Fokus
Sprache, Integration und Zusammenleben
l ei ta r ti k el
Der Nutzen für die Zuwanderer zählt In der Integrations-Debatte wird oft übersehen, dass das Lernen der Landessprache zuallererst den Lernenden nützt.
der Bildungschancen von Migranten, die eng mit deren Sprachkenntnissen zusammenhängt. „Wer kein Deutsch spricht“, sagt Ilan Knapp, „kann sich nicht einbringen, wird nicht Teil der Gesellschaft.“
Deutschkurse sinD am sinnvollsten Die Top-5-Integrationsmaßnahmen: 92 Prozent der Österreicher halten Deutschkurse für zielführend.
Quelle: GalluP
92%
Deutschkurse fördern
81%
Werte und Rechtskultur vermitteln
79%
Vereine für Migranten öffnen
78%
Bildungschancen von Migranten verbessern
69%
schulpflichtverletzungen bestrafen
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10%
20%
30%
Zusammen:Österreich
40%
deutschinstitut.at: „In Österreich sprechen viele Menschen einen relativ starken Dialekt. Auch gute Schüler verstehen bei Alltagsgesprächen manchmal fast nichts – und sind Ilan Knapp, dann verzweifelt.“ Eine Expertenrat weitere Schwierigkeit für Integration ist die komplexe deutsche Grammatik: „Die vier Fälle überfordern viele“, sagt Cernek. „Dativ und Akkusativ fallen mir beim Zeitunglesen erst auf, seit ich den Kurs besuche“, bestätigt Gloria Paminger, „vorher waren mir die Fälle ein Rätsel.“
Nach nur einem Jahr in Wien besucht der student oleg Golodnyak einen fortgeschrittenen kurs: „Wer gefordert wird, lernt schneller.“
statistik
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Wer kein Deutsch spricht, kann sich nicht einbringen, wird nicht Teil der Gesellschaft.
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„für einen Job brauche ich Deutsch“ Dazugehören will auch Oleg Golodnyak, der aus der Ukraine zum Studium der „Global Studies“ nach Wien gekommen ist. „Meine Vorlesungen sind zwar auf Englisch, aber ich möchte trotzdem gut Deutsch lernen“, sagt er, „um hier Freunde und irgendwann einen Job finden zu können, muss ich die Sprache können.“ Golodnyak hat sie als Jugendlicher zwar zwei Jahre lang gelernt, „aber ich war ein eher fauler Schüler und habe den Unterricht nicht sehr ernst genommen. Ich wusste ja nicht, dass ich Deutsch einmal brauchen würde.“ Umso mehr strengt er sich jetzt an, im selben B2-Kurs wie Gloria Paminger: „Das Niveau ist hoch und ich bin nach nur einem Jahr in Wien manchmal etwas überfordert. Aber wer gefordert wird, lernt schneller.“ herausforDerung Dialekt Dennoch steht Oleg Golodnyak im Alltag noch vor mancher Hürde: „Ich kenne viele Wörter nicht und verstehe nicht alles, vor allem dann, wenn die Leute zu schnell oder Dialekt sprechen.“ Dieses Problem kennt auch Jan Cernek, Kursleiter bei
FOTOS: UniverSiTäT wien/Franz PFlUegl, www.weinFranz.aT, JBBz
zugang zur gesellschaft Die Bedeutung von Deutschkenntnissen für ein Leben in Österreich könne gar nicht überschätzt werden, betont Ilan Knapp: „Ich vergleiche das mit einem Hotelzimmer“, sagt das Mitglied im Expertenrat für Integration, der die Regierung in Integrationsfragen berät, „wenn ich hineinwill, brauche ich einen Code. Für die österreichische Gesellschaft ist dieser Code die deutsche Sprache.“ Das sieht auch die Bevölkerung so: Auf die Frage nach den zielführendsten Integrationsmaßnahmen kommen Deutschkurse mit einer Zustimmung von 92 Prozent auf Platz eins (siehe Diagramm unten). Zu den Top Fünf zählt auch die Verbesserung
erfolgsrezept: teamwork unD humor Damit seine Kursteilnehmer möglichst viele Rätsel lösen, lässt Cernek sie gerne zusammenarbeiten. „Einer ist vielleicht seit zehn Jahren hier, kann viele Vokabeln, hat aber Grammatikschwächen. Eine andere hat die Grammatik perfekt intus, sucht aber oft nach passenden Wörtern“, erklärt Cernek, „wenn ich sie zusammen einen Text schreiben lasse, ergänzen sie sich perfekt und lernen voneinander.“ Auch scheinbare Kleinigkeiten tragen dazu bei, möglichst gute Lernbedingungen zu schaffen: „Ein kleiner Witz, der die Stimmung auflockert, kann Wunder wirken“, meint Cernek, „in einer entspannten Atmosphäre lernt man am besten.“ lernmöglichkeiten schaffen Auch auf politischer Ebene müssen die Rahmenbedingungen stimmen, damit Migranten die sprachliche Integration mög-
TExT
Heinz Faßmann
Es ist unumstritten, dass die Sprache des Ziellandes für Zuwanderer eine besondere Bedeutung hat: als Ressource für eine gelungene Bildungskarriere, für Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und ein funktionierendes Zusammenleben vor Ort. Man kann und soll auf den Wert von Mehrsprachigkeit hinweisen, man kann einen „monolingualen Habitus“ einer Gesellschaft kritisieren – aber man muss auch die Realität des täglichen Lebens zur Kenntnis nehmen. Ausreichende Kenntnisse der Verkehrssprache, in Österreich ist das Deutsch, sind notwendig, um an den relevanten Prozessen im öffentlichen Leben, in der Schule und am Arbeitsplatz teilnehmen zu können. Gerade in einem multikulturellen und mehrsprachigen Umfeld sorgt Deutsch für Verständigung über die Bevölkerungsgruppen hinweg. Dass dieses Deutsch sich dabei verändert, lebt und von der Schriftsprache abweicht, ist wissenschaftlich interessant und behindert das Kommunizieren keineswegs. Soll der Staat Normen vorgeben und Spracherwerb und Sprachgebrauch vorschreiben? Nein, in der Regel nicht, lautet die liberale Antwort. Wer welche Sprache verwendet ist Sache des Einzelnen oder von der jeweiligen Situation abhängig. Vorschriften sind nur dann gerechtfertigt, wenn eine sachliche Begrün-
dung vorliegt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Kinder aus Haushalten mit nicht-deutscher Umgangssprache vor dem Eintritt in die Schule ihre Deutschkenntnisse verbessern sollen. Diese Forderung ist sachlich begründbar, denn sie gleicht die Startnachteile bis zum Schulbeginn aus. Doch auch die Organisation eines attraktiven Zusatzangebots in der Familiensprache wäre sachlich begründbar. Schließlich gilt es, Mehrsprachigkeit über die Generationen hinweg zu erhalten. Die Diskussion über Sprache und Integration wird leider sehr viel stärker normativ als wissenschaftlich geführt. Das verstellt den Blick auf das Wesentliche und Nützliche. Wir brauchen daher einerseits mehr und überzeugende Forschung in diesem Bereich, andererseits eine Diskussion, die den Nutzen für den Einzelnen in den Vordergrund rückt.
Heinz Faßmann
ist Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration
Zusammen:Österreich
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