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Der Neustart — und nun?

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Neustart im Mai — und nun?

GASTRONOMIE IM ZEICHEN DER CORONA-PANDEMIE: EINE UMFRAGE

VON UWE AHRENS UND JÖRG TEUSCHER

Herbert Beltle, Inhaber Rôtisserie Weingrün Berlin-Mitte, 9. Juli 2020

Wie ist der Stand der Dinge, Herr Beltle?

Meiner Familie und mir geht es gut, unsere Tochter hat die Zeit des Lockdowns unbeschadet überstanden und sich gefreut, dass sie endlich wieder zur Schule gehen kann, wenn auch nur eingeschränkt.

Und wie ist die Situation in Ihrer RÔtisserie Weingrün?

Wir haben den Neustart nach der Schließung so organisiert, wie es die amtlichen Vorgaben vorsahen: Gästeempfang, Handdesinfektion, Gästeregistrierung, Abstandsregelung, Maskenpflicht für die Servicemitarbeiter. Wir haben unsere Take-away-Offerten beibehalten, und als das Wetter es zuließ, Terrassenplätze angeboten, aber…

Das klingt doch gut, wieso ‚aber’?

...aber es fehlten die Gäste und dementsprechend die Umsätze. Besonders negativ auf unser Geschäft hat sich der beispiellose Zusammenbruch des Tourismus mit Beginn der Corona-Krise Mitte März in Berlin ausgewirkt. Allein im März hat sich der Umsatz bei uns gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresmonat mehr als halbiert. Und von Erholung kann noch längst keine Rede sein.

Das klingt nicht eben optimistisch, Herr Beltle.

Mag sein, aber das ist realistisch. Natürlich kommen seit Anfang Juni, seit Touristen wieder in Berliner Hotels und Pensionen übernachten dürfen, auch mehr Gäste, aber wirtschaftlich zufriedenstellend ist das alles in keiner Weise. Nicht nur bei mir übrigens, sondern das gilt für unsere gesamte Branche. Nehmen Sie nur mal eine Zahl: 2019 hat die Berliner Gastronomie rund 3,6 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, und wenn es am Ende des Jahres möglicherweise nur zwei Milliarden sind, dann ist das schon dramatisch. Das lässt sich weder durch Kostenreduzierung einschließlich Kurzarbeit noch durch Gewinnverzicht ausgleichen. Deshalb sage ich: Wenn es überhaupt nicht mehr geht, dann ist es eben so.

www.rotisserie-weingruen.de

Ihr Kollege Herbert Beltle klagt über fehlende Touristen, Herr Wolleschak. Wie ist die Situation bei Ihnen?

Genauso. Normalerweise kommen zur Ferienzeit täglich hunderte Besucher ins Schloss Charlotenburg. Wir liegen ganz in der Nähe und partizipieren natürlich davon. Jetzt ist hier touristisch tote Hose, sehen Sie, wir hatten zum Beispiel letzte Woche lediglich drei ausländische Gäste, das ist schon ein Schlag ins Kontor.

Und die Stammgäste?

Die halten uns nach wie vor die Treue und kommen vor allen Dingen regelmäßig – nicht nur aus Charlottenburg, sondern auch aus Wannsee und Wilmersdorf. Ich sage immer: Nach Union Berlin hat die Eselin von A. die besten Fans.

Also, lax gesagt, sie kriegen‘s gebacken – trotz Corona. Zwischenruf eines Gastes am Nachbartisch: Wer den Berliner Yachtclub überlebt hat, der überlebt auch Corona, oder Harry?

Kann man so sagen. Und noch einmal, das danke ich vor allem

Harry Wolleschak, Inhaber und Gastgeber Restaurant Die Eselin von A. Berlin-Charlottenburg, 20. Juni 2020

meinen Stammgästen und natürlich meiner Familie und dem gesamten Team. Mein Bruder Ernesto ist als mein Partner sowieso an Bord, meine Schwester Caro, die eigentlich in Chania auf Kreta lebt, hat monatelang im Service geholfen, ebenso meine Tochter Alexa. Sie arbeitet normalerweise als Tennistrainerin in Melbourne, darf aber derzeit nicht in Australien einreisen und spielt deshalb hier in der Eselin mit, ganz selbstverständlich. Und mein anderer Bruder Alex macht neben seinem eigentlichen Job bei mir den Haustechniker.

