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MAN MUSS SICH IN EINE

MAN MUSS SICH IN EINE WELT EINFÜHLEN

Dorothea Lautenschläger im Gespräch mit Maja Zade

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Warst du mal im Theater und hast nichts verstanden?

MAJA ZADE: Ja, schon sehr oft, aber ich habe das immer als sehr interessant empfunden. Auf einmal achtet man auf ganz andere Dinge und faszinierenderweise versteht man da doch auch viel, weil es Körper und Menschen auf der Bühne gibt, die ihre ganz eigene Sprache haben.

Du arbeitest als Übersetzerin, Dramaturgin und seit 2018 auch als Autorin. Dein Stück „status quo“ wurde unter anderem ins Lettische und Norwegische übersetzt. Was war dir bei dieser ‚Übertragung‘ wichtig?

Bei „status quo“ wollte ich gerne, dass jede Inszenierung in der Stadt spielt, in der sie adaptiert wird, damit das Publikum das Gefühl hat, dass das, was auf der Bühne geschieht, unmittelbar etwas mit ihnen zu tun hat. Ich habe das Stück auch selbst ins Englische übersetzt und da alles umgelegt. Bei der Übersetzung für die Inszenierung in Riga dachten sie zunächst, dass das nicht funktioniert, weil da doch alles so anders ist, aber im Endeffekt haben sie das Geschehen im Stück dann doch in Riga spielen lassen und das scheint sehr gut zu funktionieren.

Warum gab es Zweifel, ob es funktioniert?

In Riga meinten sie zunächst, dass die Gesellschaft dort anders funktionieren würde, was ich natürlich nicht beurteilen kann. Bei der englischen Übersetzung war es tricky, dass ein Erzählstrang im Theater spielt und es das System eines Ensembletheaters in

dieser Form dort nicht gibt – da muss man dann teilweise etwas schummeln und sehen, ob sich Inhalte dadurch verändern. In „status quo“ ist die normale Sprache, in der die männliche Form dominiert, umgekehrt, so dass die weibliche dominant ist. Im Englischen gibt es zum Beispiel keine Dominanz von femininen oder maskulinen Begriffen. Dort muss erst gar nicht das weibliche Suffix angehängt werden oder ‚man‘ durch ‚frau‘ ersetzt werden. Das ist natürlich sehr interessant, weil dann ein Aspekt wegfällt, der dem deutschen Publikum als erstes auffällt und sich nicht von der ersten Zeile an erzählt, dass die Geschlechterrollen gespiegelt sind und dass wir auf eine Welt blicken, die irgendwie ungewöhnlich ist.

Du arbeitest selbst auch als Übersetzerin. Aus und in welche Sprachen übersetzt du?

Ich übersetze aus dem Deutschen und Schwedischen ins Englische und aus dem Englischen und Schwedischen ins Deutsche.

Wie kam es dazu, dass du Übersetzerin wurdest?

Eigentlich aus Zufall. Ich habe damals am Royal Court Theatre in London gearbeitet, und wir haben überlegt, ob wir eine Übersetzung von Marius von Mayenburgs „Feuergesicht“ in Auftrag geben wollen. Wir haben darüber geredet, dass die Sprache nicht ganz leicht zu übertragen ist, und um zu probieren, wie es vielleicht gehen könnte, habe ich die ersten Seiten übersetzt und dann bekam ich den Auftrag, das ganze Stück zu übersetzen. Ich habe dann zunächst nur ins Englische übersetzt, bis mich Nils Tabert vom Rowohlt Theaterverlag

