Erlebnis Chur-Arosa-Bahn

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ERLEBNIS CHUR-AROSA-BAHN Streifzug durch das Schanfigg


Wir danken allen Institutionen, die mit ihrer Unterstützung die Realisierung dieses Buches ermöglicht haben: Arosa Kultur Graubündner Kantonalbank Stadt Chur SWISSLOS / Kulturförderung, Kanton Graubünden

Bildnachweis Archiv Ueli Haldimann, Uster: 53, 56, 63, 64, 85 unten, 91 unten, 156/157, 161 Mitte/unten, 162/163, 165, 166/167, 169 oben/Mitte rechts, 170/171 Archiv RhB, Chur: 66 unten, 82, 84, 95, 100, 164 Archiv Schatzalp, Benjamin Miller, Zürich: 158 Archiv SVEA/Peter Pfeiffer, Ennetturgi: 106 Mitte Arosa Tourismus: 16 oben (Foto: Alessandro Della Bella), 166 links oben Bergbahnen Tschiertschen: 46 Deutsches Literaturarchiv, Marbach: 168 ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv: 91 oben Faller Modellbau: 90 Foto Homberger, Arosa: 110 Mitte Kantonsbibliothek Graubünden, Chur: 169 rechts unten Tibert Keller, Trin: Umschlag, 2/3, 6, 8/9, 15, 16 Mitte/ unten, 17-45, 47-49, 96-99, 101, 102 oben, 104 unten, 105, 107-108, 109 oben, 111-155, 172, 174/175

Kulturarchiv Arosa-Schanfigg: 50/51, 65, 66 oben, 67, 68 Mitte, 69 oben, 70 oben, 71, 72, 73 oben, 74, 76/77, 80/81, 82 oben, 83, 86 oben/Mitte, 88, 89 oben, 92 unten, 93, 159, 160 rechts, 161 oben, 169 Mitte links Renato Mengotti, Chur: 85 oben, 86 unten, 89 unten, 94 oben Staatsarchiv Graubünden, Negativsammlung der RhB StAGR FN XXVIII: 55, 68 oben/unten, 69 unten, 70 unten, 73 unten, 75, 78/79, 87 Staatsarchiv Graubünden, Chur-Arosa-Bahn StAGR VIII 16i3: 59, 60, 61 (16p1), 62, 92 oben Sammlung Tibert Keller, Trin: 103 unten, 110 oben/unten Stephan Schenk, Lüen: 106 unten Otmar Schmid, Uster: 160 links Franz Skvor, Chur: 104 oben, 109 unten Walter Trüb †: 106 oben Peter Willen, Bern: 102 Mitte/unten, 103 oben In Fällen, wo eine Benachrichtigung der Rechteinhaber nicht möglich war, bittet der Verlag diese um Mitteilung.

www.as-verlag.ch © AS Verlag & Buchkonzept AG, Zürich 2014 Konzept: Heinz von Arx, Zürich Gestaltung und Herstellung: AS Verlag, Heinz von Arx, Urs Bolz, Zürich Lektorat: Peter Krebs, Bern Korrektorat: Pablo Egger, Speicher Druck: B & K Offsetdruck GmbH, Ottersweier Einband: Grossbuchbinderei Josef Spinner GmbH, Ottersweier ISBN 978-3-906055-25-1


ERLEBNIS CHUR-AROSA-BAHN Streifzug durch das Schanfigg

Texte

Ueli Haldimann Tibert Keller Georg J채ger Fotos

Tibert Keller Herausgeber

Heinz von Arx

AS Verlag



Inhalt

9 Streifzug durch das Schanfigg Zur Geschichte des Tals der Plessur · 10 Sonnenseite und «Litziseite» · 10 Bevölkerung im Tal – ein Auf und Ab · 13 Frühe Demokratie in den Gemeinden · 13 Romanen und Walser · 14

«Die Strasse währe soweit gut gewesen» · 92 Bahn-Transportmonopol dank Autofahrverbot · 93 Zahlen und Fakten Chur-Arosa-Bahn · 94 «Die Erbauer haben eine kluge Streckenwahl getroffen» · 95

97 Eine einzigartige Gebirgsbahn 51 Der Bau der Bahn Wie die Bahn nach Arosa kam · 52 Ein erster Aufschwung in Arosa · 52 Im Schatten von Davos · 53 Ein erstes Projekt: Die Strassenbahn · 54 Die Bahn kam 1858 nach Graubünden · 55 Ein schwieriges Gelände · 56 Zwei neue Projekte · 57 Arosa wechselt die Seite · 57 Die Bahn durch das Schanfigg setzt sich durch · 58 Eine 17 Kilometer lange Seilbahn · 61 Die Stadt Chur will den Maranerhang zu Geld machen · 62 Die Bahngesellschaft wird gegründet · 63 Die Bahnpioniere · 64 Der Bau beginnt · 65 Löhne und Preise beim Bau der Chur-Arosa-Bahn · 66 Der Langwieser Viadukt · 74 Das Schreckensjahr 1914 · 78 St.Peter-Molinis, oder umgekehrt? · 80 Die Folgen des Ersten Weltkriegs · 81 «Packende Bilder landschaftlicher Schönheit» · 81 Vier Motorwagen, sechs Personenanhänger und ein Krankenwagen · 84 Der Erfolg und die Krise · 85 Die Bahnhöfe als «volkstümliche und erzieherische Bauten» · 90

Seite 2/3: Der aus Arosa kommende Zug bahnt sich einen Weg durch die frisch verschneite Churer Engadinstrasse.

Linke Seite: Über den Langwieser Viadukt schweift der Blick durchs Schanfigg bis zum Ringelspitz und zum Calanda am Horizont.

