Programm-Magazin Romeo und Julia

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Theater Basel

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Programm-Magazin Nr. 2 | Saison 16/17

26. 27. Okt. 19.30 Uhr


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Prometheus

Installation und Live-Performance für zwei Klaviere und Lichtklavier nach Alexander Skrjabin Mikhail Rudy und Ian Pace, Klavier Arotin & Serghei, Lichtinstallation Freitag, 4. November 2016, 18.30 & 19.00 Uhr Samstag, 5. November 2016, 12.00, 14.00 & 17.00 Uhr Am Samstag, 5. November 2016, 16.00 Uhr findet ein Talk mit den beiden Pianisten und Künstlern statt. Preis: CHF 30.– / Young Art Club, Art Club & Freunde CHF 5.–. Für den Talk um 16.00 Uhr ist kein Veranstaltungsticket erforderlich. Die Live-Performance sowie der Talk finden im Museum statt. Weitere Informationen und Vorverkauf: www.fondationbeyeler.ch

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#BlauerReiter


Programm Sinfoniekonzert Romeo und Julia Pekka Kuusisto im Gespräch

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Jean Sibelius Konzert für Violine und Orchester

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12 Erik Nielsen im Gespräch

16 Sergei Prokofjew Romeo und Julia, Suite

20 Erich Wolfgang Korngold The Sea Hawk, Suite

22 Arnold Schönberg Begleitmusik zu einer Lichtspielszene Intermezzo

25 Kolumne von Max Küng

26 Kritikergeschichten, Teil 2

28 Vorgestellt Axel Schacher

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Vorschau 31 Im Fokus

Romeo und Julia

Dr. Hans-Georg Hofmann Leiter künstlerische Planung

32 Demnächst

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An erster Stelle möchte ich mich ganz herzlich für Ihr Vertrauen und Ihre Treue bedanken. Dass Sie uns in der Spielzeit 2016/17 auf unserer Reise an die neuen Konzertorte abseits vom Stadtcasino so zahlreich begleiten, ist alles andere als selbstverständlich. Wir sind beeindruckt und zuversichtlich, dass die Zeit des Casino-Umbaus gleichzeitig auch für eine Zeit des Aufbruchs stehen wird. In unserem Oktober-Konzert werden unsere Musikerinnen und Musiker gemeinsam mit dem Musikdirektor vom Theater Basel für einmal den Orchestergraben gegen die Opernbühne eintauschen. Entsprechend ‹theatralisch› gestaltet sich das Programm. Wir beginnen mit einem der erfolgreichsten Soundtracks des Filmtheaters: Erich Wolfgang Korngold kann man heute zweifellos als Vater der Filmmusik für Hollywood bezeichnen. Sein Wiener Kollege Arnold Schönberg setzte sich mit seiner Begleitmusik zu einer Lichtspielszene auf ganz eigene Weise mit dem neuen Medium des Filmtheaters auseinander. Sergei Prokofjew wählte dagegen für seine beliebte Ballettmusik Romeo und Julia einen der tragischsten und zugleich populärsten Theaterstoffe. Wir freuen uns auf das Debüt des finnischen Geigers Pekka Kuusisto und das Violinkonzert von Jean Sibelius. Ein weiteres Debüt finden Sie auf S. 25 in dieser Ausgabe unseres ProgrammMagazins: die Kolumne des Exil-Baslers Max Küng. Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen und freue mich auf Ihren Konzertbesuch.

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Romeo und Julia

THEATER BASEL

Mittwoch, 26. Oktober 2016 Donnerstag, 27. Oktober 2016 19.30 Uhr 18.30 Uhr: Konzerteinführung durch Dr. Hans-Georg Hofmann im Foyer des Theater Basel Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957) The Sea Hawk, Suite (1940) Main Title – Reunion – The Albatross – The Throne Room – The Orchid – Gold Caravan – Duel Part I – Duel continued

ca. 26’

Jean Sibelius (1865 – 1957) Konzert für Violine und Orchester d-Moll, op. 47 (1903) 1. Allegro moderato 2. Adagio di molto 3. Allegro ma non tanto PAUS E

Sergei Prokofjew (1891 – 1953) Romeo und Julia, Suite (1935) 1. Introduktion 2. Die Montagues und die Capulets 3. Julia als Kind 4. Tanz 5. Masken 6. Romeo und Julia 7. Tybalts Tod 8. Romeo an Julias Grab 9. Julias Tod

ca. 25’

Arnold Schönberg (1874 – 1951) Begleitmusik zu einer Lichtspielszene, op. 34 (1929)

ca. 8’

Konzertende: ca. 21.30 Uhr

Sinfonieorchester Basel Pekka Kuusisto, Violine Erik Nielsen, Leitung

Das Konzert wird von Radio SRF 2 Kultur aufgezeichnet und am 24. November 2016 um 20.00 Uhr ausgestrahlt.

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ca. 15’


INTERVIEW Pekka Kuusisto im Gespräch

«Man hat das Gefühl, dass eine grosse Vergangenheit in dem Konzert mitklingt»

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von Georg Rudiger Das Interview musste verschoben werden, da die Trauerfeier für Einojuhani Rautavaara länger dauerte als gedacht. Pekka Kuusisto hat das Gesamtwerk des finnischen Komponisten für Violine und Klavier auf CD eingespielt. Die gesamte Musikszene Finnlands sei da gewesen, um Rautavaara die letzte Ehre zu erweisen, erzählt Kuusisto zu Beginn des Gesprächs noch sichtlich berührt. Der 40-jährige Finne, der mit dem Sinfonieorchester Basel unter Erik Nielsen das Violinkonzert von Jean Sibelius spielen wird, gehört zu den interessantesten Geigern der Gegenwart: stilistisch breit aufgestellt, klar in der künstlerischen Aussage, umwerfend in seiner Bühnenpräsenz.

Georg Rudiger: Vor einigen Wochen hatten Sie Ihr Debüt bei den BBC Proms. Als Zugabe spielten Sie das tragikomische finnische Volkslied My darling is beautiful, bei dem Sie die 7000 Zuhörer in der Royal Albert Hall zum Singen brachten. Was mögen Sie an der finnischen Volksmusik? Pekka Kuusisto: Ich bin erst im Alter von zwanzig Jahren mit dieser Musik in Berührung gekommen, als ich nach meinem Geigenstudium bei Miriam Fried und Paul Bliss in Indiana wieder zurück nach Finnland kam. Ich hatte in den USA technisch viel gelernt. Ich konnte sehr schnell spielen und sehr laut. Aber echte musikalische Wurzeln besass ich keine. Dann nahm mich ein Freund zu einem Festival mit, bei dem traditionelle finnische Volksmusik gespielt wurde. Jeder Geiger, der dort auftrat, hatte eine spezielle Artikulation und einen eigenen Groove. Ich war begeistert und begann, diese Musik zu studieren. Das hat mich auch bezüglich der klassischen Musik sehr beeinflusst. Wenn ich Brahms spiele, dann suche ich nach der ungarischen Volksmusik. Auch in Sibelius’ Musik gibt es starke Einflüsse durch die finnische Folklore, besonders auch im Violinkonzert.


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Bild: Kaapo Kamu


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Haben Sie als Kind nie Volksmusik gehört? Nein. Meine Familie hat einen anderen musikalischen Hintergrund. Mein Grossvater hatte sehr viel mit geistlicher Musik zu tun. Mein Vater spielt Orgel, ist aber auch stark vom Jazz beeinflusst. Ich bin der einzige in unserer Familie, der die Volksmusik für sich entdeckt hat.

«Ich gleite zwischen Volksmusik und klassischer Musik hin und her. Für mich sind die Bereiche nicht getrennt.» Wie ist es für Sie als Geiger, zwischen der Volksmusik und der klassischen Musik zu wechseln? Für mich sind die Bereiche nicht getrennt. Ich gleite zwischen beiden hin und her. Improvisation ist für mich als Musiker sehr wichtig. Vieles ist nicht geplant, wenn ich musiziere. Es entsteht aus dem Augenblick. Das Violinkonzert von Jean Sibelius ist meiner Meinung nach stark von der Volksmusik beeinflusst. Man hat das Gefühl, dass eine grosse Vergangenheit in dem Konzert mitklingt. Und wenn ich als Interpret versuche, diese Wurzeln freizulegen, ist es egal, in welchem musikalischen Stil ich mich befinde.