Familiärer Zusammenhalt kann den Auswirkungen der Coronakrise Paroli bieten…

Durchaus, familiärer Zusammenhalt und kollegiale Kooperation.

Kollegiale Kooperation?

Ja, wir haben zum Beispiel unser Außer-Haus-Angebot in das vom Restaurant Bahadur initiierte App-Projekt eatAround Delivery eingebracht, andere Kollegen auch, sowas meine ich.

www.dieeselin.de

David Monnie, Inhaber und Gastgeber Restaurant Christopher´s Berlin-Charlottenburg, 30. Mai 2020

Reden wir über das Accessoire schlechthin, Herr Monnie.

Sie meinen die Gesichtsmaske?

Genau. Bei einigen Ihrer Kollegen ist sie Werbeträger, bei anderen Fashion-Statement. Sie verzichten auf beides, weshalb?

Wir haben für alle Servicemitarbeiter die so genannten FFP-3-Masken angeschafft. Bei einem Stückpreis von rund 50 Euro war das in diesen Zeiten schon eine erhebliche Investition, aber sie sind eben der beste Schutz für uns und unsere Gäste, obwohl die Arbeit unter dieser Maske für uns schon eine Herausforderung darstellt.

Das Christopher‘s gehörte zu den ersten Berliner Restaurants, die Take-aways und Home-delivery anboten. Hat sich das gelohnt?

Wenn Sie den Umsatz meinen, sicher nicht, aber wir haben damit zumindest erreicht, dass die Menschen rund um die Mommsenstraße gemerkt haben: Wir geben nicht klein bei und helfen, den Kiez am Leben zu erhalten. Wir werden die Take-away-Offerten übrigens beibehalten, ebenso wie unsere Grocery-Angebote, also Gerichte im Weckglas, etwa ein Chili-Eintopf, eine Käse-Lauch-Suppe oder ein Rindergulasch mit Paprika und Pilzen.

Wie lief der Neustart?

Wir haben die Zahl der Plätze halbiert, innen wie außen, wir arbeiten mit einer Minimal-Besetzung, es gibt Einweg-Speisekarten, Gästelisten, über die Gesichtsmasken haben wir schon gesprochen. Das ist nicht besonders prickelnd, aber eben notwendig. Trotzdem waren wir am 15. Mai ausgebucht, vor allem Stammgäste kamen, auch um uns Mut zuzusprechen, damit wir durchhalten.

Und wie stehen die Chancen?

Fragen Sie mal die Glaskugel. Es wird davon abhängen, wie sich die Pandemie entwickelt, ob sich das Konsumverhalten der Menschen ändert, wann der Tourismus wieder auf die Beine kommt usw. Seit dem 25. Mai dürfen wieder Touristen in Berlin übernachten – allzuviel merken zumindest wir bisher aber nicht.

www.christophers.online

Glücklich, dass es nun wieder losgegangen ist, Herr Reimann?

Glücklich? Ja, vielleicht. Vor allem aber bin ich dankbar.

Wem?

Ich bin unseren Mitarbeitern dankbar, die sich wahnsinnig ins Zeug legen, um auch unter den wirklich schwierigen Bedingungen gute Gastgeber zu sein – und ich bin besonders unseren Stammgästen für ihre Unterstützung in den vergangenen Monaten dankbar.

Welche Art von Unterstützung war das?

Wir haben gleich am 15. März damit begonnen, einen Außer-HausService zu organisieren. Wir wussten natürlich, dass wir damit keinen nennenswerten Umsatz machen würden, aber wir wollten zumindest Flagge zeigen – hallo, wir sind noch da. Viele unserer Stammgäste haben das verstanden und zwei-, dreimal in der Woche unsere Gerichte bestellt. Und auch nach dem Neustart kommen sie häufiger als früher.