Der lange Weg zur Integration · 98 Hoher Aufwand für die Integration · 98 Die Tücken des Rollmaterials · 99 Handlungsbedarf bei den Triebwagen · 102 Enger Platz, kurze Wagen · 103 Von Wagenführern und einfachem Billettbezug · 104 Besondere Kombinationen · 108 Der gescheiterte Stadttunnel · 108 Die Bahn stellt auf Wechselstrom um · 112 Die unterschätzte Strecke · 113

157 Vom Höhenkurort zum Feriendorf Die Bahn ermöglicht den Wandel Arosas · 158 Arosa wird zum Lungenkurort · 158 Ganz auf Tuberkulose eingestellt · 160 Die gescheiterte Tschuggenbahn · 164 Der Sport hält Einzug · 165 Die Bahn als Stütze für den Tourismus · 165 Ski, Bob, Schanzenspringen, und im Sommer das Schwimmbad · 165 Die Hotels passen sich an · 169 Die heutige Bedeutung der Bahn · 170 173 Literatur und Quellen 173 Dank



Streifzug durch das Schanfigg Text: Georg J채ger Fotos: Tibert Keller

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Zur Geschichte des Tals der Plessur

Vorangehende Doppelseite: Die Steinmännchen des Gründjitobels bei Sonnenaufgang. Die Formationen verdanken ihre Entstehung im Moränenhang eingebetteten Steinplatten. Diese schützen die darunterliegende Gesteinsmasse vor der langsamen, aber stetigen Erosion.

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Die Kulturlandschaft im Schanfigg, einem Seitental des Churer Rheintals, ist seit Jahrtausenden durch die Landwirtschaft geprägt. Die Dörfer in den obersten Talabschnitten gehören zu den Walserkolonien des Kantons Graubünden aus dem späten Mittelalter. Mit dem Tourismus und der verbesserten Erreichbarkeit für Pendler stieg im 20. Jahrhundert die Bevölkerungszahl, und es setzte eine tief greifende Modernisierung der Lebensweise ein. Sonnenseite und «Litziseite» Das Tal Schanfigg erstreckt sich auf gut dreissig Kilometern von Chur in östlicher Richtung bis Langwies und von dort in einem Bogen südwärts in den Talkessel von Arosa. Das Seitental Sapün führt von Langwies aus in direkter östlicher Richtung weiter zum Strelapass, der die kürzeste Verbindung zwischen Chur und der Landschaft Davos ermöglicht. Die Dörfer Maladers, Calfreisen, Castiel, Pagig, St. Peter und Peist auf der rechten Talseite, der «Sonnenseite», liegen zumeist auf Terrassen zwischen 1000 und 1400 m ü.M. an klimatisch milder Lage über dem schroffen Einschnitt des Talflusses Plessur. Nur diese Region von der Churer Stadtgrenze bei Sassal bis zum Frauentobel nach Peist trug früher den Namen Schanfigg*; heute wird er für das ganze Tal bis zu den Plessurquellen in Arosa verwendet. Im mittleren Teil ermöglichte das Gelände auch die Besiedelung tieferer Lagen gegen die Plessur hin. Dort befinden sich die Dörfer Lüen und Molinis. Der Langwieser Hof Litzirüti ist eine Rodungsinsel auf der «Litziseite», der Schattenseite links der Plessur. Tschiertschen und Praden, die Dörfer im unteren Teil der linken Talseite, sind seit jeher durch einen eigenen Zugang nach Chur ausgerichtet. Die Verbindungen zwischen den beiden Talseiten waren geprägt durch schwer zu unterhaltende Wege in steilem, unstabilem Gelände, was sich auch auf die politischen Einheiten auswirkte. * Die Herkunft des Namens ist unklar, möglicherweise geht er auf einen rätischen Stamm zurück. Die Verbindung mit dem lateinischen Cannabis (Hanf) wird heute von der Namenforschung abgelehnt.

Als letzte ganzjährige Siedlungen entstanden im obersten Teil des Tals Langwies mit seinen Seitentälern Sapün und Fondei sowie die Höfe von Arosa. Dörfer und Höfe. Das Schanfigg ist uraltes Siedlungsgebiet. Auf der rechten Talseite hat die Archäologie bisher zwei prähistorische Dörfer nachgewiesen: am Tummihügel unterhalb Maladers und auf der Kuppe Carschlingg in Castiel. Die ältesten Funde bei Maladers gehören zur ersten intensiven alpinen Besiedelungsepoche während der Bronzezeit (nach 1800 v. Chr.). Carschlingg war zeitweise eine befestigte Siedlung, die in verschiedenen Phasen von der Eisenzeit im letzten Jahrtausend v. Chr. bis ins Frühmittelalter Bestand hatte. Der Tummihügel lieferte auch wertvolles Fundmaterial aus der Römerzeit. Es ist nicht bekannt, ob prähistorische und römische Wohnorte kontinuierlich weiter bestanden. Ein mittelalterliches Dokument der Kirchengründung von Lüen aus dem Jahr 1084 belegt hingegen eindeutig eine intensive, frühmittelalterliche Nutzung und die hohe Bevölkerungsdichte in den landwirtschaftlich günstigen mittleren Lagen auf der rechten Talseite. Die Quelle aus dem bischöflichen Archiv in Chur dokumentiert auch eine lange Epoche der Sprachgeschichte des Tales; von den rätoromanischen oder vorrömischen Flurnamen der Urkunde ist heute die Mehrzahl noch lokalisierbar. Ein altes Siedlungsgebiet ist auch das Dorf Tschiertschen auf der linken Talseite, das bereits in der Karolingerzeit bestanden haben dürfte und in eindeutigen Schriftquellen seit dem beginnenden 13. Jahrhundert als Dorfsiedlung erscheint. Die Dörfer von Maladers bis Peist sind zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert ebenfalls erstmals schriftlich dokumentiert, dürften aber viel älter sein. Um 1300 erfolgt die Ansiedelung von Walsern, ursprünglich aus dem Wallis stammenden Bauern, in den Seitentälern Sapün und Fondei, den ältesten Walserhöfen von Langwies. Walser aus Davos lassen sich Anfang des 14. Jahrhunderts auch im Becken von Arosa nieder. Bereits im Jahr 1300 übernehmen zwei Walliser namens Röttiner und Aier mit ihren Genossen zwei Höfe in Praden auf der