In der Literatur wird dieses Werk kaum mit finnischer Folklore in Verbindung gebracht, sondern eher als grosses romantisches Violinkonzert mit dem von Tschaikowski in Beziehung gesetzt. Wo haben Sie denn darin folkloristische Einflüsse entdeckt? Für mich ist die Solo-Violine besonders im 1. Satz ein Erzähler, der die Vergangenheit lebendig werden lässt. Es geht nicht um die eigenen Emotionen; die Violine ist nur das Medium. Das hat etwas von Schamanismus. Ganz stark empfinde ich dies in der Durchführung, die ja komplett von der Solo-Kadenz ausgefüllt ist. Nichts lenkt hier von der Stimme des Solisten ab. Das erinnert mich auch an die mythologische Figur des alten Sängers Väinämöinen aus unserem Epos Kalevala. Es gibt für ihn eine eigene Melodie. Jean Sibelius hat seine Hochzeitsreise unterbrochen, um in Karelien einen bekannten Volkssänger zu hören. Sibelius sass gebannt am Lagerfeuer und hat sich Notizen von dem Vortrag gemacht. Ebenfalls im 1. Satz des Violinkonzerts zitiert er diese einfache, weitgehend stufenmelodische Melodie Väinämöinens, auch wenn er sie rhythmisch stark verändert. Seit diesem Erlebnis im Norden Finnlands hat Sibelius anders komponiert. Mit einer Interpretation dieses Konzerts gewannen Sie 1995 im Alter von 19 Jahren den Sibelius-Wettbewerb in Helsinki. Seither haben Sie das Werk unzählige Male gespielt. Welche Beziehung haben Sie zu dem Stück? Ich spiele das Konzert wirklich jedes Jahr mehrere Male, und es fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Als


junger Geiger wünscht man sich nichts sehnlicher, als es zu spielen. Man darf natürlich nicht stehen bleiben bei den Ideen eines 19-Jährigen. Das ist ähnlich, wie wenn man gerade den Führerschein gemacht hat: In den ersten Monaten danach schaut man beim Fahren nur auf die ersten hundert Meter. Je mehr Erfahrungen man jedoch sammelt, desto weiter wird der Blick – und man versteht besser, wie sich die Welt darum herumbewegt. Beim SibeliusKonzert schaue ich heute nicht mehr auf die ersten Meter, sondern habe das Ganze vor Augen.

Was ist typisch finnisch an Ihrer Persönlichkeit? Ich kann gut alleine sein. Auch auf Reisen werde ich meistens nicht von einem Agenten oder anderen Musikern begleitet. Das ist sicherlich typisch finnisch. Wir sind eben nicht so viele und leben in einem grossen Land. Viele Finnen sprechen nicht viel, aber ich war lange genug im Ausland, um diese sprachlichen Fähigkeiten zu entwickeln – diesbezüglich bin ich also ein eher untypischer Finne. Typisch finnisch bin ich dann wieder bei etwas anderem: Die Musik hat für uns eine enorme Bedeutung. Musik gibt unserem Leben eine Richtung und auch eine Geschwindigkeit. g

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Sie sind in ganz verschiedenen Stilen zu Hause, spielen mit der Violine auch Heavy Metal und elektronische Musik. Sie treten mit Jongleuren und Tänzern auf und musizieren auf Ihrem eigenen Festival an speziellen Orten – zum Beispiel mitten im Wald. Ist Ihrer Meinung nach das normale klassische Konzert in einem normalen Konzertsaal tot? Auf keinen Fall. Man muss aufpassen, dass man nicht das traditionelle Konzertpublikum vergrault bei dem Versuch, junges Publikum in die Konzerte zu bekommen. Es gibt schon Gründe dafür, dass das Konzertleben so ist, wie es ist. Aber trotzdem denke ich, dass man parallel dazu andere Konzertformate ausprobieren sollte, was ich bei meinem Festival mache. Zu Beethovens Zeit waren die Konzerte ganz anders als heute – länger, spontaner und bunter. Dieser Heiligenschein, der die klassische Musik umgibt, ist erst im späten 19. Jahrhundert entstanden.

Werden Sie bei Ihrem Konzert in Basel als Zugabe auch wieder ein finnisches Volkslied spielen? Das weiss ich noch nicht. Vielleicht ist das Publikum ja vorher schon gegangen (lacht). Es gibt ein traditionelles Stück aus dem 17. Jahrhundert, das Teufelspolska heisst, weil so viele dissonante Intervalle darin vorkommen. Überhaupt ist in diesem energiegeladenen, verstörenden Tanz vieles anders als in normaler finnischer Volksmusik. Vielleicht wäre das etwas für Basel.


ZUM WERK Jean Sibelius Konzert für Violine und Orchester d-Moll

Naturstimmen oder Polarbären?

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von Julius Heile sehr sei Sibelius den Versuchungen eines «virtuosen Mainstreams» erlegen. Auch Sibelius war unzufrieden und zog die Komposition zurück. Als nach der Revision 1905 schliesslich die neue, etwas weniger virtuose Fassung abermals mit anderem Solisten erstaufgeführt wurde, beschloss der erneut versetzte Burmester, das Werk niemals mehr spielen zu wollen. Sibelius’ Violinkonzert war der letzte, rasch ins Stammrepertoire der Solisten eingehende Beitrag zur romantischen Tradition dieser Gattung, bevor etwa Alban Berg einen neuen Ansatz verfolgte. Den solistisch oder sinfonisch geprägten Vorbildern begegnete Sibelius durch eine quasi blockartige Gegenüberstellung von Solo- und Orchesterpassagen, in der dialogartiger Themenaustausch kaum stattfindet. Neben der allgemeinen Bevorzugung dunkler instrumentaler Farben ist im gesamten Konzert ein gewisser ‹nordischer Ton› nicht zu überhören. Vor allem in Bezug auf den Beginn des 1. Satzes kann sich kaum ein Interpret den Hinweis auf den ‹Naturmenschen› Sibelius verkneifen, dem die finnische Landschaft so wesentliche kreative Impulse gegeben habe – freilich ein populäres Klischee, aber zugegeben eines, das in diesem Fall einfach auch gut passt: Über dem ätherisch bewegten Klangteppich der geteilten Violinen, vielleicht das Säuseln der Blätter im Wald oder einfach den Lautgrund

«Ich träumte, ich wäre zwölf Jahre alt und ein Virtuose» – dies schrieb Jean Sibelius noch 1915 in sein Tagebuch. Dass er, der am Musikkonservatorium in Helsinki einst das Violinkonzert Mendelssohns gespielt hatte, früher oder später selbst mit einer solchen Komposition hervortreten würde, verstand sich von selbst. Doch die bereits 1890 gefassten Pläne sollten noch lange einer Umsetzung harren. Erst das Jahr 1902 brachte die entscheidende Anregung: In Berlin traf Sibelius den herausragenden Geiger Willy Burmester, dem er schon bald die Premiere seines Violinkonzerts versprechen konnte. Neuerlich kam der Kompositionsprozess im Herbst 1903 aber nur schleppend voran, musste Sibelius, ein notorischer Trinker, doch einmal gar von seiner Frau aus der Stammkneipe abgeholt werden, um endlich das Werk zu vollenden … Als Burmester Ende 1903 dann den fertigen Entwurf erhielt, schrieb er an Sibelius: «Wundervoll! Meisterhaft! Nur einmal sprach ich je zu einem Komponisten in solcher Weise, und das war, als Tschaikowski mir sein Konzert zeigte.» Doch er hatte sich zu früh gefreut: Sibelius war damals in Finanznöten und drängte auf eine schnelle Aufführung. Weil dies Burmester nicht in den Terminplan passte, wurde das Violinkonzert im Februar 1904 mit einem anderen Solisten in Helsinki uraufgeführt. Es stiess beim einflussreichen Kritiker Karl Flodin auf scharfe Ablehnung: Zu


