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Int. Kurzfilmtage Winterthur 100 Jahre Jonas Mekas

Zum 100. Geburtstag von Jonas Mekas Glimpses of Beauty

Ein langer Sonntag im Advent (4. Dezember) widmet sich dem filmischen Schaffen Jonas Mekas’, «der den geglückten Zufall zum Grundprinzip seiner Filme hat werden lassen» (Eva Kuhn). Mit zwei seiner schönsten Tagebuchfilme reisen wir durch 40 Jahre seines Lebens und Schaffens und präsentieren mit Fragments of Paradise die Schweizer Premiere des eben in Venedig ausgezeichneten Dokumentarfilms über diesen grossen Künstler und Aktivisten. Thomas Imbach, Eva Vitija, Eva Kuhn und Volker Pantenburg teilen mit ihren «Glimpses» (Mini-Reflexionen zu Beginn der Filme) ihren ganz eigenen Blick auf Jonas Mekas’ Werk. Für Speise, Wein und Musik ist gesorgt!

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Die erste Einstellung des Films Lost, Lost, Lost entspricht dem ersten filmischen Tagebucheintrag von Jonas Mekas nach seiner Ankunft 1949 in den USA. Sie markiert den Riss, der Mekas und seinen Bruder von ihrer unverfilmten Vergangenheit in Litauen für immer trennt, wie auch den Beginn von Mekas’ Leben in New York. Es ist der Beginn seiner filmischen Praxis, die erst mit seinem Tod 2019 abgebrochen ist: «It’s me and my Bolex – I go through this life with my Bolex.» Jonas Mekas’ Tagebuchfilme zeugen weniger von einem «Auteur» als vom «Amateur» im Sinne des Liebhabers (Maya Deren). Vor den Abgründen der Negativität und vor dem Hintergrund einer radikalen Vergänglichkeit (er-)findet Mekas mit seiner Bolex-Kamera das Glück, indem er das hier und jetzt Präsente fokussiert und die sinnliche Gegenwart des Alltags durch seine filmische Handschrift intensiviert und zu einem visuellen Ereignis werden lässt. Jonas Mekas, am 24. Dezember 1922 in Semeniškiai (Litauen) geboren, am 23. Januar 2019 in New York gestorben, überlebte Verfolgung und Inhaftierung durch die Nazis und emigrierte 1949 in die USA, wo er im pochenden Herzen des New Yorker Undergrounds Andy Warhol zum Filmen inspiriert hat. Durch seine zahlreichen Aktivitäten und Initiativen für ein alternatives Kino wurde er zum wichtigsten Kurator und Promotor des New Yorker Avantgardefilms wie auch zu einem seiner wichtigsten Künstler.

Eva Kuhn

In Kooperation mit Eva Kuhn (Universität der Künste Berlin; Kuhns Buch über die Tagebuchfilme von Jonas Mekas erscheint 2023) und dem Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich (Volker Pantenburg).

LOST, LOST, LOST

USA 1976

In sechs Filmspulen rekonstruiert Jonas Mekas entlang seines eigenen Filmmaterials die autobiografische Geschichte eines durch die Verrückungen des Zweiten Weltkrieges in die Welt geschmetterten und allmählich Wurzel schlagenden Protagonisten. Der Film, der 14 Jahre seines Lebens umspannt, zeugt von der Ankunft der beiden Brüder Mekas in Brooklyn, New York, und ihrem zerrissenen Dasein als Exilanten in der litauischen Community. Wir sehen, wie sie nach Manhattan ziehen und schliesslich rund um Film und Kino eine neue Heimat finden. Lost, Lost, Lost verzahnt Mekas’ autobiografische Erzählung mit der Entwicklung einer persönlichen filmischen Handschrift und dem Making-of eines «New American Cinema», einer kollektiv gelebten Alternative zur kapitalistisch-arbeitsteilig strukturierten Produktionsform. (Eva Kuhn) * mit «Glimpses» von Thomas Imbach und Eva Kuhn

178 Min / Farbe / 16 mm / E // DREHBUCH, REGIE, KAMERA Jonas Mekas.

AS I WAS MOVING AHEAD OCCASIONALLY I SAW BRIEF GLIMPSES OF BEAUTY

USA 2000

An seinem Schneidetisch versammelt Jonas Mekas kurz vor der Jahrtausendwende gefilmte Augenblicke aus den vorausgegangenen 29 Jahren. Im Fokus steht sein Leben als Partner, Freund und Vater, wie auch das Licht und die vier Jahreszeiten die Filme und das Erleben prägen. In zwölf Kapiteln montiert er sinnliche Momente aus der gemeinsamen Zeit mit seiner Frau Hollis und den Kindern Oona und Sebastian zu Hause, auf Ausflügen und auf Reisen. In der Kunst der Glimpses findet Mekas’ filmische (Lebens-)Praxis ihren glänzenden Höhepunkt. Durch das Einzelbildverfahren erzeugt er ein pointiertes visuelles Ereignis: den Effekt einer kurzen Korrespondenz zwischen Filmer und Gefilmtem, der den Zufall und die gemeinsame Gegenwart betont. Vor dem Hintergrund der in rasendem Tempo ablaufenden Zeit des Lebens (und des Films) erscheinen diese geglückten und glücklichen Momente aus dem persönlichen Alltag als Fragmente aus dem Paradies. (Eva Kuhn) * mit «Glimpses» von Eva Vitija und Volker Pantenburg

286 Min / Farbe / 16 mm / E // DREHBUCH, REGIE, KAMERA, SCHNITT Jonas Mekas // MUSIK Auguste Varkalis.

FRAGMENTS OF PARADISE

USA 2022

Fragments of Paradise ist ein intimer Einblick in Mekas’ Leben und seine Arbeit, der aus Tausenden von Stunden seiner eigenen Video- und Filmtagebücher zusammengestellt wurde – einschliesslich nie zuvor gesehener Bänder und unveröffentlichter Audioaufnahmen. Es ist eine Geschichte über die Suche nach Schönheit inmitten von tiefem Verlust und über einen Mann, der versucht hat dem Ganzen einen Sinn zu geben ... mit der Kamera.» (Int. Filmfestspiele Venedig 2022)

«Was Mekas eines einfühlsamen dokumentarischen Porträts würdig macht, ist sein Interesse, eine Kakerlake mit der gleichen Faszination zu filmen wie einen Ex-Beatle. (…) Fragments of Paradise interessiert sich nicht für den Mythos Mekas, sondern für den Menschen. Nachdem er sich uns ein Leben lang vorgestellt hat, ist dies der Film, mit dem wir uns verabschieden können. » (Christian Blauvelt, IndieWire, 2.9.2022)

98 Min / Farbe + sw / DCP / E // DREHBUCH UND REGIE KD Davidson // KAMERA Bill Kirstein // MUSIK Osei Essed, Saul Simon MacWilliams // SCHNITT Michael Levine // MIT Peter Bogdanovich, John Waters, Martin Scorsese, Ken und Flo Jacobs, Jim Jarmusch, Oona Mekas, Sebastian Mekas, Marina Abramovic.