Fokus
Engagement, Ehrenamt und Zusammenleben
L ei ta r ti k eL
Gemeinsame Freizeit als ziel „Freizeit ist der wichtigste Integrations bereich überhaupt“, bestätigt Peter Zell
Ich habe zwar einen Deutschkurs gemacht, aber so richtig gelernt habe ich die Sprache erst durch die Arbeit beim Samariterbund.
Er packt gerne an, wo Hilfe gebraucht wird: sanitäter Paul Yulu blieb nach dem Zivildienst als Freiwilliger beim samariterbund.
mann, Leiter des Instituts für Freizeit und Tourismusforschung und Mitglied des Expertenrats für Integration. Diese These kann er mit Zahlen untermauern: Lang zeitstudien zeigen, dass der Durchschnitts
stAtistik
Wer engagiert sich ehrenamtlich?
In Österreich gebürtige Menschen arbeiten öfter freiwillig als im Ausland geborene. Quelle: BMAsk/FreiwilligenBericht 2009
61,4 %
Österreich
56,5 %
Alte eu-staaten vor 2004
46,7 %
neue eu-staaten seit 2004
37,1 %
ex-Jugoslawien
50,0 %
türkei
0 %
008
10 %
20 %
Zusammen:Österreich
30 %
ehrenamtlich aktiv. Auch Personen mit Geburtsland Türkei oder einem der „neuen“, osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten arbeiten seltener freiwillig. Im Detail zeigt sich, dass Migranten sich vor allem in OrgaRabiaa Abu-Zeid, nisationen und VereiSanitäterin und nen seltener beteiliRettungsfahrerin gen. Im Privatbereich hingegen, etwa beim Helfen in der Familie oder Nachbarschaft, liegen Menschen türkischer Herkunft sogar ganz vorne (Details siehe S. 13).
40 %
50 %
60 %
70 %
mensch in Österreich nur rund 14 Prozent seiner Lebenszeit mit Arbeiten oder Aus bildung verbringt, ein Drittel mit Schlafen. „Der Rest, also mehr als die Hälfte unserer Lebenszeit, entfällt auf soziale und famili äre Tätigkeiten sowie auf Freizeit“, sagt Zellmann und folgert: „Integrationspolitik, die ein besseres Zusammenleben erreichen will, muss einen Fokus auf diesen Bereich legen.“ Die Herausforderung sieht er da rin, dass die Freizeitgewohnheiten sich je nach Milieu stark unterscheiden. „Gelingt es aber, die Leute zusammenzubringen, ist der Effekt umso stärker“, sagt Zellmann, „denn Menschen werden am besten be wegt, etwas zu tun, wenn sie es freiwillig und gerne tun.“ Die Politik solle sich stär ker um ein Miteinander von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in der Freizeit bemühen. miGranten seltener aktiv … Ein Blick in die Statistik zeigt jedoch: Mi grantinnen und Migranten engagieren sich im Schnitt seltener als Einheimische (siehe Diagramm links). Vor allem Men schen, die im ehemaligen Jugoslawien geboren wurden, sind deutlich weniger
FOTOS: UniverSiTäT Wien/Franz PFlUegl, WWW.WeinFranz.aT
hier etwas Sinnvolles tun und fühle mich auch noch wohl dabei.“ Diese doppelt po sitive Wirkung bestätigt der Freiwilligen bericht des Sozialministeriums: Ehren amtliches Engagement sei „nicht nur für Migrantinnen und Migranten nützlich und wertvoll, sondern auch die Aufnah megesellschaft profitiert nachhaltig da von“, heißt es da. Einerseits leisten Zu wanderer in Vereinen einen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität im Land. Feu erwehr und Rettung etwa sind weitgehend von Freiwilligen abhängig. Andererseits können Migranten so Einheimische ken nen lernen: Den Wunsch nach neuen Kontakten und Freundschaften nennt eine Mehrzahl der zugewanderten Ehren amtlichen als wichtige Motivation für ihr Engagement (siehe Kasten S. 10).