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Bild: Wikimedia Commons


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findet hier seinen Kulminationspunkt. Lediglich ein eigenes Motiv hat das Orchester in spröder Klangfarbe aus tiefen Streichern und gestopften Hörnern beizusteuern: Der Musikologe Donald F. Tovey bezeichnete es verharmlosend als «Polonaise für Polarbären», Sibelius schwebte indessen eher eine nordische Art Totentanz vor. g 11

der Natur wiedergebend, scheint der zauberhafte Gesang der Solo-Violine als einsame Stimme direkt aus dieser bewegten Stille herauszuwachsen. Aus dem Thema mit typischen ‹SibeliusTriolen› werden (wie bei Mendelssohn und Bruch) bald virtuose Elemente entwickelt, bevor das Orchester überhaupt voll zu Wort kommt. In seinem Zwischenspiel kündigt sich dann in Fagotten und Klarinetten das 2. Thema an, das die Violine sodann in schmachtenden Sexten übernimmt. Als Durchführung dient später die Solo-Kadenz – eine noch konsequentere Anknüpfung an die Mendelssohn’sche Idee. Als «Perle unvergleichlicher Schönheit» wurde der 2. Satz in den ersten Kritiken gepriesen: Nach dem Beginn mit originellen chromatischen Terzen in Klarinetten und Oboen erhebt sich über dunklen Farben des Orchesters die ruhige, weit gespannte Melodielinie der Solo-Violine. Ausdrucksvoller Höhepunkt dieser Linie ist eine ausladende Geste, in der die Violine zusammen mit dem Orchester kurz Atem zu holen scheint, um danach in zurückgenommenen Läufen über Synkopen der Streicher die Zeit für einen Moment anhalten zu wollen. – Von ruhelosdämonischem Charakter ist der 3. Satz, in dem ein rhythmisches Ostinato des Orchesters beinahe ununterbrochen die Basis für das markante Motiv der Violine und ihr extensives Passagenwerk legt. Das solistische Element des Werks

Konzert für Violine und Orchester d-Moll Besetzung 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher Entstehung 1903 Widmung Willy Burmester, der ursprünglich für die Uraufführung vorgesehen war, wegen Vorverlegung des Konzerttermins aber absagen musste Uraufführung 8. Februar 1904 in Helsinki mit dem Solisten Viktor Nováček, unter der Leitung des Komponisten Dauer ca. 26 Minuten


INTERVIEW Erik Nielsen im Gespräch

«Eine Trennung zwischen Opernund Konzertdirigent ist unsinnig»

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von Christian Fluri Der 39-jährige US-Amerikaner Erik Nielsen ist ein Gentleman; höflich, zuvorkommend, elegant und differenziert im Ausdruck sowie mit klaren künstlerischen Sichtweisen und Ideen. Das zeigt sich in unserem Gespräch über sein Konzert mit dem Sinfonieorchester Basel (SOB). Der neue Musikdirektor des Theater Basel, der die Saison mit Erich Wolfgang Korngolds Oper Die tote Stadt eröffnet hat, dirigiert das erste Konzert des Sinfonieorchesters auf der Grossen Bühne. Das unter dem Motto ‹Romeo und Julia› stehende Konzert kreist um das Thema Bühnenmusiken und präsentiert vier Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nielsen, der bereits im Theater begeistert hat, stellt sich damit dem Basler Publikum nun auch im Konzert vor. Neben seinem Opern-Engagement in Basel wirkt der US-Amerikaner noch als Chefdirigent des Bilbao Orkestra Sinfonikoa. Nielsen, der an der New Yorker Juilliard School und am Curtis Institute of Music in Philadelphia studiert hatte, war von 2008 bis 2012 1. Kapellmeister an der Oper Frankfurt.

Christian Fluri: Arnold Schönberg soll gesagt haben: «Komponisten fallen nicht vom Himmel, mit einer Ausnahme: Erich Wolfgang Korngold. Aber der fiel geradewegs auf den Kopf.» Diese Anekdote wurde mir vor längerer Zeit zugetragen. Ob wahr oder erfunden, sie zeigt beispielhaft das divergierende Musikverständnis der beiden Wiener Zeitgenossen. Sie stellen nun im Konzert im Theater Basel die beiden Antipoden der Moderne einander gegenüber? Erik Nielsen: Schönberg hat oft frech über andere Komponisten gesprochen. Ich kann mir vorstellen, was er hier meinte. Korngold war wirklich ein Wunderkind von Mozart’scher Dimension. Er war gerade 19, als er die Oper Die tote Stadt komponierte. Er schrieb eine Partitur von enormer Detailgenauigkeit und mit einer Kenntnis sowohl der Orchestrierung wie der Psyche von Orchestern, wie sie sonst nur ein erfahrener Musiker mitbringt. Weshalb ich die beiden Antipoden im Konzert einander gegenüberstelle? Unser Thema ist ‹Theatermusik›. Ich wollte unbedingt ein Werk von Korngold, um auf unsere Opernproduktion Die tote Stadt zu verweisen, und wählte die Suite The Sea Hawk von 1940. Ich wollte einen Gegenpol dazu von einem Komponis-


ten, der im Zweiten Weltkrieg ebenfalls in die USA ins Exil ging: So setzte ich Arnold Schönberg mit seiner Begleitmusik zu einer Lichtspielszene von 1929 aufs Programm.

Im Zentrum Ihres Konzerts stehen jedoch nicht Korngold und Schönberg, sondern Prokofjews Suite zu seiner Ballettmusik Romeo und Julia. Sie gibt dem Konzert auch das Motto. Sehen Sie die Beziehungen der vier Werke im Programm – Jean Sibelius’ Violinkonzert kommt noch dazu – in ihrer zeitlichen Nähe? Wir haben nicht bewusst Stücke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewählt, sondern Stücke zum Thema ‹Theatermusik› gesucht. Die Konzerte des SOB in unserem Haus sollen

Gehört die Musik des frühen 20. Jahrhunderts zu Ihren besonderen Lieben? Ich will mich nicht auf ein bestimmtes Fach einschränken. Ich dirigiere Musiken aus verschiedenen Epochen. Bei der Musik des frühen 20. Jahrhunderts muss ich als Dirigent klare Ordnungen schaffen, damit das grosse Orchester kammermusikalisch klingt. Ich liebe komplexe Partituren, die eine solche ordnende Gestaltung fordern, damit Transparenz gegeben ist. Haben Sie besondere musikalischen Anliegen, die Sie als Musikdirektor in Basel realisieren wollen? (lacht) Da möchte ich nicht zu viel preisgeben. Ich werde als Musikdirektor sicher unterschiedliche musikalische Wege beschreiten. Jetzt dirigiere ich Korngolds Oper. Danach freue ich mich auf Wolfgang Amadé Mozarts Don Giovanni. Letzte Saison habe ich hier Giuseppe Verdis Macbeth einstudiert. So kann ich mit dem Orchester stets wieder anders musizieren. Sie dirigieren in Basel fast ausschliesslich das SOB. Wie ist Ihre Beziehung zum Basler Orchester, die Sie bereits

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Sie dirigieren derzeit Korngolds berühmtestes Werk, seine Oper Die tote Stadt, im Theater Basel. Korngold hat sich nie ganz von der Spätromantik gelöst, genau darüber mokiert sich Schönberg. Was reizt Sie an Korngolds Klangmalereien, die auch recht schwülstig sein können? Natürlich legte die Zweite Wiener Schule mit Schönberg, Alban Berg und Anton Webern den Grundstein für einen bedeutenden Entwicklungsstrang der neueren Musikgeschichte. Aber auch Korngold halte ich für einen Vertreter der Moderne, obwohl er die Tonalität nie verliess und die Zwölftonmusik ablehnte. Seine Opernkompositionen sind eine logische Weiterentwicklung der neuen Klangwelten von Richard Strauss’ Salome oder Elektra. Korngold ist kein Konservativer. In der hohen Komplexität seiner Werke zeigt sich die Moderne.

Bezüge zum Theater herstellen. Ich bin überzeugt, dass auch bei Sibelius’ Violinkonzert der Zugriff des Solisten Pekka Kuusisto ein theatralischer ist. Aber zu Ihrer Frage: Obwohl es nicht so angedacht war, erachte ich die zeitliche Nähe der vier Werke als sehr interessant. Sie zeigt den Reichtum der Musik des 20. Jahrhunderts; zeigt, wie zur etwa selben Zeit Komponisten aus ganz unterschiedlichen Kulturen anders denken und eine je eigene musikalische Sprache entwickeln.


