IPPNW forum 137/2014 – Die Zeitschrift der IPPNW

Page 28

Foto: © Alexander Neureuter

FOLGEN VON ATOMKATASTROPHEN

Interpretationssache Staatsgeheimnis Der Dokumentarfilmer Ian Thomas Ash über die Schwierigkeiten kritischer Berichterstattung in Japan

I

Das Gesetz würde angeblich Angelegenheiten schützen, die die nationale Sicherheit betreffen. Dennoch wurden die Intentionen der japanischen Regierung infrage gestellt, als sie aktuelle Fälle des Geheimnisverrates („Whistle blowing“) in anderen Ländern anführte, um zu begründen, warum solch ein Gesetz in Japan nötig sei.

m November 2013, während ich auf Tour war mit meinem Dokumentarfilm A2-B-C, der das Leben der Kinder in Fukushima nach der atomaren Katastrophe im Fokus hat, nahm ich an einer Pressekonferenz im Klub der Auslandskorrespondenten von Japan teil. Anwesende Redner waren Mizuho Fukushima, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Japans, Sohei Nihi von der Kommunistischen Partei Japans, Ryo Shuhama von der „People’s Life Party“ und der unabhängige Abgeordnete Taro Yamamoto. Sie alle sprachen sich gegen das geplante „Geheimhaltungsgesetz“ aus, das, wenn es verabschiedet würde, der japanischen Regierung die Befugnis gäbe, jeden, der ein „Staatsgeheimnis“ öffentlich macht zu verhaften, zu inhaftieren und/oder mit einer Geldbuße zu belegen.

D

ie Einführung und Debatte des Gesetzentwurfes fiel zusammen mit der Nominierung Japans für die Olympischen Sommerspiele 2020, als zeitgleich immer wieder Neuigkeiten über die fortlaufenden Probleme im havarierten Atomkraftwerk Fukushima in die Öffentlichkeit rieselten. Weiteres Potenzial, die japanische Regierung auf dem internationalen Parkett schlecht dastehen zu lassen, ergab sich aus dem „Fukushima Health Management Survey“, das von der Regierung überwacht wird und das kürzlich offenbart hatte, dass es 58 Fälle von vermutetem Schilddrüsenkrebs bei Kindern aus der Präfektur Fukushima gibt.

Aber was genau wäre diesem Gesetzentwurf nach ein „Staatsgeheimnis“? Auf der Pressekonferenz berichtete Mizuho Fukushima, dass sie genau diese Frage den Abgeordneten der Regierungspartei gestellt hatte und die Antwort, die sie erhielt, beunruhigte sie sehr: „Was als Geheimnis eingestuft wird“, wurde ihr gesagt, „ist geheim“.

Meine aktuellen Dreharbeiten, die fast ausschließlich in Fukushima stattfanden, veranlassten einige meiner Freunde und Kollegen mir zu raten „lieber vorsichtig“ zu sein, was immer das heißen soll. Wie kann man vorsichtig sein, wenn man nicht einmal weiß, was nicht erlaubt ist?

Als Reaktion auf das geplante Gesetz hat die Präsidentin des Klubs der Auslandskorrespondenten ein Protest-Statement herausgegeben: „Der Gesetzentwurf warnt Journalisten im Besonderen, sich nicht unangemessener Methoden bei ihren Recherchen zur Regierungspolitik zu bedienen. Das scheint eine direkte Drohung, die sich an die Medienschaffenden richtet, und ist im Einzelfall so weit interpretierbar, dass es inakzeptabel ist. Solch eine vage Formulierung könnte tatsächlich eine Lizenz für Regierungsbeamte sein, Journalisten strafrechtlich zu verfolgen, so wie es ihnen gerade gefällt.“

Im Dezember letzten Jahres, als die Regierungspartei das Gesetz spät in der Nacht durchdrückte, bevor das Parlament in die Neujahrspause ging, war ich gerade dabei, Filmmaterial für meinen neuen Dokumentarfilm über Kinder aus Fukushima zu sichten. Würde eine Arbeit wie meine – Interviews mit Ärzten in Fukushima, die Sammlung von Daten und die Aufnahme von Zeitzeugen – als „Staatsgeheimnis“ gewertet?

28


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.