Das heißt, der Umsatz pegelt sich wieder ein? Oliver Reimann, Geschäftsführer Braugasthaus Dolden Mädel Berlin-Kreuzberg, 11. Juni 2020

Nein, natürlich nicht. Im Mai und Juni 2020 liegen wir bei 35 bis 38 Prozent des Vorjahresumsatzes. Das ist auch kein Wunder. Nehmen Sie zum Beispiel unseren Biergarten. Normalerweise ist hier Platz für rund 220 Gäste, die Corona-Abstandsregeln reduzieren diese Zahl auf 75. Und auch die müssen erstmal kommen.

Ihnen fehlen die Touristen?

Ganz extrem. Im vorigen Jahr zum Beispiel hatten wir sehr viele Gäste aus Japan, weil unser Braugasthaus in einigen japanischen Reiseführern als kulinarisches Berlin-Highlight erwähnt wird. Aber auch auf Gäste aus anderen Ländern werden wir vergeblich warten, zumal Großveranstaltungen wie das Bergmannstraßenfest in diesem Jahr ausfallen.

Was erwarten Sie jetzt von der Politik?

Eine wirkliche Hilfe wäre die vollständige oder zumindest anteilige Erstattung der Betriebskosten.

www.doldenmaedel.de

Michael Mödig, Koch, Caterer, Markthändler Wochenmarkt am Karl-August-Platz Berlin-Charlottenburg, 13. Mai 2020

Hallo Herr Mödig, wie geht es Ihnen?

Wenn Sie nach meiner Gesundheit fragen – gut, obwohl ich durch die Wochenmarkt-Tätigkeit sicher mehr soziale Kontakte habe als andere Menschen und mit meinen 65 Jahren auch zur sogenannten Risikogruppe gehöre.

Wie sind Sie bisher durch die Krisenzeit gekommen?

Ich musste in meinem Leben schon einiges hinter mich bringen, aber diese letzten Monate haben doch das meiste in den Schatten gestellt. Als im März zwei Cateringfirmen, für die ich seit Jahren arbeite, keine Aufträge mehr hatten, war auch ich außen vor. Vorbei war es ebenfalls mit meinem Aushilfsjob in der Kempinski-Küche, und auch als Privatkoch hatte ich nichts mehr zu tun. Wenn du über Nacht dermaßen im Regen stehst, kommst du schon ins Grübeln.

Mit welchem Ergebnis?

Wie alle anderen Solo-Selbstständigen habe ich Soforthilfe in Höhe von 5.000 Euro beantragt und auch innerhalb einer Woche bekommen. Das hat für den Moment geholfen, konnte aber die Umsatzeinbußen nicht ausgleichen. Zum Glück waren die Berliner Wochenmärkte von dem Corona-Lockdown nicht betroffen, deshalb habe ich mich um zusätzliche Standmöglichkeiten beworben. Das hat geklappt, und so backe ich meine Flammkuchen nicht mehr nur samstags, sondern auch mittwochs auf dem Karl-August-Platz. Zusätzlich stehe ich am Donnerstag auf dem Breslauer und am Freitag auf dem Rüdesheimer Platz. Außerdem habe ich das Angebot um Pastéis de nata, eine portugiesische Blätterteigspezialität, erweitert.

Können Sie damit Ihre Verluste kompensieren?

Nein, bei weitem nicht. Meine Umsatzeinbußen liegen bei 50 bis 60 Prozent, dementsprechend geringer ist auch mein Verdienst. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, ob ich damit leben kann, ich bin gerade dabei, es herauszufinden.

www.pommboula.de

Nicht mehr in Friedrichshain, Frau Tonitz?

Nein, ich habe hier in Hellersdorf einen optimalen und bezahlbaren Ort für mein Tortenatelier gefunden und bin deshalb im September 2019 umgezogen. Und es lief von Anfang an hervorragend – meine Backkurse waren bestens gebucht, es gab jede Menge Bestellungen beispielsweise für Hochzeitstorten.

Dann kam Corona.