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Bild: zVg


Freuen Sie sich, dem SOB während der Renovation des Stadtcasinos im Theater Gastrecht zu geben? Gewiss muss das Stadtcasino mit seinem Musiksaal renoviert werden. Aber jedes Orchester entwickelt seinen Klang für einen Saal. Der Klang des Cleveland Orchestras ist an die Severance Hall, einen der besten Konzertsäle der Welt, gebunden. Das Philadelphia Orchestra bespielt einen der trockensten Säle. Die Musiker haben über hundert Jahre ihren spezifischen Klang für diesen Saal entwickelt. Das SOB muss nun darauf achten, seinen auf den Musiksaal abgestimmten Klang nicht zu verlieren. Es werden drei harte Jahre, in denen es anderswo spielen muss. Dass es dies auch im Theater tut, darüber bin ich sehr glücklich.

Sie dirigieren das SOB vor allem im Orchestergraben. Sie sind hier in erster Linie Operndirigent. Ist dies für Sie die willkommene Gelegenheit, sich auch als Konzertdirigent zu präsentieren? Ich halte die Trennung von Operndirigent und sinfonischem Dirigent für unsinnig. Alle rein sinfonischen Dirigenten möchten gerne Gustav Mahlers Sinfonien dirigieren. Aber wie können sie das, ohne Erfahrung mit Richard Wagners Opern mitzubringen? Dass ich das SOB auch im Konzert dirigiere, baut auf einem Austausch: Der neue SOB-Chefdirigent Ivor Bolton soll auch eine Oper hier im Haus einstudieren. Die Zusammenarbeit zwischen Theater und SOB soll so weiter intensiviert werden. Sie sind im August fest in Basel angekommen. Wie fühlen Sie sich in der Stadt? Ich war von Basel schon sehr angetan, als ich im Januar 2014 einsprang bei Tschaikowskis Eugen Onegin. Ich liebe mittelgrosse Städte wie Basel oder Bilbao, wo ich Chefdirigent des Orchesters bin. Und Basels Kulturangebot ist einfach grandios. So gefällt Ihnen das Kulturleben hier? Sehr gut. Aber wir haben eine grosse Aufgabe. Wir wollen und müssen mehr Menschen ins Theater und ins Konzert bringen. Das ist nicht einfach in der Welt von Facebook und Internet. Es geht nur im direkten Kontakt von Mensch zu Mensch. g

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in der vergangenen Saison aufgebaut haben? Ich arbeite sehr gerne mit dem SOB. Ich kenne die Musikerinnen und Musiker inzwischen beim Namen, das ist wichtig. Denn ich bin ein Kollege von ihnen. Sicher bin ich der Chefdirigent im Theater Basel. Doch die Arbeit funktioniert nur in einer angenehmen Probe-Atmosphäre und über einen persönlichen Umgang mit den Musikerinnen und Musikern. Sie sind sehr engagiert und extrem virtuos. Sie lieben es, wenn ich ihnen stilistische Erklärungen gebe, zum Beispiel den Unterschied zwischen einem Akzent bei Verdi und bei Mozart aufzeige. Sich für solche Details Zeit zu nehmen, dafür sind Proben da.


ZUM WERK Sergei Prokofjew Romeo und Julia, Suite

«Jedem das Seine: Dem einen ist es gegeben, von der Liebe Romeos und Julias zu singen, dem anderen, vom wahnsinnigen Kreischen und den komischen Kapriolen der Affen.» Der russische Kritiker, der 1916 mit diesen Worten Sergei Prokofjews Skythische Suite verriss, konnte nicht ahnen, dass der Komponist dieses «barbarischen» Werks knapp zwanzig Jahre später auch William Shakespeares berühmte Tragödie zur Grundlage einer Ballettmusik machen würde. Und er wäre kaum erfreut gewesen, das Ergebnis zu hören. Denn Romeo und Julia bietet weit mehr als nur zartes Liebesgesäusel, strahlt vielmehr in so mancher Passage die gleiche motorische Energie aus, die auch die frühe Ballettsuite prägte. So wie ja umgekehrt die Skythische Suite nicht nur Dissonanzen und verquere Rhythmen, sondern ebenso ihre lyrischen Abschnitte enthielt. Beiden Werken allerdings – so sehr sich auch in den dazwischenliegenden Jahrzehnten das kulturelle und politische Umfeld gewandelt hatte – begegneten konservative Hörer mit den gleichen Ressentiments. Prokofjew hatte 1918 das revolutionäre Russland verlassen und – ohne sich eigentlich als Emigrant zu fühlen – zunächst in den USA, dann in Frankreich gelebt. 1936 kehrte er nach längerem Pendeln zwischen Paris und Moskau endgültig in die Sowjetunion zurück. Aus Heimweh vielleicht, wie er selbst erklärte, oder auch aus Frus

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von Jürgen Ostmann

tration – denn im Westen fühlte er sich stets von Igor Strawinsky in den Schatten gestellt. Dass seine Karriere auch in der Sowjetunion nicht problemlos verlaufen würde, hätte Prokofjew allerdings spätestens nach den Querelen um sein Ballett Romeo und Julia erkennen müssen. Ursprünglich hatte der Leningrader Regisseur Sergei Radlow die Arbeit angeregt. Ende 1934 wurde jedoch der Leningrader Parteichef Sergei Kirow ermordet. Dieses womöglich von Stalin selbst befohlene Attentat sollte den Anlass zu den Schauprozessen und brutalen ‹Säuberungen› der folgenden Jahre geben. Vorerst aber wurde das Leningrader Theater zu Ehren des «sozialistischen Märtyrers» in ‹Kirow-Theater› umbenannt und unter eine neue Leitung gestellt. Und da nun Radlow als vermeintlicher Avantgardist in Ungnade fiel, wurde auch das eigentlich unverdächtige Shakespeare-Ballett abgesetzt. Prokofjew wandte sich danach ans Moskauer Bolschoi-Theater, in dessen Auftrag er das Ballett im Sommer 1935 vollendete. Das fertige Werk stiess allerdings auch dort auf erbitterten Widerstand: Obwohl Prokofjew seine Schreibweise mit Rücksicht auf die Forderungen des Sozialistischen Realismus bereits gemässigt hatte und sich um eine verständliche, wohlklingende Tonsprache bemühte, erklärten die Theater-Verantwortlichen Prokofjews Musik für «untanzbar». Sie sei zu spärlich instrumentiert, sodass man auf der Bühne wenig höre, und vor allem durch die abrupten Rhythmuswechsel und den Mangel an typisch tänzerischen Stücken unattraktiv. Um sein Ballett dennoch durchzusetzen, versuchte Prokofjew zunächst, es wenigstens aufs Konzertpodium zu bringen. Schon 1936 schrieb er zu diesem Zweck zwei sinfonische Suiten

Triumph einer «untanzbaren» Ballettmusik


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Sergei Prokofjew (1918) Bild: Library of Congress Prints and Photographs Division


Sonate in CLA-Dur. 18

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entnahm Prokofjew hauptsächlich dem Liebestanz des Paars am Ende des ersten Akts, doch auch die berühmte Balkonszene wird in nächtlich gedämpften Farben dargestellt. Ebenfalls mehrteilig hat Prokofjew den Suitensatz Tybalts Tod angelegt: Geschildert wird zunächst der Kampf Tybalts mit Mercutio, der mit Mercutios Tod endet, dann Romeos Rache an dem streitsüchtigen Vetter Julias und schliesslich Tybalts Begräbnisprozession. Und auch in Romeo an Julias Grab entfaltet Prokofjew ein breites Ausdrucksspektrum: Hier setzen schneidend scharfe Streicherlinien eine Art Trauermarsch in Gang, bevor sich die Musik zu leidenschaftlicher Klage steigert – um dann doch in stiller Resignation zu enden. g

