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Geschichtlicher Überblick

Bereits in prähistorischer Zeit haben sich die Bewohner unserer Gegend befestigte Siedlungsplätze (sog. Erdwerke) geschaffen, um Sicherheit für ihre dauernden Aufenthaltsorte zu gewinnen. Die Siedlungsplätze der Frühzeit entstanden im langen Zeitraum von ca. 2500 bis 100 v. Chr. aus einem wohl gerechtfertigten Schutzbedürfnis der damals zahlenmässig noch relativ kleinen Bevölkerung. Die keltische Urbevölkerung (Helvetier) musste sich laufend vor rivalisierenden Nachbarsippen, einbrechenden Horden sowie herumstreunenden Räuberbanden und wilden Tieren schützen. Diesen Schutz fanden sie in befestigten Siedlungen an einer sicheren Stelle, meistens auf einem Hügel, einer Felsrippe (Spornlage) oder auf einer Halbinsel. Die Befestigung bestand aus künstlich ausgehobenen Gräben und aufgeworfenen Wällen, auf welche Palisaden (aus Holzstämmen und Flechtwerk) eingerammt wurden. War eine sichere Bewohnbarkeit einer Siedlung nicht gegeben, baute man ein Refugium, eine Schutzburg an einer nahe gelegenen, geeigneten Stelle, wohin die Bedrängten flüchten konnten. Die meisten dieser Siedlungsorte wurden im Laufe der Jahrhunderte infolge Bevölkerungsschwundes (Krankheit, Seuchen, Kriegseinflüsse, Unterernährung) oder Naturereignissen (Hochwasser, Bergsturz, Murgang, Waldbrand, Erdbeben usw.) verlassen, aufgegeben resp. durch Brand oder Feindeinwirkung zerstört. Viele dieser prähistorischen Siedlungsstätten sind heute nicht mehr bekannt. Die befestigten Siedlungen aus dieser Periode sind in der vorliegenden Schrift mit einer hochgestellten 2 bezeichnet. Nach 50 v. Chr. dringen die Römer in unsere Landstriche vor. Römische Truppen, und ihnen nachfolgend auch römische Einwanderer, kommen in das Gebiet des Thunersees. Ohne Zweifel wurde das Simmental als Durchmarschroute ins Wallis, via Sanetsch und Rawil und Schnidejoch, benutzt. Funde von römischen Münzen auf dieser Achse stützen diese Annahme. Somit wäre es vielleicht möglich, dass die der Sage nach römischen Burgstellen aus dieser Zeit stammen könnten. Die Römer bringen die Rebe, die Kirschen und andere Frucht- und Getreidepflanzen in unser Land. Wir gehen ferner davon aus, dass sich die keltische Urbevölkerung, die Helvetier, im Laufe der Zeit mit den Römern vermischt haben dürfte. Oft kehren römische Legionäre nach abgeschlossener Dienstleistung nicht mehr in ihre ursprüngliche Heimat zurück, sie bleiben als Bauern oder Handwerker hier und werden heimisch.

Mit dem Zusammenbruch des römischen Reiches dringen die germanischen Stämme der Burgunden (ab 443) und Alamannen (ab 496) in unser Land. Es beginnt die frühgermanische Zeit, die Epoche der Völkerwanderung. Die römischen Legionen ziehen sich zurück, weil sie anderweitig eingesetzt werden müssen. Ihre Anlagen, Höfe, Villen und Wohnbauten werden dem Zerfall preisgegeben.

Die Siedlungen der Alamannen entstehen als Holzburgen an leicht zu verteidigenden Stellen, entlang der Verkehrswege im ganzen Simmental. Die Hütten (oft Grubenhäuser) aus Holz hat man mit sichernden Palisaden umgeben. Diese frühmittel-

alterlichen Holzburgen erscheinen zwischen ca. 600 und ca. l000, also in einer relativ kurzen Zeitspanne.

Im Laufe der Zeit mussten die Siedlungen erweitert und das stetig faulende Holzwerk laufend erneuert werden. Angrenzend an die bestehende Anlage entsteht infolge Platzmangels eine weitere Palisadensiedlung, eine Vorburg, wo wiederum Wohnhütten, Ställe, Speicher und Werkstätten entstehen. Die Einwanderer beginnen Wald zu roden, um Wies- und Ackerland zu gewinnen. Oft baut sich der Sippenanführer an der höchsten Stelle der Siedlung seinen Turm, umgibt ihn mit einer eigenen Palisade und sondert sich so von der übrigen Mitbewohnerschaft standesgemäss ab.

Mit der verbleibenden Urbevölkerung halten die neuen Landesherren vorerst (oft sogar mit Waffengewalt) Distanz. Erst nach und nach dürfte eine nähere Kontaktnahme zustande gekommen sein. Die Sippenführer der Urbevölkerung dürften bei den neuen Herren ihren Anspruch auf Besitz durchgesetzt haben, mit welchen Mitteln auch immer. Auch hier wird im Laufe der Zeit eine Vermischung zwischen Urbevölkerung und den eingewanderten Alamannen stattgefunden haben.

Die Holzburgen werden allmählich zu klein, was den Sippenführer veranlasst, an einer neuen Stelle seine eigene, autonome Burg aus Holz zu bauen oder bauen zu lassen. Es sind dies die Stellen, wo wir heute noch Ruinen, Burgen und Schlösser vorfinden.