Am 25. Januar fand mein letzter Kurs statt, Thema Strudelbacken, dann war Ende Gelände. 30 geplante Kurse danach musste ich absagen, die meisten Hochzeiten wurden verschoben, also hatte es sich auch mit den Hochzeitstorten. Eigentlich ging nichts mehr.

Und dann?

Das habe ich mich auch gefragt, nachdem die erste Schockstarre vorüber war. Was nun? Wie weiter? Ich weiß nicht, ob Sie sich eine solche Situation vorstellen können – plötzlich ist das ganze Geschäft auf Null. Keine Kurse, keine Märkte, keine Messen und Spontan-Aufträge sowieso nicht. Außerdem hatte ich Außenstände im vierstelligen Bereich, vor allem bei Firmen, bei denen es auch ums Überleben ging.

Sind die jetzt wenigstens beglichen?

Gott sei Dank, ja. Aber ehrlich, wenn ich meinen Mann und meine Eltern nicht gehabt hätte, ich hätte mein Unternehmen aufgeben müssen. Es war wirklich hammerhart, und mir war tagelang nur noch zum Heulen.

Jetzt können Sie aber schon wieder lachen.

So ein bisschen, richtig befreit noch nicht. Ich gebe wieder Backkurse – online – als Workshopleiterin des Tempelhofer OnlinePortals Bake Night, die Interessenten direkt bei Bake Night oder auf meiner Internetseite buchen können. Der Ertrag ist zwar relativ gering, aber für mich ist das auch Marketing, damit ich nicht in Vergessenheit gerate.

www.tortendesignerin.com

Kornelia Tonitz, Tortendesignerin Koni Tonitz Tortenatelier Berlin-Hellersdorf, 2. Juni 2020

Seit dem 15. Mai empfängt ihre Sardinenbar wieder Gäste, ist das Schlimmste überstanden, Herr Vetter?

Schön wär´s, nein, der wirkliche Überlebenskampf beginnt jetzt.

Ist die Situation tatsächlich so dramatisch?

Leider ja, sehen Sie sich um. Ich muss die Zahl meiner Plätze von 40 auf 19 reduzieren, eine Bar, die ich für acht Gäste gebaut hatte, kann ich nicht nutzen — wegen der Abstandsregelung. Und mit der 50-prozentigen Kapazität die 100-prozentigen Kosten decken, erklären Sie mir doch mal, wie das gehen soll. Nein, es wird sicher ein heißer Herbst für uns Kiezgastronomen. Bei mir kommt erschwerend hinzu, dass ich erst im vierten Geschäftsjahr bin, Rücklagen also absolute Mangelware sind.

Genügend Gäste haben Sie aber schon?

Ich lebe zu 50 bis 60 Prozent von Stammgästen, die der Sardinenbar zum Glück die Treue halten. Allerdings, und da spreche ich nicht nur für mich, wir dürfen nicht vergessen, dass auch unsere Gäste Einbußen hinnehmen mussten. Kurzarbeit und damit weniger Geld am Monatsende gab es nicht nur in der Gastronomie. Und wenn Kaufkraft fehlt, dann merken wir Gastronomen das natürlich zuerst.

Das heißt, optimistisch blicken Sie nicht in die Zukunft.

Was wollen Sie jetzt hören? Ich stecke den Kopf jedenfalls nicht in den Sand. Ich verzichte auf Investitionen, beispielsweise wäre in diesem Jahr eine neue Außenbestuhlung dran gewesen, darauf verzichte ich. Ich versuche, Vereinbarungen zu treffen, um Zahlungsziele — Miete, Steuern, Energie — zu verlängern. Ich arbeite allein und bemühe mich trotzdem, ein guter Gastgeber zu sein.

Und wie sehen Sie Ihre Chancen?

Ich kämpfe und sage: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Worauf hoffen Sie, Herr Vetter?

Auf das, worauf alle Berliner Gastronomen hoffen. Auf gutes Wetter, konsumfreudige Gäste und darauf, dass wieder Touristen kommen.

www.sardinen.bar

Thomas Vetter, Inhaber und Küchenchef Sardinen.Bar Berlin-Schöneberg, 26. Mai 2020