äusseren linken Talseite. In den Anfängen förderten die Grundherren diese Vorgänge aus wirtschaftlichem Interesse, so etwa das Churer Domkapitel und das Kloster St. Luzi in Chur. Ihr Ziel war es, bisher extensiv bewirtschaftete Alpen und Güter durch Vieh züchtende Zinsbauern ganzjährig nutzen zu lassen, die ihre Rinder auf den wachsenden Märkten im Süden (Chiavenna, Como, Lugano) oder im Norden am Bodensee absetzen konnten. Weg und Steg. Von Chur aus bis zum 2300 m ü.M. gelegenen Strelapass muss bereits in der Urgeschichte ein rechtsseitiger Verbindungs- und Durchgangsweg durch das Schanfigg nach Osten bestanden haben. Der Strelaweg führt ins Landwassertal; von dort aus gelangten Reisende über die Pässe Flüela und Scaletta ins Engadin und weiter ins tirolische Inntal oder zu den Pässen in die Lombardei. Nach der Ansiedlung von Walsern in der Landschaft Davos erhielt der Strelaweg erhöhte Wichtigkeit als kürzeste regionale Verbindung nach Chur und ins Rheintal. Ein zweiter Talweg führte auf der linken Talseite über Praden und Tschiertschen nach Molinis und ins innere Schanfigg. Die Durchgänge durch das Schanfigg waren nie Hauptachsen des alpinen Transits, sie dienten vor allem dem lokalen Saumverkehr und den individuell Reisenden. Der alte Talweg und die heutige Strasse sind durch Schluchten mehrfach unterteilt. Sie bilden die kurvenreiche Verbindung zwischen den Siedlungen in topografisch schwierigem Gelände. Der Zustand wird bis zum Strassenbau Ende des 19. Jahrhunderts als schlecht beschrieben. Paul Thürer, ein in Chur aufgewachsener Pfarrer, erinnert sich, wie er als Knabe um 1885 den Bauern half, das Vieh auf die Alpen nach Arosa zu treiben: «Die Alte Strasse von Araschgen bis Tschiertschen verdiente eigentlich nicht den Namen Strasse. Es war nur ein schmaler, holperiger Weg, wenig mehr als ein Meter breit, auf beiden Seiten mit gekreuzten Latten begrenzt. Nach einem heftigen Regen verwandelte er sich in eine Rüfe.» Als ebenso prekär beurteilten die Reisenden die Verhältnisse auf der anderen Talseite, wo immer wieder Rutschungen die Wanderer behinderten oder

hohe Felsen in den Schluchten den Reisenden Angst einflössten. Erst der Bau befahrbarer Strassen von Chur nach Langwies (1875–1891), von Langwies nach Arosa (1888–1890) und von Chur nach Tschiertschen (1893–94) verbesserte die Verkehrsverhältnisse vor der Eröffnung der Arosabahn. Für die lokalen Bedürfnisse von Bedeutung war der Durannapass im Seitental Fondei, der ins mittlere Prättigau führte. Als Zugang zu ihren Alpen auf Aroser Gebiet diente den Churern der Weg über Praden und Tschiertschen. Der «Schanfigger Alpweg» seinerseits ging von Maladers, Calfreisen, Castiel nach Lüen und dann steil hinauf nach Tschiertschen und von dort ins Urdental, wo diese Gemeinden seit dem 15. Jahrhundert eigene Alpen besassen. Die wichtigste Existenzgrundlage der Bevölkerung im Schanfigg war bis weit ins 20. Jahrhundert die Landwirtschaft. Einzig in Arosa und im kleinräumigeren Tschiertschen begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Fremdenverkehr eine zunehmende Rolle zu spielen. Nach den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, als Pendler aus den äusseren Schanfigger Dörfern in Chur und aus dem Innerschanfigg saisonal auch in Arosa zu arbeiten. Heute sind die Dörfer in starkem Mass zu Wohnorten einer mobilen Gesellschaft geworden, die in der wachsenden Wirtschaft des Churer Rheintals Arbeit findet. Viehzucht als Geldquelle. Im Verlauf der Jahrhunderte bildeten sich im Schanfigg zwei unterschiedliche landwirtschaftliche Zonen heraus. Im älteren, mittelalterlichen Siedlungsgebiet zwischen Maladers und Peist sowie Tschiertschen auf der linken Talseite herrschte die kombinierte Viehund Ackerbauwirtschaft vor. In diesem äusseren Teil des Tals entstand im Verlauf der Jahrhunderte ein differenziertes Wirtschaftssystem. Es bestand aus Wiesen und Äckern im Bereich der Dörfer, aus Maiensässen – den Zwischenstufen oberhalb der Siedlungen – sowie aus Gütern mit Ausfütterungsställen und Obstbäumen unterhalb der Dörfer. Eine Besonderheit waren in den höchsten Lagen – am Hochwang, am Weisshorn gegen das Urdental und

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Arosa bietet übers ganze Jahr vielfältige Aktivitäten in prächtiger Landschaft. Seit Januar 2014 verbindet die Urdenbahn das Hörnli mit dem Urdenfürggli und damit die Skigebiete von Arosa und Lenzerheide. Der Ausblick Richtung Norden geht von Urdental zur Hörnlihütte ganz rechts (oben). Die Örtlichkeit «Tschuggen», die auf knapp 2000 m ü.M. liegt, ist Austragungsort des traditionellen Humorfestivals. Dazu wird jeweils ein grosses Zelt aufgestellt (Mitte). Die sanften Wiesen auf Maran bilden eine ideale Basis für das Aroser Golfparadies (unten). Rechte Seite: Oberhalb von Innerarosa steht seit 1492/93 das Bergkirchli, das heute hauptsächlich Konzerten, Hochzeiten oder Beerdigungen dient (oben). Von der Bahn, aber nicht von der Hauptstrasse aus, ist der unterhalb des Iselwaldes angelegte Stausee zu sehen. Er liegt sowohl an der Höhenwegetappe Arosa–Sapün, als auch an den Routen über die Maienfelder Furgga und zur RamozHütte (unten).