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unter Verwendung des Ballett-Materials (eine dritte folgte 1946) und 1937 eine Klavierfassung. Das Ballett selbst erlebte erst Ende 1938 seine Uraufführung – und zwar im Ausland, im tschechischen Brno. Erst danach wurde es schliesslich doch noch vom Kirow-Theater angenommen – nicht zuletzt weil Prokofjews Orchestersuiten beim Publikum auf Begeisterung stiessen. Nach der Leningrader Premiere Anfang 1940 feierte die Kritik das Ballett als Triumph der sowjetischen Kunst und Prokofjew als den ersten würdigen Nachfolger Peter Tschaikowskis. Der Erfolg von Prokofjews Romeo und Julia ist bis heute ungebrochen, doch mittlerweile hat es sich eingebürgert, dass Dirigenten ihre eigenen Kombinationen aus Suitensätzen und originalen Ballettnummern erarbeiten. Die von Erik Nielsen getroffene Auswahl gibt einen guten Eindruck von der Schlagkraft der Themen und der Vielfalt des Ausdrucks im ganzen Werk. Und sie folgt, anders als Prokofjews eigene Suiten, im Wesentlichen dem Gang der Handlung. So bilden die erste und die letzte Ballettszene, Introduktion und Julias Tod, den Rahmen. Gleich der 2. Satz, Die Montagues und die Capulets, enthält die wohl berühmteste Melodie des Balletts: Die Ritter eröffnen mit ihrem Tanz den Ball. Treffender als in dem weit ausgreifenden, pompös punktierten Moll-Thema liessen sich Hass und Hochmut der verfeindeten Familien wohl kaum darstellen. Es folgt ein Porträt, das die junge Julia teils von ihrer quirlig-lebenslustigen Seite zeigt, teils auch ernsthaft und nachdenklich. Nach einem knappen, brillant instrumentierten Tanz schliessen sich die Masken an: Romeo, Mercutio und Benvolio, die jungen Männer der Familie Montague, erscheinen verkleidet auf dem Fest ihrer Feinde. Die Musik zum nächsten Stück, Romeo und Julia,

Romeo und Julia Suiten Besetzung 3 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 3 Klarinetten, Saxofon, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba, Schlagwerk, Pauken, Harfe, Klavier, Streicher Entstehung Die Ballettmusik entstand 1935, die Suiten 1 – 2 folgten 1936/37 Uraufführung Das Ballett wurde 1938 in Brno uraufgeführt, die Suiten 1 – 2 am 15. April 1937 in Leningrad unter Leitung des Komponisten Dauer ca. 25 Minuten


ZUM WERK Erich Wolfgang Korngold The Sea Hawk, Suite für Orchester, eingerichtet von Patrick Russ

Von der Leinwand auf die Bühne

Rafael Sabatinis zurückgehend von den Abenteuern des Freibeuters Sir Francis Drake (1540-1595) handelt: Unter Philipp II. beherrscht Spanien 1586 die Neue Welt, und nur England ist als Gegner im Kampf um die Vormachtstellung auf den Meeren ernst zu nehmen. Captain Geoffrey Thorpe kapert die Galeere, auf der Spaniens Botschafter Don José seine Nichte Doña Maria an den Hof Elizabeths I. bringen will. Doch befreit Thorpe nicht nur die englischen Sträflinge an Bord, sondern verliebt sich auch in Doña Maria. Die Königin erlaubt ihm, mit der ‹Albatross› nach Panama zu segeln, um einen Goldtransport der Spanier zu überfallen. Doch weil Lord Wolfingham, Berater der Königin und gleichzeitig Spion der Spanier, Thorpe verrät, misslingt die Attacke, und die Überlebenden werden zu Sklaven auf ihrem eigenen Schiff. Thorpe gelingt der Ausbruch. Er bringt ein spanisches Schiff an sich und tötet seinen Widersacher. Von der Königin zum Ritter geschlagen, heiratet er Maria und bereitet die königliche Flotte auf den bevorstehenden Kampf mit der Armada vor. Indem Curtiz aktuelle politische Anspielungen in den Film einarbeitet – den Weltmachtsanspruch Philipp II. setzt er in Parallele zu dem Hitlers, und der Politik Elisabeth I. verleiht er Züge der Appeasement-Politik des britischen Premierministers Sir Winston Churchill –, wächst der ausschliesslich im Studio

Nachdem Erich Wolfgang Korngold mit seiner Ballettpantomime Der Schneemann erste Aufmerksamkeit erhalten hatte, komponierte er Klaviersonaten, Schauspiel-Ouvertüren und Sinfonien, die von Künstlern wie Bruno Walter, Artur Schnabel und Wilhelm Furtwängler aufgeführt wurden. Nach dem Erfolg seiner Oper Die tote Stadt (1920) war er neben Richard Strauss der meistgespielte Opernkomponist Österreichs und Deutschlands. 1934 lud ihn Max Reinhardt nach Hollywood ein, damit er für dessen Film A Midsummer Night’s Dream die Musik Mendelssohn Bartholdys neu arrangierte. Während der Film durchfiel, erfuhr die Musik so positive Resonanz, dass Korngold, der als Jude nach dem Anschluss Österreichs an das Grossdeutsche Reich nicht mehr nach Wien zurückkehren konnte, sich 1938 in Hollywood niederliess und für die Filmproduktionsfirma Warner Bros. arbeitete. Nach eigenen Worten hat er auch seine Filme mit dramatischer, melodischer Musik vertont, «die symphonische Entwicklung und Themenreichtum besitzt». Insgesamt schrieb er zwischen 1935 und 1957 19 Filmpartituren. Die zu Anthony Adverse und zu The Adventures of Robin Hood wurden jeweils mit einem Oscar ausgezeichnet. Den Film The Sea Hawk (Der Herr der sieben Meere) hat Michael Curtiz 1940 auf Grundlage eines Stummfilms von 1924 gemacht, der auf einen Roman

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von Sebastian Urmoneit


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gedrehte Film über das Genre des Seeabenteuerfilms hinaus. Korngolds Filmmusik ist seine letzte und längste «Schwanzbuchler»-Partitur. So übersetzt er selbst das unter dem Begriff «swashbuckler» gefasste Genre des Abenteuerfilms über einen Draufgänger. Erst 1962 wurde Korngold als Komponist namentlich genannt. Die Suite hat Patrick Russ zusammengestellt. In Main Title erklingt die Fanfare als Leitmotiv Captain Thorpes. Das Glorioso-Motiv steht für die ‹Albatross› und wird variiert, je nachdem ob das Schiff ruhig fährt oder in das Kriegsgetümmel treibt. Das Liebesthema hat Korngold einem seiner 5 Lieder op. 38 entnommen. g

The Sea Hawk Besetzung 3 Flöten, 2 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba, Schlagwerk, Pauken, Streicher Entstehung 1940, orchestriert von Hugo Friedhofer, Ray Heindorf und Milan Roder, Partitur rekonstruiert und eingerichtet von Patrick Russ (2003) Dauer ca. 15 Minuten


Arnold Schönberg Begleitmusik zu einer Lichtspielszene

Arnold Schönberg als Filmkomponist

spielszene einer Bitte des Heinrichshofen’s Verlag um eine Stummfilmpartitur nachgekommen. Bloss illustrative Musik jedoch wollte der Komponist nicht liefern. Und so schrieb er ein dreiteiliges Werk, das sich auf keine konkrete Filmszene bezieht, das ihrer nicht einmal bedarf; die Teilüberschriften Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe sind Wegweiser genug. Es handelt sich bei dieser Begleitmusik, die keine ist, um einen Durchlauf durch drei Stadien einer imaginären Filmhandlung. Als tönendes Pendant zu einer Lichtspielszene ergänzt sie diese nicht, sondern vermag sie zu ersetzen. Dass Schönberg derart auf die Verlagsanfrage reagierte, ist typisch; typisch auch, wie er seinen eigenen Anspruch einlöste, ein emotional aufgeladenes szenisches Psychogramm zu entwerfen. Denn das Effektvolle dieser Musik, ihre Schauseite – nervöses Schlagwerk, Streichertremoli, dumpfe Gongs, grelle Klangflecken –, wird durch eine kühl konstruierte Binnenstruktur aufgefangen. Op. 34 ist, wie die meisten Werke der Berliner Zeit, zwölftönig angelegt, ohne dass jedoch diese Ordnung das Ziel abgibt; sie bleibt stets Mittel. Das zeigen beispielhaft die beiden ersten Takte. Schönberg bedient sich dort aller zwölf Töne der chromatischen Leiter, gruppiert sie aber so, dass sie zu Vorboten der Drohenden Gefahr werden: anschwellendes Celli-Bratschen-Tremolo, ein angstvoller Fagottseufzer, Unheil

