WBGU Sondergutachten: Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation

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Transformation als Modernisierungs-, Gerechtigkeits- und Friedensprojekt Die Regierungen der G20-Staaten sollten sich nicht nur „zu Hause“ für Innovations-, Infrastruktur-, Investitionsund Inklusionsmaßnahmen engagieren, sondern auch auf internationaler Ebene eine Vorreiterrolle für Klima- und Nachhaltigkeitspolitik einnehmen und so dazu beitragen, grenzüberschreitende Kooperation zu stärken und globale Probleme zu lösen. Zusammen mit den SDGs ist der Klimaschutz gegenwärtig das einzige Menschheitsprojekt, an dem alle Nationen beteiligt sind. Der Erfolg der Konferenz in Paris und die einstimmige Annahme des Übereinkommens von Paris durch 196 Staaten zeigt, dass im Bereich Klimaschutz der Multilateralismus sehr wohl funktioniert. Selbst Staaten wie China oder die USA, die beim Klimaschutz bisher den Ruf hatten, als Bremser zu fungieren, bringen sich konstruktiv ein. Auch die Agenda 2030 ist ein dezidiert globales Projekt: Das Zielsystem ist universell und soll die Grundlage für eine veränderte globale Partnerschaft bilden. Als langfristig angelegte Menschheitsprojekte bringen der Klimaschutz und die Agenda 2030 also Akteure konstruktiv zusammen, die in anderen Kontexten nicht kooperieren oder sogar in offenem Konflikt stehen. Die Einsicht, dass die Lösung gemeinsamer nachhaltigkeits- und klimapolitischer Herausforderungen die Chance zur Annäherung im Konflikt stehender Akteure bietet, ist nicht neu. Sie wurde schon zu Zeiten des Kalten Krieges von Willy Brandt vertreten: „Gemeinsame Probleme lösen heißt Bindungen und Verbindungen schaffen durch sinnvolle Kooperation […] Das heißt, Vertrauen schaffen durch praktisch funktionierende Regelungen. Und dieses Vertrauen mag dann die neue Basis werden, auf der alte, ungelöste Probleme lösbar werden.“ (Willy Brandt, anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo, 11. Dezember 1971). Bei richtiger Ausgestaltung wird Nachhaltigkeitsund Klimapolitik zu einem globalen Modernisierungs-, Gerechtigkeits- und Friedensprojekt: >> Eine kluge Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik dient der Modernisierung der Weltwirtschaft und eröffnet ökonomische Entwicklungschancen, weil sie ein neues Innovationsverständnis inspiriert sowie erhebliche Investitionsmöglichkeiten und nachhaltige Beschäftigung schafft sowie Investitionen in zukunftsfeste Branchen und Unternehmen und nachhaltige Infrastrukturen lenkt. >> Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik kann Gerechtigkeitspolitik sein, wenn sie Inklusion voran-

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bringt, indem sie Dekarbonisierungsstrategien sozialverträglich gestaltet, Ungleichheiten effektiv bekämpft und die soziale Kohäsion stärkt. >> Und Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik kann dazu beitragen, den Frieden zu bewahren, indem sie Ressourcen- und Verteilungskonflikte entschärft – und so Inklusion auf globaler Ebene fördert – und Bürgerkriegen und Massenflucht entgegenwirkt. Die adäquate Ausgestaltung der Transformation zur Nachhaltigkeit und der Klimaschutzagenda kann also dazu beitragen, internationale Krisen zu lösen, insbesondere die Innovations- und Investitionsblockaden, die hohe Ungleichheit innerhalb und zwischen den Nationen, die Inklusion zuwiderläuft, und internationale Friedens- und Sicherheitsprobleme. Die G20 sollte sich für die „vier großen I“ der Nachhaltigkeitstransformation stark machen, sich auf internationaler Ebene als Vorreiter engagieren und dazu beitragen, dass Nachhaltigkeits- und Klimapolitik als historisches Projekt der Weltgemeinschaft ein Hebel zur Lösung weltpolitischer Probleme wird. Im Folgenden stellt der WBGU dazu beispielhaft konkrete Initiativen vor, die die G20 verfolgen könnte.

4.1 Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik als ­globales Modernisierungsprojekt Weltweit ist das Wirtschaftswachstum im Laufe der letzten Dekaden schwächer geworden und eine globale ökonomische Stagnation droht (IMF, 2016). Niedrige Zinsen und mangelnde Investitionen und Investitionsmöglichkeiten stellen die Weltwirtschaft vor große Herausforderungen. Dadurch verändert sich auch der ökonomische Blick auf Nachhaltigkeitsfragen: Klimaschutz und Nachhaltigkeitspolitik bieten als globales Modernisierungsprojekt viel Potenzial für Investitionsmöglichkeiten und große ökonomische Chancen. Gleichzeitig sind Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik durch ihre langfristige und richtungssichere Perspektive ein Garant für eine stabile ökologische wirtschaftliche Entwicklung. Die G20 sollte sich auf globaler Ebene für ein neues Verständnis sozialer und ökologischer Marktwirtschaft einsetzen und ein neues globales Innovationsverständnis als Leitbild für einen globalen Auftrag für Stabilität und Zukunftsfähigkeit auf die internationale Agenda setzen.

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