IPPNW forum 136/2013 – Die Zeitschrift der IPPNW

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Arabische Welt

Perspektiven für einen Frieden in Syrien Interview mit Louay Hussein von der Bewegung „Den Syrischen Staat aufbauen“ Forum: Der Bürgerkrieg in Syrien ist aktuell eine der weltweit größten humanitären Katastrophen. Wie ist ein Friedensprozess in der gegenwärtigen Situation überhaupt möglich?

In dieser Zeit ist in Syrien das soziale System und die komplette Infrastruktur zerstört worden, Zehntausende Syrer sind umgekommen, Tausende sind an Hunger und Durst gestorben.

Louay Hussein: Zurzeit leben noch etwa 20 Millionen syrische Bürger in unserem Land, die zur Zielscheibe der Kriegsparteien geworden sind. Der Friedensprozess in Syrien hängt nicht von den Parteien in Syrien ab, die am Krieg beteiligt sind, sondern von den ausländischen Kräften, die sie finanzieren, unterstützen und lenken. So kämpft Saudi Arabien zum Beispiel auf syrischem Boden und auch die USA. Für mich ist es sehr schmerzhaft mit anzusehen, dass der bewaffnete Kampf uns Syrer entmündigt hat. Man hat uns die Möglichkeit genommen, über unser eigenes Schicksal selbst zu entscheiden.

Frieden in Syrien kann nur geschaffen werden, wenn es tatsächlich Kräfte gibt, die den Frieden wollen. Wir Syrer und Syrerinnen wollen den Frieden, aber die vor allem im Ausland handelnden Parteien streiten sich noch immer darüber, wer überhaupt an der Konferenz Genf II teilnehmen soll. Ich fürchte, dass der Aufstand der syrischen Massen für eine bessere Zukunft misslungen ist. Meiner Meinung nach ähnelt Syrien momentan der Lage Deutschlands am Ende des zweiten Weltkrieges. Das Land ist zerstört und die Bevölkerung in alle Richtungen verstreut und geflohen. USA und Russland entscheiden jetzt über die Entwicklung, Zukunft und über das Schicksal unseres Landes.

Syrien besteht aus mehreren ethnischen und religiösen Gemeinschaften. Der Mehrheit der Sunniten wird eingeredet, dass die Alawiten der regierenden Minderheit sie töten und um ihr Schicksal betrügen wollten. Bei den Alawiten wird umgekehrt propagiert, dass die Sunniten sie vernichten und um ihr Hab und Gut betrügen wollen. Die Mehrheit der alawitischen Gemeinde lebt an der Mittelmeerküste von Syrien. Aus den Metropolen Aleppo, Homs, Hama und Idlib, die im Nordosten Syriens liegen, sind fast zwei Millionen Einwohner Richtung Mittelmeerküste geflüchtet. In dieser Region gibt es auch stark christlich geprägte Gemeinden. Bisher haben wir von keiner nennenswerten Konfrontation unter den verschiedenen religiösen Gemeinden gehört. Das zeigt ganz praktisch, dass die Menschen der verschiedenen Religionsgemeinschaften miteinander leben wollen. Der Frieden ist aber abhängig davon, dass sich ausländische Kräfte nicht länger in den Krieg einmischen.

Trotzdem hoffen wir nach Genf II auf einen möglichen Frieden. Und dass das Interesse an unserem Land bestehen bleibt, damit es – wie damals Deutschland – mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft wieder aufgebaut werden kann. Dafür braucht Syrien die Hilfe von allen Kräften weltweit, die sich für Frieden einsetzen. Forum: Welche Rolle spielt die Souveränität Syriens im Prozess der zweiten Genfer Konferenz? Hussein: Für uns Syrer wird es schwierig sein, bei der zweiten Genfer Konferenz unsere nationale syrische Souveränität zu erhalten. Wir versuchen so unabhängig wie möglich zu agieren, damit jene syrischen Kräfte, die an „Genf II“ teilnehmen, nicht von den USA und Russland gelenkt werden. Wir wünschen uns daher, dass unabhängige Kräfte partizipieren, die sich um die Souveränität unseres Landes bemühen.

Forum: Bietet die geplante zweite Konferenz in Genf eine Chance für Friedensverhandlungen? Hussein: Wir erwarten die zweite Genfer Konferenz mit großer Spannung. Unser Land zerfällt immer mehr in einzelne Regionen, die von unterschiedlichen Gruppierungen eingenommen, gelenkt und geführt werden. Und diese Fragmentierung bedroht die staatliche Existenz Syriens. Ein Zerfall des syrischen Staates würde aber keiner Konfliktpartei nützen. Das ist der Beweggrund für die beteiligten Kräfte, sich ernsthaft mit der geplanten Konferenz auseinanderzusetzen.

Wir versuchen auch den beteiligten Großmächten klar zu machen, dass kein dauerhafter Frieden in Syrien möglich ist, ohne die syrischen Kräfte einzubinden, die sich für die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes einsetzen. Ihnen muss der notwendige Einfluss zugestanden werden. Wenn wir als Vertreter der innersyrischen Opposition nicht als unabhängige Teilnehmer anerkannt werden und unsere Interessen vertreten können, werden wir nicht an der Konferenz teilnehmen. Daher führen wir momentan Gespräche mit den verschiedenen Kräften im Inland und im Ausland.

Wir machen uns große Sorgen um unser Land. Die gegenwärtige katastrophale Lebenssituation der Bevölkerung interessiert ja kaum jemanden mehr. Die internationale Staatengemeinschaft will die zweite Genfer Konferenz vor allem deshalb, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Was nach der ersten Genfer Konferenz im Juni 2012 in Syrien passierte, hat niemanden wirklich gekümmert.

Forum: Was erwarten Sie von der deutschen Friedensbewegung? Was können wir tun, um diesen Friedensprozess zu befördern? 22


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