ZUSAMMEN:ÖSTERREICH 2015/4

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SCHWERPUNKT: FLÜCHTLINGE

Kommentar

EX P E RT E NM E I NUNG

Flüchtlinge sind gekommen, Bürger sollen sie sein Man sagt hier viel öfter Bitte und Danke als in Syrien. Das ist sehr höflich, ich mag das.

mache sich bezahlt, denn gut verzahnte Maßnahmen stärkten einander automatisch. Maisan Hanach, „Ein guter Sprachkurs aus Syrien geflohen verbessert auch den Kontakt zwischen Flüchtlingen und Bevölkerung, und umgekehrt.“ Einen besonders großen Mehrwert haben Freundschaften mit Einheimischen, weiß Grabherr aus Erfahrung: „Das hilft bei der Wohnungssuche, aber auch für die Stimmung in der Bevölkerung. Vorurteile verschwinden am besten über Kontakt.“

HILFE ZUR SELBSTHILFE Aufnahme, Erstversorgung, Unterbringung: Diese Aufgaben seien bisher im Vordergrund gestanden, sagt Franz Wolf, Geschäftsführer des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). „Aber die Integration der Flüchtlinge ist die langfristige Herausforderung, die gerade erst beginnt. Ziel ist, dass Flüchtlinge möglichst bald ein selbstständiges Leben in Österreich führen. Dafür braucht es auch Unterstützung: zum Deutschlernen und für die rasche Integration am Arbeitsmarkt.“ Deutsch lernen – das steht auch für die Österreicher bei der Flüchtlingsintegration an erster Stelle, wie Umfragen zeigen (siehe „Wissen“). Für ebenfalls wichtig halten sie die Anpassung der Lebensweise und die Identifikation mit den hierzulande üblichen Werten. Doch was heißt das in der Praxis, etwa in Pöchlarn?

Wer im Land bleiben darf, soll rasch ein selbstständiges Leben führen können. Das kann gelingen, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten. TEXT

Heinz Faßmann

2015 wird ein Rekordjahr werden. 95.000 Asylwerber werden erwartet. Viele davon sind Kriegsflüchtlinge, rund die Hälfte wird auf Dauer bleiben können. Demografisch betrachtet heißt das: Unsere Bevölkerung wächst dieses Jahr doppelt so stark wie sonst. Die dauerhafte Unterbringung ist ebenso eine Herausforderung wie die Integration der mehrheitlich niedrigqualifizierten jungen Männer aus Syrien, Irak und Afghanistan. Der Expertenrat für Integration hat dem Integrationsministerium einen Plan zur raschen und systematischen Eingliederung der Asylberechtigten vorgelegt, damit sie möglichst bald an den zentralen gesellschaftlichen Prozessen teilhaben können.

Nachqualifizierung. Überdies muss den Asylberechtigten aber auch klar gemacht werden: Die liberale, demokratische Grundordnung ist die unabänderliche Kernstruktur unseres Gemeinwesens. Mitgebrachte Traditionen und religiös verbrämte, rechtliche Normen müssen sich den staatlichen Normen unterordnen. Der liberale Staat kann nur dann bestehen, wenn die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, auch von innen heraus vertreten wird. Der bekannte deutsche Rechtsphilosoph, Ernst-Wolfgang Böckenförde, hat auf dieses Dilemma treffend hingewiesen. Eine entsprechende Unterweisung ist daher wichtig, denn sie schafft Klarheit und erleichtert die Teilhabe.

Das vielleicht wichtigste integrationspolitische Ziel ist es, die Flüchtlinge rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sie sollen möglichst bald ohne Unterstützung durch die öffentliche Hand leben können. Eine Verteilungsdiskussion zwischen österreichischen Beitragszahlern und Asylberechtigten mit Anspruch auf Mindestsicherung wäre für den sozialen Frieden alles andere als förderlich. Die Vorschläge des Expertenrats betreffen daher den raschen Spracherwerb, das Nachholen des Pflichtschulabschlusses, die einfachere Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen und die berufliche

Österreich steht vor einer außerordentlichen Aufgabe. Die Integration der Flüchtlinge ist nicht einfach, nicht kostenfrei und sie wird auch nicht friktionslos verlaufen. Sie kann aber gelingen, wenn die Bevölkerung, die öffentliche Hand und insbesondere die Asylberechtigten selbst dazu bereit sind. Wenn das der Fall ist, dann ist nicht nur eine Pflicht erfüllt, sondern auch eine Chance für Österreich entstanden.

Heinz Faßmann

ist Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration.

Zusammen:Österreich

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