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Der Bau der Bahn Text: Ueli Haldimann

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Wie die Bahn nach Arosa kam

Vorangehende Doppelseite: Ab 1913 arbeiteten über 2000 Männer auf den verschiedenen Streckenabschnitten der Chur-Arosa-Bahn. Italiener stellten das grösste Kontingent. Rechte Seite: Im Rütihof in Litzirüti machten Fuhrleute gerne eine Pause vor dem letzten Anstieg nach Arosa (oben). Die Fahrt mit der Postkutsche von Chur nach Arosa dauerte mehr als sechs Stunden (Mitte). Im Winter wurden für den Transport von Gästen und Gütern Schlitten eingesetzt (unten).

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Ende 1914 ging die Chur-Arosa-Bahn in Betrieb – nach einer langen Variantendiskussion, aber einer erstaunlich kurzen Bauzeit von zweieinhalb Jahren. Sie gilt als eine der schönsten Bergbahnstrecken der Schweiz und brachte Arosa den erhofften Aufschwung. Dies obschon die Bahn im Vergleich zu anderen Bergbahnen spät gebaut wurde und der Start in die Zeit des Ersten Weltkriegs fiel. Am höchsten Punkt des Carmennapasses, am Fussweg von Arosa nach Tschiertschen und Chur, standen früher markante Felsbrocken. Sie hiessen im Volksmund Gottlobunddank-Steine, und zwar deshalb, weil sie auf dem Weg nach Chur die höchste Stelle markierten. Wer sie erreichte, hatte den anstrengendsten Teil hinter sich – sei es auf dem Weg nach Arosa oder in umgekehrter Richtung. Von nun an ging es bergab dem Ziel entgegen. Arosa liegt am Ende eines Tales, sechs Wegstunden von Chur entfernt. Das Schanfigg ist eine Sackgasse, bei Innerarosa endet das Tal der Plessur. Die Walser, die die Gegend im 14. Jahrhundert besiedelt hatten, lebten hier oben, weil man sie weiter unten im Tal nicht wollte und weil sie hier frei waren. Sie führten ein einfaches, genügsames Leben. Sie trieben nur wenig Handel und lebten weitgehend nach dem Prinzip der Selbstversorgung. Hie und da verkauften sie eine Kuh nach Chur; das gab etwas Geld, um solche Dinge zu kaufen, die sie nicht selbst herstellen konnten. Zwei Routen – beides einfache Saumwege – führten von Arosa nach Chur. Die Route über die 2367 m hohe Carmenna war zwar steil und beschwerlich, aber trotz zusätzlicher 400 Meter Höhenunterschied schneller als der viel längere Weg über Langwies oder die Ochsenalp. In Graubünden gab es zwar schon sehr früh ein gut unterhaltenes Netz an Strassen. Doch dieses beschränkte sich auf die Transitachsen. Eine Strasse in die Sackgasse nach Arosa zu bauen, war für die Obrigkeit uninteressant.

Ein erster Aufschwung in Arosa In der Folge entvölkerten sich die höher gelegenen Siedlungen des Tals. 1850 lebten noch ganze 50 Seelen in den verstreuten Häusern beim Aroser Bergkirchli. Von allen dörflichen Siedlungen im Schanfigg war Arosa mit Abstand die kleinste. Erst 1876 liess der Kanton eine 3,6 Meter breite Strasse nach Langwies bauen. Bis hierher fuhr fortan in etwa fünf Stunden die Postkutsche von Chur. Die restliche Strecke nach Arosa musste immer noch in einem zweieinhalbstündigen Fussmarsch oder auf Saumpferden zurückgelegt werden. Trotzdem ermöglichte die Schanfiggerstrasse Arosa einen ersten Aufschwung als touristische Destination und Luftkurort. Bis 1890 wurden elf Hotels und Pensionen eröffnet, darunter das Kurhaus in Innerarosa (heute Hotel Kulm), das Waldhaus (heute Sunstar) und der Seehof. Das Sanatorium Berghilf (später Sanatorium Arosa, heute Grand Hotel Tschuggen) war das erste spitalähnliche Etablissement; es bot im Ganzjahresbetrieb 27 Zimmer und «heizbare Wasser-Closets». Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) schwärmte 1882: «Wer hätte dahinten in einer Thalschaft, die kaum ein ordentliches Strässchen in unserem Sinne aufweist, einen so lieblichen, idyllischen Flecken Erde vermuthet?» Tatsächlich ist der Aufschwung absolut erstaunlich, den Arosa in kürzester Zeit nahm. Jeder Ziegelstein und jedes «Wasser-Closet» musste damals mühsam auf dem Saumweg herangebracht werden. Der Fussweg ab Langwies, so erinnerte sich später die Aroserin Anna Hold, «führte über Baumwurzeln, durch Sümpfe, über Bäche ohne jeden Steg, durch nahe stehendes Gebüsch; häufig hatte man Mühe, ihn überhaupt zu finden. Zuweilen wurde eine Dame in der Sänfte nach Arosa getragen.» Erst 1890 wurde eine 3,2 Meter breite Strasse über Litzirüti (damals Rüti genannt) nach Arosa gebaut. Im gleichen Jahr, als die ersten Züge nach Davos fuhren, war es endlich möglich, Arosa wenigstens mit Postkutschen, Fuhrwerken und Schlitten zu erreichen. Der Fahrweg gab der Entwicklung des aufstrebenden Kurortes nochmals Schub. Weitere Hotels entstanden, andere wurden ausgebaut, und die