… im Land der VereinsweLtmeister Lässt sich aus dem geringen Engagement von Migranten in Vereinen schließen, dass sie sich weniger um das Gemeinwohl kümmern? „Nein“, meint Kenan Güngör, Soziologe und Mitglied des Expertenrats für Integration, „es ist völlig normal, dass Migranten sich stärker untereinander unterstützen.“ Schließlich teilen sie eine ähnliche Lebenssituation und eine gemeinsame Sprache. Daher dominiere unter Zuwanderern das Engagement im Privatbereich und in eigenen Vereinen, etwa mit religiöser Ausrichtung. „Außerdem darf man nicht vergessen, dass Österreich und der deutschsprachige Raum insgesamt Vereinsweltmeister sind“, ergänzt Güngör. Hierzulande wachse man von klein auf fast selbstverständlich ins Vereinsleben hinein – anders als in den Herkunftsländern vieler Zuwanderer. „Dadurch ist die Distanz zwischen Vereinslandschaft und Migranten deutlich höher als bei der Mehrheitsbevölkerung.“ rettungsfahrerin aus Berufung Eine, die die Distanz zu österreichischen Organisationen längst überwunden hat, ist
Von mehr Engagement profitieren alle Ehrenamtliche Arbeit ist nicht nur Zeichen, dass jemand in einer Gesellschaft angekommen ist: Sie beschleunigt dieses Ankommen auch. TExT
Heinz Faßmann
Engagement für die Gemeinschaft ist etwas Wünschenswertes, ein starkes Zeichen von Integration. Wer bereit ist, sich ohne eine finanzielle Abgeltung zu engagieren, fühlt sich als Teil der Gemeinschaft. Dieses Engagement ist daher typischerweise im ländlichen Raum, wo die Stabilität der sozialen Beziehungen noch dominant ist, sehr viel stärker ausgeprägt als in der Stadt. Neuzuwanderer bauen erst Schritt für Schritt soziale Beziehungen mit der aufnehmenden Gemeinschaft auf. Es überrascht daher nicht, dass sie sich seltener in der formellen Freiwilligenarbeit einbringen, also in Organisationen oder Vereinen. Ihr Engagement liegt eher im informellen Bereich, also in der Familie oder der eigenen ethnischen Community. Die Politik hat diesen analytischen Befund zur Kenntnis genommen und instrumentell umgedreht: Ehrenamtliches Engagement ist nicht nur Folge, sondern Ursache gelungener Integration. Wenn sich zivilgesellschaftliche Einrichtungen der aufnehmenden Gesellschaft öffnen und verstärkt Zugewanderte in ihre Reihen aufnehmen, stärkt das die Integration in doppelter Hinsicht: Die Migranten knüpfen neue Kontakte mit Menschen außerhalb der eigenen Community, erlangen zusätzliche und oft am Arbeitsmarkt
gefragte Qualifikationen und entwickeln verstärkt ein Gefühl gesellschaftlicher Akzeptanz und Teilhabe. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen wiederum profitieren davon, dass Zuwanderer neue Kompetenzen einbringen und sie damit ihre Aufgabe in einer auch ethnisch vielfältigen Gesellschaft leichter erfüllen können. Diese politische Strategie ist überzeugend. Bei einem verstärkten zivilgesellschaftlichen Engagement in Einrichtungen wie der Freiwilligen Feuerwehr, dem Roten Kreuz oder kirchlichen Organisationen profitieren alle: die Zugewanderten, die Organisationen und die Gesellschaft durch eine gelungene Integration. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Erst unlängst meinte der Generalsekretär des Roten Kreuz: „Hier liegt noch Arbeit vor uns.“ In Anbetracht der empirischen Befunde sollte man wohl ein „viel“ ergänzen.
Heinz Faßmann
ist Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration
Zusammen:Österreich
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