Fazit 96

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Essay von Andreas Unterberger

Steuern: Geschichte und Sinn, Nutzen und Schaden S

teuern hat es, soweit die Geschichtsforschung reicht, immer gegeben. Das waren beispielsweise Wegesteuern, Mauten oder Zölle. Das waren Kopfsteuern, wo jeder gleich viel zahlen musste. Besonders interessant sind zwei Steuerprinzipien, auf die man quer durch die Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende, trifft. Das eine ist der sogenannte Zehent, nichts anderes als eine zehnprozentige Abgabe. Es gibt eine Reihe von Quellen, die sich maßlos über diesen Zehent als viel zu hoch erregen, den einst auch die Kirche mancherorts vorgeschrieben hat. Man kann das natürlich tadeln, denn heute ist die Kirchensteuer viel geringer. Nur vergisst man dabei: Die Kirche, Klöster und andere religiöse Einrichtungen hatten viele Jahrhunderte lang allein die gesamte Funktion des heutigen Sozialstaates getragen. Der Kaiser und der Adel, also die politische Macht, haben sich hingegen fast nie um Krankheit, finanzielle Not oder Altersversorgung gekümmert. Das war Aufgabe der Kirche und wurde mit diesem Zehent finanziert, der in dieser Sicht im Vergleich zur Gegenwart gar nicht hoch erscheint.

Noch ein weiterer historischer Rückblick ist hochinteressant. Der Parlamentarismus hat sich zwar über viele Formen und Zwischenstufen entwickelt. Aber die wichtigste Forderung bei der Entstehung fast aller Parlamente war eindeutig das Verlangen der Steuerpflichtigen, durch gewählte Repräsentanten über die Steuereinhebung und den Steuersatz mitzubestimmen. Wenn man hingegen die Arbeit heutiger Parlamente analysiert, dann gehen dort weit mehr als 90 Prozent der parlamentarischen Energien ins Gegenteil hinein, ins Nachdenken, wie man die vorhandenen wie auch die noch nicht vorhandenen, also die erhofften künftigen Steuern ausgibt. Zwangsläufig ist es schon allein durch diese Veränderung in der Bewusstseinslage der Parlamentarier zu einer ständigen Erhöhung der Abgabenquote gekommen. Die Abgabenquote ist jener Anteil des Einkommens, den der Staat den Menschen wegnimmt. Sei es über Sozialversicherungsbeiträge, sei es über Steuern, sei es über sonstige Abgaben. Alleine in den letzten 40 Jahren haben wir da eine Steigerung von 36 auf 43 Prozent erlebt. In diesen Jahrzehnten ist tatsächlich auf vielen Gebieten eine Trendwende eingetreten. 1970 gab es in Österreich das Ende der ÖVP-Alleinregierung und der Beginn der SPÖ-Alleinregierung – nur kann dieser fundamentale Regierungswechsel nicht alleine die Ursache jener Wende gewesen sein. Viele Werte, Orientierungen, politische Usancen waren plötzlich auch in anderen Ländern nicht mehr gültig. Der Staat wurde fast überall immer mehr aufgebläht, neue gesellschaftliche Muster griffen um sich, der Wohlfahrtsstaat explodierte, Leistung und Sparsamkeit galten plötzlich als altmodisch. Es fand ein historischer und europaweiter Paradigmenwechsel statt. Der ganze Kontinent erhöhte

Foto: Archiv

Das zweite Steuer-Prinzip war noch viel verbreiteter, auch wenn der Ausdruck jünger ist: Durch Jahrhunderte und Jahrtausende gibt es nämlich schon eine »Flat Tax«. Das heißt: Der Prozentsatz der abzukassierenden Steuer steigt nicht, wenn man mehr verdient, sondern er ist über alle Einkommensstufen völlig gleich. Das ist keineswegs eine neue Erfindung, auch wenn heute schon der Gedanke daran als ein politisch unkorrekter Tabubruch wirkt. Auch der fixe Prozentsatz des kirchlichen Zehents war eine Flat Tax. Erst im 19. Jahrhundert hat man mit der Einführung progressiver Steuern begonnen. Die heute wichtigsten Steuern, die Einkommensteuern, waren zwar am Beginn des 20. Jahrhunderts schon progressiv – aber sie waren insgesamt im Vergleich zu heute sensationell niedrig. In keinem europäischen Land, über das ich Quellen gefunden habe, hat es damals Spitzensteuersätze gegeben, die einen zweistelligen Prozentsatz ausgemacht hätten. Sie lagen also weit unter zehn Prozent. Im Deutschen Reich etwa ist die Progression von 0,62 Prozent – also weniger als ein Prozent! – nur bis zum »gigantischen« Höchstbetrag von vier Prozent gegangen. Interessanterweise haben die Staaten auch damals trotz dieser niedrigen Steuern ganz gut existiert.

Dr. Andreas Unterberger ist Jurist und Ökonom, der heute als Vortragender und Publizist arbeitet. Er war 1995 bis 2004 Chefredakteur der Tageszeitung »Die Presse« und von 2005 bis 2009 Chefredakteuer der »Wiener Zeitung«. Seit 2010 führt er das »nicht ganz unpolitische Tagebuch« unter andreas-unterberger.at Fazit Oktober 2013 /// 47


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