Einwohnerzahl nahm rasant zu. Zählte die Gemeinde 1870 noch 60 Einwohner, waren es 1900 schon 1071. 1885 lebte in Arosa gerade noch ein Kind im schulpflichtigen Alter; 15 Jahre später unterrichteten zwei Lehrer 58 Kinder. Dennoch war der Weg nach Arosa immer noch mühsam, und unzählige Male wurde die Gemeinde bei der Postverwaltung vorstellig. Mal verlangte sie mehr Kurse, mal bessere Fahrzeuge und mal kürzere Fahrzeiten. 1907 beispielsweise wird kritisiert, dass auch bei schlechtem Wetter im Winter offene Schlitten eingesetzt würden. Immer deutlicher zeigte sich, dass die Post der ständig wachsenden Nachfrage nicht gewachsen war. Vor allem Kurgäste mit Tuberkulose und anderen Lungenkrankheiten kamen nach Arosa, wo sie meist mehrere Wochen oder Monate blieben. Im Jahr 1909 beispielsweise benutzten 10 322 Personen die Postkutsche von Chur nach Arosa. Die Fahrt mit einem Pferdewechsel in Langwies dauerte gemäss Fahrplan sechs Stunden. Auch die Menge der transportierten Güter war enorm. Laut einer Abklärung, die im Vorfeld des Bahnbaus gemacht wurde, bezogen 1906 das Baugeschäft Caprez 506 154 Kilogramm Waren, das Sanatorium Arosa 519 408 Kilogramm und der ComestiblesHändler Domenig 227 000 Kilogramm. Total transportierten die Fuhrunternehmen 1906 etwa 4300 Tonnen Güter nach Arosa. 1909 waren es bereits 6700 Tonnen; das entspricht etwa 3000 Fuhrwerken. Die Transporte, die Aroser Hotels und Unternehmen mit eigenen Gespannen ausführten, sind hier nicht mitgerechnet. Auf der engen Strasse, auf der man nicht kreuzen konnte, herrschte ein aggressives Gedränge. Im Winter war es noch übler, wenn Schlitten zum Einsatz kamen. Im Schatten von Davos Arosa stand im Schatten seiner Nachbargemeinde ennet der Strela und der Maienfelder Furgga: Im Landwassertal erlebte Davos einen viel schnelleren und tiefgreifenden Aufschwung. War Arosa ein Sanatoriums-Dorf, so wuchs Davos zu einer Sanatoriums-Stadt.

Vor allem zwei Zugewanderte waren es, die Davos förderten: Der Arzt Alexander Spengler, ein liberaler 1848er-Flüchtling aus Deutschland, entdeckte und propagierte die lindernde und heilende Wirkung der Höhenluft für Tuberkulosekranke. Und der Holländer Unternehmer Willem Jan Hols-

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Gelände und Witterung sorgten während der Bauarbeiten immer wieder für grosse Schwierigkeiten. 1913 verwüstete ein Hochwasser die Baustelle beim Meiersboden (oben). Unterhalb Maladers verschüttete ein Geländerutsch das bereits gebaute Trassee (Mitte). Beim Nesslaries-Tunnel verschüttete ein Erdrutsch im Januar 1913 die Zufahrt zum Tunnel (unten). Rechte Seite: Beim Spundetscha-Tunnel verformte der Bergdruck den im Bau befindlichen Tunnel. Zunächst wurde ein provisorisches Trassee zur Umfahrung des Tunnels gebaut (oben). Der Calfreisertobel-Viadukt ist in klassischer Bauweise mit örtlich vorhandenen Natursteinen gemauert (unten).

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Besonders stolz war die Chur-Arosa-Bahn auf ihren Krankenwagen. Er konnte bei Bedarf an den Zug angehängt werden und kostete «8 Billette 2. Klasse plus 14 Franken für die Desinfektion».

Vier Motorwagen, sechs Personenanhänger und ein Krankenwagen Bei der Betriebsaufnahme verfügte die Bahn über vier Motorwagen, sechs zweiachsige Personenwagen und 16 Güterwagen. Die Motorwagen, worunter man ein Zugfahrzeug mit Sitzplätzen für die Passagiere versteht, wurden von der Wagons- und Aufzügefabrik Schlieren gebaut; die elektrische Ausrüstung stammte von der Firma Brown Boveri & Cie. in Baden. Die BCFe 4/4, so die Typenbezeichnung, waren mit 400 PS motorisiert und konnten 70 Tonnen bergauf bewegen. Da der Motorwagen selber schon 38 Tonnen wog, konnten nur noch rund 30 Tonnen angehängt werden. Im Führerstand sass der Wagenführer. In den Anstellungsverträgen dieser Berufsgruppe stand, er müsse sich «mit den technischen Einrichtungen des Motorwagens eingehend vertraut» machen, um «vorkommenden Störungen sofort zu begegnen». Während der Fahrt müsse er «die vor sich liegende Strecke stets im Auge behalten». Für «die tadellose Instandhaltung» seines Motorwagens «und vorsichtiges Fahren» wird ihm eine jährliche Gratifikation von 50 Franken versprochen. In der Regel waren dem Motorwagen ein bis maximal drei Personenwagen mit je 40 Sitzplätzen angehängt. Längere Züge liessen sich auch bei grossem Andrang nicht formieren, weil die Motorwagen zu schwach waren. Deshalb wurden die Motoren 1929 durch solche mit 50 Prozent mehr Leistung ersetzt. Ein zusätzlicher Strom-Einspeispunkt in Langwies verbesserte die Betriebssicherheit, sodass die Bahn nun Züge mit Doppeltraktion für bis zu 400 Passagiere zusammenstellen konnte. Eine Besonderheit im Wagenpark war ein zweiachsiger Krankenwagen, der sich bei Bedarf an einen normalen Zug anhängen liess. Er wurde auf Wunsch der Ärzteschaft für 23 000 Franken bei der Wagons- und Aufzügefabrik Schlieren bestellt; der Verwaltungsrat ging davon aus, dass er schnell rentabel sein würde. Auf dieses Gefährt war man stolz und zeigte es im Sommer 1914 an der Landesausstellung in Bern. Der Wagen war, so die Aroser Zeitung, «mit einer kompletten Pflegeeinrichtung» ausgerüstet. Er besass sogar einen «elektrisch geheizten Warmwassererzeu-

