MAG 60: L'incoronazione di Poppea

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MAG 60

Ottavio Dantone dirigiert «L’incoronazione di Poppea»


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Editorial

Sex and Crime Verehrtes Publikum,

MAG 60 / Juni 2018 Unser Titelbild zeigt Ottavio Dantone, den Dirigenten unserer Neuproduktion von «L’incoronazione di Poppea». Lesen Sie ein Interview auf Seite 23. (Foto Florian Kalotay)

in jeder guten Oper gibt es einen musikalischen Moment, den man nicht mehr vergisst, wenn man ihn einmal gehört hat. In Claudio Monteverdis Oper L’incoronazione di Poppea ist es das berühmte Schlussduett «Pur ti miro, pur ti godo» (Nur dich schaue ich an, nur an dir erfreue ich mich), das zu Tränen rührt. Es ist eines der ersten Liebes­ duette der Operngeschichte überhaupt und eines der schönsten. Über einer chaconne­ artig repetierten, absteigenden Basslinie erheben sich die beiden Gesangsstimmen, umkreisen und verschlingen sich, reiben sich in schmerzlich schönen Dissonanzen und verschmelzen ineinander. Allerdings hält der Komponist dabei eine zynische Pointe bereit: Die Liebenden, die da so rührend zueinander finden, sind ein Horror-Paar, nämlich der Tyrann Nero und seine machtbesessene Geliebte Poppea, und ihr finales Liebesglück ist der Triumph der Amoral. Nero und Poppea frönen über drei Akte hinweg zügelloser Ausschweifung, verraten ihre Partner, schmieden einen Mordkom­ plott, gehen buchstäblich über Leichen – und zu den letzten Takten liegen sie sich selig in den Armen. Was uns zu Tränen rührt, ist eigentlich grauenhaft und abstossend, und gerade deshalb so grossartig konstruiert. Man mag es gar nicht glauben, dass einer frühen Oper so viel Sarkasmus, so viel sex and crime und beissende Gesellschaftskritik innewohnen kann. Die Kunstform Oper war noch keine fünfzig Jahre alt, als Monteverdi L’incoronazione di Poppea schrieb. Und trotzdem blüht in diesem Werk bereits alles auf, was uns bis heute an der Gattung fasziniert. Eigentlich, so denkt man, sollte es doch Jahrhunderte dauern, bis in einer gerade erst gekeimten Kunstform das ganze Potential ihrer musikdramatischen Mög­ lichkeiten austreibt. Aber Monteverdi hat das im Verlauf eines einzigen Komponisten­ lebens geschafft, von seiner ersten Oper L’Orfeo bis zu seiner letzten, eben der Poppea. Diese Entwicklung hat auch mit dem veränderten gesellschaftlichen Umfeld zu tun: L’Orfeo wurde 1607 in Mantua, im kleinen Kreis einer höfischen Elite uraufgeführt, Poppea 35 Jahre später in einem öffentlichen Theater im lebensprallen Venedig vor einem Publikum, das Eintritt gezahlt hatte und unterhalten werden wollte. Monteverdi hat die Venezianer prächtig bedient mit einer krassen Handlung und farbiger Musik. So sinnlich, expressiv und Ich-bewusst war der singende Mensch bis dahin noch nicht in Erscheinung getreten. Es gehört zu den Kuriositäten dieser Oper, dass ausgerechnet das berühmte «Pur ti miro»-Schluss-Duett gar nicht von Monteverdi selbst stammt, sondern von einem italienischen Komponistenkollegen. Das kann den Ruf von L’incoronazione di Poppea als ein Meisterwerk nicht schmälern, sondern höchstens unsere Vorstellung davon durch­einander bringen, wie ein Meisterwerk zu beschaffen sein hat. Dass wir Monteverdis Poppea, die in Zürich eine grosse und lange Tradition hat, nun in einer Neuproduktion auf die Bühne bringen, gehört gewiss zu den Höhe­ punkten dieser Spielzeit. Der Barockspezialist Ottavio Dantone steht am Pult unseres Orchestra La Scintilla, Calixto Bieito inszeniert, und eine lange Reihe grossartiger Sän­gerinnen und Sänger stürzen sich lustvoll in Monteverdis Sündenpfuhl – von Julie Fuchs als Poppea und dem Countertenor David Hansen als Nerone, bis zu Delphine Galou und Stéphanie d’Oustrac in den Partien der geschmähten Partner Ottone und Ottavia. Claus Spahn

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DA S B U RG E N L A N D I M S OM M E R : K U LT U R & G E N U S S I N E I N E M Der burgenländische Kultursommer bietet Ihnen Vielfalt und Genuss in einem. Einerseits laden zahlreiche Festivals mit hochkarätigem Angebot ein. Andererseits lockt eine inspirierende Mischung aus grossartiger Landschaftskulisse und einzigartigen kulinarischen Genüssen. Nicht umsonst gilt das Land als Eldorado für Genussreisende. Kulturbegeisterte finden in den Sommermonaten eine Vielzahl herausragender Aufführungen: Als Opernfreund erwarten Sie Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ auf Schloss Kittsee und Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ im malerischen Arkadenhof von Schloss Tabor. Operettenfans aus aller Welt reisen jedes Jahr nach Mörbisch, wo die Seefestspiele heuer Emmerich Kálmáns „Gräfin Mariza“ vor einem sensationellen Bühnenbild in Szene setzen. Im Barockschloss Esterházy erleben Sie die exklusiven Konzerte von „classic.Esterházy“ – u. a. mit Sir Roger Norrington sowie den Starpianisten Grigory Sokolov und András Schiff. Und im September präsentiert im grandiosen Ambiente des Schlosses das Festival „Herbstgold“ einen fulminanten Mix aus Klassik, Jazz, Balkan- und Roma-Sounds. Angelika Kirchschlager gastiert heuer bei den Konzerten im prächtigen Barockschloss Halbturn und Alfred Brendel beim renommierten Kammermusikfest Lockenhaus. Dazu laden Sie der komödi-

antische Güssinger Kultursommer, die Schlossspiele Kobersdorf, der Theatersommer Parndorf sowie die Güssinger Burgspiele zu amüsanter sommerlicher Unterhaltung ein. Vor der einen oder anderen Aufführung bietet sich ein Besuch in einer der pannonischen Thermen an. Sie stehen auch im Sommer für Wohlgefühl und Wellness. Und nach dem Kultur-Event serviert die burgenländische Gastronomie allerlei Gaumenfreuden. Probieren Sie etwa die prämierten Spitzenweine aus der „Wiege des österreichischen Weines“. Und kosten Sie die schmackhafte pannonische Küche. 15 Haubenlokale, Dutzende Heurige, mehr als 30 Vinotheken und zahlreiche „Schmankerlwirte“ bieten reichlich Gelegenheit dazu. / Informationen und Ferien-Angebote finden Sie auf www.burgenland.info


Inhalt

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Claudio Monteverdis «L’incoronazione di Poppea» erzählt von der Erotik der Macht, Selbstsucht und Eitelkeit. Der Medientheoretiker Ramón Reichert denkt über die Selfie-Kultur nach

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alixto Bieito inszeniert wieder C am Opernhaus Zürich: Ein Gespräch über die faszinierende Aktualität von Monteverdis früher Oper

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D er australische Countertenor David Hansen singt den Nerone in «Poppea» und gastiert zum ersten Mal in Zürich. Ein Porträt

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J unge Choreografen: Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Zürich stellen sich auf der Studiobühne mit eigenen Kreationen vor

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as Opernhaus Zürich führt mit D Felix Mendelssohn Bartholdys «Elias» eines der grossartigsten Oratorien der Romantik auf. Ein Gespräch mit dem Dirigenten Fabio Luisi

Opernhaus aktuell – 6 Drei Fragen an Andreas Homoki – 7 Wie machen Sie das, Herr Bogatu? – 9 Volker Hagedorn trifft … – 28 Die geniale Stelle – 34 Meine Rolle – 38 Der Fragebogen – 43 Kalendarium und Serviceteil – 44 Auf dem Nachhauseweg – 48

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Fotos: Michael Sieber

Hilfe! Ein Alien! Wo kommt denn plötzlich dieser Ausserirdische her? Er schleicht sich in das Leben einer biederen amerikanischen Kleinfamilie und bringt deren Alltag durcheinander. Das ist die Geschichte, die sich der Tänzer Dominik Slavkovský als Beitrag für unsere diesjährige «Junge Choreografen»Produktion ausgedacht hat. Sie heisst «Conspiracy», ist witzig und politisch zugleich und wird neben sieben weiteren Stücken am 19. Juni auf der Studiobühne uraufgeführt.


Opernhaus aktuell

Wiederaufnahme

Carmen

Die Liebe des Sergeanten Don José zur Zigeunerin Carmen ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, zu un­ter­ schied­lich sind beider Lebensentwürfe. Dennoch opfert Don José seine Mi­li­tär­ karriere und folgt Carmen in die Ille­ galität des Schmugglerlebens. Als Car­ men José für den Stierkämpfer Escamillo verlässt, ist das ein Schritt mit tödlichen Konsequenzen... In der diesjährigen Wiederaufnahme von Bizets Carmen ist zum ersten Mal die armenische Mezzo­ sopranistin Varduhi Abrahamyan in der Titelpartie zu er­leben. Sie konnte zu­letzt neben Cecilia Bartoli am Opern­ haus Zürich als lei­den­schaftliche Bra­ damante in Händels Alcina bewundert werden, aber auch die Carmen gehört zu ihren Parade­rollen. Als Micaëla ist zudem Guanqun Yu zu erleben, als Don José der Uk­­rainer Dmytro Popov und als Escamillo Jean-­­Sébastien Bou. Am Pult der Philharmonia Zürich steht zum ersten Mal die Koreanerin Eun Sun Kim, die in den ver­gangenen Jahren an so renommierten Häusern wie der Semper­oper Dresden und der Staatsoper Berlin dirigierte. Wiederaufnahme: Sonntag, 1 Juli 2018 Weitere Vorstellungen: 4, 7, 10, 14 Juli Opernhaus

chen Texten zu. So hat Scarlatti 1723 das Stabat mater, die Passionsgeschichte aus der Sicht der Mutter Maria, für zwei Sängerinnen und kleines Ensemble vertont. Porpora komponierte 1733 ein virtuoses Salve regina für Altstimme. Ottavio Dantone, der zurzeit Monte­ verdis Poppea am Opernhaus einstudiert, leitet auch in diesem Konzert das Or­ chestra La Scintilla. Solistinnen sind Ana Quintans (Sopran) und Wiebke Lehm­ kuhl (Alt). Montag, 2 Juli 2018, 19 Uhr Hauptbühne

Internationales Opernstudio

Gala-Konzert des Inter­ nationalen Opernstudios In zahlreichen kleineren und grösseren Partien waren die Mitglieder des In­ternationalen Opernstudios in dieser Spielzeit immer wieder zu bewundern, sei es auf der Hauptbühne oder mit der eigenen Mozart-Produktion La finta giardiniera in Winterthur. Nun ver­abschieden sich die jungen Talente Ende der Spielzeit mit einem grossen Gala-­Konzert in die Sommerpause. Un­ ter der musikalischen Leitung von Carrie-­Ann Matheson erklingen Duette, Arien und Ensembleszenen aus Opern von Mozart, Rossini, Donizetti, Bellini, Bizet, Tschaikowski, Berlioz, von Flo­ tow und Gounod. Es spielt das Zürcher Kam­mer­orchester. Montag, 9 Juli 2018, 19 Uhr Hauptbühne

4. La Scintilla-Konzert

Ballett Zürich

Scarlatti

«Anna Karenina» in Tel Aviv

Nicola Antonio Porpora und Alessandro Scarlatti zählen zu den bedeutendsten Opernkomponisten des frühen 18. Jahr­ hunderts. Porpora war Händels gröss­ter Konkurrent in London und überdies Lehrer der berühmtesten Sänger seiner Zeit, während Scarlatti prägende Werke des neapolitanischen Opernstils schuf. Doch die beiden Grossmeister der Vokal­ komposition wandten sich auch geistli­

Vom 26. bis 30. Juni gastiert das Ballett Zürich an der Israeli Opera in Tel Aviv. Nachdem die Zürcher Tänzerinnen und Tänzer dort bereits vor drei Jahren mit Romeo und Julia begeisterten, wollen sie das israelische Publikum nun mit Christian Spucks Anna Karenina erobern. Toi, toi, toi!

Freunde des Balletts Zürich

Tanzpreis 2017/18

Bereits zum fünften Mal verleihen die Freunde des Balletts Zürich ihren Tanz­ preis und drücken damit ihre Anerken­ nung für die künstlerische Leistung der Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Zürich und des Junior Balletts aus. Die Ballettliebhaber entscheiden aufgrund ausgewählter Kriterien wie Ausstrahlung, Bühnenpräsenz und technisches Kön­ nen, wem sie ihre Stimme geben. Die Verleihung des Tanzpreises 17/18 an je zwei Mitglieder der Hauptcompagnie und zwei Mitglieder des Junior Balletts findet am Samstag, 23. Juni 2018, in Anschluss an Schwanensee, die letzte Vorstellung in dieser Saison, statt. Samstag, 23 Juni 2018, 19 Uhr Hauptbühne

Opernhaus Jung

#Faust Im Tanzvermittlungs-­Projekt #FAUST beschäftigen sich drei Gruppen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf unterschiedliche Weise mit Goethes Tragödie Faust. Unter der Leitung von professionellen Choreografen er­ arbeiten sie je ein zwanzigminütiges Tanzstück zu einem bestimmten Aspekt dieses Stoffs. Zum Abschluss werden die Choreografien zu einem dreiteiligen Abend zusammengefügt und auf der Studiobühne des Opernhauses an zwei Abenden präsentiert. Dienstag, 10 Juli 2018, 19.30 Uhr Mittwoch, 11 Juli 2018, 19.30 Uhr Studiobühne

Illustration: Anita Allemann, Foto: Frank Blaser

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Drei Fragen an Andreas Homoki