gefragt hat, ob ich Lars von Trier übersetzen Marius von Mayenburg zum Beispiel bespromöchte, und seitdem übersetze ich in beide chen, dass sie die Handlung gerne komplett Richtungen. nach England verlegen wollen und dann habe ich das so gemacht. Das würde ich in Wie gehst du beim Übersetzen eines Dramas vor? Deutschland für einen Verlag eher nicht machen, da solche Entscheidungen doch häufig Zu Beginn lese ich das Stück mehrmals, beim Theater liegen und das dann Bearbeilerne es genau kennen. Zuerst mache ich tungen sind, die eher von Dramaturg:innen eine grobe Übersetzung und gehe sie dagemacht werden. nach so oft durch, bis sie klingt, als wäre sie ein eigenständiger Text. Dann gehe ich zuIch habe das Gefühl, dass die Arbeit von Übersetrück zum Original und schaue, ob ich mich zer:innen oft nicht gesehen wird, wie siehst du das? zu weit davon entfernt habe und korrigiere dann zum Teil nach. Das erste Stück, das Ich glaube, hier an der Schaubühne liegt der man von eine:r Autor:in übersetzt, ist immer Fokus sehr auf der internationalen Theaterdas schwierigste, weil man sich in eine Welt arbeit und somit auch auf den Personen, die und eine Sprache einfühlen ‚hinter den Kulissen‘ übermuss. Ich habe die meissetzen. Gestern zum Beispiel ten Stücke von Marius von „Den Autor:innen ist hatten wir eine Lesung mit Mayenburg ins Englische meist sehr bewusst, Annie Ernaux, wo mein Kollege übersetzt, und das fällt mir wie wichtig die explizit auf die Übersetzerin deswegen mittlerweile – je Übersetzung ihrer Sonja Finck eingegangen ist nach Stück – nicht mehr so Stücke ist.“ und ihren Anteil an der deutschwer. Außerdem hilft in schen Ausgabe von Ernaux‘s dem Fall auch, dass ich oft Buch gewürdigt hat. Aber mit als Dramaturgin an den Produktionen seiner einem allgemeinen Blick finde ich es durchStücke beteiligt bin und wir uns sehr gut aus schockierend, wie oft Übersetzer:innen kennen. in Spielzeitheften und auf Theaterwebsites nicht erwähnt werden – ich fände es wichtig, Gibt es Unterschiede ob du für den deutschspradass die Übersetzer:innen immer gemeinchigen Raum oder den englischsprachigen Raum sam mit den Autor:innen genannt werden. übersetzt? Den Autor:innen ist meist sehr bewusst, wie wichtig die Übersetzung ihrer Stücke Absolut. In Deutschland übersetzt man ist. Das Problem liegt eher auf der Seite der häufig im Auftrag eines Theaterverlags, Theater. während man in England oft direkt für ein Theater übersetzt. Das hat dann durchaus Du arbeitest jetzt schon seit 20 Jahren als Dramaeinen anderen Stellenwert. Ich werde dann turgin an der Schaubühne. Was hat sich verändert? oft während der Proben in Großbritannien angerufen und gefragt, ob wir ein Wort änEs ist alles viel internationaler geworden. dern können. Das würde in Deutschland verIch glaube wir waren eines der ersten Themutlich niemand machen, in England fühlt ater hier in Berlin, das Übertitel angeboten sich das etwas kreativer an, weil es für eine hat. Das entwickelte sich aus dem Fakt, dass bestimmte Inszenierung mit zugeordneten wir mit unseren Stücken viel international Künstler:innenpersönlichkeiten gemacht auf Gastspiel waren. Da dachten wir: wir wird. Bei der Übersetzung von „Märtyrer“ haben ja sowieso die Übertitel auf Englisch haben der Regisseur aus England und Autor oder Französisch und im Grunde sind genug

Leute in Berlin, die nicht Deutsch sprechen, und warum soll man es nicht mal probieren? Inzwischen bieten fast alle Theater in Berlin Vorstellungen mit Übertiteln an.

Wie war das mit der Übertitelung am Anfang?

Da war das noch ziemlich neu und wir haben das eigentlich auf den Gastspielen gelernt, weil das da natürlich gemacht werden musste und dann haben wir uns so langsam rangetastet. Mittlerweile gibt es ja viele Firmen, die das auf den Weg bringen und betreuen, früher ging das eher über Einzelpersonen am Theater, die dann die Übertitel auf den Gastspielen gemacht haben. Uli Menke macht zum Beispiel seit vielen Jahren Übertitel und übersetzt Stücke für uns, wie zuletzt „Die Anderen“ von Anne-Cécile Vandalem. Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass viele Leute sich gar nicht vorstellen konnten, sich Theater mit Übertiteln anzusehen, aber inzwischen ist das zumindest in den Großstädten gang und gäbe, und es funktioniert in den meisten Fällen auch ganz gut.

