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MAREIKE FALLWICKL

WUT

DREI FRAUEN, drei Antworten auf die Zumutungen einer Gesellschaft, die ihnen alles abverlangt. Dass es für Helene viel zu viel geworden ist, merken ihr Ehemann und ihre drei Kinder erst, als sie sich vom Balkon in den Tod stürzt. Ein schockierendes Ende. Aber auch ein schmerzvoller Neuanfang für Helenes engste Freundin Sarah und ihre älteste Tochter Lola. Beide geben in der akuten Notlage ihr Bestes, um die Lücke zu schließen – bis sie erkennen, was wirklich gut für sie selbst ist. Tief berührend und ermutigend!

Mareike Fallwickl Die Wut, die bleibt Rowohlt, 22,– € 220 Lesepunkte Auch als eBook | Hörbuch

EXKLUSIV | INTERVIEW

TYPISCH WEIBLICH, sich zuständig zu fühlen, dass es allen gut geht? Sich um alles zu kümmern bis zur völligen Erschöpfung? Was bleibt auch anderes übrig? Mareike Fallwickl hat es bis zur letzten Konsequenz durchgespielt in ihrem neuen Roman über drei Frauen, für die es eben nicht mehr weitergeht wie bisher. „Die Wut, die bleibt“ ist radikal, emotional, sprachlich brillant, kurzum: charakteristisch für die Salzburger Autorin, Mutter zweier Kinder und leidenschaftliche Literaturvermittlerin, für die Lesen ein Lebenselixier ist. Schreiben ebenfalls.

T Wie kam es dazu, dass Sie

diese Roman geschrieben haben?

Anfang 2021, mitten im Lockdown, habe ich täglich Nachrichten von Freundinnen bekommen, die auch Mütter sind und mir schrieben: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich spring einfach vom Balkon.“ Und ich habe plötzlich gedacht: Was, wenn eine Mutter das wirklich tut? Wenn ich vom krassestmöglichen Punkt ausgehe und anfange zu erzählen, was geschieht dann, wo führt mich das hin?

T Wie würden Sie Ihr Haupt-

thema auf den Punkt bringen?

Der Roman spielt mit den Erwartungen und Rollenbildern in Bezug auf Frausein und Mutterschaft. Indem die Mutter sich entzieht, kann ich aufzeigen, wie groß die Lücke, die sie hinterlässt, tatsächlich ist, und warum. Erzählt wird aus der Sicht ihrer besten Freundin Sarah, die keine Kinder hat, und aus der Sicht der Tochter Lola, die sich radikalisiert. Hier leuchtet vor allem die Frage heraus: Wohin mit der weiblichen Wut, die in unserer Gesellschaft keinen Platz hat? Fürsorgearbeit 50:50. Einer verlässt das Haus, um zu arbeiten, der andere kümmert sich daheim um die Kinder, den Haushalt, das Essen, die Wäsche, die Hausaufgaben, den Musikunterricht, und am nächsten Tag tauschen wir.

T Im Zentrum Ihres Romans

stehen grundverschiedene weibliche Charaktere. Worauf kam es Ihnen bei ihren Perspektiven an?

Ich wollte mit Sarah eine kinderlose Frau Ende dreißig, deren Zeitfenster sich schließt, in diese Extremsituation werfen, dass sie sich plötzlich um die Kinder ihrer besten Freundin kümmern muss, um das Aufopferungsvolle zu zeigen, das Frauen zu eigen ist bzw. das ihnen bereits in frühester Kindheit eingeprägt wird. Ihr gegenüber steht mit Lola eine sehr junge, informierte und emanzipierte Frau, die einerseits Sarah aufzeigt, wie patriarchatsgetrieben ihr Verhalten ist, andererseits ihre eigene Konfliktsituation erlebt, weil sie in ihrer Wut zu weit geht.

T Wie Helene in Ihrem Roman verbinden Sie Familie und Beruf. Was machen Sie und Ihre Familie anders? © Gyöngi Tasi So gut wie alles. Seit der Geburt unseres ersten Kindes teilen mein Mann und ich uns die gesamte Mareike Fallwickl

„Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr!“

T Welche Rollenmuster und -zuschrei-

bungen hatten Sie hauptsächlich im Blick?

Der Roman beleuchtet in erster Linie die massive Last, die – nicht zuletzt in der Pandemie– auf den Schultern der Mütter liegt und als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Gleichzeitig geht es um den Druck, unter dem kinderlose Frauen stehen, weil sie sich permanent rechtfertigen müssen. Und nicht zuletzt kommt die weibliche Wut zur Sprache, die schon kleinen Mädchen ausgetrieben wird – ein sehr geschickter Schachzug. Denn wer nicht zornig sein darf, kann auch nicht aufbegehren.

T Helenes Tochter Lola ist leidenschaft-

liche Vielleserin. Und Sie?

Lesen bedeutet mir alles, es gibt mich nicht ohne Literatur. Und ohne das Lesen hätte ich nicht angefangen zu schreiben: Mit acht Jahren dachte ich bei Michael Endes Unendlicher Geschichte: Wenn man das mit Worten machen kann, ganze Welten erschaffen, dann will ich das auch. Heute stelle ich auf jedem verfügbaren Kanal Bücher vor, rege die Menschen zum Lesen an und lege den Fokus auf weibliche Erzählstimmen.

T Worin sehen Sie die größten Herausfor-

derungen für Lola und Sarah?

Die größte Herausforderung für Sarah: mit alten Glaubenssätzen aufzuräumen und die Wahrheit zu sehen. Während Lola einen Weg finden muss, ihren Zorn in die richtigen Bahnen zu lenken.

T Die Aufschrift auf Ihrem T-Shirt könnte

man als Anspielung auf einen alten Song von Cindy Lauper verstehen. Worauf kommt es Ihnen an?

Das Shirt sagt „Girls just wanna have fundamental rights“ und ist ebenso ein Wortspiel wie eine zutiefst tragische Aussage: An sehr vielen Orten auf dieser Welt haben Frauen nämlich keinerlei Rechte, werden nicht behandelt wie Männer – ja, nicht einmal wie Menschen.

Unser Extra-Tipp:

Jeden ersten Donnerstag empfehlen Mareike Fallwickl und Florian Valerius neue Bücher im Livestream „Das Goscherl und der Nerd“ auf Instagram!