Eitelkeit und Amoral Herr Homoki, am 24. Juni hat Claudio Monteverdis L’incoronazione di Poppea Premiere. Nach welchen Kriterien haben Sie das künstlerische Team für dieses Werk ausgewählt? Die Frage klingt so, als ob man auf der Suche nach einer Besetzung eine kon­ krete Jobbeschreibung im Kopf hätte, aber so funktioniert es ja nicht. Wenn man einem Team einen Titel anvertraut, ist das immer auch eine intuitive Ent­ scheidung. Ich bin überzeugt, dass eine frühe Oper wie Poppea in ihrer offenen Form und ihrer Rollenvielfalt unserem Regisseur Calixto Bieito sehr entgegen­ kommt. Eine seiner Stärken liegt darin, mit dem zu arbeiten, was charakter­ starke Sänger in eine Produktion ein­ bringen. Er entwirft keine Figurenkon­ zepte am Reissbrett, sondern bringt die Sänger dazu, mit ihren spezifischen Möglichkeiten das darzustellen, worum es geht. Und ich denke, dass das mit Monteverdi ideal zusammengeht, weil dessen Gesangsstil noch eng an die Sprache angelehnt ist, eine grosse Na­ türlichkeit in der Diktion erfordert und die Musik deshalb per se ganz nahe an den Darstellern dran ist. Aber natürlich liegen Bieito auch die Themen Macht, Erotik, Eitelkeit und Amoral, um die es in der Oper geht. An unserem Dirigen­ ten Ottavio Dantone wiederum schätze ich, dass er auf der einen Seite sehr ge­ wissenhaft mit den historischen Quellen arbeitet, aber auf der anderen Seite der Musik Freiheit gibt. Das Spekulative, das der Beschäftigung mit der Alten Musik immer innewohnt, kann ja auch zu ideologischer Verhärtung und Ma­ nierismus führen. Ottavio aber nimmt die Informationen aus der Entstehungs­ zeit der Werke ernst und setzt sie um in lebendige Musik für heute! Darum muss es meiner Meinung nach im Um­ gang mit Alter Musik immer gehen. In seiner Inszenierung von B. A. Zimmermanns Soldaten hatte Bieito das riesige Orchester auf der Bühne

platziert. Geht es jetzt auch wieder in eine ähnliche Richtung? Calixto und seine Bühnenbildnerin Re­ becca Ringst hatten für Poppea die Idee, um das Orchesterensemble herum zu spielen auf einer Art Laufsteg als Plattform der Eitelkeiten und der Selbst­­ verliebtheit. Monteverdi-Opern sind ja in ihrem Charakter sehr intim und kammermusikalisch, und das Bühnen­ bild trägt dem Rechnung. Es schafft Nähe zum Zuschauer, aber auch Nähe zwischen den Sängern und den Mu­ sikern. Das Konzept war jedoch mit ei­ nigen technischen Probleme verbunden, denn von den oberen Rängen ist der Or­chestergraben in unserem Haus nicht auf allen Plätzen einsehbar, wir mussten Ersatzplätze schaffen. Das Poppea-Team hat deshalb eine Zuschauertribüne auf die Bühne gebaut. Wir werden also eine sehr ungewöhnliche Verschränkung von Musikern, Sängern und Publikum erleben, zumal Calixto wieder sehr stark mit Live-Video arbeitet. Poppea ist die letzte Premiere dieser Spielzeit. Können Sie schon ein Résumé der Saison wagen? Ich finde, sie fügt sich sehr schön in das Gesamtbild unserer Arbeit ein. Man hat – hoffentlich! – wieder die Seriosität und die Sorgfalt gespürt, mit der wir jede Premiere vorbereiten. In ihrer sti­ listischen Vielseitigkeit sticht die Saison für mich allerdings besonders hervor. Die Abfolge der Neuproduktionen war extrem kontrastreich, von Jewgeni Onegin bis Mahagonny, von Madama Butterfly bis Idomeneo, von der Holliger-­ Uraufführung über einen grosskalibrigen Verdi zurück zu den Anfängen der Oper. Hinzu kommen die grossartigen Sachen, die im Ballett gelaufen sind. Ich bin stolz darauf, dass das Haus dazu in der Lage ist, eine derartige stilsitische Bandbreite mit grösster Kompetenz auf die Bühne zu bringen. Das ist alles andere als selbstverständlich.

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LEHÁR DAS LAND DES LÄCHELNS PIOTR BECZALA JULIA KLEITER FABIO LUISI ANDREAS HOMOKI

Erhältlich im Opernhaus Zürich, unter www.philharmonia-records.ch und weltweit im Handel.

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Musikalische Leitung K AI TIETJE Inszenierung STEFAN HUBER Choreografie DANNY COSTELLO Ausstattung HEIKE SEIDLER

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DIE RACHE DER


Wie machen Sie das, Herr Bogatu?

Illustration: Anita Allemann

Technische Schicksalsmächte Traditionell steht die letzte Kolumne der Spielzeit unter dem Motto «Wie sollte man es nicht machen?» und berichtet über theatertechnische Pleiten, Pech und Pannen. Eigentlich sollte die Spielzeit im September 2017 ganz locker mit der Koproduktion Jewgeni Onegin anfangen, die zuvor in Berlin bereits erfolgreich zu sehen war. Frei nach dem Motto: Was Berlin kann, können wir auch, liefen die Proben auch sehr gut! In dieser Produktion regnet es am Ende des Stückes auf die Bühne – das klappte in Berlin und auch bei uns... Wir hatten sogar den Luxus, dass wir abends das Bühnenbild auf der Bühne stehen lassen konnten, da wir noch in der spielfreien Zeit waren und keine Vorstellungen unsere Proben störten. So stand das Bühnenbild bei uns eine Woche lang auf der Bühne und wurde regelmässig gewässert. Als wir dann das Bühnenbild doch einmal abbauen mussten, stellten wir fest, dass unsere Unterlage, die den Bühnenboden vor Feuchtigkeit hätte schützen sollen, durch Schrauben kleine Löcher bekommen hat und unser Bühnenboden unter Wasser stand und reperaturbedürftig war. In Berlin stand das Bühnenbild nie so lange durch – der Bühnenboden konnte immer wieder trocknen … In Mahagonny gab es ein Haus mit einem Garagentor, das normalerweise von einem Sänger auf offener Bühne aufgemacht wird. In einer Vorstellung klemmte das Tor und der Solist mühte sich vergebens ab. Unser Bühnenmeister schlich sich dann unauffällig auf die Bühne und rüttelte so fest am Garagentor, dass ein Fassadenteil aus der Verankerung und auf ihn drauf fiel – glücklicherweise passierte ihm nichts dabei. Daraufhin gab er auf, zog sich wieder zurück und löste das Problem in der Pause. Die Sänger mussten bis dahin statt durch das Garagentor durch die Haustür gehen, was im Gegensatz zum herabfallenden Fassadenteil wahrscheinlich niemanden im Publikum aufgefallen ist. Was wirklich auffiel, war unser «Premieren-Patzer» bei La forza del destino. Dort sollten zwei grosse Tore während der Ouvertüre langsam aufschwingen und den Blick auf einen aus der Unterbühne hochfahrenden Brunnen freigeben. Aus diesem sollten dann drei Solisten als Vorboten des Schicksals entspringen. Der Brunnen lag im Fahrweg der Tore, deswegen musste er in der Unterbühne warten, bis die Tore über ihn hinweg gefahren sind. Ein Teil des Brunnenschachtes wurde von einer kleinen Klappe überdeckt, die mit einem dünnen Seil aus der Unterbühne bedient wurde. Als unser GMD Fabio Luisi am Tag der Premiere die Ouvertüre begann und die Inspizientin das Zeichen gab, die Tore aufzufahren, setzten die Maschinisten die Antriebe in Bewegung, mit denen die Tore ferngesteuert geöffnet werden sollten. Während der linke Torflügel kontrolliert aufschwang, blieb der rechte mit der Unterkante in dem Bedienseil der Klappe hängen. Die Antriebe versuchten nun das Tor dennoch zu öffnen und wirkten mit grossen Kräften auf die Konstruktion, bis die Holzlatte, die alles zusammenhalten sollte, aus der Verankerung riss und das Tor in drei Segmente zerfiel. Der untere Teil hing am Seil nach wie vor fest, die anderen Teile schwangen schnell auf und blieben geöffnet stehen. Wir mussten die Vorstellung unterbrechen, da die verhakte Wand genau über dem Brunnen stand und dessen Hochfahren und damit den Auftritt unserer Solisten blockierte. Der Vorhang fuhr herab. Während Andreas Homoki eine Ansage machte, dass wir «einfach nochmal von vorne anfangen», hat die Bühnentechnik das Tor provisorisch repariert und alles auf Anfang gestellt. Doch auch in der Wiederholung patzten wir – zu stark war die Macht des Schicksals und die Nervosität hinter der Bühne: Die Wände fuhren zwar auf, doch beim Zufahren der Tore funktionierte die Klappe nicht mehr und ein Tor blieb hängen. Unsere Solisten griffen kurzerhand ein und schlossen das Tor von Hand … Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich

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10 L’incoronazione di Poppea

Auch die Götter sind in sich selbst verliebt: Eine Szene aus den Proben zu «Poppea» mit Hamida Kris­tof ­fer­sen (Virtù), Jake Arditti (Amore) und Florie Valiquette (Fortuna)


Schaut! Mich! An! Die Figuren in Claudio Monteverdis frühbarocker Oper «L’incoronazione di Poppea» sind getrieben von Eitelkeit und einer Egomanie, die Parallelen zu der Selbstsucht aufweist, die uns heute aus den sozialen Netzwerken des Internets entgegenblickt. Der Medien­theoretiker Ramón Reichert beleuchtet die Hintergründe der allgegenwärtigen modernen Selfie-Kultur Foto Danielle Liniger

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ir leben in einer Zeit, in der private Nutzungsräume erweitern, sonegozentrische Selbstdarsteller, dern nachhaltig in kollektive ErfahrungsPower-User und Influencer und Erinnerungsräume eingreifen. mittels Facebook, Instagram, WhatsApp, Was unterscheidet Selfies eigentlich Twitter und Snapchat immer mehr Ein- von früheren fotografischen Selbstportfluss auf soziale Rollenmodelle, Identi- räts? Der Kunstkritiker Jerry Saltz meint, tätsskripte und politische Denkweisen dass sich in Selfies ein neues «visuelles nehmen. Selfies gelten heute als ein zen- Genre» manifestiert, das sich von allen trales Kulturmuster der digitalen Gesell- anderen historischen Formen des Selbstschaft. Die sogenannte Selfie-Generation porträts unter­scheidet: «Abgesehen von hat eine neue Macht sozialer Inszenierung den formalen Unterschiedlichkeiten zwihervorgebracht, in welcher der Exhibi­tio­ schen den beiden Formen – der Rahmung nismus des Privaten und Intimen als etwas und der Technik – ist das traditionelle Selbstverständliches und Alltägliches gel- foto­grafische Selbstporträt deutlich weni­ ten. Die Selbstverständ­lichkeit, mit der ger spontan und zwanglos als das Selfie.» Selfies heute bei jeder Gelegenheit ge- Unter Selfies verstehen wir Formen der macht werden, stellen neue Heraus­for­de­ visuellen Selbstthematisierung, mit der rungen für die Gegenwartsgesellschaft sich eine Person oder auch mehrere Perdar. Mittlerweile haben sich frag­würdige sonen (als «Gruppenselfie») zum Thema Genres herausgebildet, wie z.B. War-­ der Aufnahme machen. Dabei entstehen Selfies, Holocaust-Selfies oder Funeral-­ Selfies meist mit einer Digitalkamera oder Selfies. Selfies zeigen oft Gesichter und einem Smartphone von eigener Hand und vermitteln Emotionen. Daher wird das können auf Online-Netzwerken mittels Selfie auch von politischen Aktivisten ge- Hashtagging (ein mit der Markierung # nutzt, um affektgeladene Inhalte zu trans- versehenes Schlagwort), Abonnement-­ portieren. So zeigen einschlägige Studien Strukturen und Follower-­ Netzwerken und öffentliche Debatten, die «Holo­caust-­ eine grössere Öffentlichkeit erreichen. Die Selfies» oder «War-­Selfies» thematisieren, hohe Verbreitungsdichte der Smart­phones dass die auf Instagram, Facebook und und ihrer mobilen Vernetzung mittels Twitter geteilten Selfies nicht einfach nur Apps hat dazu geführt, dass kommuni­


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kative Praktiken der Selbstthematisierung stark an Bedeutung gewinnen konnten. In Verknüpfung mit den bildgebenden Auf­zeichnungs- und Speichermedien spie­ len Bilder in der alltäglichen Kommunikation eine zentrale Rolle. Soziale Medien üben dabei grossen institutionellen und normativen Druck auf die beteiligten Akteure aus, andauernd Selfies zu teilen. Un­ter diesem Druck gehen Smartphone-­ Nutzer oft absurde Risiken ein, um ein be­sonders spektakuläres Selfie zu schiessen – und der ein oder andere hat dabei sogar schon sein Leben verloren. Mit den Selfies rückt sich zwar jeder Einzelne ins Bildzentrum; als sozial geteilte Bilder müssen sich diese Selfies jedoch auch bestimmten Rollenerwartungen, Körpernormen und Schönheitsidea­ len unterordnen. Dadurch gehören sie zu den kollektiv geteilten Leitbildern der Gegenwartsgesellschaft, mit welchen der Einzelne versucht, Anerkennung zu erreichen und Gruppenzugehörigkeit herzustellen. In der heutigen digitalen Gesellschaft haben sich neue Imperative für unser individuelles Rollenverhalten herausgebildet. Der neoliberale Imperativ des unternehmerischen Selbst schuf das neue Rollenbild eines sich optimierenden Subjekts. Dieses Subjekt ist über die sozialen Netzwerke einem andauernden Feedback ausgesetzt und versucht, sich selbst möglichst optimal darzustellen, um sozial anerkannt zu werden. Selfies gelten daher als neue Währung auf dem neoliberalen Aufmerksamkeitsmarkt hyperindividueller Selbstdarsteller. Zudem ist die Ära der Post Privacy beherrscht vom Imperativ, sein (wahres) Gesicht zu zeigen, um dabei sei­ne Authentizität unter Beweis zu stellen. Selfies verlagern dialogische face-to-face-­ Interaktionen ins Social Web und imitieren dabei Formen der Kommunikation. Obwohl sie auf eine «Tyrannei der Intimität» (Richard Sennett) abzielen, tangie­ ren sie die Grenzen des Mediums, denn sie können den Blick des Betrachters nicht erwidern. Dennoch sind Selfies grundsätzlich als Kommunikationsmittel zu verstehen. Denn wer bestimmte Stile und Codes der Selbstdarstellung beherrscht, möchte anerkannt werden, Einfluss ausüben und zu einer Gruppe dazugehören.

Im Unterschied zu früheren Speicher-, Ver­arbeitungs- und Verbreitungstechnologien sind Selfies heute vor allem eines: Kommunikationsmedien. Als Medien ob­ sessiver Echtzeit-Kommunikation versetzen sie die beteiligten Nutzer von Smartphones und Sozialen Medien in einen per­manenten Zwang zur selbstbezüglichen Standortbestimmung und biografischen Bilanzierung. Diese Arbeit am eigenen Image bleibt fragmentarisch und unabgeschlossen – ihre dialektische Ner­vo­sität os­zilliert zwischen den fotogra­fi­schen Ver­ stellungskünsten eines angepass­ten Opportunismus und einer Arbeit am Selbst, die innerhalb der Anerkennungs­ spirale der Like-Economy nie aufhören darf. Wie die australischen Kommunikationstheoretiker Jean Burgess und Sonja Vivienne betont haben, liegt die Bedeutung der Selfies in der digitalen Gesellschaft vor allem darin, dass sie so obsessiv geteilt werden. Das Neue an Selfies ist, dass die Übertragung von Bildern instantan möglich sein kann, sie sind quasi in Echtzeit im öffentlichen Raum verbreitbar. Die rasante Verbreitung von digitalen Selbstbildern erweitert private Nutzungsräume und sorgt für eine bisher ungekann­te Vermischung von Privatheit und Öffentlichkeit. Auch der Kunsthistoriker Geoffrey Batchen weist auf den kommuni­ kativen Aspekt der visuellen Selbstthematisierung hin. Das Selfie ist in diesem Sinne weniger Medium der Repräsentation als Medium der Transaktion. Es etabliert eine ökonomische Beziehung zwischen unterschiedlichen Akteuren und stellt ein Tausch­ objekt zur Stabilisierung einer Tauschbeziehung dar. Selfies können heute überall auf­ genommen, umgehend bearbeitet und verbreitet werden. Selfies können damit als ein Paradigma einer technologischen Beschleunigung von Bildern angesehen werden. Die technologischen Mittel und die Voraussetzungen zur leichten Verbreitung werden oft als eine Steigerung von Autonomie- und Authentizitätschancen wahrgenommen. Ist diese scheinbare Demokratisierung der Lebenswelt aber nicht einer Ökonomisierung des Lebens unterworfen? Und wenn ja, welche Konsequenzen hat diese für die Lebensführung und das Selbstverständnis des Einzelnen?