Arnold Schönberg war kein Kinoverächter. Er schätzte die Filme Charlie Chaplins (nicht dessen Musik!), auch Harold Lloyd und die Marx Brothers; doch an die Tonfilme der 20er-Jahre stellte er höhere Ansprüche. Von ihnen erhoffte er sich nichts Geringeres als «die Wiedergeburt der Künste», Adaptionen der Weltliteratur: Balzacs, Strindbergs, Goethes – oder gar Wagners Parsifal! Dies Eintreten für ein Kino unter Führung des Wortes, ein wuchtiger Gegenentwurf zur «niedrigsten Art von Unterhaltung» zeitgenössischer Filmpaläste, verrät, wie stark (und einseitig) Schönberg auf die literarische Seite eines Mediums setzte, das doch aus dem Zusammenwirken von optischen, musikalischen und sprachlichen Eindrücken besteht. Offenbar bereitete ihm das Aufgehen der etablierten Einzelkünste in der Melange des Tonfilms Unbehagen. Seine hochfliegenden Erwartungen wurden denn auch enttäuscht: «Wie hatte ich mich geirrt!», schrieb er rückblickend 1940. «Die Filmproduktion blieb eine Industrie, die erbarmungslos jeden künstlerischen Zug als gefährlich unterdrückte.» Und so wurde Schönberg, im Gegensatz zu vielen Kollegen, kein Filmkomponist – auch wenn es zwei Mal fast geklappt hätte. 1935 liess er den Vertrag über die Musik zu The Good Earth nach Pearl S. Buck platzen; lediglich einige Themenskizzen fanden sich im Nachlass. Fünf Jahre zuvor war er mit der Begleitmusik zu einer Licht

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von Marcus Imbsweiler

Bild: Wikimedia Commons

ZUM WERK


Begleitmusik zu einer Lichtspielszene Besetzung Flöte, Oboe, 2 Klarinetten, Fagott, 2 Hörner, 2 Trompeten, Posaune, Schlagwerk, Pauken, Klavier, Streicher

verkündendes Bass-Pizzicato, dazu nackte Tontupfer in Klavier, Horn und Posaune. Die zwölftönige Bindung wirkt strukturgebend nach innen, alle weiteren Paradigmen (Instrumentalfarbe, Artikulation, Tonlänge, Register) stehen im Dienst von Stimmung und Atmosphäre. Nach der anfänglichen Heteronomie der musikalischen Gedanken, die in ihrer Ziellosigkeit auf eine herandämmernde, noch nicht akute Gefahr verweisen, vereinheitlicht sich im zweiten Abschnitt die Faktur. Motivwiederholungen sind hier bestimmend; mithilfe jagender Triolenfiguren hätte wohl auch die Mehrzahl ‹echter› Filmkomponisten Angst-Zustände dargestellt. Eine letzte Beschleunigung, und die Katastrophe (3. Abschnitt) tritt ver-

Entstehung 1930 Uraufführung 6. November 1930 in Berlin, Orchester der Kroll-Oper unter der Leitung von Otto Klemperer Dauer ca. 8 Minuten

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Bildnis Arnold Schönbergs von Egon Schiele (1917)

gleichsweise konventionell ein, nämlich im Zuge eines gewaltigen, durch Flatterzunge aufgerauten Crescendo in den Blechbläsern. Dann jedoch (nach einer Paraphrase des Beethoven’schen Schicksalsmotivs und einem ‹falschen› BACH-Zitat) gelingt Schönberg ein verblüffender Effekt, indem er einer ruhig sich entfaltenden Melodie in tiefen Streichern und Fagott Raum gibt. Im Nachhall des Lautstärkemaximums, umgeben von gepressten Bläserakkorden und dumpfen Tamtam-Schlägen, wirkt dieser Gesang alles andere als befreit, eher fatalistisch-ergeben, wie die Fügung in ein arges Schicksal. Einmal mehr wird deutlich, worin Schönberg die Stärke jeder Kunst sah, des Films wie der Musik: nicht in der Bebilderung von Katastrophen, sondern in der Darstellung dessen, was sie in uns auslösen. g


24 Desigen Peter J. Lassen

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KOLUMNE

Das neue Neue von Max Küng

Irgendwann war der Plattenspieler aus meinem Leben verschwunden, vor zwei Dutzend Jahren wohl, so wie er aus dem Leben der meisten von uns verschwunden ist. Musik kam dann erst ab CD, weil praktisch, und plötzlich bloss noch aus dem Computer oder dem iPod, weil noch praktischer, und sie wurde zu einem für Nase, Hand, Auge nicht existenten selbstverständlich fliessenden Strom, der von irgendwoher kam, ich weiss nicht von wo. «Das Alte ist das neue Neue», sagte ich. Und schon war ich unterwegs ins Brockenhaus, wo Hunderte von herrenlosen Schallplatten auf neue Besitzer warten. Das ist das Gute daran, wenn man sich einem vergessenen Medium wie der Vinylplatte zuwendet: Sie ist als Ressource günstig und in reicher Menge vorhanden. Als erstes nahm ich eine noble in Leinen gefasste LP-Box mit nach Hause, für drei Franken bloss, fünf Scheiben darin und mit drei Namen drauf, von denen mir als Banause bloss der erste etwas sagte: Beethoven, Barenboim, Klemperer. Ich wählte sie so, wie man in einem Tierheim wohl einen Hund aussucht: Weil mir das Äussere gut gefiel und ich dachte, vom Äusseren auf das Innere schliessen zu können. Und ich sollte Recht behalten. Laut klang bald Musik durch die Wohnung: Es war ein bisschen so, wie nach einer langen Reise nach Hause zu kommen. Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute einen Plattenspieler kaufen und ihn verschenken. Oder zwei sogar. Oder drei. g

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Eine grosse Schachtel stand auf dem Tisch, in hübsches Papier geschlagen, meine Frau sagte: «Ein Geschenk, für dich.» Erst dachte ich, es sei eine monsterdicke Pizza drin, denn: Hätte sein können, von den Dimensionen her. Ich hob die Schachtel an: Zu schwer für Pizza, so heftig der Belag mit Ananasstückchen oder anderen Dingen von hoher Dichte auch sein mochte. Also doch eine Jahresration Mon-Chéri-Pralinen? Schnell riss ich das Papier in tausend Stücke und die Schachtel auf. Ich blickte auf einen seltsamen Gegenstand. Eine Weile musste ich studieren. So ein Ding, ich hatte es schon einmal gesehen. Dann fiel es mir ein: ein Plattenspieler. Meine Frau hatte ihn mir geschenkt, einfach so, weil sie ihn zufällig sah und dachte, er würde mir Freude bereiten. Ich dachte: «Gute Frau!» Der Plattenspieler ist ein bescheidenes, ja beinahe archaisches Gerät – verglichen etwa mit einem iPhone kann er kaum was. Er hat bloss einen Schalter. Man stellt ihn an, man stellt ihn aus, dazwischen dreht sich der schwere Teller stoisch mit 33 1/3 Runden pro Minute und spielt die schwarzen Scheiben mit den zwei langen Rillen. Dies aber tut er auf seine stupide Art ganz wunderbar. Denn die Musik, da bin ich mir ganz sicher, ist eine andere, wenn sie ab Platte gespielt wird. Sie hat einen Anfang und ein Ende. Man hält die Musik in den Händen. Es gibt eine Hülle. Es knistert leise, wenn die Nadel sich in die Rille setzt.