Bestehen die Burgen bis in die Zeit gegen 1000 vorwiegend aus Holz, erstellen die Sippenanführer (im Zuge der Zeit vom Landesherrn zu Adeligen ‹gemacht›) schritt- und teilweise ihre «festen Häuser» nun massiv aus Stein. Der Übergang von der Holzburg zur Steinburg dürfte sich nicht plötzlich auf einmal, sondern allmählich, je nach Voraussetzung, Begebenheit und den vorhandenen finanziellen Mitteln vollzogen haben. Steinburgen konnten oft nicht an der gleichen Stelle wie eine Holzburg gebaut werden, da die Platzverhältnisse wegen den nun um ein Vielfaches dicker gewordenen Steinmauern schlicht nicht ausreichten.

Ab ca. 900 werden die ersten Burgen aus Stein gebaut. Lediglich Dächer, Nebenbauten und Obergaden bestehen oft noch aus Holzkonstruktionen. Nach 1400 ist die eigentliche Burgenbauepoche zu Ende. Die hiesigen Edelleute, welche sich durch immense Bautätigkeit zu üppigem Leben und für fremde Kriegszüge verschulden und über ihre Verhältnisse leben, verarmen zusehends und suchen nunmehr frei- oder unfreiwillig Schutz bei der mächtigen Stadt Bern, wo die meisten von ihnen als Bürger Wohnsitz nehmen (Junkerengasse). Zudem verändert die Erfindung des Schiesspulvers den Festungsbau grundlegend.

Nach 1450 übernimmt Bern die Macht in unserem Gebiet vollständig und setzt in Wimmis und Blankenburg ab 1449 Kastlane (Landvögte) als Verwalter ein.

Die allermeisten Wehranlagen im Simmental und den angrenzenden Gebieten verlieren somit ihre Bedeutung. Nach deren Auflassung dienen viele als willkommene Steinbrüche für die Baubedürfnisse der Talbewohner. Viele Sockelgeschosse unserer

Bauernhäuser und Ställe entstehen aus Abbruchmaterial der Burgen. Andere Ruinen wiederum dienen lichtscheuem Gesindel als Unterkunft und zerfallen ebenso.

Neben Blankenburg und Wimmis als Landvogteisitzen überleben nur Grimmenstein und Spiez als Wohnstatt von adeligen Nachfahren die Zeit nach 1450. Mit dem Ableben von Katharina von Brandis, einer gebürtigen Weissenburgerin, im Jahr 1454 wird auch Grimmenstein endgültig verlassen und später ebenfalls als Steinbruch benutzt.

Nach dem Brand der Blankenburg 1767 entsteht auf deren Grundmauern das neue Schloss. Die Feste Wimmis muss in mehreren Etappen umgebaut und wohnlich hergerichtet werden. Das heutige Gesicht erhält das Schloss erst im 17. und 18. Jahrhundert, indem neue Fassaden wie Theaterkulissen um die teilweise abgebrochene alte Burg gestellt werden. Erstaunlicherweise sind von den Simmentaler Burgen keine Abbildungen aus der Zeit vor 1780 vorhanden.

In den Revolutionswirren um 1800 gehen manche Schlösser in der Schweiz in Flammen auf, unsere drei heute noch intakten Anlagen bleiben jedoch durch glückliche Umstände verschont.

Seit ca. 1870 entsteht in unserem Land ein wachsendes Interesse an historischen Stätten. Insbesondere der späteren Gründung des Schweizerischen Burgenvereins ist es zu verdanken, dass viele Burgruinen eine Sicherung erfahren konnten. Schwerpunktmässig hat man solche Massnahmen in den Kantonen Graubünden, Aargau und BaselLand durchgeführt. Andere Landstriche wurden weniger oder überhaupt nicht bearbeitet. Zu den Gegenden, wo nie eine entsprechende Aktion durchgeführt wurde, gehört das Simmental. Mangelndes Interesse und fehlendes Geld dürften die Gründe zu diesem Missstand sein. Dem Burgenvater Eugen Probst ist es zu verdanken, dass sehr viele Schweizer Burgen zusammengefasst bildlich dargestellt sind. Leider hat auch er das Simmental völlig ausgelassen.

Unsere Burgruinen laufen somit Gefahr, für immer vergessen zu werden. In den neuen Ausgaben der Landeskarte 1:25000 und 1:50000 sind viele Ruinen und Burgstellen bereits nicht mehr eingetragen.

Der Autor hat seit 1960 die Burgstellen im Simmental systematisch aufgesucht und grob vermessen sowie zeichnerisch erfasst und dokumentiert. Im vollen Bewusstsein darüber, dass seriöse Rekonstruktionen und Datierungen nur aufgrund von wissenschaftlichen Untersuchungen erfolgen können, hat er trotzdem versucht, ohne solche Massnahmen zu logischen und vernünftigen Ergebnissen zu kommen.

Jahrelanges Studium von Schriften und Dokumenten, die Suche und Erforschung von einschlägigen Unterlagen, Bildern und Urkunden sowie die Mitgliedschaft im Schweizer Burgenverein seit 1954 haben diese Schrift ermöglicht.

Weiterführende Aussagen und neue Erkenntnisse sind jederzeit willkommen, wenn diese auf Grund von seriösen und fundierten Ergebnissen erfolgen.

Perspektivische Darstellung einer Burgruine mit darüber projiziertem möglichem letztem Bauzustand. Ohne exakte wissenschaftliche Grabung können jedoch weder die einzelnen Zeitepochen, noch die Konstruktion von Dächern, Aufbauten usw. oder die ehemalige Anzahl der Stockwerke abschliessend bestimmt werden.