«Image-Arbeit in der Like Economy»


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«Das Selfie ist in diesem Sinne weniger Medium der Repräsentation als Medium der Transaktion»

Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass die technischen Infrastrukturen einer andauernden Echtzeit-Kommunikation und maximierten Verbreitung massiv in unsere lebensweltlichen Beziehungen eingreifen. Sie verändern die Raum- und Zeiterfahrung unserer Selbstwahrnehmung, die wir als beschleunigt und flüchtig erfahren. Wer heute seine Identitätsentwürfe und Rollenrepertoires kontrollieren möchte, muss bereit sein, dies in einer erhöhten technologischen und sozialen Beschleunigung zu tun. Die technologische Beschleunigung sorgt dafür, dass wir andauernd Bilder machen können und andauernd über Bilder verfügen können. Wir können auch andauernd Bilder reproduzieren, weiterleiten, mit neuen Inhalten verbinden und in der Öffentlichkeit verbreiten. Die soziale Beschleunigung der Identitätsentwürfe lässt sich daran ablesen, dass Selfies nicht auf eine feststehende, stabile Identität verweisen, sondern mit Selbstbildern als einem «Probehandeln» experimentieren. Damit verkleinert sich für die Selfie-Generation die Gegenwartserfahrung; das Selfie steht für das Momenthafte, Situative, Spontane. Das Selfie entspringt aus der Situation, die das Selbst über­formt und für das Selbst keine klar erkennbare Handlungsorientie­ rung bereithält. Dieses Fehlen einer stabilen Handlungsorientierung ist nicht nur sozial, sondern auch technologisch be­ grün­det, denn Selfies können unverzüglich übertragen werden, aus dem Moment spontan erfahrener Lebenswirklichkeit in die Welt der sozialen Netzwerke. Werden Selfies sozial geteilt, dann werden sie einer Quantifizierungslogik unterworfen, denn sie werden innerhalb der sozialen Netze bewertet: Selfies sind heute untrennbar verbunden mit Feedbacksystemen, Leistungsvergleichen, Quali­tätsrankings, flexiblen Prozesssteuerungen, Selbsterfahrungskatalysatoren oder Zufriedenheitsmessungen. Dies führt dazu, dass Selfies von einem andauernden Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsverlust bedroht sind. Diese Bedrohung durch eine rein passive Wahr­ nehmung, d.h. eine nicht messbare Aufmerksamkeit, führt dazu, dass Selfies an­ dauernd unter Wahrnehmungsdruck stehen; sie sind dadurch nicht nur in eine

Beschleunigungs­spirale, sondern auch in eine Steigerungsdynamik eingebunden. Beides prägt das Bild­handeln aller Beteiligten: Die Produzenten der Selfies versuchen nicht nur, Bilder so zu gestalten, dass sie auf den Bildermärkten erfolgsversprechend sind, sondern sie etablieren auch Gabebeziehungen mit anderen Nutzern, um mit dem Aufbau von Gabe-Gegengabe-Beziehungen («Likes für Likes») eine planbare und verlässliche Aufmerksamkeitszukunft herzustellen. Die Verbreitungslogik der Selfies folgt also der wettbewerbsförmigen Orga­ nisation der spätmodernen Gesellschaft, in der der Einzelne andauernd um Status und Anerkennung kämpfen muss. Die mit den Bildinhalten eng verknüpften Verfahren des Feedbacks und der Evaluation schreiben eine Wettbewerbslogik in die Bilder ein, die letztlich zu einer konkur­ renz­förmigen Dynamisierung sämtlicher Bildpraktiken führt und einen Steigerungszwang von mehr gelebter Selbstverwirklichung nach sich zieht. Die konkurrenzförmige Verbreitung von Selfies beeinflussst die individuellen Autonomieund Authentizitätsentwürfe, die nicht ein für alle Mal gegeben und fest­ stehend, sondern fluide und temporär erscheinen und immer wieder neu unter Beweis gestellt werden müssen. In diesem Sinne gehören auch die Gesichtsrepräsentationen der Selfies zu den neuen Leitbildern der Gegenwartsgesellschaft. Sie sind nicht nur Ausdruck persönlicher Selbstdarstellung, sondern verkörpern als visuelles Kollektivmedium das Selbstverständnis von Gesellschaften. Sie sind also immer auch mehr als nur private und intime Selbstentblössungen, sie sind ein Spiegel von sozialem Wandel und kulturellen Entwicklungen. Ramón Reichert ist Kultur- und Medientheoretiker. Er forscht und lehrt an der University of Lancaster, an der Universität St. Gallen und am Institute of Experimental Design and Media Cultures in Basel.


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L’incoronazione di Poppea


Stéphanie D’Oustrac (Ottavia), Delphine Galou (Ottone)

Sexualität und Macht Monteverdis «L’incoronazione di Poppea» hat am 24. Juni Premiere. Das Stück zeigt eine hedonistische Gesellschaft zur Zeit des grausamen römischen Kaisers Nero, in der Sex­ua­lität skrupellos als Machtinstrument eingesetzt wird. Ein Gespräch mit Regisseur Calixto Bieito über die fas­zi­ nierende Aktualität dieser 376 Jahre alten Oper Fotos Danielle Liniger

Calixto, du hast im Laufe deiner Karriere viele Opern unterschiedlichster Komponisten auf die Bühne gebracht, doch bisher noch nie ein Stück von Monteverdi. L’incoronazione di Poppea möchte ich schon seit vielen, vielen Jahren inszenieren – seit ich das Stück vor ungefähr 30 Jahren zum ersten Mal gesehen habe. Damals war ich sofort fasziniert davon. Seitdem warte ich auf die Gelegenheit. Und nun ist sie endlich da! Warum hat dich dieses Stück vom ersten Moment an fasziniert? Zuallererst wegen der Musik, die einfach unglaublich schön ist. Aber sie ist nicht nur schön – sie entfaltet gemeinsam mit der Handlung dieses Stückes auch eine am­ bivalente Wirkung. In Poppea wird eine hedonistische, dekadente Gesellschaft gezeigt, in der die Menschen sich extrem egoistisch verhalten. Jeder ist getrieben von seinem persönlichen Ehrgeiz, Sexualität wird als Machtinstrument eingesetzt. Es kommt einem fast so vor, als sei damit unsere heutige Gesellschaft gemeint – obwohl das Stück vor mehr als 350 Jahren entstanden ist. Der Kaiser Nerone denkt ausschliesslich an seine eigenen Bedürfnisse, er sagt im Stück: Das Volk, der Senat, mein Ruf, das alles ist mir egal – solange ich das bekomme, was ich möchte, nämlich Poppea zu heiraten und zur Kaiserin zu machen, egal, zu welchem Preis. Die Charaktere, die Monteverdi und sein Librettist Busenello geschaffen haben, sind uns so nah, dass wir uns vielleicht sogar leichter mit ihnen identifizieren können als mit Figuren aus Opern des 19. Jahrhunderts. Und die Art und Weise, wie sie sich musikalisch äussern, begünstigt das, denn die Musik baut ganz auf der Sprache auf. Ich denke übrigens, dass auch jungen Menschen der Einstieg in die Oper mit einem Stück wie Poppea leichter fallen könnte als mit den meisten anderen Opern. Deine Bühnenbildnerin Rebecca Ringst hat einen Laufsteg entworfen; spielt die Oper in deiner Inszenierung in der Modewelt? Ich will keine Fashion-Show machen und auch keine Geschichte über irgendeinen Modezar erzählen, das interessiert mich nicht. Dass wir uns für diesen Laufsteg entschieden haben, ist als Metapher für unsere heutige Welt gemeint. Es geht darum, wie wir uns selbst Tag für Tag auf Facebook und Instagram präsentieren, ständig


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L’incoronazione di Poppea

Selfies von uns posten, unsere Meinung bedenkenlos auf Twitter öffentlich äussern, egal, wie extrem oder verletzend sie für andere sein mag. Mir kommt es vor, als seien viele Menschen heute regelrechte Exhibitionisten. Diskrete Menschen sind viel schwerer zu finden. Tatsächlich gibt es in Poppea kaum eine Figur, die nicht zuallererst an sich selbst denkt . Jeder möchte die Situation für seinen eigenen Vorteil ausnutzen, jeder möchte auf der sozialen Leiter ein paar Stufen nach oben kommen, wenn irgendwie möglich. Sehr schön zu sehen ist das an Arnalta, Poppeas Amme, die bei uns von einem Mann gespielt wird und in meiner Inszenierung eher ein politischer Berater ist: Er rät Poppea zunächst von einer Verbindung mit Nerone ab, aber als Poppea dann tat­ sächlich Kaiserin wird, ist er der erste, der von dieser Entwicklung profitieren möchte. Auch Seneca, der Philosoph und Lehrer Nerones, ist keineswegs der über allem stehende Moralist, sondern ein durchaus ambivalenter Charakter … Senecas Texte darüber, wie man leben sollte, deckten sich nicht unbedingt mit dem, wie er selbst lebte. Als Stoiker predigte er Enthaltsamkeit, hatte aber selbst nicht nur eine Ehefrau, sondern wohl auch die eine oder andere Geliebte. Er hielt andere dazu an, bescheiden zu leben, häufte aber selbst einiges an materiellem Besitz an. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch Nerone sich über die Argumente seines ehe­ maligen Lehrers einfach hinwegsetzte, seine Ehefrau Ottavia verstiess und Poppea heiratete. Um das allerdings tun zu können, musste Seneca mundtot gemacht werden; Nerone hat ihn zum Selbstmord gezwungen. Gibt es überhaupt eine positive Figur in diesem Stück? Vielleicht Drusilla. Sie liebt Ottone wirklich und ist sogar bereit, ihr Leben für ihn zu opfern. Aber sie ist wirklich die einzige! Nerones Ehefrau Ottavia ist zwar zu bemitleiden, weil Nerone sie mit Poppea betrügt; aber sie ist auch diejenige, die Ottone den Auftrag zum Mord an Poppea gibt. Ottone wiederum ist der unglückliche ehemalige Liebhaber Poppeas, der Nerone weichen muss; aber er ist bereit, Poppea zu töten, was ihn auch zu einer mindestens ambivalenten Figur macht. Zu Beginn der Oper streiten die drei Götter Fortuna, Virtù und Amor, also das Glück, die Tugend und die Liebe, darüber, wer die meiste Macht über die Menschen hat; Amor wird diesen Wettstreit am Schluss des Stückes gewonnen haben. Aber ist es wirklich die Liebe, die hier siegt? Wenn es ein Stück über die Liebe wäre, würde es vielleicht Nerone e Poppea heissen, aber nicht L’incoronazione di Poppea! Das Publikum zur Zeit Monteverdis wusste, dass Nerone seine schwangere Frau Poppea später ermordet hat, und konnte das «Happy End» relativieren. Natürlich fühlen sich Nerone und Poppea voneinan­der angezogen. Aber entscheidend ist, wie Poppea ihren Körper einsetzt, um Macht zu erreichen, wie Sex als Mittel eingesetzt wird, um im kapitalistischen System zu triumphieren. Ich kenne viele Politiker in Spanien, die ihre Körper eingesetzt haben, um Karriere zu machen, die keinerlei Moral haben, die andere Menschen nicht respektieren, unehrlich sind und demagogisch agieren. Und diese Politiker gibt es nicht nur in Spanien. Da muss man gar keine Namen nennen. Amor stand ja zur Zeit Monteverdis auch nicht unbedingt für die reine Liebe, sondern vielmehr für die Lust, die Begierde. Ja, das ist in der Musik deutlich zu hören, sie ist sehr verführerisch und erotisch. Monteverdi bewertet aber Erotik nicht per se negativ. Es bleibt immer ambivalent. Das gefällt mir.

Calixto Bieito inszenierte am Opernhaus Zürich bisher Zimmermanns Oper «Die Soldaten» und Prokofjews «Der feurige Engel». Seit 2016/17 ist er künstlerischer Leiter des Teatro Arriaga Bilbao, wo er zuletzt Bachs «Johannes-­ Passion» inszenierte. Da­rüber hinaus arbei­ tete er an fast allen wichtigen Opernhäusern Europas.


Deanna Breiwick (Drusilla), Delphine Galou (Ottone)


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Wer sind die drei Götter Amor, Fortuna und Virtù in deiner Inszenierung? Sie sind für mich Kinder. Kinder können heute sehr despotisch sein, weil wir sie zu sehr verwöhnen – sie sind unsere Götter! Diese drei kleinen Götter spielen in unserer Inszenierung mit den Menschen und mit sich selbst. Kommen wir noch einmal auf das Bühnenbild zurück: Es ist ja nicht einfach ein Laufsteg, sondern ein Laufsteg, der eine elliptische Form hat und sehr nah am Publikum steht; das Orchester sitzt in der Mitte dieser Ellipse. Die Ellipse, die ja auch an eine Arena erinnert, zeigt uns unterschiedliche Perspek­ tiven der Figuren und der Realität, sie macht die Figuren mehrdimensional. Das finde ich sehr interessant. Der Kreis ist für mich zudem der Raum einer Frau, weil er das Zyklische impliziert. Und natürlich ist es, wie schon gesagt, ein Ort, an dem alle Figuren vollkommen ausgestellt sind. Es gibt keine Privatheit in diesem Raum, keine Geheimnisse. Es ist, als wären die Figuren andauernd auf Facebook, Instagram oder Twitter. Dazu gibt es Live-Kameras, die die Figuren ständig filmen. Es ist wie eine freiwillige 24-Stunden-Überwachung. Und die Figuren lieben es, sich ständig selbst auf einer Leinwand zu sehen. Es ist die permanente Selbst­dar­ stellung. Das ist übrigens gar kein so neues Phänomen. Als ich in den 90er-Jahren in Bogotà bei einem Festival gearbeitet habe, wurde die Festivaldirektorin Tag und Nacht von einer Kamera verfolgt, die sie bei allem filmte, was sie tat, bei jeder noch so unwichtigen, alltäglichen Tätigkeit. Während der Proben hast du Monteverdis Poppea häufig mit den Dramen von Shakespeare verglichen. Der Plot der Poppea hat alle Zutaten eines guten Shakespeare-Dramas: Sex and Crime, Politik und Poesie. Wenn ich von Shakespeare spreche, denke ich natürlich auch an seinen vielzitierten Satz «All the world’s a stage, And all the men and women merely players». Wir könnten diesen Satz ersetzen mit «All the world’s a catwalk …» – die ganze Welt ist ein Laufsteg. Alle spielen ununterbrochen eine Rolle. Und wenn man sich daran gewöhnt hat – in der Politik ebenso wie in der Mode­ welt –, ständig eine Rolle zu spielen, verliert man irgendwann das Gefühl dafür, wo die Rolle aufhört und das «echte» Leben beginnt. Mit Nero und Poppea haben Monteverdi und sein Librettist erstmals in der Geschichte der Oper historische Figuren auf die Bühne gebracht. Ist es für die Vorbereitung deiner Inszenierung wichtig gewesen, diesen historischen Kontext zu kennen? Natürlich war es wichtig für mich zu wissen, was für ein Mensch Nero gewesen ist, wie grausam er sein konnte, wie verrückt er war, dass er sowohl mit Frauen als auch mit Männern Sex hatte, dass er unglaubliche Gelage veranstaltet hat, für die seine Untertanen bezahlen mussten. Aber auch der Kontext, in dem Monteverdi diese Oper geschrieben hat, war wichtig für mich: Poppea entstand für die Karnevals­ saison in Venedig zu einer Zeit, als Venedig wirtschaftlich und kulturell eine der wichtigsten Städte der Welt war. Monteverdi und sein Librettist benutzten die historischen Figuren, um etwas über ihre Gegenwart auszusagen. Diese Gegenwart muss von einer zynischen, vollkommen amoralischen Gesellschaft voller Intri­ gen geprägt gewesen sein. Um das zu erreichen, was sie wollen, gehen Nerone und Poppea über Leichen. Viel Hoffnung auf ein humaneres Leben gibt es in dieser dekadenten Gesellschaft nicht. Hoffnung gibt es nur in der Musik. Das Gespräch führte Beate Breidenbach