KRITIKERGESCHICHTEN

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Bild: Österreichische Nationalbibliothek

Teil 2

Unterrichtete Erich Wolfgang Korngold in Komposition: Alexander von Zemlinsky

Verwandtschaftliche Beziehungen von Sigfried Schibli Vater Julius Korngold ein einflussreicher Wiener Musikkritiker war. Ein Konservativer, der an der damals modernen Musik kein gutes Haar liess. Selbst Gustav Mahler blieb für den Kritiker Julius Korngold lange im Zwielicht: «Er zog mich an und stiess mich ab», schrieb Korngold in seinen Lebenserinnerungen. Der junge Korngold profitierte vom Beziehungsnetz seines Vaters. Dieser wachte aufmerksam darüber, dass das

«Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit», schrieb der Wiener Kulturkritiker Karl Kraus einmal. Natürlich kann niemand etwas für seine Verwandten. Aber ein Komponist, der ernst genommen werden will, sollte besser keinen Vater haben, der Musikkritiker ist. Der Verdacht des Nepotismus oder der Vetternwirtschaft begleitete von Anfang an das musikalische Wunderkind Erich Wolfgang Korngold, dessen


ponisten, die sich zeitweilig – ob aus materieller Not oder aus Leidenschaft – als Musikkritiker betätigten und damit sozusagen zwei Rollen miteinander verbanden; so etwa Hector Berlioz, Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Hugo Wolf und Claude Debussy. Und es gab Komponisten, die schriftstellerisch so begabt waren, dass man bedauert, dass sie nicht Musikkritiker wurden. Alban Berg beispielsweise formulierte so brillant, dass jeder professionelle Musikkritiker vor Bewunderung erstarren könnte. Ein ‹verhinderter Musikkritiker› war auch Arnold Schönberg selbst. Scharfsinnig, klarsichtig, eloquent – Schönberg hätte zum musikkritischen Pendant von Karl Kraus werden können. Ihm verdankt man so witzige Begriffe wie «mezzofortissimo» oder die pointierte Feststellung, die Unterschiede zwischen Volksmusik und Kunstmusik seien «nicht so gross wie die zwischen Petroleum und Olivenöl oder zwischen Waschwasser und Weihwasser» – und dennoch mischten sich beide so schlecht wie Öl und Wasser. Eine Kritik, die gegen Komponisten wie Sibelius, Rachmaninow und Schostakowitsch gerichtet war. Rezensionen im engeren Sinn schrieb Schönberg keine, aber über Musik geschrieben hat er immer wieder. Dass er nicht zum Musikkritiker wurde, mag mit einem anderen Umstand zu tun haben: Er war häufig das Opfer musikkritischer Angriffe aus der konservativen Ecke. So attestierte ihm ein anonymer Wiener Kritiker 1908 nach der Uraufführung des 2. Streichquartetts, dies sei eine «veritable Katzenmusik» mit «vokalen Kakophonien». Verständlich, dass der konsequente Modernist Schönberg keine hohe Meinung von der Musikkritik hatte. g

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junge Talent in die richtigen Bahnen geführt wurde und verschickte Talentproben seines Sohnes an die wichtigsten Komponisten. Man mutmasste, der einflussreiche Kritiker werde es denen heimzahlen, die sich nicht für seinen Sohn einsetzten. Auf Vorschlag von Gustav Mahler kam der hochbegabte Erich Wolfgang bei Alexander von Zemlinsky in den Kompositionsunterricht. Der Wiener Dirigent und Komponist, lange Zeit Musikdirektor in Prag, gehörte der Generation und dem Kreis Arnold Schönbergs an und spielte eine wichtige Rolle für dessen Entwicklung, überdies war er durch seine Schwester Mathilde mit Schönberg verschwägert. Wenn Schönberg ihn immer wieder pries, könnte man sehr wohl von Vetternwirtschaft sprechen – wäre nicht die Qualität von Zemlinskys Musik über alle Zweifel erhaben. Im Rückblick auf seine musikalische Entwicklung schrieb Schönberg: «Zemlinsky ist derjenige, dem ich fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens verdanke. (…) Möglicherweise wird seine Zeit früher kommen, als man denkt.» Zemlinsky, der Opern, Sinfonien und Kammermusik schrieb, war für die Eltern des jungen Korngold das «kleinere Übel», überschritt er doch im Unterschied zu den Neutönern um Schönberg niemals die Grenzen der harmonischen Tonalität. Nach seiner Emigration nach Amerika hatte Korngold keine Mühe, sich der Unterhaltungsmusik zuzuwenden, während andere Komponisten wie Zemlinsky an dieser Anforderung zerbrachen. Der Vater Kritiker, der Sohn Komponist – diese Konstellation blieb in der neueren Musikgeschichte eine absolute Seltenheit. Viel häufiger waren Kom-


VORGESTELLT Axel Schacher 1. Konzertmeister im Sinfonieorchester Basel

Bild: Marco Borggreve

«Als Musiker erlebt man so viele schöne Geschichten» von Cristina Steinle

Axel Schacher: Ja, wir haben schon öfter Konzerte auf der Theaterbühne gespielt, wie etwa das Neujahrskonzert oder verschiedene konzertante Opern. Auf der Bühne zu spielen, ist aber definitiv etwas anderes als im Graben. Ich mag es sehr, auf der Bühne zu sein und den Kontakt zum Publikum zu haben. Aus dem Graben heraus ist die Musik nicht personengebunden. Das hat auch etwas Schönes, denn man steht dabei voll und ganz im Dienst von anderen, indem man sie begleitet. Von den drei Orten, die wir bespielen, hat das Theater die schwierigste Akustik, es tönt sehr geschlossen.

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Cristina Steinle: Unser zweites Sinfoniekonzert, ‹Romeo und Julia›, findet im Theater Basel statt. Hast du im Theater schon einmal auf der Bühne – und nicht im Graben – musiziert?

Das führt gleich zur nächsten Frage: Was sind die Herausforderungen für dich, an so vielen unterschiedlichen Orten zu spielen? Wenn man an verschiedenen Orten spielt, besteht die Herausforderung für uns Musiker darin, seinen Ton der Umgebung anzupassen – während man in einer Kirche wegen des Halls sehr präzise und ‹kürzer› spielen muss, muss man an einem Ort wie dem Theater mehr Resonanz, mehr Ton erzeugen. Das Orchester muss die Konzertorte also gut kennen; dadurch erhalten die Proben auch noch mehr Gewicht. Als Beispiel: An einem Ort, wo es stark

hallt, ist es schwierig zu unterscheiden, ob es sich beim Ton, den man hört, um den Ton handelt, der aus dem Instrument kommt, oder um denjenigen, der von den Gemäuern wiedergegeben wird. So zu spielen braucht extrem viel Aufmerksamkeit und kann sehr anstrengend sein. Was sind für dich die Vorteile, an unterschiedlichen Orten zu spielen? Ich finde es durchaus positiv, denn es zwingt uns, aus der Routine auszubre-


Wie lange bist du bereits in unserem Orchester? Seit 13 Jahren. Ich habe früh angefangen! Ich habe in Paris gelebt und studiert und schon mit 18 Jahren mein Studium abgeschlossen. Und weil ich viel für mich studiert und geübt hatte, verspürte ich ein paar Jahre später Lust, richtig zu arbeiten und etwas Neues zu erleben. Glücklicherweise ist der Wettbewerb für mich gut ausgegangen, und ich habe die Stelle hier im Orchester erhalten. Mein Grossvater ist aus Zürich; vielleicht hat es mich auch deshalb in diese Richtung gezogen, auch wenn ich die Deutschschweiz überhaupt nicht kannte. In den ersten Jahren war ich 2. Konzertmeister im Orchester, und

2006 habe ich dann das Probespiel für den 1. Konzertmeister gewonnen. Was sind deine schönsten Erlebnisse im oder mit dem Orchester? Das ist eine sehr schwierige Frage, denn als Musiker erlebt man so viele schöne Geschichten. Ich liebe die Musik – und immer wieder erlebt man super Dirigenten, die einem einen neuen und interessanten Zugang zu einem Werk ermöglichen. Und auf einer persönlichen Ebene war das Schönste natürlich, dass ich hier im Orchester meine Frau kennengelernt habe – sie spielt Klarinette im Orchester, und seit einem Jahr haben wir ein gemeinsames Kind. Auch wenn wir recht weit auseinander sitzen, sehen wir uns doch immer wieder an und können so besonders schöne aber auch mal nervige Momente miteinander teilen. Für mich ist das ein Privileg, und wir geniessen es sehr, zusammen zu spielen – und ich mag es auch sehr, ihr zuzuhören, wenn sie beispielsweise ein Solo hat. Seit der Geburt unseres Sohnes versuchen wir aber, gemeinsame Dienste zu vermeiden, da er uns sonst bei diesen vielen Abendvorstellungen sehr selten sehen würde. Was beschäftigt dich neben dem Orchester noch? Ich liebe es zu kochen! Das ist auch etwas, was ich mit Rossana, meiner Frau, teile. Sie ist Italienerin, ich bin Franzose – bei uns beiden ist Essen wohl das Wichtigste! Wir nehmen uns gerne Zeit, tolle Gerichte zu kochen und Freunde einzuladen. Wir sind aber beide auch sehr interessiert an Kunst allgemein. Wenn ich unterwegs bin, versuche ich auch immer, Museen zu besuchen ... Ich finde, Kunst ist besonders in Zeiten, in denen alle schwarz-

