The Gap 142

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Franz Suess Zu Fallen und weiter (Glaskrähe)

Charles Forsman Celebrated Summer 01 (Fantagraphics) — Es sind die besonders einsamen, depressiven Momente von Peanuts. Den Kopf auf die Arme gelegt, bei der Mauer. Alleine beim Fenster sitzend. Es ist diese heimliche Melancholie und Sehnsucht an dem Tag, an dem Ferris blau machte. Und es ist ganz schlicht. Zwei Freunde beschließen an einem Sommerwochenende, LSD zu nehmen und eine Ausfahrt zu machen. Road Comic Book. Coming of Age Road Graphic Novel. Das war’s schon. Worin sich Charles Forsman bereits bei »The End Of The Fucking World (TEOTFW)« ausgezeichnet hat, macht auch »Celebrated Summer« zu einem fabelhaften Kunstwerk. Er versteht es wie kaum ein anderer kontemporärer Comic-Künstler, die Befindlichkeiten, Ängste, Zweifel und Unsicherheiten der Menschen, ganz besonders seiner Teenager- Protagonisten, durch seinen zurückhaltenden CharlesSchulz-cum-Naive-Kunst-Stil in dinghafter Weise ausbrechen zu lassen. Da kann man Mikes tiefe Unzulänglichkeitspanik spüren und verstehen, warum er sie mit komischer Coolness überspielt. Und man sieht, wie einsam Wolf ist, wie schwer es ihm fällt, zu interagieren und wie unverstanden er sich fühlt. In all dieser Tragik vergisst Forsman doch nicht auf die Komödie. Alberne Kleinode drogenvernebelter Komik versüßen das nüchterne Bild. Charles Forsman ist bereits jetzt ein Gigant der Comic-Book-Kunst. Neben »TEOTFW« muss »Celebrated Summer« in jedem Regal stehen. 10/10 Nuri Nurbachsch

Aufrappeln Mit poetischem Strich und feiner Feder bringt der Wiener Zeichner Franz Suess Erlebnisse im Melancholie-Strudel zu Papier. Der Wiener Zeichner Franz Suess hat sich 2011 mit »1160, Ottakring« zum ersten Mal mit einer Graphic Novel vorgestellt – einem episodischen und humoristisch-poetischen Werk über Alltagsbewältigung in Wien. Franz Suess’ Werke kann man schwer anders als autobiografisch lesen – und sei es eine erdachte Autobiografie. Sie zeichnen sich durch eine intensive Selbstthematisierung aus, deren selbstmitleidige Ausprägung man eigentlich nur einem Wiener verzeihen kann und vielleicht auch nur einem, der Sinn für Poesie, Humor und Selbstironie mitbringt. Davon gibt es in Franz Suess’ neuem Werk »Zu Fallen und weiter« jedoch genug. Die Hauptperson ohne Namen, wir nennen sie der Einfachheit halber Franz, ist wieder Single und fällt in ein schwarzes Loch: »Lieber doch ins Bett liegen gehen … Heimlich leiden am ebenfalls unterbetreuten Küchenboden ist eher suboptimal«. Franz rappelt sich noch einmal auf. In den folgenden Tagen bindet er sein Wieder-Single-Sein so gut wie jedem seiner Freunde auf die Nase, die von den Krisen seiner ON / OFF Beziehung etwas gelangweilt scheinen. Manchmal scheint es unendlich einfach, Zuneigung zu finden und dann wieder unendlich schwer. Dann passiert, was Zufall sein kann, oder doch Manifestation eines psychischen Zustands: Franz hat einen Unfall. Es ist ein lächerlicher Unfall mit einem Fußgänger, der jedoch eine komplizierte Gelenksentzündung zur Folge hat. Franz kommt ins Krankenhaus und damit ins richtige Umfeld, um die alltäglichen Selbstzweifel und Ängste noch eine Etage tiefer zu tragen und beim Existenziellen anzukommen. Er träumt von der Schwärze, die ihn verschlingt, allein und vergessen im kargen Spitalszimmer. Franz’ »dunkler Zwillingsbruder«, wie man den betrunkenen, aber unverletzten Unfallverursacher nennen könnte, wird in der Zwischenzeit von seinen Schuldgefühlen heimgesucht. So leben die Verunfallten also, einander unbekannt, nebeneinander her, in ihrer Bedürftigkeit irgendwie verbunden und doch irgendwie getrennt. Franz wird durch eine Schar seiner liebevoll beschriebenen Freunde gerettet und kann wieder auf Alltagsbewältigung umschalten. Und da kommt der Anruf vom Schatzerl. ON? Franz Suess ist schlicht und einfach ein talentierter Zeichner, seine Graphic Novels wirken manchmal wie eine Aneinanderreihung für sich stehender Bilder, ohne dadurch aber den Erzählfluss zu stören. Sie sind schön gearbeitet und bringen viele Emotionen auf den Punkt. Besonders gelungen ist die Darstellung des inneren Rückzugs des »dunklen Zwillingsbruders«, die ohne viel Worte auskommt. In Franz Suess’ Bildern, grob und fein zugleich, scheint immer mehr präsent zu sein als die erzählten Ereignisse. Sie verzaubern die beschriebenen Alltagsszenarien und fügen ihnen eine neue Ebene hinzu. Das Ergebnis ist ein hochgradig individueller Zeichenstil, der definitiv eine Bereicherung für die österreichische Zeichnerszene darstellt. 08/10 Alexander Kesselring

Tim Leong Super Graphic 02 (Chronicle Books) — Wer wollte nicht schon immer wissen, wie der Zusammenhang von nackter Haut und Würde bei Comic Con Cosplay ist? Oder wie die Chronologie der diversen Batman-Sidekicks nebeneinander aussieht? Wieviel Bein Wonder Woman in ihren diversen Kostümen zeigt? Die Reiserouten von Tim und Struppi auf einer Weltkarte? Lebensdauer der Charaktere bei »Walking Dead«? Oder Anteile diverser Popkulturformate an »Scott Pilgrim«? Tim Leong hat mit »Super Graphic« die Antwort auf all diese Fragen und noch viel mehr! Auf 192 Seiten, jede davon voll mit Infografiken, führt Leong uns auf eine visuelle Reise ins Nerdvana der Comic Geeks, wo Statistiken Flamewars anzetteln können. Natürlich ist das nur ein kleiner Ausschnitt aus der Riesen-Comic-Book-Welt, aber sorgt für Schmunzeln und hat Wiederlesewert. 06/10 Nuri Nurbachsch Matthew Thurber Infomaniacs 03 (PictureBox) — Während ein Internet-Serienmörder sein Unwesen treibt, wird Ralph in eine Rehab-Klinik für Internetsucht gesteckt. Amy Shit und ihre HipHop-Combo The Climate Game-Changers protestieren gegen das Monopol von Entirenet. Deren CEO, Victor Valkyrie, will das Gehirn des letzten Menschen, der das Internet noch nie gesehen hat, erwerben. Die Anthropomorphic Task Force folgt indessen den Spuren des Internet-Serienmörders und dem messerartigen Cursor. Schon verwirrt? Das macht nichts, nein, ist sogar sehr gut. Matthew Thurbers »Infomaniacs« ist eine skurrile Satire von Internetkultur, globaler Wirtschaft und kapitalistischem Kult. Thurbers Off-Beat-Humor und sein Ideenfeuerwerk schleudern und schütteln uns, werfen uns aber nicht ab. Alles, was die MatrixTrilogie versprochen hat und nicht mal im Ansatz halten konnte, erfüllt »Infomaniacs« und gibt noch Zugaben. Fantastisch unterhaltsam und klug.

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