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Julie Fuchs (Poppea)


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David Hansen (Nerone), Thobela Ntshanyana (Lucano)

«Auf der Bühne wollen wir Extreme sehen!» David Hansen singt Nerone in «L’incoronazione di Poppea». Warum er diese extreme Rolle besonders liebt – und wegen ihr sogar seine Ferien unterbrochen hat Text Beate Breidenbach Foto Danielle Liniger


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igentlich war alles ganz anders geplant. David Hansen wollte im Juni und Juli ein paar Konzerte singen und die rare Freizeit zwischen den Konzerten bei seiner Frau und seiner fast zweijährigen Tochter zuhause in Oslo verbringen. Deshalb fiel ihm die Entscheidung nicht leicht, als das Telefon klingelte und das Opernhaus Zürich ihn fragte, ob er für seinen erkrankten Kollegen Valer Sabadus einspringen könnte, der die Rolle des Nerone in L’incoronazione di Poppea hätte singen sollen. Dass David Hansen zusagte, kurz nach Probenbeginn nach Zürich zu kommen und die Rolle zu übernehmen, hat auch etwas mit Calixto Bieito zu tun: David hat einige Inszenierungen von Bieito in Oslo gesehen und von vielen Sänger-Freunden gehört, dass er eine Chance, mit diesem Regisseur zu arbeiten, unbedingt wahrneh­ men müsse. Und natürlich hat auch die Rolle selbst Davids Entscheidung begünstigt: Nerone sei seine Lieblingspartie, sagt er, hier in Zürich ist es bereits das vierte Mal, dass er diese Partie singt. Rollen wie Händels Giulio Cesare langweilten ihn eher, obwohl die Musik natürlich grossartig sei; aber «perfekte, heroische Charaktere» findet er im Theater unglaubwürdig. Da ist Monteverdis Nerone schon ein ganz anderes Kaliber. Diesen verrückten, grausamen römischen Kaiser auf der Bühne zu verkörpern, ist für David eine grossartige Herausforderung. «Nerone kann mit Pop­ pea äusserst zärtlich sein – und im nächsten Moment unglaublich böse. Diese Unbe­ rechenbarkeit, die vielen unterschiedlichen, extremen Dimensionen der Figur – das interessiert mich!» Mit dem historischen Nero hat sich David Hansen intensiv beschäftigt – und nicht schlecht gestaunt, als er herausfand, dass Nero nicht nur als 12 oder 13-Jähriger mit seiner Mutter Agrippina geschlafen, sondern diese später auch noch ermordet hat. Besonders fasziniert hat ihn Neros Selbstmord: Als der Kaiser damit rechnen musste, demnächst umgebracht zu werden und keinen anderen Ausweg mehr sah, nahm er ein Messer und stach sich selbst ins Auge. Eine Figur wie geschaffen für die Bühne, meint David: «Weshalb gehen wir in die Oper? Wegen der fantastischen Mu­ sik, klar. Aber auch wegen der Geschichten, die hier erzählt werden. Poppea ist eine der besten Geschichten des gesamten Opernrepertoires. Noch dazu beruht sie auf Tatsachen! Wir wollen doch auf der Bühne nicht das sehen, was wir aus dem alltäg­ lichen Leben ohnehin schon kennen – wir wollen Extreme sehen, Menschen, die Grenzen überschreiten.» Nero sei, so meint David Hansen, nicht einfach nur aus sich selbst heraus so grausam gewesen; auch die Umstände hätten ihn zu dem gemacht, der er war. «Ich hätte nicht Nero sein wollen – aber ihn auf der Bühne darzustellen, finde ich grossartig!» Für das Opernhaus war es jedenfalls ein grosses Glück, dass David Hansen sich entschieden hat, die Partie kurzfristig zu übernehmen. Er beherrscht nicht nur die virtuose, koloraturenreiche und extrem hoch liegende Partie wie kaum ein anderer, er hat auf der Bühne auch genau die Energie, die man für diese Figur braucht. Kaum in Zürich angekommen, stürzte er sich in die Proben – und rutschte gleich in seiner ersten Szene vor Poppea auf dem Bauch eine Treppe hinunter. «You gave me the best entrance I’ve ever had», sagte er daraufhin zu Calixto Bieito – Du hast mir den bes­ ten Auftritt gegeben, den ich je hatte. Alles wirkt vollkommen selbstverständlich und natürlich, wenn er es spielt – egal, ob es eine erotische Szene mit Poppea ist oder ein Wutausbruch gegen Seneca. Oder die Liebesszene mit Lucano – «no problem». Schliesslich hat auch der historische Nero sowohl Frauen als auch Männer geliebt. Die grösste Herausforderung für ihn sei es, so sagt David, sich seine Kraft gut einzu­ teilen. Denn Nero ist sehr oft sehr wütend – und muss entsprechend laut singen. David hat genau diesen kraftvollen, in der Oper oft «Peng» genannten Ansatz in der Stimme, den er für diese Wutausbrüche braucht. Die Kunst ist es, so ökonomisch damit umzugehen, dass am Schluss der Oper im berühmten Duett mit Poppea, «Pur ti miro», auf das alle Monteverdi-Kenner warten, die Stimme noch schön klingt. Wie gefällt ihm nun die Arbeit mit Calixto Bieito, haben seine Kollegen ihm zu viel versprochen? Nein, die Proben machten ihm grossen Spass, sagt David. «Das Besondere ist, dass Calixto die Rollen mit uns Sängern gemeinsam entwickelt. Er


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kommt nicht mit einer festen Vorstellung von einer Rolle, in die wir unbedingt hin­ einpassen müssen. Jeder und jede von uns hat ja etwas anderes anzubieten. Und Calixtos grosse Qualität ist es, aus jedem von uns das Beste herauszuholen. Wenn wir alle an das glauben, was wir tun, und uns zu 100 Prozent damit identifizieren, weil wir es selbst mit entwickelt haben, wird die Show funktionieren.» Ottavio Dantone kennt und schätzt David Hansen schon aus einer anderen Zusammenarbeit, dem Messiah in Australien, Davids Heimatland. «Für das italienische Repertoire ist Ottavio einfach perfekt», sagt er. «Er nimmt ein fantastisches Tempo für das Schlussduett: Es fliesst und ist trotzdem sexy, und es entspricht zudem noch dem Tempo im ersten Duett von Nerone und Poppea. Die Beziehung der beiden hat sich im Vergleich zum Beginn des Stückes natürlich geändert; trotzdem gefällt es mir sehr, wenn wir mit dem Schluss-Duett einen Bogen zum Anfang schlagen.» Vielleicht klingt diese merkwürdige hohe Stimmlage, in der Nerone singt, bei David Hansen auch deshalb so natürlich, weil er bereits mit 15 Jahren entdeckte, dass er ein Countertenor ist. Genauer gesagt, die Eltern seiner Freunde haben das entdeckt, die waren nämlich Opernsänger. Davids Sprechstimme hat sich durch den Stimmbruch verändert, die Singstimme blieb jedoch genauso hoch wie im Kinderchor. Durch diese Entdeckung habe sich sein Leben radikal verändert, erzählt David Hansen; Musik hat zwar schon immer eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt – er spielte auch Geige, Bratsche und Klavier –, aber sein Hauptinteresse als Teenager galt doch eher dem Surfen und den Mädchen. War es da nicht ein bisschen seltsam, plötzlich Coun­ tertenor zu sein und intensiv Gesangsunterricht zu nehmen? Ganz und gar nicht, meint David; er habe immer schon sehr viel mehr Bratschenwitze gehört als dumme Sprüche über seine hohe Singstimme. Nach Oslo kam er wegen seiner Frau, sie ist Norwegerin und Solo-Harfenistin im Orchester der Oper. Aber eine Beziehung zum Norden Europas gab es in der Familie schon vorher: Davids Vater ist als Däne nach Australien ausgewandert, wie der Name Hansen schon ahnen lässt. Ein grosses Vorbild sei für ihn die schwedische Mezzosopranistin Malena Ernmann, die vor einigen Jahren hier in Zürich als Ruggi­ ero zu hören war. Vorbild ist sie für ihn nicht nur als Künstlerin, sondern auch und vor allem als Mensch: «In diesem Business kann der Hunger nach Berühmtheit das ganze Leben bestimmen. Bei Malena ist das anders, sie ist sehr bescheiden. Privat ist sie ein Familienmensch, doch sobald sie die Bühne betritt, ist sie ein Bühnentier.» Auch für David ist die Familie ein wichtiger Teil seines Lebens. Deshalb hatte er ja auch gezögert, den Nerone in Zürich anzunehmen. Denn nach dem Sommer kommen acht lange Monate, in denen er nur unterwegs sein und von einem Opern­ haus zum anderen reisen wird. Er muss diese Zeit ausnutzen, meint er; nicht wegen des Geldes oder fürs Prestige, sondern weil er nicht weiss, wie lange er diese extrem hohen Rollen noch singen kann. «Es gibt nicht viele hohe Countertenöre, die länger als bis Mitte Vierzig diese Rollen singen; mit zunehmendem Alter senkt sich die Stimme. Allerdings sitzt meine Stimme noch eine Quint höher als die Stimmen der meisten anderen Countertenöre; vielleicht habe ich also Glück und kann den Nerone noch etwas länger singen.» Wir hoffen es sehr.


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«Monteverdi erreicht jedes Publikum» Ottavio Dantone im Gespräch über Claudio Monteverdis letzte Oper «L’incoronazione di Poppea», Entscheidungen, die er als Dirigent von Barockmusik treffen muss, und die überraschende Amoralität des Stückes Foto Danielle Liniger

Ottavio Dantone, Sie haben lange Zeit darauf verzichtet, Monteverdi zu dirigieren; erst vor zwei Jahren mit einer Aufführung des Orfeo in Lau­ san­ne sind Sie wieder zu diesem Kom­ ponisten zurückgekehrt. Was war der Grund dafür? Als ich vor 15 Jahren an verschiedenen italienischen Theatern alle drei Mon­te­verdi-Opern einstudierte, war ich sehr unzufrieden mit dem Resultat. So sehr, dass ich nie wieder Monteverdi machen wollte. Ich empfand es damals als sehr schwierig, den Sängerinnen und Sängern zu vermitteln, was die Essenz der Musik Monteverdis ist: das recitar cantando nämlich, das «singende Sprechen» oder «sprechende Singen», das sowohl auf dem Rhythmus des Sprechtheaters basiert als auch auf dem Rhythmus der Musik. Meiner Meinung nach geht der Rhythmus, den Monte­ verdi für die Gesangsstimmen ge­ schrieben hat, auf den Rhythmus der gesprochenen Sprache im Sprechtheater der damaligen Zeit zurück. Dieser Rhythmus ist zwar in den Noten ausge­ schrieben; das recitar cantando sollte – innerhalb gewisser rhythmischer Gren­ zen – sehr frei wirken. Das scheint ganz einfach zu sein.

Aber es gelang keinem der Sängerinnen und Sänger, mit denen ich damals zu tun hatte. Entweder war es zu frei, oder es war zu sehr das, was in den Noten stand. Inzwischen habe ich viel mehr Er­fahrung sowohl mit der Musik des Barock als auch in der Arbeit mit Sängern und dachte, vielleicht gelingt es mir nun besser, zu vermitteln, worum es geht. Meine eigene Inter­ pretation interessiert mich dabei übrigens überhaupt nicht. Was mich interes­siert, ist, die Emotionen zu erzeugen, die für eine lebendige Aufführung nötig sind. Wenn man als Dirigent eine Neuproduktion von Monteverdis Poppea vorbereitet, gilt es zunächst, einige grundlegende Entscheidungen zu treffen, vor allem die, welche Fassung man für die Aufführung verwenden möchte: Das Originalmanuskript der Oper ist verschollen, es existieren nur zwei Abschriften, die sich jedoch stark voneinander unterscheiden. Wie sind Sie vorgegangen? Das Manuskript aus Neapel scheint eine Bear­beitung des Manuskripts aus Ve­ne­ dig zu sein, das wiederum eine Abschrift des Originals ist. Für mich liegt die

Ottavio Dantone war am Opernhaus Zürich bisher als Dirigent von Vivaldis «La verità in cimento», Händels «Messiah» und Mozarts «La clemenza di Tito» zu erleben. Er gilt als einer der aufregendsten Interpreten italienischer Barockmusik und ist bisher u.a. an der Mailänder Scala, der Staatsoper Hamburg, der Opéra National de Paris und bei den Salzburger Festspielen aufgetreten.


