SCHWERPUNKT: OFFENHEIT
Kommentar
XPE R T E NM E I NUNG EX P E RT
Beide Seiten sind gefragt Offenheit kann nicht verordnet, aber gefördert werden. Doch auch die Tendenz zur Abschottung existiert – und zwar bei Einheimischen wie bei Zuwanderern. TEXT
Heinz Faßmann
könne bereits das Engagement Einzelner viel bewirken. „Die Bürgermeister etwa haben großen Einfluss – und sollten den auch nützen“, meint Gruber.
HANDBUCH FÜR ZUWANDERER Um eine Willkommenskultur in seiner Stadt bemüht sich beispielsweise HansPeter Schlagholz, der Wolfsberger Bürgermeister. „Das Zugehen auf die Zuwanderer ist eine Frage demokratischer und gesellschaftlicher Reife“, sagt er. Schlagholz kennt aber auch die Sorgen der Bevölkerung. „Aufgrund der täglichen Berichte über die Krisenherde und Flüchtlingsströme sind die Menschen derzeit eher verunsichert“, berichtet er. Das beste Mittel, um die Offenheit der Mehrheitsbevölkerung zu fördern, ist für den Bürgermeister der professionelle Einsatz für ein gelungenes Zusammenleben. Daher hat er den mobilen Welcome Desk ins Wolfsberger Rathaus geholt. Zusätzlich hat die Stadt in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Integrationsfonds ein Willkommens-
Menschen, die aufeinander zugehen, sich öffnen, einander respektieren und füreinander ein Gefühl der Solidarität und des Miteinanders entwickeln, sind die Bausteine gesellschaftlichen Zusammenhalts. Genau das strebt Integrationspolitik an: aus Zugewanderten und schon Anwesenden ein größeres Ganzes schaffen, das nicht beim ersten internen Verteilungskonflikt oder der ersten von außen herangetragenen Störung zerfällt. Offenheit ist dafür eine Voraussetzung – und sie muss gleich verteilt sein: Wenn nur die eine Seite die Begegnung sucht und die andere sich verschließt, dann führt das nicht zur Integration. In diesem Bereich sind die integrationspolitischen Tretminen vergraben. Die schon Anwesenden betrachten die Neuhinzuziehenden mit Skepsis und Ablehnung. Schnell werden eine andere Sprache, Hautfarbe oder unbekannte Verhaltensweisen als fremd gedeutet. Und umgekehrt schützen sich die Zugewanderten vor den als bedrohlich empfundenen neuen Umwelten durch ein Festklammern an mitgebrachte Traditionen. Oft dominieren nicht Neugierde und Offenheit, sondern Desinteresse und Abschottung. Wie viel Offenheit kann verlangt werden? Das wird immer wieder neu verhandelt – und manchmal auch von Gerichten festgelegt. Ein kleines Beispiel: 1993 hatte das deutsche Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass eine zwölfjährige Muslimin
Anspruch auf Befreiung vom gemeinsamen Sportunterricht mit Buben hat, wenn sie die Bekleidungsvorschriften des Korans als verbindlich ansieht und dies zu einem „Gewissenskonflikt“ führt. Zwei Jahrzehnte später verhandelte das Verwaltungsgericht einen ähnlichen Fall – und entschied anders: Einer elfjährigen muslimischen Schülerin sei es zuzumuten, so das aktuelle Urteil, zumindest im Burkini am koedukativen Schwimmunterricht teilzunehmen. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit, so in etwa die Begründung, schafft keinen Anspruch darauf, sich von Verhaltensweisen fernzuhalten, die außerhalb der Schule im Alltag verbreitet sind. Uns muss klar sein: Offenheit kann kaum per Gesetz verordnet werden. Mehr Bildung, das Wecken von Neugierde und Appelle wichtiger Persönlichkeiten können sie aber fördern. Umgekehrt sorgen rechte Parteien, die Zugewanderte als Bedrohung darstellen, und MigrantenInstitutionen, die mitgebrachte Traditionen als unveränderbar betrachten, für Abschottung, nicht Offenheit. Auch das muss uns klar sein.
Heinz Faßmann
ist Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration.
Zusammen:Österreich
009