Innerhalb der Proben für ein Stück ist ja oft eh schon wenig Zeit für Bühnenproben. Wie bringt man da noch Übertitel oder Übersetzungen unter?

Das ist unterschiedlich. Bei einem Gastspiel oder Festival ist eigentlich genug Zeit da, vor allem auch, weil es mittlerweile professionelle Betriebe gibt, die das übernehmen. Die Mitarbeitenden bekommen vorher das Textbuch und Aufzeichnungen der Vorstellungen. Das heißt, die sind dann meistens schon super vorbereitet und reduzieren den Text im Vorhinein. Dann geht das auch noch an die Dramaturgie, die alles überprüft und notfalls korrigiert oder weiter kürzt. Danach gibt es dann normalerweise einen Durchlauf mit den Schauspieler:innen, wo nochmal Korrekturen gemacht werden.

Und bei Stücken aus dem Repertoire, beziehungsweise Premieren?

Da sieht das alles schon etwas komplizierter aus und die Übertitel müssen bereits bei den Endproben, die ja sowieso total voll sind, mitgedacht werden. Da ist es meistens so, dass ich oder ein:e Kolleg:in nach der Premiere nochmal für die weiteren Vorstellungen nachkorrigieren. Das Komplizierte ist immer, sich in den Rhythmus der Vorstellung einzugrooven, weil Übertitel zu fahren wirklich eine Kunst ist und man dadurch, dass man z. B. eine Pointe zu früh oder zu spät fährt, viel kaputtmachen kann. Am besten klappt es bei Produktionen, die schon viel getourt sind, wie zum Beispiel „Ungeduld des Herzens“, bei der der Regisseur Simon McBurney auch noch genug Zeit und Lust hatte, die Übertitel nochmal zu prüfen und den Rhythmus zu setzen. Wichtig ist auch, dass die Personen, die die Vorstellung fahren, auch die Produktion und die Spielenden gut kennen, um auf aufführungsspezifische Besonderheiten zu reagieren.

Wie entscheidet ihr, welches Stück ihr übertitelt?

Ganz oft haben wir die Übertitel, weil wir damit auf Gastspiel waren und dann werden die bei den Vorstellungen in Deutschland einfach übernommen. Beim FIND-Festival haben wir internationale Produktionen zu Gast und da ist es klar, dass wir alles übertiteln, genau wie bei Koproduktionen mit anderen Ländern.

Und gibt es ein Feedback auf Seiten des Publikums?

Ja, immer ganz unterschiedlich, aber ich habe das Gefühl, dass sich bei Übertiteln die Geister scheiden. Ich glaube, wenn man sowohl die gesprochene als auch die projizierte Sprache kann, ist man generell kritischer. Bei einem deutschsprachigen Stück mit englischen Übertiteln zum Beispiel, fällt einem immer sehr deutlich auf, was fehlt. Aber alles zu übersetzen ist auch keine Lösung, weil man dann ja nur noch mit dem Lesen der Übertitel beschäftigt ist.

Glaubst du, es gibt eine Hierarchie von Sprachen?

Vielleicht in einer politischen Dimension, aber im Theater geht es ja mehr um die Unterschiedlichkeiten, was die Bedeutung angeht. Spannend ist, dass ja Schreibende oft mit der eigenen Sprache spielen und zum Beispiel absichtlich grammatikalische Fehler einbauen. Zum Beispiel die Elemente von Kunstsprache bei Marius von Mayenburg sind im Englischen relativ schwer so zu übersetzen, dass sie als bewusste Kunstsprache rüberkommen und nicht einfach als Übersetzungsfehler. Bei der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche wiederum ist es oft so, dass Milieusprache und Dialekte im Deutschen viel flacher wirken und schnell ‚Schenkelklopfer‘-Potenzial bekommen.

