WBGU Sondergutachten: Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation

Page 19

Klimaschutz: Die Herausforderung von Paris Die folgenden Überlegungen stellen den Klimaschutz, seine völkerrechtlich neue Verankerung und die daraus erwachsenden Handlungserfordernisse ins Zentrum, vor allem in Bezug auf die weltweiten Infrastrukturen. Nur wenn auch die anderen Nachhaltigkeitsziele berücksichtigt werden, kann eine Strategie zum Klimaschutz einen erfolgreichen Beitrag zu einem globalen Modernisierungs-, Gerechtigkeits- und Friedensprojekt leisten (Kap. 4).

2.1 Was in Paris beschlossen wurde Das am 12. Dezember 2015 auf der Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) verabschiedete Übereinkommen von Paris (Paris Agreement) ist ein Meilenstein der Klimapolitik. Sein zentraler Erfolg ist die Festlegung verbindlicher Qualitätsziele für den Klimaschutz für nahezu die gesamte ­Staatengemeinschaft. Das Übereinkommen von Paris ist ein völkerrechtlicher Vertrag im Sinne des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention, 1969) und entfaltet – dem Mandat von Durban entsprechend – grundsätzlich Bindungswirkung für die Vertragsparteien (pacta sunt servanda; Schlacke, 2016; Bodle et al., 2016). Nichtsdestotrotz entfalten die jeweiligen Regelungen des Übereinkommens von Paris eine unterschiedliche Reichweite im Hinblick auf ihre Verbindlichkeit: Es kann sich um Ziele, konkrete Verpflichtungen, ausfüllungs­ bedürftige Rahmenvorgaben oder lediglich Empfehlungen handeln. Vorschriften, die ein konkretes Handeln, Dulden oder Unterlassen vorschreiben, sind indes die Ausnahme. Auch der Adressatenkreis kann unterschiedlich ausfallen (Vertragsstaaten, Industriestaaten, Entwicklungsländer, Sekretariat usw.). Insoweit ist die Verbindlichkeit des Abkommens jeweils von der Ausgestaltung der Einzelvorschriften abhängig. Die Positionierung der G20-Staaten zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris ist daher von großer Bedeutung. Das Ziel in Art. 2.1 (a), den Anstieg der globalen Mitteltemperatur deutlich unter (well below) 2  °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu verfolgen, den Temperaturanstieg

2

sogar auf 1,5  °C zu begrenzen, ist für alle Vertragsparteien verbindlich (Frank, 2016). Erstmalig hat sich die Staatengemeinschaft damit völkerrechtlich auf ein quantifiziertes Klimaschutzziel geeinigt. Hierdurch wird die „gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems“ aus Art. 2 der Klimarahmenkonvention konkretisiert (WBGU, 2014a; Morgenstern und Dehnen, 2016). Erst durch weitere Konkretisierung werden sowohl das 2  °C-Ziel als auch das 1,5  °C-Ziel vollziehbar, kontrollierbar oder sanktionierbar sein (Schlacke, 2016). Auch das an alle Vertragsstaaten gerichtete globale Langfristziel aus Art. 4.1, den Scheitelpunkt der Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich zu erreichen, gefolgt von rascher Reduktion, um in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen anthropogenen Emissionen durch Quellen und dem Abbau von Treibhausgasen durch Senken zu erreichen, ist ein zwar verbindliches Ziel, das aber ohne weitere Konkretisierung ebenfalls weder vollziehbar, kontrollierbar noch sanktionierbar ist. Bezweckt wird eine Treibhausgasneutralität in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, die nicht ausschließlich durch Vermeidung von Treibhausgasemissionen erreicht werden muss, sondern auch offen ist für auf die Herstellung von CO2-Senken gerichtete Geoengineering-Maßnahmen (z.  B. Aufforstung, Meeresdüngung, Ozean-Alkalinisierung; M ­ orgenstern und Dehnen, 2016). Nicht erfasst sind dagegen Maßnahmen des Solar Radiation Management, d.  h. solche Geoengineering-Technologien, die eine Temperaturbegrenzung durch Abschirmung von Sonneneinstrahlung bezwecken (Kasten 2), denn Sinn und Zweck sowie ­ Wortlaut des Art. 4.1 („removals by sinks of greenhouse gases“) sind auf Emissionen und Senken von Treibhausgasen beschränkt. Senken sind im Sinne von Art. 1.8 UNFCCC solche Vorgänge, mit denen klimawirksame Stoffe aus der Atmosphäre entfernt werden (z.  B. CO2Aufnahme durch Wälder, Meere, technische Verfahren). Diese Zielsetzungen sollen vor allem durch die ­nationalen Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions – NDCs) erreicht werden. NDCs können Klimaschutz und Anpassung bezwecken. Sie dienen nicht dazu, einen Umgang mit Verlusten und Schäden (Loss and Damage) zu finden (Art. 3). Die Vertragsparteien werden verpflichtet, NDCs zu melden, diese alle fünf Jahre zu überarbeiten, zu verschärfen und erneut zu melden sowie über ihre Entwicklung, Erreichung und Einhaltung klar und transparent zu berich-

9


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.