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Wahrheit in der Mitte. Zu Monteverdis Zeit war es normal, dass Kopien oder Abschriften Unterschiede aufwiesen ge­ genüber dem Originalmanuskript. Man hat die Partitur an die Gegebenheiten der jeweiligen Aufführung angepasst – sei es, weil man andere Sängerinnen und Sänger zur Verfügung hatte, sei es, weil die Orchesterbesetzung eine andere war oder man an einem anderen Ort einen anderen musikalischen Stil bevor­ zugte. So sind die Ritornelle für Or­ chester im Manuskript aus Neapel vier­ stimmig, im Manuskript aus Venedig aber nur dreistimmig. In beiden Versio­ nen haben die Ritornelle die gleiche harmonische Basis, nur die Instrumen­ tierung ist anders. Für mich besteht die musikwissenschaftliche Arbeit nicht darin, auszuwählen, welches Manu­skript das richtige ist. Das ist nicht die Musikwissenschaft. Denn eben­die­se Musik­ wissenschaft sagt ja, dass kein gültiges Manuskript existiert. Im 17. Jahr­ hun­dert, aber auch im 18. und bis ins 19. Jahrhundert unterschieden sich verschiedene Aufführungen des selben Stückes stark voneinander. Ich habe mich entschieden, eine Fassung zu spie­ len, die vom venezianischen Manu­skript ausgeht – mit den Änderungen, die für unsere Besetzung not­wendig sind. So verwenden wir zum Beispiel die vier­ stimmigen Ritornelle aus Neapel, denn hier am Opernhaus Zürich haben wir das volle Orchester zur Verfügung, mit allen Streichern und Bläsern. Man dachte also zu Monteverdis Zeit theaterpraktisch? Ja, und entsprechend besteht für mich die philologische Arbeit darin, den richtigen Ausdruck, die richtige Sprache für unsere Aufführung zu finden. Die Basis dafür ist nicht irgendein Original, das es sowieso nicht gibt, sondern der Versuch, zu verstehen, wie Monte­ verdi und seine Zeitgenossen gedacht haben, auf rhetorischer und auf psycho­ logischer Ebene, und wie Emotionen erzeugt wurden. Auch in Bezug auf die Instrumente, die Monteverdi für seine Poppea verwendet hat, gibt es keine gesicher-

ten Informationen, Sie müssen also als Dirigent selbst entscheiden, wie das Orchester zusammengesetzt ist. In seiner Orfeo-Partitur von 1607 listet Monteverdi alle Instrumente auf, die er damals verwendet hat. Das war übrigens eine grosse Ausnahme; zu Beginn des 17. Jahrhunderts schrieb niemand die Instrumentation aus, in den Noten findet sich normalerweise ledig­ lich der Basso continuo. Die Instrumen­ tation des Orfeo kann uns als Inspiration dienen – es ist aber keine Wahrheit, an die man sich sklavisch halten müsste. Wir wissen dadurch immerhin, dass Monteverdi viele «mystische» Instru­ men­te wie Cornetti, Trombe, Posau­nen, Harfen, Flöten, Clavicembali, Theorben verwendet hat – also eine sehr reiche Instrumentation bevorzugte. Die Zusam­mensetzung des Orchesters hing von der Grösse des Saales ab und vom Platz, der für das Orchester zur Verfügung stand (das übrigens niemals im Graben sass, sondern immer auf der Bühne) und natürlich von den Klangfarben, die man erzeugen wollte. Für Poppea habe ich entschieden, keine Posaunen zu benutzen, denn diese wurden normaler­ weise für Situationen verwendet, die in der Unterwelt spielten. Aber ich habe versucht, möglichst viele verschiedene Klangfarben zur Verfügung zu haben. In unserem Orchester gibt es Cornetti, Violinen und Flöten, und im Basso continuo Harfe, Theorbe, Laute, Gitarre, zwei Cembai, Orgel, Viola da gamba und Violone, also ein Kontrabass mit fünf Saiten. Damit habe ich die Möglichkeit, jede theatralische Situation musi­kalisch zu kommentieren. Verwenden Sie für die Begleitung der Figuren jeweils unterschiedliche Instrumente? In einer komischen oder grotesken Si­tuation verwende ich das Dulcian, einen Vorgänger des Fagotts. Wenn ich da­gegen Seneca begleite, verwende ich eher die Orgel und den Kontrabass. Wenn Helligkeit und Weichheit gefragt sind – zum Beispiel für Amore –, spielen Harfe und vielleicht eher die Laute statt der Theorbe, die viel tiefer klingt. Wenn ich Rhythmus und Swing möchte,


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spielt die Gitarre. Es geht dabei nie um meinen persönlichen Geschmack, sondern darum, die ursprüngliche Idee des Stückes wiederherzustellen. Ich kann jede Entscheidung, die ich in Bezug auf die Instrumentation getroffen habe, in jedem einzelnen Takt genau begründen. Ich bediene mich einer wissenschaftlichen Herangehensweise, um grösstmögliche Natürlichkeit, grösstmögliche Freiheit zu erreichen.

Die musikalische Interpretation ist also in diesem Fall eine sehr kreative Arbeit ? Ja, wobei ein Teil dieser Arbeit immer spekulativ bleibt.

Rolle liegt sehr hoch, das ist sehr anstrengend für einen Countertenor – aber genau um diesen angespannten, angestrengten Effekt geht es! Ottone da­ gegen singt bei uns eine Frau, Delphine Galou, denn diese Rolle wiederum liegt für einen Countertenor sehr tief, für einen Contralto dagegen genau richtig – obwohl die Figur natürlich ein Mann sein müsste. Aber ein Contralto, also eine sehr tiefe Frauenstimme – diese Stimm­ lage ist übrigens sehr selten – hat immer etwas Androgynes. Man muss dazu auch sagen, dass es in der Zeit Monte­ verdis durchaus üblich war, dass Frauen Männerrollen sangen und um­ gekehrt. Das Spiel mit der Ambigui­tät war sehr beliebt. Johann Adolph Hasse hat eine Oper komponiert, Marc Antonio e Cleopatra, in der es nur zwei Figuren gibt; Marc Antonio wurde von einer Frau gesungen, Cleopatra von einem Mann! In Poppea sind die bei­ den Ammen, Arnalta und Nutrice, auch Männer, allerdings keine Kastraten, sondern sogenannte Haut-Contres, also sehr hohe Tenöre. Unsere Besetzung weist eine sehr grosse Vielfalt an Timbres auf; diese starken Kontraste sind natürlich bereits im Stück selbst ange­ legt.

Neben der Instrumentation ist auch die Besetzung der Singstimmen nicht einfach zu entscheiden; Nero zum Beispiel wird in manchen Aufführungen von einer Frau oder sogar von einem Tenor gesungen; bei uns ist es David Hansen, ein Countertenor, der sehr hoch singen muss. Wir wissen, dass zu Monteverdis Zeit die Kastraten die am häufigsten verwen­ deten Sänger waren. Heute gibt es keine Kastraten mehr, das ist das Haupt­ problem, wenn wir diese Musik auf­ führen wollen. Es gibt natürlich Kastra­ ten-Rollen, die von Männerstimmen gesungen werden könnten. Nero gehört nicht dazu. Ihn mit einem Tenor zu besetzen, ginge vollkommen an der Idee Monteverdis vorbei. Denn der musik­ dramatische Grund dafür, dass er so hoch singt, liegt in der Figur, die etwas Verrücktes, Hysterisches hat. Diese

Poppea ist ja 1642/43 nicht für ein höfisches Theater komponiert worden, sondern für das erste öffentliche Theater in Venedig; die Oper musste sich also gut verkaufen. Hat dieser Umstand Monteverdis Art und Weise zu komponieren beeinflusst? Das glaube ich nicht. Monteverdis Stil ist grundsätzlich sehr theatralisch. Man weiss ja übrigens heute, dass das Stück gar nicht zur Gänze von Monteverdi geschrieben wurde. Es ist ein Pasticcio, wahrscheinlich von mehreren Autoren. Aber wer auch im­ mer es komponiert hat, war ein Genie in Bezug auf Musikdramatik. Es gibt frühere Opern, die für höfische Theater komponiert wurden und in gewisser Weise musikalisch raffinierter sind. Orfeo und Poppea unterscheiden sich stark – Poppea ist sehr viel ex­pressiver, man könnte sogar sagen, extrovertierter ange­ legt. Allerdings liegen zwischen Orfeo

Mit welchen Instrumenten begleiten Sie den verrückten Kaiser Nero? Das ist ganz von der jeweiligen theatra­ len Situation abhängig. Es gibt Mo­ mente, in denen Nero zwar verrückt, aber zärtlich ist. Dann wird er auch ent­ spre­chend mit zarten Instrumenten begleitet. Wenn dagegen seine Ver­rückt­ heit im Vor­dergrund steht, wird auch die Auswahl der Instrumente entspre­ chend aus­fallen. So ist es bei allen Fi­gu­ ren des Stücks, es ist immer abhängig von der Bühne, von der Situation.

L’incoronazione di Poppea Opera musicale von Claudio Monteverdi Musikalische Leitung Ottavio Dantone Inszenierung Calixto Bieito Bühnenbild Rebecca Ringst Kostüme Ingo Krügler Lichtgestaltung Franck Evin Video-Design Sarah Derendinger Dramaturgie Beate Breidenbach Amore / 1. Famigliare Jake Arditti Fortuna / Damigella Florie Valiquette La Virtù Hamida Kristoffersen Nerone David Hansen Ottavia Stéphanie D’Oustrac Poppea Julie Fuchs Ottone Delphine Galou Drusilla Deanna Breiwick Nutrice Manuel Nuñez Camelino Arnalta Emiliano Gonzalez Toro Seneca Nahuel Di Pierro Valletto Gemma Ní Bhriain Lucano, Primo Soldato, 2. Famigliare Thobela Ntshanyana Tribuno, Littore, 3. Famigliare Michael Hauenstein Liberto, Secondo Soldato Kristofer Lundin Orchestra La Scintilla Opernhauses Zürich Premiere 24 Juni 2018 Weitere Vorstellungen 27, 30 Juni; 3, 5, 8, 12 Juli 2018 Im Rahmen der Festspiele Zürich Partner Opernhaus Zürich


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und Poppea auch 30 Jahre. Opern von Monteverdi aus der Zeit zwischen den beiden Werken sind – abgesehen von Il ritorno d’Ulisse in patria – nicht erhalten. Natürlich hat sich Monte­ verdis Art zu komponieren in diesen 30 Jahren weiterentwickelt, auch das The­ ater insgesamt hat sich weiterent­wickelt, und Monteverdi hat mit der Zeit ge­ lernt, die Herzen aller Zuschauer zu er­ reichen, nicht nur diejenigen mit einer musikalischen Bildung. In Poppea gibt es ja keinerlei allegorische Figuren, in denen sich ein Herrscher hätte spiegeln müssen; es ist eine pseudohistorische Geschichte über Liebe, Erotik, Verrat und Tod, die für jeden verständlich ist. Sowohl in Poppea als auch in Ulisse spürt man sehr stark, dass der visuelle, thea­tra­lische, dramatische Aspekt immer mitgedacht wurde. Es ist sehr beein­ druckend, dass gleich eine der ersten Opern überhaupt dramaturgisch und theatralisch so gut funk­tioniert. Besonders bemerkenswert an dieser Geschichte ist, dass sie keine Moral hat – Poppea geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen, wird am Ende aber mit der Krone belohnt … Am Ende siegt die Liebe. Die Oper erzählt nicht, dass Poppea später von Nero ermordet wurde. Das damalige Publikum wusste das natürlich. Aber es war normal, historische Fakten für die Oper so zu verändern, dass ein «lieto fine», ein Happy End, möglich wurde; das war einfach die Konvention. In der Oper wird der Ehebruch Neros und schliesslich die Trennung von seiner Frau Ottavia verhandelt; ausserdem geht es um Verrat; Neros Lehrer, der Philosoph Seneca, wird zum Selbstmord ge­ zwungen; es wird gesagt, dass der Herrscher ein Dieb ist. Das ist alles ziem­lich krass, regelrecht zynisch. Es zeigt die Reali­tät so, wie sie zu Monteverdis Zeit in Italien anzutreffen war. Diese Amoralität ist das Überraschendste an diesem Libretto … … und kommt uns heute unglaublich modern vor. Welches sind die fas­ zinierendsten Momente in «Poppea»? Da gibt es mehrere. Zunächst der erste

Auftritt von Poppea und Nerone, der unglaublich erotisch ist. Die Partie der Poppea liegt hier für eine Sopran­ stimme sehr tief, es ist eigentlich mehr ein Hauch gemeint als Gesang. Man spürt in der Musik, dass hier zwei Men­ schen auf der Bühne stehen, die direkt aus dem Bett kommen. Überhaupt ist Poppea eine sehr erotische Figur. Ihre erste Szene wird auch dadurch noch wirkungsvoller, dass sie in heftigem Kontrast steht zur vorhergehenden Szene mit Ottone, ihrem ehemaligen Lieb­ haber, der noch immer in sie verliebt ist und vor ihrem Balkon voller Sehnsucht auf sie wartet; er muss schliesslich erkennen, dass Nero gerade bei ihr ist. Auch eine Szene Ottones finde ich sehr poetisch: Er plant später im Stück, Poppea zu ermorden, und sagt an dieser Stelle: Ich werde verbannt sein, aber im Paradies. Dazu erklingt eine fantasti­ sche Musik. Auch der Tod Senecas ist sehr berührend. Und das letzte Duett von Poppea und Nero, mit dem die Oper endet, ist ein regelrechter PopSong. Es ist für mich wie ein Lied von den Beatles, geschrieben für ein grosses Publikum. Ein bisschen auch wie die Filmmusik von Ennio Morricone – absolut perfekt in ihrer Einfachheit. Ausgerechnet dieses wundervolle Duett allerdings stammt gar nicht von Monteverdi … … nein, das hat wohl Benedetto Ferrari geschrieben. Für eine Musik wie diese braucht man kein Genie zu sein. Es gibt Millionen ähnlicher Stücke aus der Zeit – eine einfache Ciaccona, die auf einem Basso ostinato beruht. Faszinierend sind die Harmonien, die durch die ausge­ haltenen Noten von Poppea und Nerone entstehen und eine unglaubliche Span­ nung erzeugen. Dass die Oper mit einem so zarten Duett und nicht mit einem fröhlichen Chor oder einer tänzerischen Sinfonie aufhört, ist übrigens für die Zeit sehr ungewöhnlich und äusserst wir­ kungsvoll. Das Gespräch führte Beate Breidenbach

Nahuel Di Pierro (Seneca)


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28 Volker Hagedorn trifft  …

Claudio Monteverdi Claudio Monteverdi gibt eigentlich nie Interviews. Was daran liegt, dass der italie­ nische Komponist schon 374 Jahre tot ist. Volker Hagedorn hat den Schöpfer von «L’in­ coronazione di Poppea» aber trotzdem in einem Café in Venedig ge­troffen samt seinem Librettisten Francesco Busenello. Wie kann das sein? Es muss an der Fantasie unseres Kolum­ nisten liegen und an der Tat­sache, dass die­ ser neben seiner Jour­ nalisten­profession auch noch aktiver Musiker, nämlich Bratscher, ist.

Ich bin ein paar Minuten zu früh. Draussen auf ihn warten? Oder drinnen schon Plätze sichern? Und wenn die Bottega del caffè schon voll ist, wie alle Stühle davor auf dem Campo dei Frari? Die Mai-Sonne knallt auf den Platz, die Touristenströme sind schütterer geworden, man sucht den Schatten. Oder den Markusplatz, nicht diese Ecke des Viertels San Polo. Nochmal auf den Zettel gucken, die Fragen! Idiotische Fragen, es war kaum Zeit zum Vorbereiten. Aber bei diesem Mann kämen sich wahrscheinlich selbst die Musikologen schlecht vorbereitet vor, die seine Musik erforscht haben. Also rein! Lasciate ogni speranza… Alle Tische besetzt, keiner mit ihm. Bravo. «Professore!» Meint der mich? Ein Mann um die sechzig am Tischchen beim Fenster, rundlich, gemütlich, schelmisches Gesicht, offenes Hemd in Pink, ungewöhnlicher Bart: unter der Nase bis zu den Backen schwingend, überm Kinn ein schmaler Knebelbart, wie, nun ja, im früheren 17. Jahrhundert. Ich trete näher, er nennt meinen Namen, stellt sich vor: «Francesco Busenello, Avvocato, Rechts­anwalt, in Ihrer Sprache. Ich habe sie ein wenig studiert. Als ich Zeit hatte. Sehr viel Zeit …» Er lächelt verschmitzt. «Eccellenza!», sage ich, endlich ist der Groschen gefallen, «es ist mir eine Ehre, den Dichter…» Er hebt abwehrend die Hände. «Heute bin ich Ihr Übersetzer.» Der Maestro lasse sich gern Zeit, immer noch, nach all den Jahren, «man musste ihn ständig zum Komponieren anhalten und die fertigen Teile aus den Händen reissen, und nach dem Mittagessen wollte er seine Ruhe haben …» Der Advokat, der Dichter, der Librettist kichert, dass ihm der Bauch wackelt. «Er ist immer noch so. Dabei hat er es nicht weit bis hier. Buona cioccolata!» Er hebt die von Sahne gekrönte Tasse zum Mund. «Rido, mentre mi porti un sì bel dono.» Oh je, das ist jetzt der Test. Das ist … Seneca? Er lächelt spitzbübisch. «Nun, was ich ihn sagen lasse. Lachend empfange ich solch edle Gabe … in Wirklichkeit trank er das Gift später, wir haben aus sieben Jahren einen Tag gemacht!» Er kichert wieder, ich schaue zum Tresen, man holt sich die Getränke wohl selbst; der Barista schaut zum Eingang und macht ein sonder­bares Gesicht, als komme überraschend Staatsbesuch. Ein hochgewachsener älterer Herr in einem eleganten hellen Sommeranzug ist es, und während sein Anzug eher ans Jahr 1900 erinnert, ist der Bart … Busenello springt auf und strahlt. «Maestro!» Er reicht Monteverdi gerade bis zur Brust. Der beugt sich lächelnd herab und umarmt den Freund. Inzwischen bin ich auch aufgestanden. Die Leute im Café schauen herüber. Sie kennen ihn nicht, aber diese Erscheinung! Diese Matte von grauem Bart! Normaler Händedruck, fest. Ich weiss nicht, wie man sich 1643 zu begrüssen hatte, aber die späteren Sitten scheinen ihn nicht zu irritieren, er bewegt sich so gelassen, als wäre er Stammgast. Als er sitzt, erscheint der Barista am Tisch, es geht also doch. Zwei Cappuccini. Ich habe ein Vakuum im Kopf, aber Busenello plaudert drauflos, ich verstehe «viola da brazzo», während er auf mich weist. Der Komponist blickt mich an und fragt, das verstehe ich, wer mein Instrument gebaut habe. Baritonal klingt er. «Es ist eine Kopie nach Gasparo da Salò», sage ich. «Da Salò! Egli era prodigioso», sagt er anerkennend. Er muss es ja wissen, er hat in Mantua als Bratscher angefangen, in der Kapelle der Familie Gonzaga. Aber wir wollen ja nicht über Mantua reden. Wie viele Bratschen hat er bei Poppea eingesetzt? Drei? «Wo denken Sie hin?», antwortet Busenello an des Meisters Stelle.