ger». Die Wände waren weiss gestrichen und «mit Landschaftsbildern geschmückt» (auf den Fotos fehlen diese aber). Die Benutzung des Wagens kostete gemäss Reglement 110 Franken (acht Billette 2. Klasse plus 14 Franken für die Desinfektion); zwei Begleitpersonen konnten gratis mitreisen. Das wurde als teuer empfunden, weshalb Kranke manchmal ohne Wissen der Ärzte im normalen Wagen 2. Klasse reisten, ohne dass diese je desinfiziert wurden. Das führte zu

Reklamationen von Mitreisenden, aber auch des Ärzte-Vereins Arosa. Otto Amrein regte im Namen des Vereins an, die Samtpolsterung der Zweitklasswagen durch waschbares Leder zu ersetzen, weil das Samtpolster wegen der «tagtäglich Bazillen aushustenden Lungenkranken unhygienisch» sei. Die Bahn lehnte das ab, versprach aber, «der guten Reinigung und Entstaubung der Polster in Zukunft vermehrte Aufmerksamkeit» zu schenken.


Der Erfolg und die Krise Die Chur-Arosa-Bahn nahm im ersten Kriegswinter den Betrieb auf. 1915 zählte sie 77 300 Passagiere, die 193 000 Franken einbrachten, verglichen mit etwa 10 000 Personen, die 1913 die Postkutsche benutzt hatten. Das wurde vom Verwaltungsrat angesichts der Umstände als zufriedenstellend erachtet. Im letzten Kriegsjahr 1918 stiegen die Personeneinnahmen auf 296 000 Franken, um bis 1930 auf 797 000 Franken anzusteigen. 1929, in ihrem besten Jahr, erwirtschaftete die Chur-ArosaBahn AG einen Betriebsüberschuss von 809 000 Franken. 1930 waren es nochmals 795 000 Franken. Aufgrund der guten Nachfrage kaufte die Bahn bald zusätzliches Rollmaterial. Beim Start besass sie vier Motorwagen und sechs zweiachsige Per-

sonenwagen. 1925 kaufte sie einen fünften Motorwagen dazu, 1929 einen sechsten. Auch beschaffte sie zusätzliche Personenwagen, einige davon mit Polsterklasse. Zudem wurden 1929 stärkere Traktionsmotoren verwendet. So konnten Züge mit Doppeltraktion bis zu 400 Personen befördern. Wegen der zunächst guten Nachfrage wurden auch mehrmals zusätzliche Güterwagen angeschafft – auch dann noch, als der Güterumsatz bereits wieder stark rückläufig war. 1939 hatte die Bahn 50 Güterwagen, nahm damit aber weniger ein als 1918, als es noch 16 gewesen waren. Die Blütezeit der Zwanzigerjahre fand ein abruptes Ende. Die Wirtschaftskrise, ausgelöst durch den Kurssturz an der Wall Street von Ende Oktober 1929, erreichte Europa mit Verspätung, schlug

Die Chur-Arosa-Bahn entwickelte sich rasch zu einer beliebten Touristenattraktion. Postkarten zeigen die Bahn mit dem winterlichen Arosa oder den Bahnhof am Obersee. Der Obersee war bei der Bahneröffnung noch sehr wenig bebaut. Bemerkenswert ist im oberen Bild einer der vier kleinen, 1930 als Occasionen von der RhB erworbenen Personenwagen.

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Eine einzigartige Gebirgsbahn Text und Fotos: Tibert Keller

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Der lange Weg zur Integration

Vorangehende Doppelseite: Steil, kurvenreich, mit grossartigen Ausblicken. So lässt sich die Bahnfahrt nach Arosa charakterisieren. Am 19. Februar 2011 ist dieser Zug im Bereich zwischen St. Peter und Peist bereits im aperen Gelände unterwegs. Links die markante «Rungser Rüfi» von Molinis.

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Während des Zweiten Weltkriegs übernahm die RhB die Chur-Arosa-Bahn. Die volle Integration des Unternehmens, das über ein eigenes Stromsystem und einen auf die speziellen Verhältnisse abgestimmten Wagenpark verfügte, nahm danach mehrere Jahrzehnte in Anspruch. Noch heute durchqueren die Züge die Stadt Chur als «Strassenbahn». Der Bahnhof Chur ist ein aussergewöhnlicher Bahnknotenpunkt. Hier treffen sich Gleisanlagen zweier Spurweiten, die ursprünglich zu drei Unternehmungen gehörten. Die Jüngste unter ihnen ist die 1914 eröffnete Chur-Arosa-Bahn (ChA). Sie war die Erste auf dem Platz, die mit sauberem Strom und nicht mit Dampf fuhr. Typischerweise war es Gleichstrom. Sein Vorzug fällt gerade für Gebirgsbahnen buchstäblich ins Gewicht: Für den Betrieb reichen leichte und einfache Triebwagen. Grössere Bahnen setzten später auf den Wechselstrom hoher Spannung, bei dem die Stromversorgung einfacher und günstiger realisierbar ist, der andererseits aber schwerere Triebfahrzeuge benötigt, die einen Transformator mitschleppen müssen. So haben sich die RhB und die SBB für Wechselstrom entschieden. Die RhB elektrifizierte ihre Gleise 1921 mit 11 000 Volt, die SBB 1928 mit 15 000 Volt. Damit trafen sich im Bahnhof Chur drei verschiedene Stromsysteme. Weil die SBB-Anlage zwischen den Gleisen der beiden Schmalspurbahnen liegt, quert in der Bahnhofseinfahrt ein Verbindungsgleis der Meterspur die Normalspurgleise. Darüber wickelt sich der Wagenaustausch zwischen der Arosalinie und dem übrigen RhB-Netz ab, wofür bis 1943 Dampfloks im Einsatz standen. Danach kam eine eigens für diesen Dienst umgebaute Zweikraftlok zum Zug. Sie bezog ihre Energie entweder von der RhB-Fahrleitung oder den eingebauten Batterien, später dann von einem Dieselmotor. Erst 2004, im Verlauf des grossen Bahnhofumbaus, erhielt das Verbindungsgleis eine eigene Fahrleitung. Der ganze Abkreuzungsbereich lässt sich seither, je nach Weichenstellung, mit RhB- oder SBB-Strom speisen. Seit 1997 fährt die Arosabahn mit «RhB-Strom».