Begegnen dir solche kulturellen Differenzen öfter in deinem Arbeitsalltag?

Ja, durchaus. Zum Beispiel letzte Woche, da waren wir in Großbritannien und hatten da ein Projekt mit drei jungen englischen und drei jungen deutschen Autor:innen und das war schon so, dass wir verschiedene Theaterverständnisse hatten. Der Versuch von uns Deutschen, den englischen Autor:innen zu erklären, was Postdramatik heißt, war sehr spannend. Hier wird ja zum Beispiel sehr viel Jelinek gespielt und die englischen Autor:innen haben uns beim Lesen eines Jelinek-Stücks gefragt, warum wir das auf der Bühne machen und wie. Das Theater dort kommt einfach viel mehr von den Autor:innen, hier hingegen eher aus der Regie. Das ist erstmal total interessant, dass es zwei so diverse Sichtweisen auf eine Thematik oder Ästhetik oder Art zu Schreiben gibt.

Wo liegen deiner Meinung nach kritische Punkte in der ‚internationalen Theaterarbeit‘?

Im Theater muss man, glaube ich, aufpassen, dass es eine Diversität in den Festivals gibt und nicht immer die gleichen Sachen eingeladen werden – bei Theater der Welt zum Beispiel ist das anders. Und auch beim FINDFestival versuchen wir Stücke einzuladen, die noch nie in Deutschland oder zumindest Berlin gezeigt wurden, von denen wir glauben, etwas lernen zu können. Allein über die verschiedenen Theatersysteme zu sprechen, ist ein sehr fruchtbarer Austausch, denn das, worüber man Theater macht und wie, hängt stark damit zusammen, wie die jeweilige Gesellschaft aussieht. Mich interessiert immer sehr, wenn Leute, die die Sprache nicht sprechen, ihren Eindruck schildern und sich die Schilderung mit der Idee der Inszenierung deckt. Dann habe ich das Gefühl, die Übertitel waren gut. Ich finde es wichtig, dass das Spezifische bleibt, nicht in einem globalen Raum verfliegt, sondern das Beobachtende beibehält und über die Stadt, den Ort und den eigenen Platz in der Welt reflektiert. Das ist eine Spezialität des Theaters: die Möglichkeit, sich in andere Personen und Strukturen hineinversetzen zu können.

Maja Zade, aufgewachsen in Schweden und Deutschland, arbeitete nach ihrem Studium an der London University und der Queen’s University in Kanada zunächst als Lektorin und seit 2000 als Dramaturgin und Autorin an der Schaubühne Berlin, wo ihre Stücke „status quo“ und „abgrund“ 2019 uraufgeführt wurden. Zade übersetzt zudem Stücke aus dem Deutschen, Englischen und Schwedischen für den deutschund englischsprachigen Raum.

Dorothea Lautenschläger ist Theater- und Kulturwissenschaftlerin und arbeitet seit 2016 als Koordinatorin und Assistentin in verschiedenen Projekten des Internationalen Theaterinstituts in Berlin. 2019 gründete sie gemeinsam mit Sabine Westermaier die rua. Kooperative für Text und Regie, welche die vernetzte Zusammenarbeit zwischen Regisseur:innen und Autor:innen fördert.

„ WARUM SETZT DU DICH SO FÜR

„Ich finde, DEN KULTURTRANSFER EIN?" aus einem bilateralen Modell kann man viel für den Kulturaustausch im allgemeinen Sinn lernen. Außerdem herrschte ein rüder Ton zwischen den Kulturen, als wir 2014 mit dem Kulturportal diablog.eu anfingen. Wir wollten eine alternative Art von Kommunikation und Dialog zwischen dem deutschund dem griechischsprachigen

Raum aufzeigen, und als Übersetzer:innen sind wir dafür prädestiniert.“

Dr. Michaela Prinzinger übersetzt griechische Literatur und dolmetscht. Sie gründete 2013 die zweisprachige Kulturplattform www.diablog.eu und 2017 den gemeinnützigen Verein Diablog Vision e. V., der seit 2018 in Berlin Kulturveranstaltungen durchführt.

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