«Das Theater der Familie Grimano in Venedig war kein Hoftheater. Es war zu­erst sogar nur eine Bretterbude. Piccola orchestra, o no?» Ihm würde es auch mit zwei Bratschen gefallen, meint Monteverdi, aber er erinnere sich nicht genau. «Ich war sehr krank nach einer langen Reise, soprafatto da una stravagante debolezza di forze, ich konnte auch vieles gar nicht selbst komponieren, wie Sie wissen.» «Pur ti miro», das Schluss-Duett aus Poppea? «Das hat Ferrari gemacht, sehr gut. Sehr modern.» Seine braunen Augen funkeln, und Busenello blickt plötzlich finster drein: «Aber der Text!» Zum ersten Mal höre ich Monteverdi lachen, er packt den Librettisten an der Schulter und redet begütigend. Der zieht ein uraltes Bändchen aus dem Jackett, blättert von hinten: «Hier, so habe ich es geschrieben, mit Venus und Amor am Schluss, wie es sich gehört.» So hat er selbst es 1656 drucken lassen in Delle hore ociose (Aus müssigen Stunden), fünf Libretti, davon vier für Cavalli. Hat Cavalli auch etwas zur Poppea beigetragen? «Die erste Sinfonia, und noch mehr…» Er betrachtet nachdenklich eine junge Frau, die ihm im Vorbeigehen zulächelt. «Anna Renzi…», sagt er. «Anna Renzi war auch so schön. Unsere Ottavia.» «Poppea sang besser», meint Busenello, «wegen Anna di Valerio wollten sie das Stück in Paris haben!» «Da hätte die Truppe noch viel verdienen können. Hunderttausende von Scudi …» Was musste man denn bezahlen, im Grimani? «Oh, nicht viel», sagt Busenello, «vielleicht einen halben Scudo. Vier Lire. Soviel wie für eine puttana, eine Strassendirne. Das konnte jeder bezahlen.» Monteverdi runzelt die Stirn und rechnet ihm etwas vor. «Also gut, nicht jeder. Ein Arbeiter bekam vier Lire am Tag. Keiner von denen hat das für einen bolettino ausgegeben. Das Haus war trotzdem voll. Voll mit cortigiane!» Er lacht, und der Meister korrigiert: «Cortigiane oneste.» «Ja, natürlich. Die haben Poppea geliebt! Was ist sie denn anderes als eine Kurtisane!» Die Gemahlin von Ottone, dachte ich … Busenello zieht mit einem Finger sein rechtes Augenunterlid herab und blickt mich mitleidig an. «Sie werden doch bemerkt haben, dass Poppea sich ge­zielt nach oben schläft! Kaum ist sie mit Nero vom Laken gestiegen, stellt sie sich schon den königlichen Mantel vor, den sie tragen wird.» «Ma imaginario manto …», langsam und tief singt Monteverdi die Zeile und ergänzt nach kurzem Nachdenken: «Das könnte von mir sein.» Inzwischen verstehe ich ihn auch so. Aber Sie verurteilen Poppea nicht? «Niemanden. Die Gebräuche der Zeit, in der ich lebe …» «sind mir nicht fremd», vollendet Busenello das Zitat lächelnd. «Korruption bis ins Bett, politi­sche Morde, Regierungen, die viele berauben, um die Taschen weniger zu füllen – lange her, nicht wahr?» Und Venedig sei ja fast harmlos gewesen, damals. «Jetzt macht die Geldgier die ganze Stadt kaputt. Diese Riesenschiffe!» «Man hätte weder sie noch die Brücke zum Land bauen sollen», sagt der Komponist. «Aber Ihr Markusdom steht noch, Maestro.» Er streicht sich ein Flöckchen Milchschaum vom Bart. «Haben Sie gehört, was da ge­spielt wird, gesungen? Und hier gegenüber, die Scuola di San Rocco? «Schon besser. Nur hat uns auch San Rocco nicht helfen können, der Beschützer vor der Pest. Sie wissen, mein Freund Striggio …» Alessandro Striggio, Librettist des Orfeo, war eines von 45 000 Opfern hier, Sommer 1630. Sind Sie deswegen Priester geworden, im Jahr danach? «Auch deswegen.» Busenello blickt mich warnend an. Als wenn es mir in den Sinn käme, nach den Pfründen eines Geistlichen zu fragen. Er brauchte immer Geld für seine Söhne. Ich wage nicht zu fragen, ob er auch die mitunter trifft, wie den munteren Advokaten «Il tempo tutto frange», sagt der Meister unvermittelt, «die Zeit zerbricht alles. Heute lacht man, und dann, morgen, weint man.» Er blickt auf; die junge Dame von vorhin hat sich unserem Tisch genähert, leise spricht sie mit Busenello und zeigt auf ihr Smartphone. «Sie meint, Sie sähen einem berühmten Komponisten ähnlich! Nein, bitte, signora, kein Foto.» Sie würde darauf nur einen deutschen Touristen mit drei leeren Tassen vor sich sehen. Wir stehen auf. «Seltsam, dass sie ihn erkannt hat! Normalerweise kann er sich in Italien frei bewegen. Nur nördlich der Alpen wird es schwierig», Busenello kichert wieder. «Sie spielen zu viel Monteverdi da oben!» Volker Hagedorn



Junge Choreografen Am 19. Juni hat die diesjährige Ausgabe unserer Studioproduktion mit Werken junger Choreografen Premiere. Neun Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Zürich bringen Stücke zur Uraufführung, die sie von den Tanz­schritten über das Bühnenbild bis zu den Kostümen selbst kreiert haben

Fotos: Judith Schlosser

Text Michael Küster


B

ereits zum vierten Mal erobern sie die Studiobühne des Opernhauses Zürich – die Jungen Choreografen. Die alle zwei Jahre stattfindende Veranstaltungsreihe hat sich vorgenommen, choreografische Talente früh zu erkennen und zu fördern. In diesem Jahr sind es neun Mitglieder des Balletts Zürich und des Junior Balletts, die mit Engagement und Feuereifer gemeinsam mit ihren Tänzerkollegen an ihren Kreationen für den neuen «Junge-Choreografen»-Jahrgang arbeiten. Für viele von ihnen geht da ein Traum in Erfüllung: Endlich einmal selbst Schritte kreieren und entscheiden, wie eine Choreografie aussehen wird! Neben dem anstrengenden täglichen Pensum zwischen Training, Proben und einem dicht gefüllten Spielplan wird in den Ballettstudios so lange geprobt, bis jeder Schritt sitzt, jede Bewegung den richtigen Ausdruck gefunden hat. Ballettdirektor Christian Spuck ermutigt seine Tänzer immer wieder, selbst schöpferisch tätig zu sein: «Der Weg zum Choreografieren führt über das eigene Ausprobieren!» Dabei sind Leidenschaft und Kreativität gefordert, denn neben der Choreografie wollen Kostüm- und Bühnenbildentwürfe umgesetzt, dramaturgische Fragen beantwortet und logistische Herausforderungen gemeistert sein. «Schönheit und Wahnsinn», so sind die Festspiele Zürich in diesem Jahr überschrieben – ein Motto, das den Nachwuchschoreografen eine fast uneingeschränkte künstlerische Freiheit garantiert. Die Inspiration kann praktisch von überallher kommen: Ein kleiner Moment unseres täglichen Lebens, ein neuer Mensch, dem wir begegnen, eine Reise in eine fremde Stadt. Eine abwechslungsreiche Mischung an Stilen, Themen und Musik ist garantiert. Schliesslich lebt der Abend auch von seiner musikalischen Vielfalt. Luca Afflitto choreografiert zum Beispiel für drei Tänzerinnen zu einer Arie aus Bachs Matthäuspassion, elektronische Musik von Woodkid liefert die Inspiration für ein Solo von Adria Vilar Algueró, und Matthew Knight begibt sich in Mocambo auf die Spuren von Jazzlegende Ella Fitzgerald. Mélissa Ligurgo und Giulia Tonelli stellen sich in ihrem Stück Klastos die Frage, wie sich Verluste auf eine Partnerschaft auswirken, und auch Manuel Renard arbeitet im Choreografen-Duo. Zusammen mit der befreundeten Tänzerin Alba Carbonell Castillo vom Ballett Theater Basel erkundet er in The Breathing Room, einem Duo für zwei Tänzer, wie unvorhergesehene Ereignisse in einer Partnerschaft reflektiert und verarbeitet werden. Lucas Valente taucht in Trees Die Standing in die dunklen Welten der Schizophrenie ein, während Michelle Pinelis in ihrer Choreografie Farben, Tanz und Frédéric Chopin zusammenbringt.

Unsere Bildstrecke zeigt Szenen aus den «Junge-Choreografen»Produktionen der vergangenen Jahre


Junge Choreografen 2018 Choreografien von: Mélissa Ligurgo / Giulia Tonelli Michelle Pinelis Luca Afflitto Matthew Knight Manuel Renard Dominik Slavkovský Lucas Valente Adrià Vilar Algueró Ballett Zürich Premiere 19 Juni 2018 Weitere Vorstellungen 20, 21, 22 Juni 2018 Studiobühne Im Rahmen der Festspiele Zürich Partner Ballett Zürich

ab


34 Die geniale Stelle

Die sterbende Liebe Ein Motiv in Georges Bizets «Carmen»

Das Theater mag kein Glück. Es braucht den Widerspruch, den Konflikt, die Unruhe. Glückliche Menschen auf dem Theater sind langweilig. Und zu langweilen, ist die Todsünde des Theaters. Nun gibt es aber Dramen, in denen der Konflikt in der Mitte gelöst scheint und erst spätere Entwicklungen das tragische Ende herbeiführen. Es entsteht also das Problem, eine Phase des glücklichen Lebens der Protagonisten zu zeigen, das die Autoren meist durch Weglassen lösen: Während der Vorhang fällt, sinken sich die Liebenden in die Arme, wenn er sich wieder hebt, ist das Glück schon zerbrochen. Was dazwischen liegt, ist der Phantasie der Zuschauer überlassen. So verfuhren auch die Librettisten der Carmen, aber der Komponist fand eine andere, operngerechtere Lösung: Was das Theater nicht sichtbar, kann die Musik hörbar machen. Nun ist die Musik wie kaum eine andere Kunst geeignet, Bilder des ungetrübten Glücks zu entwerfen und auszumalen. Und im Zwischenspiel vor dem dritten Akt seiner Oper tut Bizet genau das. Die Flöte, von der Harfe begleitet, intoniert eine jener schier endlosen, frei ausschwingenden Melodien voll herber Süsse, wie sie wohl nur Bizet erfinden konnte. Später tritt die Klarinette hinzu und wiederholt, nun auf einem weichen Klangteppich der Streicher, diese Melodie, von der Flöte mit zärtlichem Kontrapunkt umspielt: Das Glück zweier Menschen findet seine Darstellung in der musikalischen Form des Kanons. Aber dann geschieht Irritierendes. Kaum hat die Klarinette das Hauptthema ausgesungen, tritt in den Streichern – pianissimo aber espressivo – ein neues, absinkendes Motiv auf: Ein Seufzer. Die beiden Oberstimmen intonieren nun das Hauptthema im Oktavabstand, kommen aber über die ersten zwei Takte nicht hinaus, die nun fortwährend wiederholt werden, wie ein hilfloser Versuch, das verlorene Ganze wiederzugewinnen. Den Kontrapunkt bildet das ebenso insistent wiederholte Seufzermotiv, das die Musik mehr und mehr zersetzt, bis vom Hauptthema nur noch der erste Takt bleibt, mit dessen mehrfach sequenzierter Wiederholung das Stück wie im traurigen Rückblick auf ein verlorenes Glück leise verdämmert. Dieses kleine, fast unscheinbare Motiv markiert den Umschlagpunkt des Dramas von dem an die Handlung unaufhaltsam der Katastrophe zustrebt. Mit dem Zwischenspiel bringt Bizet also nicht nur das undramatische Liebesglück der Protagonisten in das Stück ein, er erzählt auch, wie das Glück zerbricht und benennt sogar die Ursache des Scheiterns: Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Idylle von Anfang an trügerisch ist. Die Oberstimme (Carmen) gibt die Melodie vor, die Unterstimme (José), singt sie buchstabengetreu nach. José ist Soldat und dazu erzogen, Befehlen zu gehorchen, aus diesem Zwang kann er nicht ausbrechen. Carmen ist der Illusion verfallen, sie könne ihn aus dieser Gefangenschaft befreien, zu dem freien Mann machen, den sie lieben könnte. Ihm aber ist die Unfreiheit zur zweiten Natur geworden, der er nicht entkommen kann. Bizet löst mit diesem Zwischenspiel nicht nur ein eigentlich unlösbares dramaturgisches Problem, er macht auch hörbar, worum es in seinem Stück geht: Nicht nur um eine aussergewöhnliche, exotisch kolorierte Liebesgeschichte, sondern um nicht weniger als die Frage, ob der Mensch in den Grenzen, die ihm die Gesellschaft setzt, zu einem freien und selbstbestimmen Leben finden kann, und wie eine Gesellschaft beschaffen sein müsste, in der das möglich ist. Werner Hintze



La traviata Der Regisseur David Hermann entwirft die Geschichte der Edelkurtisane Violetta Valéry als Porträt­studie eines modernen High-Class-Escort-Girls, das im Räderwerk der modernen Konkur­renzund Leistungs­gesell­schaft zermahlen wird. Fabio Luisi übernimmt die musikalische Leitung von Giuseppe Verdis Oper. In der Titelpartie ist Ailyn Pérez zu erleben, die in dieser Rolle inter­ national gefragt ist. Benjamin Bernheim singt ihren Liebhaber Alfredo und Quinn Kelsey, wie bereits in der Premierenserie, den Vater Giorgio Germont. Wiederaufnahme 6 Juli 2018 Weitere Vorstellungen 8, 11, 13, 15 Juli 2018


Foto: T & T Fotografie / Tanja Dorendorf


38 Meine Rolle

Süchtig nach Violetta

Die amerikanische Sopranistin Ailyn Pérez singt an den führenden Opernbühnen der Welt. Zu ihren Partien ge­hören neben Verdis Violetta u.a. Massenets Manon und Thaïs, Gounods Margue­ rite und Juliette, Puc­ci­ nis Mimì, aber auch Mozart-­Partien wie Fiordiligi oder die Figaro-­ Gräfin. Am Opernhaus Zürich war sie bereits in «La traviata» zu er­leben.