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chen. Denn Routine ist für Musikerinnen und Musiker etwas vom Schlimmsten! Musik ist eine Kunst, die im Moment entsteht und genauso schnell wieder verschwindet – im Unterschied zu einem Bild, das bleibt. Routine zerstört dabei vieles; wenn man etwas aus Gewohnheit heraus spielt und nicht mit den momentanen Emotionen und all seiner Energie, verliert die Musik sowohl für den Musiker wie auch für den Zuhörer an Kraft. Wenn man aber immer wieder an anderen Orten spielt, muss man durch die Veränderung zuerst wieder richtig hinhören. Das passiert besonders dann, wenn man auf Tournee geht: Man erschrickt erstmal etwas und muss den idealen Ton ‹suchen› gehen. Mit dem Ortswechsel kann sich natürlich auch das Publikum oder sogar die Kultur ändern – vielleicht kommen an die Konzerte im Musical Theater oder im Münster andere Leute als üblich? Wir Musikerinnen und Musiker müssen auf alle Fälle beweglich bleiben!


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sehen, sehr wichtig. Und natürlich liebe ich es auch, in der Natur zu sein. Allerdings habe ich sehr wenig Freizeit, denn ich führe ein Doppelleben – neben meiner Arbeit im Orchester, spiele ich im Belcea-Quartett. Mit dem Streichquartett bin ich sehr viel unterwegs. Das führt mich zurück zur Eingangsfrage – denn gerade auch mit dem Quartett spiele ich an so vielen verschiedenen Orten; vom Konzertsaal über Museen bis zu privaten Wohnzimmern. Orte und Publikum wechseln so stark und bereichern uns. Ich denke darum, dass diese drei Jahre, in denen wir mit dem Orchester durch die Stadt Basel ziehen, eine grosse Bereicherung sein können und dass wir so viel Positives aus dieser Zeit ziehen müssen, wie wir können! Was wünschst du dir für das Orchester für die Zukunft? Ich wünsche mir, dass wir weiterhin Tourneen unternehmen – vielleicht nicht zu viele, aber doch regelmässig. Denn auf Tournee hat man Zeit, die anderen Orchesterkolleginnen und -kollegen kennenzulernen. Es gibt immer Leute, mit denen man sonst kaum in Kontakt kommt. Und ich finde, für ein Orchester ist es das Schwierigste, zusammenzuspielen. Es sind hundert Individuen mit unterschiedlichen Geschichten und Empfindungen. Und wenn man sich auch neben dem Musizieren kennt, hilft das, die Musik zu teilen. Darüber hinaus tragen Tourneen dazu bei, uns auch ausserhalb der Schweiz bekannt zu machen. Und das wiederum hilft dem Orchester, sich vorwärtszubewegen und weiterzuentwickeln. Das Interview wurde am 23. August 2016 auf Französisch geführt.

IMPRESSUM Sinfonieorchester Basel Steinenberg 19 4051 Basel +41 (0)61 205 00 95 info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch Geschäftsleitung: Franziskus Theurillat Leitung Künstlerische Planung: Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin: Simone Staehelin und Cristina Steinle Titelbild: Daily Overview, Satellite images © DigitalGlobe, Inc. Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung: eyeloveyou.ch, Basel Druck: Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage: 6500 Exemplare Partner:


Bilder: Benno Hunziker

IM FOKUS

Tangomusik direkt am Rhein

Sonntags-Matinée im Museum für Wohnkultur: ‹Harfenklänge›

Erstes Cocktailkonzert: ‹Grand Tango›

Unter dem Motto ‹Wir bespielen die Stadt› bereist das Sinfonieorchester Basel spielender Weise die Museen dieser Stadt. In den Sonntags-Matinéen im Blauen Salon des Museums für Wohnkultur widmen sich Kammermusikformationen unseres Orchesters der Geschichte des Hauses und der Musik dieser Epochen. In der ersten Matinée spielen Julia Habenschuss (Flöte), Annemarie Kappus (Violine) und Aurélie Noll (Harfe) Werke von Anselme Vinée, Gabriel Fauré, Pablo Sarasate, Maurice Ravel und anderen.

So, 13. November 2016 11.00 Uhr MUSEUM FÜR WOHNKULTUR

Die beliebten Cocktailkonzerte in der einzigartigen Atmosphäre des Salle Belle Epoque im Grand Hotel Les Trois Rois werden auch diese Saison weitergeführt. Neu finden sie jeweils um 18.00 und 20.00 Uhr statt. Geniessen Sie, vielleicht mit einem Glas Wein oder dem ‹SinfonieCocktail› in der Hand, das erste Konzert ‹Grand Tango› mit Musik von Astor Piazzolla und anderen. Es spielen Soyoung Yoon (Violine), Christian Gerber (Bandoneon), Samuele Sciancalepore (Kontrabass) und Ulrike Payer (Klavier).

Di, 15. November 2016 18.00 und 20.00 Uhr GRAND HOTEL LES TROIS ROIS

SALLE BELLE EPOQUE

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Kammermusik im Blauen Salon


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DEMNÄCHST SO 09.10.16 17.00

Ivor am Goetheanum Ferruccio Busoni: Lustspiel-Ouvertüre, op. 38 Camille Saint-Saëns: Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 a-Moll, op. 33 Ludwig van Beethoven: 7. Sinfonie A-Dur, op. 92 SOB / Antoine Lederlin / Ivor Bolton

GOETHEANUM DORNACH

MI 19.10.16 18.30 – 20.00

Mix & Mingle Symphony Club – English speaking social event

HOTEL EULER, BASEL

SA 22.10.16 19.30

Premiere: La forza del destino Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi, Libretto von Francesco Maria Piave

THEATER BASEL

MI 26.10.16 DO 27.10.16 19.30

/ B2 Sinfoniekonzert SOB: Romeo und Julia Erich Wolfgang Korngold: The Sea Hawk, Suite Jean Sibelius: Konzert für Violine und Orchester d-Moll, op. 47 Arnold Schönberg: Begleitmusik zu einer Lichtspielszene, op. 34 Sergei Prokofjew: Romeo und Julia, Suite SOB / Pekka Kuusisto / Erik Nielsen

THEATER BASEL

SO 30.10.16 18.00

Zu Gast in Lörrach Werke von Erich Wolfgang Korngold, Maurice Ravel, Arnold Schönberg und Sergei Prokofjew SOB / Bertrand Chamayou / Erik Nielsen

BURGHOF LÖRRACH

SA 12.11.16 14.30

mini.musik: Im Wohnzimmer Mitglieder des SOB / Irena Müller-Brozovic / Norbert Steinwarz

SCALA BASEL

SO 13.11.16 11.00

Sonntags-Matinée im Museum für Wohnkultur MUSEUM FÜR Werke von Vinée, Fauré, Piazzolla, Sarasate, Ravel u.a. WOHNKULTUR Mitglieder des SOB

DI 15.11.16 18.00 / 20.00

Erstes Cocktailkonzert: Grand Tango Werke von Astor Piazzolla u.a. Mitglieder des SOB

GRAND HOTEL LES TROIS ROIS

‹En route› im Literaturhaus Basel Sergei Prokofjew: Quintett für Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Kontrabass g-Moll, op. 39 Dmitri Schostakowitsch: 8. Streichquartett c-Moll, op. 110 Mitglieder des SOB / Mikhail Shishkin

LITERATURHAUS BASEL

DI 22.11.16 19.00

A2

EVERYBODY’S WELCOME!

VVK: THEATERKASSE

VVK: BURGHOF.COM

> SALLE BELLE EPOQUE

VVK: LITERATURHAUS-BASEL.CH

Vorverkauf (falls nicht anders angegeben): Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch



Wir informieren Sie gerne T +41 (0)61 639 95 00 info@bpg.ch

FEIERN SIE EXKLUSIV AUF DEM RHEIN Geburtstag, Jubiläum oder Familienfest – feiern Sie Ihren Anlass auf sanften Wellen und geniessen Sie die Sinfonie von Ambiente und Gastronomie auf höchstem Niveau!

www.bpg.ch

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