewinnen. Für Helena Pelletier war ihr Vater immer ein Held – bis sie erfahren musste, dass er in Wahrheit ein gefährlicher Psychopath ist, der ihre Mutter entführt hatte. Er entkommt aus dem Hochsicherheitsgefängnis und versteckt sich im Moor. Nur Helena hat die Fähigkeiten, ihn aufzuspüren. Es wird eine brutale Jagd, denn er hat noch eine Rechnung mit ihr offen ... Ein großartig illustriertes Bilderbuch von Nadia Budde gibt es dreimal zu gewinnen. »Eins zwei drei Vampir« lässt lauter gefährliche Gestalten aufmarschieren, immer drei von einer Sorte und dann als Überraschung eine vierte, die für den Reim zuständig ist. Aber keine Sorge: Die Skelette, Taranteln, Haifische und Hornissen in diesem Buch sind so erschreckend wie die dreijährigen Gespenster, die zu Halloween an unsere Haustür klopfen. Die Lösung des Januar-Rätsels lautet: Geld ist nie weg es hat immer nur ein anderer. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; Fax: 0511 301269-15. E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 28. Februar 2019. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

9. trojanische Prophetin 10. sich abkapseln 11. Südasiat 12. Dichter der frühen Romantik 13. Forschung 14. vollendet 15. schwarzer Vogel 16. Erdumlaufbahn 17. Autor von »Die Biene Maja« 18. Süßigkeit 19. niedersächsische Hafenstadt 20. Frauenname 21. Kontinent

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