Auf einer Aufnahme von Maria Callas habe ich schon als Kind Ausschnitte aus Verdis La traviata gehört. Damals habe ich natürlich nicht gedacht, dass ich einmal als Violetta auf der Bühne stehen würde, aber Verdis Musik hat meine Liebe zur Oper geweckt, und bald habe ich alles dafür getan, diese Partie einmal singen zu können! Unterdessen habe ich Violetta in mehreren Inszenierungen gesungen und bin nach wie vor geradezu süchtig danach. Verdi hat mit seiner Version von Dumas’ Kameliendame eine seiner grossartigsten Partien geschrieben, die gleichzeitig noch ganz in der Tradition des Belcanto steht; das zeigt sich etwa an der mehrteiligen Arie im ersten Akt, die mit der wunderbaren Cabaletta «Sempre libera» schliesst. Nach nur einer Vorstellung in San Francisco habe ich mit dieser Rolle gleich an der Staatsoper Berlin debütiert – wo ich im Moment gerade wieder eine Serie von Traviata-Vorstellungen in der Inszenierung von Dieter Dorn und unter Domingo Hindoyan singe. Damals war es noch die Inszenierung von Peter Mussbach – und das war etwas abenteuerlich: in seiner sehr düsteren, reduzierten Ästhetik war ich als Violetta ohne Unterbrechung auf der Bühne. Damit ich während der Vorstellung trotzdem etwas trinken konnte, hat man mir an einem bestimmten Ort Wasser auf die Bühne gestellt – aber der Raum war leider so schwarz, dass ich es nie finden konnte … Noch schlimmer war aber, dass ich nach den Arien überhaupt keinen Applaus bekommen habe! Das hat mich völlig verunsichert und ich dachte: das wars! Erst am Ende der Vorstellung habe ich gemerkt, dass das Publikum sehr zufrieden war, und wohl aufgrund der Inszenierung nicht wagte, Szenenapplaus zu geben... Jedenfalls bin ich sehr froh, dass ich seither oft in Berlin singen durfte, und dass ich in der neuen Traviata-­ Inszenierung auch zwischendurch Bestätigung und neue Energie vom Publikum bekomme! Für mich gibt es nur wenige weibliche Operncharaktere, die ich in ihrer Stärke so bewundere wie Violetta Valéry. Das mag widersprüchlich klingen, weil sie krank ist und sowohl an der sie umgebenden Gesellschaft, als auch an den Herausforderungen der Liebe, die sie mit Alfredo zum ersten Mal erlebt, zerbricht und am Ende stirbt. Alfredos Vater, Germont, beharrt auf seinen konservativen Werten und fürchtet, dass die ehemalige Kurtisane Schande über seine Familie bringt. Auf sein Drängen hin gibt Violetta ihre Zukunft mit Alfredo auf – und trotzdem bleibt ihre Liebe bestehen, selbst dann noch, wenn sie im dritten Akt öffentlich gedemütigt wird und am Ende einsam leidet. Ich verstehe Violetta deshalb nicht als eine Frau, die zu oberflächlich für eine ernsthafte Liebesbeziehung ist. Wenn sie im ersten Akt singt, dass sie «immer frei» sein möchte, dann hat das für mich nichts mit Leichtsinn zu tun, denn die Musik zeigt deutlich, dass diese Gedanken nur eine Flucht sind: Mitten in ihrer Cabaletta erklingen von Ferne Alfredos Worte «Liebe ist der Herzschlag des ganzen Universums». Und kurz bevor Violetta stirbt, leuchtet die Melodie, die diese Worte begleitete, noch einmal zart auf, und zeigt deutlich, dass die «vom Weg abgekommene» Violetta bis zuletzt mit aller Kraft hofft, ihn durch eine grosse Liebe wieder zu finden. Doch leider erkennt Vater Germont zu spät, dass er den beiden Liebenden diese Chance verwehrte. Ailyn Pérez

Illustration: FLAG Aubry Broquard

Ailyn Pérez singt Violetta Valéry in Verdis «La traviata»




41

Das Stück ist so spannend wie eine Oper Mit einem kapitalen Werk der Oratorienliteratur geht die Spielzeit 2017/18 am 15. Juli zu Ende: Unter der Leitung von Fabio Luisi führen die Philharmonia Zürich, der Chor der Oper Zürich und vier Gesangssolisten Felix Mendelssohn Bartholdys «Elias» auf. Ein Gespräch über einen grossen Oratorienkomponisten der Romantik

Foto: BALU Photography 2012

Fabio, am 15. Juli dirigierst du Felix Mendelssohn Bartholdys Oratori­um Elias. Welchen Rang nimmt dieses Werk für dich in der Oratorienlitera­ tur ein? Es gehört zu den absoluten Meister­­ werken von Mendelssohn und ist in der romantischen Literatur für mich ein­es der bedeutendsten, wenn nicht das bedeutendste oratorische Werk. Elias ist herausragend komponiert und dra­ma­­ turgisch extrem wirkungsvoll. Das Stück ist fast so spannend wie eine Oper. Es wird deshalb manchmal sogar szenisch aufgeführt. Wir präsentieren es konzertant. Wo­ rum geht es in dem Stück? Es geht um den biblischen Propheten Elias und um seinen Kampf gegen den Abfall vom Gottesglauben, wie er im Alten Testament beschrieben wird. Elias klagt den israelischen König Ahab an, Gottes Gebote missachtet und sich dem heidnischen Gott Baal zugewandt zu haben. Das Volk ruft Baal an, aber der antwortet nicht. Als Elias den wahren Herrn anruft, fällt ein Feuer vom Him­ mel und tötet die Propheten Baals. Im zweiten Teil setzt sich der Konflikt um die Baals-Verehrung fort. Elias flieht in die Wüste zum Berg Horeb, dort erscheint ihm Gott, und Elias fährt am Ende zum Himmel auf. Das ist natür­ lich eine stark verkürzte Darstellung des Geschehens eines wirklich grossfor­ma­­­­ tigen Oratoriums für Chor, Orchester und vier Gesangssolisten.

Was sind musikalisch die Höhepunkte des Stücks? Die Anrufung Baals im ersten Teil zum Beispiel. Elias will dem Volk beweis­ en, dass es von diesem Baal nicht gehört wird, und dass es ihn gar nicht gibt. Drei­mal setzt der Chor zur An­r ufung an, und Elias fordert höhnisch: «Rufet lauter!» Aber es kommt keine Antwort. Das ist in seiner musikalischen Stei­­ gerungsdramatik von Mendelssohn sehr ein­drucksvoll gebaut. Ein weiterer Hö­he­punkt ist natürlich die spekta­ku­lä­ ­re Szene im zweiten Teil, in der sich Gott dem Propheten offenbart. Der Chor singt von den Naturgewalten, die die Erscheinung Gottes begleiten, vom Sturm, der erbebenden Erde, dem Feuer, alles sehr plastisch in der musi­ kalischen Darstellung. Und dann heisst es: «Aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.» Dieses «Sausen» gehört zum Schönsten, das Mendelssohn Bartholdy überhaupt geschrieben hat. Es ist ein Moment von grosser berühren­der Einfachheit! Mendelssohn Bartholdy entwirft das Bild von einem sanftmütigen Gott. Es ist nicht der furchterregende Gott des Alten Testaments. Genau. Dieser Gott ist lieblich und den Menschen zugewandt. Und das mu­­ sikalisch zu formen, kann keiner so gut wie Mendelssohn. Seine Zurücknahme der musikalischen Mittel verstärkt die Aussage viel mehr, als wenn sie mit

Mendelssohn Elias 7. Philharmonisches Konzert Felix Mendelssohn Bartholdy «Elias» Oratorium op. 70 Musikalische Leitung Fabio Luisi Choreinstudierung Janko Kastelic Elias Christof Fischesser Die Witwe Golda Schultz Obadjah, Ahab Benjamin Bruns Die Königin Mihoko Fujimura Philharmonia Zürich Chor der Oper Zürich Sonntag, 15 Juli 2018 Hauptbühne unterstützt von Evelyn und Herbert Axelrod Gefördert und im Rahmen von ZH-REFORMATION.CH


42 Philharmonia Zürich

Pauken und Trompeten geschrieben wäre. Was macht Mendelssohn Bartholdy als Oratorienkomponist insgesamt aus? Er hat sehr viele Chorwerke geschrieben und vermag grossartig mit dem In­ strument des Chores umzugehen. Im Elias-Oratorium setzt er den Chor dramatisch ein. Im Paulus, dem anderen grossen Oratorium, das er zuvor ge­ schrieben hat, setzt er mehr auf protes­ tantische Choralformen. Da spürt man natürlich die Nähe, die er zu Bach und seinen Oratorien hatte. Er ver­steht seine Werke als Fortsetzung der Bachschen Tradition, die er ja im 19. Jahrhundert auch mit seiner Wieder­ aufführung der Matthäus-Passion zu neuem Leben erweckt hat. Im Paulus dominiert der erzählende, epische Charakter, im dramatischeren Elias wird die Hauptfigur selbst zum Träger der Handlung und rückt als Subjekt ins Zentrum des Geschehens. Man sagt Mendelssohn Bartholdy nach, dass ihm das Komponieren eher leicht von der Hand ging, aber an dem Elias hat er zehn Jahre kompo­ niert. Er hat sich an dem Werk ab­ge­ arbeitet wie an kaum einem anderen. Was könnte der Grund dafür sein? Es geht in Elias um etwas für Mendels­ sohn Bartholdy sehr Wesentliches und Per­sönliches – nämlich um seine jü­dischen Wurzeln. Elias ist ein jüdisches Oratorium. Mendelssohn ent­ stammt ja einer traditionsreichen jüdischen Familie. Er war Enkel des be­ deutenden jüdischen Philosophen und Aufklärers Moses Mendelssohn, und ist zum Protestantismus konvertiert. Gleich nach seiner Geburt wurde er christlich getauft, das war der Weg der Assimiliation und Emanzipation, den im 19. Jahrhundert viele Juden nahmen. Mendelssohn Bartholdy war ein über­ zeug­ter Christ, blieb aber trotzdem in seiner jüdischen Identität vewurzelt. Und das wird Thema in Elias. Kommt da nicht auch ein überkon­ fessonelles Denken zum Ausdruck?

Wie bei vielen grossen Künstlern und Komponisten, die sich nicht in das enge Korsett des Konfessionellen einzwängen liessen. Nehmen wir Bach: Er hat eine h-Moll-Messe geschrieben. Oder Verdi, der vielleicht ein Glauben­ der, aber auf jeden Fall antiklerikal eingestellt war. Von daher passt unsere Aufführung des Elias durchaus in den Festi­val­ kon­text, in den das Konzert einge­bun­ den ist. Wir spielen es im Rahmen des Festivals 500 Jahre Reformation. Ich finde, das passt durchaus gut da hinein. Das Oratorium bewegt sich im Spannungsfeld von Mendelssohn Bartholdys doppelter religiöser Identität, anders als Paulus, das eindeutig christ­licher konnotiert ist. Wie ist denn deine ganz persönliche Beziehung zu Felix Mendelssohn Bartholdy? Ich habe immer viel von ihm gespielt, die Sinfonien, die Oratorien, die Klavier­ konzerte, das Violinkonzert. Auch am Klavier habe ich selbst viel gespielt. Ich mag seine Klarheit im Ausdruck. Ich mag diese heller getönte, Sturm-undDrang-Seite des Romantischen, die seine Musik offenbart. Sie folgt weniger den schwarzen, abgründigen Seiten, wie wir sie etwa bei Schumann finden. Rührt deine Leidenschaft für diesem Komponisten auch aus der Zeit, als du in der Mendelssohn-Stadt Leipzig als Dirigent des MDR-Sinfonieor­ chesters gewirkt hast? In Leipzig wird Mendelssohn Bartholdy kultisch ver­ehrt. Da habe ich alleine die Ora­to­rien mehrmals dirigiert. Aber begonnen hat meine Liebe zu diesem Komponisten schon viel früher. Das Gespräch führte Claus Spahn


Fragebogen 43

Julie Fuchs Aus welcher Welt kommen Sie gerade? Ich komme aus dem kleinen Dorf in Süd­frankreich, wo ich lebe. Dort habe ich gezwungenermassen ein paar freie Tage verbracht: Die Staatsoper Ham­ burg hat mein Rollendebüt als Pamina abgesagt, weil ich schwanger bin! Davor hatte ich eine sehr volle Saison mit Giunia in Madrid, Nannetta, Comtesse Adèle und Morgana in Paris. Auf was freuen Sie sich in der «Pop­ pea»-Produktion? Ich freue mich auf meine erste Zusam­ menarbeit mit Calixto Bieito, noch dazu mit einer so starken Figur – Poppea ist eine Frau, die vor nichts Angst hat und ihre Sehnsüchte und Begierden auslebt. Diese Rolle ist ganz anders und viel dunkler als alle, die ich bisher ge­ macht habe, das finde ich toll. Auch auf die Arbeit mit Ottavio Dantone an Monte­verdis fantastischer Musik freue ich mich; er liebt diese Musik und weiss genau, wie man sie am besten prä­ sentiert.

Welchen überflüssigen Gegenstand in Ihrer Wohnung lieben Sie am meisten? Den Olivenbaum in meinem Garten. Mit welchem Künstler würden Sie gerne essen gehen, und worüber wür­ den Sie reden? Vielleicht mit Rossini, das würde sicher Spass machen – ausserdem würde er sicher leckere Gerichte kochen. Mozart, weil ich ein Fan von ihm bin. Simone de Beauvoir, um mich von ihr inspirieren zu lassen, oder Picasso... Aber noch lieber würde ich eigentlich mit meinen Künstler-Freunden essen gehen; wir alle reisen so viel. So hätten wir endlich ein bisschen Zeit für einander und könnten gemeinsam über das verrückte Leben lachen, das wir führen. Nennen Sie drei Gründe, warum das Leben schön ist! Weil jeder Moment einzigartig ist, weil Musik überall sein kann, und weil es fast Sommer ist hier in Zürich!

Welches Bildungserlebnis hat Sie be­ sonders geprägt? Meine 12 Jahre als Geigerin haben mir die Liebe zur Musik beigebracht, aber auch Perfektion und Ausdauer. Im Schau­spielunterricht habe ich gelernt, wie viel Vergnügen es macht, auf der Bühne zu stehen, und welche Kraft Theater haben kann. Als Mitglied eines europäischen Jugendchores durfte ich Europa entdecken und ein sehr vielfältiges Repertoire singen. Welches Buch würden Sie niemals aus der Hand geben? Das Buch, das ich mit 14 Jahren ange­ fangen habe zu schreiben. Alle anderen kann ich wieder kaufen. Welche CD hören Sie immer wieder? Heute ist es vielleicht Orfeo Chamàn von L’Arpeggiata und Christina Pluhar, morgen wird es etwas anderes sein.