Hoher Aufwand für die Integration Als die RhB 1942/43, während des Zweiten Weltkriegs, auf Anordnung des Bundes die drei eigenständigen, aber mehr oder weniger abgewirtschafteten Bündner Privatbahnen Ferrovia Bellinzona– Mesocco (BM), Berninabahn (BB) und Chur-ArosaBahn übernahm, wuchs das RhB-Meterspurnetz von 277 auf stolze 396 Kilometer an. Die Übernahme hatte aber beträchtliche Probleme zur Folge, verfügten doch alle diese Gleichstrom-Bahnen über technische Eigenheiten: keine verwendete die gleiche Stromspannung und alle waren sanierungsbedürftig. Die RhB suchte nach Wegen, um diese «Exoten» schrittweise den Verhältnissen im RhB-Stammnetz anzugleichen. Was aus betrieblicher Warte Sinn macht und Kosten sparen hilft, war allerdings beim Umsetzen schwierig und mit hohem Aufwand verbunden. Als eine der ersten Massnahmen wollten die Verantwortlichen die Arosalinie auf Wechselstrom umstellen. Die damals neu beschafften RhB-Loks vom Typ Ge 4/4 I waren bereits für diesen Schritt konstruiert. Es stellte sich dann heraus, dass nach der Umstellung nicht genügend Wechselstrom zur Verfügung stehen würde. So musste die RhB wohl oder übel weiter in den unwirtschaftlichen «Inselbetrieb» der Arosabahn investieren. Als die Loks 50 Jahre später endlich die Gelegenheit gehabt hätten, ihre Arosabahn-Tauglichkeit unter Beweis zu stellen, waren sie für diesen Zweck bereits zu schwach. Die Arosabahn verwendete als schweizweite Besonderheit die hohe Spannung von 2000 Volt (die RhB setzte sie später sogar auf 2400 Volt hinauf). Die einzige Einspeisung bei Lüen hätte somit ausreichen sollen, um den Betrieb sicherzustellen. Doch der Verkehr entwickelte sich stärker als vorgesehen, die Züge wurden länger und schwerer. Als Folge fiel die Spannung umso stärker ab, je weiter die Züge von Lüen entfernt waren. Sie fuhren entsprechend immer langsamer und erreichten Arosa mit bloss noch halber Geschwindigkeit und grosser Verspätung.


Die in Langwies installierte zweite Stromeinspeisung verbesserte die Situation ab 1930 erstmals. Nach einer Radikalkur durch die RhB sorgten später vier über die ganze Strecke verteilte Gleichrichteranlagen für eine ausreichende Stromzufuhr. Eine teilweise Rückspeisung (Rekuperation) steigerte die Energieeffizienz wesentlich. Die Gleichstrommotoren der talwärts fahrenden Triebwagen erzeugten beim Bremsen Strom. Dieser durfte einst nur in die Fahrleitung zurückgeführt werden, wenn ein bergwärts fahrender Zug die Elektrizität nutzte. Mit den neuen Anlagen entfiel die Einschränkung, der Stromzähler konnte sich nun auch rückwärtsdrehen. Offenbar bezog zeitweise ein ungewöhnlicher Kunde Strom aus dem Netz der Arosabahn: das Churer Krematorium! Es lag dem Depot Sand gleich gegenüber. Wenn eine Verbrennung anstand, rief jeweils ein Mitarbeiter des Krematoriums im Depot an mit der Bitte, den Strom für den Elektroofen ein- beziehungsweise wieder auszuschalten.

Die Tücken des Rollmaterials Mit der Fusion übernahm die RhB von der ChA auch alle Fahrzeuge. Zwar entsprachen diese in den wesentlichen Punkten den Normen des RhB-Rollmaterials. Spurweite, Kupplungs- und Bremssystem waren identisch. Trotzdem blieben die Triebwagen mit dem «exotischen» Stromsystem an den Inselbetrieb auf der Chur-Arosa-Linie gebunden und konnten nicht anderweitig eingesetzt werden. Bei den Personenwagen beschränkte die spezielle Heizung die Einsatzmöglichkeit. Anders als auf den RhB-Stammlinien funktionierte diese mit der vollen Fahrleitungsspannung, die über Dachruten von Wagen zu Wagen geleitet wurde. Weil bei der Arosabahn im Winter – auch heute noch – am meisten Verkehr herrscht, brauchte es Verstärkungswagen. Die alte ChA behalf sich an Spitzentagen mit angemieteten, ungeheizten alten RhB-Wagen aus der Dampfzeit. Der Andrang der Passagiere war derart gross, dass das Unternehmen in Arosa an schönen Winternachmittagen die Zugbelegung für die Rück-

Bis zum grossen Churer Bahnhofumbau kurz nach der Jahrtausendwende besass die SBB-Gleise querende Meterspurverbindung keine Fahrleitung. Das war die Domäne der 2002 abgebrochenen Zweikraftlok Gem 2/4 211, die hier RhB-Wagen sowohl dem Arosaareal als auch dem Güterschuppen zustellt. Die Normalspurgleise ganz links bestehen nicht mehr (oben). Seit 2004 lässt sich das neue, im Vordergrund sichtbare Verbindungsgleis elektrisch und signalgesichert befahren. Ein vierteiliger «Allegra»Vorortstriebzug wartet am 9. August 2012 das Passieren des SBB-Zugs ab, um anschliessend eine Probefahrt auf der Arosalinie zu unternehmen (unten).

