VON BIRGIT LUDWIG
das wir daheim mit allen Ritualen durchgestanden hatten, zu unseren Freunden, wo wir uns voller Freude in die Silvesterfeierlichkeiten stürzten. So hätte es weitergehen können. Man war jung, man brauchte wenig Geld, aber dafür den Spass, und es machte einem nichts aus, am nächsten Tag die Salzstangen aus dem Teppich zu kratzen, bevor die Eltern wieder auftauchten. Aber dann kam alles anders. Ich fand mich wieder als alleinerziehende Mutter mit einer Tochter. Am Silvester ging es nun nicht mehr nur um mein Ego und meinen Spass, das Fest musste vielmehr familientauglich gestaltet werden. So mieteten wir regelmässig ein Ferienhäuschen in Dänemark, Freunde mit Kindern kamen dazu. Es wurde beschaulicher. Irgendwie erwartete man als Erwachsener schon nicht mehr so viel Bahnbrechendes von dieser einen Nacht – als Jugendliche war das anders gewesen. Wir brachten es einfach hinter uns – vielleicht auch, weil Silvester ja jedes Jahr wieder heranrollte und man sich zunehmend fragte, was aus all den guten Vorsätzen geworden war vom letzten Silvesterfest – nämlich nichts. Man wurde regelmässig daran erinnert, was alles nicht geklappt hatte. Das nahm dem ganzen Rummel ein wenig den Glanz. Die Jahre der grossen Vorsätze und Wünsche wa-
«Was macht ihr eigentlich an Silvester dieses Jahr?», fragte meine Freundin neulich ganz unverfänglich. Sofort rutschte meine Laune in den Keller. Denn die Silvesterplanung als Alleinerziehende mit halbwüchsigen Kindern ist keine reine Spassangelegenheit, sondern bedarf hartnäckiger Verhandlungen mit allen Altersklassen, damit ein halbwegs vernünftiger Kompromiss für alle Beteiligten dabei herauskommt. So wie im letzten Jahr. Da hatte meine ältere Tochter, mittlerweile 16, kurzfristig erklärt, dass sie keine Lust hätte, mit mir und ihrer kleineren Schwester Silvester zu feiern. Weihnachten ok, aber Silvester? «Auf keinen Fall! Simone macht eine Silvesterparty, die Eltern sind nicht da, ich schlafe dort.» Es war eigentlich nur noch meine Zustimmung und keine Diskussion gefragt. Aber was sollte ich machen? An ihre Familiensolidarität appellieren? Daran, dass ich jahrelang wegen ihr auf Silvesterpartys und Ausgang verzichtet hatte und sie deshalb ihre Schwester Fabi und mich nicht hängen lassen sollte? So blieb die Planung für die Restfamilie an mir hängen. Mein Freund kam am Silvesternachmittag aus dem Ausland zurück und legte sich sofort ins Bett. Da er ohnehin nicht für verordnete Feierlichkeiten zu haben ist, nahm ich dankMan war jung, man brauchte wenig Geld, und es machte einem bar die Einladung von einem befreundeten Vanichts aus, am nächsten Tag die Salzstangen aus dem Teppich ter an, der nächtliches Glühweintrinken und zu kratzen. Feuerwerk im Garten, mit seinem Sohn und anderen Kids, organisiert hatte. «Wieso zu ren vorbei. Aber es waren schöne Tage an der dänischen Küste im WinNoel? Der ist blöd», maulte Fabi, 10, herum. 14-jährige Jungs sind tatter – romantisch, lustig, die Kinder waren noch klein, und dem passte sächlich blöd, dachte ich. Stattdessen sagte ich: «Wieso, ihr könnt doch man sich an. Trampolin springen! Ein Silvesterfeuerwerk gibt es auch! Und du kannst deine Freundinnen mitnehmen!» Am liebsten hätte ich mich ebenfalls Neujahr in der Notaufnahme einfach ins Bett gelegt. Aber von mir als Mutter wurde an Silvester OrSpäter, mit zwei Töchtern von zwei verschiedenen Vätern, die Kinder ganisation und Einsatz verlangt. hatten einen Altersabstand von fünfeinhalb Jahren, war ich nur noch jeWir fuhren also hin. Es gab zu essen, die Kinder verdrückten sich des zweite Jahr mit dem Familiensilvester konfrontiert oder eben mit dem und spielten mit ihren Handys, wir Erwachsenen entzündeten das FeuJahreswechsel als «Alleinstehende». Das hiess: Entweder ich liess es auf er und froren uns die Ohren um den Glühweintopf ab. Um halb zwei mich zukommen, was an Silvester passiert und ob ich eingeladen wurde. fuhren wir heim, ich kroch ins Bett zu meinem Freund und war froh, Oder ich nahm die Planung selber in die Hand. Denn mit den Jahren wurdass es mal wieder geschafft war. So weit ist es also schon! Diese ständen auch die Einladungen spärlicher, die Erwachsenen waren müder vom dige Erwartung, noch etwas zu bieten, was Tolles, Aufregendes, mit KinAlltag, man war nicht mehr ganz so wild auf rauschende Feste und freudern, die nicht mehr ganz Kind, aber dennoch noch nicht selbständig te sich auf ein paar ruhige Tage zwischen den Jahren. Alleinerziehende genug sind, um alleine etwas zu unternehmen. passen ohnehin nicht auf jede Fete: Von Pärchenevents sollte man sich vor allem an Feiertagen besser fernhalten. Denn bei diesen beäugen die Ferienhäuschen statt Partykeller Paarfrauen zumeist misstrauisch, wer sich angeregt und wie lange mit ihEs gab Zeiten, da war alles ganz einfach. Man war Teenager, hatte rem Mann unterhält. Solche Abende machen selten Spass. Schulfreunde, und jedes Jahr wurde schon im Vorfeld ausgiebig darüber Spass machte auch das erste Silvesterfest nach der Trennung nicht. diskutiert, wie wir den Abend aller Abende verbringen wollten. Es wäAm Anfang waren die Kinder noch klein, zwei und sieben Jahre alt. Ich re uns nie in den Sinn gekommen, diesen Termin einfach dem Zufall zu hatte eine uralte Freundin eingeladen, die ich schon Jahre nicht gesehen überlassen. Schliesslich war das nicht irgendeine Fete, sondern es hatte hatte. Sie selber hatte keine Kinder und war mir immer gut in Erinneso etwas wie der Höhepunkt der jährlichen Festivitäten zu werden. Desrung geblieben, weil sie so lustig war. Am Nachmittag des 31. Dezemhalb wurde reihum der elterliche Partykeller aufgemöbelt, und dann bers, als sie anreiste, wurde ich prompt krank. Der ganze Stress und ging die Post ab. Spätestens ab 16 Jahren war klar, dass man keine Lust Druck, die Erwartungshaltung der Kinder und meine eigene waren zu mehr hatte, an Silvester mit den eigenen Eltern daheim zu hocken. Meiviel. Dagmar war mit der plötzlichen Verantwortung für die Deko, die ne Schwester und ich fuhren denn auch regelmässig nach Weihnachten,
26
SURPRISE 315/13