The Gap 145

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Pop. Was?

Für den Fetischcharakter und für die Regression des Hörens. Ausgewählt von Stefan Niederwieser. Kiesza Giant In My Heart So gut wie für »Hideaway« war die Video-Idee nicht. Alte Transen in New York sozialrealistisch abfilmen reicht allein noch nicht. Dafür dann die Musik. Wir haben es ja befürchtet, all die schrecklichen Dancefloor-Sounds der 90er können mit den richtigen Signalen und Kniffs plötzlich umkodiert und gut werden. Natürlich wird mit dem 90s-House-Revival auch wirklich viel Schwachsinn produziert, aber Kiesza ist eben die Ausnahme. Was ist Liebe? Das. Joshimizu MDMA (Indipendenza) — »Zodiak« war Bombe. Dort war Joshi auf der Hälfte aller Tracks zu hören und bildete mit Raf und Chakuza die Trinität der ausgewanderten österreichischen Rapper. Joshi war der Affe. Auf »MDMA« ist er wohl der coole Nerd. Natürlich mit engen Jeans und Gefühlen, vor allem aber mit den neuesten Konsolen, Lapdances und Drogenrausch in Tokio. Deutschen Rap 2014 trifft das ziemlich genau mitten ins limbische System. Dark Sky Imagin (Monkeytown) — Moderat haben ein Händchen dafür, neue Acts für ihr Label zu finden, die auf eine interessante Art wie sie selbst klingen. Dark Sky schreiben elektronisches Liedgut, das all die Raffinessen ausreizt, die digitale Sounds heute mit sich bringen können. Das Trio aus London holt alles aus den Boxen raus. Dabei ist das ihr Debüt. Sie mischen Club- mit deepen Tracks. Lieber Jon Hopkins, dir wurden soeben die Ohrwascheln gehörig lang gezogen. Mapei Hey Hey Bitte lasst Mapei nicht wieder ein Opfer eurer Industrie werden. Angel Haze, Chloe Howl, Thumpers oder Wolf Alice, sie alle mussten ihre Debüts immer wieder verschieben, wegen letzten Feilereien und Seilschaften. Dabei ist das Album fertig. Die US-Sängerin macht darauf schwedischen Pop in Reinform, mit Haltung, Refrains, verspieltem Bass und feinstem Blech. Irgendwo zwischen Charli XCX und Lorde, da wird bald auch ein Platz für Mapei in deinem Herzen frei. Bald. Odesza In Return (Ninja Tune) — Eigentlich haben wir die chillwavigen Chipmunk-Vocals und Instagram-Filter-Beats die letzten drei Jahre viel zu oft und viel zu ähnlich gehört. In zehn Jahren wird man Listen mit voll zu Unrecht vergessener Dream-Step-Musik mit Odesza, Giraffage, Stumbleine, Slow Magic oder Tycho füllen. Aber hey, auf diesem Festival heuer, als die Sonne aufging, da spielte dieses Duo aus Seattle drei ganze Songs, echte Songs, die man so von den anderen noch nie gehört hatte.

Und auSSerdem natürlich:

RL Grime – Void (Wedidit) Album macht Krater in dein Wohnzimmer. November. Julian & der Fux – Unglaublich (Motsa Remix) Noch besser als der Alt-J Remix. Hirn-, Bauch- und Beinmusik im besten Sinn. The New Pornographers – Brill Bruisers (Matador) Warum nicht einfach einmal total klassischer Indiepop?

Ariana Grande My Everything (Universal))

The Emancipation of Bambi Ariana Grande wird derzeit mit aller Gewalt zum neuen Megastar aufgebaut. »My Everything« soll nun mit A-ListProduzenten als sachgerechtes Pop-Manifesto dienen. Im letzten Jahr tauchte auf unseren Schirmen plötzlich ein kleines Rehkitz mit der Stimme von Mariah Carey auf und servierte tadellose 90s-R’n’B-Realness auf einem Silberteller. Das war eigentlich ganz gut, wirklich picken blieb Ariana Grandes Debüt »Yours Truly« jedoch nicht und mehr als Mini-Mariah war sie am Ende auch nicht. Das soll sich mit dieser Monsterproduktion ändern. »Problem« war nicht zuletzt wegen Pop-Chef Max Martin Arianas großer Moment. Das Iggy Azalea-Feature dürfte auch nicht geschadet haben, und Big Sean flüstert inkognito eine von gefühlten 37 Hooks in dem Song. So geht das. Im zweiten bereits bekannten Titel, »Break Free« mit Zedd, verschlägt es Bambi zwar ein bisschen zu sehr in Richtung Großraumdisko, aber im Zweifelsfall einfach fest an Robyn denken. Dieses Album ist ein wahres Feature-Fest. Childish Gambino, Sample von Diana Ross, The Weeknd, Darkchild, A$AP Ferg, Harry Styles, Cashmere Cat. Was ist hier eigentlich los? Ist Ariana Grande jetzt noch Teenie Star oder chillt sie inzwischen lieber mit Nicki Minaj? Das Mädel kommt aus dem Kinderfernsehen, trägt plötzlich Lackstiefel und macht einen auf Lolita, bekommt dann aber die besten Gastrapper für ihr Album und lässt ein Boyband-Mitglied Songs für sie schreiben. Das wirkt vielleicht schizophren, ist aber durchdacht. Sie wirkt noch immer greifbar für die Nickelodeon-Fans aus ihrer Anfangszeit und ist gleichzeitig cool genug für die schweren Jungs. Diese Art Popstar setzt sich heute immer mehr durch. Die Grenzen zwischen cool und uncool lösen sich auf. Und ein cleveres Produkt ist sie schon, und eines, das funktioniert noch dazu. Der Umbruch vom scheuen Bambi zur emanzipierten Raubkatze ist holprig, aber vielleicht ist sie es genau deshalb eben doch. Eine zweite Britney wird sie, wie schon so oft behauptet, sicher nicht. Vorübergehend hätte sie sich mit diesem Album allerdings ein Krönchen verdient. Denn mal wippt der Kopf mit, dann wird betrogen, dazwischen ein Piano-Balladen-Totalausfall, dann muss es wieder laut. Ein perfektes Album ist das in Anbetracht der Größenordnung nicht, um Ariana Grandes Status als nächste Pop-Prinzessin zu zementieren, reicht es jedoch allemal. 07/10 Franz Lichtenegger

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