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Vorangehende Doppelseite: Im Zentrum des Bildes verläuft, ähnlich einer Kerbe, das Gründjitobel mit der erodierten

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Flanke. Während der bewaldete Talgrund auch zur Mittagszeit im Schatten liegt, ist Peist an jenem 16. Dezember 2007 voll besonnt.

Die vom Zug gut sichtbaren Steinmännchen des Gründjitobels zählen zu den Sehenswürdigkeiten der Arosalinie. Gut zu erkennen sind die auf den Türmchen thronenden Steinbrocken.

Rechte Seite: Auch der in Eisenbetonbauweise erstellte Gründjitobel-Viadukt zählt zu den Pionierbauten dieser Spezies. Vom «Usser Prätschwald» lässt sich das Tobel besonders gut überblicken.






Vom Hรถhenkurort zum Feriendorf Text: Ueli Haldimann

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Die Kranken wurden angehalten, nicht auf den Boden zu spucken, sondern Taschenspucknäpfe zu verwenden. Der Dettweilersche Taschenspucknapf aus blauem Glas wurde auch «blauer Heinrich» genannt. Ein typisches Badezimmer im Sanatorium Arosa.

tigen Formaldehyds wurden anschliessend mittels Schläuchen Ammoniakdämpfe durchs Schlüsselloch ins Zimmer geleitet. Wäsche, Bettzeug, Vorhänge und Kleider mussten nach einem Todesfall in einem von der Gemeinde gestellten Desinfektionsofen gereinigt werden.

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Ganz auf Tuberkulose eingestellt Arosa war vor 1914 sozusagen von Kopf bis Fuss auf Tuberkulose eingestellt. Im Dorf und in den Kurhäusern arbeiteten mehr als 10 Ärzte. Es gab ein Röntgenzentrum und die erwähnte Desinfektionsstation. Schon 1895 verlangte der kantonale Sanitätsrat, Arosa müsse ein «Absonderungshaus» bauen, also ein separates Spital für Patienten mit besonders ansteckendem Krankheitsbild. Das eidgenössische Gesundheitsamt verlangte zudem den Bau einer Leichenhalle. 1909 erteilte der Gemeinderat denn auch den Auftrag, diese im Mühliboden zu bauen. Der Einfachheit halber wurden ihr einige Räume für die ansteckenden Patienten angegliedert – als Ersatz für das verlangte Absonderungshaus.

Tatsächlich war es alles andere als lustig, an Tuberkulose zu leiden. Wer nicht ganztägig liegen musste, vertrieb sich die Zeit mit Flanieren. Arosa hatte zum Teil geradezu städtischen Charakter. Es gab Broderie-Geschäfte, mehrere Herren- und Damenschneider, ein Lichtspieltheater (Kino), einen Grand Bazar, Zigarrengeschäfte und so weiter. Mehrere bekannte Schriftsteller, die in Arosa zur Kur waren, haben eindrücklich die Trostlosigkeit ihres Daseins beschrieben. Sie blieben oft monatelang im Dorf oder zogen, wenn sie es sich leisten konnten, von einem Kurort zum anderen. Der 1871 geborene Dichter Christian Morgenstern war zwischen 1901 und seinem Tod 1914 mehrmals für längere Zeit in Arosa. 1901 schrieb er: «Ich kann es jedem, der mit der Lunge zu tun hat, nur empfehlen, einen Winter im Hochgebirge zu verleben. Und zwar, sobald er nur irgend etwas an sich merkt. Man bringt dabei Opfer, denn man darf sich einen solchen Höhenkurort nicht sonderlich unterhaltend vorstellen.»


Tuberkulosekranke hatten, sofern sie nicht bettlägerig waren, viel Zeit zum Flanieren. Sie gaben Arosa einen geradezu städtischen Charakter (oben). Auf dem Postplatz wartete man auf Gäste und die neusten Zeitungen (Mitte). Im Fremdenblatt wurde akkurat Buch geführt, wer in welchem Hotel abgestiegen war (unten).

Der leider vergessene Schweizer Schriftsteller Hans Morgenthaler («Hamo», 1890–1928) hielt sich ab 1924 während zweieinhalb Jahren in Arosa auf. «Ja, krank bin ich geworden, wie ein eingesperrter Adler», schrieb er. Das Leben auf der Liegeterrasse sei «stumpfsinnig wie in einem Familiengrab. Dieses Halbkrepiertenmilieu ist tötelig, und man gewöhnt sich bei dem vielen Liegen Sargmanieren an.» Arosa nannte er abwechselnd «Ausspuckligen» oder «Liegestühligen». Warum interessieren uns diese etwas unappetitlichen Schilderungen? Die Sanatoriums-Vergangenheit wird in Arosa gerne verdrängt. Dabei waren bis zur Bahneröffnung drei Viertel der Gäste Lungenkranke. Arosa zählte mit Davos und Leysin zu den Marktführern im Sanatoriumsgeschäft. Gut betuchte Tuberkulose-Kranken waren interessante Kunden, vor allem weil sie so lange blieben, auch in der Zwischensaison. Die mühsame Anreise nahmen sie in Kauf, weil sie ja für lange Zeit in Arosa blieben (und häufig hier starben). 161




Kaum eine andere Eisenbahn bietet in nur einer Stunde Fahrzeit eine solche Fülle an abwechslungsreichen Eindrücken. Die Fahrt durch 19 Tunnels, die schwindelerregenden Passagen über 41 Brücken und über den weltberühmten Langwieser Viadukt krönen die Reise von Chur nach Arosa.

ISBN: 978-3-906055-25-1


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