Die französische Sopranistin Julie Fuchs sang am Opernhaus Zürich bereits Rollen wie Morgana («Alcina»), Marzelline («Fidelio»), Susanna («Le nozze di Figaro»), Rosane («La verità in cimento»), Contessa di Folleville («Il viaggio a Reims») und Angelica («Orlan­do»). 2017/18 gab sie u.a. ihr Debüt am Teatro Real in Madrid als Giunia in «Lucio Silla» und war als Morgana am Théâtre des Champs-Elysées unter Emmanuelle Haïm zu erleben.


44 Kalendarium

19.00

22 Fr

19.00

1. – 24. Juni 2018 Juni 2O18 16 Sa

14.00

Führung Opernhaus

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

Junge Choreografen

Im Rahmen der Festspiele Zürich Studiobühne, CHF 50

Junge Choreografen

Im Rahmen der Festspiele Zürich Studiobühne, CHF 50

Das Land des Lächelns 20.00

23 Sa

14.00

Operette von Franz Lehár Gute Laune-Abo, Misch-Abo C, Preise E

Führung Opernhaus

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

Führung Maskenbildnerei

Märchen auf dem Klangteppich «Die chinesische Nachtigall»

Oper für alle

16.00

18.00

Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

Live-Übertragung von Franz Lehárs Operette «Das Land des Lächelns» Vorprogramm ab 18 Uhr Vorstellungsbeginn um 20 Uhr Eintritt frei, Sechseläutenplatz

Das Land des Lächelns

15.30

Für 4- bis 6-Jährige und ihre Eltern Treffpunkt Billettkasse, CHF 15

19.00

Ballett von Marius Petipa und Lew Iwanow Musik von Pjotr I. Tschaikowski Rekonstruktion von Alexei Ratmansky, Ballett-Abo Gross, Preise D

Schwanensee

20.00

Operette von Franz Lehár Preise H, AMAG Volksvorstellung

24 So Märchen auf dem Klangteppich «Die chinesische Nachtigall»

17

La forza del destino

So

14.00

Oper von Giuseppe Verdi Preise E

15.30

L’incoronazione di Poppea 19.00

Schwanensee

26 Di

20.30

19

Di

19.00

Ballett von Marius Petipa und Lew Iwanow Musik von Pjotr I. Tschaikowski Rekonstruktion von Alexei Ratmansky Preise H, AMAG Volksvorstellung

Das Land des Lächelns

Operette von Franz Lehár Dienstag-Abo C, Preise E

Junge Choreografen Premiere

19.00

Im Rahmen der Festspiele Zürich Studiobühne, CHF 50

2O Mi

La forza del destino

19.00

Oper von Giuseppe Verdi Mittwoch-Abo B, Misch-Abo A, Preise E

Junge Choreografen 19.00

21 Do

19.00

Im Rahmen der Festspiele Zürich Studiobühne, CHF 50

Liederabend Elena Moșuc

Enrico Maria Cacciari, Klavier Lieder von George Enescu, Ernest Chausson, Claude Debussy, Gabriel Fauré sowie Arien von Giuseppe Verdi u.a. Lieder-Abo, Belcanto-Abo, CHF 6O

Für 4- bis 6-Jährige und ihre Eltern Treffpunkt Billettkasse, CHF 15

19.00

27 Mi

19.00

28 Do

19.00

29 Fr

20.00

3O Sa

14.00

Premiere Oper von Claudio Monteverdi Premieren-Abo A, Preise F

Das Land des Lächelns

Operette von Franz Lehár Preise E

L’incoronazione di Poppea

Oper von Claudio Monteverdi Premieren-Abo B, Preise E

La forza del destino

Oper von Giuseppe Verdi Donnerstag-Abo A, Preise E

Das Land des Lächelns

Operette von Franz Lehár Freitag-Abo A, Preise E

Führung Opernhaus

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

L’incoronazione di Poppea 19.00

Oper von Claudio Monteverdi Samstag-Abo, Preise E


Kalendarium 45

Juli 2O18 1 So

6 Fr

16.00

Ballettschule für das Opernhaus Zürich

11.00

Preise H, AMAG Volksvorstellung

18.00

Carmen Wiederaufnahme Oper von Georges Bizet Sonntag-Abo C, Französische Oper-Abo, Preise E

2 Mo

Scarlatti

19.00

3 Di

19.00

4 Mi

19.00

5 Do

19.00

4. La Scintilla-Konzert Ottavio Dantone, Dirigent Ana Quintans, Sopran; Wiebke Lehmkuhl, Alt Orchestra La Scintilla La Scintilla-Abo, CHF 6O

L’incoronazione di Poppea

Oper von Claudio Monteverdi Dienstag-Abo D, Barock-Abo, Preise E

Carmen

Führung Bühnentechnik

Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

La traviata Wiederaufnahme 19.00

7 Sa

11.00

Oper von Giuseppe Verdi Preise E

fussspuren XIV

Galavorstellung der Tanz Akademie Zürich Preise H, AMAG Volksvorstellung

Führung Opernhaus 14.30

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

Führung Maskenbildnerei 15.00

Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

Carmen 19.00

8 So

Oper von Georges Bizet Preise H, AMAG Volksvorstellung

L’incoronazione di Poppea

Oper von Georges Bizet Mittwoch-Abo A, Preise E

L’incoronazione di Poppea

La traviata

Oper von Claudio Monteverdi Mittwoch-Abo B, Misch-Abo C, Preise E

14.00

20.00

Oper von Claudio Monteverdi Sonntag-Abo B, Preise E

Oper von Giuseppe Verdi Misch-Abo B, Preise E

9 Mo Galakonzert Internationales Opernstudio 19.00

1O Di

19.30

Preise H, AMAG Volksvorstellung

Carmen

Oper von Georges Bizet Dienstag-Abo B, Preise E

#Faust Premiere 19.30

11 Mi

19.00

Ein Tanz-Projekt mit SchülerInnen und jungen Erwachsenen, Studiobühne Opernhaus, CHF 20

La traviata

Oper von Giuseppe Verdi Italienische Oper-Abo, Preise E

#Faust 19.30

12 Do

19.00

13 Fr A Film by Sophie Huber www.bluenoterecords-film.com

JETZT im Kino

19.30

14 Sa

14.15

Ein Tanz-Projekt mit SchülerInnen und jungen Erwachsenen, Studiobühne Opernhaus, CHF 20

L’incoronazione di Poppea

Oper von Claudio Monteverdi Donnerstag-Abo B, Preise E

La traviata

Oper von Giuseppe Verdi Verdi-Abo, Preise E

Führung Opernhaus

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10


46 Kalendarium

14 Sa

19.00

15 So

11.15

Carmen

Oper von Georges Bizet Samstag-Abo, Preise E

Mendelssohn Elias

7. Philharmonisches Konzert Fabio Luisi, Dirigent; Philharmonia Zürich Konzert-Abo, Preise P2

28 Fr

19.00

29 Sa Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse 11.00

Musiktheater von Gisbert Näther für Kinder ab 7 Jahren, Studiobühne, CHF 30

14.30

Für 7- bis 12-Jährige und ihre Eltern Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

La traviata 19.00

Oper von Giuseppe Verdi Preise H, AMAG Volksvorstellung

Wir wünschen eine schöne Sommerpause

La verità in cimento

Oper von Antonio Vivaldi Freitag-Abo A, Preise E

Familienworkshop «La bohème»

Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse 15.00

Musiktheater von Gisbert Näther für Kinder ab 7 Jahren, Studiobühne, CHF 30

La bohème Wiederaufnahme September 2O18 9 So

11.15

Einführungsmatinee «Die Gezeichneten»

Bernhard Theater, CHF 10

22 Sa Eröffnungsfest der Spielzeit 2O18/19 10.00

Eintritt freiIm Rahmen des Eröffnungsfestes, Eintritt frei

23 So Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse 15.00

Musiktheater von Gisbert Näther für Kinder ab 7 Jahren, Studiobühne, CHF 30

Die Gezeichneten Premiere

Oper von Franz Schreker Premieren-Abo A, Preise F

24 Mo

Liederabend Anna Stéphany

19.00

19.00

Sholto Kynoch, Klavier Lieder-Abo, CHF 60

25 Di

La verità in cimento Wiederaufnahme Oper von Antonio Vivaldi Dienstag-Abo A, Barock-Abo, Preise E

19.00

19.00

30 So

11.15

15.00

14.00

Oper von Antonio Vivaldi Preise E

14.30

Für 7- bis 12-Jährige und ihre Eltern Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

19.00

27 Do

19.30

Oper von Franz Schreker Premieren-Abo B, Preise E

Macbeth Wiederaufnahme Oper von Giuseppe Verdi Donnerstag-Abo B, Verismo-Abo, Preise E

Familienworkshop «La bohème»

Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse 15.00

Musiktheater von Gisbert Näther für Kinder ab 7 Jahren, Studiobühne, CHF 30

Macbeth 19.3O

Oper von Giuseppe Verdi Preise H, AMAG Volksvorstellung

Billettkasse +41 44 268 66 66 www.opernhaus.ch

Musiktheater von Gisbert Näther für Kinder ab 7 Jahren, Studiobühne, CHF 30

Die Gezeichneten

Einführungsmatinee «Winterreise»

Bernhard Theater, CHF 10

La verità in cimento

26 Mi Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse

Oper von Giacomo Puccini Misch-Abo A, Italienische Oper-Abo, Preise E

Das Opernhaus Zürich für Kurzentschlossene: Am Opernhaustag erhalten Sie 50% Ermässigung für die gleichentags stattfindende und gekennzeichnete Vorstellung. www.opernhaus.ch/opernhaustag Unterstützt von Swiss Re

Die Werkeinführung findet jeweils 45 Min. vor der Hauptbühnen-Vorstellung bzw. den Philharmonischen Konzerten statt.


Serviceteil 47

Impressum

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Magazin des Opernhauses Zürich Falkenstrasse 1, 8008 Zürich www.opernhaus.ch T + 41 44 268 64 00

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkanto­n alen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden.

Intendant Andreas Homoki Generalmusikdirektor Fabio Luisi Ballettdirektor Christian Spuck Verantwortlich Claus Spahn Sabine Turner Redaktion Beate Breidenbach Kathrin Brunner Fabio Dietsche Michael Küster Claus Spahn Gestaltung Carole Bolli Florian Streit Fotografie Danielle Liniger Florian Kalotay Bildredaktion Christian Güntlisberger Anzeigen Andrea Zahler Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler Druck Multicolor Print AG Illustrationen Anita Allemann FLAG Aubry Broquard

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MAG, das OpernhausMagazin, erscheint zehnmal pro Saison und liegt zur kostenlosen Mitnahme im Opernhaus aus. Sie können das Opernhaus-­ Magazin abonnieren: zum Preis von CHF 38 bei einer inländischen Adresse und CHF 55 bei einer ausländischen Adresse senden wir Ihnen jede Ausgabe druckfrisch zu. Bestellungen unter: T +41 44 268 66 66 oder tickets@opernhaus.ch.

Berenberg Schweiz Beyer Chronometrie AG Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Gübelin Jewellery Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung KPMG AG LANDIS & GYR STIFTUNG Juwelier Lesunja Lindt und Sprüngli (Schweiz) AG


48 Auf dem Nachhauseweg

Viel wärmer ist die Nacht, wenn man aus einer Carmen-Vorstellung kommt, bemerkt Frau Mani, die den Habanera-Rhythmus in den Beinen spürt und in kleinen, schnellen Schritten geht, als wäre der Sechseläutenplatz abschüssig. Hinab, hinab mit ganzer Lebenskraft, frei und enthemmt, so wie sich auch die Gruppen Jugendlicher wähnen, die ebenfalls hinabgehen, hinab in den «Uusgang», johlend. Sie erzeugen mit ihren Bierdosen ein Scheppern wie mit defekten Kastagnetten, das auch von einem über die Tramgleise gestürzten Fahrrad herrühren könnte. «Passt doch auf!», will Frau Mani rufen, ein Kitzeln in den Beinen von den Fransen ihres langen Schals, aber sie ist schon zu weit gegangen auf dem mit Lichterketten behangenen Platz, der sich nun in die Tiefe weitet. Sie springt durch die offene Tür des Trams, in ein blendendes Licht, und schon gehen die Türen zu und das Tram fährt los. Das war Timing!, sagt sich Frau Mani. Das war Rhythmus! Aber sobald das Tram die Rämistrasse hochfährt, tut es Frau Mani auch schon leid, dass sie sich so beeilt hat. Gerne wäre sie noch ein bisschen geblieben. Warum so schnell weggehen? Es war Carmen geschuldet, danach geht es immer taratata, taratata! Frau Mani setzt sich hin und schaut hinaus in den Abend, über den sich ihr helles Spiegelbild legt. War das wieder eine Oper! – die sie natürlich gut kennt, in die­ser Inszenierung und in zig anderen. Zweifellos ist Carmen die Oper, die Frau Mani am häufigsten gesehen hat. Bei welchem Operngänger ist das denn bitteschön anders? Wer hatte so treffend gesagt, dass man bekannte Opern immer wieder sehen muss, um sich selbst als Operngänger von früher zu begegnen und dann über sich und die Zeit nachzudenken? Das müsste sie bei Gelegenheit ihr Göttimeiteli fragen, die so viel liest. Ja, das Göttimeiteli muss auch in die Carmen, diese Saison, und Frau Mani wird ihr erzählen, wie sich das Bild der Carmen in der Zeit gewandelt hat, vom verruchten Weib, das den gutgläubigen Sergeanten Don José in den Untergang treibt, zur starken Frau, die auf ihre Freiheit pocht – zu einer Feministin avant la lettre. Und dann auch Don José, früher ein Symbol des leidenschaftlichen Mannes per se, wird zunehmend als schwächelndes Muttersöhnchen gesehen, ein hypersensibler Typ, der arg klammert und schliesslich zum feigen Mörder wird. Anders als sonst in Opern sind es nicht die äusseren Umstände, die den Helden zum Verhängnis werden – nein, diese Helden stehen sich selber im Wege, sie gehen an ihrem Übermut zugrunde. «Die provozieren sich ja unnötig», würde das Göttimeiteli kommentieren. «Die sind eben jung», würde ihr Frau Mani antworten. Und Georges Bizets Oper strotzt ja nur so vor Jugendwahn. «Alles übertrieben», würde das Göttimeiteli erwidern. «Wunderbar», würde ihr Frau Mani antworten, «man wird Carmen nicht mehr los. Jede Arie ist ein Ohrwurm, jede Note am richtigen Platz. Ein Wunder, wenn man bedenkt, dass dem jungen Bizet beim Komponieren so viele reingeredet haben, Operndirektion, Musiker und auch die erste Carmen. «Si tu ne m’aimes pas, je t’aime … Mais si je t’aime, … prends garde à toi!», singt Carmen in Don Josés Richtung. Und dann ist es doch Don José, der diese Leidenschaft empfindet und die Drohung der Habanera wahrmacht. Genial! «Love, Sex, and Crime eben», würde das Göttimeiteli sagen. «Und so eine leidenschaftliche Musik», würde Frau Mani erwidern. Ja, sie hätte noch ein bisschen in der Stadt bleiben können, allein oder mit Freunden, überlegt Frau Mani, aber die Musik hat sie so getrieben, dass sie gedacht hatte, sie wäre in Eile. Frau Manis Blick streift ein Werbeplakat, das ans Tramfenster geheftet wurde, darauf ein strammes Rind, dessen Körper in nummerierte Teile gegliedert ist. Das arme Tier!, denkt Frau Mani und schaut wieder hinaus. Und summt die Toreador-­ Arie vor sich hin. Dana Grigorcea

Illustration: Anita Allemann

Man wird sie nicht los


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